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W. Lienhart (Hrsg.), Ingenieurvermessung 2017
© Herbert Wichmann Verlag
Nivellieren mit bildunterstützten Totalstationen
Wolfgang WIEDEMANN, Andreas WAGNER und Thomas WUNDERLICH
Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch anonyme Fachkollegen als „peer reviewed paper“
angenommen.
1 Einleitung
Nahezu alle Hersteller von Totalstationen verfügen heutzutage über Instrumente mit inte-
grierten Kameras in ihrem Produktportfolio. Diese Geräte werden im Allgemeinen als bild-
unterstützte Totalstationen bzw. Image Assisted Total Stations (IATS) bezeichnet. Derzeit
werden die Bilder der integrierten Kameras nur bedingt für die Gewinnung tatsächlicher
Messwerte herangezogen; meist dienen diese nur zur Dokumentation und zur ergonomische-
ren Gestaltung der alltäglichen Messabläufe. Die Onboard-Applikationen erlauben es, in ei-
ner Art Augmented Reality, die Bilder bzw. das Live-Video mit Mess- und Planungsdaten
zu überlagern. Dies ist möglich, da die Bilder über die Stationierung des Instrumentes und
die Winkelabgriffe – eine sorgfältige Kalibrierung vorausgesetzt – direkt georeferenziert und
orientiert sind. Die Aufnahmen der IATS lassen sich auch an eine Fernsteuerung übertragen,
wodurch die Bedienung im Ein-Personen-Betrieb erheblich erleichtert wird.
Neben den Funktionen, die von den Herstellern bereitgestellt werden, ermöglichen die hoch-
auflösenden Farbbilder einer IATS die Entwicklung neuer Messmethoden, die Informationen
aus den Bildern ableiten und nutzen. Die Aufnahmen einer Teleskopkamera, welche die Sicht
durch das Fernrohr auf einen Kamerachip abbilden, sind dabei besser geeignet als die Bilder
einer Übersichtskamera. Die starke optische Vergrößerung durch das Teleskop ermöglicht
ein höheres Auflösungsvermögen im Bild, d. h. eine geringere räumliche Fläche auf dem
Objekt, die auf einem Pixel abgebildet wird. Die Anwendungsfelder von IATS reichen von
Geo-Monitoring (WAGNER et al. 2014), über Structural Health Monitoring (EHRHART &
LIENHART 2015) bis zu industrieller Messtechnik (GUILLAUME et al. 2012).
Im vorliegenden Beitrag wird eine Methode zum Ablesen digitaler Nivellierlatten mittels
IATS präsentiert. Im Bild der Teleskopkamera wird nach mehreren Vorverarbeitungsschrit-
ten die Nivellierlatte mit einem Ausgleichungsverfahren über Kantenpositionen hochgenau
abgelesen. Startwerte für die unbekannte Höhe und Skalierung liefert ein vorgeschaltetes
Korrelationsverfahren. Mit dieser Methode, die universell für alle gängigen Nivellierlatten-
codes eingesetzt werden kann, erweitern sich die Anwendungsmöglichkeiten und Messme-
thoden einer IATS. So lassen sich z. B. die Höhe des Instrumentenhorizonts gegenüber einem
Bezugspunkt hochgenau bestimmen und Ablesefehler minimieren. Ebenfalls werden die
Möglichkeiten für Überwachungsmessungen erweitert. Hier bieten die motorisierten Achsen
der Totalstation einen Vorteil gegenüber Standardnivellieren, da es diese erlauben, automa-
tisiert Ziele unter verschiedenen Richtungen exakt anzufahren. Des Weiteren schafft die flä-
chenhafte Auswertung des Nivellierlattenbildes zusätzliche Robustheit bei der Höhenbestim-
mung. Das Lattenbild kann – anders als bei der punktuellen Messung auf Prismen – auch bei
teilweiser Verdeckung decodiert werden.
48 W. Wiedemann, A. Wagner und T. Wunderlich
2 Digitalnivelliere
Das Nivellement ist das Standardverfahren, um hochgenaue Höhenübertragungen zu reali-
sieren. Verwendet wird dazu ein Nivellier, das im Wesentlichen aus einem Teleskop besteht
und über eine optisch-mechanische Neigungskompensation eine sehr exakt horizontierbare
Ziellinie erzeugt. Digitale Nivelliere beinhalten zusätzlich einen Sensor zur Bildaufnahme
(meist einen CCD-Zeilensensor) und elektronische Komponenten für die Bildanalyse, die das
automatische Ablesen von digitalen Barcode-Nivellierlatten ermöglichen. Die klassische
(analoge) E-Einteilung wird dabei durch einen vom Hersteller abhängigen digitalen Barcode
ersetzt.
Für Nivellements erster Ordnung oder für andere hochgenaue Ingenieurvermessungsprojekte
kommen Präzisionsnivelliere in Kombination mit präzisen Nivellierlatten zum Einsatz, deren
Genauigkeit mit einer Standardabweichung von ≤ 0,5 mm/km Doppelnivellement angegeben
wird. Um diese Genauigkeit erreichen zu können, wird der Lattencode üblicherweise auf
einen Invarstreifen aufgebracht, der einen minimalen Wärmeausdehnungskoeffizienten
(< 10‒6 K‒1) aufweist. Zur Gewährleistung hochgenauer Ergebnisse und/oder im Rahmen von
Qualitätsmanagementanforderungen wie der DIN EN ISO 9001 ist eine regelmäßige Inspek-
tion der Messausrüstung erforderlich. Nationale und internationale Standards, z. B. DIN ISO
12858-1, definieren Parameter, die in periodischen Kalibrierungen zu untersuchen sind. Für
Invar-Nivellierlatten sind dies beispielsweise der Lattenmaßstab, die Lattenteilung (Einzel-
strichverbesserungen), der Nullpunktfehler und der Temperaturausdehnungskoeffizient.
Diese Parameter können mittels spezieller Kalibriereinrichtungen, wie z. B. die des Geodä-
tischen Prüflabors der Technischen Universität München (WASME IER & FOPPE 2006), be-
stimmt werden. Mit der in diesem Beitrag vorgestellten Methode lassen sich diese in Prüf-
einrichtungen bestimmten Korrekturwerte bei der Auswertung berücksichtigen.
Nachfolgend werden – zur Abgrenzung gegenüber dem hier vorgestellten Algorithmus – die
Verfahren der gängigen Gerätehersteller vorgestellt.
2.1 Digitale Nivellierlatten
Jeder Hersteller digitaler Nivellierausrüstungen benutzt ein eigenes Modulations- und Ana-
lyseverfahren und verwendet dazu ein eigenes Barcodemuster auf der Nivellierlatte. Haupt-
gründe hierfür liegen in Patentrechten an den einzelnen Lösungen (INGENSAND 2005), aber
auch in wirtschaftlichen Gründen, z. B. durch den zusätzlichen Verkauf der entsprechenden
Nivellierlatten bzw. der Lizenzrechte zur Fertigung. Zurzeit sind vier verschiedene Ausfüh-
rungen auf dem Markt erhältlich: digitale Nivellierlatten und Codierungen der Firmen Leica,
Sokkia, Topcon und Trimble (Zeiss), die in Abbildung 1 vergleichend dargestellt sind. Die
Codemuster, die in Längsrichtung auf den Nivellierlatten aufgebracht sind, werden bei einer
Ablesung mit einem CCD-Zeilensensor in eine digitale Intensitäts- und Positionsinformation
umgewandelt. Um eine zuverlässige Auswertung auch unter ungünstigen Beleuchtungsver-
hältnissen zu gewährleisten, wird in jeder Realisierung eine kontrastreiche Abgrenzung der
Balken vor dem Hintergrund (schwarz-weiß oder schwarz-gelb) verwendet.
Nivellieren mit bildunterstützen Totalstationen 49
Abb. 1: Verschiedene Nivellierlattencodierungen und deren Aufbau
Die Firma Leica Geosystems verwendet eine aperiodische pseudostochastische (binäre)
Codesequenz. Die Elemente des Barcodes sind so angeordnet, dass bereits kurze Abschnitte
der Codesequenz eindeutig sind. Die einzelnen Balken bestehen aus einem ganzzahligen
Vielfachen eines 2,025 mm breiten Basiselements (Abb. 1). Das breiteste auftretende
Codeelement besteht aus 15 Basiselementen, d. h. es besitzt eine Breite von 30,375 mm. Die
gesamte Codefolge ist über eine Länge von 4050 mm eindeutig, wodurch auch die maximale
Länge dieser Art von Nivellierlatten definiert ist.
Der Sokkia Random Bi-directional Code folgt einem konstanten Grundintervall von 16 mm
zwischen den Mitten zweier benachbarter Balken (Abb. 1). Die Balkenbreiten variieren zwi-
schen sechs verschiedenen Werten: 3, 4, 7, 8, 11 und 12 mm. Wie bei den Leica Nivellierlat-
ten ist die Codefolge so gewählt, dass bereits ein kurzer Bereich den Lattenabschnitt eindeu-
tig definiert. Für größere Entfernungen werden nur noch drei verschiedene Breiten in der
Auswertung unterschieden, da nicht mehr zwischen den nahe beieinanderliegenden Breiten
(3 und 4 mm, usw.) unterschieden werden kann.
Digitale Nivellierlatten der Firma Topcon sind mit einer Codierung versehen, die aus drei
verschiedenen Grundelementen – , und – besteht. Das Referenzmuster ist ein sich
wiederholendes Balkentripel konstanter Breite (Abb. 1). Die Balkenbreiten (1 – 10 mm) der
benachbarten Codeelemente und entsprechen den Amplituden zweier Sinusfunktionen
unterschiedlicher Wellenlängen mit einem zusätzlichen Phasenversatz zwischen und .
Das resultierende Gesamtmuster ist bis 11,4 m eindeutig.
Der Lattencode der Firma Zeiss (jetzt Trimble) besteht aus einem regelmäßigen Grundinter-
vall von 20 mm breiten weißen (gelben) bzw. schwarzen Elementen (Abb. 1). Diese werden
vom sog. Bi-Phasencode überlagert, der – je nach Wertigkeit – in der Mitte jedes Elements
einen zusätzlichen Hell-Dunkel-Wechsel einführt (Null-Bit) oder das Grundelement unver-
ändert lässt (Eins-Bit). Die ergänzende Information ist vergleichbar mit der Nummerierung
auf analogen Nivellierlatten und dient der Intervallzuordnung. Für Zielweiten unter 6 m ist
ein zusätzlicher Feincode mit 1 mm breiten Balken vorhanden.
Weitere Details zu den Codierungen sind u. a. in DEUMLICH & STAIGER (2002) oder INGEN-
SAND (2005) zu finden.
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2.2 Decodierung
Über die Decodierung des Lattenbildes wird der horizontalen Ziellinie des Instruments eine
Höhenablesung zugeordnet, sowie die Zielweite ermittelt. Codierungen mit einem konstan-
ten Grundabstand (Sokkia, Topcon & Zeiss) können aus dessen Abbildungsgröße Maß-
stab und Entfernung der Nivellierlatte berechnen. Die Auswerteverfahren von Sokkia und
Trimble bestimmen anschließend in einer Feinmessung das Intervall, auf welches das Pixel
des Strichkreuzes zeigt. Diese Höhenzuordnung erfolgt über Zusatzinformation aus dem Bi-
Phasencode, bzw. aus der Codierung mittels der Strichbreiten. Digitalnivelliere der Firma
Topcon verwenden eine Fast Fourier Transformation (FFT), um die Frequenz und Phasen-
lage der aufgebrachten Sinusfunktionen und damit die Höhe zu ermitteln. Die Distanz kann
aus der Bildgröße des Grundabstands oder der Frequenz des Referenzcodes berechnet wer-
den. Leica Nivelliergeräte nutzen ein Korrelationsverfahren zur Lösung der Unbekannten.
Die Stellung der Fokussierlinse liefert einen ersten Näherungswert für die Entfernung. In
einer Grobkorrelation wird das aufgenommene auf 1-Bit reduzierte Messsignal mit einem
bekannten Referenzmuster verglichen. Eine nachfolgende Feinoptimierung ermittelt dann in
einem reduzierten Suchbereich im 8-Bit Signal in feinerem Raster das Maximum der Korre-
lationskoeffizienten.
3 Methodik
Das Messprinzip der Digitalnivelliere ist auf bildunterstützte Totalstationen (IATS) übertrag-
bar und erweitert deren Anwendungsmöglichkeiten. Als Unterschiede zwischen beiden Ge-
räteklassen verbleiben allerdings das Arbeitsprinzip des Kompensators und das bewegliche
Teleskop. Im Fall eines Nivelliers wird das Fernrohr annähernd horizontal ausgerichtet; ein
am Schwerefeld ausgerichteter mechanischer Kompensator sorgt für eine horizontale Ziel-
achse. Im Fall der IATS erlaubt das Teleskop eine zusätzliche Rotation der Zielachse in der
Vertikalebene und damit auch nicht-horizontale Visuren. Die Neigung des Teleskopes lässt
sich über den Vertikalwinkelabgriff erfassen. Mit aktiviertem elektronischen Kompensator
beziehen sich diese ausgelesenen Winkel ebenfalls auf die Lotrichtung.
Das hier vorgestellte Verfahren mit IATS basiert auf dem Vergleich der im Bild detektierten
Barcodekanten (Hell-Dunkel-Wechsel) mit den Sollhöhen des Referenzcodes. Das Verfah-
ren ist universell für alle gängigen Nivellierlattencodes einsetzbar, solange der Referenzcode
bekannt ist. Der Messablauf besteht im Wesentlichen aus den gleichen Arbeitsschritten wie
mit einem Nivellier:
1. Datenerfassung
2. Bildvorverarbeitung
3. Decodierung
4. Berechnung des Höhenunterschieds
Die Datenerfassung besteht aus der Bildaufnahme der Nivellierlatte und dem Auslesen zu-
sätzlich relevanter Sensorwerte (Kap. 3.1). In der Bildvorverarbeitung werden die geometri-
schen Abbildungsfehler der Kamera und eine eventuelle perspektivische Verzerrung des Bil-
des korrigiert, sowie die relevanten Informationen aus der Aufnahme extrahiert (Kap. 3.2).
Die anschließende Decodierung ist für eine effiziente Berechnung in einen zweistufigen Pro-
zess geteilt. Mit einer korrelationsbasierten Grobsuche (Kap. 3.3) wird der im Bild sichtbare
Nivellieren mit bildunterstützen Totalstationen 51
Codeausschnitt bestimmt. In einem zweiten Schritt werden subpixelgenau Kanten im Grau-
wertbild berechnet und mit den Sollkanten des Referenzmusters verglichen (Kap. 3.4). Dies
erfolgt in einer Ausgleichung nach der Methode der kleinsten Quadrate mit Näherungswerten
aus der korrelationsbasierten Grobsuche. Da die Aufnahmen nicht zwingend in horizontaler
Fernrohrlage erfolgen, ist für die Bestimmung der endgültigen Höhenablesung noch eine zu-
sätzliche trigonometrische Korrektur in Abhängigkeit von Objektdistanz und Vertikalwinkel
notwendig (Kap. 3.5).
Die einzelnen Prozessierungsschritte, um aus den IATS-Daten zu einer Höhenablesung zu
gelangen, werden im Folgenden detailliert beschrieben.
3.1 Datenerfassung
Für die Bildaufnahme muss die IATS auf die Nivellierlatte ausgerichtet werden. Dies erfolgt
im einfachsten Fall durch manuelles Anzielen; bei bekannter Lattenposition – z. B. bei dau-
erhaftem Monitoring – kann dies auch vollautomatisch durch Anfahren der entsprechenden
Winkelwerte mit den motorisierten Achsen der Totalstation erfolgen. Anschließend wird das
Fernrohr auf die Nivellierlatte fokussiert. Dies kann ebenfalls manuell durch den Bediener
oder vollautomatisch über die Autofokus-Funktion des Instrumentes erfolgen. Die Stellung
der Fokussierlinse wird im Gerät abgefragt und gespeichert, da die Kalibrierparameter der
Teleskopkamera abhängig von der Fokusstellung sind (KNOBLACH 2009; WASMEIER 2009).
Im Gegensatz zu (Leica-) Digitalnivellieren wird dieser Wert nicht zur Berechnung einer
Näherungsdistanz verwendet. Stattdessen wird die Zielweite mittels reflektorloser Distanz-
messung bestimmt, die eine höhere Genauigkeit von ca. ±2 mm liefert. Eine Bildaufnahme
bei gleichzeitiger Ablesung und Speicherung des Vertikalwinkels schließt den Prozess der
Datenerfassung ab. In Kombination mit den a priori bestimmten Kalibrierparametern der Ka-
mera und den erfassten Daten Fokusstellung, Horizontaldistanz und Vertikalwinkel ist das
Bild vollständig im Raum orientiert.
3.2 Bildvorverarbeitung
Eine Verzeichnung des Bildes, hervorgerufen durch geometrischer Abbildungsfehler des op-
tischen Systems, wird mit a-priori bestimmten Kalibrierparametern korrigiert. Werden die
Bilder unter einer nicht-horizontalen Ausrichtung der IATS (Vertikalwinkel ≠ 100 gon
oder ≠ 300 gon) aufgenommen, wird der Lattencode zusätzlich perspektivisch verzerrt auf
dem Kamerasensor abgebildet. Dieser Verzerrungseffekt kann durch eine Homographie
(projektive Transformation) beschrieben werden. Ein Punkt , aufgenommen von der Ka-
meraposition mit nicht-horizontaler Fernrohrausrichtung, wird im Bild einer virtuellen ho-
rizontalen Kamera an der Position abgebildet, vgl. HARTLEY & ZISSERMAN (2010):
=
(1)
=1
(2
)
Mit der – aus einer Kamerakalibrierung – bekannten inneren Orientierung der Kamera ,
dem Normalenvektor (senkrecht zu einer perfekt ausgerichteten Nivellierlatte), der Hori-
zontalstrecke , sowie der Rotationsmatrix und dem Verschiebungsvektor zwischen re-
52 W. Wiedemann, A. Wagner und T. Wunderlich
aler und virtueller Kameraausrichtung kann das Bild so entzerrt werden, wie es für eine ho-
rizontal ausgerichtete Kamera erscheinen würde (Abb. 2). Die o. g. Parameter werden aus
dem abgegriffenen Vertikalwinkel, der gemessenen Distanz zur Nivellierlatte und den Ka-
librierwerten berechnet. Es sei darauf hingewiesen, dass sich diese Korrektur nur auf die per-
spektivische Verzerrung bezieht, die von der Kameraposition hervorgerufen wird. Verzer-
rungen, die auf eine verdrehte (Rotation um die vertikale Achse) oder verkippte Nivellierlatte
zurückzuführen sind, bleiben unberücksichtigt.
Abb.
2:
Entzerrung des Nivellierlattenbildes
: n
otwendige Parameter
zur Berechnung der Homographie
Aus dem entzerrten Farbbild (RGB) wird ein vertikaler Streifen um die Bildmitte extrahiert,
der den Barcode enthält. Die Größe des auszuschneidenden Bereiches wird aus bekannter
Invarstreifenbreite, gemessener Distanz und der Brennweite der Teleskopkamera berechnet.
Zur weiteren Verwendung werden die RGB-Informationen zuerst in 8-Bit-Graustufen umge-
wandelt. Aus diesem Bild werden später die subpixelgenauen Kanten für die abschließende
Ausgleichung extrahiert. Für die vorausgehende korrelationsbasierte Grobsuche muss das
Graustufenbild zunächst in ein binäres Signal weiterverarbeitet werden.
Abb. 3: Bildvorverarbeitungsschritte zur Decodierung des digitalen Nivellierlattencodes –
vom 2D-Ausschnitt des Farbbildes zum binären 1D-Signal
Nivellieren mit bildunterstützen Totalstationen 53
Abbildung 3 zeigt die Schritte der Binärcodegenerierung für das Korrelationsverfahren. Zur
Rauschminimierung wird das zweidimensionale Grauwertbild geglättet, indem jede Zeile zu
jeweils einem einzelnen Pixel gemittelt und der Wertebereich aller Mittelwerte auf den vollen
8-Bit-Bereich gespreizt wird. Mittels eines Schwellwertoperators wird anschließend ein Bi-
när-Signal erzeugt, welches im Weiteren für die schnelle Suche eines Näherungswertes für
die Lattenablesung dient (Kap. 3.3).
In den Grauwertbildern werden die Kanten des Barcodes subpixelgenau bestimmt, welche
anschließend für eine präzise Höhenablesung dienen. Für die Kantendetektion wird ein An-
satz gewählt, der im Wesentlichen auf dem Prozedere von BURNS et al. (1986) beruht. Der
Algorithmus gliedert sich in vier Teilschritte, siehe Abb. 4: Zuerst wird das gesamte Bild mit
einem Gauß-Filter geglättet, um das Rauschen zu minimieren (1). Danach werden mithilfe
eines Sobel-Operators Gradientenrichtung und -stärke für jeden Pixel bestimmt (2). Anhand
der Richtungen lassen sich die Pixel klassifizieren und in zusammenhängende Bereiche mit
ähnlichen Winkelwerten gruppieren (3). Im vorliegenden Fall werden nur Pixelgruppen ge-
bildet, deren Gradienten in Längsrichtung des Lattencodes zeigen, d. h. im Weiteren werden
nur annähernd horizontale Strukturen berücksichtigt. Gruppen, deren Pixelanzahl einen ent-
fernungsabhängigen Schwellwert unterschreiten, werden ebenfalls von der Berechnung aus-
geschlossen. Durch jeden der verbleibenden Bereiche wird eine ausgleichende Gerade nach
der Methode der kleinsten Quadrate geschätzt (4). Die jeweiligen Pixelpositionen werden
dabei anhand ihrer Gradientenstärke gewichtet. Da trotz der o. g. perspektivischen Korrektur
die Geraden nicht zwingend horizontal verlaufen müssen (aufgrund einer verdrehten oder
verkippten Nivellierlatte) werden die endgültigen Kantenpositionen auf die Bildmittelachse
bezogen, die bei korrekter Anzielung der Mitte der Nivellierlatte entspricht.
Abb. 4: Kantendetektion: (0) Grauwertbild, (1) Glättung mit Gauß-Filter, (2) Gradienten-
richtung und -stärke, (3) Gruppierung, (4) Schätzung von ausgleichenden Geraden
54 W. Wiedemann, A. Wagner und T. Wunderlich
3.3 Korrelation
Ähnlich der Decodierungsmethode, die in Leica-Instrumenten Anwendung findet, lässt sich
der sichtbare Nivellierlattenabschnitt und die entsprechende Höhenablesung über eine Kor-
relationsfunktion ermitteln. Der Korrelationskoeffizient wird an jeder Stelle aus dem
Binärcode () des Bildes und dem verschobenen, auf Bildgröße skalierten, Referenzcode
() berechnet:
C()=
()()
(3)
Das Maximum dieser Korrelationsfunktion liefert einen ausreichend guten Näherungswert
der Höhenablesung für die weitere Prozessierung. Für eine effiziente Implementierung
wird die Korrelation auf Basis des 1-Bit Codes mithilfe eines XNOR-Operators berechnet.
Eine mehrmalige Korrelation mit unterschiedlichen Skalierungsstufen (Verfahren nach
Leica) ist nicht nötig; die entsprechende Skalierung ist durch die reflektorlose Distanzmes-
sung zur Nivellierlatte und die Parameter der Kamera bereits ausreichend genau bestimmt.
3.4 Höhenablesung
Die tatsächliche Höhenablesung basiert ausschließlich auf den im Bild detektierten Kanten
und deren Sollpositionen auf der Nivellierlatte. Letztere sind durch die herstellerspezifischen
Codes gegeben, bzw. können mit entsprechenden Kalibriereinrichtungen exakt bestimmt
werden. Somit ist es mit dieser Methode möglich, Einzelstrichverbesserungen für jede Ni-
vellierlatte individuell anzubringen. Der Zusammenhang zwischen den detektierten Kanten-
positionen im Bild und den Referenzkanten ergibt sich aus:
= + (4)
Dabei ist die gesuchte Höhenablesung und der Maßstabsfaktor. Dieses lineare Glei-
chungssystem lässt sich nach der Methode der kleinsten Quadrate lösen. Das Ergebnis der
Grobkorrelation wird genutzt, um die paarweise Zuordnung zwischen Soll- und Istkanten zu
realisieren; dies geschieht über eine Vorwärts-Rückwärts-Suche der nächsten Nachbarn in
beiden Vektoren. Mit einem zusätzlichen Ausreißertest und einem Distanz-Filter werden
falsch detektierte bzw. verdeckte Kanten herausgefiltert.
3.5 Trigonometrische Korrektur
Da die Zielung auf die Latte nicht zwingend in horizontaler Fernrohrlage erfolgt, muss die
abgelesene Höhe an der Nivellierlatte noch um den auftretenden trigonometrischen Hö-
henunterschied korrigiert werden (Abb. 5). Dieser ist abhängig vom Vertikalwinkel
und der Schrägdistanz zur Nivellierlatte. Der endgültige Höhenunterschied zwischen
Lattenfußpunkt und Instrument ergibt sich zu:
= =dcos (5)
Die Vorzeichen werden in diesem Fall so gewählt, dass diese mit den Ablesungen eines Ni-
velliers übereinstimmen (vgl. Abb. 5).
Nivellieren mit bildunterstützen Totalstationen 55
Abb. 5: Höhenbestimmung mit der IATS: Definition der Messgrößen und des Bezugssys-
tems
3.6 Genauigkeitsbetrachtung
Die Genauigkeit der Höhenübertragung mit IATS und digitalen Nivellierlatten hängt von
verschiedenen Parametern ab. Dazu zählen die Genauigkeit der Vertikalwinkelablesung und
der Streckenmessung, Instrumentenfehler, Kalibrierparameter der Kamera, atmosphärische
Einflüsse, Nivellierlattenfehler und Ungenauigkeiten der Lattenablesung. Die ersten Werte
beschreiben die Genauigkeit des trigonometrischen Anteiles und können aus den Angaben
des Instrumentenherstellers berechnen werden. Die Auswirkungen der Instrumentenfehler
und Kameraparameter lassen sich mit geeigneten Kalibrierverfahren minimieren, z. B. durch
kombinierte Ansätze (WALSER 2004, VOGEL 2006, WASMEIER 2009). Einflüsse der Refrak-
tion und Fehler der Nivellierlatten werden durch die vom Nivellement bekannten Regeln
(z. B. Nivellieren aus der Mitte, Verwenden der gleichen Latte auf Anfangs- und Endpunkt
etc.) minimiert. Die Unsicherheit der Lattenablesung kann im vorliegenden Fall vernachläs-
sigt werden, da die subpixelgenaue Kantendetektion im Bereich 1/10 Pixel (entspricht
ca. 0.06 mgon) und genauer erfolgt (REITERER & WAGNER 2012) und somit weit unter der
Winkelmessgenauigkeit des Instruments anzusiedeln ist.
Als dominierender Fehlereinfluss bleibt somit der trigonometrische Anteil h der Höhen-
übertragung:
h(,)= dcos (6)
Dieser wird von der Genauigkeit des Vertikalwinkels und der Streckenmessung beein-
flusst. Die Unsicherheit des trigonometrischen Anteiles wird nach den Gesetzen der Varianz-
fortpflanzung über die partiellen Ableitungen berechnet:
=
+
(7)
Daraus ergibt sich:
=
(cos )+(sin
) (8)
56 W. Wiedemann, A. Wagner und T. Wunderlich
Der erste Term der Gleichung – die Unsicherheiten aus der Streckenmessung – geht für ho-
rizontale Visuren gegen null. Der zweite Term – Unsicherheiten aus der Winkelmessung –
ist maßgeblich von der Streckenlänge abhängig und wird maximal für horizontale Visu-
ren. Abbildung 6 zeigt die zu erwartenden Genauigkeiten für einen Tachymeter, dessen
reflektorlose Distanzmessung eine Genauigkeit von 2 mm + 2 ppm bietet. In praktischen
Versuchen (Kap. 4) zeigt sich, dass sich bei sorgfältig kalibrierten Instrumenten deutlich bes-
sere Werte erzielen lassen. Offensichtlich ist aber, dass auch beim Nivellement mit einer
IATS eine horizontale Visur bevorzugt werden sollte, da die Unsicherheiten aus der Stre-
ckenmessung bei Auslenkung des Fernrohrs aus der Horizontalebene schnell überwiegen.
Abb. 6: Genauigkeitsabschätzung der trigonometrischen Höhenübertragung
(= 1, = 2 mm + 2 ppm)
4 Versuche
Um die vorgestellte Methode und deren Genauigkeit zu verifizieren, werden verschiedene
Experimente durchgeführt. Dabei kommt als IATS eine Leica MS60 zum Einsatz, deren Te-
leskopkamerabilder an einen externen Rechner übertragen und dort verarbeitet werden. Als
Nivellierlatten werden Präzisionslatten aus Invar unterschiedlicher Länge mit Leica-Code
verwendet.
4.1 Laborversuche
Um die Wiederholbarkeit der Messungen zu untersuchen, werden verschiedene Versuche
unter Laborbedingen durchgeführt. In einem statischen Aufbau mit festem, aber unbekann-
tem Höhenversatz, werden Nivellierlatte und Instrument auf stabilen Pfeilern aufgebaut
(Zielweite ca. 15,5 m). Zum Vergleich wird neben der Nivellierlatte ein Prisma befestigt,
welches mit der automatischen Zielerfassung (ATR) der Totalstation angezielt werden kann.
Nach einer mehrstündigen Aufwärmzeit des Instruments (vgl. REITERER & WAGNER 2012),
werden über einen Zeitraum von ca. 3 Stunden nacheinander 400 ATR-Messungen und 400
Aufnahmen der Nivellierlatte unter annähernd horizontaler Visur (Vertikalwinkel 100
gon) ausgeführt. Das Fernrohr bleibt während des gesamten Versuches auf das Prisma aus-
Nivellieren mit bildunterstützen Totalstationen 57
gerichtet und wird nicht für jede Messung neu positioniert. Für die Auswertungen werden
nur die Abweichungen der ermittelten Höhenunterschiede zu ihren Mittelwerten betrachtet
(Abb. 7), da kein Sollhöhenunterschied bekannt ist. Die Standardabweichung (1σ) der Mess-
werte beträgt 0,008 mm. Dies stellt gegenüber der ATR-Messung (Standardabweichung in
der Höhenkomponente 0,012 mm) eine geringfügige Verbesserung dar und zeigt, dass die
Lattenablesungen reproduzierbar erzeugt werden können.
Abb. 7: Streuung der Messwerte der ATR-Messungen (hell dargestellt) und Lattenablesung
mit IATS (dunkel), rechts: Histogramm und Normalverteilung
Im gleichen Versuchsaufbau wird ebenfalls eine 1 m Invar-Nivellierlatte unter verschiedenen
Vertikalwinkeln angezielt. Vom oberen Ende der Nivellierlatte bis zum Lattenfuß werden
mehrere Ablesungen an unterschiedlichen Codeausschnitten durchgeführt, die alle zu einem
identischen Ergebnis führen sollten. Hierbei wirken sich allerdings die Ungenauigkeiten der
Strecken- und Winkelmessung mit auf die Ergebnisse aus. Die Standardabweichung eines
derartigen Versuchs mit 15 Messung (Vertikalwinkel im Bereich ±2,5 gon aus der Horizon-
talen) beträgt durch die zusätzlichen Unsicherheiten 0,021 mm.
Beide Versuche demonstrieren, dass mit der hier vorgestellten Auswertemethode Nivellier-
latten reproduzierbar abgelesen und Höhenunterschiede mit großer Präzision erfasst werden
können.
4.2 Feldversuche
Genauigkeitsuntersuchung nach ISO 17123-2
Um die Genauigkeit von Nivelliergeräten zu spezifizieren, geben die Hersteller meist die
Standardabweichung für ein 1-km-Doppelnivellement an, welche über ein Feldverfahren
nach ISO 17123-2 „full test procedure“ ermittelt wird. Dabei werden zwei Nivellierlatten in
einer Distanz von ca. 60 m auf stabilen Punkten aufgestellt (Abb. 8); das Nivellement erfolgt
aus der Mitte in zwei Sätzen mit je 20 Vor- und Rückblicken. Nach zehn gemessenen Hö-
hendifferenzen innerhalb eines Satzes wird die Aufnahmereihenfolge von Vor- und Rück-
blick umgekehrt. Zusätzlich werden die Nivellierlatten zwischen den beiden Sätzen ge-
tauscht. Nach der Messung jedes Höhenunterschiedes muss das Gerät angehoben und neu
horizontiert werden. Aus den 2 × 20 Höhenunterschieden wird die Abweichung von ihrem
58 W. Wiedemann, A. Wagner und T. Wunderlich
Satzmittel und daraus die Standardabweichung für den einzelnen Höhenunterschied berech-
net. In Zusammenhang mit der Zielweite ergibt sich daraus die Standardabweichung für ein
1-km-Doppelnivellement nach den Formeln der ISO-Norm.
Abb. 8: Versuchsaufbau nach ISO 17123-2 „full test procedure“
Der Versuch nach ISO 17123-2 wird mit dem hier vorgestellten Algorithmus und einer Leica
MS60 durchgeführt. Zum Vergleich und zur Validierung des Versuchsaufbaus wird zur
selben Zeit die Standardabweichung (nach ISO 17123-2) mit den Digitalnivellieren Leica
DNA03 und Leica LS15 bestimmt. Für alle Geräte werden identische 3 m Invar-Nivellierlat-
ten mit Leica Codierung verwendet. Die Ergebnisse für zwei unabhängige Testreihen sind in
Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1: Standardabweichungen für ein 1-km-Doppelnivellment nach ISO 17123-2
Instrument 1. Testreihe:
[mm] 2. Testreihe:
[mm]
Leica MS60 0,35 0,25
Leica DNA03
0,33
0,26
Leica LS15
0,25
0,22
Durch das Nivellieren aus der Mitte werden die Einflüsse von Refraktion und Ziellinienfehler
gering gehalten, lassen sich aber nicht gänzlich eliminieren. Die ermittelten Standardabwei-
chungen unterliegen, je nach Messatmosphäre und Umgebung/Untergrund, deutlichen (sig-
nifikanten) Schwankungen (vgl. 1. und 2. Testreihe). Unter Laborbedingung können hier er-
heblich bessere Werte (z. B. MS60 < 0,1 mm) erzielt werden, die aber nicht die Ge-
nauigkeit im tatsächlichen Gebrauch widerspiegeln.
Höhenübertragung mit steilen Visuren
Der Hauptvorteil des Nivellierens mit einer IATS ist die Möglichkeit nicht-horizontaler Vi-
suren. Dies erlaubt es prinzipiell, mit einer Messung große Höhenunterschiede zu überbrü-
cken, was in einem weiteren Versuchsaufbau überprüft wird. In diesem tritt zwischen zwei
Höhenbolzen im Abstand von 22 m ein Höhenunterschied von ca. 3,8 m auf (Abb. 9). Dieser
wird mit einer Nivellierausrüstung mithilfe eines Doppelnivellements bestimmt. Dazu sind
für Hin- und Rückweg jeweils 4 Aufstellungen nötig. Dieser Höhenunterschied lässt sich mit
der IATS-Nivellementmethode mit einer einzelnen Aufstellung überbrücken. Die Messung
Nivellieren mit bildunterstützen Totalstationen 59
wird zweimal durchgeführt: einmal aus der Mitte (Standpunkt 1) und einmal in stark asym-
metrischer Aufstellung (Standpunkt 2), um steile Visuren (Vertikalwinkel ~ 60 gon) zu si-
mulieren. In jeder Aufstellung werden neun unabhängige Höhendifferenzen mit der IATS
gemessen.
Abb. 9: Versuchsaufbau zur Höhenübertragung mit steilen Visuren
Die Ergebnisse des Versuchs (Tabelle 2) zeigen eine sehr hohe innere Genauigkeit der IATS
Messungen, ähnlich der Genauigkeitsuntersuchung nach ISO 17123-2. Im Vergleich zum
klassischen Präzisionsnivellement fällt allerdings eine signifikante Abweichung in der abso-
luten Höhendifferenz von bis zu 0,5 mm auf. Wie in Kap. 3.6 gezeigt, entsteht beim IATS-
Nivellement ein Großteil des Fehlereinflusses durch den trigonometrischen Anteil der Hö-
henübertragung (vgl. Abb. 6). Insbesondere spielt der Einfluss der reflektorlosen Strecken-
messung eine entscheidende Rolle in der asymmetrischen Messanordnung mit sehr steiler
Visur. Eine Korrektur der gemessene Schrägstrecke um 0,7 mm würde bereits eine Überein-
stimmung der absoluten Höhendifferenzen ergeben. Dies entspricht in etwa der Standardab-
weichung der im Versuch mehrmals gemessenen Distanz zur Nivellierlatte. Das Ergebnis
liegt somit vollständig im zu erwartenden, abgeschätzten Bereich (vgl. Kap. 3.6).
Tabelle 2: Ergebnisse des Versuchs zur Höhenübertragung mit steilen Visuren
Versuch
[mm]
[mm]
IATS SP 1
3826,18
0,23
IATS SP 2
3825,92
0,21
Leica DNA 03
3826,41
0,07
Die Ergebnisse der Feldversuche zeigen, dass ein Nivellement mittels IATS mit nur geringen
Genauigkeitseinbußen gegenüber Digitalnivellieren durchgeführt werden kann, solange ho-
rizontale Visuren verwendet werden. Weitere Untersuchungen mit ähnlichen Ergebnissen
finden sich in LICHTENBERGER (2015) und WAGNER et al. (2016).
60 W. Wiedemann, A. Wagner und T. Wunderlich
5 Fazit
Die hier vorgestellte Methode zum Ablesen von digitalen Nivellierlatten und die gezeigten
Versuche weisen nach, dass eine IATS prinzipiell für das Ablesen von digitalen Nivellierlat-
ten und die Durchführung von Nivellements geeignet ist. Bei horizontaler Visur müssen da-
bei lediglich sehr geringe Genauigkeitseinbußen in Kauf genommen werden, wie die Genau-
igkeitsbestimmung nach ISO 17123-2 zeigt. Mit dem hier vorgestellten Algorithmus lassen
sich herstellerunabhängig Nivellierlatten mit hoher Präzision decodieren. Die Ablesegenau-
igkeit des Lattencodes liegt weit über den sonstigen Messeinflüssen und -unsicherheiten. Der
Algorithmus ermöglicht es, Verbesserungen für die einzelnen Codekanten, die sich in ent-
sprechenden Kalibriereinrichtungen bestimmen lassen, bei der Auswertung zu berücksichti-
gen. Standard-Nivelliere bieten diese Möglichkeit nicht. Die flächenhafte Auswertung des
Nivellierlattenbilds über die gesamte Höhe des Teleskopgesichtsfelds erlaubt es, Höhen auch
bei teilweiser Verdeckung des Codes auszuwerten. Dies kann einen Vorteil gegenüber einer
rein trigonometrischen Höhenübertragung auf ein Prisma bieten.
Wie gezeigt verringert sich bei nicht-horizontalen Visuren die Genauigkeit mit zunehmen-
dem bzw. abnehmendem Vertikalwinkel, sowie der Entfernung. Der trigonometrische Teil
der Höhenübertragung stellt dann den dominierenden Faktor des Unsicherheitbudgets, was
auch durch eine geänderte Auswertung des Zielzeichens nicht beeinflusst werden kann. Im
Vergleich einer Übertragung mit einem Prisma sorgt nur die höhere Fertigungsqualität der
Nivellierlatte anstelle des Prismenstabs für eine Genauigkeitssteigerung, während gleichzei-
tig die verminderte Streckenmessgenauigkeit der reflektorlosen Distanzmessung selbige ver-
ringert.
Der vorgestellte Ansatz erweitert die Anwendungsmöglichkeiten und Messmethoden einer
IATS und bildet eine gemeinsame Schnittstelle zwischen den beiden geodätischen Grund-
verfahren Nivellement und Tachymetrie. Die derzeitige Prozessorleistung der Instrumente
sowie die Einfachheit des Verfahrens ermöglichen eine Implementierung On-Board. Eine
derartige Funktion sollte von jedem Hersteller angeboten werden.
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