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Normative Orientierungen in Berufs- und Lebensentwürfen junger Frauen

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Abstract

Der Band untersucht die Zusammenhänge von Geschlechteridentitäten und beruflichen Orientierungen und Lebensplanungen junger Frauen. Er verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen sich Schülerinnen am Übergang Schule – Beruf/Studium konfrontiert sehen. Die Ergebnisse der qualitativen empirischen Studie zeigen, welche Aspekte jungen Frauen in ihren Lebensentwürfen wichtig sind, und dass es in Berufsfindungsprozessen immer auch darum geht, normative Anforderungen an (Geschlechter-)Identitäten zu bearbeiten. Der Inhalt · Berufswahlprozesse junger Frauen am Übergang Schule – Beruf · Zur Wirkmacht von Geschlechternormen · Methodologie und Methodisches Vorgehen · Normative Orientierungen in Berufswahlprozessen · Anforderungen an die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf · Normative Vorstellungen über die Kompatibilität von Beruf und intelligiblen Weiblichkeiten · Zusammenfassung der Ergebnisse und pädagogische Perspektiven Die Zielgruppen · Dozierende und Studierende der Erziehungswissenschaft, Sozialen Arbeit, der Soziologie, Genderforschung und Berufspädagogik · Berufsberater_innen, Sozialpädagog_innen, Lehrer_innen und an den Zusammenhängen von Arbeit und Geschlecht interessierte Leser_innen Die Herausgeberinnen Dr. Christiane Micus-Loos ist Professorin für Soziale Arbeit und Gender am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Fachhochschule Kiel. Dr. Melanie Plößer ist Professorin für Sozialarbeitswissenschaften am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Bielefeld. Karen Geipel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Technischen Universität Berlin. Marike Schmeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Fachhochschule Kiel.

Chapters (9)

Dieser Band bildet die Abschlusspublikation des Forschungsprojektes ‚AN[N]O 2015 Aktuelle Normative Orientierungen, Geschlechteridentitäten und Berufswahlentscheidungen junger Frauen‘, das in der Zeit von 2011 bis 2014 an der Fachhochschule Kiel, am Institut für Interdisziplinäre Genderforschung und Diversity, durchgeführt wurde.
Im Vergleich zu früheren Generationen sind junge Frauen heute besser gebildet denn je. Häufiger als gleichaltrige Männer machen sie ihr Abitur, beginnen ein Studium und schließen dieses erfolgreich ab (vgl. Allmendinger et al. 2011).
Können durch die im vorangehenden Kapitel aufgezeigten Perspektiven wichtige Erklärungen für die weiterhin bestehenden Ungleichheiten in den Berufsverläufen von Frauen und Männern gegeben werden, erweist sich die Bedeutung von (Geschlechter-)Normen für die (Re-)Produktion struktureller Ungleichheiten im Berufssystem einerseits sowie subjektiver Deutungs- und Handlungspraxen in den Studien- und Berufswahlen von Subjekten andererseits als noch wenig erforscht.
Der Fokus dieser Studie liegt auf der Analyse des Einflusses und der Verarbeitung normativer Orientierungsmuster und Geschlechterbilder im Rahmen der Berufswahl- und Lebensplanprozesse insbesondere von Schülerinnen am Übergang Schule – Beruf. In der Forschungslandschaft im deutschsprachigen Raum fehlen bislang entsprechende Studien, die die normativen Anforderungen im Rahmen der Berufsorientierung von Mädchen und jungen Frauen analysieren und die Berufsorientierung von Mädchen und jungen Frauen im Schnittfeld zwischen Struktur und Handlung fokussieren (vgl. Kapitel 2). Aufgrund dieser Forschungslücke zielte das Forschungsvorhaben darauf ab, normative Orientierungsmuster und Anforderungen zu analysieren, die sich in den aktuellen lebensweltlichen Erfahrungsräumen der Mädchen und jungen Frauen als bedeutsam erweisen und deren Orientierungen und Wahlen rahmen.
Als eine zentrale Anforderung, die sich den jungen Frauen zum Ende der Schulzeit stellt, kann die Aufgabe verstanden werden, den ‚richtigen‘ Beruf zu finden und den dafür passenden ersten Schritt zu machen. Die Bewältigung dieser Anforderung wird dabei als das Treffen einer Entscheidung angesichts einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten verstanden. Auf die in den Diskussionsrunden gestellte Frage, was die Teilnehmerinnen in Bezug auf ihre Lebens- und Berufsplanungen beschäftigt, wird insbesondere von jungen Frauen im Alter von 17 – 19 Jahren auf die Vielzahl der beruflichen Möglichkeiten verwiesen.
In den Gruppendiskussionen zeigt sich, dass dem Themenfeld ‚Kinder – Familie – Berufstätigkeit‘ in den Zukunftsentwürfen junger Frauen am Übergang Schule – Beruf eine zentrale Bedeutung zukommt. In den jeweiligen Thematisierungen wird der Frage nach dem Verhältnis von Mutterschaft zur späteren Berufstätigkeit eine besondere Aufmerksamkeit beigemessen. So werden Fragen und Vorstellungen über denkbare und anerkennbare Entwürfe eines zukünftigen Lebens mit Kindern und Familie ausgelotet und in Relation zur anvisierten Berufstätigkeit als zentrale Orientierungen diskutiert.
In den Diskussionen über Berufs- und Lebensplanungen entwerfen die Mädchen und jungen Frauen Bilder von sich als zukünftigen Arbeitssubjekten. Im Rahmen dieser Entwürfe werden explizit auch Vorstellungen von anerkennbarer, intelligibler Weiblichkeit verhandelt. So wird in den Diskussionen austariert, welche beruflichen Interessen, welche berufliche Positionen und welche damit verbundenen körperlichen Inszenierungsmöglichkeiten anerkennbare Entwürfe von Weiblichkeit zulassen und welche hingegen nicht.
Die analysierten Gruppensequenzen zeigen auf, mit welch‘ vielfältigen normativen – und durchaus widersprüchlichen – Anforderungen sich heranwachsende Frauen am Übergang Schule – Beruf/Studium konfrontiert sehen. Exemplarisch wurden vor allem normative Anforderungen dargestellt, die sich zum einen auf Berufswahlprozesse (vgl. Kapitel 5), auf die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf (Kapitel 6) sowie auf die Kompatibilität von Beruf und intelligiblen Weiblichkeiten (vgl. Kapitel 7) beziehen.
Im Anschluss an die Darstellung ausgewählter normativer Orientierungen, die am Übergang Schule – Beruf für die Mädchen und jungen Frauen relevant werden, geht es in dem sich nun anschließenden Teil um die Frage, was die Forschungsergebnisse für die (sozial-)pädagogische Praxis bedeuten. In den Argumentationsfiguren der heranwachsenden Frauen wird ein Konsens über intelligible Weiblichkeiten hergestellt, der sich beispielsweise durch finanzielle Unabhängigkeit, Eigenverantwortung, eine Kenntnis des eigenen Selbst und eine Orientierung an heterosexuellen Geschlechterarrangements auszeichnet. Diese normativen Anforderungen können als bedeutende Einflussfaktoren im Rahmen von Prozessen der Berufswahl und Lebensplanung verstanden werden.
... Against this background, many social scientists have pushed the argument that social norms regarding the appropriate role of women and men -gender norms, for short, in what followsare one of the main reasons for the occupational gender segregation that still exists today (see, for example, Charles and Grusky, 2004;Eagly and Wood, 2016;Micus-Loos et al., 2016). And, indeed, recent empirical evidence shows that there is gender stereotyping in various contexts (e.g. ...
Article
We empirically test the hypothesis that adolescents' occupational aspirations are more gender-stereotypical if they live in a region where the societal norm towards gender equality is weaker. For our analysis, we combine rich survey data describing a sample of 1,434 Swiss adolescents who attended 8th grade in 2013 with municipal voting results dealing with gender equality and policy. We find that occupational aspirations predominantly follow gender stereotypes and that adolescents living in municipalities with a stronger norm towards gender equality are significantly less likely to aspire for a gender-stereotypical occupation, even after controlling for individual-level controls. At the same time, we also find that the association is surprisingly weak – in the sense that adolescents tend to aspire for gender-stereotypical occupations even in the most gender-progressive municipalities. Moreover, a more detailed analysis shows that the association mainly reflects the intergenerational transmission of occupations from parents to their children and/or regional differences in the prevailing occupational structure. We discuss the implications of these findings and several mechanisms that are consistent with the evidence from our analysis.
... It is presumably against this background of highly sticky patterns of gendered occupational choice that many social scientists and policymakers alike have pushed the argument that social norms regarding the appropriate role of women and men in (and outside) the labor market as well as gender-equality norms -gender norms, for short, in what follows -is one of the primary culprits, or perhaps even the single most important reason underlying the occupational gender segregation that is still present today (e.g. Micus-Loos et al., 2016). And, indeed, recent empirical evidence shows that there is gender stereotyping in various contexts (e.g. ...
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We empirically test the hypothesis that adolescents' occupational aspirations are more gender-stereo\-typical if they live in regions where the societal norm towards gender equality is weaker. For our analysis, we combine rich survey data describing a sample of 1,434 Swiss adolescents in 8th grade with municipal voting results dealing with gender equality and policy. We find that occupational aspirations are strongly gender-segregated and that adolescents living in municipalities with a stronger norm towards gender equality are significantly less likely to aspire for a gender-stereotypical occupation, even after controlling for individual-level controls. At the same time, gender norms have virtually no power in explaining the gender stereotypicity of individual occupational aspirations -- challenging the widespread conception that societal gender norms are one of the most important determinants of occupational gender segregation. Moreover, a more detailed analysis shows that the association may mainly reflect the intergenerational transmission of occupations from parents to their children and/or regional differences in the prevailing occupational structure.
... Something similar about its relationship with the issue of gender occurs not only with the issues of violence and sexuality, actually representing two core aspects of modern pedagogy and educational systems (see Mahs, 2016), but also with studies on the alterations of masculinity within different spaces of education (see Brownhill, 2016;Bowl, 2012). Another gap in the research refers to the systematic dimension that gender theory provides to the question for pedagogical interconnection between theory and praxis, taking into account the idealist impact of educational systems on the social and professional behavior of women and men in modern societies (see Micus-Loos, 2016;Gill, 2016). A crucial factor for the question of the ethical self-constitution of the subject and the normative dimension of the public sphere from the perspective of Education Science and the History of Education refers to the topic of both historical and current processes of migration and their relationship with the issue of gender (see Hoyer, 2015;Diehm & Messerschmidt, 2013). ...
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Der Fach- und Lehrkräftemangel in MINT-Bereichen ist ein Problem, das sich u.a. auf ein geringes Interesse an den MINT-Fächern zurückführen lässt. Im Rahmen des Modellprojekts "Teaching MINTD" wurden Lehrkräftefortbildungen entwickelt, um die Diversitäts- und Genderkompetenzen angehender und etablierter Lehrkräfte zu erhöhen. Langfristig sollen durch einen diversitätsorientierten und gendersensiblen MINT-Unterricht das Interesse und die Motivation von Schüler:innen gesteigert werden. Mittels Literaturrecherche und Unterrichtshospitationen wurden beinflussbare Elemente von Unterricht identifiziert und über Inhalte, Methoden und Materialien in Workshops zu Sprache, Methoden, Fachinhalten und Berufsorientierung adressiert. Die Wirkung auf die Physiklehrkräfte (N=6) wurde über Leitfadeninterviews untersucht und die Meinung der Schüler:innen (N=472) über Fragebögen erhoben. Im Ergebnis zeigt sich Physikunterricht aus Lernendensicht mit wenig Autonomieerleben und Differenzierung. Physik ist in der Berufswahl der Schülerinnen von geringer Relevanz, obwohl sie eine höhere Lernbereitschaft und Freude am Fach aufzeigen als Schüler. Die Lehrkräfte waren bereit, die Workshopelemente in den Unterricht zu integrieren, sofern die Praxistauglichkeit überzeugte und die Elemente den Bildungsplan sowie Bedürfnisse, Wünsche und konkrete Unterrichtsbeispiele thematisierten. In der Lehrkräftebildung sollten diese wirkungsvollen Elemente eingesetzt werden, um frühzeitig für Gender- und Diversitätsfragen zu sensibilisieren.
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Despite efforts to increase the share of women in IT, women remain largely underrepresented in higher IT education as well as in the IT workplace. Yet, in order to address the shortage of IT professionals and to enlarge diversity in the workplace, increasing the proportion of women who choose a career in IT is both an economic and societal imperative. Understanding career choice as a biographical decision-making process—rather than a one-point-in-time decision—the present work systemizes factors that inhibit young women to choose an IT career along the different phases of the career choice process. Taking these factors into account, approaches to increase girls’ motivation for a career in IT are discussed. The findings indicate that a combination of different factors comes into play early in the process already when attitudes and self-concepts develop. A lack of experiences as well as gender attributions of girls’ competences and of the IT profession play a decisive role. A concerted effort from childhood to young adulthood is needed to eliminate both gender and IT-related stereotypes and to provide girls and young females with relevant IT experiences, thus increasing their motivation and enabling a career choice solely on the basis of their own abilities and preferences.
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In this paper we discuss Judith Butlers theory of subjectivation as an analytical perspective that informs qualitative research. Our discussion takes up on the issue of reification of difference in gender studies and aims to show how a Butlerian perspective opens a specific understanding of the concept of difference. Transferring this epistemological perspective to qualitative research implicates changes for several levels of the research process. These implications are first discussed in general and then for biographical interviews and group discussions respectively. Concluding, we argue that an understanding of structure as being temporalized is central for the reflection on categories of difference in research processes and for deconstructions of essentialist notions of gender/difference.
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Der Band hat zum Ziel verschiedene Dimensionen von Care ins Verhältnis zur Sozialen Arbeit zu setzen und diese wechselseitigen Verknüpfungen kritisch zu beleuchten. Die Relevanz einer solchen Verhältnisbestimmung ergibt sich aus der Beobachtung, dass Care im Kontext der Sozialen Arbeit bislang kaum explizit behandelt wird. Es werden grundsätzliche Konfliktlinien beleuchtet, Einblicke in exemplarische Felder gegeben sowie bereits existierende Alternativen, Möglichkeiten für Solidarisierung und soziale Innovationen aufgezeigt. Die Zielgruppen Der Band ist interessant für Studierende, Lehrende und Forschende der Erziehungswissenschaft (insbesondere der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit, aber auch der Pflegewissenschaft), für Fachkräfte im Bereich der Organisation von Care-Arbeit in unterschiedlichen Berufsfeldern sowie für Praktiker*innen unterschiedlicher sozialer Berufe. Die Herausgeberinnen Dr. Christiane Bomert, Dr. Sandra Landhäußer, Dr. Eva Maria Lohner und Prof. Dr. Barbara Stauber forschen und lehren am Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Sozialpädagogik an der Universität Tübingen.
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Der Beitrag nimmt die prekären Beschäftigungsverhältnisse von osteuropäischen Care-Arbeiterinnen im Privathaushalt zum Ausgangspunkt, um die Bedingungen für Solidarität bzw. für die individuelle und kollektive Einforderung und Geltendmachung grundlegender sozialer und Arbeitsrechte aufzuzeigen. Es werden solidarische Praktiken, Beziehungen und der Transfer von Wissen (etwa um Rechte) in konkreten Räumen in Deutschland und der Schweiz betrachtet und argumentiert, dass die Soziale Arbeit und andere zivilgesellschaftliche Akteur*innen aufgefordert sind, beim Aufbau einer ‚Infrastruktur der Solidarität‘ mitzuwirken und professionelle Unterstützung bereitzustellen.
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Empirisch wird nachgezeichnet, wie wirkmächtig die vergeschlechtlichten Subjektpositionen der Frau als fürsorgende Mutter und des Mannes als erwerbsarbeitender Familienernährer in jugendlichen Zukunftsentwürfen sind. Dabei distanzieren sich die Jugendlichen von damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen und reproduzieren diese zugleich im Rekurs auf eine naturhafte Mütterlichkeit selbst. Die hiermit einhergehenden Handlungsbegrenzungen verweisen auf die Notwendigkeit einer geschlechtersensiblen Jugendarbeit, die familiäre Care-Verantwortung als geschlechtsübergreifende Aufgabe thematisiert.
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Gendertheorien nach ihren Perspektiven auf soziale Ausschlüsse sowie nach ihren Antworten auf Herausforderungen des Umgangs mit diesen Ausschlüssen zu befragen, stellt sich als ebenso vielversprechendes wie unmögliches Unterfangen dar. Das Vorhaben scheint vielversprechend, weil Gendertheorien – ebenso wie andere machtreflexive Differenztheorien so etwa postkoloniale Theorien (vgl. dazu Castro Varela in diesem Band), klassentheoretische Ansätze (vgl. dazu Dörre in diesem Band) oder Rassismustheorien – die von ihr fokussierten Differenzverhältnisse als Ungleichheits- und Machtverhältnisse und mithin auch als Ausschließungsverhältnisse zu analysieren und zu problematisieren verstehen. Die für die Genderforschung charakteristischen Thematisierungen von Geschlechterdifferenzen und Geschlechterdifferenzverhältnissen können folglich bedeutende Hinweise darauf geben, wie, auf welchen Ebenen und mit welchen Effekten soziale Ungleichheiten und soziale Ausschlüsse hergestellt werden, und sie helfen damit solche Fragen und Probleme zu erhellen, die sich der Sozialen Arbeit als Umgang mit diesen Ausschlüssen stellen.