Content uploaded by Juraj Paule
Author content
All content in this area was uploaded by Juraj Paule on Jan 16, 2017
Content may be subject to copyright.
Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 86: 27-36, 2016 27
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
Morphologische Variabilität bei tetraploider
Valeriana officinalis s.l. in Deutschland:
Valeriana pratensis subsp. franconica Meierott &
T.Gregor, subsp. nov.
THOMAS GREGOR, LENZ MEIEROTT & JURAJ PAULE
Zusammenfassung: Bei tetraploider Valeriana officinalis s.l. konnten im südlichen Deutschland –
neben der in der Oberrheinebene vorkommenden Valeriana pratensis subsp. pratensis – zwei von-
einander morphologisch und ökologisch differenzierte Gruppen unterschieden werden, die mit Va-
leriana pratensis subsp. angustifolia sowie dem bisher nur informell gefassten Franconica-Typ
übereinstimmen. Valeriana pratensis subsp. franconica Meierott & T.Gregor, subsp. nov. wird for-
mal beschrieben.
Key Words: flow cytometry, morphometry, polyploidy, Southern Germany, taxonomy, valerians.
Summary: Tetraploid Valeriana officinalis s.l. occurs in Southern Germany in three ecologically
and morphologically distinct groups: Valeriana pratensis subsp. pratensis in the Upper Rhine val-
ley, the widespread Valeriana pratensis subsp. angustifolia and the hitherto only informally recog-
nized Franconica type. We formally describe the Franconica type as Valeriana pratensis subsp.
franconica Meierott & T.Gregor, subsp. nov.
Anschriften der Autoren: Thomas Gregor und Juraj Paule, Abteilung Botanik und molekulare Evo-
lutionsforschung, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum, Senckenberganlage 25,
60325 Frankfurt am Main, E-Mail: thomas.gregor@senckenberg.de, juraj.paule@senckenberg.de –
Lenz Meierott, Am Happach 43, 97218 Gerbrunn, E-Mail: lenz.jutta.meierott@t-online.de
1. Einleitung
Die heute in Deutschland gebräuchlichen taxonomischen Konzepte von Arzneibaldrian (Vale-
riana officinalis agg.) gehen auf Untersuchungen von WALTHER (1949), TITZ & TITZ (1982),
TITZ & al. (1983) sowie TITZ (1984) zurück. Elly Walther unterschied diploide V. exaltata, te-
traploide V. collina, vermutlich tetraploide V. pratensis sowie die oktoploiden Sippen V. pro-
currens und V. sambucifolia. Eva Titz bestätigte 1984 diese Gliederung, bevorzugte es aber,
Typen statt Arten zu unterscheiden. Auf dem tetraploiden Niveau machte sie auf einen von Wal-
ther nicht erwähnten Franconica-Typ aufmerksam. Dieser unterscheidet sich durch höheren
Wuchs, längere Blütenstände sowie breitere und stärker gezähnte Fiedern vom Collina-Typ.Auf
oktoploidem Niveau unterschied sie zudem den in Deutschland auf die Allgäuer Alpen be-
28 Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 86, 2016
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
schränkten Versifolia-Typ. Eine Typifizierung von V. officinalis L. wurde von KIRSCHNER (in
JARVIS 2007) im Sinne der bis dahin V. exaltata genannten Pflanze vorgenommen (Tab. 1).
Die Gliederung nach Ploidiestufen und geographischen Unterarten scheint sich für
Deutschland zu bewähren, wobei allerdings für die Variabilität auf tetraploidem Niveau bis-
her keine befriedigende Lösung gefunden werden konnte. Zumeist werden zwei Unterarten
unterschieden (JÄGER 2011, NETZWERK PHYTODIVERSITÄT DEUTSCHLAND/BUNDESAMT FÜR NA-
TURSCHUTZ 2013): Die weitgehend kahle Nominatunterart der nördlichen Oberrheinebene, V.
pratensis subsp. pratensis, und die im Süden Deutschlands weit verbreitete Unterart V. pra-
tensis subsp. angustifolia, für die Blatt- und Stängelbehaarung sowie schmale, schwach ge-
zähnte Blätter charakteristisch sind.
Der ebenfalls weit verbreitete Franconica-Typ mit breiteren, deutlich gezähnten Blättern
wird weitgehend ignoriert, obwohl Angaben durchaus vorliegen. WALTHER (1949) machte da-
rauf aufmerksam, dass der von ihr vermutete Bastard „V. collina ×V. procurrens“, worunter
der Franconica-Typ zu vermuten ist, über das Verbreitungsgebiet von V. collina hinausgehe
und nach Mitteilung von „Müller“ in der Rheinpfalz „häufiger“ vorkommt. BUTTLER &
SCHIPPMANN (1993) weisen darauf hin, dass zwei bei BUTTLER & STIEGLITZ (1976) genannte,
chromosomal überprüfte Pflanzen aus dem hessischen Spessart – Biebergemünd und Bad Orb
– zu der Sippe „franconica“ gehören. In einer wenig bekannten Publikation erwähnt NAW-
RATH (2005), dass im Taunus der Franconica-Typ häufiger ist als der Collina-Typ (V. p. subsp.
angustifolia). MEIEROTT (2008 mit Verbreitungskarte) zeigte, dass Pflanzen des Franconica-
Typs in Franken zerstreut vorkommen. Es verwundert, dass die Franconica-Pflanzen nicht
auch bei anderen Erfassungsprojekten auffielen. Die hochwüchsigen und breitblättrigen, aus-
läufertreibenden Pflanzen lassen sich mit gängigen Bestimmungsbüchern wie JÄGER (2011)
nicht bestimmen. Man kann nur vermuten, wie die Franconica-Pflanzen bei Kartierungen oder
Tab. 1: Taxonomische Konzepte von Valeriana officinalis agg. in Deutschland
Ploidie Taxonomie nach JÄGER
2011
Taxonomie nach WALTHER
1949 / TITZ 1984
Verbreitungsgebiet nach
TITZ 1984
2n= 2x=14 V. officinalis L. V. exaltata J.C.MIKAN ex
POHL / Exaltata-Typ
fehlt weitgehend im Wes-
ten Deutschlands, sonst
weit verbreitet
2n= 4x= 28 V. pratensis DIERB.
subsp. pratensis
- / Pratensis-Typ Oberrheingebiet
V. pratensis DIERB.
subsp. angustifolia (SOÓ)
KIRSCHNER et al.
V. collina WALLR. / Collina-
Typ
überwiegend im Süden
Deutschlands
- / Franconica-Typ Nord-Baden, Nord-Bayern,
Hessen, Rheinland-Pfalz,
Süd-Thüringen
2n= 8x= 56 V. excelsa POIRET
subsp. excelsa
V. procurrens WALLROTH /
Procurrens-Typ
überwiegend im westlichen
Deutschland
V. excelsa POIRET subsp.
sambucifolia (POHL)HOLUB
V. sambucifolia J.C.MIKAN
ex POHL / Sambucifolia-Typ
im östlichen Deutschland
V. excelsa POIRET subsp.
versifolia (BRÜGGER) BUTTLER
et al.
- / Versifolia-Typ Allgäuer Alpen
T. GREGOR et al.: Morphologische Variabilität bei tetraploider Valeriana officinals s.l. 29
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
Vegetationsaufnahmen bestimmt wurden: Entweder unter Ignorierung der zu breiten Blätter
als V. p. subsp. angustifolia, wie zumindest teilweise bei GREGOR (1993), oder auf Grund der
breiten, stark gezähnten Blätter unter Nichtbeachtung der Ausläufer als V. officinalis s.str..
Die Beschäftigung mit der Gruppe wird auch dadurch erschwert, dass bei Herbarbelegen un-
terirdische Organe oft nicht vorhanden sind.
Ziel unserer Arbeit war es, vor allem in Nordbayern und Südhessen der Frage nachzuge-
hen, ob sich der Franconica-Typ von V. p. subsp. angustifolia trennen lässt und, falls dies
möglich ist, eine formale Beschreibung der Sippe vorzunehmen. Grundlage unserer Arbeit
ist die Taxonomie von Valeriana, wie sie von S. Bräutigam in JÄGER (2011) präsentiert wurde.
2. Material und Methoden
Zur Hauptblütezeit im Juli 2012, Juni 2013 und Juli 2014 wurden Valeriana-Pflanzen mor-
phometrisch erfasst und herbarisiert.
Weiterhin wurde für eine durchflusszytometrische Ploidieuntersuchung frisches Blattmate-
rial gesammelt. Die DNA-Ploidie wurde mit Hilfe eines Durchflusszytometers (Partec CyFlow
Space; Firma Partec, Deutschland) in der Arbeitsgruppe von Prof. Zizka an der Goethe-Uni-
versität in Frankfurt am Main bestimmt. Blätter inklusive der Blattstiele wurden in verschließ-
baren Plastikbeuteln gesammelt und bis zurAnalyse bei 4 °C aufbewahrt. Die Blattproben und
ein interner Standard [Glycine max (L.) Merr. cv. Polanka, DOLEŽEL et al. 1994] wurden zu-
sammen mit einer Rasierklinge in einer Petrischale mit 1 ml eiskaltem Otto-I-Puffer [0,1 m Zi-
tronensäure, 0,5 % Tween 20; DOLEŽEL et al. (2007)] zerkleinert. Die Suspension wurde mit
Hilfe von Partec CellTrics® 30 µm (Firma Partec, Deutschland) filtriert. Die isolierten Zell-
kerne in der gefilterten Suspension wurden mit 1 ml Otto-II-Puffer (0,4 m Na2HPO4× 12H2O)
gefärbt und für 10 Minuten bei Zimmertemperatur inkubiert.Als Färbemittel diente das AT-spe-
zifische Fluorochrom 4‘,6-diamidino-2-phenylindole (DAPI; 4 µg ml-1). Die relative Fluores-
zenz wurde für 3000 Partikel bestimmt. Die Fluoreszenzintensitätsverhältnisse zwischen
Standard und Probe wurden aus Histogrammen mit Hilfe des Programmes FloMax v2.4d (Firma
Partec, Deutschland) durch den Vergleich der Mittelwerte bestimmt. Nur Histogramme mit Va-
riationskoeffizienten von weniger als 5 % wurden berücksichtigt. Die DNA-Ploidie wurde auf
der Basis der Regression von Standard-Proben-Fluoreszenzverhältnissen von 3 Individuen mit
gezählten Chromosomen (siehe elektronischer Anhang: http://www.bbgev.de/berichte/086_
2016/appendix.pdf) bestimmt (Dersch in HAND & GREGOR 2015).
Die morphometrische Analyse wurde bei 51 Pflanzen von T. Gregor und L. Meierott im
Gelände durchgeführt (alle Belege im Herbarium Meierott). Eine Pflanze wurde von T. Gre-
gor im Gelände vermessen (Beleg in FR). Belege verschiedener Sammler wurden von L.
Meierott in der Botanischen Staatssammlung München (M; 26 Belege) und im Staatlichen
Museum für Naturkunde Stuttgart (STU, 8 Belege) vermessen (elektronischer Anhang). Quan-
titative (6), qualitative (2) und abgeleitete (12) Merkmale wurden erfasst (elektronischer An-
hang). Generell wurden vegetative und generative Merkmale verwendet, die von TITZ & TITZ
(1982) sowie TITZ (1984) als wichtig für die Differenzierung der Valeriana officinalis-Gruppe
erkannt wurden. Alle quantitativen Merkmale wurden mit einem Lineal erfasst, mit einer Ge-
nauigkeit von 0,5 mm; Haarlängen wurden mit einem Binokular mit einer Genauigkeit von
0,1 mm gemessen. Die Daten wurden durch multivariate Hauptkoordinatenanalyse (PCoA)
basierend auf Gowers Distanzmaße mit Hilfe von R v3.2.2 (http://www.r-project.org) und der
30 Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 86, 2016
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
Funktion „dudi.pco“ (CHESSEL et al. 2004) analysiert. Von den gemessenen Merkmalen wur-
den folgende für die PCoA aufbereitet und kodiert. Fruchtmerkmale wurden nicht einbezogen,
da diese nur bei einem Teil der Pflanzen ermittelt werden konnten.
(a) Höhe (cm): 1: <50, 2: –100, 3: –150, 4: –200, 5: > 200
(b) Stängelzahl: 1: 1 Stängel, 2: >1 Stängel
(c) Zahl behaarter Stängelinternodien: 1: <2, 2: –3, 3: –5, 4: –7, 5: >7
(d) Vegetative Internodien: 1: <5, 2: 5–6, 3: >6
(e) Länge Blütenstand (cm): 1: <21, 2: –40, 3: –60, 4: –80, 5: >80
(f) Zahl Blütenstandsinternodien: 1: <4, 2: 4, 3: 5, 4: 6, 5: >6
(g) längster Blattstiel (cm): 1: ≤ 3; 2: –6; 3: –9; 4: –12; 5: >12
(h) maximale Fiederzahl: 1: <15; 2: 15–17; 3: 18–20; 4: 21–23; 5: >23
(i) maximale Zahnzahl pro Seitenfiederhälfte: 1: 0; 2: 1–2; 3: 3–4; 4: 5–6; 5: >6
(j) maximale Zahnzahl pro Endfiederhälfte 1: 0; 2: 1; 3: 2; 4: 3; 5: >3
(k) breiteste Seitenfieder (mm): 1: ≤5; 2: –10; 3: –15; 4: –20; 5 >20
(l) breiteste Endfieder (mm): 1: ≤4; 2: –8; 3: –12; 4: –16; 5 >16
(m) Behaarung Blattunterseite: 1: kahl; 2: nur auf Nerven; 3: schwach; 4: mäßig; 5: dicht
(n) Länge Haare Blattunterseite (mm): 1: <0,3, 2: –0,4; 3: –0,6, 4: –0,8; 5: >0,8
(o) Länge Haare auf Stängel (mm): 1: <0.25; 2: –0,5; 3: –0,75; 4: –1; 5 >1
Die Signifikanz der Unterschiede einzelner Merkmale der beiden untersuchten Typen wurde
mit Hilfe von dem in R implementierten Wilcoxon-Rangsummentest geprüft. Bei Merkmalen
(a), (e), (g), (k), (l), (n), (o) wurden die originalen (nicht-kodierten) Daten getestet.
3. Ergebnisse
Ploidie
Die durchflusszytometrischen Untersuchungen an 37 Pflanzen ergaben einen Proben/Standard-
Fluoreszenz-Verhältnis-Mittelwert von 1,98, den man durch Regression mit gezählten Individuen
der tetraploiden Ploidiestufe zuordnen kann. Die Daten für die untersuchten Unterarten (Elek-
tronischer Anhang) zeigen geringe Variabilität. Bei V. p. subsp. angustifolia lag der Mittelwert
von 12 Messungen bei 2,01 (SD ± 0,05), bei V. p. subsp. franconica bei 25 Messungen bei 1,96
(SD ± 0,06.) Die Unterschiede sind nicht signifikant (T-Test, p = 0,55). Für zwei morphometrisch
untersuchte Pflanzen aus dem Herbarium München (M) wurde nach auf dem Beleg montierten
Scheden durch Chromosomenzählung nach Kultur Tetraploidie (2n= 28) bestimmt (siehe Elek-
tronischer Anhang).
Morphometrie
Die kodierten Ausgangsdaten der 86 morphologisch analysierten Pflanzen können dem elek-
tronischen Anhang entnommen werden. Die PCoA-Analyse ergab eine gute Trennung zwi-
schen V. pratensis subsp. angustifolia und subsp. franconica (Abb. 1). Die erste Achse erklärte
39,64 % der Varianz, die zweite 10,70 %. In etlichen Merkmalen unterschieden sich die bei-
den Sippen deutlich: Gesamthöhe, Blütenstandslänge, Blattstiellänge, Zahnzahl und Breite
der Blattfiedern. Tabelle 2 zeigt die Unterschiede in den absoluten Messwerten für Merkmale
mit Irrtumswahrscheinlichkeit des Wilcoxon-Rangsummentests p <0,001.
T. GREGOR et al.: Morphologische Variabilität bei tetraploider Valeriana officinals s.l. 31
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
4. Diskussion
Die Vermutung von TITZ (1984), dass sich ein Franconica-Typ vom Collina-Typ (V. p. subsp. an-
gustifolia) über größere Gesamthöhe, größere Blütenstände, längere Blattstiele und breitere,
vielzähnige Fiedern abgrenzen lässt, konnte mit einem morphometrischen Ansatz bestätigt wer-
den. Wie V. p. subsp. angustifolia bildet auch V. p. subsp. franconica durch Ausläufer umfang-
reiche Polykormone, die sich über etliche Meter erstrecken können. Dies grenzt die beiden
Sippen von der mehrstängeligen, höchstens sehr kurze Ausläufer treibenden, diploiden V. offi-
cinalis ab. V. p. subsp. franconica ist deutlich höher als V. p. subsp. angustifolia, hat länger ge-
stielte Grundblätter und bildet umfangreichere Blütenstände. Seiten- und Endfiedern sind
deutlich breiter und bilden jeweils mehr Zähne. (Abb. 2, 3, 4). Die Behaarung ist zwar generell
stärker als bei V. p. subsp. angustifolia, sie ist jedoch für eine Unterscheidung zwischen den
Abb. 1: Hauptkoordinatenanalyse der morphometrischen Datenmatrix ba-
sierend auf Gowers Distanzmaß. Blaue Punkte entsprechen V. p. subsp. an-
gustifolia (a) und rote Punkte V. p. subsp. franconica.
Tab. 2: Mittelwerte absoluter Messwerte (Auflösung der Kürzel siehe oben) der signifikant divergie-
renden Merkmale (p <0,001) von V. p. subsp. angustifolia (n = 44) und V. p. subsp. franconica (n = 41).
SD - Standardabweichung.
a e g i j k l n
Einheit cm cm cm n n mm mm mm
V. p. subsp. angustifolia
Mittelwert 83,27 11,51 5,06 1,23 0,34 5,04 4,34 0,61
±SD 33,25 10,83 2,38 1,16 0,61 2,69 2,45 0,18
V. p. subsp. franconica
Mittelwert 148,48 39,36 8,17 4,26 2,14 14,49 11,62 0.87
±SD 33,16 20,69 3,32 1,11 1,26 3,91 4,17 0,25
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
32 Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 86, 2016
beiden Sippen zu variabel. Im Durchschnitt sind die Standorte von V. p. subsp. franconica eher
mesophil; Standorte mit zeitweise angespanntem Wasserhaushalt, die V. p. subsp. angustifolia
durchaus besiedelt, werden gemieden. Beide Sippen wurden aber gelegentlich benachbart an-
getroffen.
Valeriana pratensis subsp. angustifolia bevorzugt wechseltrockene bis wechselfeuchte,
basen- und oft auch kalkreiche Böden, V. p. subsp. franconica wechselfeuchte bis frische, ge-
legentlich auch staunasse Böden. Er wächst auch auf schwachsauren Standorten. V. p. subsp.
angustifolia besiedelt Halbtrockenrasen (Brometalia erecti), wärmebetonte Waldsäume (Ori-
ganetalia) sowie lichte Wälder, in Südbayern auch trockenere Partien von Niedermooren. V.
p. subsp. franconica besiedelt Straßengräben und -böschungen, frische bis feuchteWaldwege
sowie nitrophytische Waldsaum-Gesellschaften (Alliarion). Die standörtliche Trennung bei-
der Sippen kann auch durchbrochen werden, gelegentlich wachsen sie benachbart.
TITZ (1984) nennt als Verbreitungsgebiet des Franconica-Typs die Ausdehnung des Her-
zogtums Franken zur Stauferzeit (Hessen, Nord-Baden, Unter- und Mittelfranken, Südwest-
Thüringen sowie die Pfalz). Für Nordbayern, Südwest-Thüringen und den Süden und Osten
von Hessen können wir dies bestätigen. Wir haben die Sippe auch im Norden von Baden-
Württemberg und in der Pfalz (Rheinland-Pfalz) gesehen. Das Verbreitungsgebiet reicht bis
Abb. 2: Valeriana pratensis subsp. franconica
mit Thomas Gregor zum Größenvergleich, Goß-
mannsdorf 2012. Foto: LENZ MEIEROTT.
Abb. 3: Valeriana pratensis subsp. franconica, Stän-
gelblattpaar, Bachtal w Mittelsinn 2016.
Foto: LENZ MEIEROTT.
Abb. 4: Valeriana pratensis subsp. angustifolia, Stän-
gelblattpaar, Röttingen 2015. Foto: LENZ MEIEROTT.
T. GREGOR et al.: Morphologische Variabilität bei tetraploider Valeriana officinals s.l. 33
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
nach Frankreich (dép. Haut-Rhin). Unklar ist, wie weit die Sippe in Nord-Hessen verbreitet
ist. Generell muss das genaue Verbreitungsgebiet der Sippe aber noch erfasst werden.
Bei der Entstehung von V. p. subsp. franconica erscheint eine Hybridisierung nicht aus-
geschlossen. WALTHER (1949: 91) ermittelte für eine von ihr erzielte Kreuzung zwischen V. col-
lina (2n= 28) und V. excelsa (2n= 56) die tetraploide Chromosomenzahl 2n= 28 und nicht
die erwartete hexaploide Zahl von 2n= 42. Bei tetraploiden Pflanzen („Valeriana collina“)
fand sie einen gegenüber den anderen Arten hohen Prozentsatz an sterilem Pollen und führte
dies darauf zurück, dass die Sippe durch Bastardierung entstanden ist (WALTHER 1949: 38).
Auch TITZ (1984) stellte Überlegungen zu „Merkmalsintrogression von V. exaltata“ oder auch
„introgressive[m] Einfluß durch procurrens“ an. Doch sind diese Spekulationen bei den mor-
phologisch extrem variablen Arten der Valeriana officinalis-Gruppe nur schwer mit morpho-
logischen Methoden nachweisbar. Hier erscheint nur eine Bündelung verschiedener Methoden
bei Betrachtung des zirkumpolaren Gesamtverbreitungsgebietes aussichtsreich.
5. Formelle Beschreibung
Valeriana pratensis subsp. franconica MEIEROTT & T.GREGOR,subsp. nov.
Similar to Valeriana pratensis subsp. angustifolia but considerably higher (> 1.25 m, versus < 1 m) with
larger inflorescence (> 20 cm, vs. < 20 cm). Leaflets broader and with more teeth: lateral leaflets > 10
mm broad (vs. < 8 mm), terminal leaflet > 3 mm broad (vs. < 3 mm).
Typus: Deutschland, Bayern, [Lkr. Neumarkt in der Oberpfalz] bei Ottmaring, 20.06.1983,
leg. L. Prager s.n. (Kultiviert im Botanischen Garten München, Kultur-Nr. 1661, Herbarbe-
leg vom Juni 1983) (holotypus M) (Abb. 5)
Der Typusbeleg stellt die Wildaufsammlung von L. Prager dar.Auf einer zusätzlich auf dem
Bogen aufgebrachten Schede ist notiert: „provisorische Benennung: / Valeriana pratensis
DIERBACH / (= V. collina WALLR.) / sensu amplificato / [handschriftlich] „franconica“ /
1984 det./rev. E. Titz (WU) / [handschriftlich] 11-84/4“.
6. Bisher bekannte Verbreitung nach gesehenen Belegen (elektronischer
Appendix)
Eine annotierte Liste der gesehenen und mit Durchflusszytometrie karyotypisierten Belege ist im elek-
tronischen Appendix zum Artikel verfügbar
Deutschland: Baden-Württemberg: Odenwald, Neckar- und Tauber-Gäuplatten, Schwäbi-
sches Keuper-Lias-Land; Bayern: Rhön, Spessart, Odenwald, Mainfränkische Platten, Frän-
kischer Jura; Hessen: Bergisch-Sauerländisches Gebirge (Süderbergland), Westerwald,
Westhessisches Berg- und Senkenland, Osthessisches Bergland, Taunus, Hessisch-Fränki-
sches Bergland, Rhein-Main-Tiefland; Rheinland-Pfalz: Hunsrück, Nahebergland; Thürin-
gen: Meininger Kalkplatten.
Frankreich: Elsass.
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
34 Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 86, 2016
Abb. 5: Valeriana pratensis subsp. franconica, Typusbeleg in M, Scan angefertigt von H. ESSER.
T. GREGOR et al.: Morphologische Variabilität bei tetraploider Valeriana officinals s.l. 35
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
7. Versuch einer Schlüsselung der Sippen von Valeriana officinalis s.l. in
Deutschland
Auf der Grundlage von JÄGER (2011), FISCHER & al. (2008) und TITZ (1984) abgeändert und
ergänzt.
Vorbemerkung: Merkmale sind an der gesamten Population zu prüfen, Einzelexemplare sind
oft nicht eindeutig bestimmbar. Die angegebenen Maße sind Durchschnittswerte und können
gelegentlich über- oder unterschritten werden. Unterirdische Ausläufer brechen leicht ab, bei
der Prüfung ist der Wurzelstock mit Vorsicht auszugraben.
1 Pflanze meist mehrstängelig, stockbildend, hochwüchsig, Stängel kahl, unten oft rötlich
gefärbt, mittlere Stängelblätter mit 6–9 Fiederpaaren, meist stark und tief gezähnt (2–10
ZähnejeFiederhälfte) ..................................... V. officinalis s.str.
1* Pflanze einstängelig, meist mit unter- und/oder oberirdischen Ausläufern, Stängel behaart
oderkahl ............................................................. 2
2 Pflanze mit unter- und meist auch oberirdischen Ausläufern (vgl. aber subsp. versifolia),
mittlere Stängelblätter jederseits mit 2–8 Fiedern, Endfieder meist deutlich breiter als die
Seitenfiedern,Kronröhre4–8mm .................................. V. excelsa
a Mittlere Stängelblätter jederseits mit 2–4(5) Fiedern, Stängel und Blattunterseiten kahl
oder spärlich kurzhaarig (Haare 0,1–1 mm lang), Pflanze 30–90(130) cm . . . . . . . . .
.................................................. subsp. sambucifolia
a* Mittlere Stängelblätter jederseits mit (3)4–8(9) Fiedern, unterseits wie die untere Stän-
gelhälfte meist dicht abstehend behaart (Haare 0,5–2 mm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b
b Pflanze hochwüchsig, (70)90–160(200) cm, Blütenstand locker, zur Fruchtzeit 14–40 cm
lang, mit langen unterirdischen und meist auch oberirdischen Ausläufern, Blattfiedern
meist stark gezähnt (4–10 Zähne je Fiederhälfte), schmal elliptisch bis lanzettlich, 2,5–
6-malsolangwiebreit .................................... subsp. excelsa
b* Pflanze niedrigwüchsig, 40–90(130) cm, Blütenstand dicht, zur Fruchtzeit bis 13 cm
lang, oft nur mit unterirdischen Ausläufern, seitliche Blattfiedern ganzrandig bis
schwach gezähnt (0–7 Zähne je Fiederhälfte), breit lanzettlich bis lineal, 3–10-mal so
lang wie breit, nur in den Allgäuer Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . subsp. versifolia
2* Pflanze nur mit unterirdischen Ausläufern, mittlere Stängelblätter jederseits mit 6–12 Fie-
dern, Endfieder kaum breiter als die Seitenfiedern, Kronröhre 2–5 mm lang V. pratensis
c Stängel wie Fiederunterseiten kahl (selten spärlich anliegend kurzhaarig, Haare < 0,5 mm
lang), mittlere Stängelblätter jederseits mit 6–8 Fiedern, Fruchtstand 10–30 cm, längs-
ter Blattstiel 7–14 cm, Oberrheingebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . subsp. pratensis
c* untere Stängelhälfte wie Fiederunterseiten dicht abstehend behaart, Haare 0,5–1,5
(2,0) mm lang, mittlere Stängelblätter jederseits mit (6)8–12(–15) Fiedern . . . . . . d
d Pflanze niedrigwüchsig, 40–100 cm, Blütenstand meist dicht, zur Fruchtzeit bis 15 cm
lang, Blattfiedern schmal, bis 5(8) mm breit, ganzrandig bis schwach gezähnt (0–2
Zähne pro Seitenfiederhälfte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . subsp. angustifolia
d* Pflanze hochwüchsig, (75)125–160(180) cm, Blütenstand locker, zur Fruchtzeit bis
50 cm lang, Seitenfiedern bis 15(18) mm breit, meist deutlich gezähnt (2–5 Zähne je
Seitenfiederhälfte) ..................................... subsp. franconica
© Bayerische Botanische Gesellschaft e.V. 2016
36 Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 86, 2016
5. Literatur
BUTTLER, K. P. & SCHIPPMANN, U. 1993: Namensverzeichnis zur Flora der Farn- und Samenpflanzen
Hessens (Erste Fassung). – Botanik und Naturschutz in Hessen, Beiheft 6: 1-476.
BUTTLER, K. P. & STIEGLITZ, W. 1976: Floristische Untersuchungen im Meßtischblatt 6417 (Mannheim-
Nordost). – Beiträge zur naturkundlichen Forschung in Südwestdeutschland 35: 9-35.
CHESSEL, D., DUFOUR, A. B. & THIOULOUSE, J. 2004: The ade4 Package – I: One-Table Methods. – R
News 4: 5‒10.
DIERBACH, [J. H.] 1825-1827: Uebersicht der um Heidelberg wildwachsenden Pflanzen. – Magazin für
die neuesten Erfahrungen, Entdeckungen und Berichtigungen im Gebiete der Pharmacie 10: 3-25
(1825), 11: 201-242 (1825), 16: 3-50 (1826), 20: 3-67 (1827).
DOLEŽEL, J., DOLEŽELOVÁ, M. & NOVÁK, F. J. 1994. Flow cytometric estimation of nuclear DNA amount
in diploid bananas (Musa acuminata and M. balbisiana). – Biologia Plantarum 36: 351-357.
DOLEŽEL, J., GREILHUBR, J. & SUDA, J. 2007. Estimation of nuclear DNA content in plants using flow
cytometry. – Nature Protocols 2: 2233-2244.
FISCHER, M. A., OSWALD, K. & ADLER, W. 2008: Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Süd-
tirol, ed. 3. – 1391 S., Linz: Biologiezentrum der Oberösterreichischen Landesmuseen.
GREGOR, T. 1993: Flora des Schlitzerlandes. – Beiträge zur Naturkunde in Osthessen 28: 7-231, „1992“.
HAND, R. & GREGOR, T. 2015: Chromosomenzahlen von Farn- und Samenpflanzen aus Deutschland 9.
– Kochia 9: 105-108.
JÄGER, E. J. (ed.) 2011: Rothmaler, Exkursionsflora von Deutschland. Gefäßpflanzen: Grundband, ed.
20. – 930 S., Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
JARVIS, C. 2007: Order out of Chaos. – 1016 S., The Linnean Society of London &The Natural History
Museum, London.
MEIEROTT, L. 2008: Flora der Haßberge und des Grabfelds, Bd. 2. – 691-1448, IHW-Verlag, Eching.
NAWRATH, S. 2005: Flora und Vegetation des Grünlands im südöstlichen Taunus und seinem Vorland. –
362 S. + Anhang, Frankfurt am Main: Dissertation Johann Wolfgang Goethe-Universität.
NETZWERK PHYTODIVERSITÄT DEUTSCHLAND/BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (HRSG.) 2013: Verbrei-
tungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. – Landwirtschaftsverlag, Münster.
SKALIŃSKA, M. 1947: Polyploidy in Valeriana officinalis Linn. in relation to its ecology and distribution.
– Botanical journal of the Linnean Society 53: 159-186.
TITZ, E. 1984: Die Arzneibaldriane Deutschlands mit besonderer Berücksichtigung Bayerns. – Berichte
der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 55: 25-48.
TITZ, W., TIMISCHL, W. & TITZ, E. 1983: Morphometrische Studien an Valeriana officinalis s.l. Aus-
wahl, Analyse und Aufbereitung der Merkmale. – Plant Systematics and Evolution 141: 313-339.
TITZ, W. & TITZ, E. 1982: Analyse der Formenmannigfaltigkeit der Valeriana officinalis-Gruppe im
zentralen und südlichen Europa. – Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 95: 155-164.
WALTHER, E. 1949: Zur Morphologie und Systematik des Arzneibaldrians in Mitteleuropa. – Mitteilun-
gen der Thüringischen Botanischen Gesellschaft, Beiheft 1: 1-108.