Content uploaded by Yousef Hooshmand
Author content
All content in this area was uploaded by Yousef Hooshmand on Mar 04, 2017
Content may be subject to copyright.
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 1
März 2017, Magdeburg
Unterstützung von multidisziplinären Engineering-Prozessen
im Kraftwerksbau (UMEK)
Dr.-Ing. Yousef Hooshmand, Prof. Dr.-Ing. Peter Köhler, Thivakar Manoharan, M. Sc.
Institut für Produkt Engineering, Universität Duisburg-Essen
E-Mail: {Vorname}.{Nachname}@uni-due.de
Die Autoren danken den Projektpartnern für die aktive Mitwirkung bei der Gestaltung dieses Ta-
gungsbeitrages.
Zusammenfassung
Vielfältige Anforderungen steigern den multidisziplinären Charakter der Produkte und Systeme im Ma-
schinen- und Anlagenbau und erhöhen damit auch deren Komplexität. Dies erfordert eine engere Ko-
operation von unterschiedlichen Fachdisziplinen, was demzufolge den Kommunikations- und Koordi-
nationsaufwand erhöht. Zudem bestehen die technischen Lösungen zunehmend aus softwareintensi-
ven Systemen mit mechanischen, mechatronischen und elektronischen Komponenten, die zu einer
Gesamtlösung zusammengefügt werden müssen. Hierfür sind unter anderem sowohl die ersichtlichen
als auch die versteckten Wechselwirkungen und Effekte zwischen unterschiedlichen Systembaustei-
nen zu untersuchen und zu berücksichtigen. Darüber hinaus werden im Anlagenbau sehr unterschied-
liche Techniken der Informationsverarbeitung eingesetzt, was teilweise auch davon abhängt, in wel-
chem Teilbereich (Maschinentechnik, E-Technik, Steuerungs- und Regelungstechnik, Stahlbau, Mas-
sivbau, TGA, …) oder in welcher Planungsphase (Angebot, Basic- und Detail-Engineering, Realisierung,
…) man sich befindet. Die bisherigen Richtlinien und Normen zum Daten- und Informationsaustausch
im Kraftwerks- und Anlagenbau zielen bisher immer nur auf gewisse Teilbereiche und Anwendungs-
fälle ab, so dass interdisziplinäre Engineering-Prozesse nicht durchgängig widerspruchsfrei abgesi-
chert werden können. Damit sind auch die Möglichkeiten für ganzheitliche Untersuchungen an digita-
len Kraftwerksmodellen noch stark eingeschränkt.
Um diese Probleme zu beseitigen wurde ein ganzheitlicher modellbasierter Ansatz erarbeitet. Er er-
möglicht unter anderem die datentechnische Verbindung bestehender Wissens- und Lösungsinseln,
die sowohl für die Anlagen- und Prozessmodellierung der unterschiedlichen Gewerke als auch für das
phasengeprägte Systemengineering von Kraftwerkskomponenten sowie Komplettanlagen notwendig
sind. Dabei wird die Basis für die pragmatische Realisierung eines integrierten Systemmodells in gän-
gigen PLM-Systemen geschaffen, was die Rückverfolgbarkeit von Änderungen sicherstellt und die un-
erlässliche Impactanalyse ermöglicht. Der Ansatz umfasst zudem die Integration des auslegungsspezi-
fischen Wissens in CAx-Prozesse, damit sowohl die Qualität und Zuverlässigkeit der entsprechenden
Komponenten als auch die Dokumentations- und Zertifizierungsprozesse effektiver als bisher in den
verschiedenen Planungs- und Entwicklungsphasen abgesichert werden können. Dabei werden die Be-
sonderheiten von föderalisierten IT-Landschaften berücksichtigt. Bidirektionale Verknüpfungen von
Entwurfs- und Auslegungsprozessen werden im Projekt beispielhaft für Kühlkreisläufe, Druckgeräte
und Rohrleitungssysteme untersucht und in das Gesamtkonzept eingeordnet.
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 2
März 2017, Magdeburg
Die Gewerke übergreifende Berücksichtigung und Integration von Engineering-Prozessen sowie die
Einbindung von Klassifizierungs- und Kennzeichnungssystemen wie eCl@ss
1
und KKS
2
(oder auch RDS-
PP
3
) dienen darüber hinaus zur effektiveren Beherrschung der Komplexität, Erhöhung der Transparenz
und der Verbesserung der Kommunikation zwischen multidisziplinären Teams.
1. Einleitung
1.1. Komplexität von Systemen und Systementwicklungen
Unternehmen mit individualisierten Produkten, wie im Maschinen- und Anlagenbaubereich, befinden
sich im Spannungsfeld zwischen vollständiger Individualisierung des Produktportfolios und lang ge-
wünschter Skaleneffekte. In der Regel wird versucht, diverse Kundenwünsche durch das Erstellen und
Anbieten von kundenindividuellen Lösungsvarianten zu erfüllen, was als ein wichtiges Differenzie-
rungsmerkmal zur Verbesserung der Wettbewerbsposition dient. Dies erhöht allerdings drastisch den
Variantenreichtum und die Komplexität des Leistungsspektrums, was mit mehr Aufwand in fast allen
Unternehmensbereichen verbunden ist (Hooshmand 2015).
Die Situation ist im Anlagenbau noch intensiver, da nicht nur unterschiedliche Engineering-Disziplinen,
sondern auch verschiedene Gewerke mit teilweise widersprüchlichen Anforderungen an demselben
Projekt arbeiten. Der Planungs-, Entwicklungs- und Errichtungsprozess dauert in der Regel einige
Jahre, was ein konsequentes Änderungsmanagement erschwert. Dies schließt die Veränderungen ein,
die häufig sowohl in der Entwicklungs- als auch in der Bauphase auftreten, aber entweder nicht richtig
gemeldet und dokumentiert werden oder, falls berichtet, ihre Auswirkungen auf das System nie als
Ganzes analysiert werden.
Bei verfahrenstechnischen Anlagen wird komponentenspezifisches Wissen nach DIN EN ISO 10628 in
Fließbildern hinterlegt, welche die Basis für die Detailplanung darstellen. Je nach Detailierungsgrad
wird unterschieden zwischen Grundfließbildern, Verfahrensfließbildern und Rohrleitungs- und Instru-
mentenfließbildern (RI-Fließbild). Diese bilden schematisch den in einer Anlage ablaufenden Prozess
ab und enthalten Informationen über Ein- und Ausgangsstoffe, Stoff- und Energieströme und vorge-
sehene Betriebsbedingungen. RI-Fließbilder enthalten darüber hinaus noch wichtige Rohrleitungs-
merkmale, wie Rohrklassen, Einbauten, Isolierungen und Verbindungen. Auch die geometrischen Ver-
läufe aller Leitungen sowie die mess- und regelungstechnischen Einbauten sind aus dem RI-Fließbild
ersichtlich. Das RI-Fließbild stellt somit Informationen zur Verfügung, die für die anschließende Detail-
planung notwendig sind.
Die dabei häufig festzustellende mangelnde Durchgängigkeit bei den verfügbaren Anlagenplanungs-
tools wird durch Bittermann (Bittermann 2008a) thematisiert. Bemängelt wird aus Sicht der Anwender
unter anderem, dass es zwar Speziallösungen für jedes Gewerk gibt, diese aber meist nach der Fließ-
bilderstellung für den weiteren Entwicklungsprozess keine Unterstützung bieten. Auch die mangelnde
Kompatibilität zwischen den einzelnen Planungs- und Berechnungstools sowie Simulationstools, bei-
spielsweise für Heizlasten, Kühllasten, Rohr- und Kanalnetze, wird kritisiert. In Bittermann (Bittermann
2008b) werden mit Blick auf die steigenden Qualitätsanforderungen bei gleichzeitiger Reduzierung
1
eCl@ss ist der branchenübergreifende Produktdatenstandard für die Klassifizierung und eindeutige Beschrei-
bung von Produkten und Dienstleistungen (www.eclass.eu).
2
Kraftwerkskennzeichnungssystem (KKS)
3
Reference Designation System for Power Plants (RDS-PP)
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 3
März 2017, Magdeburg
der Entwicklungszeiten und Minimierung der Gesamtkosten unter anderem ein Datenaustausch-Stan-
dard sowie die stärkere Unterstützung des Anlagenplaners bei der Ausführung von kreativen Arbeiten
gefordert.
1.2. Verbundprojekte UMEK und WPSK
Dieser Beitrag stellt ausgewählte Zwischenergebnisse zweier Verbundprojekte vor, die vom Bund ge-
fördert werden:
UMEK: Unterstützung von multidisziplinären Engineering-Prozessen im Kraftwerksbau
WPSK: Wissensbasierte CAx-Prozessketten für Schweißkonstruktionen im Kraftwerksbau.
Die Projekte nehmen Bezug auf das 6. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung „Forschung
für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“, insbesondere auf die
darin enthaltenen strategischen Zielstellungen hinsichtlich der Kraftwerkstechnik. Es soll nicht zuletzt
dazu beitragen, notwendige Engineering-Prozesse informationstechnisch abzusichern, so dass auch
Szenarien zur spezifischen Abschätzung von Lastflexibilität durch verknüpfte digitale Komponenten-
und Prozessmodelle umgesetzt werden können. Die Projekte sind Bestandteil der Initiativen des Clus-
ters Rhein Ruhr Power zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der im Kraftwerksbereich tätigen deut-
schen Unternehmen.
Das UMEK-Projekt wird dazu beitragen, kooperative und Gewerke übergreifende Engineering-Pro-
zesse im Kraftwerksbau so weiter zu qualifizieren, dass weiterreichende System- und Prozessoptimie-
rungen als bisher möglich werden. Dabei wird der Einsatz moderner Informationstechnologien in Ver-
bindung mit digitalen Anlagen- und Prozessmodellen nicht nur für die Planungs- sondern auch für Re-
alisierungs- und Inbetriebnahmeprozesse sowie den Kraftwerksbetrieb eine besondere Rolle spielen.
Im Blickpunkt stehen daher vor allem die Absicherung eines möglichst widerspruchsfreien Daten- und
Informationsmanagements in allen Engineering-Phasen sowie der regelbasierte Aufbau digitale Kom-
ponenten-, Anlagen- und Prozessmodelle, so dass die Durchgängigkeit von Engineering-Prozessen für
die Planung, Entwicklung, Herstellung und Instandhaltung von Kraftwerkssystemen deutlich erhöht
und die informationstechnische Einbindung von Methoden des Prozess- und Qualitätsmanagements
möglich werden. Damit soll zugleich eine ganzheitliche modellbasierte Systementwicklung ermöglicht
werden.
Ziel des WPSK-Projektes ist es, im unmittelbaren Arbeitsumfeld des Konstrukteurs stets das für die
Erfüllung der jeweiligen Aufgabe erforderliche schweißtechnische und auslegungsspezifische Wissen
verfügbar zu machen und den Prozess der schweiß- und anforderungsgerechten Gestaltung der Kom-
ponenten unter Beachtung bereits bestehender Schweißanweisungen und einzuhaltender Regel-
werke möglichst systemintern in den CAD/CAE-Applikationen abzusichern. Anhand kraftwerksspezifi-
scher Anwendungsfälle werden Konzepte zur Integration schweißtechnischen und auslegungsspezifi-
schen Wissens in CAx-Prozesse entwickelt und mit entsprechenden Informationstechniken umgesetzt,
so dass sowohl die Qualität und Zuverlässigkeit der entsprechenden Komponenten als Dokumentati-
ons- und Zertifizierungsprozesse effektiver als bisher in den verschiedenen Planungs- und Entwick-
lungsphasen abgesichert werden können. Ebenso werden Strategien umgesetzt, die auch eine digitale
Informationsweitergabe an Zuschnitt- und Schweißprozesse und deren Optimierung hinsichtlich Qua-
lität und Wirtschaftlichkeit (Material- und Energieeinsatz) ermöglichen.
1.3. Systementwicklung im Maschinen- und Anlagenbau
Systems Engineering (SE) bewährt sich immer mehr als effektiver Weg zur Bewältigung der zunehmen-
den Komplexität der Systeme sowie der Entwicklungs- und Änderungsprozesse. Der Ursprung des SEs
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 4
März 2017, Magdeburg
kann bis in die 1930er Jahre zurückverfolgt werden. Schon bei ihrer frühesten Anwendung war SE von
Nutzen, um das verbundene Risiko mit neuen Systemen oder Modifikationen an komplexen Systemen
zu verringern (INCOSE 2015). Die steigende Komplexität von multidisziplinären Produkten und Syste-
men und deren Entwicklungsprozessen kann allerdings nicht mehr mit klassischen, dokumentbasier-
ten SE Methoden beherrscht werden. Dementsprechend ist ein Paradigmenwechsel von dokument-
zentrischen zur daten- bzw. modellzentrischen Entwicklung erforderlich.
In den letzten Jahren gewann der Ansatz Model-Based Systems Engineering (MBSE) zunehmend an
Bedeutung und wird zu einer der wichtigsten Säulen der "Industrie 4.0". Dabei wird ein System (be-
stehend aus Systemarchitektur, -anforderungen und -verhalten) ganzheitlich und formal beschrieben.
Dies stellt alle Systembausteine in eine semantische Beziehung zu einander. Dafür ist unter anderem
eine formale Modellierungssprache wie OMG SysML (Systems Modeling Language) notwendig.
Dadurch werden die bestehenden Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Systembausteinen
transparenter und es können die Impactanalysen von Plan- oder/und Bauänderungen (semi-)automa-
tisch durchgeführt werden.
Während der Systementwicklung und in unterschiedlichen Systementstehungsphasen wird eine Viel-
zahl von Softwarewerkzeugen eingesetzt. Abhängig von der Engineering-Disziplin und der Planungs-
phase sowie der Gewerke sind unterschiedliche Softwarewerkzeuge mit diversen (vor allem proprie-
tären) Datenformaten notwendig, die nicht direkt miteinander kommunizieren können. Das führt
dazu, dass Produktdaten häufig redundant gehalten werden, um in verschiedenen Applikationen ver-
wendet zu werden (Kaufmann et. al.). Für ein modellbasiertes Vorgehen ist daher eine kohärente Nut-
zung des Informationsmanagements unverzichtbar. Dementsprechend sollen die erzeugten System-
bausteine und Systemartefakte zusammengeführt, gemeinsam verwaltet und semantisch in Bezie-
hung zueinander gesetzt werden, um das gesamte Potential der modellbasierten Systems Engineering
ausschöpfen zu können (Hooshmand et al. 2016). Darüber hinaus muss der normgerechte Datenaus-
tausch z. B. auf Basis ISO 15926 und ISO 10303 intensiver eingesetzt werden.
Nachfolgend wird der entwickelte Ansatz zum modellbasierten Systems Engineering im Maschinen-
und Anlagenbau näher beschrieben und ausgewählte Zwischenergebnisse der informationstechni-
schen Umsetzung des Konzeptes vorgestellt. Das in PAS 1059 hinterlegte Vorgehensmodell zur Pla-
nung verfahrenstechnischen Anlagen wurde bei der Entwicklung und Implementierung des Ansatzes
berücksichtigt.
2. Modellbasierte Systems Engineering
Dieser Beitrag stellt eine pragmatische Lösung zum modelbasierten Systems Engineering im Maschi-
nen- und Anlagenbau entlang der gesamten System- bzw. Anlagenentstehungsphasen vor. Dabei wird
einerseits (semi-)automatisch ein formales Systemmodell mit der Modellierungssprache SysML ent-
wickelt und andererseits werden die disziplinspezifischen und disziplinübergreifenden Modelle mit
Hilfe eines PLM-Backbones integriert und verknüpft. Die erarbeiteten Konzepte werden auf Basis von
ausgewählten Problembereichen wie z. B. Auslegung und Entwicklung eines Kühlwasserkreislaufs von
Kraftwerken informationstechnisch umgesetzt, erprobt und validiert.
2.1. Erstellung des Systemmodells der Anlage
Ein formal beschriebenes Systemmodell ist eine Voraussetzung zur Ermöglichung des modellbasierten
Systems Engineering während der gesamten Lebenszyklusphasen und zum Erreichen des Ziels „Single
Source of Truth“. In diesem Projekt wird das Systemmodell mit Hilfe der Modellierungssprache SysML
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 5
März 2017, Magdeburg
erstellt, welches entlang der Entstehungsphasen (semi-)automatisch mit weiteren Informationen an-
gereichert wird. Je mehr die Entwicklung der (Teil-)Anlagen und Komponenten fortschreitet, desto
mehr Information und Wissen wird dem Systemmodell hinzugefügt. Das Basismodell wird anhand von
in Fließbildern hinterlegten Informationen generiert (Komponenten, Material- und Energiefluss etc.).
Weitere Informationen werden aus CAx-Modellen extrahiert und dem Systemmodell hinzugefügt. So-
mit wird das System bzw. die Anlage noch genauer definiert. Zur automatischen Extraktion von Infor-
mationen, zum Datenaustausch und zur (semi-)automatischen Modellerstellung sind werkzeugspezi-
fische Plug-Ins und ein Webservice notwendig. Abbildung 1 zeigt konzeptionell die benötigten Plug-
Ins und den Webservice zum Datenaustausch.
Das mit SysML modellierte Systemmodell beschreibt sowohl die Anlage (inkl. Anlagenstruktur und An-
lagenverhalten) als auch die bestehenden Anforderungen (inkl. rechtliche und technische Anforde-
rungen). Die Anforderungen sind häufig in diversen (PDF-)Dokumenten, bekannt auch als Spezifika-
tion, beschrieben. Diese müssen als erstes in Einzelanforderungen aufgeschlüsselt und mit den Sys-
tembausteinen des Anlagenmodells verknüpft werden. Somit wird unter anderem die Versionierung
von Anforderungen möglich und die Verfolgung von Änderungen deutlich einfacher. Das Software-
werkzeug ReqMan® kann zur automatisierten Anforderungsextraktion und -strukturierung benutzt
werden. Wie in Abbildung 1 dargestellt, wird das ganzheitliche Systemmodell der Anlage mit dem
Softwarewerkzeug Cameo Systems Modeler generiert.
Abbildung 1: (Semi-)Automatische Generierung des Systemmodells der Anlage
Die Mitarbeiter einzelner Engineering-Disziplinen können somit weiterhin mit ihren vertrauten Soft-
warewerkzeugen arbeiten und das Systemmodell steht sowohl auf Anlagen- als auch auf Komponen-
tenebene jederzeit als „Single Source of Truth“ zur Verfügung. Das vorgestellte Konzept ermöglicht
unter anderem die Erhöhung der Nachvollziehbarkeit, eine genauere Evaluierung und Impactanalyse
von Änderungen, eine effiziente Kommunikation und Koordination zwischen unterschiedlichen Teams
und nicht zuletzt eine durchgängige Integration auslegungsspezifischen Wissens in CAx-Prozesse. Das
Systemmodell der Anlage wird zudem als Basis für die Integration der FMEA-Analyse und das Varian-
tenmanagement in den Entwicklungsprozess sowie für die Klassifizierung und Kennzeichnung der An-
lage verwendet.
Die entwickelten Plug-Ins und Webservices dienen auch zum bidirektionalen Datenaustausch zwi-
schen Softwarewerkzeugen wie CAD und Berechnung sowie mit PLM-Systemen, die als Backbone für
die Modellintegration gelten. Dies wird in den nächsten Abschnitten näher erläutert.
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 6
März 2017, Magdeburg
2.2. Anlagenstruktur in PLM
Ausgewählte Informationen des vorgestellten Systemmodells werden ins PLM-System übertragen. Je
nach Anwendungsfall und Ziel umfasst dies die aus dem P&ID (Piping and Instrumentation Diagram)
abgeleitete Anlagenstruktur, ausgewählte Merkmale sowie Klassifizierungs- und Kennzeichnungs-
nummern. Der Aufbau der P&ID-basierten Anlagenstruktur in PLM vereinfacht insbesondere die Do-
kumentation auf sowohl Anlagen- als auch Komponentenebene. Da die P&IDs die Basis zum Aufbau
des Projektstrukturplans
4
(PSP) bilden, wird die Integration von Projektmanagement und Dokumenta-
tion noch einfacher. Auf Anlagenebene spiegelt die in PLM angelegte Struktur das Kennzeichnungs-
system (in diesem Fall KKS) wider. Jedes Strukturelement enthält eine eindeutige Kennzeichnungs-
nummer, was das Mapping zwischen unterschiedlichen Strukturen innerhalb des Projektes erleichtert.
Parallel zur Kennzeichnungsnummer existiert eine eindeutige Klassifizierungsnummer (in diesem Fall
eCl@ss), die jede Komponente bis auf einem beliebigen Detaillierungsgrad eindeutig klassifiziert und
beschreibt. Anders als Kennzeichnungsnummern bleiben die Klassifizierungsnummern von gleichen
Elementen anlagen- und projektübergreifend gleich. Abbildung 2 zeigt die Anlagenstruktur in keytech
PLM.
Abbildung 2: Die Anlagenstruktur in keytech PLM (Quelle: Keytech Software GmbH/CAD Schroer GmbH)
4
Engl.: Work Breakdown Structure (WBS)
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 7
März 2017, Magdeburg
Die angelegte Anlagenstruktur in PLM dient zudem als Knotenpunkt zur Verknüpfung der unterschied-
lichen disziplinspezifischen und disziplinübergreifenden Modelle (CAD, Berechnung, Simulation etc.).
Diese Modelle stehen unter Versionsverwaltung. Sowohl deren Einflüsse aufeinander als auch deren
Änderungen bleiben immer nachvollziehbar. Zum Beispiel kann die Änderung eines CAD-Modells die
Änderung bzw. die Aktualisierung seines Berechnungsmodells in Gang setzen und umgekehrt. Da die
Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Anlagenelementen auch in PLM stehen, kann eine Im-
pactanalyse direkt in PLM durchgeführt werden. Dafür sind insbesondere Graph-Datenbanken von
Vorteil.
2.3. Wissensbasierte CAx-Prozesskette
Einer der wesentlichen Bestandteile des vorgestellten Ansatzes ist die Modell- und Wissensintegration
in CAx-Prozessketten. Dies wird unter anderem im Rahmen des Verbundprojektes „Wissensbasierte
CAx-Prozessketten für Schweißkonstruktionen im Kraftwerksbau (WPSK)“ bearbeitet. Hier werden
Schweißkonstruktionen des Stahl-, Apparate- und Anlagenbaus betrachtet, die für den Kraftwerksbau
von Bedeutung sind. Abbildung 3 zeigt einige Problembereiche am Beispiel einer Filterbaugruppe der
Firma Taprogge.
Abbildung 3: Teil einer Filterbaugruppe (Quelle: Taprogge GmbH)
Es wurde eine Wissensbasis erstellt, die für Schweißkonstruktionen relevante Daten und Informatio-
nen beinhaltet. Teilweise wurden Normen, Richtlinien, schweißtechnische Software und auch Exper-
tenwissen implementiert. Die Daten liegen in Form von Datenbanken, Dokumenten und auch anderen
Programmen in der Wissensbasis vor. Der Zugriff erfolgt durch einen speziell für diesen Anwendungs-
fall generierten Webservice, der wiederum aus verschiedenen Microservices besteht. Hierdurch ist
die Wissensbasis unabhängig von der Clientsoftware (CAD-Systeme, PLM-Systeme, Konfiguratoren o-
der auch Browser). Somit kann jederzeit die Struktur der Wissensbasis geändert oder sogar ausge-
tauscht werden, ohne dass die Clientprogramme angepasst werden müssen. Der Client kann unab-
hängig von der Plattform und Programmiersprache auf die Daten zugreifen. Die Anfragen an den
Webservice erfolgen durch HTTP-Befehle, welches dann wiederum mit JSON-Dateien antwortet. Es
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 8
März 2017, Magdeburg
werden aber auch in einigen Fällen andere Eingabedateien oder PDF-Dokumente geliefert. Eine sche-
matische Beschreibung der Wissensbasis ist in Abbildung 4 dargestellt.
Abbildung 4: Wissensbasierte CAx-Prozesskette
Einer dieser Services stellt ein Berechnungsmodul dar. Dieser kann auf Anfrage im Hintergrund eine
Behälterberechnung (aktuell mit MDESIGN espresso bzw. vergleichbarer Software zur Druckgerätebe-
rechnung) durchführen und dem CAD-Modell die benötigten Informationen, wie den maximal zulässi-
gen Druck und die vorhandene Spannung, liefern. Angestrebt wird eine bidirektionale Verknüpfung
zwischen dem Berechnungsmodul und dem CAD-Modell. Auch die Daten aus der schweißtechnischen
Software können über diesen Webservice erfragt und bereitgestellt werden. Dieser fragt in diesem
Fall wiederum bei einem Webservice der WPS-Manager-Datenbank (Projektpartner ist hier die SLV
Halle) nach und liefert die notwendigen Schweißnahtinformationen in einer JSON-Datei.
2.4. Integrierte Simulation auf unterschiedlichen Ebenen
Mit Hilfe des im Abschnitt 2.1 erstellten Systemmodells können die Wechselwirkungen zwischen un-
terschiedlichen Systemelementen (inkl. Anlagenkomponenten, Anforderungen etc.) sowie das Verhal-
ten der Anlage analysiert werden. Da das Systemmodell die Anlage auf unterschiedlichen Detaillie-
rungsebenen beschreibt, ist die Verhaltensanalyse auch auf unterschiedlichen Ebenen durchführbar.
Dies kann sowohl in der SysML-Modellierungsumgebung als auch in weiteren professionellen (Simu-
lations-)Umgebungen durchgeführt werden. Somit werden z. B. auf Systemebene das Verhalten der
Anlage unter verschiedenen Lastbedingungen (40%, 60% etc.) simuliert und analysiert, während auf
Komponentenebene die Schwingungen und Wärmeverlust der Komponenten unter gleichen Lastbe-
dingungen (40%, 60% etc.) untersucht werden. Dies sichert eine ganzheitliche Simulation des Systems
auf allen Ebenen ab.
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 9
März 2017, Magdeburg
Im Rahmen des Projektes ist unter anderem die Integration der Software SimulationX der Firma ESI ITI
GmbH in den dargestellten Ansatz in Abbildung 1 geplant. Mit der Software lassen sich technische
Systeme ab dem ersten Entwurf bis hin zur fertig entwickelten Anlage, Maschine oder Komponente
simulieren und analysieren. Basierend auf der offenen Modellbeschreibungssprache Modelica und
umfangreichen Schnittstellen (u. a. FMI), lässt sich die Systemsimulation einfach in den Entwicklungs-
prozess integrieren. Das physikalischen Verhalten wird auf Basis von Differentialgleichungen berech-
net.
Abbildung 5: Simulation eines Kreislaufes in SimulationX (Quelle: ESI ITI)
Im nächsten Abschnitt ist der Kühlwasserkreislauf kurz beschrieben und beispielhaft in dem Software-
werkzeug MPDS4 modelliert. Dies ermöglicht unter anderem die weitere Berechnung der Gesamtan-
lage in unterschiedlichen Lastbedingungen.
3. Kühlwasserkreislauf: 3D-Modellierung und Berechnung
3.1. Kühlwasserkreislauf
Der Kühlkreislauf ist ein wichtiger Bestandteil eines Kraftwerks und ist über den Kondensator an das
restliche Kraftwerk gekoppelt (siehe Abbildung 6). Es besteht im hier betrachteten Beispiel aus der
Kühlwasserpumpe, einem Hochleistungs-Rückspülfilter, dem Kondensator, einer Kondensatorreini-
gungsanlage und einem Kühlturm. Alternativ wird das für den Kühlkreislauf benötigte Wasser auch
direkt aus einem Fluss oder dem Meer entnommen. Im Falle einer Kühlturmanwendung wird das Was-
ser mittels der Kühlwasserpumpen aus der Kühlturmtasse gesaugt, ggfs. über ein Filter von Ver-
schmutzungen gereinigt und durch den Kondensator geleitet, wo auf der heißen Seite der Turbinen-
dampf gekühlt und somit auskondensiert wird. Zur Erhaltung der Effizienz des Kondensators wird in
der Regel immer eine Kondensatorreinigungsanlage installiert. Dort werden Schwammgummikugeln
vor dem Kondensator eingeschleust, durch die Kühlrohre geleitet, hinter dem Kondensator mit Hilfe
einer Siebeinrichtung vom Kühlwasserstrom heraus gesiebt und wieder zum Kondensatoreintritt ge-
pumpt. Die Schwammgummikugeln sind etwas größer als der Rohrinnendurchmesser und halten die
Rohre frei von Ablagerungen. Derartig optimierte Kühlkreisläufe können maßgeblich die Effizienz so-
wie den Gesamtwirkungsgrad und somit die Energieausbeute eines Kraftwerksblockes positiv beein-
flussen.
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 10
März 2017, Magdeburg
Durch sinnvoll entworfene Kühltürme lassen sich viele Umwelt- und Leistungsaspekte bereits während
der Kraftwerksplanung verbessern. Die Wahl der Kühlturmtechnologie (Naturzug, Kreuzstrom, Zellen-
kühlturm, …) ist einer der großen Kostentreiber auf der „kalten Seite“ in der Realisierung von Kraft-
werken. Diverse rechtliche, technische und umweltbedingte Anforderungen beeinflussen die Kühl-
turmtechnologie. Gleichermaßen beeinflusst die Wahl der Kühlturmtechnologie verschiedene As-
pekte wie Eigenbedarf an elektrischer Energie, Kosten der Kühlwasseraufbereitung, Bauzeit, Schalle-
mission sowie Wartungs- und Instandhaltung. Die vor- und nachgelagerten Anforderungen und Fak-
toren müssen sorgfältig untersucht und deren Einfluss auf das Gesamtsystem analysiert werden. In
ähnlicher Weise müssen weitere Haupt- und Nebenkomponenten der Anlage ausgelegt und mit Blick
auf das Gesamtsystem entwickelt werden.
a) b)
Abbildung 6: a) Anlagenschema Steinkohlekraftwerk (Görner und Sauer 2016) b) Vereinfachtes CAD-Modell
eines Kühlturms (Quelle: Aéro-Solutions SAS)
Der in dieser Arbeit vorgestellte modellbasierte Ansatz hilft unter anderem dabei, rechtzeitig alle tech-
nischen und nichttechnischen Anforderungen und Faktoren zu berücksichtigen und deren Änderungs-
einfluss sowohl auf Komponentenebene als auch auf Anlagenebene zu analysieren.
3.2. Anlagenplanung und Berechnung
Die Visualisierung der Kraftwerkskomponenten dient dem Anlagenplaner dazu, verschiedene Ge-
werke räumlich in Zusammenhang zu bringen. Wie oben erwähnt, basiert ein realer Arbeitsablauf zu-
meist auf der Planung mittels 2D-Prozessschaubildern. Diese P&IDs stellen die Abfolge und Verschal-
tung der einzelnen Rohrstränge und ihrer Komponenten dar, so dass hier der führende Teilprozess der
Planung zu sehen ist. Um für die Planung einen durchgängigen Prozess mit eindeutigen Daten zu ga-
rantieren, wurde die direkte Verknüpfung des so erstellten 2D-Plans mit dem 3D-Planungstool MPDS
der Firma CAD Schroer GmbH genutzt. Die Schnittstelle der Softwaretools ist aufeinander abgestimmt
und ermöglicht dem Anwender durch direkte Integration, die zuvor in 2D erzeugten P&ID-Informatio-
nen mit wenigen Handgriffen in 3D zu visualisieren. Abbildung 2 zeigt im Grafikfenster die korrespon-
dierenden 2D- und 3D-Modelle des Kühlkreislaufs.
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 11
März 2017, Magdeburg
Wie im Abschnitt 2.1 beschrieben werden die P&IDs zur Erstellung des Systemmodells in SysML ver-
wendet. Das Systemmodell wird dann nach und nach mit weiteren Informationen aus (CAx-)Modellen
ergänzt und vervollständigt. Zugleich steht das Systemmodell als Informationsquelle für die nachfol-
genden Engineering-Prozesse zur Verfügung. Somit kann z. B. das 3D-Modell einerseits auf das Sys-
temmodell zugreifen, um eine Impactanalyse durchzuführen oder die hinterlegten Wechselwirkungen
zwischen Systemelementen zu untersuchen. Andererseits versorgt das 3D-Modell das Systemmodell
mit wesentlichen geometrischen Daten und weiteren Modelleigenschaften.
Abbildung 7: Rohrnetzberechnung (Quelle: SIGMA Ingenieurgesellschaft mbH)
Zur Automatisierung der statischen und dynamischen Berechnung der Rohrleitungen in unterschied-
lichen Lastbedingungen, sind sowohl geometrischen Daten (Isometrie, Rohrklasse, Werkstoff etc.) als
auch im Systemmodell gespeicherten Lastzustände notwendig (Abbildung 7). Ein automatischer Da-
tenaustausch auf Basis ISO 15926 ist noch nicht möglich aber in Planung. Dadurch kann unter anderem
die stark fehleranfällige manuelle Arbeit begrenzt und der Datenverlust verhindert werden. Gemein-
sam mit der SIGMA Ingenieurgesellschaft mbH werden hier Konzepte entwickelt, die den bidirektio-
nalen Datenaustausch mit 3D-Anlagenplanungssystemen und Berechnungssystemen zur Rohrnetzbe-
rechnung (ROHR2 und SINETZ) ermöglichen.
Literaturverzeichnis
Bittermann, H.-J. (2008a), „Anwenderforderungen an Engineering-Tools für die Prozessindustrie“ Fachartikel in
PROCESS - Chemie, Pharma, Verfahrenstechnik. Vogel Verlag, Würzburg.
Bittermann, H.-J. (2008b), „IT im Engineering: Was wünschen sich Anwender von den Entwicklern?“ Fachartikel
in PROCESS– Chemie, Pharma, Verfahrenstechnik. Vogel Verlag, Würzburg, 2008.
Hooshmand, Y. (2015), "Transparenzerhöhung bei der Entwicklung von individualisierten Produkten in der Ein-
zelfertigung", Verlag Dr.Hut, München.
Hooshmand, Y., Höner, M., Danjou, S. and Köhler, P. (2016), "Ein integriertes Gesamtsystemmodell für die mo-
dellbasierte Entwicklung", DfX-Symposium, Hamburg, 5.-6. October 2016, Tutech Verlag, Hamburg, pp.
243-254.
32. FDBR-Fachtagung Rohrleitungstechnik 12
März 2017, Magdeburg
INCOSE (2015), "INCOSE Systems Engineering Handbook: A Guide for System Life Cycle Processes and Activi-
ties", 4th Edition, John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey.
ISO 10303, “Industrial automation systems and integration -- Product data representation and exchange”, In-
ternational Organisation for Standardization, Geneva.
ISO 15926, “Industrial automation systems and integration -- Integration of life-cycle data for process plants
including oil and gas production facilities”, International Organisation for Standardization, Geneva.
ISO 10628, “Diagrams for the chemical and petrochemical industry”, International Organisation for Standardi-
zation, Geneva.
Kaufmann, U. et. al. (2016), "10 theses about MBSE and PLM", Position Paper, GfSE e.V., München.
Görner, K., Sauer, D.U. (2016), „Konventionelle Kraftwerke: Technologiesteckbrief zur Analyse Flexibilitätskon-
zepte für die Stromversorgung 2050“, Technical Report, acatech – Deutsche Akademie der Technikwis-
senschaften e. V.
PAS 1059 (2006), „Planung einer verfahrenstechnischen Anlage - Vorgehensmodell und Terminologie“, Beuth
Verlag GmbH, Berlin.
Konsortium der Verbundprojekte UMEK und WPSK