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Die Bedeutung von psychischen Ressourcen für
benachteiligte Jugendliche am Übergang von der
Schule in Ausbildung und Beruf
Alban Knecht
Veröffentlicht: Knecht, Alban (2016): Die Bedeutung von psychischen Ressourcen für
benachteiligte Jugendliche am Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf. In:
Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis, 48. Jg., H. 4, S. 847–860 (Einreichversion)
Zusammenfassung: Im Rahmen multidimensionaler Betrachtungen von Benachteiligung
und Armut kommen psychischen Ressourcen wie Motivation und Selbstwirksamkeits-
erwartung sowie der sozialen Anerkennung eine wichtige und häufig unterschätzte Bedeutung
zu. Der Beitrag diskutiert die Rolle dieser Ressourcen beim beruflichen Übergang von
benachteiligten Jugendlichen anhand von Interviews mit ExpertInnen aus Jugendarbeit,
Verwaltung und Politik. Es zeigt sich, dass die zentrale Funktion der Motivation erkannt wird,
jedoch viele ExpertInnen vereinfachte und pathologisierende Vorstellungen über die
Motivationslosigkeit benachteiligter Jugendlicher haben. Sie halten die Möglichkeit,
Motivation und Selbstwirksamkeit durch partizipative und empowernde Verfahren zu
erhöhen, für gering und bevorzugen und legitimieren stattdessen an Verpflichtung und Zwang
orientierte Maßnahmen.
Schlüsselwörter: Ressourcentheorie, psychische Ressourcen, Motivation, Selbstwirksamkeit,
Benachteiligung, Jugendliche, Ausbildung, beruflicher Übergang, Berufsfindung
Psychical Resources at the Vocation Transition of Disadvantaged Youth.
The Understanding of the Experts and the Subsequences
Abstract: Psychical resources like motivation and self-efficacy as well as social recognition
have an important and often underestimated meaning with regards to multi-dimensional
approaches of disadvantage and poverty. Based on interviews with experts in the field of
youth work and (public) administration, this article discusses the meaning of psychic
resources for disadvantaged youth in educational and vocational transition. The interviews
2
revealed that although the fundamental importance of motivation is well known, many experts
have rather simple or even pathologizing ideas about the loss of motivation of disadvantaged
youth. They do not believe that motivation or self-efficacy could be fostered by participative
or empowering activities, but prefer and legitimize coercive measures such as a vocational
training obligation.
Keywords: resource theory, psychic resources, motivation, self efficacy, disadvantage, youth,
vocational training, vocational education, transition, career choice
1. Einleitung
Deprivierte Lebenssituationen betreffen häufig die verschiedensten Funktionsbereiche des
Menschen und müssen daher mehrdimensional betrachtet werden. Dabei muss ein möglichst
weites Spektrum an Ressourcen, also an Hilfsmittel, die einer Person zur Verfolgung der
eigenen Ziele zur Verfügung stehen, als Ausgangsbasis dienen. Ressourcen, wie finanzielle
Mittel, soziale Netzwerke, Bildung, Gesundheit und psychische Ressourcen sind in ihrer
Entstehung wie ihrer Aufrechterhaltung stark miteinander verwoben. Ein Verständnis ihrer
gegenseitigen Bedingtheit kann daher helfen, die Entstehung und Verstetigung von multipler
Deprivation zu erklären.
Psychische Ressourcen1 spielen beim Übergang sozial benachteiligter Jugendlicher
von der Schule in die Ausbildung und das Arbeitsleben in mehrfacher Hinsicht eine besondere
Rolle. Denn während sich formale Definitionen von Benachteiligung, wie sie beispielsweise
in Schriften der EU verwendet werden, bei Jugendlichen zunehmend auf den Bildungs- und
Arbeitsstatus beziehen (Knecht, Kuchler & Atzmüller, 2014), werden in den Spezialdiskursen
von ExpertInnen und PolitikerInnen – neben Verweisen auf versagende Familien,
Diskriminierungen und andere strukturelle Faktoren – oft auch psychologische Kategorien
herangezogen, die häufig auch mit dem Zustandekommen der benachteiligten Position in
Zusammenhang gebracht werden. Als Problemgruppen werden dementsprechend auf formaler
Ebene die Early School Leavers gesehen, also frühe SchulabgängerInnen, die ihre
Bildungskarriere ohne einen allgemein- oder berufsbildenden Abschuss der Sekundarstufe II
1 Unter dem Begriff psychische Ressourcen werden hier Konzepte wie Motivation, Selbstwertgefühl, internale
Kontrollüberzeugungen, Selbstwirksamkeitserwartung, Kohärenzgefühl oder Proaktivität zusammengefasst,
ungeachtet der Differenzen zwischen diesen Konzepten. Solche Ressourcen werden auch als identitätsrelevante
bzw. innere Ressourcen bezeichnet (vgl. Schubert & Knecht, 2016 in diesem Heft sowie Schubert, 2012; Knecht,
2010, S. 247).
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verlassen, sowie NEET-Jugendliche, also Jugendliche, die weder einer Erwerbsarbeit
nachgehen, noch in der Schule oder einer Ausbildung bzw. Trainingsmaßnahme sind („Not in
Employment, Education or Training“) (Atzmüller & Knecht, 2016a). Deren Defizite werden
durch fehlende psychische Ressourcen wie Motivation und Selbstbewusstsein als
(mit)verursacht erklärt. Von sozialen Benachteiligungen, die mit reduzierten Chancen sozialer
Mobilität und einem erhöhten Risiko sozialer Ausgrenzung einhergehen (Pohl & Walther,
2006), sind insbesondere auch Jugendliche mit Migrationsvergangenheit betroffen, wobei
Untersuchungen regelmäßig zeigen, dass nicht die ethnische Herkunft, sondern ein niedriger
sozial-ökonomische Status wie auch Diskriminierungen zu verstärkten Problemen dieser
Gruppe führen (Poschalko, 2011; vgl. auch Tunç, 2009).
Vor diesem Hintergrund diskutiert dieser Beitrag, welche Rolle psychische
Ressourcen für benachteiligte Jugendliche am beruflichen Übergang von der Schule in
Ausbildung und in den Beruf in den Augen beteiligter ExpertInnen spielen und welche
politischen Folgen damit verbunden sind. Vorbereitend werden in Abschnitt 2 die
Ressourcenverteilung und Ressourcentransformation innerhalb einer Gesellschaft und eines
Sozialstaat generell dargestellt. Abschnitt 3 fokussiert auf die Bedeutung psychischer
Ressourcen und thematisiert deren Rolle für den beruflichen Übergang von benachteiligten
Jugendlichen im Rahmen der österreichischen Jugend- und Sozialpolitik anhand aktueller
Literatur. Der Blick und das Problemverständnis der beteiligten jugend- und sozialpolitischen
AkteurInnen werden anhand der Ergebnisse von ExpertInneninterviews des
Forschungsprojektes SOCIETY zur Jugendpolitik in Europa in Abschnitt 4 dargestellt. Es
zeigt sich, dass die ExpertInnen von einer Schlüsselfunktion der psychischen Ressourcen bei
der Entstehung von Deprivation ausgehen, dass ihre pathologisierenden Vorstellungen jedoch
gleichzeitig der Legitimation eines restriktiveren, aktivierenden und paternalistischen Stils
von Sozialpolitik dienen. In Anschluss daran diskutiert Abschnitt 5 Tendenzen der
zunehmenden Verpflichtung in der Beschäftigungspolitik für Jugendliche, die – in der
Hoffnung auf die „heilenden Kräfte“ extrinsischer Handlungsanreizen – zu einem paradoxen
und kontraproduktiven Stolperstein für die Ausbildung intrinsischer Motivation beim
Übergang von Schule zu Ausbildung und Beruf wird.
2. Ressourcenverteilung und Ressourcentransformation in
Gesellschaft und Sozialstaat
Die Ressourcentheorie stellt die Ausstattung von Individuen mit Ressourcen wie
Einkommen/Vermögen, Bildung, sozialen Kontakten und Netzwerken sowie psychischen
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Ressourcen in den Vordergrund (s.a. Schubert & Knecht, 2016 in diesem Heft sowie Schubert
& Knecht, 2012). Die verschiedenen Ressourcen können eingesetzt werden zur Erreichung
persönlicher Ziele; gleichzeitig stärken sich die Ressourcen gegenseitig, soweit sie ineinander
transformierbar sind. Beispielsweise werden (neben Bildung und psychischen Ressourcen wie
Selbstsicherheit) soziale Netzwerke für die Suche nach einer (gut bezahlten) Arbeit eingesetzt
und können das erzielte Einkommen erhöhen. Auch die mit höherem Einkommen
einhergehende höhere Gesundheit und Lebenserwartung und das mit höherer Gesundheit
einhergehende höhere Einkommen stellen Transformationen von Ressourcen dar (Schubert &
Knecht, 2012). Ressourcen, die positive Auswirkungen auf andere Ressourcen haben, werden
auch als Energieressourcen bezeichnet (Schubert & Knecht, 2012). Ressourcen sind dabei
gleichzeitig als das Ergebnis von in der Vergangenheit liegenden Umständen (von eigenen
und sozialstaatlichen Handlungen) zu sehen, als auch als Ausgangsbasis für zukünftiges
Handeln.2
Durch die Transformation von Ressourcen und deren gegenseitiger Verstärkung
werden ungleichheitsrelevante Aufwärtsprozesse der Ressourcenakkumulation, wie sie z. B.
Bourdieu mit seiner Kapitalartentheorie beschrieben hat (Bourdieu, 1992), verstehbarer.
Gleichermaßen bildet sich darin die von Hobfoll in seiner Theorie der Ressourcenerhaltung
diskutierte Gefahr von Verlustspiralen ab (Hobfoll, 1989, S. 519, s.a. Schubert, 2016 in
diesem Heft). In der Kombination von Ressourcenakkumulationen, die den einen Menschen
möglich sind, und den Verlustspiralen, die andere Menschen erleiden, werden die von
Schubert (2004, S. 204) diskutierten Schereneffekte, also der Trennung und
Auseinanderentwicklung in ressourcenreich und ressourcenarme Gruppen, deutlich. Die
Ressourcentheorie kann somit für die Analyse der Entstehung und Persistenz sozialer
Ungleichheit herangezogen werden, wie auch für die Analyse der Bedeutung des Sozialstaates
bei der Zuteilung verschiedener Ressourcen (Knecht 2012a). Ansätze, die versuchen,
wohlfahrtstaatliches Handeln alleine über die Zuteilung oder Umverteilung monetärer
Ressourcen zu beschreiben, greifen zu kurz (z.B. Esping-Andersen, 1990), weil sie die
Ungleichheitsmechanismen, die in den Bereichen Bildung, Psyche oder z.B. Netzwerke
wirken, negieren. Mit einer erweiterten Ressourcen-Perspektive kann dagegen die
Funktionsweise des Sozialstaates umfassender verstanden werden: Sie relativiert seine
Bedeutung als umverteilender, gesellschaftlicher Reparaturmechanismus und verdeutlicht
seine umfassende, gesellschaftsprägende und -strukturierende Macht (vgl. Vogel, 2007). Die
umfassende Rolle, die die sozialstaatliche Tätigkeit in der Herstellung und Aufrechterhaltung
2 Siehe zur doppelten Bedeutung von Ressourcen Knecht (2010, S. 35; 2011), Schubert und Knecht (2012).
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sozialer Ungleichheit spielt, wird durch Untersuchungen des Public-Health- und
Gesundheitsbereiches (vgl. z.B. Pickett & Wilkinson, 2012) gleichermaßen verdeutlicht, wie
in der durch die PISA-Untersuchungen neu entfachten Debatte um Bildungsgerechtigkeit und
-chancen (vgl. Atzmüller & Knecht, 2016a). So wurde gezeigt, dass mehrgliedrige,
segmentationsstarke Schulsystemen soziale Ungleichheiten nicht nur verstärken, sondern auch
produzieren (vgl. z.B. Gottburgsen & Sixt, 2012). Ländervergleiche verdeutlichen, dass
Länder, die sich sozialpolitisch stärker um soziale Gleichheit bemühen, also z. B. die Länder
mit sozialdemokratischem Wohlfahrtsregime, schwächere SchülerInnen eher fördern,
wohingegen die Länder mit konservativem Wohlfahrtsregime Ungleichheiten in den
Schulleistungen hervorheben – z. B. durch die Art der Benotung, durch Selektion bei den
Übergängen zu weiterführenden Schulen und durch Separierung von „Eliten“ – und damit
verstetigen (vgl. Knecht, 2010, S. 244).
Die Rolle, die staatliche Sozialpolitik bei der Entwicklung psychischer Ressourcen
spielt, wurde dagegen bisher kaum diskutiert und stellt einen blinden Fleck in der Diskussion
dar, obwohl es offensichtlich ist, dass beispielsweise durch segmentierte, selektive
Schulsysteme auch Verlierer- und Gewinnermentalitäten geprägt werden (s. a. Knecht, 2010,
247f.; Wellgraf, 2012), die das Verhalten der betroffenen Menschen langfristig beeinflussen.
Dieser blinde Fleck hängt auch mit einer fachlichen Abgrenzung der Disziplinen Soziologie
und Psychologie zusammen. Während von soziologischer Seite psychische Kategorien negiert
werden, bzw. in soziologische Begriffe überführt werden3, vernachlässigt die Psychologie
tendenziell die Betrachtung sozialer Ungleichheit, was sich unter anderem an Lehrbüchern zu
Themen wie Motivation zeigen lässt.
Allerdings gibt die Debatte um die Transformation des Sozialstaats neuen Anlass und
neue Chancen, Zusammenhänge zwischen Sozialstaat und psychischen Ressourcen zu
beleuchten. In der öffentlichen Diskussion zum Ge- und Missbrauch des Sozialstaates wird
zunehmend das Bild einer verlotterten, von Antriebslosigkeit, Faulheit und fehlender
Motivation geprägten Unterschicht gezeichnet (Knecht, 2010; Hradil, 2010). Diese
Diskussion stellt die Legitimation einer sogenannten aktivierenden Wohlfahrtspolitik dar, die
unter Vernachlässigung der Betrachtung struktureller Gegebenheiten, wie eines schwierigen
Arbeitsmarktes, vordergründig ein „Fördern und Fordern“ propagiert, sich in der konkreten
Ausformung aber in erster Linie durch mehr Verpflichtungen und Zwang auszeichnet
(Atzmüller & Knecht, 2016a) und insbesondere auf Veränderungen der Person, wie z. B.
3 Siehe z.B. die Diskussion zu psychologischen Inhalten des Habitus-Begriffes bei Zander (2010) oder die
Debatte um die Subjektivierung von Arbeit (Moldaschl & Voß, 2003).
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seiner Motivation abstellt. Diese Prozesse lassen sich u.a. auch an der Beschäftigungspolitik
für Jugendliche erkennen.
3. Die Bedeutung psychischer Ressourcen für Jugendliche am
Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf
Es sind vor allem drei psychologische Konzepte, deren Bedeutung beim Übergang von Schule
in Ausbildung und Beruf diskutiert werden: Motivation, Selbstwirksamkeit und Anerkennung.
Unter dem Begriff Motivation werden „von vielen Prozessen des Lebensvollzugs jeweils
diejenige Komponenten oder Teilaspekte herausgegriffen und behandelt […], die mit der
ausdauernden Zielausrichtung unseres Verhaltens zu tun haben“ (z. B. Rheinberg &
Vollmeyer, 2012, S. 15; vgl. auch Heckhausen & Heckhausen, 2010). Motivation wird häufig
in Erwartung-mal-Wert-Modellen dargestellt, die die Bedeutung der beiden Faktoren
„Wichtigkeit des Ziels“ und „Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Handlungsergebnis und
Handlungsfolgen“ für die Entstehung von Motivation ausdrücken. Je konkreter Ziel, Ergebnis
und die Folgen sind, desto höher sind die Motivation und die Wahrscheinlichkeit, dass eine
Handlung oder ein Projekt auch tatsächlich angegangen wird (Volition) (Heckhausen &
Heckhausen, 2010). Für benachteiligte Jugendliche bedeutet das, dass es für ihre Bildungs-
und Berufsentscheidungen nicht nur eine Rolle spielt, welche Ausbildungswege und
-angebote vorhanden sind, sondern vor allem, für wie erstrebenswert diese subjektiv
eingeschätzt werden und wie zuverlässig sie mit dem eingeschlagenen Weg die aus ihrer Sicht
sinnvoll erachteten Ziele erreichen können (s.a. Gaupp, 2013). Unklare Vorstellungen
darüber, welcher Berufsabschluss angestrebt werden soll, wie und ob er erreicht werden kann
und die Erwartung, ob er später zu einer Stelle führen wird, können also die Motivation
gemäß diesem Modell beeinträchtigen. Dabei können negative Lernerfahrungen aus der
Vergangenheit, die Einschätzung über Erreichbarkeit von Zielen (wie dem Erreichen einer
Lehrstelle oder dem Absolvieren einer Berufsausbildung) (Gaupp, 2013, Abs. 31) genauso
wie zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse (vgl. Atzmüller et al., 2012) Entscheidungen
beeinflussen. Sind jedoch Lern- und Leistungsziele von persönlicher Bedeutung, werden
dadurch Motivation, Anstrengung und Ausdauer gewährleistet (Schwarzer & Jerusalem,
2002, S. 30). Dass soziale Ungleichheit bei diesen Prozessen ein Rolle spielt, zeigen
verschiedene Untersuchungen die belegen, dass Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten
geringere Bildungsaspirationen haben (Andresen, 2010; Stanat, Segeritz & Christensen, 2010;
Gresch, Maaz, Becker & McElvany, 2012). Stauber (2007) sieht die Motivation beim
Übergang von der Schule in den Beruf als zunehmend wichtiger, weil sich die Jugendlichen
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nicht mehr auf gleichsam automatisch funktionierende Übergänge, wie noch in den frühen
1990er Jahren, als es ausreichend Lehrstellen gab, verlassen können. Sie müssen diese
zunehmend selbst gestalten, indem sie der eigenen Biografie eine Richtung geben,
Entscheidungen treffen, (Aus-)Bildungsstationen erfolgreich durchlaufen oder Alternativen
suchen, wenn eingeschlagene Wege nicht zum Ziel führen (ebd.; Gaupp, 2013).
Das zweite bedeutende Konzept zu den psychischen Ressourcen Jugendlicher am Übergang
ist die Selbstwirksamkeitserwartung. Darunter kann die „subjektive Überzeugung einer
Person durch eigene Kompetenzen neue oder schwierige Anforderungssituationen bewältigen
zu können“, verstanden werden (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 35). Untersuchungen
zeigen, dass Jugendliche mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung unter gleichen Bedingungen
tatsächlich vergleichsweise höhere Chancen haben in eine Ausbildung einzumünden als
Jugendliche mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung (Zimmermann & Skrobanek, 2015, S.
369; Gaupp, 2013). Durch die positive Bewertung der eigenen Anstrengung und ihrer
Ergebnisse verstärken damit gekoppelte positive Erwartungen auch selbstwertdienliche und
motivationsförderliche Attributionen. Darüber hinaus führt hohe Selbstwirksamkeit auch zu
funktionaleren Umgangsweisen bei Misserfolgen (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 30).
Zimmermann & Skrobanek (2015, S. 365) zeigen, dass das ein generelles Vertrauen in die
eigenen Fähigkeiten zur Realisierung des Plans „Ausbildung“ unterstützt, während
gleichzeitig herkunftsspezifische und sozialstrukturelle Variablen nicht zu vernachlässigen
sind (ebd., S. 370). Insbesondere die Arbeitslosigkeit von mindestens einem Elternteil wirkt
sich negativ, hingegen eine höhere Berufsklassifikation des Haushaltsvorstandes positiv auf
die Selbstwirksamkeit und die Realisierung eines Ausbildungsplans aus (ebd., S. 365).
Die beiden Konzepte Motivation und Selbstwirksamkeit betonen den individuellen
Charakter von psychischen Ressourcen, wohingegen das Konzept der Anerkennung stärker
den interpersonellen bzw. relationalen Aspekt (Schubert & Knecht, 2012, S. 15) von
psychischen Ressourcen betont. In seiner Person anerkannt zu werden, stellt ein
grundständiges Bedürfnis des Menschen dar (Pregel, 2013, S. 30). Gerade für Jugendliche, bei
denen das Selbstbild noch nicht so gefestigt ist wie bei Erwachsenen, stellt Anerkennung ihrer
Person und ihrer Wünsche (z. B. Berufswünsche) durch Eltern, LehrerInnen und andere
Bezugspersonen eine wichtige Dimension der Zwischenmenschlichkeit und für ihre
persönliche Entwicklung dar (vgl. Kaeding, 2011, S. 96; Andresen 2010, S. 508). Mit Bezug
auf Hegel und Mead entwickelten Honneth, Fracer und Benjamin Bausteine einer Theorie der
Anerkennung (vgl. Pregel, 2013, S. 30). Das Erleben von Anerkennung unterstützt die
Entwicklung von Aspiration und Motivation. (Geringe) Motivation kann deshalb nicht als
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Eigenschaft einer Person verstanden werden, sondern resultiert aus komplexen
Anerkennungsverhältnissen, welche sich nicht nur aus persönlichen Kontakten ergeben,
sondern auch aus erlebten bzw. erlittenen abstrakten Zuschreibungen, z.B. als Teil einer
benachteiligten Bevölkerungsgruppe (Lehmkuhl, Schmidt & Schöler, 2013; Wellgraf, 2012).
Diskriminierende Erfahrungen können dabei eine große Rolle spielen. Untersuchungen zu
HauptschülerInnen und SchülerInnen mit Migrationshintergrund zeigen zum Teil sehr subtile
Ausschlussmechanismen, wie z. B. versagte Anerkennung, das Vorenthalten von
Unterstützung und Aufmunterung durch Lehrpersonen, vorenthaltene soziale Zugehörigkeiten
und Beschämungen (Herwartz-Emden, Schurt, Waburg & Ruhland, 2008, S. 34ff.; Juhasz &
Mey, 2003; Wellgraf, 2012). Im Licht von ressourcentheoretischen Überlegungen kann das
Vorenthalten von Anerkennung als Prozess der Beschädigung einer interpersonellen
Ressource thematisiert werden. Aus sozialstaatlicher Ressourcenperspektive zeigt die
Betonung des relationalen Aspektes der Anerkennungsprozesse einmal mehr, dass
sozialstaatliche Tätigkeit nicht nur unterstützende Wirkung entfaltet, sondern Ressourcen und
Chancen auch ungleich zuteilen kann und damit Ungleichheitsstrukturen aufrechterhält
(Knecht & Schubert, 2012). Unterschiedliche Grade der Anerkennung können sich auch in
institutionellen Strukturen ausdrücken, beispielsweise dann, wenn es bei der Finanzierung von
Schulzweigen oder der Betreuung (z. B. asylsuchender Jugendlicher) zu Benachteiligung
verschiedener Gruppen kommt.
Betrachtet man die Situation von benachteiligten Jugendlichen in Österreich, so haben
auch dort Veränderungen der Ausbildungs- und Beschäftigungssituation sowie der
Jugendpolitik und Beschäftigungspolitik für Jugendliche dazu geführt, dass diese mehr
Belastungen ausgesetzt sind.4 Dennoch zeigen empirische Untersuchungen zu den
psychischen Ressourcen, dass die Motivation benachteiligter Jugendlicher am Übergang von
Schule in Ausbildung und Beruf – entgegen dem allgemeinen Verständnis – im Durchschnitt
sehr hoch ist (z. B. Oehme, Beran & Krisch, 2007, S. 100; vgl. Lenger, Löffler & Dornmayr,
2010, S. 76). Walter (2010) geht für die Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
sogar von einer überdurchschnittlichen Lernmotivation aus, da Eltern mit
4 Vor allem durch die Wirtschaftskrise ist es ab 2007 zu einer starken Verringerung der Lehrstellen und
auszubildenden Betrieben gekommen. In Österreich wurde daraufhin 2008 eine Ausbildungsgarantie eingeführt,
die SchulabgängerInnen und arbeitslosen Jugendlichen garantiert, eine Lehre in einer überbetrieblichen
Lehrwerkstätte (ÜBA) absolvieren zu können, wenn keine betriebliche Lehrstelle gefunden wird. 2014
absolvierten bereits 10% aller österreichischen Lehrlinge ihre Lehre als überbetriebliche Ausbildung
(Ausfühlich: Atzmüller & Knecht, 2016a).
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Migrationshintergrund Bildung tendenziell stärker wertschätzen als Eltern ohne
Migrationshintergrund und dies auch ihren Kindern vermitteln. Neben der bestehenden
Motivation wird diesen Jugendlichen auch ein hoher Realitätssinn bezüglich der Einschätzung
ihrer Situation bescheinigt (Heckl, Dörflinger & Dorr, 2007; s.a. BMASK, 2013). Gaupp
(2013, Abs. 30) hat Bildungsverläufe deutscher HauptschülerInnen qualitativ untersucht und
macht darauf aufmerksam, dass Motivation bei den Jugendlichen häufig eher situativ entsteht.
Manche Jugendlichen definieren und verfolgen klare Ziele, berichten aber gleichzeitig auch
von Phasen, die von demotivierenden Erlebnissen und Passivität geprägt sind.
Dementsprechend berichten Jugendliche von demotivierenden Beratungen des
Arbeitsmarktservices, dem österreichischen Äquivalent der deutschen Arbeitsagentur, bei
denen Wünsche, Lebens- und Ausbildungsverläufe, die nicht den gängigen Kategorien
folgten, von den BeraterInnen gar nicht wahrgenommen wurden und dass Vorschläge
gemacht wurden, die nicht zu den erlangten Qualifizierungen passten (Bergmann, Putz &
Wieser, 2001). Es sind solche demotivierende und teilweise diskriminierende Erlebnisse in
der Schule, auf Ämtern oder beim Bewerben, die die Motivation der Jugendlichen
beeinträchtigen (Lehmkuhl, Schmidt & Schöler, 2013). Gaupp (2013) arbeitet heraus, dass die
Unterstützung von den Jugendlichen nur dann als hilfreich empfunden werden kann, wenn die
individuellen Wünsche, Interessen und Bedürfnisse berücksichtigen werden. „Interaktionen
erleben die jungen Erwachsenen demotivierend, wenn ihr Gegenüber ihnen eine bestimmte
Fähigkeit nicht zutraut, die Eignung für einen geplanten Bildungs- oder Ausbildungsweg
abspricht oder in ihren Ratschlägen nicht auf individuelle Wünsche eingeht, sondern vielmehr
aus eigenen institutionellen Interessen und Logiken heraus agiert“ Gaupp (2013, Abs. 37).
Insbesondere die Lehrstellensuche kann für benachteiligte Jugendliche eine besondere
Herausforderung darstellen, auch deshalb, weil Lehrstellen zu einem großen Teil über
Beziehungen „gefunden“ werden (Bergmann, Putz & Wieser, 2001, S. 41), was allerdings nur
dann hilfreich ist, wenn die SchülerInnen bzw. ihre Eltern über geeignete Netzwerke
verfügen. Darüber hinaus erhalten benachteiligte Jugendliche, und insbesondere Jugendliche
ohne Schulabschluss oder mit Migrationshintergrund, übermäßig viele Absagen (Imdorf &
Scherr, 2015) und müssen sich dann mit Stellen zufriedengeben, die nicht ihren
Berufswünschen und Bedürfnissen entsprechen oder auf denen sie wenig lernen (Oehme,
Beran & Krisch, 2007, S. 70; Litschel & Löffler, 2015). In der österreichischen
überbetrieblichen Ausbildung, in der Ausbildungsplätze für Jugendliche zur Verfügung
gestellt werden, die keine reguläre Lehrstelle finden, kommt es häufiger vor, dass im
Wunschberuf kein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Mehr als die Hälfte der Abbrüche
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der überbetrieblichen Ausbildung erfolgen innerhalb der ersten vier Wochen, was darauf
zurückzuführen ist, dass dann die Zuordnungen der Teilnehmenden auf die zur Verfügung
stehenden überbetrieblichen Ausbildungsplätze vorgenommen wird (Lenger, Löffler &
Dornmayr, 2010, S. 79). Dass viele Jugendliche, die nicht ihren Wunschberuf finden, die
Maßnahme dann verlassen, kann bedauert werden, aber unter den Aspekten der
Entscheidungsfreudigkeit, Beharrlichkeit und dem Vertrauen in die eigene
Handlungsfähigkeit auch positiv gesehen werden.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die psychischen Ressourcen eine
wesentliche Bedeutung für die Lebenssituation von benachteiligten Jugendlichen haben. Die
Konzepte Motivation, Selbstwirksamkeit und Anerkennung bilden jeweils Teilaspekte eines
komplexen Zusammenhangs aus, der wiederum als Teil eines breiteren Spektrums von
psychischen Ressourcen (Schubert, 2012) gesehen werden kann. Die Entstehung der
Motivation weist dabei gleichermaßen in die Vergangenheit, da sie von erlebten Erfahrungen
abhängt, wie auch in die Zukunft, da sie eine Vorbedingung für ein aktives Engagement in die
berufliche Zukunft darstellt (Gaupp, 2013, Abs. 41). Fehlende Motivation führt
dementsprechend zu selbstverstärkenden Mechanismen, wie sie u.a. Hobfoll (1989) mit dem
Begriff der Ressourcenverlustspirale beschreibt (vgl. Schubert, 2016, in diesem Heft). Dies
führt dazu, dass sich gleichsam „Motivationskarrieren“ (Stauber, Pohl & Walther, 2007; du
Bois-Reymond, Plug, Stauber, Pohl & Walther, 2002) bzw. „Demotivationskarrieren“
ergeben, die nicht nur, wie oben beschrieben, von den Zukunftsaussichten und den
tatsächlichen und vermuteten Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt abhängen,
sondern gleichzeitig von den Erfahrungen der Vergangenheit. Motivation erweist sich so als
eine Ressource, die sich gleichermaßen in Vergangenheit und Zukunft erstreckt.
Lang-von Wins (2016, S. 101f.) fordert dementsprechend, Jugendliche in der
Entwicklung ihrer Biografie durch Entdeckung der eigenen Stärken, Kennenlernen und
Hinterfragen der eigenen Werte und durch die Gestaltung einer Umwelt, in der Jugendliche
fehlertolerant und fehlerfreundlich lernen und ihre Kreativität entwickeln können, zu
unterstützen und zwar in einer Weise, die es erlaubt Proaktivität und
Selbstwirksamkeitserwartung zu entwickeln. Weiter reichend sind die Forderungen, die sich
aus dem Forschungsprojekt YOYO von Andreas Walther und Kollegen ergeben (u.a. Walther,
2006, Stauber, 2007). Sie sehen Empowerment und Partizipation der Jugendlichen an den
eigenen Bildungsprozessen als Königsweg der Motivationsentwicklung an. Jugendliche sollen
im Rahmen von Partizipation über Prozesse bestimmen bzw. bei Prozessen mitwirken, von
denen sie selbst betroffen sind. Während nun Jugendzentren und kommunale Verwaltungen
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(unter dem Druck verschiedener EU-Programme wie der EU-Jugendstrategie) verstärkt
Mechanismen der Partizipation einführen, so sind im Bereich der Beschäftigungsförderung
kaum Möglichkeiten mitzubestimmen vorgesehen (Knecht, Kuchler & Atzmüller, 2014).
Stattdessen wird die einseitige Anpassung der Jugendlichen an die Bedürfnisse der
Arbeitswelt bzw. der Unternehmen gefordert. Pohl und Walther bemängeln, dass „das
vorherrschende Verständnis von Aktivierung als Arbeitsmarktintegration in den meisten
Kontexten die subjektiven Bedürfnisse und Interessen junger Frauen und Männer
systematisch und massiv übergeht“ (Pohl & Walther, 2006). Motivation sehen sie
dementsprechend eher als Indikator dafür, ob Jugendliche und junge Erwachsene
Handlungsspielräume und Integrationschancen für sich sehen und wenden sich dagegen, „die
Motivation bzw. Demotivation … – wie im Kontext gegenwärtiger Aktivierungsdiskurse – als
Ressource oder individuelles Defizit“ (Pohl & Walther, 2006, S. 36) zu verstehen.
4. Der Blick der ExpertInnen: Psychische Ressourcen als
Problemfeld und Legitimationsstrategie
Die Bedeutung von psychischen Ressourcen in der österreichischen Jugendpolitik wurden im
Rahmen des EU-Projekt SOCIETY – “Social innovation – Empowering the young for the
common good”5 untersucht. Dieses Projekt beschäftigte sich mit einem Vergleich der
Jugendpolitik von elf EU-Ländern im Hinblick auf sich eröffnende Handlungsspielräume im
Sinne des Capability-Ansatzes von Amartya Sen (Sen, 2000, 2010; Knecht, 2010, 2012b) und
mit Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen. Dafür wurden im Rahmen einer
Politikfeldanalyse der österreichischen Jugendpolitik in den Bereichen Schule, Ausbildung
und Jugendarbeit eine Dokumentenanalyse aktueller wissenschaftlicher Texte und eine
Inhaltsanalyse von 19 Interviews mit in der Jugendarbeit und auf verschiedenen
administrativen Ebenen tätigen ExpertInnen durchgeführt (vgl. Knecht, Kuchler & Atzmüller,
2014). Der Leitfaden bestand aus offenen Fragen zu den Gruppen von Jugendlichen, die als
benachteiligt angesehen werden, zu den Maßnahmen, Programmen und Zielen der
Interventionen, zu sozialen Innovationen und den Partizipationsmöglichkeiten von
Jugendlichen. Im Rahmen einer Sekundäranalyse wurden aus den vorliegenden Transkripten
5 SOCIETY wurde im 7. Forschungsrahmenprogramm der EU durchgeführt (Vertragsnr.: 320136, Laufzeit:
2013–2015) und von der Universität Bielefeld koordiniert. Das Konsortium besteht aus 13 Partnerinstituten in elf
Ländern. Die Politikfeldanalyse für Österreich wurde an der Abteilung für theoretische Soziologie und
Sozialanalyse der Johannes-Kepler-Universität unter der Leitung von Roland Atzmüller durchgeführt (Knecht,
Kuchler & Atzmüller, 2014); die Interviews führten Karin Kuchler und Alban Knecht.
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der Experteninterviews der Stellenwert der psychischer Ressourcen und
Ressourcenorientierung sowie die Thematisierung von diesbezüglichen Defiziten
herausgearbeitet. Des Weiteren wurden die Erklärungen zu den Ursachen dieser Defizite
analysiert sowie der Frage nachgegangen, welche Schlüsse aus dem entstandenen Bild
gezogen werden und wie diese mit den Interventionen argumentativ verbunden sind.
Es zeigt sich, dass insbesondere in den pädagogischen Kontexten die
Ressourcenorientierung als eine der Defizitorientierung entgegen gerichtete Haltung
allgemein bekannt und anerkannt ist. Es wurden auch Unterteilungen in verschiedene Arten
von Ressourcen erstellt und in einem Interview speziell auch Selbstbewusstsein und
Selbstwirksamkeit explizit als Ressourcen bezeichnet. Von den Experten wurden psychische
Ressourcen jedoch häufig als nicht vorhanden eingeschätzt. Dadurch ergab sich keine
durchgängig an Ressourcen und Stärken orientierte Sichtweise, sondern implizit wieder eine
Defizitperspektive. Darüber hinaus wurde Motivation oft als etwas benannt, das in den
arbeitsmarktpolitischen Programmen – auch im Austausch mit den anderen TeilnehmerInnen
– erst entwickeln soll. Die Entwicklung und das Vorhandensein von Motivation wurden als
entscheidender Erfolgsfaktor der Programme gesehen.
„Wenn die Jugendlichen nicht selber wollen, dann können sich alle anderen auf den
Kopf stellen, mit den Ohren wackeln und es ist sinnlos. … Die Motivation ist das Um
und Auf. … und da bewundere ich meine KollegInnen eigentlich Tag für Tag, es zu
schaffen mit den Jugendlichen in einen Ausgangsprozess zu gehen und mit ihnen
gemeinsam zu definieren: ‚Was ist möglich, was ist nicht möglich‘ und ‚Was willst du,
und was kannst du‘.“ (I. 17)
Auch fehlende Selbstwirksamkeit und fehlendes Selbstbewusstsein, die zu Resignation und
Perspektivlosigkeit führen, wurden häufig als Probleme der Jugendlichen benannt. Die
Jugendlichen würden in dieser Sichtweise aufhören (oder hätten nie angefangen), an ihre
eigenen Fähigkeiten zu glauben (vgl. Atzmüller, 2015, S. 295). Viele Defizit-„Diagnosen“
gehen aber weiter. In den Interviews wird häufig von einer Zunahme psychischer Probleme
und Krankheiten ausgegangen, mit denen die Jugendlichen zu kämpfen hätten. Dabei bleiben
die Beschreibungen der Störungsbilder durch die ExpertInnen – auch auf Nachfrage hin –
diffus; selbst Schwangerschaften oder ein Rückzug vom AMS werden pathologisiert.
„Das werden immer mehr Jugendliche, wo man sagt: ‚Wirklich, die sind psychisch
total bedient‘. Also, das sind wirklich im Laufe der Jahrzehnte mehr, … das sage nicht
nur ich, sondern das sagen auch meine Kollegen … Die sagen ja, es wird immer
stärker, dass Jugendliche ganz einfach von den Socken sind. …da kommen solche
13
[Mädels daher], da halte ich meinen kleinen Finger davor. Da gibt es massive
Störungen erwachsen zu werden, man möchte so dünn bleiben … Ja, also diese
Magersucht, dann … totales In-Sich-Hineinziehen … oder total aggressiv. Teilweise
hin dann – zumindest Selbstmordversuche, teilweise Flucht in irgendwelche
Schwangerschaften bei den Mädels. Bei den Mädels speziell mit türkischem
Hintergrund: Verschwinden-von-der-Bildfläche, ich mein, das ist nicht psychisch,
aber was steckt da alles Psychisches dahinter.“ (I. 9)
Für die Probleme und Verfassung der Jugendlichen wird ein breites Spektrum von Gründen
angegeben. Dabei werden, anders als in der einschlägigen Literatur, materielle Deprivation,
Marginalisierung oder Diskriminierung kaum als Ursachen der Probleme der Jugendlichen
diskutiert. Auch werden die beobachtete Motivationslosigkeit und der fehlende Glaube an die
Selbstwirksamkeit selten mit den Erfahrungen der Jugendlichen z.B. im Bildungssystem oder
den schlechten Arbeitsmarktchancen und Berufsaussichten in Verbindung gebracht. Die
diffusen „Diagnosen“ von Psychopathologien bleiben für sich stehen und werden in den
Interviews auch nicht mit der Thematisierung von psychologischen oder medizinischen Hilfen
oder Interventionen verknüpft. Die Tendenz die Probleme der Jugendlichen in
individualisierenden Zuschreibungen zu beschreiben, spiegelt sich auch darin wider, dass die
in der Literatur geführte Diskussion um interaktive Anerkennungsprozesse in den Interviews
kaum Niederschlag gefunden hat. Stattdessen werden die fehlende Bereitschaft oder die
Unfähigkeit von Eltern, sich für die Bildungswege der eigenen Kinder einzusetzen, kritisiert.
Diese Kritik wird teilweise mit Bildern eines moralisierenden Diskurses über Unterschicht
und Missbrauch von Sozialleistungen verknüpft (vgl. auch Atzmüller & Knecht, 2015, S.
125).
„Und der Jugendliche braucht als allererstes eine Motivation für irgendetwas, und es
kommen Jugendliche genug aus Familienverhältnissen, wo es Gang und Gäbe ist, dass
man hocknstad6 ist. Weil jetzt gibt es auch die Mindestsicherung. Nicht? ‚Da kriegen
wir sowieso ein Geld.‘“ (I. 9)
„Und auf der anderen Seite hast du einfach Familien, wo der Jugendliche, der einzige
ist, der in der Früh aufsteht, weil die Eltern arbeitslos sind und denen auch wurst ist,
was deren Jugendlicher auch macht. Und eine Familie, wo sich die Eltern nicht um
die Kinder kümmern, die fallen da zunehmend raus aus dem System.“ (I. 1)
Es sind nur wenige Stimmen – sie kommen von den in der Jugendarbeit tätigen ExpertInnen
und solchen mit pädagogischem Hintergrund – die sich über die Ausbildungssituation der
6 Umgangssprachlicher, österreichischer Ausdruck für arbeitslos.
14
Jugendlichen Gedanken machen und die Probleme der Jugendlichen in ihrer konkreten
Perspektive bzw. Perspektivlosigkeit sehen:
„Das ist ja auch ein bisschen meine Kritik … an diesem Übergangsmanagement. Das
man eigentlich nicht mehr fragt, was ist jetzt das eigentlich was Jugendliche wollen:
Wollen die das? Wollen sie so eine Form der Ausbildung haben? Ist es nicht auch ein
Zeichen, dass die … die Anzahl derer, die die Lehre im ersten Lehrjahr abbrechen ja
total hoch ist. … Das macht weder Spaß noch kriegst du Anerkennung. … Und von
daher könnte man … ketzerisch schon sagen, dass dieses Übergangsmanagement sehr
stark versucht, mit sozialpädagogischen Mitteln und Griffen Jugendliche dazu zu
bringen, Ausbildungen anzustreben und selbst zu sagen: ‚ja, ich strebe diese
Ausbildung selbst an.‘ Aber ob es das ist, was Jugendliche anspricht, das kann man
bezweifeln.“ (I. 20)
Im Problemverständnis der sozialstaatlichen Bürokratie wie auch der Europäischen Union
werden die Defizite der Jugendlichen an formeller Bildung und die daraus resultierenden
Probleme am Arbeits- und Ausbildungsmarkt als das zentrale Problem gesehen, da niedrige
Bildungsabschlüsse mit höherer Arbeitslosigkeit einhergehen (Knecht, Kuchler & Atzmüller,
2014; Atzmüller & Knecht, 2016a, S. 123). Interventionen sind daher an einem Mehr von
formalen Bildungsabschlüssen orientiert. Der dabei verwendete Bildungsbegriff ist stark an
der Beschäftigungsfähigkeit orientiert und um die humanistische Dimension von Bildung
gekürzt.
Die interviewten ExpertInnen thematisieren die Probleme der Jugendlichen jedoch
eher auf der Ebene fehlender Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Ordentlichkeit und der
Fähigkeit, eine Tagestruktur zu organisieren und „schlicht in der Früh aufzustehen“
(Atzmüller & Knecht, 2016). Diese Argumentationen öffnen die Türe für eine Moralisierung
fehlender Bildung, jedoch werden der Jugendlichen von den Experten tendenziell – wie oben
beschrieben – als Opfer u.a. ihrer familiären Umstände gesehen, die einer „Nachreifung“
benötigen.
„Da geht es einfach um Defizite auf der Verhaltensebene … zum Teil auch
Arbeitstugenden, es geht um Jugendliche, die die einzigen sind, die in der Früh
aufstehen und daher keinen familiären Rückhalt haben. Denen man regelmäßige
Strukturen erst versuchen muss zu vermitteln, und wo es einfach darum geht
Umgangsformeln zu entwickeln, die kompatibel sind mit einer Arbeitsproduktivität.“
(I. 1)
15
Es ist diese Sichtweise, die zur Legitimation von qualifizierenden Reintegrationsaktivitäten
mit quasi-therapeutischen Strategien führt (s.a. Atzmüller, 2015). In diesem Zusammenhang
werden Motivation und Selbstwirksamkeit im politischen Prozess zu strategischen Variablen
und andererseits in der Praxis zur Voraussetzung für weitere, ausbildungs- und
arbeitsmarktnähere Angebote, die sich auch in erster Linie an den Erfordernissen der
Ausbildungsplätze und der Arbeitswelt orientieren.
„Sie erfahren aber, es taugt ihnen letztendlich, wenn sie dann [in einem
Beschäftigungsprogramm] einen Spiegel gemacht haben. Also der Selbstwert steigt,
das Gefühl, ich kann was, steigt. Und die Erfahrung zeigt, dass wenn du sie da kriegst,
… ein Entwicklungsschub passieren kann … und [er] aus seiner Verstocktheit
rauskommt und … [ein Wechsel] auf einen … Lehrstellenplatz oder in die
überbetriebliche Ausbildung möglich ist. … Andere kannst du von dort dann in ein
längeres Praktikum schleusen, wo sie dann auch wieder viel Selbsterfahrung
ausprobieren [sic!] und von dort dann in eine Lehrstelle oder in eine überbetriebliche
Ausbildung weitergehen.“ (I. 15)
Als kontraproduktiver Effekt wird allerdings auch von einigen ExpertInnen genannt, dass die
defizit-orientierten Kriterien, deren Erfüllung erst den Zugang zu den die Lehre
vorbereitenden Maßnahmen schaffen, auf das Selbstbild der Jugendlichen abfärben können,
was auch zum Abbruch von Maßnahmen führen kann (Litschel & Löffler, 2015).
Wie oben erwähnt, werden in der einschlägigen Literatur partizipative Strukturen und
Mitsprache bezüglich Inhalt und Umsetzungsregelungen bei der Erstellung und Durchführung
von Maßnahmen (z.B. in Form von selbst- oder kooperativ organisierten Angeboten oder
zumindest in Form von Klassensprechern, Kurssprechern, Ombudsleuten oder Qualitätszirkel
aller Beteiligten) als bester Weg zur Steigerung von Motivation diskutiert. Die interviewten
ExpertInnen stehen solchen Ansätzen jedoch kritisch gegenüber. Sie diskutieren zwar auch
niederschwellige Zugänge als Weg um unmotivierte Jugendliche zu erreichen und
thematisieren in diesem Zusammenhang, dass die Niederschwelligkeit erfordert, dass man
nicht über die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen hinweggeht (s.a. Blum, Kien, Paul
& Wittinger, 2010; Knecht, 2016). Jedoch stellt die Niederschwelligkeit hier nur einen
besonderen Art und Weise des Zugangs zu den Jugendlichen dar und ändert nichts an der
engen Ausrichtung der Angebote auf die Beschäftigungsfähigkeit (Knecht, 2014). Ansonsten
argumentieren sie zu Gunsten einer einseitigen Anpassung der Jugendlichen an die
Anfordernisse der Lehrstellen und des Arbeitsmarktes, z.B. weil es auch in den Firmen, in
denen sie später arbeiten, „kein Thema sei“:
16
„So, was nützt es denn, wenn ich da sage, der kann mitbestimmen, und wenn es nicht
so gut geht, kann er aussteigen, dümdümdüm – in der Firma spielt es das nicht. Also,
das ist ein; ich denke mir, das ist so ein Spannungsfeld, in dem wir alle uns bewegen
und wo man sich wahrscheinlich immer bewegt.“ (I. 13)
Ein anderer Experte weist darauf hin, dass Mitbestimmung nicht dem Erfahrungshorizont der
Jugendlichen entspräche: „Also, das ist nicht leicht für sie, weil sie haben nicht [den]
Erfahrungshintergrund …, einbezogen zu werden oder gefragt zu werden.“ (I. 17)
Und ein Ministerialbeamter reflektiert die Diskrepanz zwischen dem verpflichtenden
Charakter der Maßnahmen und einer möglichen Einführung von Partizipationsmöglichkeiten.
„Wir sind da eher noch obrigkeitsstaatlich unterwegs, muss ich ehrlich zugeben. …
Was wichtig ist, ist die Motivation – dass man die einbindet die Jugendlichen. … Wie
will man da zum Beispiel ein konkretes Projektdesign aufsetzen …, ohne dass das
Ganze aus dem Ruder läuft, dass man da die Beteiligung der Lehrlinge stärkt. Weil im
Grunde genommen sind ja Verpflichtungen damit [mit der Teilnahme an einer
Qualifizierungsmaßnahme] verbunden, weil ja das kostet und eben dieser
Widerspruch [der Programme mit der] Freiwilligkeit. … Wenn der eine
Maßnahmenempfehlung kriegt, was man eh mit ihm abstimmt, und er sich weigert,
dann kriegt er in der Regel beim AMS einen Zehner7, eine Bestrafung –
Leistungsentzug! … Da kriegt der eine Leistungssperre. … Da kriegt er die DLU8
gesperrt, … wenn er sich weigert z.B. ein bestimmtes Beschäftigungsangebot …
anzunehmen.“ (I. 1).
Der hier interviewte Experte wertet im Folgenden die Erhebung der Teilnehmerzufriedenheit
als Form der Partizipation:
„Also, wir erheben derzeit die Teilnehmerzufriedenheit …, aber immer im Nachhinein,
das ist ein Qualitätssicherungsding. Vielleicht sollt ma des mehr – müsst ma
diskutieren, diese Feedbackkultur. Was ja auch wieder ein Lernprozess für die
Jugendlichen ist, so eine Feedbackkultur zu entwickeln“ (I. 1).
7 Gemeint ist §10 des österreichischen Arbeitslosenversicherungsgesetz
8 Gemeint ist die Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts die Arbeitslosen während der Teilnahme an einer
Maßnahme bezahlt wird.
17
5. Die Wirkung der Diskurse: Motivation absprechen –
Motivation zerstören
Es zeigt sich, dass den psychischen Ressourcen sowohl in der Fachliteratur als auch von den
interviewten ExpertInnen eine zentrale Funktion beim Übergang benachteiligter Jugendlicher
von Beruf in Ausbildung und Arbeit zugesprochen wird. Motivation und Selbstwirksamkeit
gelten als zentrale Ressourcen, die zur Erlangung von mehr formaler Bildung benötigt
werden, jedoch nicht in ausreichendem Maße vorhanden seien. Ihre „Optimierung“ erlangt
daher einen strategischen Charakter als Teil einer aktivierenden und auf die Verbesserung der
Beschäftigungsfähigkeit konzentrierten Sozialinvestitionspolitik (vgl. Atzmüller & Knecht,
2016a), die auch der Herstellung von Chancengleichheit dienen soll.
In den Interviews werden die psychischen Ressourcen meistens erwähnt um Defizite
von Personen auszudrücken, also fehlende Motivation oder fehlende
Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu beschreiben. Der angebliche Mangel an psychischen
Ressourcen, die psychischen Probleme der Jugendlichen und ihre Defizite bezüglich formaler
Bildung und den Sekundärtugenden, führen bei der Mehrzahl der ExpertInnen zur Fürsprache
von aktivierenden Interventionen, bei denen Jugendliche mittels pädagogisch-therapeutischer
Interventionen „das Wollen“ lernen und zur möglichst baldigen Annahme von Lehrstellen
gedrängt werden sollen. Dabei wird der intrinsischen Motivation der Jugendlichen misstraut,
bzw. wird den Jugendlichen die Fähigkeit intrinsisch motiviert zu sein, abgesprochen.
Motivation und Selbstwirksamkeit werden in diesem Prozess zu strategischen und evaluativen
Variablen der Beschäftigungspolitik von Jugendlichen.
An der Bruchstelle zwischen den Interessen der Arbeitsverwaltung und der
Arbeitgeber einerseits und den Jugendlichen anderseits haben die Interessen der Jugendlichen
kaum Gewicht, was mit den Schwierigkeiten der ExpertInnen korrespondiert, sich zu
partizipativen Ansätzen zu äußern bzw. sich für diese Ansätze zu öffnen. Trotz umfangreicher
Projekte der Europäischen Union (wie der Jugendstrategie), die die Partizipation der
Jugendlichen in der Gesellschaft erhöhen sollen, zeigen die Zeichen im aktivierenden
Sozialstaat in eine andere Richtung. Die Tendenz der zunehmenden Verpflichtung im
Sozialstaat findet in Österreich gerade einen neuen Höhepunkt durch die im österreichischen
Parlament mit breiter Mehrheit beschlossene Umwandlung der Ausbildungsgarantie in eine
Ausbildungspflicht der 15- bis 18-Jährigen, die auch eine Pflichtberatung umfasst.
Einige der von uns interviewten Expertinnen und Experten versprachen sich von der
Einführung einer Ausbildungspflicht einen Ausbau des Hilfesystems. Das BMASK geht
davon aus, dass junge Menschen durch diese Verpflichtung „einen für sie mittel- und
18
langfristig besseren Weg einschlagen“ (BMASK, o.J.). Auch hier zeigt sich das Misstrauen
gegenüber den Wünschen und Bedürfnissen der Jugendlichen – in diesem Fall durch das
Ministerium. Denn anscheinend geht es davon aus, dass die betroffene Gruppe einen
derartigen Weg freiwillig und unter den Bedingungen garantierter Zugänge ins
Ausbildungssystem nicht eingeschlagen würde (Atzmüller & Knecht, 2016a). Es sind nur
einige wenige InterviewpartnerInnen, solche mit pädagogischem Berufshintergrund und
solche, die direkt mit den Jugendlichen arbeiten, die sich kritisch äußern:
„Also, da spricht aber auch die Sozialpädagogin in mir, also, ich glaube nicht an
irgendwelche Maßnahmen, die verpflichtend sind. … ich halte es für ziemlich fatal,
dass da immer gleich quasi eine Strafsanktion mitkommuniziert wird. … für den
konkreten Jugendlichen oder das Umfeld geht es darum, erreiche ich jemanden,
mache ich jemanden was schmackhaft, und ist es dann etwas, was adäquat ist. … ich
glaube, bei den NEETs oder bei den ganz arbeitsmarktfernen Jugendlichen, bei denen,
die aus diesem System schon ausgestiegen sind, muss ich etwas sehr Adäquates
anbieten.“ (I. 13)
Ein ehemaliger Lehrer, der nun in einem Ministerium arbeitet, kritisiert den verpflichtenden
Charakter gleichermaßen:
„Ja, das ist doch grotesk, ... dann muss ich 400 zahlen, wenn mein Sohn, meine
Tochter nicht hingeht, … das ist doch spinnert! Also so kann es nicht gehen! …Weil es
unpädagogisch ist. Ich glaube, im Endeffekt wird [es] nicht greifen. … wir bieten
Angebote und Chancen – mehr können wir nicht. …. Ich bin auch dagegen, dass man
für Schulpflichtverletzungen zahlt, … da muss ich dann schon versuchen, vor Ort zu
sein und die Leute einzusammeln. Also, es geht ja darum, die Kinder irgendwelchen
Eltern zu entreißen, die sie nur zur Arbeit einteilen oder … zur Beaufsichtigung der
jungen Geschwister.“ (I. 3)
Letztendlich bedeutet die Einführung der Ausbildungsverpflichtung auch, dass der Druck auf
die Jugendlichen steigt, Stellen oder Plätze in Maßnahmen anzunehmen, die sie eigentlich
unpassend finden. Den Jugendlichen wird damit vermittelt, dass Lehre und Programme – auch
wenn sie vielleicht nicht den Bedürfnissen entsprechen – alternativlos sind. Das ist eine
Erfahrung, die viel von ihnen wahrscheinlich schon in der Schule gemacht haben und die der
Entstehung von Motivation eher entgegensteht. Ähnlich dem Erleben in der Schule wird es
wohl als Normalfall erscheinen eine Ausbildung bzw. ein Bildungsweg aus extrinsischer
Motivation eingeschlagen wird. Auch wenn die ExpertInnen sich von der
Ausbildungsverpflichtung höhere Bildungsquoten versprechen, ist davon auszugehen, dass
19
die Durchsetzung von extrinsischen Motivationsfaktoren auf Kosten von intrinsischer
Motivation letztendlich die intrinsische Motivation korrumpiert (Deci, Koestner & Ryan,
1999; Sandel, 2012) und daher kontraproduktive Effekte zeitigen wird (vgl. Stauber, 2007).
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Zum Autor
Dr. Alban Knecht, Sozialpädagoge und Soziologe. Er ist an der Johannes-Kepler-Universität Linz tätig und lehrt am FH
Campus Wien und der Hochschule München. Seine Forschungsschwerpunkte sind interdisziplinäre, ressourcenorientierte
Zugänge zu Sozialpolitik, Ungleichheitssoziologie, Armutsforschung und soziale Arbeit. Augenblicklich forscht er zu
Jugendpolitik und der Beschäftigungsförderung benachteiligter Jugendlicher aus der Perspektive von psychologischen
Ressourcentheorien und dem Capability-Ansatz des Gerechtigkeitsphilosophen Amartya Sen.
Korrespondenzadresse
Dr. Alban Knecht, www.albanknecht.de
Johannes Kepler Universität Linz
Institut für Soziologie
Abteilung Theoretische Soziologie und Sozialanalyse
Altenbergerstraße 69
4040 Linz