Fazit: Das Anthropozän-Konzept ist eine umfassende konzeptionelle „toolbox“ zur systemischen Analyse, zum interdisziplinären Monitoring und für ein neues Verständnis des gigantischen derzeitigen Einflusses menschlicher Aktivitäten auf das Erdsystem. Gleichzeitig impliziert es weder eine fatalistische Hinnahme einer Apokalypse, noch fördert es einen simplifizierenden „alles-wird-gut“-Positivismus, sondern erlaubt differenzierte Betrachtungen aus verschiedenen Perspektiven. Gerade wegen seines systemischen und interdisziplinären Herangehens beinhaltet das Konzept auch keinesfalls eine Engführung in der Entwicklung, Propagierung und Anwendung von Zukunftsoptionen. Erdsystem-, Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften geben allerdings gemeinsam und überaus deutlich den dringenden Hinweis darauf, dass wir zur Erreichung globaler Entwicklungsziele, wie Gerechtigkeit, Nahrungssicherheit, Gesundheit, Frieden und weiterer Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) (UNSDGs 2015) auch weiterhin „einschätzbare“ Bedingungen eines anthropozänen Erdsystems benötigen (Steffen et al. 2016). Um die relative Stabilität des Holozäns nicht gegen unwägbare Risiken vollständig einzutauschen, sondern in ein zwar andersartiges, jedoch dauerhaft habitables Anthropozän überzuführen, wird es notwendig, im Sinne des Anthropozän-Konzepts planetare Grenzen (sensu Rockström et al. 2009, Steffen et al. 2015b) nicht zu überschreiten und die SDGs als Kompass zu sehen. Dazu ist zum einen kontinuierliches Monitoring des Zustands des anthropozänen Erdsystems unabdingbar. Nur dann können sowohl Schutzräume als auch Gestaltungsspielräume für das Anthropozän gewährleistet bleiben. Innerhalb dieses Rahmens kann dann je nach Region, je nach Kulturkreis sowie je nach gesellschaftlichen Erfordernissen und gesellschaftspolitischen Zielen sehr frei verhandelt werden, wohin die Zukunftsreise im Einzelnen gehen soll. Eine generell ganzheitlichere, integrative Sicht der Einbindung der Menschheit in planetare Prozesse, ein Einbinden aller, also der Politik, der Wissenschaften, zivilgesellschaftlicher Gruppen und jedes einzelnen, aber auch ein konstruktives kreatives Ausprobieren, um sich die Möglichkeiten für Zukunftslösungen und alternative Zukünfte allgemein besser vorstellen und damit ggf. wünschbar machen zu können, ist dazu allerdings notwendig und ebenfalls aus dem Anthropozän-Ansatz ableitbar.
Dichotome „richtig-oder-falsch“-Lösungen, gar großtechnische Knopfdrucklösungen existieren allerdings nicht. So gibt es auch für die „idealtypischen“ Lö-sungsszenarien sensu Leinfelder (2014, 2016) nicht nur vielfältige Übergänge und Mischformen, sie sind sogar explizit dazu gedacht, solch gemischte Lösungsportfolios zu generieren. Keiner dieser idealtypischen Lösungsansätze hat einen prinzipiellen Vorteil über die anderen, da sie auch in ihrer Zeitlichkeit unter-schiedlich umsetzbar sind. Reaktive Lösungen sind teilweise direkt implementierbar, während komplette Kreislaufwirtschafts- und andere innovative High-tech-Systeme nicht nur wegen technischer, sondern auch sozialer, juristischer und kultureller Herausforderungen nur langsamer verfügbar sind. Andererseits dürfen heute rasch einsetzbare reaktive Lösungen die weitere Entwicklung kom-plexer Kreislaufwirtschaftssysteme nicht verhindern. Gemischte Portfolios, die auch mit einem experimentellen Charakter versehen und immer wieder umgebaut werden sollten, sobald neue Lösungsansätze verfügbar sind, werden die Zukunftsgestaltung im zukünftigen Anthropozän offener, aber auch viel kreativer und innovativer möglich machen.
Das Ausrufen des Anthropozäns alleine wird die Umwelt- und Sozialprobleme der Erde nicht lösen. Aber der daraus resultierende starke Denkanstoß lautet, uns als Teil eines einzigen und einzigartigen Erdsystems zu begreifen, welches gerade deshalb nicht als ausbeutbare Ressource, sondern als funktionstüchtig zu sehendes Gesamtversorgungssystem, etwa im Sinne einer Stiftung, zu sehen ist. Die einzelnen Nationen sollten hierbei eine Sachwalterrolle für das Funktionieren des Gesamtsystem einnehmen (cf. WBGU 2013, Leinfelder 2017a). Wenn sich also jeder Teil unserer Gesellschaft – von der Politik, über die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Designer, das Bildungssystem, zivilgesellschaftliche Gruppen bis hin zum Individuum – am notwendigen Umbau beteiligt, wären wir auf dem Weg in ein zukunftsfähiges, auch die Menschheit dauerhaft mittragendes Anthropozän. Es ist höchste Zeit, davor nicht weiter zurückzuschrecken, sondern jetzt kreativ und zukunftsfreudig mit dieser Gestaltung zu beginnen.