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KARL BERNHARD KRUSE
Die Baugeschichte des
Hildesheimer Domes
Herausgegeben vom Domkapitel Hildesheim
Mit Beiträgen von
Leonard Altfelix, Hervé Bocherens, Helmut Brandorff, Kirstin Casemir,
Marta Díaz-Zorita Bonilla, Stefan Flohr, Britta Hedtke, Corina Knipper,
Ulrich Knapp, Theo Kölzer, Robert Lehmann, Stefan Petersen,
Nora Schäfer, Nicole Riedl-Siedow, Carsten Witzel
Sonderdruck aus:
3208_00_Vorspann.indd 3 04.09.17 12:16
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1. Auflage 2017
© 2017 Verlag Schnell & Steiner GmbH, Leibnizstr. 13, D-93055 Regensburg
in Zusammenarbeit mit Bernward Mediengesellschaft mbH, Hildesheim 2017
Umschlaggestaltung: Anna Braungart, Tübingen
Satz: typegerecht, Berlin
Druck: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, Paderborn
ISBN 978-3-7954-3208-9
Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet,
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Umschlagabbildung: 1200 Jahre Bauen am Hildesheimer Dom, Überlagerung aller rekonstruierten Bauphasen.
Rekonstruktion Karl Bernhard Kruse, Computerzeichnung Yannick Schröder
3208_Baugeschichte HD.indb 4 11.07.17 11:00
Inhalt
Grußwort
Vorwort und Dank
zusammengestellt von stefan Petersen
Ausgewählte Schriftquellen zur Baugeschichte des Hildesheimer Doms
Kirstin Casemir
Der Ortsname Hildesheim
theo Kölzer
Elze oder Hildesheim?
Zu den Anfängen des Bistums Hildesheim
stefan Petersen
Die Anfänge des Bistums Hildesheim im Licht der neuesten Forschung
helmut Brandorff
Der Domhügel als Bestattungsplatz
Vom heidnischen Gräberfeld zum christlichen Friedhof
Carsten Witzel · leonard altfelix · stefan flohr
Früh datierende Bestattungen im Bereichdes Hildesheimer Doms
Anthropologische Untersuchungen
Corina KniPPer · marta díaz-zorita Bonilla · hervé BoCherens · Carsten Witzel
Ein karolingisches Steinplattengrab in der heutigen Hildesheimer Domgruft
Anthropologische Untersuchung und Isotopenanalysen
anden darin überlieferten Skelettresten
stefan flohr · Carsten Witzel
Ergebnisse der Untersuchung der menschlichen Überreste aus zwei Steinsarkophagen
in der Krypta unter dem Altar im Dom zu Hildesheim
Karl Bernhard Kruse
Die Baugeschichte des Hildesheimer Domes
7
9
13
33
39
57
77
95
121
141
155
3208_00_Vorspann.indd 5 17.07.17 11:19
Ulrich Knapp
Der Hildesheimer Domkreuzgang
Baubestand und Baugeschichte
nicole riedl-Siedow
Erkenntnisse zu den verwendeten Mörteln im Hildes heimer Dom
im Verlauf der verschiedenen Bauphasen
Erste Untersuchungsergebnisse zu Material und Technologie
nora Schäfer
Die Bernwardsziegel am Hildesheimer Dom
Britta hedt Ke
Die gestempelten Dachziegelfragmente Bischof Bernwards von Hildesheim
helmUt Brandorff
Scherbenhaufen – Die ältere Keramik aus Befunden der Domgrabung 2009 bis 2013
helmUt Brandorff
Eine Glockengießerwerkstatt am Dom zu Hildesheim
roBert lehmann
Archäometrische Analysen an Funden des Hildesheimer Doms
helmUt Brandorff
Ausgewählte Funde und Befunde
Die Bernwardsmauer– Von der Wehrmauer der Domburg
zur Uferbefestigung der Stadtkloake
Überblick aller rekonstruierten Bauphasen des Hildesheimer Domes im gleichen Maßstab
Bildnachweis
Beilagen
1 DVD mit Zusatzmaterial
2 Planbeilagen
333
391
409
421
443
463
473
491
502
504
3208_00_Vorspann.indd 6 17.07.17 11:19
KARL BERNHARD KRUSE
Die Baugeschichte des
Hildesheimer Domes
Herausgegeben vom Domkapitel Hildesheim
Mit Beiträgen von
Leonard Altfelix, Hervé Bocherens, Helmut Brandorff, Kirstin Casemir,
Marta Díaz-Zorita Bonilla, Stefan Flohr, Britta Hedtke, Corina Knipper,
Ulrich Knapp, Theo Kölzer, Robert Lehmann, Stefan Petersen,
Nora Schäfer, Nicole Riedl-Siedow, Carsten Witzel
3208_Baugeschichte HD.indb 2 11.07.17 11:00
Einführung
Während der Ausgrabungen im Hildesheimer Dom wurde
ein besonderes Steinplattengrab aus dem 9.Jahrhundert im
Mittelschiff vor dem ehemaligen Kreuzaltar entdeckt. Diese
herausragende Lage und der stratigraphische Befund, nach
dem das Grab vor dem Einbau der profilierten karolingi-
schen Sockelsteine für eine Abschrankung eines Vorgängers
der Confessio angelegt wurde, ließen zuerst die Vermutung
aufkommen, dass es sich um das Stiftergrab des Bischofs
Altfrid handeln könnte, der den Hildesheimer Dom zwi-
schen 852 und 872 errichtet hat.1 Daher wurde das Grab als
Bestattungsstätte eines der frühen Bischöfe oder des Stifters
selbst interpretiert. Im Zuge der neuesten archäologischen
Ausgrabungen kam es jedoch zu einer Neuinterpretation der
Zuordnung dieser Grablege. Danach kann als gesichert gel-
ten, dass sie zunächst zu einem Friedhof des frühen 9.Jahr-
hunderts gehörte, der vor der in diesem Zeitraum errich-
teten Marienkapelle lag. Erst später wurde das Grab durch
den ersten, an der heutigen Stelle durch Bischof Altfrid
errichteten Dom überbaut und gelangte so in seine beson-
dere Position vor der Chorschranke. Ob es mit einer zweiten
Grabplatte im Fußboden sichtbar war, ist nicht bekannt. Der
neue Fußboden Bischof Bernwards aus der Zeit um 1000 mit
Backsteinrauten in einem Mörtelestrich zieht eindeutig über
die Platte, die das Grab abdeckt, hinweg. Spätestens ab dieser
Zeit war es nicht mehr im Dom zu erkennen und wohl auch
in Vergessenheit geraten, da es in den Schriftquellen nie er-
wähnt wird.
Im Laufe der Forschungsgeschichte zum Hildesheimer
Dom wurden verschiedene Hypothesen zur Identifikation der
1 Goetting, Hans, Die Hildesheimer Bischöfe von 815 bis 1221 (1227)
(=Germania Sacra NF 20), Berlin/New York 1984, S.108.
2 Vgl. Petersen, Stefan, Die Anfänge des Bistums Hildesheim im Licht der
neuesten Forschung, in diesem Band (Kap. Erzbischof Ebo von Reims–
Wegbereiter der Institutionalisierung des Bistums Hildesheim).
in der prominenten Grablege überlieferten Gebeine formu-
liert. Eine davon besagt, dass es sich um Ebo von Reims, den
dritten Bischof von Hildesheim, handeln könnte. Er ist eine
der wenigen Persönlichkeiten aus der Frühzeit des Bistums,
über die biographische Daten bekannt sind. Relevant sind
dabei das Sterbealter von über 70 Jahren und Berichte über
ein Leiden im mittleren und höheren Lebensalter, bei dem es
sich vermutlich um Gicht gehandelt haben soll.2 Weiterhin ist
in der Kindheit ein längerer Aufenthalt in Aquitanien zusam-
men mit seinem Milchbruder, dem späteren Kaiser Ludwig
dem Frommen anzunehmen. Diese Daten lassen sich nutzen,
um mit Hilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungen eine
eventuelle Identifikation mit den in dem Steinplattengrab
überlieferten Gebeinen zu überprüfen, auch wenn dies durch
die Ergebnisse der neueren baugeschichtlichen Forschungen
sehr unwahrscheinlich ist.
Eine weitere Vermutung war, dass der Stifter Bischof
Altfrid selbst im betreffenden Grab lag. Allerdings ist auch
dies dem aktuellen Forschungsstand nach auszuschließen.
Schriftlich ist eindeutig überliefert, dass Altfrid sich in seiner
zweiten Gründung in Essen bestatten ließ, wo seine Reliquien
bis heute verehrt werden. Bei einer Öffnung des Reliquien-
schreins in der Zeit um 1900 hat ein Arzt ein genaues Proto-
koll der darin vorhandenen Knochen angefertigt. Dies wurde
nun mit den im Hildesheimer Grab überlieferten Knochen
verglichen. Da zahlreiche Skelettelemente sowohl im Essener
Reliquienschrein als auch im Grab in Hildesheim vorhanden
sind, kann ausgeschlossen werden, dass die Knochen von ein
und derselben Person stammen. Auch das 14C-Datum der
Ein karolingisches Steinplattengrab in der
heutigen Hildesheimer Domgruft
Anthropologische Untersuchung und Isotopenanalysen
anden darin überlieferten Skelettresten
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL
3208_Baugeschichte HD.indb 121 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL122
3 Vgl. auch Brandorff, Helmut, Der Domhügel als Bestattungsplatz, in
diesem Band (samt der Tabelle mit 14C-Daten auf der beigefügten DVD).
4 Tütken, Thomas, Die Isotopenanalyse fossiler Skelettreste. Bestimmung
der Herkunft und Mobilität von Menschen und Tieren, in: Meller, Ha-
rald/Alt, Kurt W. (Hgg.), Anthropologie, Isotopie und DNA– biografi-
sche Annäherung an namenlose vorgeschichtliche Skelette?, 2. Mittel-
deutscher Archäologentag vom 08. bis 10. Oktober 2009 in Halle (Saale)
(= Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 3), Halle (Saale)
2010, S.33 –51.
5 Hillson, Simon, Teeth, Cambridge 2005.
6 AlQahtani, Sakher J./Hector, Mark P./Liversidge, Helen M., Brief
communication: The London atlas of human tooth development and
eruption, in: American Journal of Physical Anthropology 142 (2010),
S.481– 490; Schroeder, Hubert E., Orale Strukturbiologie: Entwick-
lungsgeschichte, Struktur und Funktion normaler Hart- und Weich-
gewebe der Mundhöhle und des Kiefergelenks, Stuttgart 2000; Reid,
Donald J./Dean, M. Christopher, Variation in modern human enamel
formation times, in: Journal of Human Evolution 50 (2006), S.329 –34 6;
Holt, Sarah A./Reid, Donald J./Guatelli-Steinberg, Debbie, Brief
communication: Premolar enamel formation: completion of figures for
aging LEH defects in permanent dentition, in: Journal of Dental Anthro-
pology 25 (2012), S.4 –7.
7 Burton, James H./Price, T. Douglas, Seeking the local 87Sr/86Sr ratio to
determine geographic origins of humans, in: Armitage, Ruth Ann/Bur-
ton, James H. (Hgg.), Archaeological Chemistry VII I (= ACS Symposium
Series 1147), Washington DC 2013, S.309–320.
Isotopenanalysen zur Entschlüsselung gewisser Aspekte der
Ernährungsgewohnheiten zum Einsatz. In Zähne und Kno-
chen werden während ihres Wachstums mit der Nahrung
und dem Trinkwasser aufgenommene chemische Elemente
eingelagert, deren stabile Isotopenverhältnisse sich je nach
Region unterscheiden können.4 Das bezüglich der Mobili-
tät eines Individuums aussagekräftigste Probenmaterial ist
Zahnschmelz, der nach seiner vollständigen Mineralisation
während der ersten Lebensjahre eines Menschen keine Um-
bildung mehr erfährt.5 Während die Anlage der Milchzähne
bereits im Mutterleib beginnt, bilden sich die Zahnkronen
der Dauerzähne zwischen der Geburt und dem Jugendalter
(Tab.1).6 Weiterhin ist Zahnschmelz während der Bodenlage-
rung sehr beständig gegenüber diagenetischen Veränderun-
gen, so dass Zähne als »Archiv der Kindheit« auch über den
Tod hinaus biogene Informationen speichern. Generell wird
eine Ortsfremdheit angezeigt, wenn die Isotopenverhältnisse
der Zähne von den regionstypischen Werten abweichen, die
über Vergleichsproben zu charakterisieren sind.7 Darüber
hinaus reflektieren unterschiedliche Isotopenverhältnisse in
Zähnen mit aufeinanderfolgender oder teilweise überlappen-
der Bildungszeit Wohnortwechsel im Laufe der Kindheit.
Im Gegensatz zu Zähnen bilden sich Knochen zeitlebens
um. Dabei werden bei erwachsenen Personen jährlich zwi-
schen 3% bei kompakten und 25% bei spongiösen Knochen
ersetzt.8 Auch bei einem ortsfremden Individuum passen
sich dabei durch den Abbau von bestehenden Knochenan-
teilen und das Wiederauffüllen der Lücken mit neuem Kno-
chenmaterial die Isotopenverhältnisse sukzessive an diejeni-
gen der jeweiligen Umgebung an und sind nach spätestens
einigen Jahrzehnten nicht mehr vom lokalen Signal zu unter-
scheiden. Außerdem sind Knochen aufgrund ihrer poröseren
Struktur gegenüber diagenetischen Einflüssen während der
Bodenlagerung sehr anfällig, so dass insbesondere ihre Stron-
tium-Isotopenverhältnisse sehr schnell durch diejenigen des
umgebenden Sediments überprägt werden. Deshalb bieten
Knochen aus Hildesheim deutet auf einen früheren Todes-
zeitpunkt als das Jahr 874 hin, in dem Altfrid verstarb.3
Parallel zu den archäologischen und baugeschichtlichen
Untersuchungen zur Hildesheimer Grablege erfolgte eine
umfangreiche Analyse der in ihr überlieferten Skelettreste
unter Einbezug anthropologischer Untersuchungen sowie
stabiler und radiogener Isotopenanalysen an Zähnen und
Knochen. Ziel war es, auch die Gebeine zur Auseinanderset-
zung mit den Hypothesen zu ihrer Identifikation zu nutzen,
und darüber hinaus Informationen zur Herkunft und Mobili-
tät der repräsentierten Persönlichkeit zu entschlüsseln.
Methodische Grundlagen der eingesetzten
naturwissenschaftlichen Untersuchungen
Anthropologie
Grundlage jeglicher weiterführender Analysen ist eine anth-
ropologische Untersuchung der Skelettreste, um ein biologi-
sches Profil der bestatteten Person zu erhalten. Dies umfasst
Informationen zu Geschlecht und Sterbealter des Individu-
ums. Zusätzlich können aus Veränderungen an Knochen und
Zähnen, wie sie etwa in Folge von Degenerationserscheinun-
gen oder von krankhaften Prozessen wie Gicht entstehen
können, Rückschlüsse auf gewisse Bereiche der Lebensfüh-
rung bzw. der Lebensbedingungen gezogen werden.
Zähne und Knochen als Isotopenarchive
Über die anthropologische Bearbeitung hinaus kamen Sau-
erstoff- und Strontium-Isotopenanalysen als etablierte Me-
thoden zur Untersuchung einer eventuellen Ortsfremdheit
des überlieferten Individuums und zur Gewinnung von An-
haltspunkten für Mobilität in der Kindheit sowie Kohlenstoff-
3208_Baugeschichte HD.indb 122 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 123
8 Dempster, David W., Histomorphometric analysis of bone remo-
deling, in: Bilezikian, John P./Raisz Lawrence G./Martin, T. John
(Hgg.), Principles of bone biology, 3.Aufl. San Diego/London 2008,
S.447– 463; Kini, Usha/Nandeesh, B. N., Physiology of bone forma-
tion, remodeling, and metabolism, in: Fogelman, Ignac/Gnanasega-
ran, Gopinath/van der Wall, Hans (Hgg.), Radionuclide and hybrid
bone imaging, Berlin/Heidelberg 2012, S.29 –57; Knipper, Corina, Die
Strontiumisotopenanalyse: eine naturwissenschaftliche Methode zur
Erfassung von Mobilität in der Ur- und Frühgeschichte, in: Jahrbuch des
Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 51 (2004), S.589 –
685.
9 Horn, Peter/Müller-Sohnius, Dieter, Comment on »Mobility of Bell
Beaker people revealed by strontium ratios of tooth and bone: a study of
southern Bavarian skeletal remains« by Gisela Grupe, T. Douglas Price,
Peter Schröter, Frank Söllner, Clark M. Johnson and Brian L. Beard, in:
Applied Geochemistry 14 (1999), S.263 –269.
10 Bowen, Gabriel J./Wilkinson, Bruce, Spatial distribution of δ18O in
meteoric precipitation, in: Geology 30 (2002), S.315–318; Rozansk i,
Kazimierz/Araguás-Araguás, Luis/Gonfiantini, Roberto, Isotopic
patterns in modern global precipitation, in: Swart, Peter K./Lohmann,
Kyger C./McKenzie, Judith A./Savin, Samuel (Hgg.), Climate change in
continental isotope records (= Geophysical Monographs 78), Washing-
ton DC 1993, S.1–36; Stephan, Elisabeth, Stabile Isotope in fossilen
Faunenfunden: Erforschung von Klima, Umwelt und Ernährung prähis-
torischer Tiere, in: Hauptmann, Andreas/Pingel, Volker (Hgg.), Ar-
chäometrie. Methoden und Anwendungsbeispiele naturwissenschaftli-
cher Verfahren in der Archäologie, Stuttgart 2008, S.46 –66.
11 Ch enery, Carolyn/Müldner, Gundula/Evan s, Jane/Ecka rdt, Hella/
Lewis, Mary, Strontium and stable isotope evidence for diet and mo-
bility in Roman Gloucester, UK, in: Journal of Archaeological Science
37 (2010), S.150 –163; Daux, Valérie/Lécuyer, Christophe/Hér an,
Marie-Anne/Ami ot, Romain/Simon, Laurent/Fourel, François/Mar-
tineau, François/Lynn eru p, Niels/Reychler, Hervé/Escarguel,
Gilles, Oxygen isotope fractionation between human phosphate and
water revisited, in: Journal of Human Evolution 55 (2008), S. 1138–
1147; Knipper, Corina, Die räumliche Organisation der linearbandke-
ramischen Rinderhaltung: naturwissenschaftliche und archäologische
Untersuchungen (= British Archaeological Reports. International Series
2305), Oxford 2011.
12 IAEA/WMO, Global Network of Isotopes in Precipitation. The GNIP
Database. Accessible at: http://www.iaea.org/water. 2016 (Letzter Zu-
griff: 10.12.2016).
13 Chene ry et al., Strontium 2010 (wie Anm.11); Che nery, Carolyn A./
Pas hle y, Vanessa/Lamb, Angela L./Sloane , Hilary J./Evans , Jane A.,
The oxygen isotope relationship between the phosphate and structural
carbonate fractions of human bioapatite, in: Rapid Communications in
Mass Spectrometery 26 (2012), S.309–319; Daux et al., Oxygen iso-
tope fractionation 2008 (wie Anm.11).
stoffs geht vor allem auf den mit dem Trinkwasser und der
Nahrung aufgenommenen Sauerstoff zurück. Die konstante
Körpertemperatur von Säugetieren und damit auch des
Menschen bewirkt, dass die Isotopenfraktionierung bei der
Verstoffwechslung unter gleichbleibenden Bedingungen ab-
läuft. Deshalb unterscheiden sich die Isotopenverhältnisse
der Zähne von denjenigen des aufgenommenen Trinkwas-
sers, wobei letztere über Regressionsgleichungen erschlossen
werden können.11 Ortstypische Werte sind am besten über
den Vergleich mit Daten anderer Bestattungsgemeinschaften
oder aber mit aus Datenbanken abfragbaren oder publizier-
ten Isotopenverhältnissen rezenten Niederschlagswassers
zu erschließen.12 Bei der Interpretation von Analysedaten
des menschlichen Zahnschmelzes sind langfristige Klima-
variationen, saisonale Unterschiede der Sauerstoff-Isotopie
und tatsächlich ortsspezifische Signale gegeneinander abzu-
wägen. In der Praxis bedarf eine Bewertung der räumlichen
Information mehrerer komplexer Umrechnungsschritte, die
jeweils mit Fehlern behaftet sind.13
die Isotopenverhältnisse von unter feuchten Bedingungen in
lockerem Boden gelagerten Knochen gute Anhaltspunkte für
die ortstypischen Werte, auch wenn das betreffende Indivi-
duum zwischen Ortswechsel und Tod weniger Zeit am Ster-
beort verbrachte, als für einen vollständigen Knochenumbau
nötig gewesen wäre.9
Sauerstoff-Isotopenanalysen
Am strukturellen Karbonat des Zahnschmelzes wurden
Sauerstoff-Isotopenverhältnisse bestimmt. Aufgrund von
Isotopenfraktionierung variieren die Verhältnisse der stabi-
len Isotope 18O zu 16O– ausgedrückt als δ18O-Wert, d. h. als
Abweichung vom Isotopenverhältnis eines Standards– im
Niederschlags-, Oberflächen- und Grundwasser zwischen
verschiedenen Regionen. Dabei steigen die δ18O-Werte
mit zunehmender Temperatur und Nähe zur Meeresküste,
während sie mit zunehmender Höhenlage abnehmen.10 Die
räumliche Information des in Zähnen gebundenen Sauer-
Tab.1(nächsteDoppelseite) Untersuchte Proben von Zähnen und Knochen der Bestat tung im Hildesheimer Steinplattengrab sowie von
Vergleichsproben mit Angaben zu Alter, Geschlecht, Bildungszeitraum des untersuchten Gewebes sowie den Ergebnissen der Sauerstoff-,
Kohlenstoff- und Strontium-Isotopenanalysen. Die Bildungszeiträume der Zähne orientieren sich an den Zeiträumen der Kronenanlage nach
Schroeder (2000), wie Anm. 6. In eckigen Klammern ist der Zeitraum möglicher Nachmineralisation im Kiefer bis ca. 1 Jahr vor dem frühesten
Durchbruch nach Schroeder (2000), wie Anm. 6, notiert. Die jährlichen Knochenumbauraten basieren auf D empster (2008), wie Anm. 8. δ18Oc
= Sauerstoff-Isotopenverhältnis des strukturellen Karbonats, δ18Odw = Sauerstoff-Isotopenverhältnis des Trinkwassers, zum einen errechnet
nach Iacumin (1996), wie Anm. 23 und Daux et al. (2008; Gleichung 4), wie Anm. 11, und zum anderen nach Chener y et al. (2010), wie Anm. 11,
basierend auf Daux et al. (2008; Gleichung 6), wie Anm. 11.
3208_Baugeschichte HD.indb 123 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL124
Befundnr. Archäologischer Kontext Spezies /
Material
Alter Geschlecht Skelettelement Bildungszeitraum
δ18Oc
(‰ PDB)
δ18Oc
(‰ V-SMOW)
δ18Odw (‰ V-SMOW) nach Iacumin 1996
und Daux et al. 2008 (Gleichung 4)
δ18Odw (‰ V-SMOW)
nach Chenery et al. 2012
δ13C
(‰ PDB)
Sr ppm 87Sr/86Sr ± 2 SD
Skelett im Steinplattengrab
Hi18-679_26 Bef. 679 Steinplattengrab Mensch 40–60 Männlich 1. Molar
(Zahn 26)
0 bis ca. 3.5 [5] Jahre
(Gesamtdauer)
79 0, 7116 0 0,00002
0 bis ca. 2 [3] Jahre
(kauflächennah)
-6,32 24,34 -10,69 -9,93 -14,81
ca. 2 bis 3.5 [5] J (wurzelnah)
-5,55 25,14 -9,33 -8,66 -14,57
Hi18-679_21 1. Incisivus
(Zahn 21)
ca. 3 Monate bis ca. 2,5 [3,5]
Jahre (kauflächennah)
-4,58 26,14 -7,64 -7,07 -14,67
ca. 2 bis 4 [5,5] J (wurzelnah)
-6,22 24,45 -10,50 -9,76 -14,28
Hi18-679_23 Caninus
(Zahn 23)
ca. 6 Monate bis 3,5 [4] Jahre
(kauflächennah)
-6,13 24,54 -10,35 -9,62 -14,17
ca. 3 bis 6 [9] Jahre (wurzelnah)
-5,73 24,95 -9,65 -8,96 -13,90
Hi18-679_25 2. Prämolar
(Zahn 25)
ca. 2 bis 7 [9] Jahre
(Gesamtdauer)
82 0, 71156 0,00003
ca. 2 bis 4,5 [5] Jahre
(kauflächennah)
-5,19 25,51 -8,71 -8,07 -14,76
ca. 4 bis 7 [9] Jahre (wurzelnah)
-6,94 23,71 -11,76 -10,94 -14,60
Hi18-679_38 3. Molar
(Zahn 38)
ca. 7 bis 13 [16] Jahre
(Gesamtdauer)
-5,80 24,88 -9,77 -9,08 -14,82 76 0,71229 0,00001
Hi18-679_K1 Femur
(Kompakta)
langsamere Umbaurate
ca. 3 % / Jahr
110 0,70944 0,00001
Hi18-679_K2 Rippe
(Kompakta)
schnellere Umbaurate
ca. 25 % / Jahr
145 0,70921 0,00001
Menschliche Vergleichsproben
Hi18-633_44 Bef. 633 frühe christliche
Bestattung
Mensch 25 – 40 Weiblich 1. Prämolar
(Zahn 44)
ca. 2 bis 6 [8.5] Jahre
(Gesamtdauer)
66 0,70973 0,00003
Hi18-633_18 3. Molar
(Zahn 38)
ca. 7 bis 13 [16] Jahre
(Gesamtdauer)
72 0, 71118 0,00002
Hi18-1663_24 Bef. 1663 Sächsischer
Friedhof
Mensch 40–60 Weiblich 1. Prämolar
(Zahn 24)
ca. 2 bis 6 [8.5] Jahre
(Gesamtdauer)
65 0,70930 0,00001
Hi18-1663_48 3. Molar
(Zahn 48)
ca. 7 bis 13 [16] Jahre
(Gesamtdauer)
77 0,70975 0,00001
Tierische Vergleichsproben
HILD 454_P3 Bef. 454 S. Antonius, aus
Grube (ca. 800 n. Chr.)
Schwein Zahn P3
126 0,71062 0,00003
HILD 965_M2 Bef. 965 Schulhof, aus Grab-
verfüllung (9.-10. Jh. n. Chr.)
Schwein Zahn M2
124 0,71105 0,00002
HILD 1724_M1 Bef. 1724 sächsischer
Friedhof
Schwein Zahn M1
122 0,71051 0,00001
Sediment und Wasser
EBO-1 Sediment
-13,18 17,27 -11,77
1 Brunnen Wasser
-7,95
2 Brunnen Wasser
-7,66
3208_Baugeschichte HD.indb 124 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 125
Befundnr. Archäologischer Kontext Spezies /
Material
Alter Geschlecht Skelettelement Bildungszeitraum
δ18Oc
(‰ PDB)
δ18Oc
(‰ V-SMOW)
δ18Odw (‰ V-SMOW) nach Iacumin 1996
und Daux et al. 2008 (Gleichung 4)
δ18Odw (‰ V-SMOW)
nach Chenery et al. 2012
δ13C
(‰ PDB)
Sr ppm 87Sr/86Sr ± 2 SD
Skelett im Steinplattengrab
Hi18-679_26 Bef. 679 Steinplattengrab Mensch 40–60 Männlich 1. Molar
(Zahn 26)
0 bis ca. 3.5 [5] Jahre
(Gesamtdauer)
79 0, 7116 0 0,00002
0 bis ca. 2 [3] Jahre
(kauflächennah)
-6,32 24,34 -10,69 -9,93 -14,81
ca. 2 bis 3.5 [5] J (wurzelnah)
-5,55 25,14 -9,33 -8,66 -14,57
Hi18-679_21 1. Incisivus
(Zahn 21)
ca. 3 Monate bis ca. 2,5 [3,5]
Jahre (kauflächennah)
-4,58 26,14 -7,64 -7,07 -14,67
ca. 2 bis 4 [5,5] J (wurzelnah)
-6,22 24,45 -10,50 -9,76 -14,28
Hi18-679_23 Caninus
(Zahn 23)
ca. 6 Monate bis 3,5 [4] Jahre
(kauflächennah)
-6,13 24,54 -10,35 -9,62 -14,17
ca. 3 bis 6 [9] Jahre (wurzelnah)
-5,73 24,95 -9,65 -8,96 -13,90
Hi18-679_25 2. Prämolar
(Zahn 25)
ca. 2 bis 7 [9] Jahre
(Gesamtdauer)
82 0, 71156 0,00003
ca. 2 bis 4,5 [5] Jahre
(kauflächennah)
-5,19 25,51 -8,71 -8,07 -14,76
ca. 4 bis 7 [9] Jahre (wurzelnah)
-6,94 23,71 -11,76 -10,94 -14,60
Hi18-679_38 3. Molar
(Zahn 38)
ca. 7 bis 13 [16] Jahre
(Gesamtdauer)
-5,80 24,88 -9,77 -9,08 -14,82 76 0,71229 0,00001
Hi18-679_K1 Femur
(Kompakta)
langsamere Umbaurate
ca. 3 % / Jahr
110 0,70944 0,00001
Hi18-679_K2 Rippe
(Kompakta)
schnellere Umbaurate
ca. 25 % / Jahr
145 0,70921 0,00001
Menschliche Vergleichsproben
Hi18-633_44 Bef. 633 frühe christliche
Bestattung
Mensch 25 – 40 Weiblich 1. Prämolar
(Zahn 44)
ca. 2 bis 6 [8.5] Jahre
(Gesamtdauer)
66 0,70973 0,00003
Hi18-633_18 3. Molar
(Zahn 38)
ca. 7 bis 13 [16] Jahre
(Gesamtdauer)
72 0, 71118 0,00002
Hi18-1663_24 Bef. 1663 Sächsischer
Friedhof
Mensch 40–60 Weiblich 1. Prämolar
(Zahn 24)
ca. 2 bis 6 [8.5] Jahre
(Gesamtdauer)
65 0,70930 0,00001
Hi18-1663_48 3. Molar
(Zahn 48)
ca. 7 bis 13 [16] Jahre
(Gesamtdauer)
77 0,70975 0,00001
Tierische Vergleichsproben
HILD 454_P3 Bef. 454 S. Antonius, aus
Grube (ca. 800 n. Chr.)
Schwein Zahn P3
126 0,71062 0,00003
HILD 965_M2 Bef. 965 Schulhof, aus Grab-
verfüllung (9.-10. Jh. n. Chr.)
Schwein Zahn M2
124 0,71105 0,00002
HILD 1724_M1 Bef. 1724 sächsischer
Friedhof
Schwein Zahn M1
122 0,71051 0,00001
Sediment und Wasser
EBO-1 Sediment
-13,18 17,27 -11,77
1 Brunnen Wasser
-7,95
2 Brunnen Wasser
-7,66
3208_Baugeschichte HD.indb 125 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL126
14 Knipper, Corina, Die Strontiumisotopenanalyse: eine naturwissen-
schaftliche Methode zur Erfassung von Mobilität in der Ur- und Früh-
geschichte, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums
Mainz 51 (200 4), S.589– 685; Ben tley, R. Alexander, Strontium isoto-
pes from the earth to the archaeological skeleton: A review, in: Journal
of Archaeological Method and Theory 13 (2006), S.135 –187.
15 Capo, Rosemary C./Stewar t, Brian W./Chadwick, Oliver A., Stron-
tium isotopes as tracers of ecosystem processes: theory and methods,
in: Geoderma 82 (1998), S.197–225.
16 Evans, Jane A./Tatha m, S., Defining ›local signature‹ in terms of Sr
isotope composition using a tenth– twelfth- century Anglo-Saxon
population living on a Jurassic clay-carbonate terrain, Rutland UK, in:
Geological Society Special Publication 232 (2004), S.237–248; Mau-
rer, Anne-France/Galer, Stephen J. G./Knipper, Corina/Beierlein,
Lars/Nun n, Elizabeth V./Peters, Daniel/Tütken, Thomas/Alt, Kurt
W./Schöne, Bernd R., Bioavailable 87Sr/86Sr in different environmental
samples– Effects of anthropogenic contamination and implications for
isoscapes in past migration studies, in: Science of the Total Environment
433 (2012), S.216–229.
17 Burton/Pr ice, local 87Sr/86Sr ratio 2013 (wie Anm.7).
fremde Personen in einer Bestattungsgemeinschaft werden
erkennbar, wenn die Strontium-Isotopenverhältnisse ihres
Zahnschmelzes vom ortstypischen Wertebereich abweichen.
Differenzen zwischen den Isotopenverhältnissen nacheinan-
der mineralisierter Zahnkronen bezeugen Residenzwechsel
innerhalb der Kindheit. Zur Bestimmung der Isotopenver-
hältnisse des an einem Ort biologisch verfügbaren Stronti-
ums können Zähne möglichst ortskonstant lebender Tiere
aus archäologischem Kontext oder auch rezente Vergleichs-
proben herangezogen werden.16 Darüber hinaus geben auch
Brüche in der Datenverteilung der Zahnschmelzwerte größe-
rer Datensätze oder die Identifikation von Ausreißern Hin-
weise auf ehemals gruppenfremde Personen.17
Probenmaterial für die Isotopenanalysen
Von dem Individuum aus dem Steinplattengrab wurden von
fünf Zähnen zumeist zwei Proben für Sauerstoff-Isotopen-
analysen entnommen. Davon lag eine nahe der jeweils frü-
her mineralisierten Kaufläche und die andere nahe dem spä-
ter mineralisierten Zahnhals (vgl. Tab.1). Während sich die
durch die einzelnen Analysen repräsentierten Zeitabschnitte
zum Teil überschneiden, decken die Proben insgesamt den
vollständigen Mineralisationszeitraum des Gebisses von der
Geburt bis ins Jugendalter ab. Für drei der Zähne wurden
zusätzlich Strontium-Isotopenverhältnisse für jeweils eine
über die gesamte Kronenhöhe hinweg entnommene Probe
bestimmt. Das Probenmaterial für diese Untersuchung um-
fasste außerdem eine Rippe und ein Femur (Oberschenkel-
knochen). Letztere Analysen erfolgten vor dem Hintergrund,
dass die Knochen im Steinplattengrab nur teilweise in losem
Sediment lagen, so dass die Möglichkeit der Überlieferung
biogener Isotopenwerte bestand, die die Herkunft der Nah-
rung im Erwachsenenalter reflektieren könnten.
Die Interpretation von Strontium-Isotopendaten erfor-
dert Vergleichswerte, weshalb außer den Proben aus dem
Steinplattengrab jeweils ein Prämolar und ein dritter Molar
Kohlenstoff-Isotopenanalysen
Gemeinsam mit den Sauerstoff-Isotopenverhältnissen wur-
den Kohlenstoff-Isotopenverhältnisse (δ13C) bestimmt. Sie
überliefern Informationen bezüglich der Ernährung und
lassen vor allem den anteiligen Verzehr von C4-Pflanzen (wie
z. B. Hirse) im Verhältnis zu C3-Pflanzen (die meisten in Mit-
teleuropa typischen Gewächse) oder auch von Meeresfisch
erkennen. Unterschiedliche δ13C-Werte in nacheinander mi-
neralisierten Zähnen können von einer Änderung der Nah-
rungsgewohnheiten im Laufe der Kindheit zeugen, die u. a.
auf einen Residenzwechsel zurückzuführen gewesen sein
könnten.
Strontium-Isotopenanalysen
Die Strontium-Isotopenanalyse nutzt von den klimatischen
Verhältnissen unabhängige Parameter zum Erkennen orts-
fremder Individuen in Bestattungsgemeinschaften. Stron-
tium ist als Spurenelement in Gesteinen weit verbreitet. Von
seinen vier stabilen Isotopen (84Sr, 86Sr, 87Sr und 88Sr) ist das
Isotop 87Sr radiogen und entsteht durch radioaktiven Zerfall
von 87Rb (Rubidium). Deshalb variiert der Anteil von 87Sr–
ausgedrückt als 87Sr/86Sr-Verhältnis– zwischen verschiede-
nen geologischen Einheiten in Abhängigkeit vom ursprüng-
lichen Rubidiumgehalt und vom Alter der Gesteine.14 Durch
die Verwitterung gelangt Strontium in den Boden und ins
Grundwasser, wird von Pflanzen aufgenommen und über
die Nahrungskette an Tiere und Menschen weitergegeben.
Dabei erfolgt keine nennenswerte fraktionierungsbedingte
Veränderung der isotopischen Zusammensetzung.15 Die Iso-
topenverhältnisse in Nahrungsmitteln reflektieren daher die
geologischen Einheiten ihrer Anbaustandorte. In Menschen
und Tieren wird Strontium anstelle des Hauptelements Kal-
zium vor allem in die anorganischen Anteile von Knochen
und Zähnen (Hydroxylapatit) eingelagert. Das aussagekräf-
tigste Probenmaterial ist der Schmelz der Zahnkronen. Orts-
3208_Baugeschichte HD.indb 126 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 127
18 Grupe, Gisela/Harbeck, Michaela/McGlynn, George C., Prähistori-
sche Anthropologie, Berlin/Heidelberg 2015.
19 Breitinger, Emil, Zur Berechnung der Körperhöhe aus den langen
Gliedmaßenknochen, in: Anthropologischer Anzeiger 3/4 (1937),
S. 24 9 –2 74.
20 Vgl. Witzel, Carsten/Altfelix, Leonard/Flohr, Stefan, Früh datie-
rende Bestattungen im Bereich des Hildesheimer Doms– Anthropolo-
gische Untersuchungen, in diesem Band.
21 Lee-Thorp, Julia/van der Merw e, Nikolaas Johannes, Aspects of the
chemistry of modern and fossil biological apatites, in: Journal of Archa-
eological Science 18 (1991), S.343 –354.
22 Coplen, Tyler B., Reporting of stable hydrogen, carbon, and oxygen iso-
tope abundances, in: Pure and Applied Chemistry 66 (1994), S.271–276;
Craig, Harmon, Standards for reporting concentrations of deuterium
and oxygen-18 in natural waters, in: Science 133 (1961), S.1833–1834.
23 Coplen, Tyler B., Comparison of stable isotope reference samples, in:
Nature 302 (1983), S.236 –238; Iacumin, Paola/ Bocher ens, Hervé/
Mariot ti, Aandré/Longinelli, Antonio, Oxygen isotope analyses of
co-existing carbonate and phosphate in biogenic apatite: a way to mo-
nitor diagenetic alteration of bone phosphate?, in: Earth and Planetary
Science Letters 142 (1996), S.1– 6; Müller, Wolfgang/Fricke, Henry/
Halliday, Alex N./McCulloch, Malcolm T./Wartho, Jo-Anne, Ori-
gin and migration of the Alpine Iceman, in: Science 302 (2003), S.862 –
866; Wolfe, Brent B./Arav ena, Ramon/Abb ott, Mark B./Seltzer,
Geofrey O./Gibson, John J., Reconstruction of paleohydrology and
paleohumidity from oxygen isotope records in the Bolivian Andes, in:
Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology 176 (2001), S.177–
192.
24 Iacumin et al., Oxygen isotope analyses 1996 (wie Anm.23).
proben anschließend in Pulverform herausgefräst. Die
chemische Aufreinigung umfasste eine Behandlung mit
Natriumhypochlorid (NaOCl; 2,5%) und gepufferter Essig-
säure (CH3COOH; 0,1 M) sowie das jeweils anschließende
Spülen mit Reinstwasser. Die Bestimmung der Sauerstoff-
und Kohlenstoff-Isotopenverhältnisse erfolgte an jeweils ca.
1,5mg des Probenpulvers mittels einer GasbenchII, die mit
einem Finnigan 252-Massenpektrometer gekoppelt war, am
Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen. Die
Daten wurden auf die Standards NBS-18 (δ18O = -22,96‰,
δ13C = -5,00‰) und NBS-19 (δ18O = -2,20‰, δ13C = 1,95‰)
normiert. Die Reproduzierbarkeit betrug jeweils ± 0,1 ‰
für δ18O und δ13C. Beide Isotopenverhältnisse (δ18Oc, δ13Cc)
wurden in Relation zum V-PDB (Vienna Pee-Dee Belemnit)
Karbonatstandard in Promille (‰) entsprechend der Formel
δ18O = ([18O/16OProbe]/[18O/16OStandard]) -1) × 1.000 angegeben.22
Die Probe des Weisheitszahns (Hi18-679_38) wurde nach
vergleichbarer Methodik am Curt-Engelhorn-Zentrum Ar-
chäometrie gGmbH in Mannheim aufbereitet und von der
Arbeitsgruppe Angewandte und Analytische Paläontologie
am Institut für Geowissenschaften der Universität Mainz
analysiert.
Aufgrund der Fraktionierung der Sauerstoff-Isotope im
menschlichen Körper sind die für den Zahnschmelz ermit-
telten Daten nicht direkt mit denjenigen des Brunnen- oder
Niederschlagswassers vergleichbar, sondern müssen über
Regressionsgleichungen umgerechnet werden. Dazu wur-
den die V-PDB-Werte zunächst in den für die Angabe von
δ18O-Werten in Wasser verwendeten V-SMOW-Standard
(Vienna-Standard Mean Ocean Water) mit folgender For-
mel umgewandelt: δ18OSMOW= (δ18OPDB × 1,03086) +30,86.23
Diese δ18Oc-Werte der Sauerstoff-Isotopenverhältnisse des
strukturellen Karbonats wurden anschließend in δ18Op-
Werte der phosphatischen Komponente des Zahnschmel-
zes mit der Formel nach Iacumin et al. (1996) konvertiert:24
(Weisheitszahn) von zwei weiteren menschlichen Individuen
von vergleichbarer Zeitstellung (Bef. Hi18-633 und Bef. Hi18-
1663) in die Analysen eingingen (Tab.1). Als weitere Ver-
gleichsproben diente Zahnschmelz von drei Schweinen mit
in etwa gleicher Zeitstellung (Hi18-454_P3, Hi18-965_M2,
Hi18-1724_M1). Die Ermittlung der ortstypischen Sauerstof-
fisotopenwerte erfolgte anhand von Wasserproben aus zwei
auf dem Domhof gelegenen Brunnen aus der frühen Neuzeit.
Einer befindet sich im Nordwesten an der Westwand der heu-
tigen Dombibliothek und der zweite im Südteil des Domho-
fes vor den Gebäuden Domhof 16 und 17.
Methoden der anthropologischen Untersuchung
sowie Aufbereitung und Analyse der
Isotopenproben
Für die anthropologische Untersuchung wurde ein Inventar
der vorhandenen Knochen aufgenommen und diese dann
mit Standardmethoden hinsichtlich des Geschlechts und des
Sterbealters des bestatteten Individuums untersucht.18 Wei-
terhin wurden die vorhandenen Langknochen vermessen
und aus den entsprechenden Längen mit den Schätzformeln
von Breitinger (1937 )19 die Körperhöhe rechnerisch rekon-
struiert.20 Es erfolgte ebenfalls eine makroskopische Betrach-
tung der Knochen hinsichtlich Anzeichen für Veränderungen
durch krankhafte Prozesse sowie eine röntgenologische Un-
tersuchung der 1. Metatarsalia (Mittelfußknochen) zur Fest-
stellung möglicher Hinweise auf eine Gichterkrankung.
Die Aufbereitung der Zahnschmelzproben und die Be-
stimmung der Sauerstoff- und Kohlenstoff-Isotopenver-
hältnisse des strukturellen Karbonats erfolgten nach den
in Lee-Thorp et al. (1991) beschriebenen Methoden.21 Die
Oberfläche der Zähne wurde zunächst mechanisch gerei-
nigt, anhaftender Zahnstein entfernt und die Zahnschmelz-
3208_Baugeschichte HD.indb 127 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL128
25 Daux et al., Oxygen isotope fractionation 2008 (wie Anm.11).
26 Chen ery et al., Oxygen isotope relationship 2012 (wie Anm.13).
27 Daux et al., Oxygen isotope fractionation 2008 (wie Anm.11), Glei-
chung 6.
28 Knipper, Corina/Maur er, Anne-France/Peters, Daniel/Meyer,
Christian/Br auns, Michael/Galer, Stephen G./von Freeden, Uta/
Schöne, Bernd/Meller, Harald/Alt, Kurt W., Mobility in Thuringia
or mobile Thuringians: a strontium isotope study from early Medieval
central Germany, in: Kaiser, Elke/Burger, Joachim/Schier, Wolfram
(Hgg.), Migrations in Prehistory and Early History. Stable Isotopes and
Population Genetics (= TOPOI. Berlin Studies of the Ancient World 5),
Berlin 2012, S.293 –317.
29 Vgl. Witzel/Altfelix/Flohr, Früh datierende Bestattungen (wie
Anm.20) samt dem dazugehörigen digitalen Zusatzmaterial.
30 Vgl. Witzel/Altfelix/Flohr, Früh datierende Bestattungen (wie
Anm.20) samt dem dazugehörigen digitalen Zusatzmaterial.
Alle anatomischen Regionen waren zumindest in Anteilen
repräsentiert, was gegen eine Aufteilung des Skeletts zwi-
schen zwei Bestattungsplätzen spricht. Das beurkundete
Knocheninventar gemäß dem Protokoll von der Öffnung des
Altfridschreins in Essen im Jahre 1890 weist ebenfalls Kno-
chen aus allen Körperbereichen aus. Da eine Seitenbezeich-
nung oft fehlt, kann nicht durchgängig überprüft werden, ob
es tatsächliche Überschneidungen mit dem Skelett aus Hil-
desheim gibt. Für einige Knochen ließ sich jedoch sicher eine
Dopplung belegen. Der Oberkiefer, die Schienbeine und ein
Mittelfußknochen des großen Zehs waren jeweils in beiden
Inventaren vertreten. Es kann sich demnach nicht um das auf-
geteilte Skelett einer Person– des Bischofs Altfrid– handeln.
Ein genaueres Inventar der Knochen aus dem Altfridschrein
würde darüber hinaus sicher noch weitere Überschneidun-
gen aufdecken.
Bei der anthropologischen Untersuchung der Knochen
aus dem Hildesheimer Steinplattengrab ließ sich ein männ-
liches Geschlecht bestimmen und das Sterbealter konnte
zwischen 40 und etwa 60Jahren eingeschätzt werden.29 Das
Skelett wies zumindest im postcranialen Bereich einen kräf-
tigen und robusten Knochenbau auf und die rechnerische
Rekonstruktion der Körperhöhe ergab Werte zwischen 178
und 181cm.30 Vom Schädel des Individuums war am wenigs-
ten überliefert und der Knochenbau erschien im Vergleich
zum Postcranium graziler. Die erhaltenen Kieferreste reprä-
sentierten vornehmlich den Oberkiefer und lieferten keine
erkennbaren Anzeichen für intravitalen Zahnverlust oder
Kariesbefall. Die Abnutzung der Zähne war gering in Anbe-
tracht der eingeschätzten Sterbealtersspanne. Es ist jedoch zu
berücksichtigen, dass alle Zähne eine sehr starke Zahnstein-
auflagerung zeigten, die bis auf die Kauflächen reichte. Dies
wird bei normalem Gebrauch der Zähne eigentlich durch den
Kauvorgang verhindert und kann auf spezielle Ernährungsge-
wohnheiten oder eine Mindernutzung der Zähne auf Grund
von schmerzhaften Affektionen des Zahnhalteapparats zu-
rückzuführen sein. Eine Fenestrierung des Alveolarknochens
im Bereich einer Wurzelspitze des 1. Molaren oben rechts so-
wie Vorwölbungen des Knochens über den Wurzeln des Eck-
zahns und der Prämolaren rechts, welche auf Entzündungs-
δ18Op = 0,98 × δ18Oc -8,5. Die Umwandlung in potentielle
Sauerstoff-Isotopenwerte des Trinkwassers (δ18Odw) erfolgte
mit Hilfe der Gleichung 4 nach Daux et al. (2008):25 δ18Ow =
1,73 × δ18Op– 37,25. Außerdem wurde zum Vergleich eine
direkte Umrechnung der δ18Oc- in δ18Odw-Werte nach Che-
nery et al. (2012)26 basierend auf Daux (2008; Gleichung 6):27
δ18Odw = 1,590 × δ18Oc– 48,634 durchgeführt.
Die Probenbearbeitung für die Strontium-Isotopenana-
lyse am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gGmbH in
Mannheim folgte den in Knipper et al. (2012) beschriebe-
nen Methoden.28 Die Zahnschmelzproben wurden mit dia-
mantbeschichtetem Dentalwerkzeug entnommen und alle
Oberflächen und Dentinreste wurden abgefräst. Anschlie-
ßend entfernte eine Aufreinigung mit 0,1M mit Li-Acetat
gepufferter Essigsäure (pH-Wert ca. 4,5) und anschließen-
des Spülen mit Reinstwasser leicht lösliche, diagenetische
Karbonate. Die weitere Aufbereitung der danach veraschten
Proben erfolgte unter Reinraumbedingungen und umfasste
das Lösen der Proben in Salpetersäure (3 N HNO3), die Ab-
trennung des Strontiums mit Sr-Spec-Ionenaustauscherharz,
die Konzentrationsbestimmung mit einem Quadrupol-ICP-
Massenspektrometer sowie die Isotopenanalyse mit einem
HR-MC-ICP-Massenspektrometer (Neptune). Die Rohdaten
wurden gemäß des exponentiellen Massenfraktionierungs-
gesetzes auf 88Sr/86Sr = 8.375209 korrigiert. Die Blindwerte
lagen während der gesamten Probenbearbeitung im Rein-
raum unter 10pg Strontium. Die mit den Proben analysierten
Standards ergaben: 0,71026 ± 0,00003 (n = 12) für NBS-987
und 0,70805 ± 0,00002 (n = 14) für Eimer & Amend.
Ergebnisse und Diskussion
Anthropologische Untersuchung
Das Skelett des im karolingischen Steinplattengrab bestat-
teten Individuums war unvollständig überliefert (Abb.1).
Die Knochen des Schädels, des Rumpfes und der Arme wa-
ren stärker fragmentiert und es fehlten größere Anteile im
Vergleich zu den vollständiger vorhandenen Beinknochen.
3208_Baugeschichte HD.indb 128 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 129
1 Im Steinplattengrab
im Hildesheimer Dom
(Bef. 679) erhaltene
menschliche Knochen
(Grafik: Carsten Witzel)
3208_Baugeschichte HD.indb 129 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL130
31 Vgl. Witzel/Altfelix/Flohr, Früh datierende Bestattungen (wie
Anm.20) samt dem dazugehörigen digitalen Zusatzmaterial.
32 Vgl. Witzel/Altfelix/Flohr, Früh datierende Bestattungen (wie
Anm.20) samt dem dazugehörigen digitalen Zusatzmaterial.
33 Vgl. Witzel/Altfelix/Flohr, Früh datierende Bestattungen (wie
Anm.20) samt dem dazugehörigen digitalen Zusatzmaterial.
34 Iacu min et al., Oxygen isotope analyses 1996 (wie Anm.23).
35 Dau x et al., Oxygen isotope fractionation 2008 (wie Anm.11), Glei-
chung 4.
36 Chenery et al., Oxygen isotope relationship 2012 (wie Anm.13).
bealter im jüngeren Erwachsenenbereich zwischen 25 und
40Jahren geschätzt werden. Die Körperhöhe wurde mit etwa
160cm rekonstruiert.31 Es ließ sich eine geringe bis mittlere
Zahnabnutzung feststellen und eine tiefe Kariescavität am
2.Prämolaren oben links sowie dem intravitalen Verlust des
benachbarten 1.Molaren. Dazu kam eine Rückbildung des
Zahnhalteapparates ohne Anzeichen für eine entzündliche
Komponente. Im Falle von Befund 1663 lag das geschätzte
Sterbealter zwischen 40 und 60 Jahren.32 Langknochen zur
Körperhöhenrekonstruktion waren nicht vollständig er-
halten. Die Zahnabrasion war in allen Bereichen stark und
führte an einzelnen Molaren wie auch an einem Schneide-
zahn sogar zur Eröffnung der Pulpahöhle. Weiterhin waren
mehrere Kariesherde und Anzeichen für Entzündungen im
Bereich der Wurzelspitzen vorhanden.33
Sauerstoff- und Kohlenstoff-Isotopenanalyse
Die Sauerstoff-Isotopenwerte des Zahnschmelzes des im
Steinplattengrab bestatteten Individuums reichten von
δ18Oc= -6,94 ‰ bis -4,58‰, während die entsprechenden
Kohlenstoff-Isotopenwerte zwischen δ13Cc= -14,81‰ und
δ13Cc= -13,90‰ lagen (vgl. Tab.1). Die Mittelwerte betrugen
-5,83 ± 0,69‰ (1σ, n =9) für δ18Oc und -14,51 ± 0,32‰ (1σ,
n= 9) für δ13Cc.
Für den Vergleich mit der für die Region um Hildesheim
charakteristischen Sauerstoff-Isotopenzusammensetzung
des Niederschlagswassers erfolgten Umrechnungen mittels
linearer Regressionsgleichungen. Die Konvertierung der
δ18Oc- in δ18Op-Werte nach Iacumin et al. 199634 und an-
schließende Umrechnung der δ18Op- in δ18Odw-Werte nach
Daux et al. (2008; Gleichung 4)35 ließ für das während der
Zahnbildung aufgenommene Trinkwasser δ18Odw-Wer te
zwischen -11,8 und -7.6 ‰ (Mittelwert: -9,8 ± 1,2‰) und
für die direkte Umrechnung der δ18Oc- in δ18Odw Werte nach
Chenery et al. (2012)36 von -10,9 bis -7,1 ‰ (Mittelwert:
-9,1 ± 1,1‰) abschätzen (vgl. Abb.2). Mit Ausnahme der
kauflächennah entnommenen Probe des ersten Schneide-
zahns lagen diese Werte unterhalb der Analysedaten von
zwei Wasserproben aus Altbrunnen im Grabungsbereich,
die δ18O-Werte von -7,95‰ und -7,66‰ zeigten. Brunnen-
herde hindeuten, könnten zu Lebzeiten schmerzhaft gewesen
sein. Allerdings scheint das Ausmaß der Veränderungen zu
gering, um die massive Zahnsteinbildung zu erklären. Be-
rücksichtigt werden muss jedoch, dass vom Unterkiefer nur
geringe Anteile erhalten sind. Die weitere Untersuchung auf
Spuren krankhafter Veränderungen ergab keine besonderen
Befunde. Lediglich Veränderungen im Sinne von beginnen-
dem degenerativem Gelenkverschleiß ließen sich feststellen.
Makroskopisch zeigte sich an beiden Oberschenkeln eine bis
in die Schaftmitte reichende Spongiosaentwicklung von dys-
trophischer Erscheinung. Dies konnte am rechten Schaft mit
einer CT-Untersuchung nachvollzogen werden. Inwieweit es
sich hierbei um eine Normvariante handelt oder um Spuren
eines krankhaften Prozesses, kann zum jetzigen Zeitpunkt
nicht bestimmt werden. Die Mittelfußknochen der Groß-
zehe, welche bei einer Affektion durch Gicht charakteristi-
scherweise entzündungsbedingte Knochenveränderungen
aufweisen, waren makroskopisch unverändert und zeigten
auch im Röntgenbild keine entsprechenden Anzeichen.
Damit ergeben sich einige Diskrepanzen zu den biogra-
phischen Angaben, welche über Ebo von Reims vorliegen.
Bei einem Sterbealter von 70 Jahren und einem langjährigen
Leiden an Gicht, wären in größerem Ausmaß degenerations-
wie gichtbedingte Knochenveränderungen und ein stärkerer
Zahnabrieb zu erwarten gewesen. Das Fehlen dieser Befunde
kann nicht zu einem sicheren Ausschluss von Ebo von Reims
führen, da immer die individuellen Lebensbedingungen ihren
Einfluss auf die erkennbaren knöchernen und dentalen Ver-
änderungen haben und historische Berichte über das Leiden
an bestimmten Krankheiten auch unzutreffend oder irrefüh-
rend sein können. Ein starker Zweifel an einer Personeniden-
tität mit Ebo ist aber in jedem Falle gerechtfertigt.
Bei den Skeletten der beiden Individuen, die als Vergleich-
sproben für die weiterführenden Strontium-Isotopenanaly-
sen dienten, handelt sich um Grabbefunde, die dem Friedhof
des frühen 9.Jahrhunderts zuzuordnen sind. Der Befund
633 befand sich in räumlicher Nähe zum Stiftergrab und
war ebenfalls durch den Mariendom überbaut. Der Befund
1663 wurde unterhalb der Fundamente von St.Antonius und
dem Kapitelhaus ergraben. Bei beiden Individuen handelte
es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Frauen mit grazi-
lem Knochenbau. Im Falle von Befund 633 konnte ein Ster-
3208_Baugeschichte HD.indb 130 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 131
-12
-11
-10
-9
-8
-7
-6
-5
0 2 4 6 8 10 12 14 16
δ18Odw (‰ V-SMOW)
Mineralisationsalter (Jahre)
-12
-11
-10
-9
-8
-7
-6
-5
0 2 4 6 8 10 12 14 16
δ
18
O
dw
(‰ V-SMOW)
Mineralisationsalter (Jahre)
A
B
KF
ZH
M1 KF
M1 ZH
I1 KF
I1 ZH
C KF
C ZH
P2 KF
P2 ZH
M3 Gesamt
M1 KF
M1 ZH
I1 KF
I1 ZH
C KF
C ZH
P2 KF
P2 ZH
M3 Gesamt
Hildesheim Brunnen
Bad Salzuflen (Gewichtetes Jahresmittel ± 1 SD)
Bad Salzuflen (Gewichtetes Jahresmittel ± 2 SD)
Hildesheim Brunnen
Bad Salzuflen (Gewichtetes Jahresmittel ± 1 SD)
Bad Salzuflen (Gewichtetes Jahresmittel ± 2 SD)
Kauflächennahe Probe
Zahnhalsnahe Probe
Kronenbildung nach Schroeder 2000
Mögliche Mineralisation bis maximal 1 Jahr vor Durchbruch
2 Aus den Sauerstoff-Isotopenverhält-
nissen des strukturellen Karbonats der
Zahnschmelzproben mittels linearer
Regression abgeleitete δ18O-Wer te
des Trinkwassers im Verhältnis zu
Sauerstoff-Isotopenwer ten im Raum
Hildesheim. Die Länge der schwar zen
Balken symbolisiert die Dauer der
Kronenbildung nach Schroeder (2000),
Anm. 6. Die grauen Pfeile kennzeichnen
den möglichen weiteren Einbau von
Sauerstoff während der Nachmineralisa-
tion im Kiefer bis maximal ca. 1 Jahr vor
dem Durchbruch des jeweiligen Zahns.
Als Anhaltspunkt für die Sauerstoff-
Isotopenverhältnisse in Hildesheim
dienen Messwerte aus Brunnenwasser
und das bezüglich der Niederschlags-
menge gewichtete Langzeitmittel der
δ18O-Werte des Niederschlagswassers
in der Referenzstation Bad Salzuflen
nach IAE A/WMO (2016), Anm. 12. A)
Umrechnung der δ18Oc- in δ18Op-Wer te
nach Iacumin et al. (1996), Anm. 23,
und δ18Op- in δ18 Odw-Werte nach Dau x
et al. (2008; Gleichung 4), Anm. 11. B)
Umrechnung der δ18Oc- in δ18Odw-Wer te
nach Chenery et al. (2010), Anm.11,
basierend auf Dau x et al. (2008;
Gleichung 6), Anm. 11, (Grafik: Corina
Knipper)
3208_Baugeschichte HD.indb 131 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL132
37 I AEA/WMO, 2016 (wie Anm.12).
38 Brit ton, Kate/Fuller, Benjamin T./Tütk en, Thomas/Mays, Simon/
Richards, Michael P., Oxygen isotope analysis of human bone phos-
phate evidences weaning age in archaeological populations, in: Ameri-
can Journal of Physical Anthropology 157 (2015), S.226 –241.
δ18O-Wert der kaufflächennahen Probe des ersten Schneide-
zahns könnte vom frühkindlichen Stillen mit Muttermilch
zeugen, deren δ18O-Werte im Vergleich zum Trinkwasser
der Mutter erhöht sind.38
Insgesamt sprechen die Analysedaten dafür, dass der
Mann allenfalls Teile seiner Kindheit in der Umgebung von
Hildesheim verbrachte. Wahrscheinlicher sind Aufenthalte
in Regionen mit niedrigeren Sauerstoff-Isotopenwerten des
Niederschlags- bzw. Trinkwassers, die mit kühleren Tempe-
raturen, größerer Höhenlage oder/und zunehmender Konti-
nentalität einhergehen, was von Hildesheim aus in östlicher
Richtung gegeben ist. Die Unterschiede zwischen den δ18O-
Werten der einzelnen Zähne lassen dabei Residenzwechsel
innerhalb der Kindheit nicht ausschließen.
Der während der Kindheit Bischof Ebos wahrscheinli-
che zeitweise Aufenthalt in Aquitanien lässt sich mit dem
vorgefundenen Wertespektrum nicht in Einklang bringen,
da für diese Region höhere δ18Odw-Werte charakteristisch
sind (Abb.3). Die Mittelwerte für den Westen und Süden
Frankreichs liegen im Bereich von δ18Odw = -6‰ und somit
oberhalb der hier gemessenen Spanne. Dieser Vergleich setzt
ähnliche klimatische Bedingungen vom Mittelalter bis heute
bzw. Grundwasser bietet einen Anhaltspunkt für die vor
Ort charakteristischen Sauerstoff-Isotopenverhältnisse, da
jahreszeitliche Schwankungen der Isotopenzusammenset-
zung des Niederschlagswassers und Differenzen zwischen
einzelnen Jahren ausgemittelt werden. Die δ18Odw-Wer te
des Hildesheimer Brunnenwassers liegen inmitten des nach
Niederschlagsmenge gewichteten Langzeitmittelwertes der
zwischen 1978 und 2011 gefallenen Niederschläge in Bad-
Salzuflen (-7,88 ± 0,65‰), der nächstgelegenen Klimarefe-
renzstation der Internationalen Atomenergiebehörde (vgl.
Abb. 2).37 Die Wertespannen von einer bzw. zwei Stan-
dardabweichungen um diesen Langzeitmittelwert sind An-
haltspunkte für die Sauerstoff-Isotopenwerte im weiteren
Umland von Hildesheim. Umgerechnet in potentielle Trink-
wasserwerte liegen die δ18O-Werte des Zahnschmelzes des
Mannes aus dem Steinplattengrab teilweise innerhalb und
teilweise unterhalb dieser Wertespanne. Lediglich der Ana-
lysewerte der kauflächennah entnommenen Probe des ers-
ten Schneidezahns ist höher als der Langzeitmittelwert der
Niederschläge. Alle anderen Messergebnisse liegen darunter.
Die Sauerstoff-Isotopenverhältnisse außerhalb der regions-
typischen Wertespanne sind ebenfalls niedriger. Der höhere
3 Regionale Variation der Jahresmittel-
werte der Sauerstoff-Isotopenzusam-
mensetzung in Europa sowie Lokalisation
der Fundstelle Hildesheim und weiterer
im Text erwähnter Orte. Graduelle Farb-
variation von rot = δ18O hoch nach blau =
δ18O niedrig (Grafik: Corina Knipper; δ18O-
Werte nach waterisotopes.org)
3208_Baugeschichte HD.indb 132 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 133
39 Daux , Valérie/Lécuyer, Christophe/Adam, Frédéric/Martineau,
François/Vimeux, François, Oxygen isotope composition of human
teeth and the record of climate changes in France (Lorraine) during the
last 1700 years, in: Climatic Change 70 (2005), S.445–464.
40 Grupe, Gisela/Heinrich, Dirk/Peters, Joris, A brackish water aquatic
foodweb: trophic levels and salinity gradients in the Schlei fjord, Nort-
hern Germany, in Viking and medieval times, in: Journal of Archaeolo-
gical Science 36 (2009), S.2125 –2144.
41 Alt, Kurt W./Knipper, Corina/Held, Petra/Nicklisch, Nicole/Fecher,
Marc/Roth, Christina/Enzmann, Frieder/Tuck ermann, Jürgen/Seitz,
Hermann/Polzin, Christian/Klopfsch, Vincent/Brauns, Michael/
Horton, Mark/Pike , Alistair W. G., Königin Editha– ein Indizienbeweis
seiner Kindheit potentiell über große Areale hinweg residiert
haben, ohne deutliche Abweichungen in den δ13C-Werten
aufzuweisen. Das Wertespektrum der Kohlenstoff-Isotopen-
daten kann demnach nicht als Argument für oder gegen Re-
sidenzwechsel während der Kindheit oder zwischen Kindheit
und Erwachsenenalter angeführt werden.
Strontium-Isotopenanalyse
Bei der vorliegenden Untersuchung an den Gebeinen aus dem
Steinplattengrab im Hildesheimer Dom handelt es sich um
ein Einzelindividuum. Detaillierte Beprobungen von in unter-
schiedlichen Lebensphasen gebildeten Hartgeweben haben
großes Potential, Informationen aus der Lebensgeschichte zu
entschlüsseln. Ihr Abgleich mit schriftlichen Überlieferun-
gen trägt dazu bei, Hypothesen zur Identifikation der Ge-
beine mit historischen Persönlichkeiten zu überprüfen und
Residenzwechsel im Laufe ihres Lebens zu erkennen, wie es
z. B. im Fall von Königin Editha, der Frau Ottos des Großen41
voraus, was jedoch durch die Untersuchungen von Daux et
al. (2005)39 in Ostfrankreich und von Grupe et al. (2009)40 in
Norddeutschland gestützt wird.
Die Kohlenstoff-Isotopenverhältnisse lassen vor allem
eine Einordnung des pflanzlichen Nahrungsspektrums vor-
nehmen (Abb.4). Sie stehen im Wesentlichen im Einklang
mit einer Ernährung, die auf der Aufnahme von C3-Pflanzen
basierte, die für weite Teile West- und Mitteleuropas typisch
sind. Die Variationsbreite der δ13C-Werte der einzelnen Pro-
benpositionen ist gering (Mittelwert: δ13C = -14.5 ± 0.3‰).
Es zeigen sich keine systematischen Zusammenhänge zwi-
schen den δ13C-Werten und den beprobten Zähnen bzw. den
Positionen entlang der Zahnkronen sowie mit den am jeweils
selben Probenmaterial ermittelten Sauerstoff-Isotopenver-
hältnissen (Abb.4). Daraus lassen sich keine grundsätzlichen
Änderungen der Ernährungsweise innerhalb der abgedeck-
ten Lebensspanne ableiten. Da die δ13C-Werte allerdings le-
diglich ein Parameter sind und die durch sie angezeigten C3-
Pflanzen das mittelalterliche Kulturpflanzenspektrum über
weite Teile Europas dominierten, könnte der Mann während
M1 KF
M1 ZH
I1 KF
I1 ZH
C KF
C ZH
P2 KF
P2 ZH
M3
Gesamt
-7,5
-7,0
-6,5
-6,0
-5,5
-5,0
-4,5
-4,0
-15,0 -14,8 -14,6 -14,4 -14,2 -14,0 -13,8
δ18Oc (‰ V-PDB)
δ13Cc (‰ V-PDB)
4 Delta13Cc und δ18Oc-Werte der Zahnschmelzproben des
Mannes aus dem Steinplattengrab. Die Farben der Symbole
kennzeichnen Proben der jeweils selben Zähne. Je früher
die Mineralisation beginnt, desto heller ist der Blauton. Die
einzelnen Datenpunkte sind der Reihenfolge ihrer Minera-
lisation nach miteinander verbunden. KF = kauf lächennahe
Probe, ZH = zahnhalsnahe Probe (Grafik: Corina Knipper)
3208_Baugeschichte HD.indb 133 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL134
zur Identifikation einer historischen Persönlichkeit aus dem Magdebur-
ger Dom, in: Meller, Harald/Schenkluhn, Wolfgang/Schmuhl, Boje
E. H. (Hgg.), Königin Editha und ihre Grablegen in Magdeburg (= Archäo-
logie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 18), Halle 2012, S.105–156.
42 Lamb, Angela/Eva ns, Jane E./Buckl ey, Richard/Apple by, Jo, Multi-
isotope analysis demonstrates significant lifestyle changes in King Ri-
chardIII., in: Journal of Archaeological Science 50 (2014), S.559–563.
Vergleich beprobten frühen christlichen Bestattung (Bef. 633)
erbrachten 87Sr/86Sr-Verhältnisse von 0,70973 und 0,71118,
während diejenigen der Beisetzung aus sächsischer Zeit (Bef.
1663) bei 0,70930 und 0,70975 lagen. Die Strontium-Isoto-
penverhältnisse der drei Schweinezähne variierten zwischen
0,71051 und 0,71105.
Die Strontium-Konzentrationen wurden nach der Abtren-
nung bestimmt, entsprechen ca. 80 % des ursprünglich in den
Proben enthaltenen Strontium und geben Anhaltspunkte für
eventuell diagenesebedingte Anreicherungen des Spurenele-
ments in den Proben. Die Strontium-Konzentrationen der
menschlichen Zähne lagen zwischen 65 und 82 ppm. Demge-
genüber waren diejenigen der Knochen mit 110 und 145 ppm
und diejenigen der Schweinezähne mit zwischen 122 und 126
ppm leicht mit Strontium angereichert (Tab.1 und Abb.6).
Bezüglich des Mannes aus dem Steinplattengrab spre-
chen die nahezu identischen Strontium-Isotopenverhältnisse
des ersten Molaren und des Prämolaren für ein konstantes
Nahrungseinzugsgebiet zwischen der Geburt und ca. dem
siebten Lebensjahr und damit für eine ortskonstante Lebens-
oder König RichardIII.42 möglich war. Voraussetzung für die
Interpretation der Daten sind Vergleichsdaten, die über die
Höhe und die Variationsbreite der Isotopenverhältnisse des
vor Ort bio-verfügbaren Strontiums informieren. Da aus Hil-
desheim und seiner näheren Umgebung bisher keine größe-
ren Datensätze vorliegen, profitiert die Bewertung der Ana-
lyseergebnisse maßgeblich von der Beprobung der beiden
weiteren menschlichen Individuen und der Schweinezähne
der Fundstelle.
Die Ergebnisse der Strontium-Isotopenanalysen sind in
Tabelle 1 aufgelistet und in Abbildung 5 graphisch dargestellt.
Die 87Sr/86Sr-Verhältnisse von 0,71160 und 0,71156 des ers-
ten oberen rechten Molaren (Hi18-679_26) und des zweiten
oberen rechten Prämolaren (Hi18-679_25) des Mannes aus
dem Steinplattengrab waren nahezu identisch, während sein
unterer linker Weisheitszahn (Hi18-679_38) ein etwas radio-
generes (höheres) 87Sr/86Sr-Verhältnis von 0.71229 zeigte. Die
Strontium-Isotopenverhältnisse der beiden Knochen waren
dagegen mit Werten von 0,70944 im Femur und 0,70921 in
der Rippe weniger radiogen (niedriger). Die Zähne der zum
0,7090
0,7095
0,7100
0,7105
0,7110
0,7115
0,7120
0,7125
-1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
87Sr/86Sr
Mineralisationszeitraum (Jahre)
Knochen
Bef. 1663
Bef. 633
Schweinezähne
Steinplattengrab (Bef. 679)
Vergleichs-
proben
Mensch, weiblich Prämolar
Mensch, weiblich Molar 3
Schweinezahn
M1 P2
M3
5 87Sr/86Sr-Isotopenverhältnisse der
Zahnschmelz- und Knochenproben
des Mannes aus dem Steinplat-
tengrab sowie von menschlichen
und tierischen Vergleichsproben
aus Hildesheim. Die Länge der
Balken symbolisiert die Minerali-
sationszeiten des in den Proben
repräsentierten Zahnschmelzes:
blau Ausbildung der Zahnkronen
nach Schroeder (2000), Anm.6;
grau: Mögliche Zeitspannen der
Nachmineralisation bis ca. 1 Jahr vor
dem Durchbruch der Zähne (Grafik:
Corina Knipper)
3208_Baugeschichte HD.indb 134 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 135
bio-verfügbarem Strontium widerspiegeln kann (Abb.7). So
haben sich die Flächen für die Schweinehaltung möglicher-
weise von denjenigen für den Anbau von Nahrungspflanzen
für den Menschen unterschieden. Während im Süden und
Südosten der Stadt in Hanglagen, die möglicherweise zur
Waldweide der Schweine genutzt worden sein könnten, Ge-
steine der Trias (Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper) und
des Jura anstehen (http://nibis.lbeg.de/cardomap3/#; letzter
Zugriff: 13.12.2016), ist die sonstige nähere Umgebung von
Hildesheim weitgehend von Löss geprägt. Darauf entwickel-
ten sich fruchtbare Böden mit hervorragender Eignung als
Anbauflächen für Kulturpflanzen. Strontium-Isotopenver-
hältnisse von Löss liegen typischerweise zwischen 0,7090
und 0.710043 und damit im Bereich der Knochen des Mannes
weise während seiner früheren Kindheitsjahre. Das radioge-
nere (höhere) 87Sr/86Sr-Verhältnis des dritten Molaren könnte
auf eine Veränderung der Wirtschaftsflächen, von denen er
seine Nahrung bezog, zurückzuführen sein und damit von
einem Residenzwechsel zwischen der frühen und der späte-
ren Kindheit bzw. dem Jugendalter zeugen. Dies ist allerdings
allein anhand der Strontium-Isotopendaten nicht sicher zu
belegen, da es in Abhängigkeit von den geologischen Verhält-
nissen auch im näheren Umland eines einzigen Ortes eine
entsprechende Variabilität der Isotopenverhältnisse des bio-
verfügbaren Strontiums geben kann.
Der Abgleich mit den Strontium-Isotopendaten der Ver-
gleichsproben dieser Studie und von anderen Fundstellen
legt allerdings nahe, dass der Mann seine Kindheit insgesamt
nicht in Hildesheim verbrachte und erst im Erwachsenenalter
an den Ort kam, wo man ihn nach seinem Ableben in dem
auffällig positionierten Steinplattengrab beisetzte. Insbeson-
dere sind die Strontium-Isotopenverhältnisse aller Zahn-
schmelzproben höher als diejenigen seiner Knochen, die wie-
derum sehr gut mit den 87Sr/86Sr-Verhältnissen beider Zähne
der Frau Hi18-1663 und des Prämolaren der Frau Hi18-633
vergleichbar sind. Die Knochen können daher als Indikatoren
der ortstypischen Strontium-Isotopenverhältnisse gelten. Da-
bei ist es möglich, dass die Anpassung an die im Vergleich zu
den Zähnen niedrigeren 87Sr/86Sr-Verhältnisse bereits zu Leb-
zeiten erfolgte, als durch den Knochenumbau nach dem Ort-
wechsel Strontium mit den Isotopenverhältnissen des neuen
Wohnorts eingelagert wurde. Da die Strontium-Gehalte der
Knochen im Vergleich zu den Zähnen etwas erhöht sind, ist
allerdings auch ein Beitrag diagenetischen Strontiums aus
dem Boden möglich (Tab.1 und Abb.6). Durch die teilweise
Beschädigung der Grababdeckung war das Steinplattengrab
mit etwas lockerem Sediment gefüllt, das in direktem Kon-
takt mit den Knochen stand und so für eine Veränderung der
Isotopenverhältnisse in Richtung der ortstypischen Werte
gesorgt haben könnte.
Die Strontium-Isotopenverhältnisse der Zähne des Man-
nes aus dem Steinplattengrab sind auch höher als diejenigen
der drei aus Hildesheim stammenden Schweinezähne, die
wiederum eine eigene Datengruppe bilden. Dies zeigt, dass
sich die– wenn auch recht geringe– geologische Variabili-
tät des Umlandes von Hildesheim durchaus in Wirtschafts-
flächen mit isotopisch unterschiedlich zusammengesetztem
0,7090
0,7095
0,7100
0,7105
0,7110
0,7115
0,7120
0,7125
40 60 80 100 120 140 160
87Sr/86Sr
Sr ppm
Bef. 679 Zähne
Bef. 679 Knochen
Bef. 633 Zähne
Bef. 1663 Zähne
Schweinezähne
Steinplattengrab Vergleichsskelette
M3
P2
M1
M3
P1 P1
M3
Femur
Rippe
Schweine-
zähne
6 Graf ische Darstellung der 87Sr/86Sr-Verhältnisse und der Sr-Konzen-
trationen von Zahnschmelz- und Knochenproben aus Hildesheim.
Mitein ander verbundene Datenpunkte stammen vom selben Individuum
(Grafik: Corina Knipper)
43 Bentley, R. Alexander/Knipper, Corina, Geographical patterns in
biologically available strontium, carbon and oxygen isotope signatures
in prehistoric SW Germany, in: Archaeometry 47 (2005), S.629–644;
Stephan, Elisabeth, Rekonstruktion eisenzeitlicher Weidewirtschaft
anhand archäozoologischer und isotopenchemischer Untersuchungen,
in: Beiträge zur Archäozoologie und Prähistorischen Anthropologie 7
(2009), S.65 –79.
3208_Baugeschichte HD.indb 135 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL136
ermittelt (vgl. Abb.8).44 Die Strontium-Isotopenwerte von
vier Wasserproben lagen zwischen 0,70805 und 0,70989. Im
Vergleich zu diesen Daten sind die Isotopenverhältnisse der
Zahnschmelzproben des Bestatteten aus dem Hildesheimer
Steinplattengrab radiogener (höher). Dies gilt auch für vier
Zahnschmelz- und zwei Dentinproben (87Sr/86Sr: 0,70789
bis 0,70999) von frühmittelalterlichen Bestattungen aus
Hannover-Anderten.45 Mit einer typischen Wertespanne
von 0,7090 bis 0.7103 ist auch das biologisch verfügbare
Strontium des in Mitteldeutschland weit verbreiteten Löss
weniger radiogen.46 Diese allerdings bislang leider noch
44 Knipper, Corina/Grefen-Peters, Silke/Silber, Nicola, Pferdeland Nie-
dersachsen: Pferdestärken bewegen den Menschen, in: Archäologie in
Niedersachsen 2015, S.100 –104.
45 Brettell, Rhea/Eva ns, Jane/Marzinzik, Sonja/Lamb, Angela/Mont-
go mery, Janet, ‘Impious Easterners’: Can oxygen and strontium isoto-
pes serve as indicators of provenance in Early Medieval European ce-
metery populations?, in: European Journal of Archaeology 15 (2012),
S.117–145.
46 Maur er et al., Bioavailable 87Sr/86Sr 2012 (wie Anm.16).
aus dem Steinplattengrab sowie der Zähne von Hi18-1663
und des Prämolaren von Hi18-633.
Die Hünenburg bei Watenstedt (Ldkr. Helmstedt), eine
spätbronzezeitliche Zentralsiedlung mit Außensiedlung,
liegt ca. 60km östlich von Hildesheim ebenfalls auf Löss und
ist die nächstgelegene archäologische Fundstelle, von der
Strontium-Isotopendaten vorliegen. Hier wurden für zehn
Proben von vier als ortstypisch eingeschätzten Pferden Stron-
tium-Isotopenverhältnisse zwischen 0,70874 und 0,71006
und für fünf Schweinezähne 87Sr/86Sr-Verhältnisse von
0,70962 bis 0,70988 mit einem Ausreißerwert bei 0,71138
7 Geologische Karte von Hildesheim und dem näheren Umland der Stadt (Grafik: Corina Knipper, verändert nach: NIBIS® Kartenserver [2014]:
S chummerungskar te Niedersachen und Geologische Karte mit Eisrandlagen 1: 50.000)
3208_06-3_Knipper.indd 136 17.07.17 11:21
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 137
gänzlich darunter (Abb.2). Bei einer Herkunft aus Zentral-
bzw. Westfrankreich wären im Vergleich zu Hildesheim hö-
here δ18O-Werte zu erwarten gewesen (Abb.3). So ist z. B.
in Orleans-La-Source, ca. 180 km nordöstlich von Poitiers
ein langjähriges gewichtetes Jahresmittel von -6,67 ± 1,17‰
zu verzeichnen.48 Insbesondere bei einer Umsiedlung nach
Aquitanien (Südwestfrankreich) im fünften Lebensjahr sollte
dieser Effekt durch eine Erhöhung der δ18O-Werte in den
während dieses Zeitraums gebildeten Zahnkronen noch ver-
stärkt worden sein. Repräsentative Referenzstationen sind
Cestas-Pierroton mit einem gewichteten Jahresmittel von
-5.83 ± 0,75‰ und Dax mit -5,00 ± 1,04‰.49 Aber gerade
der wurzelnahe Bereich des zweiten Prämolaren erbrachte
wenigen Datensätze belegen insbesondere für die landwirt-
schaftlichen Gunstgebiete im südlichen Niedersachsen eine
weite Verbreitung von biologisch verfügbarem Strontium
mit 87Sr/86Sr-Verhältnissen unterhalb der für den Mann aus
dem Steinplattengrab ermittelten Werte und unterstützen
die Aussage einer Orts- bzw. Regionsfremdheit.
Kombination von Strontium- und Sauerstoff-
Isotopendaten und Überlegungen zur möglichen
Herkunft des Mannes im Steinplattengrab
Eine ursprüngliche, mit Hilfe der Isotopenanalysen zu un-
tersuchende Hypothese war, dass im Steinplattengrab die
Gebeine Bischof Ebos, des dritten Bischofs von Hildesheim
überliefert sind. Ebo war der Milchbruder Ludwigs des From-
men und solle daher ebenfalls im Jahre 778 in Chasseneuil bei
Poitiers in Frankreich zur Welt gekommen sein. Im Alter von
fünf Jahren zog Ludwig im Jahre 783 nach Aquitanien. Ob
dies auch für Ebo zutraf, ist nicht bekannt. Später besuchten
beide die Domschule zu Aachen.
Bezüglich der Auswertung von Strontium-Isotopen-
daten mit Bezug zum heutigen Frankreich ist die IRHUM-
Datenbank (Isotopic Reconstruction of Human Migra-
tion) die umfangreichste Sammlung von Vergleichsdaten
(http://80.69.77.150/; letzter Zugriff: 29.12.2016).47 Von 65 4
über Frankreich verteilten Probenpunkten wurden 87Sr/86Sr-
Verhältnisse von Boden- und Vegetationsproben ermittelt
und zu fünf »Isotope Packages« zusammengefasst. Die Land-
schaft um Chasseneuil und Poitiers ist von Sedimenten des
Tertiärs und der Kreide geprägt. Im Süden stehen jurassische
Kalke an (www.onegeology.org). Hier zeigen die Modellie-
rungen der IRHUM-Datenbank Strontium-Isotopenver-
hältnisse zwischen 0,7076 und 0,7100 bzw. zwischen 0,7101
und 0,7125. Dies ist überwiegend niedriger als die für den
Zahnschmelz ermittelten Werte und steht im Einklang mit
allgemein für kalkig gebundene Gesteine beobachteten Da-
tenbereichen. Die Strontium-Isotopendaten des Mannes aus
dem Steinplattengrab sprechen also gegen Chasseneuil als
Geburts- und Wohnort während der ersten Lebensjahre.
Die Sauerstoff-Isotopendaten der Zähne des Mannes lie-
gen überwiegend in der unteren Hälfte der in der Umgebung
von Hildesheim zu erwartenden Variationsbreite oder auch
47 Wil lmes, Malte/McMor row, Linda/Kinsle y, Les/Armstrong, R./
Aubert, Maxime/Eggins, Stephen M./Falguèr es, Christophe/Mau-
reille, Bruno/Mof fat, Ian/Grün, Rainer, The IRHUM (Isotopic Re-
construction of Human Migration) database– bioavailable strontium
isotope ratios for geochemical fingerprinting in France, in: Earth System
Science Data 6 (2014), S.117–122.
48 I AEA/WMO, 2016 (wie Anm.12).
49 I AEA/WMO, 2016 (wie Anm.12).
8 87Sr/86Sr-Verhältnisse der Zähne und Knochen des Mannes aus dem
Steinplattengrab (Bef. 679) sowie der menschlichen und tierischen
Vergleichsproben aus Hildesheim und von Fundstellen mit ähnlichen
geologischen Eigenschaften in der weiteren Umgebung: Hünenburg bei
Watenstedt (Ldkr. Helmstedt) (Knipper et al. 2015), Anm. 44, Hannover-
Anderten (Bret tell et al. 2012a), Anm. 45, mitteldeutscher Löss (Maurer
et al. 2012), Anm. 16, (Grafik: Corina Knipper)
Weiblich Prämolar
Weiblich Molar 3
Männlich Molar 3
Männlich Prämolar
Männlich Molar 1
Unbestimmt
Knochen/Dentin
Tierzähne
Wasser
0,707
0,708
0,709
0,710
0,711
0,712
0,713
HILD 679
633
1663
HILD Schweine
Pferd 8
Pferd 9
Pferd 10
Pferd 13
Schweine
Wasser
Zahnschmelz
Dentin
Mdt. Löss
Hildesheim Hünenburg bei Watenstedt Hannover MDt
87Sr/86Sr
Menschlicher Zahnschmelz Vergleichsproben
3208_Baugeschichte HD.indb 137 11.07.17 11:01
CORINA KNIPPER · MARTA DÍAZ-ZORITA BONILLA · HERVÉ BOCHERENS · CARSTEN WITZEL138
50 Chatziliadou, Maria, Rb-Sr Alter und Sr-Pb Isotopencharakteristik
von Gangmineralisationen in paläozoischen Gesteinen am Nordrand
des linksrheinischen Schiefergebirges (Raum Stolberg-Aachen-Kelmis)
und Vergleich mit den rezenten Thermalwässern von Aachen-Burt-
scheid, Dissertation rer. nat. Aachen 2009; online: http://publications.
rwth-aachen.de/record/51191/files/Chatziliadou_Maria.pdf. (letzter
Zugriff: 02.01.2017).
51 Koch, Julia K./Knipper, Corina, Mobilität. In: Mölders, Doreen/
Wolfram, Sabine (Hgg.), Schlüsselbegriffe der Prähistorischen Archäo-
logie (= Tübinger Archäologische Taschenbücher 11), Münster 2014,
S.191–195.
52 Brettell, Rhea/Mont gom ery, Janet/Evans , Jane, Brewing and ste-
wing: the effect of culturally mediated behaviour on the oxygen isotope
composition of ingested fluids and the implications for human prove-
nance studies, in: Journal of Analytical Atomic Spectrometry 27 (2012),
S.778 –785.
53 Bentley/Knipper, Geographical patterns 2005 (wie Anm.43).
54 Knipper, Corina/Frag ata, Matthias/Nicklisch, Nicole/Siebert,
Angelina/Szécsényi-Nagy, Anna/Hubensack, Vera/Metzner-Ne-
belsick, Carola/Meller, Harald/Alt, Kurt W., A distinct section of
the Early Bronze Age society? Stable isotope investigations of burials
in settlement pits and multiple inhumations of the Únětice Culture in
Central Germany, in: American Journal of Physical Anthropology 159
(2016), S.496 –516.
sche Hypothesen zur Herkunft eines Individuums zu über-
prüfen, sind beide Datenarten oft nicht spezifisch genug,
um allein auf ihrer Basis den Geburtsort eines Individuums
zu erschließen. So können Strontium-Isotopenverhältnisse
auch kleinräumig sehr stark variieren, während weit vonei-
nander entfernt liegende Orte ähnliche Isotopenverhältnisse
aufweisen können.51 Sauerstoff-Isotopenverhältnisse werden
oft anhand ihrer langjährigen Mittelwerte und zugehöriger
Standardabweichungen betrachtet, während die Daten ein-
zelner Jahre davon abweichen und auch die Zubereitung von
Getränken und Nahrung durch den Menschen einen Einfluss
auf die δ18O-Werte des in die Zähne eingelagerten Sauerstoffs
haben kann.52 Diese Faktoren spiegeln sich auch in der Varia-
tionsbreite der in den einzelnen Zähnen des Mannes festge-
stellten Isotopenverhältnisse.
Insgesamt liegen die δ18O-Werte entweder innerhalb des
im Umland von Hildesheim charakteristischen Wer tebereichs
oder auch leicht darunter. In Anbetracht der überregionalen
Tendenzen der Sauerstoff-Isotopenzusammensetzung des
Niederschlagswassers spricht dies eher für eine Herkunft aus
östlicher Richtung, wo zunehmend niedrigere δ18O-Wer te z u
verzeichnen sind. Auch im Vergleich zu Hildesheim etwas
höhere Mittelgebirgslagen kämen infrage. Letzteres würde
auch durch die Strontium-Isotopendaten unterstützt, die hö-
her sind, als es für Lössgebiete charakteristisch ist. Sie ver-
weisen auf Regionen, wo Sand- oder Tonsteine an der Ober-
fläche ausstreichen, wie es häufig in Mittelgebirgslagen der
Fall ist.53 Weitere mögliche Quellen für radiogenes Strontium
im Bereich der für den hier untersuchten Mann gefundenen
Isotopenverhältnisse sind auch die in Mitteldeutschland recht
weit verbreiteten Geschiebe der Saaleeiszeit.54 Nördlich und
östlich von Hildesheim werden derartige Sedimente von Löss
überdeckt. Sie könnten aber evtl. auch zum biologisch ver-
fügbaren Strontium beigetragen haben (http://nibis.lbeg.de/
cardomap3/#; Layer 1:25.000; letzter Zugriff: 12.10.2016),
denn auch die Hildesheimer Schweinezähne haben etwas
den niedrigsten Sauerstoff-Isotopenwert im gesamten Ge-
biss. Insgesamt sprechen also sowohl die Größenordnung
der Strontium-Isotopenwerte, der fehlende Hinweis auf einen
Residenzwechsel in eine geologisch andere Region während
der frühen Kindheitsjahre die δ18O-Werte gegen ein Verbrin-
gen der ersten Lebensjahre in Mittel- bzw. Westfrankreich
und einen Residenzwechsel nach Südwestfrankreich im Alter
von etwa fünf Jahren.
Nicht gänzlich auszuschließen ist hingegen, dass der ra-
diogenere Strontium-Isotopenwert im Weisheitszahn mit
dem aus der schriftlichen Überlieferung erschlossenen Be-
such der Domschule in Aachen in Verbindung zu bringen
ist. Radiogenere Werte wären auch grundsätzlich für den
Ort am Nordrand der Eifel mit geologisch alten Gesteinen
zu erwarten. Strontium-Isotopenanalysen an Gesteinen aus
einer Tiefbohrung in Aachen belegen variable 87Sr/86Sr-Ver-
hältnisse für die Gesteine selbst.50 Da die untersuchten geolo-
gischen Einheiten allerdings nicht vor Ort in Aachen an der
Oberfläche ausstreichen und die Isotopenverhältnisse der
Gesamtgesteine oder von Säureauszügen nicht in jedem Fall
auch dem biologisch verfügbaren Strontium entsprechen,
wäre die gezielte Erhebung von Vergleichsdaten bzw. die Be-
probung einer Bestattungsgemeinschaft aus Aachen für eine
fundierte Bewertung der Hypothese vonnöten. Aufgrund der
topographischen Lage der Stadt Aachen westlich von Hildes-
heim wären allerdings auch bei einem längeren Aufenthalt in
dieser Region etwas höhere δ18O-Werte im Weisheitszahn
zu erwarten gewesen, so dass der für diesen Zahn ermittelte
Messwert zu den Argumenten gegen eine Identifikation der
Gebeine mit der Person Bischof Ebos beiträgt. Die Ergebnisse
der Isotopenanalysen stehen also im Einklang mit den neue-
ren Ergebnissen der Bauforschung bezüglich der stratigraphi-
schen Einbindung und Datierung des Grabes, die Bischof Ebo
als die bestattete Person ausschließen.
Während die Kombination aus Strontium- und Sauer-
stoff-Isotopenanalysen dazu geeignet ist, möglichst spezifi-
3208_Baugeschichte HD.indb 138 11.07.17 11:01
EIN KAROLINGISCHES STEINPLATTENGRAB IN DER HEUTIGEN HILDESHEIMER DOMGRUFT 139
konnte weiterhin eine Personenidentität mit Bischof Altfrid
ausgeschlossen werden, dem Nachfolger Ebos und Erbauers
des ersten Doms von Hildesheim an heutiger Stelle. Stattdes-
sen ist hier eine namentlich unbekannte, ortsfremde Person
so bestattet worden, dass ihre Grablege im später über dem
Friedhof errichteten Dom in prominenter Position zu liegen
kam.
Danksagung
Die Autoren danken Susanne Degenhardt, Steve Zäuner
und Caroline Must für die Unterstützung während der Be-
probung und Christoph Wissing und Theda Himpel für ihre
wertvollen Hinweise während der Aufbereitung der Sauer-
stoff-Isotopenproben am Institut für Geowissenschaften,
Arbeitsgruppe Biogeologie der Universität Tübingen. Me-
lanie Gottschalk, Bernd Höppner, Sigrid Klaus und Sandra
Pagacs sei für die Aufbereitung und Analyse der Strontium-
Isotopenproben am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäome-
trie gGmbH in Mannheim herzlich gedankt. Michael Maus
analysierte die Sauerstoff-Isotopenprobe des dritten Molaren
des Mannes im Steinplattengrab am Institut für Geowissen-
schaften, Arbeitsgruppe Angewandte und Analytische Pa-
läontologie der Johannes-Gutenberg Universität Mainz. Im
St.Bernward Krankenhaus Hildesheim, Klinik für Radiologie
(Leitung Bernhard Holland) wurden Röntgen- und CT-Unter-
suchungen durchgeführt. Dank gebührt dem dortigen Team
und Axel Wisotzki. Für Diskussionen der anthropologischen
Ergebnisse lieferten Stefan Flohr, Uwe und Horst Kierdorf
wertvolle Beiträge. Die Studie erfolgte mit finanzieller Unter-
stützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Pro-
jekt: KR 2328/3).
radiogenere 87Sr/86Sr-Isotopenverhältnisse, als es sonst für
Lössgebiete charakteristisch ist.
Schlussfolgerungen
Detaillierte Sauerstoff-Isotopenanalysen an mehreren Zäh-
nen eines 40 – 60-jährigen Mannes, der an prominenter Stelle
im heutigen Hildesheimer Dom bestattet war, sprechen für
eine Herkunft aus der Region bzw. von einem Ort mit kühle-
ren oder kontinentaleren klimatischen Verhältnissen. Dafür
kämen Mittelgebirgslagen oder östlich von Hildesheim gele-
gene Orte infrage.
Die 87Sr/86Sr-Isotopenverhältnisse von drei Zähnen wa-
ren radiogener als die im Rahmen dieser Studie untersuch-
ten Vergleichsproben und sprechen ebenfalls dafür, dass der
Mann nicht aus Hildesheim stammte. Ähnliche Isotopenver-
hältnisse in einem ersten Molar und einem Prämolar und ein
radiogenerer Analysewert in einem Weisheitszahn zeigen
einen möglichen Ortswechsel in der späteren Kindheit bzw.
im Jugendalter an, bevor der Mann erst als Erwachsener nach
Hildesheim kam. Eine Herkunft aus einem Gebiet, das über-
wiegend von Löss, Kalksteinen oder geologisch jungen Vul-
kaniten geprägt ist, ist weitgehend auszuschließen. Möglich
sind dagegen Sandsteine oder glaziale Geschiebe, wie sie in
Mitteldeutschland weit verbreitet sind. Beides stünde auch
im Einklang mit den Sauerstoff-Isotopendaten. Die naturwis-
senschaftlichen Untersuchungen bestätigen damit die Ergeb-
nisse neuerer baugeschichtlicher Forschungen, nach denen es
sich bei dem Mann nicht um Bischof Ebo, den dritten Hil-
desheimer Bischof, handelt. Daran ergeben sich auch aus den
Ergebnissen der anthropologischen Untersuchung Zweifel.
Über den Vergleich der Inventare der überlieferten Knochen
3208_Baugeschichte HD.indb 139 11.07.17 11:01
504
Nora Schäfer
Abb.1: Foto: Nora Schäfer (2014)
Abb.2, 6, 14: Foto: Aus den Unterlagen der kirchlichen Denkmalpflege
Hildesheim
Abb.3: Foto: Britta Hedtke (2014)
Abb.4a und b, 7–13, 15: Fotos: Aus den Unterlagen der
Grabungsauswertung von 2009 –2013
Britta Hedtke
Abb.1, 6–8, 12, 14, 15, 17, 26, 28, 30 –33, 39: Foto: Britta Hedtke (2014)
Abb.21: Foto: Nora Schäfer (2014)
Abb.40: Ulrich Knapp, Leonberg
Abb.41: Foto: GDKE RLP, Landesarchäologie Mainz
Abb.42: Eberhard Nikitsch
Abb.44: Aus: Bernward in Hildesheim, Bd.2, 1993 (wie Abb.35), S.270,
Abb. V-13
Abb.45: Aus: I Longobardi, Dalla caduta dell’imperio all’alba dell’Italia,
hrsg. v. Gian Petro Brogiolo und Alexander Chavarria Arnau,
Mailand 2007, S.53, Abb.1.1.12
Abb.46: Aus: I Longobardi, 2007 (wie Abb.45), S.99, Abb.1.3.3
Abb.48: Aus: Barth, Medard, Der heilige Arbogast. Bischof von
Strassburg, Colmar 1940, Abb.2
Abb.49: Aus: Bois/Carru, 2001 (wie Anm. 83), S.147
Abb.51: Helmut Brandorff (Domarchäologie Hildesheim)
Helmut Brandorff, Scherbenhaufen – Die ältere Keramik aus
Befunden der Domgrabung 2009 bis 2013
Abb.1: Mechthild Spatz (Bischöfliches Generalvikariat Hildesheim)
Abb.2, 3, 5 –12: Helmut Brandorff (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.4: Jacob-Friesen 1974, S.420, Abb.411
Farbtafel 1, 2: Helmut Brandorff (Domarchäologie Hildesheim)
SW-Tafel 1–4: Barbara Steinmeyer (Domarchäologie Hildesheim)
Helmut Brandorff, Eine Glockengießerwerkstatt am Dom zu
Hildesheim
Abb.1: Domarchäologie Hildesheim (Foto: Sven Wiegand)
Abb.2, 3: Domarchäologie Hildesheim (Zeichnung: Barbara Steinmeyer)
Abb.4: Diderot, Denis 1767, Encyclopédie Vol. 5, Pl. II, Paris 1767
Abb.5 : Agricola, Georg 1556 / Schiffner, Carl u. a. 1928, Zwölf
Bücher vom Berg- und Hüttenwesen, 8.Buch, 306, Berlin 1928
Abb.6: Wikipedia (Foto: Andreas Dziwior)
Abb.7: <https://www.bistum-hildesheim.de/fileadmin/dateien/migrated/
10/jpg/g/glockentransport_20140515_300dpi_327042859373868669
45.jpg>
Robert Lehmann
Alle Abb.: Robert Lehmann
Helmut Brandorff, Ausgewählte Funde und Befunde
Abb.1, 3, 6, 8–10, 12: Helmut Brandorff (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.2, 10: Barbara Steinmeyer (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.5, 11: Sven Wiegand (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.7: Johann Werfring (<http://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_
ache/image/1xm7Clt4aCXkkuftlUeoZtU6jrK_r7Fg320VvtXW B7b86kv
Ptk4HL A5qXeKjH_OdxZIR2pD14glPnyh__pKBwt4w/110627-1623-
pp301207kirchenbau-wide.jpg>)
Theo Kölzer
Abb.: in Privatbesitz
Helmut Brandorff, Der Domhügel als Bestattungsplatz
Abb.1: Mechthild Spatz (BGV-Hildesheim)
Abb.2: Klaus-Günther Kullig (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.3, 4, 13: Helmut Brandorff (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.5, 6: Sven Wiegand (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.7: S. Shalchi (Roemer-Pelizaeus-Museum)
Abb.8, 12: Barbara Steinmeyer (Domarchäologie Hildesheim)
Abb.9: Vera Fendel (Atelier für Restaurierung, Gehrden)
Abb.10: Radiologie (St. Bernward Krankenhaus Hildesheim), Alexander
Gatzsche (HTW Berlin)
Abb.11: Mihail Safronov (Archekon, Bad Münder)
Carsten Witzel, Leonard Altfelix, Stefan Flohr
Alle Abb.: Autoren
Corina Knipper, Marta Díaz-Zorita Bonilla,
Hervé Bocherens, Carsten Witzel
Abb.1: Grafik: Carsten Witzel
Abb.2, 4 –6, 8: Grafik: Corina Knipper
Abb.3: Grafik: Corina Knipper; δ18O-Werte nach waterisotopes.org
Abb. 7: Grafik: Corina Knipper, verändert nach: NIBIS® Kartenserver
(2014): Schummerungskarte Niedersachen und Geologische Karte mit
Eisrandlagen 1:50.00 0. – Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie
(LBEG), Hannover
Stefan Flohr, Carsten Witzel
Alle Abb.: Autoren
Karl Bernhard Kruse
Abb.1: Bertram 1869
Abb.2, 4 –6, 8 –16, 18–22, 24, 26 –41, 44, 46 –57, 59– 68, 70 –81, 83, 84,
87– 94, 97, 99 –101, 103, 104, 106, 107, 109– 114, 116, 120, 122 –128, 132–
138, 140 –154, 156 –160, 162–166, 168 –170: Domgrabung Hildesheim
Abb.3, 7, 17, 23, 43, 45, 82, 85, 86, 95, 96, 98, 102, 105, 108, 115, 117–119,
121, 131, 139, 155, 167: Prof. Manfred Zimmermann, Euromediahouse
Hannover
Abb.25: Anja Bayer
Abb.42: Hildesheimer Allgemeine Zeitung
Abb.58: Archiv Christoph Gerlach
Abb. 69: HStA Hannover
Abb.129, 130, 161: Wehmeyer Fotos, Hildesheim
Abb.171: Bildarchiv Dommuseum Hildesheim
Ulrich Knapp
Abb.1, 4–11, 13–33: Ulrich Knapp, Leonberg
Abb.2, 3, 12: Bistumsarchiv Hildesheim
Nicole Riedl-Siedow
Abb. 1: Bauphasenkartierung Kruse 2009, Lokalisierung der Probeentnah-
mestellen Riedl 2009
Abb. 2– 6: HAWK-HHG 2015
Abb. 7–11: Anna Frank 2015
Abb. 12: Aus: Jordan, Heinz/Rusteberg, Bernd, Geologische Wander-
karte Leinebergland 1:100.000, 1989, Kartierung Anna Frank 2015
Bildnachweis
3208_16_Bildnachweis.indd 504 17.07.17 11:32