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Die Zukunft der Eurozone. Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten. Alexander
Schellinger, Philipp Steinberg (Hg.), transcript Verlag, Bielefeld 10/2016, kart. ISBN 978-3-8376-
3636-9, 219 Seiten, EUR 19,99, http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3636-9/die-zukunft-
der-eurozone
Auf der Grundlage von Problemanalysen der Eurozone (EZ) und maßgeblicher Entscheidungsfaktoren
der EU-Politik werden Reformvorschläge für EZ und EU vorgestellt. Angesichts der Breite der Beiträge
werden nur ausgewählte Schlaglichter auf den Sammelband geworfen. Die AutorInnen stammen aus
dem deutschen akademischen Bereich mit mehr oder weniger direkten Bezügen zur politischen
Praxis.
„Hat der Euro die Demokratie gestohlen?“, fragt sich Christian Becker und führt populistische
Erscheinungen auf eine unangemessen starke Beschneidung des nationalen politischen
Entscheidungsfreiraums zurück. Er spricht dabei das Trilemma aus Demokratie, Nationalstaatlichkeit
und Globalisierung sowie die konservativ-liberale Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik (in) der EU an
und sieht insbesondere die geplanten „Vertragspartnerschaften“ mit ihrem zweifelhaften
Demokratiegehalt kritisch. Angesichts des Koordinierungsversagens im Hinblick auf eine erwünschte
Politik für die EU (statt nationaler Interessenpolitik) führt Becker die Diskussion folgerichtig in
Richtung einer Transnationalisierung der Parteien (Europaparteien im EU-Einheitswahlkreis); allein
die Umsetzbarkeit auf absehbare Zeit wird bezweifelt.
Henrik Enderlein verweist zu Recht auf die Blauäugigkeit und Unbekümmertheit, mit der die
Währungsunion eingeführt wurde. So wichtig eine gemeinsame Währung für die wirtschaftliche
Integration ist, so problematisch ist die Einführung einer Währungsunion in einem heterogenen
Wirtschaftsraum ohne entsprechende Vorkehrungen für Konvergenz, Homogenisierung und
Funktionalisierung. Dieses Manko auszugleichen, wird immer dringlicher (wie das auch Michael
Dauderstädt mit seinem Blick auf soziale Ungleichheiten, die seit Krisenbeginn noch weit größere
Besorgnis auslösen, impliziert). Soll der Gemeinsame Markt erhalten bleiben, wäre eine
Einheitswährung ideal dafür, vorausgesetzt der Binnenmarkt, das sei als Kommentar angefügt, wird
als fairer – Entwicklung, Aufholen und Ausgleich erleichternder –, nicht als weitestgehend freier und
sozial problematischer Markt angesehen, der wiederum die Konvergenz behindert; Enderlein sieht
das Problem allerdings eher in einer noch zu schwachen Substitutionskonkurrenz. Zu Recht fordert er
auch einen echten, starken Europäischer Währungsfonds, doch sei auch hier warnend angemerkt,
dass dieser im Grund eine ermöglichende statt einer verbietenden Instanz sein sollte.
Mark Schieritz macht deutlich, dass hohe Staatsschulden nicht generell für die Krise verantwortlich
gemacht werden können, ja dass sie vielfach die Folge der Finanzmarktkrise und ihrer
realwirtschaftlichen Folgen waren, und dass die Fremdfinanzierung der Staaten des Südens auch auf
dem Finanzierungsangebot aus den nördlichen Ländern beruhte (was, das sei ergänzt, auch heute
noch eine gesamteuropäisch konstruktive Lösung für die lange Frist behindert). Schieritz geht dabei
speziell auf die harte deutsche Politik ein, bei der die Regeleinhaltung im Vertragswerk ökonomisch
nahezu unreflektiert die entscheidende Richtschnur bildet.
In diese Richtung stoßen auch Björn Hacker und Cédric Koch mit der Frage „Wer fordert was?“ vor:
„Ein Grundstein der identifizierbar scharfen Trennung zwischen Befürwortern einer Stabilitätsunion
und Anhängern einer Fiskalunion wurde bereits sehr früh gelegt. Ausgetragen wird nämlich ein alter
Konflikt der Wirtschaftspolitik um den Glauben um die regelbasierte Selbstdisziplinierung des
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Marktes einerseits und die Überzeugung staatlicher Marktkorrektur und -gestaltung andererseits“ (S.
89). Die Autoren führen den Konflikt bis zum Werner-Plan (1970) und Delors-Bericht (1989) zurück
(inzwischen hatte sich der Neoliberlismus Eingang verschafft, möchte ich sagen). Mit Recht warnen
sie vor der nur trügerischen Nachhaltigkeit einer eisernen Stabilitätsstrategie, auf welche die
deutsche politische Mehrheit eingefahren ist; konstruktivere Schritte werden verhindert, obwohl
nachhaltigere Grundsatzlösungen früher zu treffen wären als in der nächsten, bestimmt nicht
ausbleibenden Krise.
Franz Mayer untersucht die Eignung des rechtlichen Rahmens für Reformvorhaben und resümiert:
„Die rechtlichen Mechanismen, die sich im Zuge der Eurorettung ausgeprägt haben, reagieren auf
Krisenbefunde. Sie stehen Reformüberlegungen nicht im Weg“ (S. 118). Selbst wenn teils
Einstimmigkeit der EU-Entscheidungen erforderlich ist, so liegt das Haupthindernis nach seiner
Erkenntnis im deutschen Verfassungsrecht und der zugehörigen höchstgerichtlichen Judikatur.
Die Reformvorschläge verschiedener AutorInnen gehen im Ganzen in Richtung effektiverer
Durchsetzbarkeit, damit kräftigerer Zentralisierung (Kompetenz auf supranationaler Ebene), aber
erhöhter demokratischer Legitimität und verstärkter wirtschaftlicher, wirtschaftspolitisch tatsächlich,
nicht nur formell vorangetriebener Konvergenz auf hohem Niveau. In diesem Zusammenhang
nehmen fiskalische Beschäftigungspolitik und Sozialpolitik einen wesentlichen Stellenwert ein.
Rückbau der bisherigen politisch-strukturellen Integration wird deutlich negativ gesehen.
Nicht nur die Reformvorschläge, auch die vorangehenden Analysen dienen als Fundierung für
dringend nötige offene und breite Diskussionen. Diese werden über die reine Konstruktionsfragen
der EU oder EZ hinausgehen (müssen), indem zum ersten die Vorzüge der Union auch für die
wohlhabenden, sich übervorteilt fühlenden Mitglieder klargelegt werden (Skouras 2016, Fratzscher
2017, Fricke 2017), zum zweiten die inhaltlich-politischen Spielräume auszuloten sind, die das
gegenwärtige Regelwerk bereits bietet (Truger/Nagel 2016, Priewe 2017), und zum dritten, indem
Neuausrichtungen der Zielsetzungen und Instrumenteneinsätze vorgeschlagen werden, deren
Umsetzung eine konsequente Institutionenreform nachziehen müsste (Mason 2017). Aber das ist
schon eine andere Geschichte.
Die von Alexander Schellinger und Philipp Steinberg herausgegebenen Beiträge sind fachlich einfach
gehalten, um auch für Nicht-ÖkonomInnen passend zu sein, doch die bemüht einfache Darstellung
lässt es zuweilen ein wenig an Klarheit der Argumentation mangeln.
Rainer Bartel
Literatur
Truger, Achim; Nagel, Michael, Austerity, Cyclical Adjustment and how to Use the Remaining Leeway
for Expansionary Fiscal Policies within the Current EU Fiscal Framework, in: Turkish Economic Review
3/2 (2016) 235-255.
Fratzscher, Marcel, Vier Denkfehler bei der Euro-Kritik, in: DIW Wochenbericht 10, 9. März (2017),
172, http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.554092.de/17-10-3.pdf.
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Fricke, Thomas, Zero Interest Rates in EU: The Myth of the Poor German Saver, in: Social Europe,
blog, 15 February (2017) https://www.socialeurope.eu/2017/02/zero-interest-rates-eu-myth-poor-
german-saver/
Mason, Paul, Commission White Paper Option Six: A Europe of Democracy and Social Justice, in:
Social Europe, blog, 6 March (2017) https://www.socialeurope.eu/2017/03/option-six-a-europe-of-
democracy-and-social-justice/.
Priewe, Jan, Ist die Eurozone vielleicht doch ein “optimaler Währungsraum”?, in: Makronom, 30.
Januar (2017) https://makronom.de/ist-die-eurozone-vielleicht-doch-ein-optimaler-waehrungsraum-
19143
Skouras, Thanos, Competitiveness and its leverage in a currency union or how Germany gains from
the euro, in: real-world economics review 18/4, 40-49.