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Abstract

In Kooperation mit der Ideal Spaces Working Group präsentierten Studenten der Hochschule Furtwangen auf der Architekturbiennale eine interaktive Installation, die sich damit auseinandersetzte, wie das Zusammenleben in Zukunft funktionieren könnte. Dabei referenzierten sie einerseits historische Überlegungen zur »idealen Stadt«, eröffneten jedoch auch allen Besuchern der Ausstellung die Möglichkeit, ihre eigene Lebenswelt zu gestalten. Dafür entwickelten sie neue Tools, um eine intuitive und haptische Bedienung der Software zu ermöglichen.
Ideale Städte - Furtwanger Studierende präsentieren ihre Arbeiten auf der Architektur-
Biennale in Venedig 2016
Matthias Wölfel, Andreas Sieß, Hana Rude, Daniel Hepperle, Nico Häffner, Andreas Schau-
mann, Hochschule Furtwangen
In Kooperation mit der Ideal Spaces Working Group präsentierten Studenten der Hochschule Furtwangen auf der Archi-
tekturbiennale eine interaktive Installation, die sich damit auseinandersetzte, wie das Zusammenleben in Zukunft funktio-
nieren könnte. Dabei referenzierten sie einerseits historische Überlegungen zur »idealen Stadt«, eröffneten jedoch auch
allen Besuchern der Ausstellung die Möglichkeit, ihre eigene Lebenswelt zu gestalten. Dafür entwickelten sie neue Tools,
um eine intuitive und haptische Bedienung der Software zu ermöglichen.
Neue Herausforderungen
Die Architektur des 21. Jahrhunderts
steht vor großen Herausforderungen:
Klimawandel, demogra sche Entwick-
lungen, Wohlstandsverteilung, Res-
sourcenknappheit und nicht zuletzt die
stetige Urbanisierung sind nur einige
Schlagwörter, mit denen sich die Ar-
chitektur auch als soziale Wissenschaft
auseinandersetzen muss. Hinzu kom-
men die unterschiedlichen Anforderun-
gen an die Gebäude in verschiedenen
Regionen dieser Welt, auch in Bezug
auf geologische oder wetterbe dingte
Besonderheiten.
Dass auf diese komplexen Zusam-
menhänge nicht eine allgemeingültige
Antwort gegeben werden kann, liegt
auf der Hand. Ein internationales Team
aus Wissenschaftlern, Designern und
Architekten gründete dazu die »Ideal
Spaces Working Group« als unabhän-
giges und freies Kollektiv. Gemeinsam
setzen sich die Mitglieder der Gruppe
damit auseinander, wie Raum ideal
genutzt werden kann – hinsichtlich
Umsetzung und Planung, ebenso wie
in Bezug auf erlebte und geträumte
Wunschvorstellungen – um so die Welt
von morgen mitzugestalten. Besucher
ihrer Ausstellungen sollen dazu ange-
regt werden, sich ihre eigenen Gedan-
ken hierzu zu machen und so am Ge-
samtkonzept für die Welt von morgen
teilzuhaben.
Präsentation auf der Architekturbien-
nale
Im Rahmen der diesjährigen La Bi-
ennale di Venezia – 15. Mostra Inter-
nazionale di Architettura konzipierte
die »Ideal Spaces Working Group« in
Zusammenarbeit mit der studentischen
Forschungsgruppe der Fakultät Digitale
Medien an der Hochschule Furtwan-
gen eine interaktive und multimediale
Installation, die nicht darauf abzielte,
allgemeingültige Antworten zu ge-
ben, sondern eher die richtigen Fragen
zu stellen. Wie hat sich Leonardo da
Vinci seine »ideale« Stadt vorgestellt?
Welche Erkenntnisse ergeben sich aus
formatierten Planstädten wie Karlsruhe
oder aus vollkommenen Utopien wie
Geoffrey Jellicoes »Motopia« oder Tony
Garniers »Cité Industrielle«? Kann ein
ungeplant wuchernder Slum auch ide-
ale Fragmente aufweisen?
Um diesen Fragestellungen nachzu-
gehen, wurden die historischen Über-
legungen zur idealen Stadt in enger
Zusammenarbeit mit Historikern und
in Abstimmung mit der Quellenlage
komplett in 3D nachmodelliert.
Ideale Welten: Zwischen Utopie und
Makellosigkeit
Die Installation spielte bewusst mit
der Dualität des Wortes »ideal«, das
zum einen als inneres Weltbild als
auch als Perfektionismus interpretiert
werden kann – lassen sich die beiden
Pole »technokratische Makellosigkeit«
und »utopische Wunschvorstellung«
überhaupt vereinen? Wie sehr sind wir
Europäer sowohl von unserem okzi-
dentalen Weltbild als auch von unserer
kulturellen Vergangenheit beein usst?
Kann das, was gemeinhin in der Theo-
rie als ideal de niert wird, dem per-
sönlichen Emp nden der Menschen
standhalten? Kann eine so große Masse
an Menschen, wie sie in einem urba-
nen Umfeld zusammenlebt, überhaupt
einen Konsens darüber nden, was
– in beider Hinsicht – ideal ist? Oder
müssen wir akzeptieren, dass das indi-
viduelle Idealbild nicht zwangsweise
mit den Ansprüchen des Kollektivs ver-
einbar ist? Darüber hinausgehend: wie
viel Raum wird der Individualität und
Individualisierbarkeit gegeben?
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V.l.n.r.: A. Sieß, N. Häffner, D. Hepperle, H.
Rude und Prof. Dr. M. Wölfel
Abb. 1: „Motopia“ ist eine Vision des Architekten Geoffrey Jellicoe aus dem Jahr 1960: Die Straßen auf den Hausdächern sollen
sicherstellen, dass sich Fußgänger und Autofahrer nicht mehr begegnen. Großzügig angelegte Parks und Wasser ächen innerhalb
des „Grids“ sollen das Gegengewicht zu der Asphaltwelt bilden.
Die hier angesprochenen histori-
schen Pläne der Städtebauer sollten je-
doch bewusst nicht leeres Framework
bleiben, das dann zwangsweise und
widerwillig mit Leben befüllt wird, in
der diffusen Hoffnung, dass sich die
scharfen Kanten der planlichen De -
zite schon irgendwie durch dauernden
Gebrauch abschleifen. Indem die-
se Idealvorstellungen verschiedener
Künstler und Architekten innerhalb
einer begehbaren Rundumprojektion
erlebbar gemacht wurden, konnten
sich Besucher besser vorstellen, wie
es wohl gewesen sein mag, in diesen
Städten zu leben. Während sie durch
die jeweilige Stadt liefen, merkten sie,
ob sie sich dort wohlfühlen – oder
eben nicht. Dies mag durchaus die ei-
gene Vorstellung dessen, was bisher als
ideal empfunden wurde, verändern.
Intuitive Partizipationsmöglichkeiten
Letztendlich stellt sich eine Kern-
frage: »Wie wollen wir zusammenle-
ben?«
Um dieser Frage nachzugehen, hat-
ten die Besucher zudem die Gelegen-
heit, sich selbst ihre ideale Stadt zu
bauen. Es versteht sich dabei von selbst,
dass der intuitive Pioniergeist vollkom-
men andere Werkzeuge braucht, als
der ausgebildete Planer. Dazu entstan-
den zwei interaktive Tische mit einer
gemeinsamen Projektions äche an der
dahinterliegenden Wand. Der erste
Tisch erlaubte es, mittels Quarzsand
das – digitale – Terrain der Stadt zu ge-
stalten: Ob sich der Besucher eine Kü-
stenstadt, ein Archipel oder die klassi-
sche »grüne Wiese« wünscht, konnte er
intuitiv und unmittelbar durch das For-
men »mit den eigenen Händen« um-
setzen. Auf dem zweiten Tisch konnte
durch das Platzieren, Verschieben oder
Rotieren von physischen Objekten auf
einer Glasober äche einerseits die Po-
sition markanter Gebäude innerhalb
der Stadt bestimmt, als auch durch
»Malgesten« mit gegebenen Objekten
die Bebauungsdichte der einzelnen
Wohnviertel sowie die Verteilung von
allel bedient werden konnten, war es
zudem interessant zu beobachten, dass
unabhängige Besuchergruppen unmit-
telbar die Installation simultan zu nut-
zen begannen und auf diese Weise in
einen Dialog traten. In gewissem Maße
unerwartet war das Nutzerverhalten an
dem zweiten interaktiven Tisch: Die
Befürchtung, dass Besucher sich an
diesem Tisch zunächst mit Touchge-
sten versuchen würden, wurde über-
raschenderweise nicht erfüllt. Die ein-
ladenden haptischen Objekte und das
eventuelle Beobachten der Interaktion
anderer Besucher scheinen als Anlei-
tung vollkommen ausreichend gewe-
sen zu sein.
Teilweise unklar war die Funktionen
des Save-Schalters, welcher die indivi-
duell gestaltete Stadt abspeicherte und
dem Besucher in Bilderform online zur
Verfügung stellte. Trotz gegenteiligem
Piktogramm verstand die Mehrzahl
der Besucher den Schalter zunächst
als Einstiegs- oder Startpunkt in die
Installation. In diesem Fall überlagerte
gelerntes Verhalten das dargebotene
Onboarding. Hier lässt sich dement-
sprechend Optimierungspotenzial für
das Interaktionskonzept ausmachen.
Ebenfalls sollte der Anreiz zur Be-
nutzung der »Malgesten« überdacht
werden, da diese meist eine zusätz-
liche, verbale Erklärung erforderten.
Die damit mögliche Veränderung des
Straßennetzes oder der Fassaden er-
schien auf der Projektions äche nicht
markant genug, so dass dem Interagie-
renden nicht unmittelbar die Funktion
dieser klar wurde.
Ausblick
In Kooperation mit Interaktions- und
Kommunikationsdesignern, Archi-
tekten, Städtebauern und Historikern
entstand eine Ausstellung, die ganz
bewusst keine kommerziellen Inter-
essen verfolgt, sondern einfach jeden
Besucher einlädt, seine ganz eigene
Vorstellung der »idealen Stadt« zu ent-
Park- und Grün ächen angepasst wer-
den. Das 3D-Stadtmodell aktualisierte
sich dabei in Echtzeit und zeigt dem
Besucher immer »seine« gegenwärtige
Stadt an.
Diese haptische Eingabemethode
bricht ganz bewusst mit den Paradig-
men herkömmlicher Planungssoftware,
um den Besucher eben nicht bereits
durch komplizierte Bedienkonzepte
einzuschränken. So wird sie auch für
diejenigen Besucher zugänglich, die
tendenziell vor eben diesen Bedien-
konzepten zurückschrecken. Es bedarf
keiner Vorkenntnisse, um seine Vorstel-
lung einer idealen Lebenswelt inner-
halb des vorgegebenen Rahmens zu
visualisieren.
Beobachtungen und Resumée
Aus der Beobachtung und Analyse
der Besucherinteraktionen konnten
einige wichtige Erkenntnisse zum An-
klang, zur Relevanz und zu möglichen
Optimierungen der Installation erlangt
werden. Zuallererst lässt sich feststel-
len, dass stets ein reger, heterogener
Besucherstrom zu verzeichnen war.
An der Installation fanden zahlreiche
Menschen Gefallen, über alle Alters-
und Professionsgrenzen hinweg. Aus-
schlaggebend waren sicherlich das in-
tuitive und einnehmende Bedienkon-
zept sowie der Verzicht auf Anleitungs-
oder Erklärtexte zur Nutzerführung.
Statt einen textbasierten Ansatz wurde
auf eine piktogra sche Lösung zurück-
gegriffen, um Kultur- und Sprachbarrie-
ren so weit wie möglich zu umgehen.
Da die beiden interaktiven Tische par-
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Abb. 3: Die „Wasserstadt“
von Leonardo da Vinci
wie sie in der Ausstellung
gezeigt wurde. Die Pro-
jektion wurde mittels drei
synchronisierten Projek-
toren auf einer dem men-
schlichen Sichtfeld nach-
empfundenen gekrümmten
Leinwand gezeigt.
Abb. 2: Die „Cité industri-
elle“ ist der Entwurf einer
utopischen Industriestadt des
Architekten Tony Garnier.
Der Ent wurf einer städtebau-
lichen Studie für ca. 35.000
Menschen entstanden um
1900 und folgt den vier
Hauptprinzipien: Funktio na -
lismus, Raum, Grün und Son-
neneinstrahlung.
wickeln. Wie zuvor erwähnt, werden
die Überlegungen der einzelnen Besu-
cher archiviert und durch die Websei-
te www.idealspaces.org sichtbar ge-
macht. Hierbei sollen jedoch nicht
nur »schöne Bilder« gezeigt werden.
Vielmehr werden die Daten statistisch
ausgewertet, um Übereinstimmungen
innerhalb der verschiedenen Eingaben
zu identi zieren. Die Frage, ob es zu-
mindest bei den Besuchern der Bien-
nale einen gewissen Konsens in Bezug
auf ihre persönliche Idealvorstellung
für eine Stadt gibt, könnte auf diese
Weise beantwortet werden.
Die Ausstellung war vom 28. Mai bis
zum 27. November 2016 im Rahmen
der »Eventi Collaterali« der La Bien-
nale di Venezia – 15. Mostra Interna-
zionale di Architettura zu sehen. Die
Installation wurde in den Räumlichkei-
ten des Palazzo Mora im Rahmen des
Programms »Time Space Existence«
der Global Art Affairs (GAA) Foundati-
on ausgestellt und für den GAA Award
2016 nominiert. Ein kurzes Video n-
det sich unter dem Link: https://www.
youtube.com/watch?v=E8G8klj8dow
Autoren
Prof. Dr. Matthias Wölfel ist Pro-
fessor für Interaktive Medien an der
Fakultät Digitale Medien der Hoch-
schule Furtwangen. Die Studierenden
aus den Masterstudiengängen »Design
Interaktiver Medien« und »Medienin-
formatik« waren Nico Häffner, Daniel
Hepperle, Hana Rude, Andreas Schau-
mann; Andreas Sieß war Mitglied des
Projektteams.
Kontakt
Matthias Wölfel, Fakultät Digita-
le Medien, Hochschule Furtwangen,
Robert-Gerwig-Platz 1, 78120 Furtwan-
gen, matthias.woelfel@hs-furtwangen.
de, www.hs-furtwangen.de
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Abb. 4: Intuitive Stadt-
planung mittel Sand und
Objekten auf zwei interak-
tiven Tischen.
Die Konferenz “#Innovationtelling” an der Hochschule der Medien Stuttgart
(Marie Elisabeth Müller, HdM Stutt-
gart) Am 23.11.2016 fand zum ersten
Mal der “Innovation Day” an der Hoch-
schule der Medien Stuttgart statt. Der
Studiengang Online-Medien-Manage-
ment und Professorin Dr. Marie Elisabeth
Müller veranstalteten am “Inno vation
Day” die englisch-sprachige Konferenz
#Innovationtelling.
Das #Innovationtelling ist eine neue
Storytelling Technik, die Prof. Müller
aufgrund ihrer Erfahrungen im Mobile
Journalismus entwickelt hat (siehe: ht-
tps://medium.com/me/stories/public).
Dabei liegt der Fokus auf Strategien,
“Open Innovation” auf Storytelling, auf
Content Produktion und auf Verände-
rungsmanagement zu übertragen.
Zahlreiche Impulsvorträge gaben In-
put zu aktuellen Trends beispielsweise
zu “The power of purposeful social me-
dia storytelling” (Fabian Ulitzka, Klick-
konzept), zu “Implementing innovation
in a conventional production work ow”
(Christian Kubis, Festo), zum “Attempt
to innovate a publishing house” (Laura
Schmidt, Südwestdeutsche Medienhol-
ding), zu “Agile Strategy for new re-
quirements” (Sarah Spitzer, HdM) oder
auch zum “Athena Project - developing
an innovative and intelligent humano-
id” (Claudia Dä er, Max-Planck-Institut
für Intelligente Systeme).
Nachwuchsreporter erklärten das
innovative medienrechtliche Lehrfor-
mat “Moot Court” (Tobias Keber) an
der HdM, bei dem Studierende so-
wohl als Angeklagte und Staatsanwälte
agieren als auch als Real-time reporter
mit Mobile darüber berichten und da-
für gemeinsam mit deutschen und mit
Abb.: Journalisten und Storyteller arbeiten im Digitalen Ecosystem international zusam-
men an der Schnittstelle zu neuester mobiler und immersiver Technologie. Yusuf Omar und
Sanshey Biswas bauen bei der Hindustan Times (HT) in Neu Delhi den weltweit größten
Mobile Newsroom mit 750 Reportern auf. Im November 2016 posteten beide ein Sel e vor
dem Cover der HT mit mobiler Produktions-Technologie. HdM Studentin Aline Spantig pro-
duzierte spontan ein ebensolches Meme-Sel e vor dem Cover der Stuttgarter Zeitung (StZ)
und taggte beide in ihrem Post. Und Spantig hat nun eine Einladung zur HT. So funktioniert
#Innovationtelling, qualitativer Content in Echtzeit, mobil, kreativ, interaktiv und relevant.
(Rechte: Aline Spantig)
dänischen Dozenten von der DMJX in
Aarhus trainieren (Marie Elisabeth Mül-
ler und Kristian Strøbech).
Die #Innovationtelling Konferenz nah-
men viele Studierende wahr, um sich mit
regionalen und internationalen Partnern
aus der Industrie und Professoren auszu-
tauschen, zu vernetzen und Impulse für
aktuelle Arbeiten mitzunehmen.
Im Frühjahr 2017 wird #Innovati-
ontelling als erster Band der neuen eng-
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