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SyHD-atlas
SyHD-atlas: PDF-Version (Zitierversion):
Fleischer, Jürg/Alexandra N. Lenz/Helmut Weiß (2017): SyHD-atlas. Konzipiert von Ludwig M. Breuer.
Unter Mitarbeit von Katrin Kuhmichel, Stephanie Leser-Cronau, Johanna Schwalm und Thomas Strobel.
Marburg/Wien/Frankfurt am Main: dx.doi.org/10.17192/es2017.0003.
••
www.syhd.info
SIMONKASPER
7.3Passiv,PossessionundBelebtheit
KURZ B E S C H R E I B U N G
InBezugaufdieKategoriederDiathesekö nnenEreignisseimDeutschenanhandvonAktiv‑und
Passivsä tzenausgedrü cktwerden.Fü rdenAusdruckvonTransferrelationenimweitestenSinne
stelltdieaktivische,ditransitiveKonstruktion,wiesiebeispielhaftin(1)dargestelltist,einegängige
Ausdrucksstrategiedar.DiesemAktivsatzkorrespondierendabeizweimögliche
Passivkonstruktionen:daswerden‑Passivin(2)unddas„Dativpassiv”in(3)(vgl.
Zifonun/Hoffmann/Strecker1997:1788–1858).
(1) DerBeamteschicktdemKundendenVertrag.
(2) DerVertragwirddemKunden(vondemBeamten)geschickt.
(3) DerKundekriegtdenVertrag(vondemBeamten)geschickt.
ZwischendenReferentenderAktiv‑ObjektewirdzudemimVerlaufdesTransfersein
Possessivverhältnishergestellt,dasadnominaletwamitdenKonstruktionenin(4)bis(6)
ausgedrü cktwerdenkann,wobeiderpossessive„Dativ”in(5)alsnichtstandardsprachlichgilt(vgl.
Duden‑Grammatik2016:732–733,837–844).
(4) derVertragdesKunden
(5) demKundenseinVertrag
(6) derVertragvomKunden
DieAktivkonstruktionin(1)unddieGenitivkonstruktionin(4)sinddabeisprachgeschichtlichälter
alsdiejeweilsanderenKonstruktionen.BeiderHerausbildungderLetzterenundihrer
geographischenVerbreitunglassensichKorrelationenmitderBelebtheits‑oder
Empathiehierarchiefeststellen.
DasEreignisenthä ltein„echtes”Agens,d.h.einenTeilnehmer,demzweckgerichtetesHandeln
zugeschriebenwird.
Und/oderdasEreignisenthä lteinephysischeodermetaphorischeKraftü bertragung(„force”)von
einemTeilnehmeraufeinenanderen,derdavonauchtatsächlichbetroffenist.
IstnurBedingung(7)erfu
̈ llt,habenwiresmiteinemProto‑Agenszutun,dasverantwortlich
handeltundalleMerkmaleaufweist,dieAgentiainderRegelzugeschriebenwerden(z.B.diejenigen
inDowty1991,Primus1999,2002sowieKasper2015b).Bedingung(7)istauchdiemaßgebliche
fü runpersö nlichePassive.IstnurBedingung(8)erfü llt,habenwiresmiteinemProto‑Agenszutun,
das„bloß”Verursacherist.Diesesgenü gtfü rdieBildungeinespersönlichenPassivs.Sindbeide
Bedingungenerfü llt,istdasProto‑AgenseinverantwortlicherVerursacher.
ObwohldieseRestriktionenfü rdaswerden‑Passivformuliertwurdenundprimä rdieDemovierung
desAktiv‑Subjektsbetreffen,scheinensieebenfallsaufdas„Dativpassiv”zuzutreffen.Dieses
unterliegtdanebenaberzusä tzlichenRestriktionen,dienunnichtmehrprimärdieMö glichkeit
betreffen,dasProto‑Agenszudemovieren,sonderndie,denProto‑RezipientenzumSubjektdes
„Dativpassiv”zupromovieren.Diewichtigstedavonistin(9)aufgefü hrt.
(7)
(8)
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
Eine prototypische Transferrelation besteht zwischen einem Proto-Agens (jemand, der
transferiert), einem Proto-Rezipienten (jemand, (zu) dem transferiert wird) und einem Proto-
Patiens (etwas, das transferiert wird). In der ditransitiven Konstruktion in (1) werden diese
Teilnehmer als Subjekt, indirektes Objekt im Dativ (selten im Akkusativ, wie mit lehren) und als
direktes Objekt im Akkusativ realisiert. Beim werden- oder Patienspassiv in (2) wird das Proto-
Patiens (das Akkusativobjekt des Aktivsatzes) zum Subjekt „promoviert”, während der Kasus des
Proto-Rezipienten im Vergleich zum Aktivsatz gleichbleibt. Beim „Dativ-” oder Rezipientenpassiv
in (3) wird der Proto-Rezipient des Aktivsatzes (das Dativobjekt) zum Passiv-Subjekt provomiert,
während der Kasus des Proto-Patiens gleichbleibt. Das Auxiliar ist kriegen, bekommen oder
erhalten. Das Subjekt des Aktivsatzes kann implizit bleiben oder durch eine Präpositionalfügung
ausgedrückt werden. In beiden Fällen wird das Aktiv-Subjekt „demoviert”.
Welche Aktiv- und damit auch ditransitiven Konstruktionen in ein werden-Passiv umgeformt
werden können, unterliegt dabei bestimmten semantischen Restriktionen, die bereits vielfach
diskutiert worden sind (vgl. Kasper 2008 für einen Überblick und Kasper 2015b: 404–411, 420–
424 für einen Alternativvorschlag). Die Konversion eines Aktivsatzes in ein „Dativpassiv” unterliegt
dabei strengeren Restriktionen als seine Konversion in ein werden-Passiv, wobei es keinen
Aktivsatz geben sollte, von dem ein „Dativpassiv”, aber kein werden-Passiv gebildet werden kann.
Die Konversion von einem Passivsatz mit ausgedrücktem Proto-Agens zu einem Aktivsatz ist
dagegen immer möglich.
Als Annäherung an die Bedingungen, denen die Konversion eines Aktivsatzes zu einem werden-
Passiv unterliegt, genügt es, darauf hinzuweisen, dass folgende Bedingungen für ein werden-Passiv
erfüllt sein müssen, und das heißt primär, für die Demovierung des Aktiv-Subjekts:
SyHD-atlas
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DETAILBESCHREIBUNG
Beide Passivkonstruktionen sind im Vergleich zum aktivischen Ausdruck jünger und das
„Dativpassiv” ist wiederum jünger als das werden-Passiv (vgl. Fleischer & Schallert 2011: 133–136,
Lenz 2013: 330–333). Für die Herausbildung beider Konstruktionen können jeweils
Grammatikalisierungsprozesse in Anschlag gebracht werden, die bekanntlich die Ausweitung einer
Konstruktion auf neue Kontexte bzw. die Erweiterung der mit ihr ausdrückbaren Bedeutung
beinhaltet (vgl. Heine & Kuteva 2008). In diesem Zusammenhang sind für beide
Passivkonstruktionen Wandelphänomene zu beobachten, die sich auch auf den Raum abbilden
lassen.
Die Ergebnisse von Primus (2011) zum unpersönlichen Passiv und die Diagnosen von Eroms
(1978) sind so interpretierbar, dass das Kriterium in (7) entlang der Empathiehierarchie, die auch
eine Hierarchie der abnehmenden Agentivität ist (vgl. Kasper 2015b: 364–374), zunehmend
aufgeweicht wird: Das Aktiv-Subjekt muss nicht mehr alle Agens-Eigenschaften, und das heißt:
Eigenschaften von Personen, aufweisen.
Hinsichtlich Bedingung (8) ist beim (persönlichen) werden-Passiv nicht auszuschließen, dass die
Möglichkeit, es mit unbelebten Proto-Agentia zu bilden, älter als die schriftlichen Zeugnisse sind,
die uns für das Deutsche zur Verfügung stehen. Die Herausbildung des „Dativpassivs” ist eng an die
Semantik des Verbs kriegen und dessen historischen Wandel gebunden (vgl. dazu grundlegend Lenz
2013, daneben Teuber 2005: 84–100). Die historischen Belege für dieses Verb weisen darauf hin,
dass es als intransitives Verb anfangs „echte” Agentia selegiert hat und dass die agenskorrelierten
Eigenschaften des selegierten Teilnehmers in der Sprachgeschichte des Deutschen kontinuierlich
abgenommen haben, so dass aus einem selegierten Proto-Agens ein Proto-Rezipient geworden ist,
der sich beispielsweise nach Primus (1999, 2002) durch reduzierte Agentivität auszeichnet,
während Proto-Patiens-Teilnehmer keine Eigenschaften eines Proto-Agens aufzuweisen brauchen.
Eines der „Grenzkriterien”, nicht nur für mögliche Agentivität, sondern auch für Proto-
„Rezeptivität”, stellt dabei die Kapazität zur Wahrnehmung dar, bzw. die Kapazität, ein wie immer
geartetes Interesse („Pertinenzdativ”) an einem Ereignis zu haben („sentience” bei Dowty 1991 und
Primus 1999, 2002; „internal actional involvement” in Kasper 2015b). Dieses Kriterium findet sich
auch oben in Bedingung (9) wieder.
Die Kennzeichen der drei oben genannten Passivrestriktionen sind Agenspotenzial in (7),
Verursachungspotenzial in (8) und ein „mentales Potenzial” in (9). Der gemeinsame Nenner dieser
Potenziale könnte die Belebtheits- oder Empathiehierarchie in (10) sein, die von rechts nach links
jeweils einen Potenzialanstieg darstellt (zur Hierarchie vgl. Kasper 2015a).
Selbst>Du>kin>menschlich>belebt>unbelebt(anthropomorph)>unbelebt>Menge/Masse>
abstrakt
EineDesemantisierungdeswerden‑Passivskö nntealsoentlangdieserHierarchieerfolgen,sodass
(unpersö nliche)werden‑PassiveauchmitProto‑Agentenunterhalbdermenschlich‑oderbelebt‑
(10)
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlas
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Das Ereignis enthält einen mental involvierten Proto-Rezipienten.
(9)
Einheitoder(persö nlichewerden‑Passive)bereitsmitabstraktenVerursachernmöglichsind.Eine
Desemantisierungdes„Dativpassivs”wü rdeebenfallsdasKriteriumeinesmindestensbelebten
Proto‑Rezipientenaufweichen.
Esistalsozufragen,obkriegenimRezipientenpassivsoweitgrammatikalisiertist,dassauchProto‑
RezipientenzumSubjektinTransferrelationenpromoviertwerdenkö nnen,diedas
Belebtheitsmerkmalnichtmehraufweisen.
HinsichtlichdieserFrageergebensichinteressanteQuerbezü gezumPhä nomenderadnominalen
Possession.DortexistiertdieGenitiv‑Konstruktion,diedurch(4)repräsentiertwird,schonseit
voralthochdeutscherZeit,währendderpossessive„Dativ”unddievon‑Konstruktionjü nger(und
relativgleichalt)sind(vgl.Behaghel1932:177–194,Kasper2015c).
Eshatsichgezeigt,dassderpossessiveDativvomTypderGertrudihreBrilleeine
Ausdrucksmö glichkeitfü rBesitzimengerenSinneist,dieeinenmindestensbelebtenPossessor
erfordert,dassdieKonstruktionaberzunehmendentlangderin(10)genannten
Empathiehierarchiegrammatikalisiert–unddasheißt,imgleichenSinnewiedas
„Dativpassiv”desemantisiert–wird.Wä hrenddieKonstruktionmitmenschlichemPossessorim
gesamtenErhebungsgebietverbreitetist,könnenineinigenRegionen(bereits)unbelebte,aber
anthropomorphePossessoreneingesetztwerden,wä hrendunbelebteundgleichzeitignicht
anthropomorphePossessorennichtindieserKonstruktionauftreten.
Esgiltalsozuklä ren,
obindenDialektenHessensdieBelebtheits‑bzw.Empathiehierarchieverschiedenen
KonstruktionennichtnurdenGrammatikalisierungspfadvorgibt,sondernauchzudemgleichen
GrammatikalisierungsgradbeimPassivundderadnominalenPossessionfü hren,oder
obdieGrammatikalisierungsgradedieserKonstruktionensichjeweilszwarunterscheiden,abersich
derBelebtheits‑/EmpathiehierarchiegewissermaßenalsGrammatikalisierungspfad„bedienen”.
WenngleichderersteFallaufdenerstenBlickunwahrscheinlicherscheinenmag,soistdochauf
denä ußerstengenZusammenhangderbeidenPhä nomenezuverweisen.ImkonzeptuellenKern
sindadnominalausgedrü cktePossessivrelationenstatischeBeziehungenzwischeneinem
PossessorundeinemPossessum,wiedieBeispiele(4)bis(6)zeigen.DieKonzeptstrukturvon(1)
bis(3)lä sstsichalsverursachterBesitzwechselbeschreiben(vgl.z.B.vanValin2005)unddie
Konzeptstrukturvon(4)bis(6)entsprichtdemstatischenletztenTeilereignisinder
Konzeptstrukturvon(1)bis(3),indemderProto‑RezipientnunderPossessorunddasProto‑
PatiensdasPossessumdarstellt.DadieGebrauchsbedingungenderPossessivkonstruktionen
nachweislichinengemZusammenhangmitBelebtheit/Empathiestehen,erscheintdieErwartung
ä hnlicherBedingungenfü rdas„Dativpassiv”,unddamitdieErwartungä hnlicher
GrammatikalisierungsgradeundGrammatikalisierungspfade,nichtunplausibel.
(11)
(12)
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlas
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Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlas
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SPRACHGEOGRAPHISCHE VERTEILUNG
Leitet man aus den alternativen Hypothesen in (11) und (12) Vorhersagen für die
sprachgeographische Verteilung des „Dativpassivs” ab, so würde man im Falle der Hypothese in
(11) eine areale Verteilung für das „Dativpassiv” erwarten, die derjenigen für possessive „Dative” in
etwa gleicht. Trifft der in (12) geschilderte Fall zu, würde man erwarten, dass die
Passivkonstruktionen und die Possessivkonstruktionen jeweils unterschiedliche
Grammatikalisierungsgrade aufweisen, sich aber beide an der Belebtheits-/Empathieskala
„abarbeiten”. Das werden-Passiv sollte durch die Bedingung in (8) lizenziert sein und damit ohnehin
zur Verfügung stehen.
Was die bekannte areale Verbreitung der genannten Konstruktionen angeht, so ist ohne
anderslautende Evidenz von dem Vorhandensein des werden-Passivs in den Nonstandardvarietäten
des Deutschen auszugehen, auch wenn werden nicht in allen davon das gängige Auxiliar darstellt
(vgl. dazu die Literaturhinweise in Lenz 2007: 58, Fn. 16).
Die sprachgeographische Verteilung des „Dativpassivs” mit kriegen unter verschiedenen
Gebrauchsbedingungen ist für die Dialekte Hessens bereits bekannt (vgl. 2.3). Zur Panchronie von
kriegen vgl. Lenz (2013).
In Bezug auf die sprachgeographische Verteilung der adnominalen Possessivkonstruktionen in den
Dialekten Hessens liegen die Ergebnisse aus SyHD (vgl. 3.5) vor (vgl. außerdem Kasper 2015a sowie
für die panchronische Perspektive Kasper 2015c).
Ein eventueller Zusammenhang zwischen den Grammatikalisierungspfaden und -graden der Passiv-
und Possessivkonstruktionen und damit Korrelationen zwischen ihren jeweiligen
sprachgeographischen Verteilungen ist bisher nicht bekannt.
ERLÄUTERUNGENZURERHEBUNGINSYHD
Der Frage nach dem Grammatikalisierungsgrad des „Dativpassivs” wurden zwei Aufgaben
gewidmet. Als Aufgabentyp wurde die Ankreuzaufgabe gewählt, bei der ein werden-Passiv und ein
„Dativpassiv” mit kriegen zur Auswahl standen. Die Aufgaben wurden methodisch eng an diejenigen
zum „Dativpassiv” und zur adnominalen Possession angelehnt. Wie bei Ersteren wurde der
einleitende lebensweltliche Kontext so konstruiert, dass der Proto-Rezipient in den angebotenen
Antworten als Topik fungieren kann und das Proto-Agens durch geringe Referentialitäts- und
Individuiertheitswerte präferiert demoviert und weggelassen wird. Wie bei Letzteren wurden
referentiell-semantische Parameter für die involvierten Teilnehmer gewählt, die denjenigen von
Aufgabe E2_14 und E3_13 nachempfunden sind. In diesen Aufgaben sollte eine
Possessivkonstruktion für einen humanen Possessor (dort: Gertrud) und ein unbelebtes Possessum
(dort: Brille) bzw. für einen unbelebten, aber anthropomorphen Possessor (dort: Puppe) und ein
unbelebtes Possessum (dort: Fuß) produziert werden. Diese Parameter finden sich in den beiden
AufgabenhierzumPassivwieder.EshandeltsichumeineRelationzwischeneinerFraualseinem
Proto‑RezipientenundihrerFingerkuppealseinemProto‑PatienssowieumeineRelationzwischen
einerPuppealsProto‑RezipientundihremBeinalsProto‑Patiens.DamitsinddieParameter,die
nachweislichdenGebrauchbestimmterPossessivkonstruktionenlizenzieren,auchalsmögliche
FaktorenimGebrauchvonPassivkonstruktionenüberprüfbar.
ERGEBNISSE
Wie die Karten in (13) illustrieren, ist das „Dativpassiv” die am häufigsten angekreuzte Variante in
beiden Aufgaben. Bei Aufgabe E1_04 (Tochter, Fingerkuppe) entfallen 40,8% der Kreuze auf das
werden-Passiv, 53,5% auf das „Dativpassiv” und in 5,6% der Fälle ergänzten die Gewährspersonen
eine Aktivstruktur. Bei Aufgabe E1_24 (Puppe, Bein) entfallen 43,7% der Kreuze auf das werden-
Passiv, 52,5% auf das „Dativpassiv” und 3,8% der Gewährspersonen gaben eine eigene
Aktivstruktur an.
Die Zahlen für die präferierte Varianten sind nahezu die gleichen. Die Abweichungen zu den als
möglich angekreuzten Varianten liegen bei höchstens 1,2% pro Wert.
(13) ERG E B N I S S E Z U M PASSIVMITMENSCHLICHEMREZIPIENTEN(E1_04)UNDMIT
UNBELEBTEM,ANTHRO P O M O R P H E M R E Z I P I E N T E N ( E 1 _ 2 4 )
DieErgebnissezubeidenAufgabenähnelnsichnichtnurhinsichtlichderrelativenAnteileder
mö glichenAntworteninerstaunlicherWeise,sondernauchindergeographischenVerteilungder
mö glichenVarianten.Soistdas„Dativpassiv”nurinwenigenRegionennichtdievorherrschende
Variante,nämlichimnö rdlichstenHessen,ineinembegrenztenosthessischenGebietundam
WestzipfelvonMittelhessen.Dortwurdedaswerden‑Passivhä uigergenannt.MitAusnahmedes
©GeoBasisDE/BGK<www.bkg.bund .de>2016
Baden
Wü rt
tembe rg
Rh einlan d
Pfalz B aye rn
Th üri ngen
Ni edersa chsen
No rdrhei nWestfal en
Dat ivpas siv:
Rezi
pie nt Fingerkuppe annähen (B;E1_04 )
Anteil„mö glicher“Va r ianten(n=10 5 9)
Dativpassiv(567)
werdenPassiv(432)
AktivKonstruktionen(59)
sonstige(1)
©DFGPr o jekt"Syntaxhessisch e r Dialekte "
©GeoBasisDE/BGK<www.bkg.bund .de>2016
Baden
Wü rt
tembe rg
Rh einlan d
Pfalz B aye rn
Th üri ngen
Ni edersa chsen
No rdrhei nWestfal en
Dat ivpas siv:
Rezi
pie nt Puppenbeinannähen (B;E1 _2 4)
Anteil„mö glicher“Va r ianten(n=10 7 2)
Dativpassiv(563)
werdenPassiv(468)
AktivKonstruktionen(41)
sonstige(0)
©DFGPr o jekt"Syntaxhessisch e r Dialekte "
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlas
– 654 –
Winter.
Dowty,David(1991):ThematicProto‑RolesandArgumentSelection.In:Language67:547–619.
Duden(2016):Duden.DieGrammatik.Unentbehrlichfü rrichtigesDeutsch.Herausgegebenvon
derDudenredaktion.9.,vollstä ndigü berarbeiteteundaktualisierteAulage.Berlin:
Dudenverlag.
Eroms,Hans‑Werner(1978):ZurKonversionderDativphrasen.In:Sprachwissenschaft3:357–
405.
Fleischer,Jürg/OliverSchallert(2011):HistorischeSyntaxdesDeutschen:eineEinfü hrung.
Tü bingen:Narr.
Heine,Bernd/TaniaKuteva(2007):Thegenesisofgrammar:areconstruction.(Studiesinthe
EvolutionofLanguage.)Oxford:OxfordUniversityPress.
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlas
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Westzipfels stimmt diese Verbreitung des „Dativpassivs” gut mit denen überein, die im Rahmen von
SyHD erhoben worden sind (vgl. 2.3). Das gilt tendenziell auch für die außerhessischen Orte.
Gehäufte Anteile an Aktivvarianten sind am ehesten ganz im Norden auszumachen, also dort, wo
auch relativ wenige Nennungen des „Dativpassivs” zu verzeichnen sind.
Was die Beziehung der beiden Passivvarianten zueinander betrifft, so lässt sich konstatieren, dass
die Gewährspersonen bei einem topikalisierten Proto-Rezipienten und einem Proto-Agens mit
niedriger Referentialität eher dazu neigen, das Komplement zuerst zu realisieren, das auch den
Subjektskasus trägt, und damit das Rezipientenpassiv bevorzugen.
Schließlich kann eine tentative Antwort auf die beiden Fragen in (11) und (12) gegeben werden, in
denen es darum ging, ob in den Dialekten Hessens die Belebtheits- bzw. Empathiehierarchie zu den
gleichen Grammatikalisierungspfaden und -graden verschiedener Konstruktionen führt oder ob die
Grammatikalisierungsgrade verschiedener Konstruktionen sich jeweils zwar unterscheiden, sich
aber dennoch an der Belebtheits-/Empathiehierarchie gewissermaßen „abarbeiten”. Hier zeigen die
Resultate recht eindeutig, dass Letzteres der Fall ist. Während wir bei der adnominalen Possession
gegenwärtig Zeuge werden, wie entlang der Belebtheits-/Empathiehierarchie Grammatikalisierung
vonstattengeht, scheinen ganz ähnliche semantische Relationen im Rezipientenpassiv schon weiter
in der Grammatikalisierung – und das heißt, auf ihrer Wanderung entlang der Belebtheits-/
Empathiehierarchie – fortgeschritten zu sein: Der anthropomorphe Possessor lizenziert nur im
Süden Hessens auch den possessiven „Dativ”, aber der anthropomorphe Rezipient lizenziert das
Rezipientenpassiv – in verschiedenem Maße zwar, aber dennoch – im gesamten hessischen Raum.
So wie die possessive Konstruktion mit von die im Gebrauch kaum restringierte „Default”-Variante
für die adnominale Possession darstellt und der possessive „Dativ” nur unter speziellen, aber sich
verbreiternden Bedingungen die präferierte Variante ist, so scheint analog dazu Ähnliches für die
Beziehung von werden- und „Dativpassiv” zu gelten.
LITERATUR
Behaghel,Otto(1932):DeutscheSyntax.BandIV:Wortstellung.Periodenbau.Heidelberg:
Kasper,Simon(2008):Acomparisonofthematicroletheories.Unverö ffentlichteMagisterarbeit.
Philipps-Universität Marburg. Marburg. Verfügbar unter: <https://www.uni-marburg.de/
de/fb09/dsa/einrichtung/personen/wissenschaftler/kasper/materialien/a-comparision-of-
thematic-role-theories.pdf> [Zugriff: 24.11.16].
Kasper,Simon(2015a):AdnominalePossessivitätindenhessischenDialekten.In:Elementaler,
Michael/Hundt,Markus/Schmidt,Jü rgenErich(Hgg.):DeutscheDialekte.Konzepte,
Probleme,Handlungsfelder.Aktendes4.KongressesderInternationalenGesellschaftfü r
DialektologiedesDeutschen(IGDD).(Zeitschriftfü rDialektologieundLinguistikBeihefte
158):211–226,505–506.Stuttgart:Steiner.
Kasper,Simon(2015b):InstructionGrammar:fromperceptionviagrammartoaction.(Trends
inLinguistics:StudiesandMonographs293.)Berlin/Boston:DeGruyter.
Kasper,Simon(2015c):Linkingsyntaxandsemanticsofadnominalpossessioninthehistoryof
German.In:Gianollo,Chiara/AgnesJä ger/DorisPenka(Hgg.):Languagechangeatthe
syntax‑semanticsinterface.(TrendsinLinguistics:StudiesandMonographs278):57–99.
Berlin/Boston:DeGruyter.
Lenz,AlexandraN.(2007):ZurGrammatikalisierungvongebenimDeutschenund
Lëtzebuergeschen.In:ZeitschriftfurGermanistischeLinguistik35:52–82.
Lenz,AlexandraN.(2013):Vom>kriegen<und>bekommen<.Kognitiv‑semantische,
variationslinguistischeundsprachgeschichtlichePerspektiven.(Linguistik–Impulse&
Tendenzen53.)Berlin/Boston:DeGruyter.
Primus,Beatrice(1999):CasesandThematicRoles–Ergative,AccusativeandActive.
(LinguistischeArbeiten393.)Tü bingen:Niemeyer.
Primus,Beatrice(2002):Proto‑rolesandcaseselectioninOptimalityTheory.(ArbeitendesSFB
282"TheoriedesLexikons",Nr.122.)
Primus,Beatrice(2011):Animacyandtelicity:semanticconstraintsonimpersonalpassives.In:
Lingua121:80–99.
Teuber,Oliver(2005):AnalytischeVerbformenimDeutschen.Syntax–Semantik–
Grammatikalisierung.(GermanistischeLinguistikMonographien18.)Hildesheimu.a.:Olms.
VanValin,RobertD.jr.(2005):Exploringthesyntax–semanticsinterface.Cambridge:MITPress.
Zifonun,Gisela/LudgerHoffmann/BrunoStrecker(1997):GrammatikderdeutschenSprache.
(SchriftendesInstitutsfü rdeutscheSprache7.1–7.3.)Berlin/NewYork:DeGruyter.
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlas
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Anhang:Einzelkarten
©GeoBasisDE/BGK<www.bkg.bund.de>2016
Baden
Württem
berg
Rheinland
Pfalz Bayern
Thüringen
Niedersachsen
NordrheinWestfalen
Dativpassiv:
Rezipie
nt Fingerkuppeannähen (B;E1_04)
Anteil„möglicher“Varianten(n=1059)
Da tivpassiv(567)
we rdenPassiv(432)
AktivKon struktionen(59)
so nstige(1)
©DFGProjekt"SyntaxhessischerDialekte"
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlas
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EINZELKART E N ‑ KOMMENTA R : E 1 _ 0 4
DieKartezeigtdierelativeVerbreitungfü rdas„Dativpassiv”,daswerden‑Passivund
Aktivkonstruktionen.Das„Dativpassiv”wurdedabei567mal(53,5%),daswerden‑Passiv432mal
(40,8%)undeineAktivkonstruktion59mal(5,6%)gewä hlt.Fü rdiemeisteninnerhessischen
Regionenzeigtsicheinestä rkereVerbreitungdes„Dativpassivs”.Besondersstarkvertretenistesim
Zentralhessischenundmittlerenbisö stlichenRheinfränkischen.Inetwasostarkverbreitetwiedas
werden‑PassivistesimzentralenNordhessischenundimOsthessischen.Daswerden‑Passiv
ü berwiegtimä ußerstenNorden,ineinigenosthessischenOrtensowieamWestzipfeldes
Zentralhessischen.ImhessischenNordenindensichauchdiemeistenBelegevonAktivvarianten.
ImaußerhessichenNordenundNordostentrittdas„Dativpassiv”nichtauf.Dortü berwiegtdas
werden‑Passiv.
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlasSyHD-atlas
– 658 –
©GeoBasisDE/BGK<www.bkg.bund.de>2016
Baden
Württemb
erg
Rheinland
Pfalz Bayern
Thüringen
Niedersachsen
NordrheinWestfalen
Dativpassiv:
Rezipien
tPuppenbeinannähen (B;E1_24)
Anteil„möglicher“Varianten(n=1072)
Da tivpassiv(563)
we rdenPassiv(468)
AktivKon struktionen(41)
so nstige(0)
©DFGProjekt"SyntaxhessischerDialekte"
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlasSyHD-atlas
– 659 –
EINZELKART E N ‑ KOMMENTA R : E 1 _ 2 4
DieKartezeigtdierelativeVerbreitungfü rdas„Dativpassiv”,daswerden‑Passivund
Aktivkonstruktionen.Mit563weistdas„Dativpassiv”diemeistenNennungenauf(52,5%),gefolgt
vomwerden‑Passivmit468(43,7%)unddenAktivkonstruktionenmit41(3,8%)Nennungen.Es
zeigtsichein„Ballungsgebiet”des„Dativpassivs”,dassichü berdasZentralhessischeinsmittlerebis
ö stlicheRheinfrä nkischeerstreckt.DeraußerhessischeWestenunddasmittlereNordhessensind
ebenfallsvondieserVariantegeprägt.Daswerden‑Passivistbesondersstarkimä ußersten
Nordhessen,ineinigenosthessischenOrten,demaußerhessischenNordostenundamWestzipfel
desZentralhessischenvertreten.DiewenigenAktivbelegeindensichvermehrtganzimNorden
Hessens.
Simon Kasper
7.3 Passiv, Possession und Belebtheit
SyHD-atlasSyHD-atlas
– 660 –