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Einleitung
!
In allen gesellschaftlichen Feldern finden sich
Macht- und Herrschaftsstrukturen, die mittels
verschiedener, auch medialer Praktiken z.B. in
sozialen Netzwerken (re)produziert und (re)kon-
struiert werden. Aus einer emanzipatorischen
und kritisch-reflexiven Perspektive gilt es, ent-
sprechende Strukturen zu erkennen und aktiv
zu dekonstruieren. Poststrukturalistische An-
sätze ermöglichen eine solche machtkritische
Perspektive auf gesellschaftliche Strukturen
und Handlungsmuster, zu denen auch Medien-
diskurse und Mediennutzungsgewohnheiten
zählen. Aufgabe einer zeitgemäßen Medien-
pädagogik, die (Medien)Bildung als kritisch-
emanzipatorischen Prozess versteht, muss es
also sein, Subjekte in die Lage zu versetzen,
gesellschaftliche Verhältnisse zu hinterfragen.
Dies muss sowohl in der theoretisch-akademi-
schen Auseinandersetzung mit Medien als
auch in der medienpädagogischen Praxis ge-
schehen. Dazu gehört auch, dass Medienpäd-
agogInnen ihre Arbeit also die eigenen theore-
tischen Ansätze, Ziele, Einstellungen, Method-
en und Didaktiken reflektieren, mittels derer sie
Medienbildung tagtäglich im Rahmen institutio-
neller Strukturen konstituieren.
Von diesem Anspruch ausgehend, werden im
Folgenden Möglichkeiten der Dekonstruktion
im Feld der Medienpädagogik thematisiert. Da-
für werden zunächst Medien im Kontext der
(Re)Produktion von Machtverhältnissen sowie
das (medien)handelnde Subjekt aus einer
poststrukturalistischen Perspektive bestimmt.
Anschließend werden Reproduktionsmecha-
nismen gesellschaftlicher Machtverhältnisse in
medialen Diskursen diskutiert, die die mediale
Herstellung von Ungleichheiten auf der Basis
von Geschlechtszuschreibungen betreffen.
Dies wird exemplarisch verdeutlicht anhand
misogyner Äußerungen in sozialen Medien im
Kontext der Gamergate-Debatte. Im Weiteren
werden Lesarten und Praktiken im (Um)Feld
der Medienpädagogik thematisiert, die Hetero-
normativität unkritisch reproduzieren und da-
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© Ann-Kathrin Stoltenhoff und Kerstin Raudonat, 2016
Der Beitrag erscheint im Januar 2017 in Medienimpulse, www.medienimpulse.at" " " "
Medienpädagogik im Spannungsfeld der
(Re)Produktion heteronormativer Machtstruk-
turen und emanzipatorischer Bildungsideale
!
Eine poststrukturalistische Perspektive
!
#Medienkompetenz #Cybermobbing #Gender Studies #Anti-Feminismus #Diskurse & Praktiken
!
Ann-Kathrin Stoltenhoff und Kerstin Raudonat
Illustration (Ausschnitt): Tara Jacoby
durch bestehende Geschlechterstereotypen
stützen. Auf Basis dieser Ausführungen wird
hergeleitet, dass Gendersensibilität und gen-
dertheoretisch informierte Perspektiven in die
akademische sowie praktische Auseinander-
setzung mit Themen- und Handlungsfeldern
der Medienpädagogik integriert werden müs-
sen, um die eigenen Ansprüche im Kontext
emanzipatorischer Bildungsideale einlösen zu
können.
!
Medien im Kontext der (Re)Produktion von
Machtverhältnissen
!
Medien sind in der Geschichte der Menschheit
immer schon Instrumente der Macht gewesen,
die als Agenten und Träger der symbolischen
Ordnung auch dafür Sorge tragen, soziale Ver-
hältnisse zu festigen. Hoffnungen bezüglich
der Potenziale „neuer“ digitaler Medien, das
Aufbrechen oder sogar Auflösen tradierter
Machtstrukturen zu ermöglichen – wie sie bei-
spielsweise in Mediensoziologie, Medienpäda-
gogik aber auch im Rahmen cyberfeministi-
scher Manifeste wiederholt formuliert wurden –
erweisen sich (zumindest bisher) als Utopien.
Althergebrachte Machtverhältnisse und Ungle-
ichheiten, Stereotypen und Normen halten Ein-
zug in mediale Räume. Gerade in sozialen Me-
dien brechen sich ungleichheits- bzw. aus-
schlussorientierte Strömungen wie Anti-Gen-
derismus oder Anti-Feminismus in Form von
Cybermobbing lautstark Bahn.
Viele medienpädagogische Ansätze gehen da-
von aus, dass das Entwickeln von Handlungs-
kompetenzen ein wesentlicher Aspekt von Bil-
dungs- respektive Medienbildungsprozessen
ist. Nur ein entsprechend kompetentes Sub-
jekt sei in der Lage, sich öffentlich zu artikulie-
ren, an medialen Interaktionsräumen zu parti-
zipieren und also an gesellschaftlichen Diskur-
sen teilzuhaben. Doch dies Ideal einer medien-
kompetenten (z.B. Baacke 1997), mündigen
und handlungsfähigen (z.B. Roth 1971), par-
tizipierenden Bevölkerung wurde nicht zuletzt
dadurch konterkariert, dass die neuen Mög-
lichkeiten der Vernetzung und Veröffentlichung
nicht nur hehren Zielen Raum geben: Wer heu-
te das Web 2.0 nutzt, wird immer wieder auch
mit Ansichten und Meinungen konfrontiert, die
extremistisch sind und weder mit dem Grund-
gesetz, noch mit dem Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetz (AGG) oder der Menschen-
rechtskonvention konform gehen. Die längste
Zeit waren derartige Äußerungen einer redak-
tionellen Begutachtung und Kontrolle unter-
worfen, deren Existenz dafür Sorge trug, dass
offen diskriminierende Anfeindungen in öffentli-
chen Medien keinen Raum hatten. Nun ermög-
licht aber gerade das Web 2.0 auch kleinen
Gruppen, ihre Positionen öffentlich bekannt zu
machen und am Diskurs mitzuschreiben. So
zumindest die Theorie der medialen Partizipa-
tion, die dabei weniger engagierte NPD-Wähler
als vielmehr marginalisierte Tierschutzbewe-
gungen oder Kulturschaffende vor Augen hat.
Auch so heterogene Bewegungen wie der Cy-
berfeminismus setzten in den späten 1990er
Jahren viel Hoffnung auf die neu entstehenden,
virtuellen Räume (siehe dazu z.B. Peter 2001).
!
Das (medien)handelnde Subjekt aus einer
poststrukturalistischen Perspektive
!
Poststrukturalistische, dekonstruktive Perspek-
tiven auf Gesellschaft analysieren Regeln und
Logiken sozialen Miteinanders wie beispiels-
weise Mediennutzungs- und Kommunikations-
weisen. Sie ermöglichen grundsätzliche Kritik
an bestehenden Machtverhältnissen, indem sie
verbreitetes Alltagswissen über scheinbar na-
türliche Gegebenheiten wie beispielsweise Ge-
schlecht in Frage stellen. Somit erweist sich
die Gesellschaft aus poststrukturalistischer
Perspektive „als eine zunehmend brüchige und
instabile Struktur, wohingegen der Akteur als
eine Figur erscheint, der die Kontrolle über
Sprechen und Handeln entgleitet“ (Angermüller
2008:4138). Ein so umrissener Akteur stellt je-
doch ein ernstes Problem für eine Medienpä-
dagogik dar, die sich als emanzipatorisch-kri-
tisch versteht, da sie per definitionem von ei-
nem autonomen, zumindest aber der Gesell-
schaft (und ihren Medien) kritisch gegenüber-
stehenden Subjekt ausgeht. Ein solches Sub-
jektkonzept ist mit einer poststrukturalistischen
Lesart nur bedingt kompatibel, denn ‚Subjekti-
vation‘ bezeichnet den „Prozeß des Unterwor-
fenwerdens durch Macht und zugleich den
Prozeß der Subjektwerdung“ (Butler 2001:8).
Zu Recht fragt eine Lehrkraft, wie es im Rah-
men schulischer Bildungsprozesse gelingen
kann, SchülerInnen zu einem selbst#verantwort-
lichen und selbst bestimmten Leben zu führen,
„wenn#von verschiedenen AutorInnen der Post-
moderne ein Subjekt konstruiert wird, das nicht
mehr in der Lage ist, ein solches Leben zu füh-
ren, da es in Machttechniken (bei Foucault) ein-
gebettet ist, die es konstruieren und denen es
nicht entkommen bzw. denen es nicht Wider-
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© Ann-Kathrin Stoltenhoff und Kerstin Raudonat, 2016
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stand leisten kann oder wie Lacan ausführt, den
Verlust der unwiederbringbaren Einheit zwin-
gend erfahren muss“ (Böck 2011: 2).
!
Ein Schlupfloch bieten neben hegemonietheo-
retischen Konzepten vor allem praxeologisch
orientierte Lesarten, die sich im Anschluss an
Foucault (z.B. 2005) und Butler (z.B. 2001)
auch in der jüngeren deutschsprachigen Dis-
kursforschung (z.B. bei Wrana 2006) großer
Beliebtheit erfreuen. Die Praxis eröffnet einen
Raum, in dem gesellschaftliche und individuelle
Veränderungen möglich werden. Insbesondere
Butlers Arbeiten (1990, 1991, 2001) ermögli-
chen es, die Praktiken der Produktion von ge-
sellschaftlichen Machtverhältnissen durch die
Subjekte in den Blick zu nehmen („doing-gen-
der“). Mit ihrem dekonstruktivistischen Gender-
Konzept hat sie eine kritische Forschungspers-
pektive entwickelt, die inzwischen weit über
die Grenzen der Geschlechterforschung hinaus
etabliert ist und es ermöglicht, Macht und
Herrschaft dort aufzudecken, wo wir es mit
scheinbar natürlichen Alltäglichkeiten zu tun
haben. Aus dieser Perspektive sind gerade die
„kleinen Dinge“, die alltäglichen Handlungen
der Subjekte und medialen Artefakte zu fokus-
sieren und zu analysieren. Entsprechende Re-
produktionsmechanismen werden im Folgen-
den anhand des Web 2.0-Phänomens Gamer-
gate beispielhaft aufgezeigt.
!
Reproduktion von Machtverhältnissen
basierend auf Geschlechterkategorien am
Beispiel von misogynem Aktionismus im
Kontext von #Gamergate
!
Gamergate rekurriert auf eine vorwiegend in
sozialen Medien unter dem Hashtag #Gamer-
gate geführte, hochemotionale und zum Teil er-
bitterte Debatte, die im Jahr 2014 ihren Höhe-
punkt erreichte. Als der amerikanischen Spie-
lentwicklerin Zoe Quinn vorgeworfen wurde,
sie erhalte aufgrund privater Beziehungen zu
einem Spielkritiker eines Spielreview-Portals
gute Kritiken, entbrannte eine enorme Kontro-
verse in der Gaming Community. Es entwick-
elte sich insbesondere in den sozialen Netzw-
erken eine Bewegung, die Nepotismus zwis-
chen Spielentwickelnden und Spielejournalis-
mus kritisierte und die Objektivität von Spielre-
views in Frage stellte. Diese Debatte wurde zu-
gleich von einigen Akteuren dazu genutzt, be-
kannte Frauen im Spielebereich zu diffamieren
und zu attackieren, so beispielsweise auch die
Spielentwicklerin Brianna Wu und die feministi-
sche Medienkritikerin Anita Sarkeesian (‚Tropes
vs. Women‘). Diese Attacken gipfelten letztlich
in Morddrohungen. Als Auslöser für diese Es-
kalation wird häufig auf das folgende Ereignis
verwiesen: Am 28. August 2014 veröffentlicht-
en mehrere führende Onlineportale des (anglo-
amerikanischen) Spielejournalismus Artikel, die
dieselbe grundlegende Botschaft vermittelten,
indem sie beispielweise titelten ‚Gamers are
Over‘ (Alexander 2014), ‚The End of Gamers‘
(Golding 2014) und ‚The Death of An Identi-ty‘
(Plunkett 2014). Die darauf folgende Empörung
und Debatte in der Gaming Community wurde
bekannt als ‚Gamergate‘. Während diese kon-
troverse und intern gespaltene Bewegung (z.
Teil) weiterhin JournalistInnen und Spielent-
wicklerInnen kritisierte, gewann die Debatte im
öffentlichen Diskurs eine neue Dimension: im
Zusammenhang mit Fragen rund um die „Iden-
tität der Gamer“ wurde darüber verhandelt,
wer als Gamer gilt/gelten darf und wer nicht,
für wen Spiele entwickelt werden und wen
SpielentwicklerInnen adressieren sollen. Einige
fokussierten hierbei Änderungen im Medium
‚Spiel‘ und sahen eine Gelegenheit zur Erwei-
terung und Ausdifferenzierung der Zielgruppen
der Spielindustrie. Andere wiederum sahen da-
rin einen Versuch, das Stereotyp des Stamm-
konsumenten digitaler Spiele mit misogynen
und rassistischen Merkmalen zu verbinden, um
deren Bedeutung zu schmälern und diese
Gruppe zu marginalisieren. Zugleich wurden
unter dem Label Gamergate dazu aufgerufen,
die Redaktionen von Internetseiten, auf denen
kritisch über misogyne und ausschließende
Praktiken innerhalb der Bewegung berichtet
wurde, durch Druck auf deren Werbekunden
dazu zu bewegen, entsprechende Inhalte zu
entfernen. Der Aufruf hatte zur Folge, dass z.B.
das Unternehmen Intel seine Werbeanzeigen
auf dem Portal ‚Gamasutra‘ zurückzog und die
Daimler AG ihre Werbung auf dem Blog
‚Gawker‘ einstellte.
Jenseits der offensichtlichen Elemente der
Gamergate-Debatte, bildet das beschriebene
Phänomen einen Diskurs, in dem es um Deu-
tungshoheit, Gruppenidentität und Prozesse
des Definierens von Normen und Stereotypen
geht. Letztere dienen der Reduktion von Kom-
plexität, bieten Identifikationsmöglichkeiten
und unterliegen gesellschaftlichen Wandlungs-
prozessen. Der Begriff ‚Gamer‘ kann sowohl
als Selbstbeschreibung als auch als Katego-
risierung durch andere dienen und ist so Aus-
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druck einer Gruppenzugehörigkeit. Im Kontext
der Geringschätzigkeit gegenüber digitalen
Spielen in der gesellschaftlichen Mitte Ende
der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre
entwickelte sich ein starkes und negatives Ste-
reotyp im Hinblick auf ‚den Gamer‘: Das Bild
eines jungen, männlichen Nerds, der den gan-
zen Tag allein zu Hause sitzt und unkontrolliert
Junk Food und Videospiele konsumiert – ein
Bild das zum Teil immer noch nachwirkt (vgl.
z.B. Andrews 2014). Die Diskussion um #Ga-
mergate hat eine Debatte um Normen, Werte
und Motive hinsichtlich digitaler Spiele und de-
ren Nutzung erneut angestoßen. Zugleich wird
immer deutlicher, dass sich nicht nur die Zu-
sammensetzung der Nutzerschaft von digitalen
Spielen ausdifferenziert hat (vgl. Thomas/
Stammermann 2007), sondern auch die mit
dem Begriff ‚Gamer‘ verbundenen Vorstellun-
gen (vgl. Kowert/Festl/Quandt 2014) und die
Personengruppen, die sich mit diesem Label
selbst beschreiben (vgl. beispielsweise die Ak-
tion #sosehengameraus auf Twitter).
Gamergate ist als eine heterogene Bewegung
zu betrachten, in der – unter einem (gemein-
samen) Label – AkteurInnen mit ganz unter-
schiedlichen Interessen, Handlungsmotiven
und Wertorientierungen zusammenkommen.
Ein Strang dieser Bewegung, dem auch die
misogynen Angriffe und Hetzreden zuzuordnen
sind und die als massives Cybermobbing gel-
ten können, zielt letztlich darauf ab, bestimmte
Machtverhältnisse und Normen aufrechtzuer-
halten bzw. zu (re)produzieren. Vereinfachend
zusammengefasst: Einige Akteure nutzten
Gamergate, um Spielwelten (endlich wieder)
als männlich, weiß und heterosexuell dominier-
te Räume zu etablieren. Hierbei entspricht der
Versuch, Frauen auszuschließen, dem Wunsch
nach heteronormativen Machtstrukturen, die
von den Subjekten mittels einer übertriebenen
Dramatisierung der Kategorie Geschlecht auf-
rechterhalten werden. Diese Art von Hetero-
normativität (re)produzierenden Praktiken und
Lesarten findet sich in zahlreichen medialen Ar-
tefakten und gesellschaftlichen Diskursen. Sie
tragen dazu bei, tradierte Machtstrukturen und
diesen innewohnende Ungleichheiten fortzu-
schreiben. Wie eingangs formuliert, muss es
Aufgabe einer zeitgemäßen, gleichstellungsori-
entierten Medienpädagogik sein, Subjekte in
die Lage zu versetzen, gesellschaftliche Ver-
hältnisse zu hinterfragen. Wie eine solche Me-
dienpädagogik aussehen könnte, skizzieren
wir im Folgenden.
Gendertheoretisch informierte Positionen
als Aspekt einer zeitgemäßen Medienpäda-
gogik, die gesellschaftlich etablierte Nor-
men dekonstruieren kann
!
Der medienpädagogische Umgang mit Phäno-
menen wie misogyn motiviertem Cybermobbing
kann nur aus einer gendertheoretisch infor-
mierten Perspektive erfolgen, da nur auf dieser
Basis Heteronormativität und entsprechende
Identitätskonzepte als gesellschaftlich konstru-
iert erfasst und für alternative Konzepte eröff-
net werden können. Die Dekonstruktion hete-
ronormativer Logiken im Kontext von Medien-
nutzung, Medienrezeption und Medienproduk-
tion muss thematischer Bestandteil einer zeit-
gemäßen, gleichstellungsorientierten Medien-
bildung sein. Hierfür ist es unerlässlich, Gen-
dersensibilität grundlegend in die medienpäd-
agogische Arbeit zu integrieren, um eine weit-
ere Dramatisierung der binären Geschlechter-
logik zu vermeiden. Derzeit finden sich immer
noch in vielen Ansätzen und Materialien For-
mulierungen, die eher zu einer Verfestigung
bestehender Rollenbilder beitragen, statt diese
medien- und gesellschaftskritisch aufzulösen.
Dies soll im Folgenden anhand eines Beispiels
verdeutlicht werden.
!
Im Hinblick auf das Phänomen der Autoporno-
graphisierung – insbesondere von weiblichen
Jugendlichen – und der Art und Weise, wie
dieses in (medien)pädagogischen Kontexten
problematisiert wird, stellt Sengelin (2016) fest:
„Die (…) Debatten um Jugendgefährdung stel-
len in ihrer Verstrickung mit heteronormativen
Werten Normalisierungsversuche dar, mediale
und patriarchale Machtverhältnisse zu stabili-
sieren“. Die ablehnende Haltung gegenüber
pornographischen Inhalten und Handlungen,
die sich unter anderem in den medienpädago-
gischen Materialien der EU-Initiative Klicksafe
findet, reproduziert ein Frauenbild, das von
einem unschuldigen, mit natürlichen Scham-
grenzen ausgestatteten Mädchen ausgeht,
welches kein eigenes individuelles Begehren
hätte, sondern allenfalls eine gesunde Sexual-
ität. Diese gesunde (bürgerliche) Sexualität
würde durch pornographische Medieninhalte
angegriffen und unter Umständen pervertiert.
Mit Gipfl (2014) können entsprechende Prakti-
ken der Selbst-Sexualisierung aber als eman-
zipatorische Praxis im Rahmen medienge-
stützter Identitätsbildungsprozesse begriffen
werden, die unter Umständen sogar als Empo-
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werment jenseits einer konservativ motivierten
‚moral panic‘ zu verstehen sind. Interessant in
diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass
vor allem das Verhalten von Mädchen im
Kreuzfeuer der Kritik steht, wo hingegen ver-
gleichbare Praktiken männlicher Jugendlicher
kaum thematisiert werden. Im Anschluss an
den sexpositiven Feminismus der Kommunika-
tionswissenschaftlerin Laura Méritt, möchten
wir anregen, Pornografie nicht länger exklusiv
aus einer bürgerlich-besorgten Perspektive
abzustrafen, sondern auch als emanzipatori-
sche Praxis einer sexuell befreiten, experimen-
tierfreudigen Körperlichkeit zu lesen.
!
Fazit
!
Auf Basis der vorangegangenen Ausführungen
wird deutlich, dass heteronormative Macht-
strukturen im Kontext medialer Diskurse und
Artefakte auch im 21. Jahrhundert noch immer
(re)produziert werden. Diesbezüglich haben wir
als eine Aufgabe der Medienpädagogik formu-
liert, solche – oftmals unreflektierten – Repro-
duktionsmechanismen und -logiken aufzude-
cken und zu dekonstruieren und diesen somit
entgegenzuwirken. Zugleich wurde anhand ei-
niger Beispiele gezeigt, dass in diesem Rah-
men Handlungsbedarf besteht, da auch Mate-
rialien und Positionen aus dem medienpäda-
gogischen (Um)Feld zum Teil auf diesen Logi-
ken basieren und so selbst zu deren Repro-
duktion beitragen. Wenn Medienbildung sich
selbst als macht- und gesellschaftskritisch und
dem demokratischen Ideal der Teilhabe ver-
pflichtet sieht, muss sie solcherart hergestellte,
systemimmanente Prozesse berücksichtigen.
Das heißt, sie muss ihre eigenen, dem Kon-
zept Medienbildung immanenten Konstruk-
tionsbedingungen selbstkritisch daraufhin ana-
lysieren, inwiefern auch ihren Konzepten Hete-
ronormativität (re-)produzierende Logiken inne-
wohnen. Um entsprechende Ansprüche im
Kontext emanzipatorischer Bildungsideale und
(medien)pädagogischer Praxis einlösen zu
können, muss Gendersensibilität als ein ba-
saler Bestandteil kritischer Medienbildung ge-
fasst werden. Kontraproduktiv sind diesbezüg-
lich Lesarten von ‚Gender‘, die die Geschlech-
terdifferenz noch stärken und beispielsweise
von Hipfl (2014) im Sinne einer falsch verstan-
denen Gendersensibilität kritisiert werden.
!
Es ist also unerlässlich, dass gendertheore-
tisch informierte Perspektiven in die wissen-
schaftlich-theoretische sowie praktische Aus-
einandersetzung mit Themen- und Handlungs-
feldern der Medienpädagogik integriert wer-
den. Relevant in diesem Kontext ist also u.a.
die Erarbeitung konkreter Vorschläge für eine
gendersensible medienpädagogische Praxis
(auch in Schule, Unterricht und Lehrerbildung),
die dazu beiträgt, Subjekte in die Lage zu ver-
setzen, gesellschaftliche Verhältnisse, Macht-
strukturen und Kategorien zu hinterfragen. Nur
so können sich diese als (Medien-) Handelnde
im Kontext der (Re)Produktion und (Re)Kon-
struktion von Macht- und Herrschaftsstruk-
turen partizipativ und mündig positionieren.!
!
!
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