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Analysen textueller unternehmerischer Kommunikate: Identitätskonstruktionen und Argumentationsverhalten im Diskurs

Authors:
  • LUB GmbH - Linguistische Unternehmensberatung
Jubiläumszeitschrift des Forschungsnetzwerkes „Sprache und Wissen“, 2014
Analysen textueller unternehmerischer Kommunikate:
Identitätskonstruktionen und Argumentationsverhalten im
Diskurs
SIMONE BUREL & CAROLIN SCHWEGLER
Unternehmen handeln nicht nur mittels Produkten, Rohstoffen
oder Dienstleistungen, sondern immer auch mit und durch Kom-
munikation. Dieses kommunikative Handeln ist von enormer
Wichtigkeit, da die Sprache eines Unternehmens für seinen Er-
folg ebenso maßgeblich ist wie Bilanzen und Unternehmens-
kennzahlen (die ohne sprachliche Codes ohnehin nicht zu
vermitteln wären) (Hundt 2011: 166). Auf einer sekundären
Ebene kommt Sprache zudem neben ihrer unmittelbaren in-
strumentellen Funktion in der Unternehmenskommunikation
eine weitere essentielle Aufgabe zu: Sie wird zum Instrument der
Selbstkonzeptualisierung des Unternehmens und damit zur
Grundlage für seine sich zugeschriebene >Persönlichkeit<. Sie
konstruiert somit sein Selbstkonzept, seinen sich zugesproche-
nen Sinn („Wofür stehen wir?“) und ist damit Grundlage für
seine Identität.
Ebenso reagieren Unternehmen durch ihre Sprachverwendung
auf gesellschaftliche Forderungen, die gerade im Bereich brisan-
ter Themen wie Umwelt und Nachhaltigkeit entstehen. Als
Großverbraucher von Energie und natürlichen Ressourcen sind
Unternehmen besonders der gesellschaftlichen Beobachtung
ausgesetzt und stehen unter einem permanenten Rechtferti-
gungszwang, der u.a. in Nachhaltigkeitsberichten textuell einge-
löst wird. Hierbei wirken selbstkonzeptualisierende Texte, wie
Unternehmensphilosophien, Leitbilder oder Leitwerte, neben
ihrer identitätskonstruierenden Komponente auch begründend,
norm- und werteetablierend bis hin zu induktiver Wertegenerie-
rung bezüglich neu aufkommender Themen. Besonders in argu-
mentativen Sequenzen zeigt sich der ethische Wertehorizont, auf
den die Unternehmen zurückgreifen möchten, den sie sprachlich
konzeptualisieren und somit auch in der Gesellschaft verbreiten.
Im Zuge der Identitätskonstruktion stellt das Unternehmen auch
eine Menge Fachwissen über sich zur Verfügung: Unterneh-
menskennzahlen, Prozess- und Handlungswissen, aber auch
Jubiläumszeitschrift des Forschungsnetzwerkes „Sprache und Wissen“, 2014
Wissen um vergangene Traditionen oder Personen wie Unter-
nehmensgründer. Die Konstruktion des Sachverhalts UNTER-
NEHMENSIDENTITÄT ist dabei in den letzten Jahren verstärkt
zu beobachten, was die bereits angeführten textuellen Kommu-
nikate widerspiegeln: Man könnte dabei unterstellen, die Öko-
nomie habe die entscheidende Bedeutung von identitäts-
konstituierender Sprache und Kommunikation für den Unterneh-
menserfolg erkannt (beispielsweise im Management). Vor allem
aber erwächst die Notwendigkeit, eine Unternehmensidentität
sprachlich festzuhalten, aus veränderten sozioökonomischen Be-
dingungen der Großkonzerne. Auswirkungen der Globalisierung
und verstärkter Konkurrenzdruck fordern eine klarere Abste-
ckung von Seinsbereichen. Identitätskommunikation dient dar-
über hinaus auch ökonomischen Prinzipien etwa der
Mitarbeiterbindung oder der Produktivitätssteigerung.
Zusätzlich wird ebenso von Anspruchsgruppen (Stakeholder)
mit zunehmender Vehemenz Transparenz und öffentliche sowie
mediale Wahrnehmbarkeit von Unternehmen verlangt. Diese öf-
fentliche Erwartungshaltung zeigt sich auch an der Forderung
nach gesellschaftlicher Verantwortung im Sinne eines nachhal-
tigen Wirtschaftens, das sich als Trias aus Ökonomischem, Öko-
logischem und Sozialem unter den Ausdruck Corporate Social
Responsibility (CSR) subsumieren lässt. Der CSR-Begriff und
die gleichnamigen Berichte sind aus dem heutigen Wirtschafts-
leben nicht mehr wegzudenken. Kaum ein Unternehmen kann es
sich noch leisten, auf einen ökologischen oder sozialen Beitrag
zum gesellschaftlichen Zusammenleben zu verzichten und dies
nicht als Teil der Unternehmensidentität zu kommunizieren. Je-
doch erfüllen solche nachhaltigen Handlungen ihren Zweck für
die Unternehmen erst dann, wenn sie kommuniziert und richtig
platziert werden, denn nur so können sie den Forderungen der
Gesellschaft in adäquater Weise begegnen. Das bedeutet, dass
die sprachliche Vermittlung von Maßnahmen nachhaltigen un-
ternehmerischen Verhaltens zum einen Bestandteil einer kon-
struierten Identität ist, die das Unternehmen für sich platziert,
zum anderen und dies gilt vor allem für Themen aus dem Be-
reich CSR eine Reaktion auf gesellschaftliche Forderungen
darstellt, die die hinter moralischen Bewertungen stehenden um-
weltethischen Konzepte freilegt. Da Themen und Konzepte erst
durch sprachliche Zeichen konstituiert werden, können diese
mittels linguistischer Analysen zugänglich gemacht werden.
Für den Sachverhalt UNTERNEHMENSIDENTITÄT kann dies
unter der Prämisse, dass man thematisch gebundene Texte zur
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Selbstkonzeptualisierung des Unternehmens als Diskurs ansieht
mit einer induktiven diskurslinguistischen Mehrebenenanalyse
(vgl. Felder 2012) geschehen. Dabei wird aufgedeckt, wie Un-
ternehmen innerhalb eines geschlossenen Diskursraumes ihr
Selbstkonzept auf diversen Sprachebenen (Wort-, Syntagmen-,
Satz-, Text- und Text-Bild-Ebene) sprachlich manifestieren,
welche Themen sie damit aufrufen und ebenso wie sie mit be-
stimmten Sprachhandlungen ihr Selbst legitimieren möchten.
Prominente Themen sind dabei etwa unternehmerisch anvisierte
Zielzustände wie Erfolg, Innovation, Wachstum und Nachhaltig-
keit, sowie die Zuschreibung einer Unternehmensethik durch die
psychosozialen Werte Integrität, Ehrlichkeit, Respekt, Fairness,
Vertrauen und Verantwortung Zur Konstruktion eines Allein-
stellungsmerkmals werden auch häufig Themen der Temporali-
tät und Lokalität genutzt, beispielsweise die Bindung an
Unternehmensgeschichte, Gründerfiguren oder Standorte. Diese
inhaltliche Manifestation auf konzeptueller Ebene wird aus-
drucksseitig durch mehr oder weniger overte musterhafte Reali-
sierungen auf den genannten strukturellen Sprachebenen (v.a.
auf der Wort- und Syntagmenebene) vorgenommen sowie durch
sprachliche Strategien der Selbstpositionierung ergänzt (z.B. Be-
zug auf Kennzahlen, Autoritäten, Wettbewerber oder Storytel-
ling).
Mit einer auf argumentativen Sequenzen basierenden Analyse
diskursiv ausgehandelter Themen vergleichend in Unterneh-
menstexten sowie Medientexten lässt sich wiederum überprü-
fen, inwieweit gesellschaftliche Forderungen von den verant-
wortungstragenden Unternehmen kommunikativ berücksichtigt
und umgesetzt werden, ob die intendierte Wirkung unternehme-
rischer Kommunikate erreicht wird, wie Bewertungen und For-
derungen argumentative Stützung erfahren und vor allem welche
umweltethischen Konzepte und gesellschaftlichen Werte sich
dabei etablieren. Ein analytischer Dreischritt (Themen / Hand-
lungen / Argumentationen) vermag hierfür relevante Themen,
wichtige bezugnehmende Handlungen und strittige Sequenzen
zu identifizieren, um diese anschließend einer argumentations-
analytischen Untersuchung zu unterziehen. Diese argumentati-
ven Tiefenstrukturen können den Schlüssel zu klassifizierbaren
Wertehintergründen liefern (vgl. Konerding 2008). Die in den
verschiedenen Einzeltexten enthaltenen Momentaufnahmen er-
lauben belastbare Rückschlüsse auf das „ethische Lernen“ (Ott
2010: 214) im Diskurs, die (bereichs-)ethisch spezifische Textur
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von Argumentationsmustern und den zum Teil divergenten se-
mantischen Gehalt von Begriffen, die zur Vermittlung von Wer-
ten dienen, wie beispielsweise >Natur<, >Landschaft<,
>Heimat< oder auch >Generationengerechtigkeit<. Letzteres
kann zu einem der wichtigsten Faktoren der rhetorischen Strate-
gie aufsteigen: Das Potential von Sprache wird anhand von be-
wusster Ausblendung bestimmter Aspekte, mit gleichzeitiger
Betonung anderer konsensgestaltender Aspekte bis hin zur Be-
tonung eines anderen semantischen Gehaltes von zentralen (ge-
sellschaftlich geforderten) Begriffen deutlich.
Letztlich folgen beide beschriebenen Analyseansätze dem Trend
der interdisziplinären Schnittstellenforschung zwischen Linguis-
tik und Wirtschaft (Hundt / Anders / Lasch 2011: 6f.) und ver-
stehen sich als anwendungsorientiert, in dem Sinne, dass sie sich
von ihrer deskriptiven Ausrichtung zwar nicht lösen, aber den-
noch praxisnah (direkt mit Unternehmenstexten und -beratun-
gen) arbeiten. Laut Liebert (2003: 86) gibt zwar (fast
ausschließlich) die Gewinnorientierung eines Unternehmens den
Rahmen für alle existenziellen Grundfragen desselben vor, was
auch Nicht-Ökonomen anerkennen müssen, dennoch da erst
durch sprachliche Zeichen abstrakte Sachverhalte wie UNTER-
NEHMENSIDENTITÄT oder CORPORATE SOCIAL RES-
PONSIBILITY in der Welt hergestellt werden können, ist eine
linguistische Betrachtung und Aufschlüsselung von fundamen-
taler Wichtigkeit.
Felder, Ekkehard (2012): Pragma-semiotische Textarbeit und
der hermeneutische Nutzen von Korpusanalysen für die
linguistische Mediendiskursanalyse. In: Felder, Ekkehard
/ Müller, Marcus / Vogel, Friedemann (Hg.): Korpusprag-
matik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguisti-
scher Analysen. Berlin / New York: de Gruyter (Linguistik
Impulse und Tendenzen 44), S. 115174.
Hundt, Marcus / Christina A. Anders / Alexander Lasch (2011):
Der sprachliche Auftritt börsennotierter Unternehmen aus
dem Energie- und Finanzdienstleistungssektor Personal-
rekrutierung durch Sprache. Trends und Tendenzen in der
sprachlichen Gestaltung von Karrierewebseiten (KI-
MATEK 2010). Kiel: Promerit / Personalkommunikation
Schelenz.
Konerding, Klaus-Peter (2008): Diskurse, Topik, Deutungsmus-
ter Zur Komplementarität, Konvergenz und Explikation
sprach-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Zugänge zur
Jubiläumszeitschrift des Forschungsnetzwerkes „Sprache und Wissen“, 2014
Diskursanalyse auf der Grundlage kollektiven Wissens. In:
Warnke, Ingo (Hg.): Methoden der Diskurslinguistik.
Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen
Ebene. Berlin / New York: de Gruyter (Linguistik Im-
pulse und Tendenzen 31), S. 117150.
Liebert, Wolf-Andreas (2003): Wissenskonstruktion als poeti-
sches Verfahren. In: Geideck, Susanne / Liebert, Wolf-An-
dreas (Hg.): Sinnformeln. Linguistische und soziologische
Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kol-
lektiven Orientierungsmustern. Berlin / New York: de
Gruyter, S. 83104.
Ott, Konrad (2010): Umweltethik. Hamburg: Junius Verlag
GmbH.
Simone Burel M.A., Universität Heidelberg
Promotionsprojekt:
Der Identitäts-Diskurs der DAX-30-Unternehmen. Sprachliche
Konstruktion von Selbstkonzepten in programmatischen Texten
Carolin Schwegler M.A., Universität Heidelberg
Promotionsprojekt:
Rhetorische Glaubwürdigkeitsstrategien oder konstruktiver Dia-
log? Argumentative Strukturen im Diskurs um ökologische
Verantwortung wirtschaftlicher Akteure
Chapter
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Adjektive wie sauber/clean und grün/green oder blau/blue werden von Unternehmen gerne als Teile von Markennamen eingesetzt und tragen überdies erheblich zur ausdrucksseitigen Ausgestaltung leitender ökologischer Konzepte bei. In diesem Beitrag werden die Ausdrücke deshalb in ihrer Funktion als Stellvertreter von Konzepten untersucht, die sich im Zuge übergeordneter Diskursdynamiken verändern und entwickeln. Als Bei-spiel dienen Texte der Volkswagen AG (Nachhaltigkeitsberichte) sowie Medientexte, die einen Ausschnitt des Diskurses um Energie und Klima darstellen. Die Untersuchung zeichnet die semantische Flexibilität der genannten Adjektive nach und betrachtet sie im Kontext des Paradigmas starker Marken.
Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern
  • Wolf-Andreas Liebert
Liebert, Wolf-Andreas (2003): Wissenskonstruktion als poetisches Verfahren. In: Geideck, Susanne / Liebert, Wolf-Andreas (Hg.): Sinnformeln. Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern. Berlin / New York: de Gruyter, S. 83-104.