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Reformnotwendigkeit und Reformalternativen für den Einkommensteuertarif

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Abstract

Vor dem Hintergrund des aktuell anstehenden Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2017 stellt sich erneut die Frage nach Änderungen des Einkommensteuertarifs. Dabei stehen weniger grundsätzliche Reformen in der Tarifstruktur als vielmehr eine bessere Ausbalancierung des Tarifs unter den Aspekten der Reduzierung oder Beseitigung des sog. Mittelstandsbauches und der Entlastung insbesondere mittlerer Einkommensbezieher im Vordergrund. Gleich-zeitig werden weitere Aspekte wie bspw. Änderungen in der Belastung von Beziehern höherer Einkommen diskutiert. Die vorliegende Schrift widmet sich zunächst der Frage, welche Kriterien als Maßstab für die Bewertung von Tarifreformalternativen dienen sollen. Wenn es darum geht, einen Steuertarif zu optimieren, so ist die nächstliegende Frage die nach dem geeigneten Beurteilungsmaßstab für Optimalität. Die ökonomische Theorie der optimalen Besteuerung dient als Ausgangspunkt für einige grundsätzliche Erwägungen und wird flankiert von einer Betrachtung des Verlaufs der Einkommensteuerquote, um den Spielraum für mögliche Steuersenkungen einzugrenzen. Da ein optimaler Tarif aus wissenschaftlicher Perspektive nicht unabhängig von Gerechtigkeitsvorstellungen abgeleitet werden kann, gilt im Anschluss das Augenmerk insbesondere den gegenwärtigen Reformzielen der Parteien. Unter den beiden Aspekten der Aufkommens- und der Verteilungswirkungen wird zunächst die gänzliche Abschaffung des Mittelstandsbauches betrachtet. Wegen der hohen Aufkommenseinbußen gilt der Fokus dann alternativen Tarifen und deren Entlastungswirkungen für die verschiedenen Steuerzahler. Dabei gilt die besondere Aufmerksamkeit der Entlastung mittlerer Einkommen sowie der Begrenzung des Aufkommensverlustes auf die vom BMF als finanzierbar eingestuften 15 Mrd. €.
517 Reformnotwendigkeit und Reformalternativen für den Einkommensteuertarif
In Medienkooperation mit
Reformnotwendigkeit
und Reformalternativen
für den Einkommensteuertarif
Prof. Dr. Henriette Houben
Malte Chirvi
517
www.ifst.de
ISBN: 978-3-89737-177-4
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Zitiervorschlag:
Houben/Chirvi, ifst-Schrift 517 (2017)
In Medienkooperation mit
517
www.ifst.de
Reformnotwendigkeit
und Reformalternativen
für den Einkommensteuertarif
Prof. Dr. Henriette Houben
Humboldt-Universität zu Berlin, EY Stiftungs-Juniorprofessur
für Quantitative Betriebswirtschaftliche Steuerlehre
Malte Chirvi
Humboldt-Universität zu Berlin,
KPMG-Stiftungsprofessur für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre
Das Institut Finanzen und Steuern überreicht Ihnen
die ifst-Schrift 517:
Reformnotwendigkeit und Reformalternativen
für den Einkommensteuertarif
Vor dem Hintergrund des aktuell anstehenden Wahlkampfes zur Bundestags-
wahl 2017 stellt sich erneut die Frage nach Änderungen des Einkommensteu-
ertarifs. Dabei stehen weniger grundsätzliche Reformen in der Tarifstruktur
als vielmehr eine bessere Ausbalancierung des Tarifs unter den Aspekten der
Reduzierung oder Beseitigung des sog. Mittelstandsbauches und der Entlas-
tung insbesondere mittlerer Einkommensbezieher im Vordergrund. Gleich-
zeitig werden weitere Aspekte wie bspw. Änderungen in der Belastung von
Beziehern höherer Einkommen diskutiert.
Die vorliegende Schrift widmet sich zunächst der Frage, welche Kriterien
als Maßstab für die Bewertung von Tarifreformalternativen dienen sollen.
Wenn es darum geht, einen Steuertarif zu optimieren, so ist die nächstlie-
gende Frage die nach dem geeigneten Beurteilungsmaßstab für Optimalität.
Die ökonomische Theorie der optimalen Besteuerung dient als Ausgangs-
punkt für einige grundsätzliche Erwägungen und wird ankiert von einer
Betrachtung des Verlaufs der Einkommensteuerquote, um den Spielraum für
mögliche Steuersenkungen einzugrenzen. Da ein optimaler Tarif aus wissen-
schaftlicher Perspektive nicht unabhängig von Gerechtigkeitsvorstellungen
abgeleitet werden kann, gilt im Anschluss das Augenmerk insbesondere den
gegenwärtigen Reformzielen der Parteien.
Unter den beiden Aspekten der Aufkommens- und der Verteilungswirkungen
wird zunächst die gänzliche Abschaffung des Mittelstandsbauches betrach-
tet. Wegen der hohen Aufkommenseinbußen gilt der Fokus dann alternativen
Tarifen und deren Entlastungswirkungen für die verschiedenen Steuerzahler.
Dabei gilt die besondere Aufmerksamkeit der Entlastung mittlerer Einkom-
men sowie der Begrenzung des Aufkommensverlustes auf die vom BMF als
nanzierbar eingestuften 15 Mrd. €.
Institut Finanzen und Steuern
Prof. Dr. Johanna Hey
Berlin/Köln, im Mai 2017
Inhaltsverzeichnis
I. Motivation und Aufbau der Schrift ........................ 9
II. Beurteilungsmaßstab für einen Einkommensteuertarif ....... 10
III. Entwicklung des Einkommensteueraufkommens ............ 17
IV. Politische Reformbestrebungen und Tarifalternativen ....... 20
1. Vorbemerkungen .......................................... 20
2. Forderungen der Politik zur Reform
des Einkommensteuertarifs ................................. 20
a. CDU/CSU ............................................. 20
b. SPD .................................................. 22
c. Bündnis 90/Die Grünen ................................. 24
d. Die Linke ............................................. 25
e. FDP .................................................. 26
f. BMWi ................................................ 27
3. Andere Vorschläge ........................................ 28
V. Ziele und deren Realisierung in der Tarifreform ............ 29
1. Tarifparameter ............................................ 29
2. Einkommensbereiche ...................................... 31
3. Zusammenhang von Tarifparametern und Reformziel ........... 33
4. Vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauches
zur Entlastung mittlerer Einkommen ......................... 35
5. Begrenzung der Aufkommensausfälle ........................ 36
VI. Tarifalternativen mit beschränktem
Aufkommensverlust ...................................... 39
1. Gegennanzierung und Knickstellenreduktion als wesentliche
Maßnahmen zur aufkommensschonenden Reform .............. 39
2. Abschaffung des Mittelstandsbauches und Anhebung der
Grenzsteuerlast im oberen Einkommensbereich ................ 39
3. „Halbierung“ des Mittelstandsbauches ........................ 44
4. Tarif mit 15 Mrd. € Minderaufkommen ....................... 47
5. MIT-Vorschlag............................................ 51
VII. Fazit ................................................... 55
Literaturhinweise ............................................. 57
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Exemplarischer Zusammenhang von Steueraufkommen
und Steuersatz. .................................... 13
Abbildung 2: Verhältnis von Einkommensteuerquoten und nominalem
BIP im Zeitverlauf.................................. 18
Abbildung 3: Darstellung der Grenz- und Durchschnittsteuersätze
des aktuellen Einkommensteuertarifs (2017). ........... 29
Abbildung 4: Grenzsteuersätze und Wertgrenzen im aktuellen
Einkommensteuertarif (2017). ....................... 30
Abbildung 5: Wertgrenzen und Grenzsteuersätze im aktuellen
Einkommensteuertarif (2017). ....................... 31
Abbildung 6: Einteilung der Steuerpichtigen in verschiedene
Einkommensbereiche. .............................. 32
Abbildung 7: Änderungen der Steuerbelastung und Auswirkungen
auf den Mittelstandsbauch durch Verschiebung der
Wertgrenzen bzw. Veränderung der Steuersätze abhängig
von der Einkommenshöhe. .......................... 34
Abbildung 8: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe
geordnete Steuerzahlen (Tarif ohne Mittelstandsbauch). .. 36
Abbildung 9: Änderungen der Steuerbelastung und Auswirkungen
auf den Mittelstandsbauch durch Verschiebung der
Wertgrenzen bzw. Veränderung der Steuersätze abhängig
von der Einkommenshöhe (nur in Frage kommende
Adjustierungen). ................................... 37
Abbildung 10: Varianten der Abschaffung des Mittelstandsbauches mit
partieller oder vollständiger Gegennanzierung. ....... 40
Abbildung 11: Gegennanzierungspotential und das verbleibende
Minderaufkommen bei gleichzeitiger Abschaffung
der jetzigen Knickstelle im Tarif. .................... 42
Abbildung 12: Alternative Tarifvarianten bei Abschaffung des
Mittelstandsbauches. .............................. 43
Abbildung 13: Aufkommenswirkungen der Rechtsverschiebung
der Wertgrenze der Knickstelle. ..................... 44
Abbildung 14: Aufkommenswirkungen der Reduktion
des Grenzsteuersatzes an der Knickstelle. ............. 45
Abbildung 15: Alternative Tarifvarianten bei Reduktion des
Mittelstandsbauches. .............................. 45
Abbildung 16: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe
geordnete Steuerzahler (Tarif mit halbiertem Mittel-
standsbauch). .................................... 46
Abbildung 17: Varianten mit 15 Mrd. € Aufkommenseinbuße. ........ 47
Abbildung 18: Relative Steuerentlastung der 4 Tarifoptionen mit einer
Aufkommenseinbuße von rund 15 Mrd. €. ............ 48
Abbildung 19: Absolute Änderung der Steuerzahlung bei den
Tarifoptionen mit einem Entlastungsvolumen von
15 Mrd. €. ....................................... 50
Abbildung 20: Verlauf der Durchschnittsteuersatzkurven im aktuellen
Recht und bei Option 2 im Vergleich. ................ 51
Abbildung 21: Grenzsteuersatzverläufe Tarif 2017, Steuersatzreduktion
an der Knickstelle auf 20 % und Vorschlag MIT. ....... 52
Abbildung 22: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe
geordnete Steuerzahler – Steuersatzreduktion Knickstelle
ohne und mit Verschiebung der Wertgrenze 3 (MIT). ... 53
Abbildung 23: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe
geordnete Steuerzahler – Steuersatzreduktion Knickstelle
21,8 % und Wertgrenze Spitzensteuersatz 60.000 €. .... 54
9
I. Motivation und Aufbau der Schrift
Vor dem Hintergrund des aktuell anstehenden Wahlkampfes zur Bundes-
tagswahl 2017 stellt sich einmal mehr die Frage nach Änderungen des Ein-
kommensteuertarifs. Dabei stehen weniger grundsätzliche Reformen in der
Tarifstruktur als vielmehr eine bessere Ausbalancierung des Tarifs unter den
Aspekten der Reduzierung oder Beseitigung des sog. Mittelstandsbauches
und der Entlastung insbesondere mittlerer Einkommensbezieher im Vorder-
grund. Gleichzeitig werden Änderungen in der Belastung von Beziehern
höherer Einkommen diskutiert.
Wenn nun die Aufgabe, einen Steuertarif zu optimieren, im Raum steht, so ist
die nächstliegende Frage die nach dem geeigneten Beurteilungsmaßstab für
Optimalität. Im Anschluss an die Einleitung wird daher zunächst die Optima-
lität eines Einkommensteuertarifs diskutiert. Danach dient die Betrachtung
der Entwicklung der Steuerquote einer Annäherung an die Frage, ob und
wenn ja welches Steuersenkungspotential möglicherweise für die Entlastung
mittlerer Einkommen zur Verfügung steht. Zudem werden die Forderungen
und Absichtserklärungen politischer Akteure und ausgewählte andere Stim-
men in die Betrachtung einbezogen. Anschließend soll die Frage beantwor-
tet werden, wie sich die gewünschten Reformziele durch Tarifvariationen
erreichen lassen und welche Aufkommens- und Verteilungswirkungen mit
den einzelnen Reformoptionen verbunden sind. Ein Fazit fasst die erörterten
Überlegungen zusammen.
10
II. Beurteilungsmaßstab für einen Einkommensteuertarif
Die Beurteilung eines Einkommensteuertarifs kann unter zahlreichen Aspek-
ten erfolgen. Die in der Ökonomie am häugsten modellierten Kriterien1
sind dabei
a) die Erfüllung einer staatlichen Zielfunktion, die vor allem der Umsetzung
einer gewissen Gerechtigkeitsvorstellung dient, sowie
b) die Berücksichtigung der Efzienz der Besteuerung, die die Frage der
Ausweichreaktionen der Steuerpichtigen adressiert.
Spätestens seit Mirrlees (1971) werden im Rahmen der Theorie der opti-
malen Besteuerung die Bedingungen für optimale nichtlineare Einkommen-
steuertarife basierend auf der Maximierung einer sozialen Wohlfahrtsfunk-
tion mittels mathematischer Modelle hergeleitet und speziziert.2 Die soziale
Wohlfahrtsfunktion entspricht dabei regelmäßig der Summe der Nutzen aller
Staatsbürger. Ohne die Nutzenfunktion näher zu spezizieren, ergibt sich in
dem Modell – ceteris paribus – bei abnehmendem Grenznutzen des Geldes
stets, dass der Nutzen für die Gesamtbevölkerung dann am größten ist, wenn
das Einkommen gleichmäßig auf alle Individuen verteilt ist. Wird einem bes-
serverdienenden Bürger 1 € entzogen, so ist – dem Gedanken des abnehmen-
den Grenznutzen des Geldes zufolge – seine Nutzeneinbuße stets geringer
als der Nutzenzuwachs desjenigen mit unterdurchschnittlichem Einkommen,
dem man diesen 1 € durch Umverteilung zukommen lassen könnte.
Dieser ökonomische Standardansatz führt dabei bei unelastischem Arbeitsan-
gebot (die Arbeitnehmer reagieren nicht durch Minderarbeit auf die Besteu-
erung) unter den typischen Annahmen dazu, dass im Modell die Steuersätze
als optimal gelten, die eine vollständige nachsteuerliche Gleichverteilung
der Einkommen bewirken. Die Regierung würde einen Steuersatz von 100 %
erheben und das Einkommen vollständig wegbesteuern, um es als Transfer
gleichmäßig auf die Bevölkerung zu verteilen.3 Damit wird die Anpassung
des Arbeitsangebots zum wesentlichen limitierenden Faktor für die Wahl der
Besteuerung, d.h. ein Steuersatz kleiner 100 % wird nur deshalb als optimal
1 Zusätzlich sollte durch den gewählten Einkommensteuertarif das benötigte
Aufkommen erzielt werden.
2 Lesenswerte Einführungen in die Theorie der optimalen Einkommensbesteu-
erung nden sich bspw. in Boadway (2012) und Piketty/Saez (2012). Einen
deutschsprachigen Überblick bietet Bierbrauer (2016).
3 Vgl. Saez/Stantcheva (2016), 32.
11
betrachtet, weil die Steuerpichtigen der Besteuerung ausweichen können.
Der optimale Steuertarif ist in diesem Modell dann der Tarif, der ein maxi-
males Aufkommen ermöglicht.
Die gegenwärtige Theorie der optimalen Besteuerung beruht daher auf dem
Staatsverständnis, dass es die Aufgabe des Staates ist, die Wohlfahrt der
Bevölkerung zu maximieren, und dass Wohlfahrt sich in einer spezischen
Weise quantizieren lässt. Die Wohlfahrt ergibt sich dabei regelmäßig als –
gewichtete oder ungewichtete – Summe der Nutzen der Bevölkerung. Die
Nutzen eines Individuums wiederum resultieren aus Geld und Freizeit. Dass
die vollständige Gleichverteilung von Einkommen als Handlungsoptimum
des Staates angesehen wird, ergibt sich dabei zwangsläug aus der Art der
Modellierung.
Jedes Modell kann nur einen Teil der komplexen Realität abbilden, wenn
es mathematisch handhabbar bleiben soll. Es dient dazu, Aspekte der Reali-
tät zu verstehen und zu veranschaulichen. Vor diesem Hintergrund ist auch
die Theorie der optimalen Besteuerung zu verstehen. Sie ermöglicht es, ein-
zelne Wirkungsweisen des Tarifs besser zu verstehen und zu separieren. Wir
wollen aber nicht den Eindruck erwecken, es sei ökonomisch wünschens-
wert, eine vollständige Einkommensgleichverteilung via staatliche Umver-
teilung zu erreichen. Im Standardansatz ergibt sich die Umverteilung aus
den Modellprämissen und ist nicht als ideologische Annahme, sondern eher
als „Nebenwirkung“ der gewählten Modellierung zu betrachten. Ein Modell,
das diese „Nebenwirkung“ aufweist, muss sich aber selbstverständlich die
Frage gefallen lassen, wie weit es geeignet ist, das Gerechtigkeitsverständnis
von Bürgern und Politikern abzubilden.
Die wesentliche Erkenntnis dieser Modelle ist, dass selbst dann, wenn man
den Modellansatz für geeignet hält, aufgrund fehlender Daten und heroischer
Annahmen für die Praxis ein optimaler Tarifverlauf genauso wenig wie ein
optimaler Spitzensteuersatz aus der Standardtheorie der optimalen Besteue-
rung abgeleitet werden kann.4 Auch wenn bspw. Bach (2013) oder Hermle/
Peichl (2013) für Deutschland nach der vorgenannten Theorie optimale Spit-
zensteuersätze herleiten, so sind diese aufgrund der Schätzunsicherheiten
eher als Anregung für eine Diskussion denn als politische Empfehlung zu
verstehen.
4 “Indeed there is no presumption that the individual tax will be progressive even
if the government is highly inequality averse”, Boadway (2012), 106.
12
In der Standardtheorie der optimalen Besteuerung werden maximale Steuer-
einnahmen grundsätzlich als optimal betrachtet.5 Ein Steuersatz von 100 %
wird dabei durch die Anpassungs- und Vermeidungsreaktionen der Steuer-
pichtigen verhindert. Den grundlegenden gedanklichen Zusammenhang
zwischen Steueraufkommen und Steuersatz illustriert u.a. die als Laffer-
kurve bekannt gewordene Abbildung, bei der einem Steuersatz von 0 % und
100 % jeweils ein Steueraufkommen von Null zugeordnet wird. Zwischen
0 % und 100 % weist die Kurve zunächst einen steigenden und nach Über-
schreiten des Maximums dann einen fallenden Verlauf auf. Der genaue Ver-
lauf der Kurve wird maßgeblich von den Verhaltensanpassungen der Steu-
erpichtigen bestimmt, die umso stärker ins Gewicht fallen, je höher der
Steuersatz ist.
5 Eine Annäherung an die in der Realität vorgefundene Steuerpolitik wird durch
die Einführung sogenannter Wohlfahrtsgewichte erzielt. Das Paper von Hermle/
Peichl (2013) berücksichtigt Wohlfahrtsgewichte im Gegensatz zur Arbeit von
Bach (2013). Die Berücksichtigung eines Wohlfahrtsgewichts bei der Berech-
nung des modelltheoretisch optimalen Spitzensteuersatzes führt dazu, dass die
optimale Besteuerung nicht zwingend die maximale Besteuerung sein muss.
Die in Hermle/Peichl (2013) verwendeten Wohlfahrtsgewichte werden unter
der Annahme einer logarithmischen Nutzenfunktion geschätzt. „Während die
Wohlfahrtsgewichte für hohe Grenzwerte [ab denen der Spitzensteuersatz
beginnt, A.d.V.] nahe null ist, ist diese Annahme für Grenzwerte im Bereich von
50.000 bis 100.000 nicht gerechtfertigt. Für einen Grenzwert von 50.000
ndet sich ein Wohlfahrtsgewicht von ungefähr 0,3. Der soziale Planer ist
daher indifferent zwischen 0,3 Einheiten zusätzlicher Steuereinnahmen und
dem Konsum einer zusätzlichen Einheit durch den durchschnittlichen Spitzen-
verdiener oberhalb des Grenzwertes von 50.000 €.“ (Hermle/Peichl (2013), 12).
Saez/Stantcheva (2016) schlagen einen neuen Ansatz mittels generalisierter
Wohlfahrtsgewichte vor, der die Diskrepanz zwischen der Theorie der optima-
len Besteuerung und der realen Steuerpolitik vermindern soll. Eine Übersicht
der Modellimplikationen ndet sich in Saez/Stantcheva (2016), 33, Tabelle 1.
13
Abbildung 1: Exemplarischer Zusammenhang von Steueraufkommen
und Steuersatz.
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Steueraufkommen
Steuersatz in Prozent
Mithilfe sogenannter generalisierter Wohlfahrtsgewichte können andere
politische Verteilungsziele im Modell der optimalen Besteuerung berück-
sichtigt werden als die vollständige Gleichverteilung von Einkommen als
(potentielles) Besteuerungsziel. Saez/Stantcheva (2016), S. 40, zeigen am
Beispiel US-amerikanischer Daten, dass bspw. bei Berücksichtigung der
intergenerationalen Mobilität bei der Besteuerung – also der Frage, ob das
Einkommen eher durch Herkunft oder durch eigene Leistung bestimmt ist –
der optimale Spitzensteuersatz – gegeben eine Reihe anderer Annahmen –
im Modell von 57 % auf 47 % fallen würde.
Gegenwärtig kann die modelltheoretisch orientierte Theorie der optimalen
Besteuerung zwar sehr wertvolle Anregungen zur Diskussion liefern, die
Ausgestaltung des Tarifs inkl. der Festlegung des Spitzensteuersatzes bleibt
aber eine politische Entscheidung.6
6 Auch Fuest stellt bezüglich des Mittelstandsbauches für die Tarifgestaltung
klar: „Beim Abbau des Mittelstandsbauchs geht es dagegen um die Lastenver-
teilung unter den Steuerzahlern – und wie diese gestaltet wird, ist eine politi-
sche Entscheidung.“ (https://www.iwd.de/artikel/es-geht-um-hart-erarbeitetes-
geld-317214).
14
Ein Anpassungsbedarf des geltenden Steuertarifs ergibt sich dann, wenn
1. sich die politischen Vorstellungen von Gerechtigkeit ändern oder
2. Änderungen der Besteuerungsgrundlagen – insbesondere aufgrund von
Ination, Realwachstum und geänderter Markteinkommensverteilung –
im Zeitablauf auftreten.
Ohne geänderte Gerechtigkeitsvorstellungen ist der geeignete Maßstab für
die Beurteilung des Steuertarifs im Zeitablauf deshalb der, ob der jeweilige
Tarif noch dem bekundeten Gesetzgeberwillen entspricht, oder aber ob sich
aufgrund von Einkommensänderungen aufgrund kalter Progression bspw.
Verschiebungen in der Belastungsverteilung ergeben haben. Dank der empi-
rischen Verteilungsdaten zum Einkommen können die Belastungswirkungen
der Besteuerung und ggf. entstehende Belastungsveränderungen bezogen
auf ihre Verteilung in der Bevölkerung quantiziert werden. Damit lassen
sich unterschiedlichste Verteilungsziele differenziert auf die verschiedenen
Einkommensgruppen genauer austarieren.
Auch bei sehr geringen Inationsraten führt ein unveränderter Einkommen-
steuertarif bei gleichbleibenden Realeinkommen zu einer steigenden Staats-
quote, d.h. der Staat bekommt vom Einkommen der Bevölkerung einen
größeren Anteil, der Bürger kann nur einen zunehmend geringeren Anteil
behalten. Diesem Effekt der kalten Progression im engeren Sinne könnte
durch automatische Anpassungen des Einkommensteuertarifs begegnet wer-
den. Die Forderung nach einem inationsindexierten Tarif ist seit etlichen
Jahren unter dem Begriff „Tarif auf Rädern“ bekannt und ndet breiten
Anklang.7 Für die Frage, ob die Tarifanpassung automatisch durch Indexie-
rung oder deterministisch erfolgen soll, gibt es widerstreitende Argumente.
Der Vorteil eines inationsindexierten Tarifs läge in der Sicherstellung der
Anpassung und darin, dass der Wähler nicht vermuten würde, seine Kon-
summöglichkeiten seien aufgrund der (andernfalls wahrnehmbarer verkün-
7 Grundsätzlich zum Tarif auf Rädern vgl. Stern (2002). Siehe hierzu auch Brei-
denbach/Döhrn/Kasten (2014), welche die Auswirkungen einer Einführung
eines „Tarifs auf Rädern“ in zwei Schritten, nach der Vorlage des Bund der
Steuerzahler, prüfen. Zudem sei auf die Untersuchungen zu den Belastungs-
und Aufkommenswirkung von Ination von Beznoska (2016) verwiesen. Auch
Dorn et al. (2016a) fordern die Beseitigung der kalten Progression, da sich die
aus der kalten Progression resultierende Erhöhung der Staatsquote der demo-
kratischen Kontrolle entziehe. Allerdings legen sie sich nicht fest, ob eine Inde-
xierung mit der Inationsrate oder dem Wachstum der Nominaleinkommen
erfolgen soll.
15
deten) Steuersenkung gestiegen. Zudem führt eine andernfalls offen geführte
Tarifdiskussion ggf. zu politischer Unruhe und bindet Zeit und Kapazitä-
ten bei Politikern und Bevölkerung. Präferiert man eine Tarindexierung, so
muss geklärt werden, ob die Indexierung sich nur auf die kalte Progression
im engeren Sinne (Inationseffekt bei unterstellter Realeinkommenskons-
tanz) oder auf die gesamte heimliche Steuererhöhung (inkl. Reallohnwachs-
tum) beziehen soll und was der jeweils geeignete Index ist.8 Nachteile einer
automatischen Anpassung wären:
Ination und Reallohnänderung betreffen ggf. nicht alle Einkommens-
höhen gleichmäßig. Eine differenzierte Anpassung des Tarifs kann daher
erforderlich sein, um die politischen Verteilungsvorstellungen sicherzu-
stellen.9
Geänderte Reallohnverteilungen können zu geänderten Vorstellungen
über eine gerechte Verteilung der Steuerlast führen, da die Vorstellun-
gen über eine gerechte Steuerlastverteilung sowohl von relativen als auch
absoluten Einkommenspositionen abhängen kann.10
Aus politischer Sicht ist eine Steuersenkung ggf. eine erfreuliche Nach-
richt für die Wähler, selbst dann, wenn es sich lediglich um die Rückgän-
gigmachung oder Vermeidung einer versteckten Steuererhöhung handelt.
Auch wenn der Charme einer Indexierung nicht von der Hand zu weisen
ist, ist die Bestimmung des „richtigen“ Indexes so problematisch, dass eine
Indexierung u.E. nicht die beste Lösung darstellt. Zumal dann leicht der trü-
gerische Eindruck entstehen kann, sämtliche Effekte der heimlichen Steuer-
erhöhung seien durch die Indexierung aufgefangen. Die Autoren plädieren
daher für eine regelmäßige „manuelle“ Anpassung des Einkommensteuerta-
rifs, während derer die Verteilungsfragen auch explizit (neu) diskutiert wer-
den, um die ggf. notwendige Feinjustierung des Tarifs vorzunehmen und die
8 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Frage von heimlichen Steuererhöhun-
gen und kalter Progression in Houben/Baumgarten (2011), 31–44.
9 So heißt es bspw. in Held (2014), 690: „Ärmere Haushalte waren im Zeitraum
Januar 2005 bis Juli 2014 durchschnittlich von einer höheren Inationsrate
betroffen als reichere Haushalte“. Felbermayr/Baumgarten/Lehwald (2015)
zeigen in ihrer Studie die Entwicklung der Reallöhne auf. Hiernach sind im
Zeitraum von 1992 bis 2010 hohe Löhne deutlich stärker gewachsen als mitt-
lere, während niedrige Löhne real sogar gesunken sind (siehe S. 11).
10 So erkennt bspw. Schmidt-Catran (2016) innerhalb europäischer Staaten einen
positiven Zusammenhang zwischen der bestehenden Ungleichheit und dem von
den Bürgern geäußerten Wunsch nach Umverteilung.
16
Transparenz der Entscheidungsfolgen (wer trägt wie viel Prozent der Steu-
erlast, welche Bevölkerungsgruppen sollen be- und entlastet werden, wie
ändert sich die Staatsquote) zu gewährleisten. Vorbild für eine solch konti-
nuierliche Tarifüberprüfung kann der jetzige Existenzminimumsbericht sein,
der die Notwendigkeit von Anpassungen des Grundfreibetrags darlegt.
17
III. Entwicklung des Einkommensteueraufkommens
Heimliche Steuererhöhungen treten bei Wachstum der Nominaleinkommen
bei allen progressiven Tarifen auf und führen stets zu einer Erhöhung der
Steuerquote. Die Steuerquote gibt den Anteil des Steueraufkommens am BIP
wieder. Heimliche Steuererhöhungen, die auf der mangelnden Anpassung
des Einkommensteuertarifs beruhen, spiegeln sich in der Einkommensteu-
erquote wider.
Betrachtet man den Verlauf des Einkommensteueraufkommens im Ver-
hältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (Einkommensteuerquote), so
hängt das daraus abgeleitete Urteil über das Ausmaß der heimlichen Steu-
ererhöhung maßgeblich vom gewählten Bezugspunkt ab. Mit einer größe-
ren strukturellen Steuerreform wurde bis 2004 der Steuertarif reduziert, um
die Einkommensteuerbelastung zu verringern.11 Die letzte strukturelle Ände-
rung des Einkommensteuertarifs trat mit Wirkung 2007 in Kraft.12 Zu diesem
Zeitpunkt wurde die sog. Reichensteuer eingeführt. Die Tarifänderungen der
Folgejahre waren in erster Linie Anhebungen des Grundfreibetrags zur Absi-
cherung der Steuerfreistellung des Existenzminimums und Anpassungen der
Tarifeckwerte zur Berücksichtigung der kalten Progression.13
11 Vgl. BT-Drs. 15/1502, 1.
12 Vgl. BGBl. I 2006, 1652.
13 Vgl. BT-Drs. 17/8683, 1, sowie BT-Drs. 18/4649, 1.
18
Abbildung 2: Verhältnis von Einkommensteuerquoten und nominalem BIP
im Zeitverlauf.
7,00 %
7,50 %
8,00 %
8,50 %
9,00 %
9,50 %
10,00 %
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
Steuerquote
Jahr
Einkommensteuer gesamt / nominales BIP
(Lohnsteuer + veranlagte Einkommensteuer) / nominales BIP
Verwendet man die Einkommensteuerquote i.e.S. der letzten strukturellen
Reformen als beabsichtigtes Belastungsniveau, so würde das angestrebte
Belastungsniveau aus Lohnsteuer und veranlagter Einkommensteuer im Ver-
hältnis zum nominalen BIP bei etwa 7,2 % (2004) bis 7,6 % (2007) liegen.
Unter Zugrundelegung der 2007er Einkommensteuerquote i.e.S. ergäbe sich
ein potentielles Aufkommensminderungspotential von über 40 Mrd. €.14
Ohne Frage steht es dem Gesetzgeber frei, ein anderes Belastungsniveau zu
wählen; bedenklich ist allerdings, wenn dies nicht kommuniziert wird und es
schlimmstenfalls rein zufällig – quasi aus Versehen – geschieht, da die höhere
Einkommensteuerquote bedeutet, dass der Staat prozentual stärker an den
Erträgen partizipiert.15
14 Berechnet aus tatsächlichem Aufkommen aus Lohnsteuer und veranlagter Ein-
kommensteuer 2016 abzüglich Steuerquote aus dem Jahr 2007 multipliziert mit
BIP aus 2016, also (227,441 Mrd. € + 53,833 Mrd. €) – 7,64 % x 3.132,67 Mrd.
€ = 41,9 Mrd. €.
15 Problematisch könnte neben der absoluten (versteckten) Aufkommenssteige-
rung auch sein, wenn sich aufgrund einer steigenden Einkommensteuerquote
bei einer stabilen Gesamtsteuerquote bzw. einer stabilen Quote der anderen
Steuerarten die Lastenverteilung innerhalb der Gesellschaft verschiebt, ohne
dass dies von der Politik gewollt oder durch diese kommuniziert wird.
19
Damit bleibt festzuhalten, dass eine Tarifsenkung mit Steuerentlastungen
von maximal 40 Mrd. als vertretbar eingeschätzt werden kann, wenn die
Effekte der heimlichen Steuererhöhungen ausgeglichen werden sollen.
20
IV. Politische Reformbestrebungen und Tarifalternativen
1. Vorbemerkungen
Die gegenwärtigen Absichtserklärungen der Parteien sind noch verhältnis-
mäßig vage, aber es zeichnet sich eine Tendenz zu den folgenden Forderun-
gen ab:
1. Reduzierung der Steuerbelastung für kleine und mittlere Einkommen
2. Reduktion oder Abschaffung des Mittelstandsbauches
3. Eine höhere Einkommensgrenze zum Einsetzen des Spitzensteuersatzes
4. Mehr Umverteilung / stärkere Beteiligung von „Reichen“
Im Einzelnen nden sich die bisherigen Forderungen der Parteien und eini-
ger weiterer Akteure im Anschluss.
2. Forderungen der Politik zur Reform
des Einkommensteuertarifs
a. CDU/CSU
Auf ihrem 29. Parteitag im Dezember 2016 hat die CDU sich gegen Steu-
ererhöhungen ausgesprochen.16 Gleichzeitig soll die Steuerbelastung „von
Familien und Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen“ jedoch,
nanziert durch die allgemeinen Steuermehreinnahmen, gesenkt werden.17
Die CSU forderte im Oktober 2016 eine Entlastung durch eine Einkommen-
steuerreform in der nächsten Legislaturperiode, von der bei einer Größenord-
nung von 15 Mrd. allerdings neben den Beziehern mittlerer Einkommen
auch Bezieher „kleinerer“ Einkommen protieren sollen.18 Daneben fordert
die CSU eine stufenweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Konkret
wurden diese Reformziele bereits im Juli 2016 unter dem Namen „Bayern-
16 Vgl. CDU (2016).
17 So bspw. auch Volker Kauder, Fraktionschef der CDU/CSU; s. http://www.
sueddeutsche.de/politik/wahlversprechen-kauder-verspricht-steuerentlastung-
in-milliardenhoehe-1.3138694 v. 28.8.2016.
18 Vgl. http://www.csu.de/aktuell/meldungen/oktober-2016/wenn-nicht-jetzt-
wann-dann/.
21
Tarif“ festgeschrieben19: Dieser soll ab dem Jahr 2019 durch eine Abachung
der Progression insbesondere „Geringverdiener und Bezieher mittlerer Ein-
kommen“ entlasten. Daneben sieht er eine regelmäßige Anpassung des Steu-
ertarifs an die Preisentwicklung sowie eine schrittweise20 Abschaffung des
Solidaritätszuschlags bis zum Jahr 2030 vor.
Ein konkreter Steuerreformvorschlag wurde im August 2016 von der Mit-
telstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (kurz MIT) vorge-
legt.21 Die MIT möchte Entlastungen für alle Steuerzahler, vor allem aber
für mittlere Einkommen und Familien mit Kindern. Neben einer Verdopp-
lung des Werbungskosten-Pauschbetrags zum 1.1.2018 von jährlich 1.000 €
auf 2.000 sowie einer Erhöhung des Kinderfreibetrags auf die Höhe des
Grundfreibetrags zum 1.1.2020 enthält der Vorschlag auch eine Anpas-
sung des Einkommensteuertarifs zum 1.1.2019: Der Eingangssteuersatz der
zweiten Progressionszone soll von 24 % auf 20 % gesenkt werden, und der
Spitzensteuersatz von 42 % soll erst ab einem jährlichen zu versteuernden
Einkommen von 60.000 € (2017: ab 54.058 €) gelten. Die Steuerentlastung
dieser Tarifänderung wird mit 25,8 Mrd. € angegeben.
Die Mittelstandsunion der CSU hat im Oktober 2016 „Eckpunkte für ein
Steuerkonzept 2020“ beschlossen22, nach der in einem ersten Schritt im Jahr
2018 der Einkommensteuertarif um ein Entlastungsvolumen von 10 Mrd.
abgeacht werden soll, um „Bezieher unterer und mittlerer Einkommen spür-
bar“ zu entlasten. Eine Durchschnittsfamilie habe dabei laut des Beschlusses
ein Kind und ein Haushaltseinkommen von 40.000 pro Jahr, so dass die
Entlastung unabhängig von einem in diesem Beispiel berücksichtigten Ehe-
gattensplitting wohl Einkommen deutlich unterhalb des Spitzensteuersatzes
betreffen soll. Zudem soll ab dem Jahr 2019 der Solidaritätszuschlag um jähr-
lich einen Prozentpunkt abgebaut werden und im Jahr 2020 eine Tarifreform
analog zu der des MIT durchgeführt werden. Langfristig ist das Ziel zudem
„ein linear-progressiver Einkommensteuertarif ohne Mittelstandsbauch“23,
wobei hier kein Umsetzungszeitpunkt genannt wird. Das Eckpunktepapier
19 Vgl. http://www.csu.de/aktuell/meldungen/juli-2016/soeder-stellt-bayern-tarif-
vor/.
20 Vorgesehen ist eine jährliche Senkung des Solidaritätszuschlags von einem
halben Prozentpunkt.
21 Vgl. Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (2016).
22 Vgl. Mittelstandsunion CSU (2016).
23 Vgl. Mittelstandsunion CSU (2016), 4.
22
nennt auch weitere Reformpunkte zur Einkommensteuer, die allerdings nicht
den Tarif betreffen.
Zuletzt hat Wolfgang Schäuble im April 2017 in einem Interview geäußert,
es bestehe neben der schrittweisen Abschaffung des Solidaritätszuschlages
ein „Gestaltungsspielraum“ für weitere Steuerentlastungen im Umfang von
„ungefähr 15 Milliarden Euro“.24 Konkret kritisierte er den zu schnellen
Anstieg der Steuerbelastung bei den „unteren und mittleren Einkommen“
und nannte als Lösung, „den sogenannten Mittelstandsbauch im Steuerta-
rif schrittweise [zu] verschlanken“ sowie als „denknotwendige“ Folge ein
„später[es]“ Greifen des Spitzensteuersatzes.25 Die von Wolfgang Schäuble
geäußerten Pläne zu Steuerentlastungen wurden auch von Jens Spahn bestä-
tigt, während Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirt-
schaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT), analog zu dem oben genannten
Vorschlag des MIT weiter für ein höheres Entlastungsvolumen eintritt.26
Ebenfalls im April 2017 wurde nach einem Treffen von Finanzpolitikern
der CDU/CSU in Düsseldorf die sogenannte „Düsseldorfer Erklärung zur
Finanzpolitik“ veröffentlicht27, die neben einem „quasi-automatischen Aus-
gleich der kalten Progression“ auch „strukturelle Verbesserungen im Tarif
für kleine und mittlere Einkommen“ vorsieht. Insbesondere soll der Spitzen-
steuersatz erst bei höheren als „leicht überdurchschnittlichen“ Einkommen
gelten.
b. SPD
Die Programmkommission der SPD hat am 21. November 2016 ein „Impuls-
papier“ veröffentlicht28, welches auch als Diskussionsgrundlage für das im
Jahr 2017 zu erstellende Programm zur Bundestagswahl dienen soll. Hierin
24 Das von Schäuble seit längerem vorgetragene Steuersenkungsvolumen von
15 Mrd. genießt auch den Segen der Bundeskanzlerin (http://www.
abendblatt.de/politik/article208210243/Es-gibt-Spielraum-fuer-die-
Entlastung-der-Buerger.html v. 9.9.2016).
25 Vgl. http://www.rp-online.de/politik/deutschland/wir-haben-ein-problem-mit-
chancengleichheit-aid-1.6743506 v. 8.4.2017.
26 Vgl. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/bundestagswahl-
2017-union-uneins-ueber-hoehe-der-steuerentlastung-14965052.html v. 9.4.2017.
27 Vgl. http://www.cdu-landtag.de/assets/publikationen/Dusseldorfer-Erklarung-
zur-Finanzpolitik-01.pdf v. 6.4.2017.
28 Siehe SPD (2016).
23
spricht sich die Kommission ähnlich wie die CDU/CSU für eine Entlastung
kleiner und mittlerer Einkommen bei Steuern und Abgaben aus. Ebenfalls
entlastet werden sollen Familien und Lebenspartnerschaften mit Kindern. Im
Gegenzug sollen Bezieher „sehr hoher“ Einkommen, die nicht näher spezi-
ziert werden, „stärker zur Finanzierung [des] Gemeinwesens“ herangezogen
werden.
Über ein Steuerkonzept des Finanzministers Nordrhein-Westfalens, Nor-
bert Walter-Borjans, wurde im Dezember 2016 berichtet.29 Auch dieses sieht
nach Medienberichten allgemein die Entlastung mittlerer und kleiner Ein-
kommen vor, während sehr große Einkommen höher belastet werden sol-
len. Protieren sollen insbesondere Familien mit Kindern. Außerdem soll
aus dem Solidaritätszuschlag ab 2019 ein sogenannter „Generationen-Soli“
werden, welcher allerdings niedriger als der bisherige Zuschlag sein soll. Im
Februar 2017 sprach Walter Borjans sich allerdings gegen die von der CDU
geplanten Steuersenkungen aus und plädierte, zusätzliche Einnahmen eher
für Investitionen zu nutzen.30
Der SPD-Finanzpolitiker Lothar Binding sprach im Juli 2016 konkret
von einer steuerlichen Entlastung von Einkommen zwischen 8.000 € und
50.000 €.31 Ein halbes Jahr später äußerte sich Thorsten Schäfer-Gümbel in
einem Spiegel-Interview im Januar 2017 mit steuerspezischen Vorschlä-
gen: Bei einem geplanten Entlastungsvolumen von etwa 10 Mrd. € möchte er
Alleinverdiener (Verheiratete) mit Einkommen bis zu 53.000 (106.000 €)
entlasten und dafür den ab einem zu versteuernden Einkommen von „unge-
fähr 240.000 Euro“ greifenden Reichensteuersatz (in 2017: 256.304 €) auf
48 % erhöhen.32
29
Vgl. http://www.tagesschau.de/inland/spd-steuerkonzept-101.html v. 5.12.2016.
30 Vgl. https://www.nrz.de/politik/nanzminister-einnahmeplus-investieren-
id209754929.html v. 27.2.2017.
31 Vgl. http://lothar-binding.de/panama-papers-die-spd-will-geldwaesche-verhin-
dern-schwetzinger-woche-vom-6-juli-2016/ v. 6.8.2016. Für Geringverdiener
wird außerdem eine weitergehende Abgaben-Entlastung geprüft. Auch nicht-
steuerliche Entlastungen aus einer vergünstigten Bereitstellung öffent licher
Leistungen wie Kitaplätze, ÖPNV und Wohnungsbau werden in den Blick
genommen.
32 Vgl. Interview im Spiegel 4/2017.
24
Mit Blick auf die zuletzt kritischen Äußerungen von SPD-Politikern im
Zusammenhang mit den Ankündigungen von Wolfgang Schäuble, Steuer-
senkungen mit einem Volumen von etwa 15 Mrd. umzusetzen, scheinen
Entlastungen in dieser Form aus Sicht der SPD allerdings nicht alternativlos
zu sein. So sprachen sich neben dem weiter oben genannten Norbert Walter-
Borjans auch Martin Schulz und Sigmar Gabriel für „Entlastungen“ in Form
von Investitionen (z.B. in Bildung) sowie die Erhöhung von Sozialleistun-
gen anstelle von Steuersenkungen aus.33 Eine andere Variante, Bezieher von
kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten, wäre zudem die Senkung
der Sozialabgaben.34 Daneben wurde zuletzt die ebenfalls von Wolfgang
Schäuble geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags als „ungerecht
und unsozial“ kritisiert, da sie laut Carsten Schneider vor allem „Besserver-
diener“ entlaste.35
c. Bündnis 90/Die Grünen
Die Grünen haben auf der 40. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz im
November 2016 einen Beschluss zur Entlastung von Beziehern kleiner Ein-
kommen gefasst36 und wollen hier insbesondere auch Familien berücksich-
tigen. Die Entlastungen sollen nicht nur durch eine Veränderung des Ein-
kommensteuertarifs, sondern auch über steuernanzierte Leistungen und
Steuergutschriften erreicht werden. Der Tarif soll jedoch durch eine Erhö-
hung des Spitzensteuersatz oberhalb eines zu versteuernden Einkommens
von 100.000 € pro Steuerpichtigem abgeändert werden. Zuletzt wurde
im am 8.3.2017 vom Bundesvorstand beschlossenen Entwurf des Wahl-
programms zur Bundestagswahl 2017 verankert, dass – nun mit Blick auf
kleine und mittlere Einkommen – die Entlastung durch eine nicht konkre-
33 Vgl. Reden von Sigmar Gabriel und Martin Schulz beim SPD-Partei-
tag am 19.3.2017; online unter https://www.spd.de/leadmin/Dokumente/
Reden/20170319_Rede_Gabriel.pdf bzw. https://www.spd.de/leadmin/
Dokumente/Reden/Rede_Martin_Schulz_BPT_autorisiert_01.pdf .
34 Vgl. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wahljahr-offene-rechnungen-
1.3438102 v. 27.3.2017.
35
Vgl. http://www.sueddeutsche.de/news/politik/bundestag-spd-ruegt-
schaeubles-
steuerplaene-als-unfair-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170411-99-26211
v. 11.4. 2017.
36 Vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2016), 21–22.
25
tisierte Erhöhung des Grundfreibetrags umgesetzt werden soll.37 Daneben
wird als Teil der Gegennanzierung weiter die ebenfalls nicht konkretisierte
Erhöhung des Spitzensteuersatzes ab 100.000 genannt. Allgemeine Ent-
lastungen lehnte die Parteichen Simone Peter bereits im August 201638
ab: Steuermehreinnahmen sollten für Investitionen des Staates sowie zum
Schuldenabbau eingesetzt werden.
Eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags ist von Seiten der Grünen
ex plizit nicht geplant.39
d. Die Linke
Die Linke hat bereits in einem Beschluss im Dezember 2016 angekündigt40,
„konsequent für eine deutlich höhere Besteuerung von Reichtum und eine
Umverteilung von oben nach unten“ einzutreten. Außerdem habe „jede sozi-
ale Reformpolitik […] zur Voraussetzung, dass Vermögende, Kapitaleigentü-
mer und Superreiche viel stärker steuerlich herangezogen“ würden. Konkret
den Einkommensteuertarif betreffend soll der Spitzensteuersatz angehoben
und Kapitalerträge höher besteuert werden. Daneben zitieren sie in diesem
Beschluss Umfragen, wonach sich deutliche Mehrheiten in Deutschland
„für steuerliche Entlastungen von mittleren und kleinen Einkommen“ aus-
sprechen würden. Den Solidaritätszuschlag möchte die Linke beibehalten
und, wie die Grünen, zur Finanzierung strukturschwacher Gegenden in ganz
Deutschland verwenden.41
Im April 2017 hat der Parteivorstand der Linken einen Entwurf des Wahl-
programms zur Bundestagswahl 2017, in dem auch auf Eckwerte einer mög-
lichen Steuerreform eingegangen wird, als Leitantrag beschlossen.42 Konkret
37 Vgl. https://www.gruene.de/leadmin/user_upload/Dokumente/Gruener_
Bundestagswahlprogrammentwurf_2017.pdf.
38 Vgl. Gammelin (2016).
39 Siehe Bündnis 90/Die Grünen (2016), 7.
40
Vgl. https://www.die-linke.de/die-linke/wahlen/wahlstrategie-2017/ v. 3.12.2016.
41 Siehe Deutscher Bundestag (2016).
42 Vgl. https://www.die-linke.de/die-linke/wahlen/wahlprogramm-2017/leitan
trag-an-den-hannoveraner-parteitag v. 3.4.2017.
26
sollen laut der öffentlich verfügbaren Präsentation zum Leitantrag43 Einkom-
men unter 7.100 brutto pro Monat entlastet werden. Der Grundfreibetrag
soll hierzu auf 12.600 € angehoben werden. Gleichzeitig sollen ein Spitzen-
steuersatz von 53 % für jährliche Bruttolöhne ab 86.000 sowie Reichen-
steuersätze für jährliche Bruttolöhne ab 260.000 € (60 %) bzw. 1.000.000 €
(75 %) greifen.
e. FDP
Die FDP-Politiker Karl-Heinz Paqué, Hermann Otto Solms und Volker Wis-
sing haben bereits im Oktober 2016 in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der
FAZ44 „Eckpunkte für ein liberales Steuerkonzept“ vorgestellt, welche auch
für das steuerpolitische Programm für die Bundestagswahl gelten sollen. Die
Politiker kritisieren hierin vor allem die hohe Steuerbelastung der Mittel-
schicht, insbesondere durch die Einkommensteuer. Wer zu dieser übermäßig
belasteten Mittelschicht zählt, wird dabei relativ klar eingegrenzt: Es geht
um Haushalte mit Einkommen „von jährlich etwa 30.000 bis 80.000 Euro“.
Das Tarifreformkonzept ist dabei durch eine Steuersatzsenkung im mittleren
Einkommensbereich und das spätere (erst bei deutlich höheren Einkommen
als bisher) Einsetzen des Spitzensteuersatzes charakterisiert. Zudem soll der
Solidarzuschlag abgeschafft werden.
Etwas allgemeiner schreibt die FDP auf ihrer Internetpräsenz hinsichtlich des
Einkommensteuertarifs, sie verfolge „die Abschaffung des Solidaritätszu-
schlags bis 2019“, „einen mutigen Abbau der kalten Progression statt Alibi-
43 Vgl. https://www.die-linke.de/leadmin/download/wahlen2017/wahlpro
gramm_leitantrag/2017-04-03_bundestagswahlprogramm2017_leitantrag_
praesentation.pdf .
44 „30 Milliarden Euro Nachlass für Steuerzahler!“ vom 24.10.2016; online abruf-
bar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/gastbeitrag-
30-milliarden-euro-nachlass-fuer-steuerzahler-14492135.html?printPaged
Article=true#pageIndex_2.
27
Entlastungen“ sowie eine „Vereinfachung des Steuersystems möglicherweise
bis hin zur „Flat Tax“, das heißt einem einheitlichen Einkommensteuersatz.“45
Mit dem Programmentwurf zur Bundestagswahl 201746 wurden im März
2017 die genannten Eckpfeiler einer möglichen Reform des Einkommen-
steuertarifes bestätigt: Der Einkommensteuertarif soll „nach rechts“ ver-
schoben und der Mittelstandsbauch abgeacht werden. Ziel sei ein „leis-
tungsgerechterer Tarif“, da die Steuerlast bei Beziehern kleiner und mittlerer
Einkommen derzeit „besonders schnell“ ansteigen würde.
Ein von der FDP gutgeheißener Tarif sollte also Einkommen zwischen
15.000 und 80.000 entlasten, was insbesondere auch durch einen erst
bei höheren Einkommen ansetzenden Spitzensteuersatz (2017: ab 54.058 €)
sowie die Beseitigung des Solidaritätszuschlags erreicht werden soll. Als
Entlastungsvolumen werden, zuletzt auch im Programmentwurf, mindestens
30 Mrd. € angegeben.
f. BMWi
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie47 plädiert nicht nur für
die Entlastung unterer und mittlerer Einkommen, sondern auch für eine stär-
kere Belastung hoher Einkommen. Konkret heißt es im letzten Punkt des
jüngsten 10-Punkte-Plans: „Um ein deutliches Signal zu senden, dass Leis-
tung im Job oder für die Familie belohnt wird, alle ihren gerechten Bei-
trag leisten und Steuerbetrug, Steuerucht und Steuerdumping nicht toleriert
werden, ist es unter anderem notwendig, dass die unteren und mittleren Ein-
45 Vgl. auf https://www.fdp.de/position/steuern. Gleiches ergibt sich auch aus
zwei Beschlüssen des 66. Ordentlichen Bundesparteitages der FDP in Berlin
am 16.5.2015 mit den Titeln „Solidaritätszuschlag muss 2019 auslaufen – Wei-
terführung ist eine Steuererhöhung“ sowie „Mehr Chancen durch mehr Freiheit:
Projekte für eine Republik der Chancen“. Den Abbau der kalten Progression
fordert auch wiederholt das FDP-Präsidiumsmitglied Volker Wissing, zuletzt
im Juni 2016 (vgl. https://www.fdp.de/content/wissing-entlastung-statt-einer-
vermoegensteuer).
46 Vgl. https://www.fdp.de/sites/default/les/uploads/2017/03/31/170330-ent
wurf-bundestagswahlprogramm-fdp.pdf.
47 Abweichend von den ihrer jeweiligen Partei zugeordneten Äußerungen anderer
politischen Akteure, die Teil der Bundesregierung sind (bspw. sind Äußerungen
von Wolfgang Schäuble unter „CDU/CSU“ zu nden), wird der 10-Punkte-Plan
des BMWi trotz SPD-Führung einzeln aufgeführt, da hier explizit das Ministe-
rium als Absender fungiert.
28
kommensbereiche entlastet werden, dass Spitzeneinkommen und große Ver-
mögen stärker an der Finanzierung unserer Gemeinschaftsaufgaben beteiligt
werden […].“48
3. Andere Vorschläge
Der ehemalige Wirtschaftsweise und jetzige Chefökonom des Handelsblat-
tes Bert Rürup fordert49 eine Ausdehnung der Progressionszone, bei der der
heutige Spitzensteuersatz von 42 % erst oberhalb der Beitragsbemessungs-
grenze50 greift und der Spitzensteuersatz kontinuierlich auf 45 % ansteigt.
Dieser sollte dann für Alleinstehende nicht vor 80.000 € gelten.
Auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erachtet den Mit-
telstandsbauch als kritisch und beauftragte daher das Ifo-Institut, Varianten
zu dessen Abschaffung zu entwickeln und zu evaluieren.51
Clemens Fuest, u.a. Präsident des Münchener ifo-Instituts, fordert die Aba-
chung des Mittelstandsbauches sowie die automatische Inationsanpassung
des Tarifs durch Indexierung und sieht basierend auf der Steuerquote Spiel-
raum für Steuersenkungen.52
48 BMWI (2017), 9.
49 Vgl. Rürup (2017).
50 Der Kontext der Ausführungen legt nahe, dass Rürup die Beitragsbemessungs-
grenze (West) der allgemeinen Rentenversicherung von 76.200 € meint. Die
Beitragsbemessungsgrenze (West) für die knappschaftliche Rentenversiche-
rung liegt bei 94.200 €.
51 Vgl. Dorn et al. (2016b).
52 https://www.iwd.de/artikel/es-geht-um-hart-erarbeitetes-geld-317214.
29
V. Ziele und deren Realisierung in der Tarifreform
1. Tarifparameter
Um zu analysieren, wie die angestrebten Reformziele erreicht werden kön-
nen, sei zunächst der Aufbau des deutschen Einkommensteuertarifs betrach-
tet. Ändert man einzelne Parameter im Steuertarif, so sind damit unter-
schiedliche Konsequenzen verbunden. Der Tarif lässt sich für die Diskussion
von Reformalternativen vollständig durch 4 Wertgrenzen und 4 Steuersätze
beschreiben. Am einfachsten zeigt sich das bei Betrachtung des Grenzsteu-
ersatzverlaufes, wobei der Grenzsteuersatz die (zusätzliche) Steuerbelastung
des jeweiligen (zusätzlichen) Euros Steuerbemessungsgrundlage angibt. Der
Grenzsteuersatz unterscheidet sich vom Durchschnittsteuersatz dadurch,
dass der Grenzsteuersatz nur die Belastung je eines Euros Bemessungs-
grundlage angibt, während der Durchschnittsteuersatz die mittlere Steuerbe-
lastung der gesamten Bemessungsgrundlage widerspiegelt.
Abbildung 3: Darstellung der Grenz- und Durchschnittsteuersätze
des aktuellen Einkommensteuertarifs (2017).
0 %
5 %
10 %
15 %
20 %
25 %
30 %
35 %
40 %
45 %
0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 70.000 80.000 90.000 100.000
Steuersatz
zu versteuerndes Einkommen
Grenzsteuersatz
Durchschnittsteuersatz
Bei einem zu versteuernden Einkommen von 30.000 beträgt der Durch-
schnittsteuersatz 18 %, d.h. der Steuerpichtige hat 18 % seines zu versteu-
ernden Einkommens an den Staat abzuführen. Der Grenzsteuersatz bei
30.000 € beträgt hingegen 31 %. Er zeigt an, dass der Steuerpichtige, der
30.000 € verdient, 31 € mehr Steuern zahlen muss als derjenige, dessen Steu-
erbemessungsgrundlage 100 € geringer (also 29.900 €) ist. Der Grenzsteuer-
satz erlaubt damit keine Aussage darüber, wie stark ein Steuerpichtiger zum
Aufkommen beiträgt bzw. wie viel er an die Gemeinschaft abgibt, sondern
30
lediglich darüber, wie stark ein zusätzlich verdienter Euro besteuert wird.
Der Grenzsteuersatz eignet sich daher weniger für Gerechtigkeitsabwägun-
gen, illustriert aber die 8 relevanten Tarifparameter (4 Wertgrenzen und
4 Steuersätze) gut.
Zu jeder Wertgrenze im Tarif gehört ein Grenzsteuersatz. Der Eingangssteu-
ersatz (14 %) ist der Grenzsteuersatz, der für den ersten Euro zu zahlen ist,
der den Grundfreibetrag (Wertgrenze 1) überschreitet. Der Grenzsteuersatz
steigt dann zunächst linear bis zu einer Knickstelle. Das zugehörige zu ver-
steuernde Einkommen an der Knickstelle markiert die Wertgrenze 2, der
entsprechende Grenzsteuersatz den 2. relevanten Steuersatz (23,97 %). Die
dritte Wertgrenze markiert die Stelle, ab der der sogenannte Spitzensteuer-
satz (42 %) zur Anwendung kommt. Die 4. Wertgrenze ist die für die Anwen-
dung des sogenannten Reichensteuersatzes (45 %).
Abbildung 4: Grenzsteuersätze und Wertgrenzen im aktuellen
Einkommensteuertarif (2017).
42%
(54.058 €)
45%
(256.304 €)
23,97%
(13.770 €)
14%
(8.821 €)
0 %
5 %
10 %
15 %
20 %
25 %
30 %
35 %
40 %
45 %
50 %
0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 300.000
Steuersatz
zu versteuerndes Einkommen
31
Für den 2017er Tarif ergeben sich folgende Kombinationen von Wertgrenzen
und Grenzsteuersätzen:
Abbildung 5: Wertgrenzen und Grenzsteuersätze im aktuellen
Einkommensteuertarif (2017).
Wertgrenze Steuersatz
Grundfreibetrag + 1 €, Eingangssteuersatz 8.821 € 14,00 %
Knickstelle 13.770 € 23,97 %
Spitzensteuerbereich 54.058 € 42,00 %
Reichensteuerbereich 256.304 € 45,00 %
Wenn vom Mittelstandsbauch die Rede ist, so handelt es sich um das Phä-
nomen der Knickstelle im direkt-progressiven Tarifabschnitt bei einem zu
versteuernden Einkommen von 13.770 €. Die Knickstelle ist durch eine
deutlich höhere Zunahme der Grenzsteuersätze unterhalb der Knickstelle im
Vergleich zur Zunahme oberhalb der Knickstelle gekennzeichnet. Im gegen-
wärtigen Steuerrecht steigt der Grenzsteuersatz im ersten direkt-progressi-
ven Tarifabschnitt um 2,01 %-Punkte je 1.000 € zu versteuernden Einkom-
mens, hingegen im zweiten direkt-progressiven Tarifabschnitt (ab 13.770 €)
nur um 0,45 %-Punkte. Damit ist der Anstieg der Grenzsteuersätze im ersten
Teil der Progressionszone mehr als 4-mal so hoch wie der im zweiten Teil
der Progressionszone.
2. Einkommensbereiche
Im politischen Geschehen wird regelmäßig zwischen Beziehern niedriger,
mittlerer und hoher Einkommen unterschieden, ohne dies jedoch zwingend
zu präzisieren. Da das Verständnis von Einkommenshöhe regelmäßig sub-
jektiv ist, wird zunächst eine Denition im Sinne dieser Arbeit unternom-
men. Dabei werden zwei Kriterien betrachtet:
1. Absolute Einkommenshöhe basierend auf Rentenversicherungsdaten
2. Relative Verteilung der zu versteuernden Einkommen
32
Das geschätzte durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt in der Rentenver-
sicherung liegt für 2016 bei 36.267 €.53 Wichtig ist es, im Folgenden zu
berücksichtigen, dass sich das Bruttoentgelt von den Einkünften durch die
Werbungskosten unterscheidet und die Einkünfte durch weitere Abzüge
gemindert werden, bevor sich die Steuerbemessungsgrundlage (das zu ver-
steuernde Einkommen) ergibt. Pauschaliert man die Werbungskosten mit
2.000 € und verwendet man das empirische, mittlere Verhältnis der Summe
der Einkünfte zum zu versteuernden Einkommen von rund 89 %, so erhält
man für den Durchschnittsverdienst in der Rentenversicherung ein mittleres
zu versteuerndes Einkommen von gut 30.000 €. Nimmt man nun 60 % des
so ermittelten zu versteuernden Einkommens als Grenze für untere Einkom-
men und 200 % als Grenze für hohe Einkommen, dann ergäben sich die fol-
genden Grenzen:54
Abbildung 6: Einteilung der Steuerpichtigen in verschiedene
Einkommensbereiche.
Zu versteuerndes
Einkommen
Bis zu 18.000 18.001–60.000 € Ab 60.001 €
Einkommensbereich unten mittel hoch
Selbstverständlich sind die gewählten Bezugsgrößen und die Einordnung zu
den Einkommensbereichen diskutabel.
Alternativ soll daher die Verteilung der Steuerzahler betrachtet werden. Aus
den aktuellsten tabellierten Werten der Einkommensteuerstatistik ergibt sich,
dass im Kalenderjahr 2012 41 % der nach der Grundtabelle versteuerten und
45 % der nach der Splittingtabelle versteuerten Steuerzahler ein (mittleres)
zu versteuerndes Einkommen pro Kopf55 von maximal 20.000 € aufwiesen.
53 http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/
01_kontakt_und_beratung/ 02_beratung/ 07_lexikon/CD/durchschnittseinkom
men.html.
54 Armuts- und Reichtumskonzepte differieren in der Literatur deutlich. Bei
einem zu versteuernden Einkommen von 18.000 € läge der Bruttolohn bei
etwa 22.000 und der Nettolohn bei etwa 15.500 €. Als Schwellengrenze für
die Armutsgefährdung galt 2015 ein Nettoeinkommen für Alleinstehende von
12.401 pro Jahr (https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Gesellschaft-
Staat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/LebensbedingungenArmutsge-
faehrdung/Tabellen/EUArmutsschwelleGefaehrdung_SILC.html).
55 Verheiratete Paare werden regelmäßig zusammen veranlagt. Dabei wird das von
beiden erwirtschaftete Einkommen für Zwecke der Tarifanwendung so behan-
delt, als hätte jeder Ehegatte es zur Hälfte erwirtschaftet.
33
Ein zu versteuerndes Einkommen pro Kopf von maximal 15.000 wiesen
26 % (Grundtabelle) bzw. 28 % (Splittingtabelle) der Steuerzahler auf. 8 %
der nach der Grundtabelle versteuerten und 7 % der nach der Splittingtabelle
versteuerten Steuerzahler wiesen Einkommen oberhalb der Wertgrenze zum
Spitzensteuersatz auf (im Jahr 2012: 52.883 €).
Ohne Anspruch auf die „richtige“ Abgrenzung zu erheben, kann an der oben
vorgenommenen Einkommenseingruppierung für Zwecke dieser Arbeit fest-
gehalten werden: Steuerzahler mit einem zu versteuernden Einkommen pro
Kopf von weniger als 18.000 werden als Bezieher unterer Einkommen
eingeordnet, Einkommen oberhalb von 60.000 gelten als hohe Einkom-
men. Damit würden – unter Berücksichtigung der Fortschreibung auf 2017
im vorliegenden Datenmaterial – schätzungsweise 29 % der Steuerzahler zur
Gruppe der Bezieher unterer Einkommen gehören, 8 % würden hohe Ein-
kommen aufweisen.
Wir berücksichtigen, dass es sich bei Ehegatten um zwei Steuerzahler han-
delt. Analog zur Methode des Ehegattensplittings teilen wir bei Ehegatten
das gemeinsame zu versteuernde Einkommen gleichmäßig auf beide Ehe-
partner auf, unabhängig davon, wem die zugrunde liegenden Einkünfte
zuzurechnen sind, da sich nach dem zu versteuernden Einkommen pro Kopf
der Steuersatz bestimmt.
3. Zusammenhang von Tarifparametern und Reformziel
Nachdem nun die Bereiche von unteren, mittleren und hohen Einkommen
abgegrenzt sind, stellt sich die Frage, wie die einzelnen Tarifparameter mit
der Steuerlast der einzelnen Einkommensbereiche zusammenhängen und wie
der Mittelstandsbauch durch eine Tarifparametervariation beeinusst würde.
Die Variation einzelner Tarifparameter hat unterschiedliche Auswirkungen:
Die Rechtsverschiebung der 1. (Grundfreibetrag) und 2. (Knickstelle) Wert-
grenze des Tarifs entlastet alle Steuerzahler. Eine Rechtsverschiebung der
3. Knickstelle (Eingangsbereich Spitzensteuersatz) würde ebenfalls z.T.
Bezieher unterer Einkommen entlasten, da sich alle Grenzsteuersätze ober-
halb der Knickstelle reduzieren würden. Damit würden alle Bezieher von
Einkommen ab 13.770 entlastet werden. Betrachtet man nur die Rechts-
verschiebung von Wertgrenzen, so ist ausschließlich die Verschiebung der
2. Wertgrenze (Knickstelle) geeignet, den Mittelstandsbauch abzuachen.
Eine Rechtsverschiebung der 1. oder 3. Wertgrenze würde den Mittelstands-
bauch (i.S.d. höheren Grenzsteuersatzanstiegs im unteren Progressionsbe-
34
reich im Vergleich zum oberen direkt-progressiven Tarifabschnitt) dagegen
verstärken.
Abbildung 7: Änderungen der Steuerbelastung und Auswirkungen auf den
Mittelstandsbauch durch Verschiebung der Wertgrenzen bzw.
Veränderung der Steuersätze abhängig von der Einkommenshöhe.
Änderung Steuerbelastung Mittel-
stands-
bauch
untere mittlere hohe
Einkommen
Rechtsverschiebung
der … Wertgrenze
1↓↓↓↑
2↓↓↓↓
3(↓) ↓ ↓ ↑
4 - - (↓) -
Linksverschiebung
der … Wertgrenze
1 nicht relevant
2↑↑↑↑
3(↑) ↑ ↑ ↓
4 - - (↑) -
Reduktion
des … Steuersatzes
1↓↓↓↑
2↓↓↓↓
3(↓) ↓ ↓ ↑
4 - - (↓) -
Erhöhung
des … Steuersatzes
1↑↑↑↓
2↑↑↑↑
3(↑) ↑ ↑ ↓
4 - - (↑) -
Steuerentlastungen lassen sich außer durch Rechtsverschiebungen der Wert-
grenzen auch durch die Senkung der Grenzsteuersätze an den Wertgrenzen
erreichen. Auch hier zeigt sich, dass isolierte Steuersenkungen für Hoch-
einkommensbezieher durch Variation einzelner Tarifparameter möglich sind.
Die Variation einzelner Parameter, die ausschließlich untere und mittlere
Einkommen entlastet, gibt es nicht.
Damit lässt sich festhalten: Eine Entlastung ausschließlich unterer und mitt-
lerer Einkommen bedarf stets kompensierender Maßnahmen im oberen
Tarifbereich, andernfalls werden stets auch Bezieher hoher Einkommen ent-
lastet. Es gibt keinen Tarifparameter, dessen Variation nur untere und mitt-
lere Einkommen entlastet.
35
4. Vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauches
zur Entlastung mittlerer Einkommen
Die wiederholt geäußerte Absicht, mittlere Einkommen durch die Beseiti-
gung des Mittelstandsbauches zu entlasten, soll die Grundlage für die erste
betrachtete Reformoption bilden. Wie bereits erwähnt, entlastet die Beseiti-
gung des Mittelstandsbauches auch Bezieher niedriger und hoher Einkom-
men.
Die gesamte Aufkommensreduktion bei vollständiger Glättung des Tarifs, so
dass dieser nur noch eine linear-progressive Zone von 8.821 € bis 54.058 €
aufweisen würde, beliefe sich ohne Berücksichtigung der Auswirkungen auf
das Aufkommen des Solidaritätszuschlages auf rund 32 Mrd. €.56
Die relative Entlastung betrifft alle Steuerpichtigen. Die durchschnittliche
Steuerentlastung der Steuerzahler liegt bei knapp 11 %. Steuerpichtige mit
einem zu versteuernden Einkommen (pro Kopf) im Bereich zwischen gut
11 Tsd. € und gut 55 Tsd. € werden überproportional entlastet.
Die folgende Abbildung veranschaulicht die Verteilung der relativen Steuer-
entlastung bei Beseitigung des Mittelstandsbauches in Relation zum Anteil
der – nach der Höhe des zu versteuernden Einkommens pro Kopf geordneten
– Steuerzahler. Die x-Achse zeigt also den Anteil von Steuerzahlern geord-
net nach deren Einkommen. Die linke Achse zeigt die relative Steuerentlas-
tung, die rechte Achse das durchschnittliche Einkommen im jeweiligen Ein-
kommensanteil.
56 Die Schätzung erfolgt auf Grundlage der Daten der amtlichen Faktisch Anony-
misierten Lohn- und Einkommensteuerstatistik (FAST) 2007 unter Fortschrei-
bung mit der durchschnittlichen Wachstumsrate des BIP zwischen 2007 und
2016 auf das Jahr 2017. Die Schätzungen quantizieren Erstrundeneffekte der
Tarifanpassung. Schatteneffekte auf die Bemessungsgrundlage (etwa durch
geänderte Vorteilhaftigkeit von Wahlrechtsausübungen oder anderen Verhal-
tensanpassungen) oder auf andere Steuerarten (bspw. Solidaritätszuschlag) wer-
den nicht berücksichtigt. Gleiches gilt für indirekte Effekte wie bspw. potentiell
erhöhte Umsatzsteuereinnahmen durch Mehrkonsum. Die relative Entlastung
ist vergleichbar mit der für 2013 geschätzten Entlastung bei Beseitigung des
Mittelstandsbauches aus Houben/Baumgarten (2011), 49, wobei sich das
absolute Entlastungsvolumen aufgrund der Aufkommensentwicklung erhöht.
Auch bezüglich des absoluten Entlastungsvolumens sind die hiesigen Schät-
zungen konsistent. Vgl. Dorn et al. (2016b), 5, die das Minderaufkommen auf
31,4 Mrd. € beziffern.
36
Abbildung 8: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe geordnete
Steuerzahlen (Tarif ohne Mittelstandsbauch).
Rund 80 % der Einkommensbezieher werden überdurchschnittlich stark ent-
lastet. Dies betrifft in erster Linie Bezieher mittlerer Einkommen. Es zeigt
sich, dass fast 35 % der Steuerzahler sogar mit einer deutlichen Steuerreduk-
tion von mehr als 20 % rechnen könnten. Dies wären jene Steuerzahler mit
einem zu versteuernden Einkommen pro Kopf zwischen knapp 15 Tsd. € und
29 Tsd. €. Damit ist die Beseitigung des Mittelstandsbauches grundsätzlich
geeignet, insbesondere mittlere Einkommensbezieher relativ stärker zu ent-
lasten als Hocheinkommensbezieher.
5. Begrenzung der Aufkommensausfälle
Um die Aufkommensausfälle zu begrenzen, sind verschiedene Gegennan-
zierungsmaßnahmen denkbar, wobei im Wesentlichen Verschiebungen der
Wertgrenzen nach links und Grenzsteuersatzerhöhungen in Frage kämen.
Im gegenwärtigen politischen Klima können Linksverschiebungen der 1. bis
3. Wertgrenze als unpopulär betrachtet werden, da hier in jedem Fall der Ein-
druck einer Höherbelastung unterer bzw. mittlerer Einkommen entstünde.
Gleiches gilt für die Steuersatzerhöhungen an den Wertgrenzen 1 bis 3.
Da zudem Entlastungen, die ausschließlich Spitzeneinkommen im Reichen-
steuerbereich betreffen, gegenwärtig nicht unter den genannten politischen
Zielen subsumierbar sind, fallen zunächst die grau hinterlegten Tarifoptio-
nen aus der Betrachtung heraus:
0
50.000
100.000
150.000
200.000
250.000
0,00 %
5,00 %
10,00 %
15,00 %
20,00 %
25,00 %
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %
durchschnittliches zu versteuerndes
Einkommen pro Kopf zuzügl.
Progressionsvorbehaltseinkünften
relative Steuerentlastung
Anteil der nach Einkommenshöhe geordneten Steuerzahler
relative Steuerentlastung durchschnittliche Entlastung zvE pro Kopf
37
Abbildung 9: Änderungen der Steuerbelastung und Auswirkungen auf den
Mittelstandsbauch durch Verschiebung der Wertgrenzen bzw.
Veränderung der Steuersätze abhängig von der Einkommenshöhe
(nur in Frage kommende Adjustierungen).
Änderung Steuerbelastung Mittel-
stands-
bauch
untere mittlere hohe
Einkommen
Rechtsverschiebung
der … Wertgrenze
1↓↓↓↑
2↓↓↓↓
3(↓) ↓ ↓ ↑
4 - - (↓) -
Linksverschiebung
der … Wertgrenze
1 nicht relevant
2↑↑↑↑
3(↑) ↑ ↑ ↓
4 - - (↑) -
Reduktion
des … Steuersatzes
1↓↓↓↑
2↓↓↓↓
3(↓) ↓ ↓ ↑
4 - - (↓) -
Erhöhung
des … Steuersatzes
1↑↑↑↓
2↑↑↑↑
3(↑) ↑ ↑ ↓
4 - - (↑) -
Damit bliebe als einzige steuererhöhende Einzelmaßnahme die Erhöhung
des Reichensteuersatzes bzw. das Vorziehen der zugehörigen Wertgrenze.
Neben den isolierten Maßnahmen lassen sich auch kombinierte Maßnah-
men diskutieren: Ist die Beseitigung des Mittelstandsbauches primäres Ziel,
so könnte dies mit beschränktem Minderaufkommen bei Beibehaltung der
gegenwärtigen Besteuerung im Spitzensteuersatz durch eine deutliche Anhe-
bung des Eingangssteuersatzes erfolgen. Um eine spürbare Mehrbelastung
sehr kleiner Einkommen zu vermeiden, wäre gleichzeitig der Grundfreibe-
trag anzuheben. In der Annahme, dass eine Erhöhung des Eingangssteuersat-
zes selbst in Verbindung mit einer gleichzeitigen Erhöhung des Grundfrei-
betrags als politisch nicht wünschenswert gilt, wird auch diese Möglichkeit
nicht näher betrachtet.
38
Eine andere Alternative, die Reduktion des starken Grenzsteuersatzan-
stiegs im unteren Einkommensbereich aufkommensschonend zu vollzie-
hen, bestünde in der zusätzlichen Einführung weiterer Knickstellen in der
direkten Progressionszone; allerdings würde dies nur die Form des Mittel-
standsbauches verändern, nicht aber seine Existenz. Zudem dürfte die so
zunehmende Komplexität des Einkommensteuertarifs nicht im Interesse des
Gesetzgebers liegen.
Bei vollständiger Beseitigung der Knickstelle ohne Erhöhung des Eingangs-
steuersatzes bleibt dann nur die Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder das
Vorziehen von Reichenbesteuerung bzw. die Erhöhung des Reichensteuer-
satzes als (partielle) Gegennanzierungsmaßnahme.
Alternativ ließen sich geringere Aufkommensverluste durch eine Reduktion
des Mittelstandsbauches bei grundsätzlicher Beibehaltung desselben erzie-
len, wenn der Grenzsteuersatz an der Knickstelle um weniger als 7 %-Punkte
reduziert würde oder die Wertgrenze der Knickstelle bei Beibehaltung des
derzeitigen Grenzsteuersatzes (23,97 %) um weniger als gut 11 Tsd. € ver-
schoben wird.
Im Folgenden werden daher die Tarifalternativen mit beschränkter Aufkom-
mensminderung sei es durch Gegennanzierungsmaßnahmen oder durch
partielle Reduktion des Mittelstandsbauches – betrachtet.
39
VI. Tarifalternativen mit beschränktem
Aufkommensverlust
1. Gegennanzierung und Knickstellenreduktion als wesentliche
Maßnahmen zur aufkommensschonenden Reform
Hält man die Aufkommenseinbuße von mehr als 30 Mrd. angesichts der
Haushaltssituation für nicht nanzierbar, so kommen aufgrund der im letzten
Kapitel dargelegten Argumentation zwei Alternativen in Frage:
Mittels Gegennanzierungsmaßnahmen durch höhere Besteuerung im
Bereich der hohen Einkommen können die Aufkommensausfälle kompen-
siert werden.
Alternativ lassen sich durch Reduktion statt Abschaffung des Mittelstands-
bauches – bei grundsätzlicher Beibehaltung einer Knickstelle – die induzier-
ten Aufkommensausfälle beschränken.
Beide Möglichkeiten lassen sich selbstverständlich auch kombinieren und
werden im Folgenden zunächst getrennt und dann gemeinsam betrachtet.
2. Abschaffung des Mittelstandsbauches und Anhebung der
Grenzsteuerlast im oberen Einkommensbereich
Zunächst wäre die Anhebung des Spitzensteuersatzes zu erwägen. Dabei
gilt es jedoch zu bedenken, dass dies bei Beibehaltung der Wertgrenzen die
Grenz- und Durchschnittssteuerbelastung in der Progressionszone erhöhen
würde. Insbesondere eine steigende Grenzsteuerbelastung in der Progressi-
onszone ist wohl kaum politisch kommunizierbar.
Deshalb besteht die Alternative in der Gegennanzierung vorrangig im
Bereich derjenigen, die jetzt den Spitzen- oder Reichensteuersatz zahlen;
also in Anpassungen oberhalb der Wertgrenze 3.
Die ausschließliche Anhebung des Reichensteuersatzes bringt vergleichs-
weise wenig Gegennanzierungspotential. Die Anhebung des Reichen-
steuersatzes um 1 Prozentpunkt bringt maximal ein Mehraufkommen von
40
0,65 Mrd. €.57 Um allein mit dem Reichensteuersatz eine nennenswerte
Gegennanzierung zu betreiben, bräuchte es einen Reichensteuersatz von
94 %. Bei einer derartigen Anhebung des Grenzsteuersatzes sind allerdings
nennenswerte Verhaltensreaktionen der Steuerpichtigen zu erwarten, so
dass das zusätzliche Aufkommen wohl (deutlich) unter den 0,65 Mrd. €
pro Prozentpunkt liegen wird. Eine komplette Gegennanzierung wird so
ggf. auch bei einem Reichensteuersatz von 100 % nicht zu erreichen sein.
Eine Reichensteuersatzanhebung um 20 Prozentpunkte brächte dagegen ein
rechnerisches Gegennanzierungsvolumen (ohne Berücksichtigung von zu
erwartenden Verhaltensreaktionen) von maximal 13 Mrd. €. Es handelt sich
bei dieser Berechnung um eine Obergrenze des Mehraufkommens, nicht um
ein tatsächlich zu erwartendes Mehraufkommen.
Abbildung 10: Varianten der Abschaffung des Mittelstandsbauches mit partieller
oder vollständiger Gegennanzierung.
0
10 %
20 %
30 %
40 %
50 %
60 %
70 %
80 %
90 %
100 %
0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 300.000
Steuersatz
zu versteuerndes Einkommen
Tarif 2017
Tarif ohne Mittelstandsbauch und partieller Gegenfinanzierung
über Reichensteuersatz (Minderaufkommen 19 Mrd. €)
Tarif ohne Mittelstandsbauch und vollständige Gegenfinanzierung
über Reichensteuersatz
Tarifvarianten, die sich ausschließlich über die Anhebung des Reichensteu-
ersatzes gegennanzieren, sind daher wohl für die Realität eher ungeeignet.
Aus diesem Grund soll die Betrachtung auf diejenigen ausgeweitet werden,
die aktuell in ihrer Grenzbelastung dem Spitzensteuersatz von 42 % unterlie-
57 Das auf Basis der tabellierten Werte der amtlichen Einkommensteuerstatistik
ermittelte Aufkommen aus der Reichensteuer liegt bei rund 0,45 Mrd. € pro Pro-
zentpunkt Reichensteuersatz. Das simulierte Mehraufkommen von 0,65 Mrd. €
pro Prozentpunkt Reichensteuersatz ist maßgeblich durch die Fortschreibungs-
annahmen beeinusst und stellt wahrscheinlich eher eine obere Grenze für das
Mehraufkommen dar.
41
gen, also ein zu versteuerndes Einkommen pro Kopf von mindestens 54.058
haben. Eine Anhebung des Steuersatzes von 42 % an der Wertgrenze 3 soll
dabei aber vermieden werden, um den Eindruck einer Steuererhöhung für
mittlere Einkommen zu vermeiden, da eine Anhebung des Steuersatzes an
der 3. Wertgrenze wie weiter oben beschrieben auch die Grenzbelastung im
direkt-progressiven Bereich des Tarifs implizieren würde.58 Die Erhöhung
der Grenzsteuerbelastung soll sich zunächst also ausschließlich auf das Ein-
kommen oberhalb von 54.057 € beschränken.
Um den maximalen Grenzsteuersatz nicht übermäßig stark anheben zu müs-
sen, werden zwei begleitende Maßnahmen berücksichtigt:
Der maximale Steuersatz (Reichensteuersatz) beginnt bereits für Ein-
kommen ab 100.000 €.
Der Übergang vom jetzigen Spitzensteuersatz (42 %) zum Reichensteu-
ersatz erfolgt linear-progressiv und nicht als Sprung bei 100.000 €.
58 In Abschnitt VI.4. wird gezeigt, dass eine Anhebung des Spitzensteuersatzes
ein legitimes Gegennanzierungsmittel sein kann, ohne dass dabei mittlere Ein-
kommen höher belastet würden.
42
Abbildung 11: Gegennanzierungspotential und das verbleibende
Minderaufkommen bei gleichzeitiger Abschaffung der jetzigen
Knickstelle im Tarif.
maximaler Steuersatz
Maximales
Gegennanzierungs-
potential in Mrd. €
verbleibendes
Minderaufkommen
(ohne Verhaltens-
anpassungen) in Mrd. €
45 % 2,42 29,65
46 % 3,88 28,19
47 % 5,34 26,73
48 % 6,79 25,27
49 % 8,25 23,82
50 % 9,71 22,36
51 % 11,17 20,90
52 % 12,63 19,44
53 % 14,08 17,98
54 % 15,54 16,53
55 % 17,00 15,07
56 % 18,46 13,61
57 % 19,92 12,15
58 % 21,38 10,69
59 % 22,83 9,24
60 % 24,29 7,78
61 % 25,75 6,32
62 % 27,21 4,86
63 % 28,67 3,40
64 % 30,12 1,95
65 % 31,58 0,49
66 % 33,04 -0,97
Soll die Besteuerung hoher Einkommen die Abschaffung der jetzigen Knick-
stelle nahezu vollständig gegennanzieren, so wäre künftig ein Spitzensteu-
ersatz von mindestens 65 % erforderlich. Zu beachten ist dabei, dass nicht
nur der neue Spitzensteuersatz für die meisten Ökonomen und Parteien wohl
undenkbar wäre, sondern auch, dass es sich im Wesentlichen um eine Verla-
gerung des Mittelstandsbauches handeln würde: Dies wäre bei einem maxi-
malen Steuersatz von 65 % jedoch kaum erkennbar, da sich die Geraden-
steigung zwischen den beiden Abschnitten des direkt-progressiven Bereichs
43
fast nicht verändert.59 Das Gegennanzierungsvolumen berücksichtigt keine
Verhaltensanpassungen und geht von einer korrespondierenden Anpassung
anderer steuerlicher Normen – wie bspw. § 34a EStG – aus. Gerade vor dem
Hintergrund der als Personengesellschaften geführten Unternehmen soll hier
betont sein, dass es bei der Berechnung des potentiellen Gegennanzierungs-
volumens darum geht, die Grenzen einer Gegennanzierung durch Steuer-
satzerhöhungen aufzuzeigen, und dies nicht als Vorschlag für eine Reform
zu verstehen ist.
Abbildung 12: Alternative Tarifvarianten bei Abschaffung des Mittelstandsbauches.
0 %
10 %
20 %
30 %
40 %
50 %
60 %
70 %
0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 70.000 80.000 90.000 100.000 110.000 120.000
Steuersatz
zu versteuerndes Einkommen
Tarif 2017
Tarif ohne jetzige Knickstelle und vollständiger
Gegenfinanzierung bei Hocheinkommensbeziehern
Tarif ohne jetzige Knickstelle und maximaler Steuersatz
50 % (Minderaufkommen 22 Mrd. €)
Wäre man hingegen nur bereit, einen maximalen Steuersatz von 50 % hinzu-
nehmen, so wären damit Aufkommenseinbußen von über 22 Mrd. € verbun-
den und der neue Tarif würde eine deutliche60 Knickstelle (neuer Mittel-
standsbauch) bei der Wertgrenze 3 (54.058 €) aufweisen; es fände folglich
lediglich eine Verschiebung des Mittelstandsbauches statt.
59 Im gegenwärtigen Steuerrecht steigt der Grenzsteuersatz im ersten direkt-pro-
gressiven Tarifabschnitt um 2,01 %-Punkte je 1.000 € zu versteuerndes Ein-
kommen, hingegen im zweiten direkt-progressiven Tarifabschnitt (ab 13.770 €)
nur um 0,45 %-Punkte. Bei einer Verschiebung der Knickstelle auf 42 % bei
einem zu versteuernden Einkommen von 54.058 € und einem Spitzensteuersatz
von 65 % ab 100.000 € wäre die Erhöhung des Grenzsteuersatzes je 1.000 € mit
0,62 %-Punkten in der ersten direkten Progressionszone bzw. 0,50 %-Punkte in
der zweiten direkten Progressionszone vergleichbar.
60 Bei einer Verschiebung der Knickstelle auf 42 % bei einem zu versteuernden
Einkommen von 54.058 € und einem Spitzensteuersatz von 50 % ab 100.000 €
wäre die Erhöhung des Grenzsteuersatzes je 1.000 € mit 0,62 %-Punk-
ten in der ersten direkten Progressionszone deutlich größer als der Anstieg
(0,17 %-Punkte) in der zweiten direkten Progressionszone.
44
3. „Halbierung“ des Mittelstandsbauches
Will man die Anhebung der Grenzbelastung im oberen Einkommensbereich
vermeiden und gleichzeitig die Aufkommenseinbußen durch Abschaffung
des Mittelstandsbauches verringern, so wäre eine Möglichkeit, den Mittel-
standsbauch lediglich zu reduzieren anstatt ihn vollständig abzuschaffen.
Dafür kann entweder die Wertgrenze nach rechts verschoben oder alternativ
der Steuersatz an der Knickstelle gesenkt werden.
Die vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauches würde einer Rechts-
verschiebung der Knickstelle um über 11 Tsd. € oder alternativ einer Absen-
kung des Knickstellensteuersatzes um fast 7 %-Punkte entsprechen.
Welche Aufkommenswirkungen von der schrittweisen Rechtsverschiebung
der Wertgrenze der Knickstelle ausgehen, zeigt die folgende Abbildung.61
Abbildung 13: Aufkommenswirkungen der Rechtsverschiebung der Wertgrenze
der Knickstelle.
Verschiebung der Wertgrenze um Minderaufkommen in Mrd. €
1.000 € 3,32
2.000 € 6,55
3.000 € 9,69
4.000 € 12,74
5.000 € 15,70
6.000 € 18,58
7.000 € 21,37
8.000 € 24,07
9.000 € 26,69
10.000 € 29,23
11.000 € 31,69
Der alternative Weg besteht in der Reduktion des Grenzsteuersatzes an der
Knickstelle bei Beibehaltung der aktuellen Wertgrenze (13.770 €). Exemp-
61 Zu ähnlichen Aufkommenswirkungen kommen auch Dorn et al. (2016b), 5.
45
larisch zeigt die folgende Abbildung die Aufkommenswirkung einer schritt-
weisen Reduktion des Grenzsteuersatzes um jeweils 0,5 %-Punkte.
Abbildung 14: Aufkommenswirkungen der Reduktion
des Grenzsteuersatzes an der Knickstelle.
Grenzsteuersatz
an der Knickstelle Minderaufkommen in Mrd. €
23,47 % 2,31
22,97 % 4,63
22,47 % 6,95
21,97 % 9,27
21,47 % 11,59
20,97 % 13,91
20,47 % 16,23
19,97 % 18,55
19,47 % 20,88
18,97 % 23,20
18,47 % 25,53
17,97 % 27,85
17,47 % 30,18
Abbildung 15: Alternative Tarifvarianten bei Reduktion des Mittelstandsbauches.
0 %
5 %
10 %
15 %
20 %
25 %
30 %
35 %
40 %
45 %
50 %
0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000
Steuersatz
zu versteuerndes Einkommen
Tarif 2017
Mittelstandsbauchreduktion durch
Rechtsverschiebung der Wertgrenze
Mittelstandsbauchreduktion durch
Senkung des Steuersatzes
Tarif ohne Mittelstandsbauch
46
Eine aufkommensäquivalente (annähernde) Halbierung des Mittelstandsbau-
ches ließe sich durch eine Rechtsverschiebung der Wertgrenze um 6.000
oder eine Reduktion des Knickstellensteuersatzes auf 20 % erreichen. Beide
Varianten sind zwar in ihrer Aufkommenswirkung vergleichbar (Aufkom-
menseinbuße rund 18,5 Mrd. €), entlasten aber die Steuerpichtigen mit
unteren Einkommen unterschiedlich stark.
Abbildung 16: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe geordnete
Steuerzahler (Tarif mit halbiertem Mittelstandsbauch).
0
50.000
100.000
150.000
200.000
250.000
0,00 %
2,00 %
4,00 %
6,00 %
8,00 %
10,00 %
12,00 %
14,00 %
16,00 %
18,00 %
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %
durchschnittliches zu versteuerndes Einkommen pro
Kopf zuzügl. Progressionsvorbehaltseinkünften
relative Steuerentlastung
Anteil der nach Einkommenshöhe geordeneten Steuerzahler
relative Steuerentlastung Wertgrenzenverschiebung
durchschnittliche Entlastung
relative Steuerentlastung Steuersatzreduktion
zvE pro Kopf
Die Verschiebung der Wertgrenze um 6.000 entlastet Bezieher niedriger
Einkommen stärker als die Reduktion des Grenzsteuersatzes an der Knick-
stelle auf 20 %. Für Einkommen oberhalb von gut 30 Tsd. € wirkt die Steu-
ersatzreduktion stärker entlastend als die Verschiebung der Wertgrenze. Die
stärkste relative Entlastung erfahren bei der Verschiebung der Wertgrenze
Bezieher niedriger Einkommen (gut 16 Tsd. zu versteuerndes Einkom-
men), während bei der Steuersatzreduktion die größte relative Entlastung auf
Bezieher mittlerer Einkommen (knapp 19 Tsd. €) entfällt.62
62 Es sei noch einmal daran erinnert, dass die Einordnung in niedrige und mitt-
lere Einkommen subjektiv ist und die für diese Arbeit gewählte Abgrenzung bei
einem zu versteuernden Einkommen (pro Kopf) von 18.000 € vorgenommen
wurde.
47
4. Tarif mit 15 Mrd. € Minderaufkommen
Wird ein Minderaufkommen von maximal 15 Mrd. € angestrebt, so können
die folgenden 4 Varianten exemplarisch betrachtet werden:
Abbildung 17: Varianten mit 15 Mrd. € Aufkommenseinbuße.
Mit
Gegennanzierung
Ohne
Gegennanzierung
Verschiebung
der Wertgrenze
Option 1
Wertgr. Knickstelle =
19.770 €
Spitzensteuersatz 42,8 %
Reichensteuersatz 47 %
Option 3
Wertgr. Knickstelle =
18.570 €
Absenkung
des Steuersatzes
Option 2
Knickstellensteuersatz
20 %
Spitzensteuersatz 42,7 %
Reichensteuersatz 47 %
Option 4
Knickstellensteuersatz
20,75 %
Wählt man Optionen, die eine Gegennanzierung des „zu hohen“ Aufkom-
mensverlustes durch die Reduktion des Knickstellensteuersatzes auf 20 %
bzw. die Wertgrenzenverschiebung um 6.000 ermöglichen, so kann dies
bspw. über die Anhebung des Reichensteuersatzes um 2 Prozentpunkte und
gleichzeitiger Anhebung des Spitzensteuersatzes erfolgen. Im Falle der
Wertgrenzenverschiebung um 6.000 € ist der notwendige Spitzensteuersatz
42,8 %, um ein Minderaufkommen von 15,1 Mrd. € zu erreichen. Bei einer
Steuersatzreduktion auf 20 % wäre ein Spitzensteuersatz von 42,7 % erfor-
derlich, um den Aufkommensverlust auf 14,9 Mrd. € zu begrenzen.
Entscheidet man sich gegen Grenzsteuersatzerhöhungen, so könnte die Wert-
grenze nicht um 6.000 €, sondern lediglich um 4.800 an der Knickstelle
auf 18.570 verschoben werden (Option 3), was mit einer Aufkommens-
einbuße von 15,1 Mrd. € einherginge. Alternativ würde ein Grenzsteuersatz
von 20,75 % an der Knickstelle (Option 4) ein Minderaufkommen von rund
14,9 Mrd. € bewirken.
48
Abbildung 18: Relative Steuerentlastung der 4 Tarifoptionen mit einer
Aufkommenseinbuße von rund 15 Mrd. €.
0
50.000
100.000
150.000
200.000
250.000
-5,00 %
0,00 %
5,00 %
10,00 %
15,00 %
20,00 %
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 %
durchschnittliches zu versteuerndes Einkommen pro Kof zuzügl.
Progressionsvorbehaltseinkünften
relative Steuerentlastung
Anteil der nach Einkommenshöhe geordneten Steuerzahler
Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe geordnete
Steuerzahler
– Tarif ohne Mittelstandsbauch –
Option 1 Option 2 Option 3
Option 4 durchschnittliche Entlastung zvE pro Kopf
100 %
Die Gegennanzierung der Wertgrenzenverschiebung (Option 1 vs. Option 3)
ermöglicht eine bis zu 2,6 %-Punkte bzw. 17,8 % höhere Steuerentlastung
bei den mittleren Einkommen. Die Gegennanzierung der Steuersatzsen-
kung (Option 2 vs. Option 4) ermöglicht eine bis zu 2,4 %-Punkte höhere
Steuerentlastung, wobei bei dieser Option der relative Zuwachs der von der
Gegennanzierung ausgelösten Steuerentlastung mit der Einkommenshöhe
kontinuierlich abnimmt, in relativer Betrachtung also der Vorteil der stärke-
ren Steuersatzsenkung durch Gegennanzierung für Bezieher geringer Ein-
kommen am größten ist.
Bei den Optionen mit Gegennanzierung treten nur bei den 1 % einkom-
mensstärksten Steuerzahlern Mehrbelastungen auf, die aber auch im Durch-
49
schnitt nur wenige Prozent betragen.63 Bei einem zu versteuernden Einkom-
men von 300.000 € würde die Steuerlast reformbedingt um 1,51 % bzw.
1.790 € (Option 1) respektive 1,29 % (Option 2) steigen. Bei einem zu ver-
steuernden Einkommen von 1 Mio. läge der relative Anstieg der Steuer-
last bei 3,64 % (Option 1) respektive 3,58 % (Option 2). Einkommen von
40 Mio. € unterlägen bspw. einer Mehrbelastung von 4,43 % (Option 1) bzw.
4,42 % (Option 2).
Aufgrund der weitgehenden Entlastung bei den Grenzsteuersätzen im unte-
ren und mittleren Einkommensteuerbereich würde die Gegennanzierung
erst bei recht hohen Einkommen zu steigenden Durchschnittssteuersätzen
führen. Bei Wahl von Option 1 würden Steuerpichtige mit einem zu ver-
steuernden Einkommen bis 142.000 von der Reform trotz Anhebung des
Spitzensteuersatzes entlastet. Bei Wahl von Option 2 wäre dies bei einem zu
versteuernden Einkommen von bis zu 162.300 € der Fall.
Betrachtet man die absolute Steuerent- bzw. Steuermehrbelastung in beiden
Optionen, so wird deutlich, dass selbst bei Anhebung des Spitzensteuer satzes
Hocheinkommensbezieher (bis etwa 142.000 € bzw. 162.300 €) deutlich ent-
lastet werden. Anders aber als in den Optionen ohne Gegennanzierung ist
die Steuerentlastung für hohe Einkommen nicht – bei absoluter Betrachtung
– am höchsten.
63 Allerdings gilt es dabei zu beachten, dass die Mehreinnahmen ankierende
Maßnahmen wie die Anpassung von § 34a EStG benötigen, da andernfalls die
Mehreinnahmen aus den gewerblichen Einkünften geringer ausfallen würden.
50
Abbildung 19: Absolute Änderung der Steuerzahlung bei den Tarifoptionen mit
einem Entlastungsvolumen von 15 Mrd. €.
-1.000
-500
0
500
1.000
1.500
2.000
0 50.000 100.000 200.000 250.000 300.000
Änderung der Steuerzahlung in Euro
zu versteuerndes Einkommen (pro Kopf)
Option 1
Option 2
Option 3
Option 4
150.000
Die folgende Abbildung zeigt exemplarisch für die Option 2 den Durch-
schnittsteuersatzverlauf im Vergleich zum aktuellen Tarif, was erneut zeigt,
dass die Spitzensteuersatzerhöhung erst bei hohen Einkommen zu Steuerer-
höhungen führen würde.
51
Abbildung 20: Verlauf der Durchschnittsteuersatzkurven im aktuellen
Recht und bei Option 2 im Vergleich.
0 %
5,00 %
10,00 %
15,00 %
20,00 %
25,00 %
30,00 %
35,00 %
40,00 %
45,00 %
0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 300.000
Durchschnittsteuersatz
zu versteuerndes Einkommen
Option 2
2017
5. MIT-Vorschlag
Der Tarifvorschlag der MIT sieht die Kombination von Absenkung des
Knickstellensteuersatzes auf 20 % und eine gleichzeitige Rechtsverschie-
bung der 3. Wertgrenze (Spitzensteuersatz) auf 60.000 € vor. Wie erwähnt,
entlastet eine Rechtsverschiebung der 3. Wertgrenze auch sämtliche Bezie-
her mittlerer Einkommen. Die Verschiebung der 3. Wertgrenze entfaltet eine
steuerentlastende Wirkung für all die Steuerpichtigen, deren zu versteuern-
des Einkommen oberhalb der Knickstelle liegt.
52
Abbildung 21: Grenzsteuersatzverläufe Tarif 2017, Steuersatzreduktion
an der Knickstelle auf 20 % und Vorschlag MIT.
0 %
5 %
10 %
15 %
20 %
25 %
30 %
35 %
40 %
45 %
50 %
0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000
Steuersatz
zu versteuerndes Einkommen
Tarif 2017
MIT
Mittelstandsbauchreduktion
durch Senkung des
Steuersatzes
Der Vorschlag der MIT führt daher zu einer stärkeren Entlastung derjenigen,
die ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als 13.770 € aufweisen.
Der MIT-Vorschlag würde ein rechnerisches Minderaufkommen von 24 Mrd.
verursachen.64 Die folgende Abbildung zeigt die relative Entlastungswir-
kung des MIT-Vorschlags und vergleichend auch die relative Entlastungs-
wirkung, die sich bei unveränderter Wertgrenze des Spitzensteuersatzes bei
Knickstellensteuersatzreduktion auf 20 % (vergleiche dazu Abschnitt VI.3.)
ergäbe.
64 Die Aufkommenswirkung berücksichtigt keine „Schatteneffekte“ auf den Soli-
daritätszuschlag. Nach Quantizierung das MIT läge die Aufkommenseinbuße
bei 25,8 Mrd. € im Vergleich zum Tarif 2016.
53
Abbildung 22: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe geordnete
Steuerzahler – Steuersatzreduktion Knickstelle ohne und mit
Verschiebung der Wertgrenze 3 (MIT).
0
50.000
100.000
150.000
200.000
250.000
0,00 %
2,00 %
4,00 %
6,00 %
8,00 %
10,00 %
12,00 %
14,00 %
16,00 %
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %
durchschnittliches zu versteuerndes Einkommen pro Kopf zuzügl.
Progressionsvorbehaltseinkünften
relative Steuerentlastung
Anteil der nach Einkommenshöhe geordneten Steuerzahler
durchschnittliche Entlastung nur Steuersatzreduktion Knickstelle
durchschnittliche Entlastung MIT
relative Steuerentlastung nur Steuersatzreduktion Knickstelle
relative Steuerentlastung MIT
zvE pro Kopf
Während die absolute Entlastungswirkung beim MIT-Vorschlag für Bezieher
hoher Einkommen am höchsten wäre, zeigt die Betrachtung der relativen
Entlastung, dass die 6 % einkommensstärksten Steuerzahler nur unterdurch-
schnittlich (Senkung der Steuerbelastung um weniger als 8 %) entlastet wer-
den.
Will man den Aufkommensausfall beim MIT-Vorschlag wiederum auf
15 Mrd. € begrenzen, so wird die Senkung des Knickstellensteuersatzes
weniger stark ausfallen, um drastische Gegennanzierungsmaßnahmen zu
vermeiden. Während ohne Verschiebung der Wertgrenze für den Spitzen-
steuersatz (Option 4) der Knickstellensteuersatz auf 20,75 % gesenkt werden
konnte, kann bei Verschiebung der Wertgrenze des Spitzensteuersatzes auf
60.000 € der Knickstellensteuersatz nur auf 21,8 % gesenkt werden. Alter-
54
nativ wäre bspw. eine Wertgrenzenanhebung auf 58.000 € und eine Senkung
des Knickstellensteuersatzes auf 21,5 % möglich.
Abbildung 23: Relative Steuerentlastung für nach Einkommenshöhe geordnete
Steuerzahler – Steuersatzreduktion Knickstelle 21,8 % und
Wertgrenze Spitzensteuersatz 60.000 €.
0
50.000
100.000
150.000
200.000
250.000
0,00 %
1,00 %
2,00 %
3,00 %
4,00 %
5,00 %
6,00 %
7,00 %
8,00 %
9,00 %
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %
durchschnittliches zu versteuerndes Einkommen pro Kopf zuzügl.
Progressionsvorbehaltseinkünften
relative Steuerentlastung
Anteil der nach Einkommenshöhe geordneten Steuerzahler
durchschnittliche Entlastung relative Entlastung zvE pro Kopf
Bei einem Knickstellensteuersatz von 21,8 % und einer Wertgrenze zum
Spitzensteuersatz von 60.000 € sinkt die Steuerlast der meisten Steuerzahler
mit mittlerem Einkommen um rund 7,5 %. Etwa 80 % der Steuerzahler wer-
den überdurchschnittlich entlastet. Die 14,5 % der Steuerzahler mit den
geringsten Einkommen und die 5 % der Steuerzahler mit den höchsten Ein-
kommen werden unterdurchschnittlich entlastet.
55
VII. Fazit
Heimliche Steuererhöhungen aufgrund von Nominaleinkommenswachstum
haben in den vergangenen Jahren zu deutlichen Mehreinnahmen bei der Ein-
kommensteuer geführt. Dabei führen heimliche Steuererhöhungen nicht nur
zu einer Erhöhung des durchschnittlichen Anteils der Einkommen, der von
den Bürgern an den Staat abzuführen ist, sondern auch zu Änderungen im
relativen Beitrag, den Bezieher niedriger, mittlerer und hoher Einkommen
zum Staatsaufkommen leisten.
Da jeder progressive Steuertarif bei Nominaleinkommenswachstum auto-
matisch zu heimlichen Steuererhöhungen führt, muss der Einkommensteu-
ertarif regelmäßig angepasst werden. Im Zuge einer solchen Anpassung ist
es legitim, die dem Tarif zugrunde liegenden Gerechtigkeitserwägungen zu
diskutieren und die Verteilung der Steuerlast ggf. neu zu justieren. Ange-
sichts der anstehenden Bundestagswahl wird bei den Absichtsbekundungen
der Parteien deutlich, dass eine Entlastung insbesondere mittlerer Einkom-
men angestrebt wird.
Eine Möglichkeit, mittlere Einkommen zu entlasten, besteht darin, den soge-
nannten Mittelstandsbauch zu reduzieren. Bei dem Mittelstandsbauch han-
delt es sich um eine Knickstelle im direkt-progressiven Tarifbereich, die
durch einen stärkeren Anstieg der Grenzsteuersätze im unteren Tarifbereich
gekennzeichnet ist.
Eine vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauches wäre mit Aufkom-
menseinbußen von mehr als 30 Mrd. € verbunden. Solche Aufkommens-
minderungen wären aufgrund der heimlichen Steuererhöhungen der Ver-
gangenheit zwar durchaus geboten, gelten aber vor dem Hintergrund der
Haushaltslage als nicht nanzierbar.
Um die Aufkommensausfälle zu begrenzen, können zwei Wege erwogen wer-
den: entweder die Gegennanzierung bei den Hocheinkommensbeziehern
oder die Reduktion statt der vollständigen Beseitigung des Mittelstandsbau-
ches. Die vollständige Gegennanzierung allein durch Anhebung des Rei-
chensteuersatzes scheidet vollkommen aus, weil selbst bei einem 100%-igen
Reichensteuersatz keine vollständige Gegennanzierung möglich wäre. Bei
politisch ggf. noch vertretbaren Spitzensteuersätzen (maximal 50 %) ergibt
sich nicht hinreichend Gegennanzierungspotential, falls die Aufkommens-
reduktion weniger als 20 Mrd. betragen soll. Die Reduktion der Diffe-
renz der Grenzsteuersatzanstiege im direkt-progressiven Tarifbereich (Mit-
telstandsbauch) durch Rechtsverschiebung der Wertgrenze der Knickstelle
56
um 6.000 € oder alternativ Reduktion des Knickstellengrenzsteuersatzes auf
20 % würde jeweils rund 18,5 Mrd. € kosten.
Sollen die Aufkommensausfälle auf 15 Mrd. € begrenzt werden, so werden
vier Tarifoptionen diskutiert: je zwei mit einer Gegennanzierung durch
Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 42,7 % bzw. 42,8 % und gleichzei-
tiger Anhebung des Reichensteuersatzes auf 47 % und je zwei Varianten, in
denen alle Steuerpichtigen entlastet werden, wobei die durch Reduktion
des Mittelstandsbauches automatisch verursachte Entlastung von Hochein-
kommensbeziehern durch ein geringeres Entlastungsvolumen für mittlere
Einkommenshöhen kompensiert werden muss.
Damit gilt es, die folgenden Ergebnisse festzuhalten:
1. Die Reduktion des Mittelstandsbauches ist geeignet, mittlere Einkom-
men zu entlasten.
2. Ohne Gegennanzierungsmaßnahmen entlastet die Reduktion des Mit-
telstandsbauches alle Steuerzahler, wobei die absolute Entlastungshöhe
für diejenigen, die bereits dem Spitzen- oder Reichensteuersatz unterlie-
gen, am höchsten ist.
3. Eine Erhöhung der Wertgrenze, ab der der Spitzensteuersatz zu zahlen
ist, führt zu einer Verstärkung des Mittelstandsbauches, da sie – cete-
ris paribus – die Steigung im 2. direkt-progressiven Tarifabschnitt ver-
ringert. Sie sollte deshalb jedenfalls dann vermieden werden, falls die
Reduktion des Mittelstandsbauches Priorität genießt. Die Rechtsver-
schiebung der Wertgrenze ist im Übrigen nicht geboten, um mittlere
Einkommen zu entlasten. Sie führt aber zu einer gleichmäßigeren relati-
ven Entlastung der mittleren Einkommen.
4. Eine „moderate“ Anhebung des Spitzensteuersatzes um 0,7 %-Punkte
oder 0,8 %-Punkte bei gleichzeitiger Anhebung des Reichensteuersatzes
um 2 %-Punkte würde das Entlastungspotential für mittlere Einkommen
erhöhen und gleichzeitig erst bei Einkommen ab ca. 150.000 € zu einer
Erhöhung der Steuerlast (im Vergleich zum 2017er Tarif) führen.
57
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onalen und internationalen Steuerrechts
Nr. 506 Hey/Birk/Prinz/v. Wolfersdorff/Piltz, Zukunft der Erbschaftsteuer,
Wege aus dem Reformdilemma aus verfassungsrechtlicher, ökono-
mischer und rechtspraktischer Sicht
Nr. 507
Die Vorschläge zum steuerpolitischen Ideenwettbewerb
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Article
Taxes on high income and wealth are controversial in optimal taxation theory and tax policy. In models that are based on few estimable parameters, optimal top tax rates hinge on taxpayers' behavioral responses and top income concentration. Depending on the magnitude of the responses optimal top tax rates span from 25 percent ("Kirchhof") to 75 percent ("Hollande"). Tax avoidance often stems from insufficient regulations of tax law and tax administration. In terms of economic efficiency and tax policy tax avoidance adjustments are different from changes in real economic behavior since tax policy could reduce the former, at least in the long run. In Optimalsteuerlehre und Steuerpolitik werden Steuern auf hohere Einkommen und Vermogen kontrovers diskutiert. In Modellen, die auf wenigen empirisch zu bestimmenden Parametern beruhen, hangen die optimalen Spitzensteuersatze von den Anpassungsreaktionen der Steuerpflichtigen und von der Einkommenskonzentration ab. Je nach Starke der Ausweichreaktionen reichen die optimalen Spitzensteuersatze von 25 Prozent ("Kirchhof") bis 75 Prozent ("Hollande"). Viele Steuervermeidungsmoglichkeiten beruhen auf unzureichenden steuerrechtlichen und technischen Regelungen. Diese sind unter wohlfahrts- und steuerpolitischen Gesichtspunkten anders zu beurteilen als realwirtschaftliche Verhaltensanpassungen und konnen zumindest langerfristig eingeschrankt werden.
Chapter
This chapter discusses the more general properties of the optimum income tax schedule and the rules governing these properties. A discussion of special cases is also included, along with the presentation of numerical results. It is important to note that the discussions in the chapter are based on seven simplifying assumptions, which are relayed in the first part of the chapter.
Article
Der Abbau der kalten Progression wird aktuell wieder diskutiert. An einigen Eckwerten des Einkommensteuertarifs lässt sich zeigen, dass die tatsächliche Entwicklung deutlich von den zum Ausgleich der Inflation erforderlichen Tarifänderungen abweicht. Die Autoren berechnen die Mindereinnahmen bei Einführung eines Tarifs auf Rädern und bei Anhebung des Grundfreibetrags. In einer Verteilungsanalyse zeigen sie, dass die Entlastungseffekte hoch sind — absolut für hohe Einkommen, relativ für niedrige Einkommen.
Article
One proposition of the popular median-voter hypothesis is a positive relationship between demand for redistribution and levels of inequality. However, empirical evidence of this relationship is scarce. A major shortcoming of previous research is that it is either cross-sectional, which casts general doubt on the causal nature of the estimates, or it is longitudinal and based on aggregated data, which makes it difficult to control for compositional effects or to analyze the individual-level implications of the hypothesis. This article estimates cross-sectional and longitudinal effects of inequality, while simultaneously controlling for the composition of data at the individual level. The article finds a positive within-country effect of inequality on demand for redistribution but no such relationship between countries. This finding points to an unobserved variable at the country level. Following the literature, the article considers welfare regimes as a possible factor capturing these unobserved country differences. However, none of the existing welfare regime typologies performs well in terms of capturing unobserved heterogeneity or in general explanatory power. All in all, the article finds robust support for the proposition that demand for redistribution is positively related to inequality, but it casts doubt on the utility of cross-sectional analysis and the welfare regime approach.
Article
This paper proposes to evaluate tax reforms by aggregating money metric losses and gains of different individuals using "generalized social marginal welfare weights." Optimum tax formulas take the same form as standard welfarist tax formulas by simply substituting standard marginal social welfare weights with those generalized weights. Weights directly capture society's concerns for fairness without being necessarily tied to individual utilities. Suitable weights can help reconcile discrepancies between the welfarist approach and actual tax practice, as well as unify in an operational way the most prominent alternatives to utilitarianism such as Libertarianism, equality of opportunity, or poverty alleviation.
Article
This paper reviews recent developments in the theory of optimal labor income taxation. We emphasize connections between theory and empirical work that were initially lacking from optimal income tax theory. First, we provide historical and international background on labor income taxation and means-tested transfers. Second, we present the simple model of optimal linear taxation. Third, we consider optimal nonlinear income taxation with particular emphasis on the optimal top tax rate and the optimal profile of means-tested transfers. Fourth, we consider various extensions of the standard model including tax avoidance and income shifting, international migration, models with rent-seeking, relative income concerns, the treatment of couples and children, and non-cash transfers. Finally, we discuss limitations of the standard utilitarian approach and briefly review alternatives. In all cases, we use the simplest possible models and show how optimal tax formulas can be derived and expressed in terms of sufficient statistics that include social marginal welfare weights capturing society's value for redistribution, behavioral elasticities capturing the efficiency costs of taxation, as well as parameters of the earnings distribution. We also emphasize connections between actual practice and the predictions from theory, and in particular the limitations of both theory and empirical work in settling the political debate on optimal labor income taxation and transfers.Institutional subscribers to the NBER working paper series, and residents of developing countries may download this paper without additional charge at www.nber.org.
Book
An economist examines the evolution of optimal tax analysis and its influence on tax policy design. Many things inform a country's choice of tax system, including political considerations, public opinion, bureaucratic complexities, and ideas drawn from theoretical analysis. In this book, Robin Boadway examines the role of optimal tax analysis in informing and influencing tax policy design. Scholars of public economics formulate models of optimal tax-transfer systems based on normative principles that reflect efficiency and equity considerations. They use that analysis to form views about the optimal design or reform of actual tax systems that are much more complicated than their models. Boadway argues that there is an important symbiosis between ideas drawn from normative tax analysis and tax policies actually enacted. Ideas germinated by normative analyses have led to the widespread adoption of the value-added tax, the use of refundable tax credits, and various business tax reforms. Other ideas provide rationales for existing features of tax systems, including the tax treatment of retirement savings and human capital investment. Boadway charts the evolution of optimal tax analysis and discusses the lessons it holds for tax policy. He describes the theoretical challenges posed by recent findings in such fields as behavioral economics and social choice and considers how optimal tax analysis might adapt to these new paradigms. His analysis offers a timely assessment of the role that optimal tax theory has played in establishing the principles that continue to inform tax policy.
Die Belastungs-und Aufkommenswirkung der kalten Progression
  • Martin Beznoska
Beznoska, Martin (2016): Die Belastungs-und Aufkommenswirkung der kalten Progression. Working Paper.
Effizienz oder Gerechtigkeit? Ungleiche Einkommen, ungleiche Vermögen und Optimale Steuern
  • Felix J Bierbrauer
Bierbrauer, Felix J. (2016): Effizienz oder Gerechtigkeit? Ungleiche Einkommen, ungleiche Vermögen und Optimale Steuern, in Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Vol. 17, 2-24.
Orientierung in schwierigen Zeiten -für ein erfolgreiches Deutschland und Europa. Beschluss des 29
CDU (2016): Orientierung in schwierigen Zeiten -für ein erfolgreiches Deutschland und Europa. Beschluss des 29. Parteitags der CDU Deutschlands, https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/cdupt16_orien-tierung_inschwierigenzeitenfuereinerfolgreichesdeutschlandundeuropa_0. pdf?file=1 (3.1.2017).