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Kompetenzentwicklung durch
Forschendes Lernen
Christopher Gess, Wolfgang Deicke und Insa Wessels
Ein grundlegendes, aber bislang zu wenig reektiertes Grundprinzip Forschenden
Lernens ist dessen Potenzial für eine Ausrichtung auf Kompetenzziele statt auf
fach- oder veranstaltungsspezische Bildungsinhalte (zum Beispiel Fachwissen).
Zwar wird dem Forschenden Lernen allenthalben ein breites Potenzial zur För-
derung unterschiedlichster Kompetenzen zugeschrieben– systematisch erforscht
und nachgewiesen sind diese Zusammenhänge bislang jedoch noch nicht. Dieses
Kapitel legt dar, welche Kompetenzen das Forschende Lernen fördern kann und
was unter diesen Kompetenzen zu verstehen ist. Bislang werden die Kompetenz-
ziele von Forschendem Lernen nur abstrakt benannt. Dies ist für die kompetenz-
orientierte Lehre unzureichend, da bei abstrakt formulierten Kompetenzzielen
unklar bleibt, welche Teilkompetenzen angestrebt werden und wie die Kom-
petenzen gefördert werden können. In diesem Kapitel werden Konzepte und Er-
kenntnisse aus aktuellen Forschungsprojekten herangezogen, um die abstrakten
Kompetenzziele zu operationalisieren.
Kompetenzziele
Betrachtet man Modulkataloge oder Lehrveranstaltungsbeschreibungen zum For-
schenden Lernen (Rueß et al., ), verbinden Lehrende mit diesen Formaten
vor allem wichtige fach- und sogar themengebietsspezische Ziele. Häug dient
Forschendes Lernen dazu, dass sich Studierende ein emengebiet vertieft und
selbstständig erschließen. Solche inhaltlichen Ziele müssen notwendigerweise für
jedes einzelne Vorhaben des Forschenden Lernens ausdierenziert werden und
können an dieser Stelle nicht aus fächerübergreifender Perspektive beleuchtet
werden. In diesem Kapitel soll der Fokus vielmehr auf fächerübergreifende Kom-
petenzziele gelegt werden. Diese lassen sich auf drei Ebenen anordnen: die För-
derung von Forschungskompetenz, die Entwicklung einer forschenden Haltung
und die Förderung sogenannter metakognitiver Kompetenzen.
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– Verweise auf die Förderung von Forschungskompetenz der Studierenden finden
sich in der Literatur am häufigsten. So empfiehlt der Wissenschaftsrat ()
Forschendes Lernen, damit die Studierenden lernen können, Fragen zu ent-
wickeln, Probleme systematisch zu lösen, methodisch gestützt Erkenntnisse zu
gewinnen und Grundsatzfragen kritisch zu reflektieren.
– Zweitens wird mit Forschendem Lernen das Ziel verbunden, den Studieren-
den eine forschende Haltung zu vermitteln. Diese soll es ihnen ermöglichen,
nicht nur ihr im Studium angeeignetes und meist theoretisches Wissen für
die Analyse des Berufsfeldes einzusetzen, sondern auch ihre eigene Berufs-
ausübung fragend-entwickelnd und kritisch-reflexiv zu begleiten. Dieses Ziel
wird besonders häufig für das Lehramtsstudium formuliert (Fichten, ;
Wildt, ; Wissenschaftsrat, ).
– Schließlich soll Forschendes Lernen die metakognitiven Kompetenzen fördern
(Huber, ). Hierunter werden jene Prozesse und Erfahrungen gefasst, die
mit dem Wissen und der Kontrolle über die eigenen kognitiven Funktionen
zu tun haben (Hasselhorn, ). Die metakognitiven Kompetenzen gelten
als übergeordnete Kompetenzen, die im gesamten Studium, aber nicht in ein-
zelnen Veranstaltungen erworben werden.
Abbildung 1: Übersicht über die potenziellen Kompetenzziele beim Forschenden Lernen
Quelle: eigene Darstellung
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Diese schnelle Betrachtung der Kompetenzziele fasst die Literatur zum Forschen-
den Lernen zusammen. Die Beschreibungen der Kompetenzziele gehen auch in
der Literatur kaum über eine bloße Benennung der Ziele hinaus. Doch solch all-
gemeine Zielformulierungen eignen sich weder zur empirischen Analyse noch zur
kompetenzorientierten Gestaltung der Lehre. Bei einer reinen Benennung der
Ziele bleibt oen, was unter den Kompetenzen zu verstehen ist. Im Folgenden
soll daher ein Versuch unternommen werden, die ersten beiden Kompetenzzie-
le, nämlich den Erwerb von Forschungskompetenz (Abschnitt ) und die Aneig-
nung einer forschenden Haltung (Abschnitt ), auszudierenzieren und damit
sowohl für die Forschung als auch für die Lehre anwendbar zu machen. In Ab-
bildung werden die unterschiedlichen Modi der ersten beiden Kompetenzziele
konkretisiert, die wir im Folgenden näher erläutern.
Forschungskompetenz
Die Beschreibung der Forschungskompetenz kann auf Ergebnisse aktueller For-
schungsprojekte, unter anderem aus dem wissenschaftlichen Transferprojekt
»Kompetenzmodellierung und Kompetenzerfassung im Hochschulsektor« zu-
rückgreifen, das seit nationale und internationale Forschungsvorhaben in
diesem Bereich koordiniert. In Anlehnung an den Kompetenzbegri von Klieme
und Leutner () werden in diesen Projekten Kompetenzen als kontextspe-
zische kognitive Leistungsdispositionen verstanden und somit der Schwerpunkt
überwiegend auf die Kognition gelegt (Blömeke/Zlatkin-Troitschanskaia, ).
Zudem muss zwischen zwei Ansätzen zur Modellierung von Forschungskom-
petenz – rezeptive Forschungskompetenz und aktiv generierende Forschungskom-
petenz– dierenziert werden. Der Unterschied der beiden Ansätze liegt in ihrem
Verständnis von Forschungskompetenz begründet. Erstens kann Forschungs-
kompetenz rezeptiv auf das Verständnis und die Anwendung von vorliegenden
Forschungsergebnissen bezogen werden. Borg () beschreibt dies als »Engage-
ment with Research«. Zweitens kann der Begri der Forschungskompetenz auch
auf die aktive Generierung von Forschungsergebnissen bezogen und somit in Ab-
grenzung zur Rezeption von Forschungsergebnissen als »Engagement in Research«
(Borg, ) verstanden werden. Dieses Verständnis von Forschungskompetenz
kommt eher aus der Lehrpraxis und wird über die in den Studienordnungen for-
mulierten Ziele transportiert: Die Studierenden sollen zum eigenständigen For-
schen befähigt werden.
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Kognitive Facette der rezeptiven Forschungskompetenz
Einen exemplarischen Ansatz zur Operationalisierung von Forschungskompetenz
im Verständnis »Engagement with Research« liefert das Projekt »Learning the
Science of Education« (Groß Opho et al., ). In dem Projekt wird die bil-
dungswissenschaftliche Forschungskompetenz literaturgestützt konzeptualisiert.
Demnach müssen Studierende zunächst in der Lage sein, geeignete Fragen zu
stellen und dann gezielt Informationen– in der Regel Forschungsliteratur– zu
diesen Fragen nden und beurteilen können. Dafür bedarf es der Informations-
kompetenz (»Information Literacy«). Die anschließende Interpretation dieser In-
formationen erfordert den kompetenten Umgang mit Datenmaterial (»Statistical
Literacy«). Schließlich müssen die identizierten Evidenzen beurteilt werden und
aus den interpretierten Informationen Schlussfolgerungen gezogen werden. Dies
setzt dem konzeptuellen Rahmenmodell in diesem Projekt zufolge wiederum kri-
tisches Denken voraus (»Critical inking«). Eine kompetenzorientierte Gestal-
tung von Forschendem Lernen würde gemäß dieses Modells bedeuten, weniger
eigene Erhebungen durchzuführen als vielmehr eine anwendungsorientierte For-
schungsfrage anhand vorliegender Literatur zu bearbeiten.
Kognitive Facette der generierenden Forschungskompetenz
In dem Verständnis »Engagement in Research« lässt sich Forschungskompetenz
nicht als ein generisches, das heißt vollständig fächerübergreifendes Konstrukt
verstehen. Aufgrund der forschungsmethodischen Unterschiede zwischen Fä-
chern muss davon ausgegangen werden, dass sich die erforderlichen Leistungs-
dispositionen zwischen den größeren Fächertraditionen unterscheiden. Entspre-
chend liegen zur Operationalisierung dieser Kompetenz fachgruppenspezische
Modelle für die Sozial- und die Naturwissenschaften vor.
Sozialwissenschaften
Für die Forschungskompetenz in Studienfächern mit sozialwissenschaftlichen
Forschungsmethoden liegt ein empirisch fundiertes Modell vor (Gess/Rueß/Blö-
meke, im Review). Das Modell wurde auf Basis von Expert/innen-Interviews und
-befragungen entwickelt. Es besteht aus der Verknüpfung von drei Kompetenz-
dimensionen und drei Forschungstätigkeiten. Als Kompetenzdimensionen berück-
sichtigt das Modell () Forschungsprozesswissen; () Methodenwissen und ()
methodologisches Wissen, das die Kenntnis der methodologischen Grundbegrif-
fe und Prinzipien umfasst. Als Forschungstätigkeiten werden (a) die Problemher-
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leitung, (b) die Forschungsplanung und (c) die Datenauswertung berücksichtigt.
Eine kompetenzorientierte Gestaltung von Forschendem Lernen würde gemäß
dieses Modells bedeuten, den Fokus auf die Durchführung einer empirischen
Studie zu legen, die Erwerb und Anwendung von forschungsmethodischem Wis-
sen bedingt. Dies entspricht einem Typ Forschenden Lernens, bei dem die Stu-
dierenden den Forschungsprozess komplett durchlaufen (Rueß et al., ).
Naturwissenschaften
Die naturwissenschaftliche Forschungskompetenz wurde im hochschulübergrei-
fenden Projekt »Kompetenzmodellierung und -erfassung zum Wissenschaftsver-
ständnis über naturwissenschaftliche Arbeits- und Denkweisen bei Studierenden
(Lehramt) in den drei naturwissenschaftlichen Fächern Biologie, Chemie und
Physik« (–) untersucht. Im Kompetenzmodell werden in Anlehnung an
Mayer () die Teilkompetenzen »Forschungsfragen formulieren«, »Hypothe-
sen entwickeln«, »Untersuchungen planen« und »Daten analysieren und interpre-
tieren« unterschieden (Hartmann, Upmeier zu Belzen, Krüger/Pant, ). Eine
kompetenzorientierte Gestaltung von Forschendem Lernen würde gemäß dieses
Modells bedeuten, die Studierenden Experimente mit oenem Ausgang durch-
führen zu lassen und den Erkenntnisprozess zu reektieren. Dies entspricht dem
Typ Forschenden Lernens, bei dem Forschungsfragen zum Zweck des Erlernens
von Forschungsmethoden verfolgt werden (Rueß et al., ).
Aektiv-motivationale Facette der generierenden Forschungskompetenz
Die bislang dargestellten Modelle von Forschungskompetenz beschränken sich
alle auf die kognitive Facette. Dies ist allgemein bei den meisten aktuellen Pro-
jekten in der Kompetenzmessung der Fall und ist unter anderem in den Schwer-
punkten der Forschungsförderprogramme begründet. Andere Facetten, wie die
aektiv-motivationale, werden aus forschungspragmatischen Gründen oft gar
nicht berücksichtigt (Fleischer et al., ). Wenn sie berücksichtigt werden, blei-
ben die Bemühungen zur Denition und Modellierung dieser Facetten weit hin-
ter den Bemühungen zur kognitiven Facette zurück. In Anlehnung an Baumert
und Kunter () zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften werden im
Folgenden () forschungsbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen, () intrinsi-
sche Motivation bzw. Forschungsinteresse und () die Ungewissheitstoleranz im
Forschungsprozess betrachtet.
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Forschungsbezogene Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeitserwartungen sind subjektive Überzeugungen einer Person von
der eigenen Fähigkeit, bestimmte Aufgaben– auch unter schwierigen Bedingun-
gen– erfolgreich bewältigen zu können. Forschungsbezogene Selbstwirksamkeits-
erwartungen beziehen sich auf herausfordernde Forschungsaufgaben. Sie wurden
bereits mehrfach untersucht und analog zu den Schritten im Forschungspro-
zess operationalisiert (Forester et al., ; Gess, Rueß/Deicke, im Review), wo-
bei sich vier Bereiche der Selbstwirksamkeit identizieren lassen (Forester et al.,
): Selbstwirksamkeit bei der Datenerhebung, Selbstwirksamkeit bei der Da-
tenanalyse, Selbstwirksamkeit bei der Analyse des Forschungsstandes und Zusam-
menführung von Ergebnissen mit dem Forschungsstand und Selbstwirksamkeit
bei der Erstellung schriftlicher Forschungsberichte. Die Selbstwirksamkeitserwar-
tungen können laut eorie gefördert werden, wenn Personen Erfolgserlebnisse
haben, am Vorbild lernen können, verbal ermutigt werden oder emotionale Er-
regung erfahren (Bandura, ).
Forschungsinteresse
Beim Forschungsinteresse kann zwischen zwei Arten unterschieden werden: the-
matisches Forschungsinteresse, das sich auf konkrete Objekte oder thematische
Bereiche bezieht, und tätigkeitsbezogenes Forschungsinteresse, das sich auf Klas-
sen von Tätigkeiten bezieht. Das thematische Forschungsinteresse ist oft der Aus-
löser für besonders ambitionierte studentische Forschungsvorhaben. Allerdings
ist der praktische Nutzen einer Förderung des thematischen Forschungsinteresses
fraglich, da dieses Interesse nicht ohne weiteres auf andere emen übertragbar
sein dürfte. Für die praktische Anwendung scheint daher das tätigkeitsbezogene
Forschungsinteresse besser geeignet zu sein. Hier wird das Forschungsinteres-
se über das Interesse an den Schritten des Forschungsprozesses operationalisiert
(Bishop/Bieschke, ; Gess et al., ). Forschungsinteressierte Personen for-
schen aus Freude an der Tätigkeit selbst und empnden sie als subjektiv. Em-
pirisch zeigen sich zwei Faktoren des tätigkeitsbezogenen Forschungsinteresses:
erstens Interesse an der Bearbeitung von Literatur und der Kommunikation von
Ergebnissen und zweitens Interesse an der Erhebung und Auswertung von Daten
(Gess et al., im Review). Das Forschungsinteresse wird umso stärker gefördert, je
mehr Forschungsschritte die Studierenden beim Forschenden Lernen durchlau-
fen (Gess et al., ).
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Ungewissheitstoleranz im Forschungsprozess
Der per se bei Forschung ergebnisoene Prozess führt nicht selten zu wider-
sprüchlichen und komplizierten Ergebnissen oder Entscheidungssituationen, bei
denen es keine »richtige« oder »falsche« Entscheidung gibt. Dies kann abschre-
ckend und demotivierend wirken, wenn Studierende nicht positiv selbstregulativ
mit diesen Ungewissheiten umgehen können. Eine wichtige Rolle müsste dem-
nach die Ungewissheitstoleranz im Forschungsprozess spielen. Sie ist die Tendenz
einer Person, unklare Entscheidungssituationen und widersprüchliche Befun-
de im Forschungsprozess als eine positive Herausforderung anzusehen und so-
mit einen positiven Umgang mit diesen Situationen auszuüben. Fehlende Unge-
wissheitstoleranz im Forschungsprozess müsste sich in Ängsten oder Unbehagen
äußern. Von erfahrenden Lehrenden wurden insbesondere Entscheidungsängste
in kritischen Forschungssituationen benannt, die häug dazu führen, dass Studie-
rende eigentlich notwendige Entscheidungen nicht oder nicht persistent treen.
Soziale Facette der generierenden Forschungskompetenz
Ähnlich wie die aektiv-motivationale Facette wird auch die soziale Facette von
Kompetenzen selten betrachtet. Deshalb kann hier nur literaturgestützt und auf
Basis von Interviews mit erfahrenen Lehrenden eine erste, vorläuge Auistung
sozialer Teilkompetenzen von Forschungskompetenz erfolgen. Im Zentrum steht
dabei die Kommunikationsfähigkeit der Studierenden, die aus drei Perspektiven
zu betrachten ist: () Studierende müssen nach innen, das heißt mit dem For-
schungsteam und mit dem/der Betreuer/in kommunizieren können, () sie müs-
sen sich nach außen im Forschungsfeld adäquat verhalten können und () sie
müssen in der wissenschaftlichen Öentlichkeit kommunizieren können.
Kommunikation im Forschungsteam und mit der betreuenden Lehrperson
Forschendes Lernen wird oft in Teams durchgeführt. Die Studierenden sollen
unter anderem lernen, sich gemeinsame Ziele zu setzen, Aufgaben untereinander
aufzuteilen und sich Feedback zu geben. Dies fällt hier unter die interne Kom-
munikationsfähigkeit. Hinzu kommt die Kommunikation mit dem/der Betreuer/
in. Die Studierenden sollen die Fähigkeit erwerben, Hilfe zu suchen, Hilfestellun-
gen und Kritik anzunehmen, aber auch die betreuende Lehrperson von den eige-
nen Ideen zu überzeugen. Um Forschendes Lernen auf dieses Kompetenzziel aus-
zurichten, sollten diese Kommunikationsprozesse explizit thematisiert werden.
Betreuer/innen könnten beispielsweise über die fachliche Rückmeldung hinaus
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während des Forschungsprozesses auch Vorschläge zur Verbesserung der Kom-
munikation geben.
Kommunikation im Forschungsfeld
Die Kommunikation im Forschungsfeld ist besonders bei qualitativer Sozialfor-
schung notwendig, da hier viel Zeit im Forschungsfeld verbracht wird. In den
Naturwissenschaften ist die Kommunikation mit anderen Personen im For-
schungslabor, zum Beispiel mit technischen Assistent/innen, erforderlich. Um
Forschendes Lernen auf dieses Kompetenzziel auszurichten, könnte die Kom-
munikation im Feld selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht werden. In
Interviews könnten die Gesprächspartner/innen um Rückmeldung zur Kom-
munikation gebeten werden, in Forschungstagebüchern könnten die Studieren-
den die Kommunikation im Feld reektieren. Selbst in Laborsituationen ließen
sich die Kontakte mit Kolleg/innen und technischem Personal protokollieren und
reektieren.
Kommunikation mit der wissenschaftlichen Öentlichkeit
Bei der Kommunikation mit der wissenschaftlichen Öentlichkeit ist es wich-
tig, dass sich die Studierenden in die Perspektive der Rezipient/innen hineinver-
setzen können, um ihre Forschungsvorhaben und -ergebnisse angemessen zu be-
schreiben. Erfahrene Lehrende betonen, dass diese Fähigkeit auch im Gespräch
mit anderen Forschenden erforderlich ist, um Schnittmengen und Kooperations-
möglichkeiten zu identizieren. Um Forschendes Lernen auf dieses Kompetenz-
ziel auszurichten, sollten Elemente des Austauschs mit externen Personen inte-
griert werden. Dies könnte typischerweise die Form von Abschlusssymposien
annehmen.
Forschende Haltung
Besonders für Lehramtsstudierende wird oft das Ziel formuliert, durch Forschen-
des Lernen eine »Haltung forschenden Lernens« (Wissenschaftsrat, ), eine
»forschende Grundhaltung« (Fichten, ) oder einen »forschenden Habitus«
(Reitinger, ) zu fördern. Hiermit ist oft eine reektierende Herangehenswei-
se an die eigene Berufspraxis gemeint. Auch in anderen Berufen als dem Lehramt
sollte eine solche Haltung erforderlich sein, da nahezu überall die eigene Praxis
reektiert werden muss. Im Folgenden werden die Konstrukte () reexive Dis-
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tanz, () epistemische Neugier und () epistemologische Überzeugungen als Be-
standteile einer forschenden Haltung postuliert.
Reexive Distanz
Eine objektive, unvoreingenommene Grundhaltung der Praxis gegenüber ist die
Basis für die Verbesserung der Praxis. Eine reexive Distanz (Meyer, ) ein-
zunehmen, ermöglicht das kritische Hinterfragen und die empirisch begründete
Veränderung der eigenen beruichen Praxis. In der englischsprachigen Literatur
wird dieses Ideal vom kritisch-reexiven Berufstätigen als »Reective Practitioner«
(Schön, ) bezeichnet und »Reective inking« empirisch betrachtet (Kem-
ber et al., ). Eine kompetenzorientierte Gestaltung von Forschendem Lernen
zur Förderung einer reexiven Distanz würde bedeuten, primär praxisrelevante
Forschungsthemen zu verfolgen. Besonders geeignet wären Praxisprobleme, die
Studierende bei der Beobachtung ihres zukünftigen beruichen Handlungsfeldes
identizieren. Die reexive Distanz kann dann erprobt werden, indem bewusst
eigene Vorannahmen und Überzeugungen der Studierenden empirisch überprüft
und im Seminar hinterfragt werden.
Epistemische Neugier
Neben der Distanz zum Berufsfeld scheint zudem Neugier wichtig, die Personen
dazu anregt, mehr über einen Sachverhalt herauszunden. In der Literatur wird
dies als epistemische Neugier (engl. »Epistemic Curiosity«) bezeichnet. Unter-
schieden werden zwei Dimensionen dieser Neugier (Litman/Mussel, ): Ers-
tens die interessen- oder spaßgetriebene Suche nach Informationen (»I-Type«)
und zweitens die durch eher negative Gefühle von fehlendem Wissen ausgelöste
Suche nach Informationen (»D-Type«). Zur Förderung der epistemischen Neu-
gier ist noch nicht viel bekannt. Eine kompetenzorientierte Gestaltung von For-
schendem Lernen zur Förderung des I-Type der epistemischen Neugier setzt
wahrscheinlich voraus, dass die Studierenden dazu angehalten werden, For-
schungsfragen entsprechend des eigenen Interesses auszuwählen und sollte daher
eine lange Phase für die emenndung vorsehen. Zur Förderung des D-Type
sollten Lehrende auf die Konsequenzen fehlenden Wissens für den Forschungs-
prozess verweisen, gleichzeitig aber als Beratende zum Schließen der Wissens-
lücken bereitstehen, so sie um Informationen gebeten werden.
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Epistemologische Überzeugungen
Epistemologischen Überzeugungen sind die Überzeugungen zur Struktur und
Genese wissenschaftlichen Wissens in einer Domäne (Stahl/Bromme, ). Es
ist anzunehmen, dass Personen, die Wissen als exibel, veränderbar und nützlich
für die Praxis ansehen, eher dazu neigen, neues Wissen generieren zu wollen bzw.
die Praxis verändern zu wollen als andere Personen. Im Forschenden Lernen kön-
nen Studierende Erfahrungen mit der Genese von Wissen sammeln und erhalten
so Impulse, die zu einer Veränderung der eigenen Überzeugungen führen kön-
nen. Epistemologische Überzeugungen können im Studium gefördert werden,
indem sie explizit thematisiert und durch die Studierenden reektiert werden
(Elby, ), indem die verschiedenen Wege der Wissenskonstruktion und die
Qualität wissenschaftlicher Erkenntnisse diskutiert werden (Lahtinen/Pehkonen,
) und indem die Studierenden mit kontrovers diskutierten wissenschaftli-
chen emen konfrontiert werden, bei denen sich widersprechende Studien epis-
temische Zweifel auslösen (Ferguson, Bråten/Strømsø, ).
Ausblick
Mit Forschendem Lernen sind unterschiedliche Kompetenzziele verbunden. Ne-
ben der Vermittlung von Fachwissen, lassen sich die Kompetenzziele auf drei Ebe-
nen anordnen: die Förderung von Forschungskompetenz, die Vermittlung einer
forschenden Haltung und die Entwicklung allgemeiner metakognitiver Kom-
petenzen. Während die allgemeinen metakognitiven Kompetenzen bereits an an-
derer Stelle umfassend deniert werden und sich aufgrund ihrer Breite auch nur
bedingt als Kompetenzziele einzelner Veranstaltungen eignen, müssen die For-
schungskompetenz und die forschende Haltung eingehend operationalisiert wer-
den, um für die kompetenzorientierte Gestaltung von Veranstaltungen und kom-
petenzorientierte Lehrevaluation verwendbar zu sein.
Lehrende können sich bei der Gestaltung ihrer Lehrveranstaltung an diesen
Kompetenzzielen orientieren. Es ist dabei unerlässlich, eine bewusste Auswahl aus
den hier vorgestellten Kompetenzzielen zu treen, da es nicht möglich sein wird,
alle Ziele in einer Veranstaltung zu verfolgen. Je nach Kompetenzziel sollten an-
dere Schwerpunkte gelegt werden: Ist das Ziel beispielsweise, eine rezeptive For-
schungskompetenz und reexive Distanz bei den Studierenden zu fördern, soll-
ten praxisrelevante Forschungsfragen verfolgt werden, zu denen die Studierenden
bereits emotional besetzte Vorannahmen aufweisen (bspw. zum ema Hausauf-
gabenvergabe im Lehramtsstudium). Ist das Ziel hingegen beispielsweise gene-
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rierende Forschungskompetenz, muss die Veranstaltung von Grund auf anders
aufgebaut werden. Im Zentrum sollte dann der Forschungsprozess stehen, den
die Studierenden möglichst komplett durchlaufen und immer wieder reektieren
sollen.
Für die Studienganggestaltung würde dies bedeuten, mehrere Formen von
Forschendem Lernen im Studium zu ermöglichen, um den Studierenden entwe-
der die Wahl zu lassen, welche Kompetenzen sie selbst ausbilden möchten oder
um eine möglichst breite Kompetenzförderung im Studium zu ermöglichen. Die-
se Ziele wären natürlich jeweils mit fach- und themenspezischen Kompetenzzie-
len zu kombinieren, die in diesem Kapitel nicht näher betrachtet wurden.
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