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Kontext-sensible Interventionsstrategien für den
Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven auf
die Qualität von Studium und Lehre
Benjamin Ditzel, Petra Suwalski
Working Paper 2016/01
Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg
Institut für Controlling und Unternehmensrechnung
Forschungsprojekt WirQung
Dieses Working-Paper ist eine Pre-Print-Version des Beitrags „Kontext-sensible Interventionsstrategien im
Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Qualität von Studium und Lehre“ in: Hofer, M.; Leder-
müller, K.; Lothaller, H.; Mitterauer, L.; Salmhofer, G.; Vettori, O. (Hrsg.): Qualitätsmanagement im Span-
nungsfeld zwischen Kompetenzmessung und Kompetenzentwicklung, UniversitätsverlagWebler, S. 27-52.
Abstract Das Qualitätsmanagement an Hochschulen bewegt sich in einem paradoxen Spannungsfeld: Einerseits
wird von Hochschulen erwartet, dass sie ihre Leistungsprozesse steuern und Rechenschaft über deren Qua-
lität ablegen; andererseits werden die Schwierigkeiten einer objektiven Messung sowie einer gezielten
Steuerung immer wieder thematisiert. Auf der Grundlage von qualitativen Interviews gehen wir in diesem
Beitrag der Frage nach, wie die handelnden Akteurinnen und Akteure mit dieser Paradoxie umgehen und
welche Strategien sie angesichts der begrenzten Möglichkeiten zur Einflussnahme durch Qualitätssiche-
rung und Qualitätsmanagement wählen, um auf die Qualität von Studium und Lehre einzuwirken. Wir
fokussieren dabei auf Herausforderungen bei der Definition und Messung von Qualität und damit verbun-
dene Praktiken des Messens und Bewertens. Der Blick in die Hochschulpraxis zeigt, dass die handelnden
Akteurinnen und Akteure vielfältige Interventionsstrategien finden, um mit den Spannungsfeldern in je-
weils unterschiedlichen Handlungskontexten umzugehen. Diese werden im Beitrag als „kontext-sensible“
Interventionsstrategien beschrieben und zusammengefasst.
Schlagworte Hochschulen ; Kontextsensibilität ; Qualitätsbegriff ; Qualitätsdefinition ; Qualitätsmanagement ;
Qualitätsmessung ; Steuerbarkeit
Zitation Ditzel, B; Suwalski, P. (2016). Kontext-sensible Interventionsstrategien im Umgang mit unterschiedlichen
Perspektiven auf die Qualität von Studium und Lehre. In: Hofer, M.; Ledermüller, K.; Lothaller, H.;
Mitterauer, L.; Salmhofer, G.; Vettori, O. (Hrsg.): Qualitätsmanagement im Spannungsfeld zwischen
Kompetenzmessung und Kompetenzentwicklung, Bielefeld: UniversitätsverlagWebler, S. 27-52.
Kontakt Benjamin Ditzel, ditzel@hsu-hh.de, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
Petra Suwalski, suw@hs-furtwangen.de, Hochschule Furtwangen
Dieses Vorhaben wird aus
Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
im Rahmen
der Förderlinie „Begleitforschung zum Qualitätspakt Lehre“
unter dem
Förderkennzeichen 01PB14006 gefördert.
Die Verantwortung liegt bei den Autoren.
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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1. Einleitung
Ausgehend von den Reformen des Hochschulsystems der letzten Jahrzehnte und unter dem
Label des „New Public Management“ findet im deutschsprachigen Raum eine intensive De-
batte über die Notwendigkeit einer manageriellen Steuerung der Hochschule statt. In diesem
Diskurs spielt die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität (insbesondere von Studium
und Lehre) eine zentrale Rolle. Seit Beginn des Diskurses vor 15 bis 20 Jahren haben sich
Vorstellungen darüber herausgebildet, wie ein derartiges Qualitätsmanagement (QM) auszu-
gestalten sei. Als wichtiger Ausgangspunkt für eine Verbesserung und Steuerung der Qualität
wird deren Definition, Messung und Bewertung angesehen (vgl. Bruhn 2008, S. 129). Mit Eva-
luationsinstrumenten, Audit- und Akkreditierungsverfahren sowie Managementinforma-
tions- bzw. Kennzahlensystemen hat sich diesbezüglich ein mehr oder weniger festes Instru-
mentenset etabliert. Der sog. Qualitätsregelkreis (Plan-Do-Check-Act) gilt als „Grundformel
eines jeden QM-Systems“ (DGQ 2015, S. 41). Er verweist auf die Notwendigkeit, der Identifika-
tion von Qualitätsproblemen die Ableitung von Konsequenzen folgen zu lassen.
Ausgehend von externen Verfahren der Qualitätssicherung (QS) ist ein Paradigmenwechsel
von der Sicherung zur Steuerung der Qualität zu beobachten. Dies zeigt sich in besonderer
Weise durch die Einführung der Systemakkreditierung in Deutschland bzw. des Quality Au-
dits in Österreich und der Schweiz. Dadurch rücken organisationale Aspekte wie Entschei-
dungsstrukturen, Prozessabläufe und hochschulweit einheitliche Instrumente in das Zent-
rum der Aufmerksamkeit. Ergebnisse der Qualitätsmessung werden verstärkt als fester Be-
standteil von (Entscheidungs-)Prozessen in der Formalorganisation verankert. Zugleich exis-
tiert eine große Skepsis, inwiefern eine Steuerung der Hochschule überhaupt gelingen kann.
Im Diskurs zum Qualitätsbegriff wird auf die Schwierigkeiten einer eindeutigen Definition
und objektiven Messung von Qualität aufmerksam gemacht (vgl. Harris-Hümmert 2011, S.
35ff.; Kromrey 2004, S. 240 sowie Abschnitt 2). Im Diskurs zur Hochschule als „spezifische“
Organisation (vgl. Kehm 2012; Musselin 2007; Pellert 1999) wird auf organisationale Merkmale
hingewiesen, die das Gelingen einer deterministischen und hierarchischen Steuerung als eher
unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die Autonomie der Expertinnen und Experten wird als
wesentliche Hürde für einen steuernden Zugriff angeführt. Auch in der neueren Organisati-
ons- und Managementforschung werden deterministische Steuerungsversuche als wenig aus-
sichtsreiches Unterfangen thematisiert (vgl. Baecker 2003; Malik 2008; Schreyögg 1991; Willke
1989).
Alle Bemühungen um eine gezielte Beeinflussung der Qualität von Studium und Lehre be-
wegen sich somit in einem paradoxen Spannungsfeld. Einerseits werden die Notwendigkeit
der Steuerung und die Idee einer Managerialisierung der Hochschule als externe Anforde-
rung an die Hochschule formuliert. Andererseits werden in der Hochschulpraxis Grenzen
der Mess- und Steuerbarkeit der Qualität erlebt und in der Evaluations-, Organisations- und
Hochschulforschung theoretisch begründet. Dieses Spannungsfeld auf einer programmati-
schen Ebene findet seine Entsprechung im Diskurs zur konkreten Ausgestaltung des QM.
Hier stehen sich zwei Typen von Interventionsstrategien gegenüber, die eine „optimistische“
und „pessimistische“ Haltung in Bezug auf die Steuerungswirkung und Steuerbarkeit reprä-
sentieren.
Bei optimistischen Interventionsstrategien wird davon ausgegangen, dass eine Steuerung der
Hochschule grundsätzlich möglich ist. Die Definition und Messung von Qualität gelten als
wichtige Voraussetzung dafür, diese gezielt steuern zu können. Dabei wird davon ausgegan-
gen, dass sich Qualität eindeutig definieren und objektiv messen lässt. Durch deterministi-
sche und hierarchische Steuerungsinterventionen wird versucht, die Qualität zu beeinflussen.
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Das andere Extrem stellen pessimistische Interventionsstrategien dar, bei denen davon aus-
gegangen wird, dass der Definition, Messung und Steuerung von Qualität enge Grenzen ge-
setzt sind. QM findet entweder nicht statt oder es beschränkt sich – bewusst oder unbewusst
– darauf, eine (Legitimations-)Fassade aufzubauen (vgl. Brunsson 1991; Meyer/Rowan 1977).
Nach außen wird die Erfüllung externer Anforderungen z. B. durch Evaluation, Akkreditie-
rung oder Prozessdokumentation signalisiert, während es organisationsintern zu einer Ent-
kopplung der realen Prozesse von der Formalorganisation kommen kann, wenn diese im
Widerspruch zu organisationsinternen Logiken stehen.
Mit Blick auf die Hochschulpraxis stellt sich die Frage, ob die Akteurinnen und Akteure
tatsächlich in dieser Paradoxie gefangen bleiben oder ob es ihnen nicht vielmehr gelingt,
Strategien zu entwickeln, mit diesen Spannungsfeldern produktiv umzugehen. Nach 20 Jah-
ren der Implementierung von QS und QM an Hochschulen scheint es uns an der Zeit danach
zu fragen, ob und wie sich der Diskurs um die Steuerbarkeit der Hochschule in der Hoch-
schulpraxis darstellt. Wir wollen dies durch einen tieferen Blick in die Empirie untersuchen.
Dabei konzentrieren wir uns auf Praktiken der Definition, des Messens und Bewertens von
Qualität als Ausgangspunkt und Vorbedingung für eine steuernde Intervention. Im Fokus
unseres Beitrags stehen damit unterschiedliche Perspektiven auf die Qualität von Studium
und Lehre sowie die Frage danach, wie die handelnden Akteurinnen und Akteure mit diesen
umgehen und welche Konsequenzen das für Praktiken des Messens und Bewertens hat.
2. Stand der Forschung
Die Anfänge des Diskurses zur Qualität und Qualitätssicherung an Hochschulen in den
1990er Jahren sind sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international durch eine
intensive Auseinandersetzung mit dem Qualitätsbegriff gekennzeichnet. Es dominierten zu-
nächst Beiträge, die darauf hinweisen, dass sich Lehre und Lernprozesse sowie die Forschung
einer klaren Definition dessen, was ihre Qualität ausmacht, wie sie optimal zu gestalten und
wie sie objektiv zu messen sind, entziehen. Dabei stehen die Multiperspektivität (vgl. Carsten-
sen/Hofmann 2004, S. 21; Pellert 2002, S. 24), die Relativität (vgl. Hertel 2015, S. 260; Seghezzi et al.
2007, S.37) sowie die Komplexität (vgl. Baecker 2000; Meister-Scheytt/Scheytt 2005) der Qualität
bzw. ihres Kontextes im Vordergrund.
Unterschiedliche Perspektiven auf Qualität ergeben sich zum einen aus den teilweise sehr
unterschiedlichen Anforderungen der „Kunden“ bzw. Stakeholder und den unterschiedli-
chen Leistungsbereichen (Lehre, Studium, Forschung, Administration). Zum anderen exis-
tieren verschiedene Betrachtungsperspektiven auf Qualität. So werden Dimensionen bzw.
Ebenen benannt, auf denen eine Qualitätsbetrachtung erfolgen kann und die Hinweise da-
rauf geben, wie Qualität entsteht (Ergebnis-, Prozess-, Struktur-, Zielqualität; vgl. Donabedian
1988; Faulstich 1991; Pfeifer/Schmitt 2010, S. 276f; Schmidt 2010a). Gleichzeitig existieren sehr un-
terschiedliche Auffassungen davon, wie Qualität beeinflusst werden soll bzw. welche As-
pekte dabei eine Rolle spielen (vgl. Carstensen/Hofmann 2004; Garvin 1987; Harvey/Green 1993).
Entgegen alltagssprachlicher Erfahrungen bzw. Vermutungen handelt es sich bei „Qualität“
nicht um eine absolute, sondern um eine relative Größe. Qualität wird nicht nur in Abhän-
gigkeit vom Kontext, vom Betrachtungsgegenstand oder von der Betrachtungsperspektive
definiert, sondern lässt sich überhaupt nur im Vergleich zu unterschiedlichen Bezugsgrößen
wie Anforderungen, Zielen, Standards oder im zeitlichen Verlauf ermitteln (vgl. Schmidt
2010a).
Darüber hinaus zeigt sich der Kontext der Qualitätsbetrachtung – nämlich die Hochschule
als wissensintensive und professionsgeprägte Organisation – als äußerst komplex, dynamisch
und paradox (vgl. Baecker 2000; Meister-Scheytt/Scheytt 2005). Sowohl im Bereich der Lehre als
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auch im Bereich der Forschung gelten äußerst komplexe Wirkzusammenhänge, bei denen es
an „vorgegebenen Algorithmen“ (Meier/Schimank 2010, S. 109) fehlt, die klar definieren, wie be-
stimmte Probleme zu lösen sind. Cohen et al. (1972) sprechen daher von „unclear technolo-
gies“, Luhmann und Schorr (1982) von einem „Technologiedefizit“. Die Rahmenbedingungen
der Herstellung von Qualität bleiben damit äußerst vage. Durch die gleichzeitige Zugehörig-
keit der Hochschule zu den Funktionssystemen „Erziehung“ und „Wissenschaft“ und die
Notwendigkeit, sich mit den sehr unterschiedlichen Operationsweisen auseinanderzusetzen,
werden Komplexität und Paradoxie zu konstitutiven Merkmalen von Qualität an Hochschu-
len (vgl. Baecker 2000; Fischer 1993; Habersam/Piber 2000).
Nicht nur die Definition, auch die Messung von Qualität stellt die handelnden Akteurinnen
und Akteure vor Herausforderungen. Abgesehen davon, dass die Messung eindeutige Qua-
litätsparameter und damit eine Definition voraussetzt, entziehen sich viele Aspekte der Qua-
lität von Lehre, Studium und Forschung aufgrund ihrer Intangibilität einer eindeutigen und
vor allem objektiven Messung (vgl. Kromrey 2004, S. 240; Harris-Hümmert 2011, S. 35ff.; Har-
vey/Green 1993). Qualität lässt sich daher nur über den Umweg von Alternativkonstruktionen
wie beispielsweise die Wahrnehmung durch verschiedene Stakeholder, quantifizierbare In-
dikatoren wie beispielsweise die Auslastung von Studienkapazitäten, Studienerfolg, über den
Kompetenzzuwachs der Studierenden oder über den Verbleib der Absolventinnen und Ab-
solventen erfassen. Durch eine Vielzahl möglicher Einflussfaktoren und beteiligter Akteu-
rinnen und Akteure wird auch die Messung von Qualität zu einem äußerst komplexen Un-
terfangen. Qualität entzieht sich damit einer vollständig rationalen Beschreibung und Erfas-
sung (vgl. Bretschneider/Pasternack 2007, S. 432). Sie lässt sich nicht objektiv beobachten, son-
dern nur als „soziales Konstrukt“ (Schmidt 2010a) begreifen.
Weder im Hochschul- noch im Unternehmenskontext ist es bislang gelungen, einen Konsens
zu finden (vgl. Teichler 2005, S. 132) bzw. ein „tragfähiges und allgemein akzeptiertes Quali-
tätsverständnis“ zu erzielen (vgl. Bruhn 2008, S. 33). Eine Operationalisierung von Qualität
geschieht in der Regel über Vergleiche (vgl. Schmidt 2010a) und durch die Fokussierung auf
bestimmte Aspekte (vgl. Simon 2000). Mit Blick auf die Mehrdimensionalität, Vielschichtigkeit
und Widersprüchlichkeit wird auf die Notwendigkeit einer diskursiven Aushandlung verwie-
sen (vgl. Daxner 2001, S.71). Angesichts der Autonomie der Lehrenden werden die Qualitäts-
betrachtungen im Hochschulkontext tendenziell auf die Messung und Gestaltung der Kon-
textbedingungen verlagert (vgl. Pasternack 2002, S. 183), so dass dann auch von „Qualitätsbe-
dingungsmanagement“ (Pasternack 2006) gesprochen wird.
Nachdem die Auseinandersetzung mit dem Qualitätsbegriff in den vergangenen Jahren zu-
nehmend von einer Diskussion der Methoden der Qualitätsmessung und -bewertung (vgl.
HRK 2004 u. 2009; Pohlenz 2009; Pohlenz/Oppermann 2010) abgelöst wurde, ist nunmehr ein
Trend zu institutionalisierten Ansätzen der QS und des QM zu beobachten (vgl. Beise et al.
2014; Loukkola/Zhang 2010; Nickel 2007, 2014; Winde 2010). Ausgehend von der Erkenntnis,
dass Evaluationsverfahren in der Praxis häufig bei dem Schritt der Erhebung und Analyse
enden und zu selten in konkrete Verbesserungsmaßnahmen münden (vgl. Mittag et al. 2003, S.
130ff.; Heublein et al. 2012, S. 20), werden Einzelmaßnahmen und -instrumente (vgl. Schmidt
2010b) aufeinander bezogen und in ein konsistentes Managementsystem integriert. Mit dem
Paradigmenwechsel von der QS zum QM gewinnen Steuerungsaspekte zunehmend an Be-
deutung. Prozesse der Evaluation werden mit einer Steuerungsabsicht verbunden (vgl. Lüthje
2004, S. 5; HRK 2006), so dass die Ergebnisse nicht mehr nur Eingang in Informations- und
Kommunikationsprozesse finden, sondern systematisch für Entscheidungsprozesse heran-
gezogen werden.
Nach dem klassischen QM-Verständnis erfordert eine gezielte Beeinflussung der Qualität
jedoch, dass zunächst ein einheitliches Qualitätsverständnis als Grundlage für die Planung
und Bewertung der Qualität herbeigeführt wird (vgl. Seghezzi et al. 2007, S. 31). Gleichzeitig
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wird das Messen und Bewerten von Qualität als wichtiger Ausgangspunkt für ein systemati-
sches QM angesehen (vgl. Bruhn 2008, S. 129). Je mehr eine einheitliche und eindeutige De-
finition sowie eine objektive Messung von Qualität zur Voraussetzung für steuernde Inter-
ventionen gemacht werden, umso mehr gewinnen die ursprünglich diskutierten Herausfor-
derungen bezüglich der Definition und Messung von Qualität wieder an Bedeutung.
Aus der Notwendigkeit der Steuerung und der damit verbundenen Definition und Messung
von Qualität einerseits sowie der Skepsis gegenüber der Messbarkeit und Steuerbarkeit an-
dererseits ergibt sich damit ein paradoxes Spannungsfeld. Dieses führt im Qualitätsdiskurs
an Hochschulen zu einer gewissen Polarisierung zwischen einem eher optimistischen und
einem eher pessimistischen Blick auf die Steuerungswirkung und Steuerbarkeit (vgl. Abschnitt
1). Gleichzeitig fehlt es an empirischen Erkenntnissen dazu, wie sich diese unterschiedlichen
Positionen auf die Hochschule als Organisation auswirken und v. a. wie die handelnden Ak-
teurinnen und Akteure mit dem Spannungsfeld und den daraus resultierenden Herausforde-
rungen umgehen.
3. Forschungsmethodischer Zugang
In unserem Beitrag möchten wir uns der Frage widmen, wie sich das zuvor beschriebene
Spannungsfeld zwischen Steuerungsnotwendigkeit und eingeschränkter Steuerbarkeit in der
Praxis darstellt und welche Bewältigungsstrategien die handelnden Akteurinnen und Akteure
in spezifischen Handlungskontexten finden. Wir fokussieren dabei auf Herausforderungen
der Definition und Messung von Qualität und damit verbundene Praktiken.
Den Rahmen für unsere Untersuchung bilden qualitative, leitfadengestützte Interviews, die
mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren an deutschen Universitäten und Fachhoch-
schulen geführt wurden.1 Es wurden Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten für Studium
und Lehre, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des zentralen wie des dezentralen (in den Fa-
kultäten verankerten) QM sowie der Hochschuldidaktik, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter sowie Professorinnen und Professoren interviewt. Die Interviews wurden
akustisch aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Datenbasis für die vorliegende
Untersuchung umfasst insgesamt 32 qualitative Interviews (mit einer Dauer von jeweils zwi-
schen 60 und 130 Minuten).
Die Auswertung der Interviewtranskripte erfolgte anhand der qualitativen Inhaltsanalyse
nach Mayring (2015) als inhaltlich-strukturierende Analyse in der Form, wie sie bei Kuckartz
(2014) beschrieben wird. Die Analyse wurde zunächst damit begonnen, gezielt Spannungs-
felder bzw. Widersprüchlichkeiten zu identifizieren, über die die Interviewpartnerinnen und
Interviewpartner explizit oder implizit sprechen und die ihre Arbeit mit qualitätsbezogenen
Themen beeinträchtigen. Im zweiten Schritt wurden diese Spannungsfelder näher analysiert
und beschrieben, um im dritten Schritt Handlungsstrategien herauszuarbeiten, wie die Ak-
teurinnen und Akteure damit umgehen. Aus der Rekonstruktion der Spannungsfelder und
der Handlungsstrategien der Akteurinnen und Akteure hat sich in der Analyse nach und nach
1 Die Interviews wurden im Rahmen von zwei Forschungsprojekten durchgeführt: Das Forschungsprojekt WirQung
ist am Institut für Controlling und Unternehmensrechnung der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bun-
deswehr Hamburg angesiedelt, beschäftigt sich mit der WirQung und Wirksamkeit von QM an Hochschulen und
wird vom BMBF im Förderprogramm „Begleitforschung Qualitätspakt Lehre“ finanziert. Das Dissertationsprojekt
von Petra Suwalski setzt sich mit den Anforderungen, Maßnahmen und Effekten der Systemakkreditierung ausei-
nander.
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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ein neues Konzept herauskristallisiert, das wir in Abschnitt 5 als „kontext-sensible“ Inter-
ventionsstrategien beschreiben.
4. Empirische Erkenntnisse
In diesem Abschnitt stellen wir einzelne Erkenntnisse der empirischen Untersuchung vor.
Zunächst beginnen wir mit der Rekonstruktion zweier Spannungsfelder, die von den han-
delnden Akteur/inn/en als wesentliche Herausforderungen bei der Bearbeitung qualitätsbe-
zogener Aspekte beschrieben werden. Im Anschluss gehen wir auf Handlungsstrategien ein,
mit denen sich die Akteurinnen und Akteure auf unterschiedliche Art und Weise darauf ein-
stellen.
4.1 Unterschiedliche Informationsbedarfe
Bei der Analyse der Interviews fällt zunächst auf, dass insbesondere lokale bzw. dezentrale
Akteurinnen und Akteure in den Fakultäten verschiedene Spannungsfelder ansprechen, die
sie bezogen auf qualitätsbezogene Themen teilweise explizit als solche bezeichnen. Ein/e
Mitarbeiter/in des dezentralen QM bringt es folgendermaßen auf den Punkt:
„Auf der anderen Seite will ich natürlich möglichst spezifisch Dinge für mein Fach oder
meine Veranstaltung erfahren. Das ist immer so ein bisschen dieses Spannungsfeld, in dem
man sich bei solchen Dingen dann bewegt. Das Gleiche gilt für Studierendenbefragungen,
Absolventenbefragungen, wo natürlich die [Hochschule] als Ganzes ein Interesse dran hat,
möglichst einheitlich ein gewisses Daten-Set zu bekommen. Wir dezentral aber mit diesem
dann relativ abstrakten Daten-Level gar nicht so viel anfangen können, weil es halt zu
unspezifisch ist, um wirklich konkret Verbesserungen ablesen zu können. Deswegen ist es
gerade wenn man mit Befragungen arbeitet so, dass sehr viel dezentral auch tatsächlich nach
den Bedürfnissen gemacht wird.“ (Mitarbeiter/in QM dezentral)
In diesem Zitat zeigt sich ein Spannungsfeld unterschiedlicher Informationsbedarfe. Aus ei-
ner zentralen (Hochschulleitung, QM, teilweise auch Dekanat) bzw. aus einer lokalen Per-
spektive (dezentrales QM, Dekanat, Lehrende) werden sehr unterschiedliche Anforderungen
an die Erhebung qualitätsbezogener Daten gestellt. In dem Zitat deuten sich bereits Hand-
lungsstrategien an, wie mit diesen unterschiedlichen Informationsbedarfen umgegangen wer-
den kann. Zunächst wollen wir uns jedoch damit auseinandersetzen, welche unterschiedli-
chen Informationsbedarfe hier zum Ausdruck kommen, um im Anschluss zu rekonstruieren,
wie die Akteurinnen und Akteure mit diesen umgehen.
Aus zentraler Perspektive möchten die Akteurinnen und Akteure wissen, was vor Ort in den
Fakultäten, in den Studiengängen oder gar in der Lehre vor sich geht, „was mit den Studiengän-
gen los ist“ (Vizepräsident/in Studium und Lehre). Dieses Informationsbedürfnis ergibt sich
insbesondere aus der relativen Ferne der zentralen Akteurinnen und Akteure zum Qualitäts-
geschehen und dem Anspruch, die Qualität bzw. zumindest die Rahmenbedingungen ihrer
Entstehung zu beeinflussen. Vor allem Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulleitung
und des zentralen QM möchten die Qualität bzw. Leistung sichtbar machen. Dabei müssen
sie eine gewisse Komplexitätsreduktion vornehmen, um Informationen aus unterschiedli-
chen Bereichen an einer zentralen Stelle zusammenzuführen. Einerseits müssen die Prakti-
ken der Qualitätsmessung angesichts der vielen unterschiedlichen Fächer, Studiengänge,
Lehrenden und Lehrveranstaltungen skalierbar sein, d. h., die Daten müssen sich mit vertret-
barem Aufwand produzieren und interpretieren lassen. Andererseits bedürfen die Daten ei-
ner Aggregation, um sie in Komplexität und Umfang bearbeitbar zu machen.
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Durch die erhobenen Daten eine Vergleichbarkeit von Qualitätsaspekten herzustellen, spielt
dabei eine wesentliche Rolle. Interessanterweise werden aus der zentralen bzw. aus der loka-
len Perspektive sehr unterschiedliche Referenzpunkte für derartige Vergleiche angeführt.
Während die Hochschulleitung und das zentrale QM ein Interesse daran haben, Vergleiche
innerhalb der Organisation zwischen Fakultäten, Fächern, Studiengängen oder Lehrenden
zu ziehen, wird dies in den Fakultäten weitgehend abgelehnt. Dort wird die Meinung vertre-
ten, dass Fakultäten und Fächer nicht vergleichbar seien. Die Referenzpunkte für Vergleiche
werden eher außerhalb der Organisation gesehen, d. h. innerhalb des eigenen Fachs an an-
deren Hochschulen.
„Messbar ist es auch, allerdings sind dem enge Grenzen gesetzt, glaube ich, alleine Fachbe-
reichshürden. Also, wie will man einen Maschinenbaustudiengang mit einem Studiengang
für Kommunikationsdesign vergleichen? Sehr schwer. Also da kann man natürlich irgendwie
gucken: Wie ist die Studierendenzufriedenheit? Das sind vielleicht Sachen, die kann man
ganz gut vergleichen. Aber da dann eine Aussage darüber zu treffen, ist es jetzt gut oder ist
es jetzt schlecht, unser Verhältnis weiblicher, männlicher Studierender oder so was, das kann
man schwer machen.“ (Mitarbeiter/in QM dezentral)
Eine weitere Motivation, Qualitätsaspekte zu erheben und zu messen, besteht gerade für
zentrale Akteurinnen und Akteure darin, auf bestimmte Themen, die von hochschulweiter
Relevanz sind, hinzuweisen. Dazu gehören insbesondere die Auslastung der Studiengänge,
Studieren in Regelstudienzeit, Diversitätsaspekte etc. Derartige Vorstellungen von relevanten
Qualitätsaspekten werden gerade über die Thematisierung in Evaluationsverfahren oder die
Erhebung von Leistungsindikatoren messbar und sichtbar gemacht. Ziel dieser Thematisie-
rung ist es, den Blick gezielt auf Themen zu lenken, die aus einer übergeordneten, organisa-
tionsbezogenen Perspektive und gerade vor dem Hintergrund der Umweltreferenzen der
Hochschule von Belang erscheinen, aus der lokalen Professionslogik aber nicht unbedingt
beachtet oder als relevant erachtet werden.
„Aber trotzdem haben wir ja die Vorstellung, ausgelastete Studiengänge sind das, was wir
wollen. Oder man hat eben die Vorstellung, wir wollen so und so viel Prozent der Studenten
in Regelstudienzeit haben. Das kann man für alle schon, finde ich, festmachen.“ (Mitarbei-
ter/in QM zentral)
Gleichzeitig sind sich zentrale Akteurinnen und Akteure der Herausforderungen bewusst,
die mit der Definition hochschulweit gültiger Kennzahlen und Qualitätsparameter einherge-
hen. Einer diskursiven Verständigung kommt dabei eine wesentliche Funktion zu.
„Also ein Punkt, der im Zusammenhang mit Qualität von Studium und Lehre gerade auf
der Ebene Studiengänge immer wieder diskutiert wird, ist natürlich die Abbrecherquote. Wie
geht man damit um? Wie aussagekräftig ist diese Zahl […]? Und das ist eine der schwie-
rigsten Zahlen, die es überhaupt gibt. Und da muss man sehr behutsam damit umgehen.
Und das erfordert eben sehr intensive Diskussionen.“ (Vizepräsident/in Studium und
Lehre)
Sowohl bei zentralen als auch bei lokalen Akteuren ist ein Interesse an der Identifikation von
Problemen bezogen auf die Qualität von Studium und Lehre zu beobachten. Unterschiedli-
che Auffassungen bestehen allerdings darüber, was bzw. wann etwas als Problem gilt und
wie es als solches identifiziert werden soll. Während es zentralen Akteur/inn/en darum geht,
objektiv messbare Qualitätsprobleme und -abweichungen zu identifizieren, sprechen lokale
Akteurinnen und Akteure eher von Auffälligkeiten, die zunächst einer differenzierten Kon-
textanalyse unterzogen werden müssen, bevor entschieden werden kann, ob es sich tatsäch-
lich um Qualitätsprobleme handelt.
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Bezogen auf die Analyse identifizierter Problemfelder bzw. Auffälligkeiten existiert insbe-
sondere von lokalen Akteur/inn/en der Wunsch, auf differenziertes Datenmaterial zurück-
greifen zu können, welches die entsprechenden Sachverhalte möglichst in ihrer Komplexität
und Vielschichtigkeit vor dem Hintergrund des jeweiligen fachlichen Kontextes abbildet. Es
sollen handlungsrelevante Erkenntnisse generiert werden, um möglichst informiert über qua-
litätsbezogene Themen diskutieren und entscheiden zu können. Durch diesen Informations-
bedarf werden die Aussagekraft von qualitätsbezogenen Daten sowie der möglichst konkrete
Bezug zur Lehre zu wesentlichen Faktoren, welche über die Wirksamkeit von Praktiken der
Qualitätsmessung entscheiden.
„… also so sehr man sozusagen verstehen kann, dass man irgendwie quasi was Gesamtheit-
liches haben möchte, so sehr hat es eben auch den Nachteil, dass man dann einfach die
Besonderheiten einzelner Dinge nicht abbilden kann.“ (Mitarbeiter/in QM dezentral)
Es zeigen sich also zwei sehr unterschiedliche Informationsbedarfe, die sich zunächst über
unterschiedliche Handlungskontexte erklären lassen. Insbesondere zentrale Akteurinnen und
Akteure bzw. solche, die eine eher managerielle Perspektive auf die Organisation haben und
sich als Hochschulmanagerin bzw. -manager (Hochschulleitung, Fakultätsleitung) oder als
Akteurinnen und Akteure des „Third Space“ (vgl. Whitchurch 2012) mit der Steuerung der
Hochschule auseinandersetzen, äußern den Bedarf, einen Überblick über das Qualitätsge-
schehen zu bekommen und Orientierung für qualitätsbezogene Aktivitäten zu geben. Sie
stehen vor den Herausforderungen der Allokation von Ressourcen, der Erfüllung externer
Anforderungen an die Rechenschaftslegung und vor der Notwendigkeit, nach außen ein ko-
härentes System zu demonstrieren, mit dem Qualitätsprobleme identifiziert und behoben
werden können. Auf der anderen Seite finden sich Lehrende, aber auch dezentrale Wissen-
schaftsmanagerinnen bzw. -manager wie Dekane, Studiendekane, dezentrale QM-Ak-
teure/Akteurinnen, die auf differenziertes Datenmaterial zurückgreifen möchten, um spezi-
fische Fragestellungen zu bearbeiten und die Daten zum Ausgangspunkt von Diskussions-
und Reflexionsprozessen zu machen.
Als weiterer Erklärungsversuch für die Unterschiedlichkeit der Informationsbedarfe können
das Organisationsverständnis der Akteurinnen und Akteure sowie ihr erkenntnistheoreti-
scher Zugang zur Beobachtung und Wahrnehmung der Welt bzw. zur Messung der Qualität
(positivistischer vs. konstruktivistischer Zugang) herangezogen werden. Denn der Informa-
tionsbedarf der Akteurinnen und Akteure und deren subjektive Wahrnehmung können je
nach Sozialisation bzw. Professionszugehörigkeit auch davon abhängen, welches Bild von
Hochschule bzw. von Qualität sie haben.
Vor dem Hintergrund der spezifischen Handlungskontexte und der individuellen Sichtwei-
sen haben beide Informationsbedarfe jeweils ihre Berechtigung, führen allerdings zu einem
Dilemma, mit dem sich die Akteurinnen und Akteure auseinandersetzen müssen. Die unter-
schiedlichen Informationsbedarfe zeigen, dass es keinen hochschulweit einheitlichen Blick
darauf gibt, wie sich Qualitätsprobleme identifizieren lassen bzw. ob und wie sich Qualität
objektiv und widerspruchsfrei messen lässt.
4.2 Unterschiedliche Qualitätsvorstellungen
Im vorangegangenen Abschnitt ging es darum, welche unterschiedlichen Daten die handeln-
den Akteurinnen und Akteure benötigen, um sich ein Bild von der Qualität machen und sie
auf dieser Grundlage beeinflussen zu können. Damit stand die Messung von Qualität im
Fokus. Dabei drängt sich eine weitere Frage auf, die im Verständnis des QM eine Vorbedin-
gung für die Messung darstellt: Worum handelt es sich überhaupt bei dem zu messenden
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bzw. zu steuernden Objekt „Qualität“? Oder anders ausgedrückt, was verstehen die handeln-
den Akteurinnen und Akteure unter Qualität?
„… wenn man es genau nimmt, kann man natürlich unter Qualität auch verstehen, dass
viele Leute durchkommen, dass man das irgendwie hinkriegt. Ist jetzt aber nicht der Schwer-
punkt, den ich sehen würde und den man, glaube ich, hier in der Fakultät überwiegend sieht.
Aber das ist wirklich auch vielleicht so ein bisschen ein Grundproblem, dass man natürlich
zwar immer versucht, irgendwas auch zu messen und irgendwas zu verfolgen, aber eigentlich
dafür ja sehr genau wissen müsste, was will ich denn eigentlich am Ende erreichen. Also die
Zahlen an sich oder die Daten, die man erhebt, bringen ja nur dann was, wenn es einem
dann für die Ziele, die man verfolgt, auch wirklich was hilft. Und da ist natürlich so eine
gewisse Bandbreite einfach auch drinnen, dass jeder ein bisschen was anderes dann doch ver-
steht.“ (Mitarbeiter/in QM dezentral)
In diesem Zitat kommen gleich mehrere Herausforderungen zur Sprache, mit denen sich
Akteurinnen und Akteure in ihrer Auseinandersetzung mit qualitätsbezogenen Themen kon-
frontiert sehen. Es geht hier v. a. um unterschiedliche Verständnisse davon, was als Qualität
bezeichnet und was als wichtig angesehen wird. Als Teil dieser Problematik wird in dem Zitat
bereits auf das Spannungsfeld zwischen qualitativen und quantitativen Qualitätsvorstellun-
gen sowie die meist vagen Zielvorstellungen rekurriert. Im Folgenden wollen wir einige prin-
zipielle Unterschiedlichkeiten herausarbeiten, die mit Blick auf unterschiedliche Messinstru-
mente sowie die unterschiedlichen Haltungen der Akteurinnen und Akteure erkennbar sind.
Zunächst lassen sich unterschiedliche Qualitätsvorstellungen differenzieren, wie sie einzel-
nen Instrumenten und Verfahren zugrunde liegen. Dabei geht es um die Frage, welche Bilder
von Qualität durch die Verfahren und Instrumente transportiert werden und welche Aspekte
eine besondere Rolle spielen. So richtet die Lehrveranstaltungsevaluation ihren Fokus bei-
spielsweise auf die Lehr-Lern-Interaktion. Auch wenn andere Ansätze wie kompetenzorien-
tierte Evaluationsverfahren in Theorie und Praxis diskutiert werden (vgl. Vervecken et al. 2010;
Dorfer et al. 2010), so spielen doch Zufriedenheitsaspekte in der Regel eine wichtige Rolle (vgl.
Kromrey 2001, S. 33; Walter 2013). Dahinter steckt die Vorstellung der Studierenden als Kun-
dinnen und Kunden, die sich stark an den ursprünglichen Ideen des QM aus der Wirtschaft
orientiert. Quantifizierende Indikatoren wie die Auslastung von Studiengängen, der Ab-
schluss in Regelstudienzeit oder Studienerfolg repräsentieren demgegenüber – häufig eher
als Mengenmaß und nicht als eigentliches Qualitätsmaß – quantifizierbare Aspekte von Lehre
und Studium; Aspekte also, die sich über eindeutige Indikatoren abbilden und messen lassen.
Dabei schwingt ein positivistisches Bild von Qualität als messbares, objektives Abbild der
Wirklichkeit mit; wobei dies weniger mit den Indikatoren selbst zu tun hat als vielmehr mit
dem Informationswert, der ihnen durch die Akteurinnen und Akteure zugesprochen wird.
Darüber hinaus lassen sich unterschiedliche Qualitätsverständnisse zwischen den Ak-
teur/inn/en beobachten. Zunächst lässt sich die fachlich-inhaltliche Qualität anführen, die
insbesondere von Lehrenden thematisiert wird. Die Qualitätsvorstellungen richten sich dabei
stark danach, welche Themen und Methoden in einem Fach eine Rolle spielen und welche
Qualifikationsziele mit der Lehre eines Fachs verbunden sind. Bei dieser an der Wissen-
schaftsdisziplin orientierten Perspektive können sich die Qualitätsvorstellungen von Fach zu
Fach deutlich unterscheiden.
„Wenn Mathematiker sagen, mir kommt es auf die Kognition sehr stark an und auf sozu-
sagen die logische Argumentationsfähigkeit, ist das ein Qualitätskriterium für die Lehre.
[…] Für mich [in den Pflegewissenschaften] ist es wichtig, sehr starke Selbstreflektion aus-
lösen zu können. So, und das ist klar, das ist eben eine andere Wissenschaftsdisziplin. Und
(...) wichtig ist, dass das, und deswegen sage ich, das nahe an der […] Lehrpraxis zu halten,
dass wir nicht sagen, das sind jetzt Kriterien, die für alle gelten müssen.“ (Wissenschaftler/in)
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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Mit Blick auf die fachlichen Unterschiede lehnen lokale Akteurinnen und Akteure zwar einen
fächerübergreifenden Vergleich ab. Grundsätzlich werden aber die unterschiedlichen Quali-
tätsvorstellungen und Auffassungen nicht als problematisch angesehen, da die Fächer nur
relativ lose miteinander gekoppelt sind. Die Vorstellungen können nebeneinander bestehen,
ohne sich gegenseitig zu beeinträchtigen, da jedes Fach eine eigene Definition und eigene
Strategie finden kann.
Etwas anders verhält es sich mit Qualitätsperspektiven, die von außen an die Hochschule
herangetragen werden. Dazu gehören quantifizierende oder formalisierende Aspekte wie bei-
spielsweise das Thema Studierbarkeit, das mit der Akkreditierung Einzug in den organisati-
onsinternen Diskurs findet, oder Themen wie Studienerfolg oder die Auslastung von Studi-
enkapazitäten, die aus einer hochschulpolitischen Perspektive formuliert werden. Hier kann
es zu Widersprüchen kommen, v. a. wenn diese manageriellen Sichtweisen auf die fachlich-
inhaltliche Perspektive treffen.
„Also auf der einen Seite wird gefordert, macht gute Lehre, kontrolliert die Qualität und
möglichst tolle Angebote, auf der anderen Seite wird dann am Ende schlichtweg gezählt, wie
viele Absolventen habt ihr und, was weiß ich, wie viele Studis habt ihr durchgeschleust. Und
das ist an sich in aller Regel eben ein Widerspruch in sich, den sicherlich die Hochschulen als
Ganzes spüren. Aber den wir vor Ort in den Fakultäten ganz besonders spüren. […] Und
da interessiert es dann in dem Moment plötzlich wirklich keinen, sind das so gut ausgebildete
Absolventen, sind das Leute, die einen Job kriegen oder sitzen die auf der Straße, sind die
zufrieden gewesen mit ihrem Studium oder nicht […]. Insofern ist es, glaube ich, auch bei
uns dann so ein Kristallisationspunkt dieser unterschiedlichen Anforderungen, die gestellt
werden. Also die Quantität auf der einen Seite und die Qualität auf der anderen Seite, die
sicher alle aus ihrer Sicht vermutlich auch eine Berechtigung haben, aber man kann halt
dann nicht beiden Kriterien so entsprechen, wie man es dann vielleicht müsste.“ (Mitarbei-
ter/in QM dezentral)
Eine dritte Dimension unterschiedlicher Qualitätsverständnisse entsteht, wenn die Logik, die
einzelnen Instrumenten innewohnt, auf die Haltung von Akteur/inn/en oder auf spezifische
Praktiken stößt. Dies lässt sich am Beispiel der Lehrveranstaltungsevaluation und einer hoch-
schuldidaktischen Intervention illustrieren.
„Wir haben auch schon von Lehrenden beispielsweise eben die Rückmeldung bekommen,
dass sich die Evaluationsergebnisse verschlechtert haben, nachdem sie […] unsere [hochschul-
didaktischen] Angebote besucht haben. Das ist aber interessanterweise nicht zwangsläufig
ein negativer Effekt, man muss halt auch sehen, dass die Studierenden gewohnt sind, in einer
ganz bestimmten Art und Weise Lehre zu erfahren. Und wenn sie plötzlich eine neue, andere
Art von Lehre erfahren, dann kann das irgendwie dazu führen, dass sie das nicht gutheißen.“
(Mitarbeiter/in Hochschuldidaktik)
In dem geschilderten Beispiel treffen zwei unterschiedliche Qualitätsvorstellungen aufeinan-
der. Die hochschuldidaktische Intervention zielt – ausgehend von der Konzeptionalisierung
der Studierenden als „Koproduzenten“ bzw. als „Partner“ im Lehr- und Lernprozess – da-
rauf, die Studierenden stärker in das Lehrgeschehen einzubeziehen. Die Aktivierung der Stu-
dierenden wird dabei als erstrebenswertes Qualitätskriterium verstanden. In der Lehrveran-
staltungsevaluation, der das Bild der Studierenden als Kundinnen und Kunden zugrunde
liegt, geht es hingegen darum, die Zufriedenheit der Studierenden mit dem Leistungsprozess
„Lehre“ abzufragen. Und da eine aktive Beteiligung am Lehrgeschehen ggf. den Erwartun-
gen der Studierenden widerspricht („Ich will Wissen präsentiert bekommen, ich will nicht selbst arbei-
ten“ – Mitarbeiter/in Hochschuldidaktik), können die Evaluationsergebnisse das Resultat der
Intervention als Qualitätsdefizit markieren. Wie diese Abweichung interpretiert wird, hängt
vom Kontext, den beteiligten Akteur/inn/en und ihrer Einstellung ab. Sie kann Ausdruck
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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einer nicht erfolgreichen didaktischen Intervention sein oder sie kann darauf zurückgeführt
werden, dass unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe angesetzt werden.
An diesem Beispiel zeigt sich, dass sich nicht nur die Sichtweisen der/des Lehrenden und
der Studierenden unterscheiden, sondern dass auch Spannungsfelder entstehen können,
wenn die Logik eines Messinstruments auf eine völlig andere Logik einer qualitätsbezogenen
Intervention trifft. Aus der Existenz dieser konträren Logiken, denen beiden jeweils ihre
Berechtigung zugesprochen werden kann, ergibt sich nicht zwangsläufig ein Problem. Das
Dilemma entsteht, wenn Interventionen, die aus der einen Sichtweise motiviert sind, nach
den Maßstäben einer anderen Sichtweise bewertet werden. Daraus können Impulse zur Re-
flexion entstehen, diese bedürfen aber der Interpretation und einer bewussten Entscheidung
für die eine oder andere Seite. Sobald aus der Qualitätsmessung ein objektives, alleingültiges
Qualitätsurteil erwächst, wird die eine Logik über die andere gestellt.
Mit Blick auf die widersprüchlichen Qualitätsverständnisse wird von den handelnden Ak-
teur/inn/en problematisiert, dass es aufgrund einer fehlenden Definition bzw. Prioritäten-
setzung an Orientierung fehle, sich in konkreten Situationen für die eine oder die andere
Perspektive zu entscheiden. Das Problem besteht demnach weniger in der Unterschiedlich-
keit der Qualitätsverständnisse, sondern eher in der fehlenden Orientierung und Festlegung
auf verbindliche Aspekte.
„Also das ist sicherlich auch ein Teil, der diese […] Konflikte oder diese Spannungsfelder,
die man sonst hat, dieses Schwanken zwischen Quantität und Qualität ein bisschen beein-
flusst, also wenn man nicht wirklich für sich festlegt, was verstehe ich unter Qualität und was
verstehe ich denn unter reiner Quantität.“ (Mitarbeiter/in QM dezentral)
Vor diesem Hintergrund wünschen sich sowohl zentrale als auch lokale Akteurinnen und
Akteure eine Klärung, einen fakultätsweiten oder gar hochschulweiten Diskurs zur Frage,
was unter Qualität verstanden wird und was für eine Fakultät bzw. Hochschule wichtige
Qualitätsaspekte sind. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass zwar eine Auseinandersetzung mit
einzelnen Qualitätsaspekten stattfindet. Dass dies aber meist „prozessual“ (Mitarbeiter/in QM
dezentral) geschieht, d. h. implizit beispielsweise im Prozess der Entwicklung von Fragebö-
gen oder bei der Definition von Kriterien, anhand derer über die Einrichtung eines Studien-
gangs entschieden wird.
Eine explizite Auseinandersetzung mit dem Qualitätsverständnis findet in der Regel selten
statt. Dies mag vordergründig daran liegen, dass es im Moment wichtiger erscheint, konkret
anstehende Themen zu bearbeiten, wodurch das schwierige und zeitaufwändige Unterfangen
des Diskurses zum Qualitätsverständnis selten tatsächlich auf die Agenda der Hochschul-
oder Fakultätsleitung gelangt. Letztendlich scheint es aber grundsätzlich unmöglich, eine
Qualitätsdefinition zu erarbeiten, die ein hochschulweit einheitliches Bild der relevanten As-
pekte zeichnet und dabei gleichzeitig eindeutige Kriterien definiert. Denn angesichts der un-
terschiedlichen und widersprüchlichen Perspektiven kann es entweder hochschulweite Qua-
litätskriterien geben, die hinreichend abstrakt bleiben, um Raum für lokale Interpretationen
und Anpassungen zu lassen. Oder es können konkrete, eindeutige Qualitätskriterien definiert
werden, die sich allerdings nur auf spezifische Bereiche beziehen, aber keine hochschulweite
Gültigkeit erlangen.
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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4.3 Umgang der Akteurinnen und Akteure mit den Spannungsfeldern
Wie die Ausführungen in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt haben, findet sich das
eingangs als programmatisch beschriebene Steuerungsdilemma in der Hochschulpraxis als
Spannungsfeld unterschiedlicher Informationsbedarfe und unterschiedlicher Qualitätsvor-
stellungen wieder. Angesichts der sehr unterschiedlichen Qualitätsvorstellungen der Akteu-
rinnen und Akteure erscheint eine hochschulweit einheitliche und eindeutige Definition von
Qualität nicht möglich. Die Informationsbedarfe verweisen auf unterschiedliche Vorstellun-
gen darüber, wie Qualität bzw. welche Aspekte von Qualität gemessen werden sollen,
wodurch eine objektive und widerspruchsfreie Messung von Qualität unmöglich erscheint. Bei-
des stellt aus einer steuerungsorientierten QM-Perspektive jedoch eine notwendige Voraus-
setzung dar. Das Dilemma der Akteurinnen und Akteure in der Hochschulpraxis besteht also
darin, dass mit der Qualität von Studium und Lehre etwas gesteuert werden soll, das sich
nicht auf einfache Weise definieren und messen lässt.
Im folgenden Abschnitt wollen wir uns nun damit auseinandersetzen, welche Strategien die
Akteurinnen und Akteure entwickeln, diese Spannungsfelder und die daraus resultierenden
Hürden zu überwinden. Mit Blick auf die eingangs skizzierte Dichotomie einer optimisti-
schen und pessimistischen Steuerungshaltung sind durchaus Praktiken zu beobachten, die
sich einer der beiden Steuerungshaltungen zuordnen lassen oder die sich als Mischform auf
einem Kontinuum zwischen den Polen befinden. Eine optimistische Steuerungshaltung
drückt sich z. B. darin aus, dass hochschulweit einheitliche Evaluationsverfahren propagiert
werden oder dass durch Maßnahmen der Kontrolle die Initiierung von Follow-up-Prozessen
sichergestellt werden soll. Eine pessimistische Steuerungshaltung kommt darin zum Aus-
druck, dass sämtliche Erhebungsmethoden, die grundsätzlich vorstellbar sind, an dem An-
spruch, die „tatsächliche Qualität“ (Studiendekan/in) messen zu wollen, scheitern, oder dass
qualitätsbezogenen Interventionen generell eine Wirksamkeit im Hinblick auf die Messung
und Beeinflussung der Qualität abgesprochen wird. Positionen, die sich zwischen diesen bei-
den Extremen einordnen lassen, konzentrieren sich darauf, dort zu messen und zu steuern,
wo dies möglich erscheint, und sich ansonsten bewusst zu sein, dass sich andere Bereiche
einer objektiven Messung und deterministischen Steuerung entziehen. Auch wenn damit die
Existenz beider Haltungen – auch in unterschiedlichen Abstufungen – bestätigt wird, zeigen
sich dennoch vielfältige Praktiken, die sich nicht so recht in diese Dichotomie und das dazu-
gehörige Kontinuum einordnen lassen. Mit diesen Praktiken wollen wir uns im Folgenden
näher auseinandersetzen.
Es gibt Akteurinnen und Akteure, die sich nicht nur der Existenz unterschiedlicher Infor-
mationsbedarfe oder unterschiedlicher Qualitätsverständnisse bewusst sind und diese als
Spannungsfelder bzw. Herausforderungen benennen, sondern auch Verständnis für die je-
weils andere Sichtweise entwickeln. Dadurch schaffen sie eine erste Voraussetzung, mit den
Herausforderungen umzugehen. Diese grundsätzliche Anerkennung unterschiedlicher Infor-
mationsbedarfe und Qualitätsverständnisse hat einen Einfluss auf die Ausgestaltung der
Messinstrumente. Einige dienen eher dem Anspruch, einen Überblick über das Qualitätsge-
schehen zu schaffen, andere bedienen eher einen spezifischen, detaillierten, lokalen Infor-
mationsbedarf. Die Instrumente müssen nicht gleichzeitig für unterschiedliche Ziele einge-
setzt werden, sondern können sich schwerpunktmäßig auf eine Perspektive richten. Eine
Ausdifferenzierung der Instrumente geschieht dadurch, dass hochschulweite Evaluationsin-
strumente an lokale Spezifika, beispielsweise in Form von ergänzenden Fragebögen, ange-
passt werden.
„Also wir erlauben immer kleinere Modifikationen und finden das auch gut. Also man stellt
sich einen Fragebogen schlichterweise vor, wir haben immer fakultätsspezifische Teile. Und
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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das halte ich für ganz, ganz wichtig, um eine Akzeptanz zu haben, weil sonst man schnell
in den Singsang kommt, bei uns ist immer alles anders, wir passen nicht da rein, also machen
wir nicht mit.“ (Mitarbeiter/in QM zentral)
Mit einer solchen Differenzierung der Messinstrumente wird Rücksicht auf lokale Besonder-
heiten genommen. Da die allgemein gehaltenen Bewertungskriterien aus Studiengangs- oder
Fakultätsperspektive ggf. nicht ausreichen, um dem spezifischen Informationsbedarf bzw.
den lokalen Qualitätsvorstellungen gerecht zu werden, kommt es darüber hinaus auch zu
einer Entkopplung der Instrumente.
„Worauf es halt auch extrem, glaube ich, ankommt, ist der Zeitpunkt, zu dem man Eva-
luationen macht. Das ist ein bisschen unglücklich, diese große […] Lehrveranstaltungseva-
luation ist ja immer gegen Ende der Lehrveranstaltung […]. Wenn es aber wirklich akut
Probleme, in welcher Form auch immer, gibt, ist das natürlich viel zu spät. […] Wenn man
das dann als einziges Instrument hat, um eben solche Dinge zu erheben, dann wäre es nicht
effizient. Also man muss irgendeinen Weg finden, dass halt an solchen Punkten […] früher
auch schon eine Evaluation gemacht wird. Also ein Institut macht das bei uns total konse-
quent, das ist ganz lustig. Die fragen wirklich zur Mitte des Semesters, die haben da so einen
kleinen eigenen Fragebogen, wo dann wirklich ganz explizit abgefragt wird: ‚Ist die Aus-
stattung im Praktikum okay? Wie gehen die Assistenten mit euch um in den Gruppen?‘
Und wo man auch wirklich sehr konkret Rückschlüsse ziehen kann. Und zur Mitte des
Semesters hat man ja auch noch Einflussmöglichkeit […]. Das ist sicherlich dann tatsächlich
auch was, wo man sehr schnell einen Nutzen ziehen kann.“ (Mitarbeiter/in QM dezentral)
Hier zeigt sich die Entkopplung durch die Entwicklung eines Evaluationsinstruments, bei
dem nicht nur der Zeitpunkt so gewählt wird, dass die Ergebnisse lokal auf eine andere Art
und Weise verwendet werden können, sondern bei dem auch andere Fragestellungen thema-
tisiert werden, die aus lokaler Perspektive auf einen spezifischen Informationsbedarf reagie-
ren. Auf diese Weise bildet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente heraus, die je-
weils spezifischen Zielen und Informationsbedarfen dienen und die nebeneinander existie-
ren. Interessant ist dabei, dass es nicht nur zu einer Entkopplung und Ausdifferenzierung
der Messinstrumente kommt, sondern dass gleichzeitig einzelne Instrumente im Sinne einer
losen Kopplung miteinander verknüpft werden. Dies lässt sich am Beispiel des Themas Stu-
dienerfolg illustrieren: Dass in einem Fach ein sehr hoher Studienabbruch existiert, wird über
Kennzahlen wie die Anzahl von Studienabbrecherinnen und Studienabbrechern identifiziert.
Damit wird zwar die Aufmerksamkeit auf den Studienabbruch als potenzielles Problem ge-
lenkt, welches damit aber noch nicht umfänglich beschrieben wird. Vielmehr ist es notwen-
dig, über andere Messinstrumente wie Studienabbruchbefragungen, über differenzierte sta-
tistische Analysen der Prüfungsdaten der Studierenden einzelner Kohorten oder über Ge-
spräche mit Beteiligten bzw. Betroffenen vor Ort Kontextwissen zu generieren, indem mög-
liche Gründe für einen Studienabbruch analysiert werden.
Die Vielzahl der Messinstrumente dient auch dazu, unterschiedliche und teilweise wider-
sprüchliche Qualitätsaspekte aufzuzeigen. Denn mit Blick auf die Komplexität unterschied-
licher Qualitätsvorstellungen lässt sich die Qualität nicht als Ergebnis einer Kennzahl oder
über ein Evaluationsverfahren allein bestimmen. Es braucht unterschiedliche Indikatoren
und Instrumente, aus deren Gesamtschau quasi als Mosaik ein Bild von Qualität entsteht.
„Also, es wird immer postuliert, wir brauchen gute Lehrer, wir brauchen gute Lehre. Aber
was ist es? Also und es ist ein Zusammenspiel verschiedener Zahlen und nicht eine ist allein
aussagekräftig. Es ist nicht die Zahl der erfolgreichen Absolventen. Es ist nicht die Zahl der
Abbrecher. Also nichts für sich allein, sondern man muss alles anschauen im Zusammen-
spiel.“ (Vizepräsident/in Studium und Lehre)
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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Der Anregung von Diskussions- und Reflexionsprozessen weisen die Akteurinnen und Ak-
teure bei der Bewältigung der qualitätsbezogenen Spannungsfelder und beim Umgang mit
den Herausforderungen einer eingeschränkten Steuerbarkeit der Leistungsprozesse der
Hochschule eine wichtige Rolle zu. Dabei geht es gar nicht so sehr um einen expliziten Dia-
log über Qualitätsverständnisse, sondern es geht um einen Dialog zu einzelnen Qualitätsas-
pekten. Über Qualitätssicherungsverfahren, über Sitzungen von Gremien und Arbeitsgrup-
pen, über themenbezogene Veranstaltungen oder über einen informellen Austausch werden
Anlässe geschaffen, bei denen ein Dialog über Qualitätsaspekte erfolgen kann. Die Wider-
sprüchlichkeiten unterschiedlicher Sichtweisen werden auf diese Weise zwar nicht grundsätz-
lich aus der Welt geräumt. Aber es wird zumindest möglich, diese transparent zu machen
und zu verstehen. Die Akteurinnen und Akteure können dabei für ihre Sichtweise werben,
sich aber auch in die Perspektive anderer hineinversetzen und ihren Blick auf die Qualität
von Studium und Lehre erweitern.
Ein Austausch über unterschiedliche Sichtweisen findet in besonderer Weise in Zusammen-
hang mit der (Weiter-)Entwicklung von Messinstrumenten statt. Während zu Beginn der
Qualitätsoffensive Instrumente in der Regel entweder lokal (bottom-up) oder zentral (top-
down) entwickelt wurden, geschieht dies in der aktuellen Praxis eher als gemeinsamer Aus-
handlungs- und Abstimmungsprozess unterschiedlicher zentraler und lokaler Akteurinnen
und Akteure und unterschiedlicher Fachdisziplinen. Zentrale Akteurinnen und Akteure se-
hen einen wichtigen ersten Schritt darin, in die Fakultäten zu gehen und sich dort nach den
spezifischen Bedarfen zu erkundigen. Es wird versucht, die Besonderheiten von Fächern und
Studiengängen bereits von Anfang an in das eigene Kalkül einzubeziehen.
„Manchmal reicht auch nur ein Halbsatz, um die Diskussion zu entfachen. Und ich kann
immer noch mit meinen Ideen am Ende kommen. […] Ich muss das hören, was in der
Fakultät dazu gesagt wird. […] Aber es gibt, und ich glaube, das ist an jeder [Hochschule]
so, es gibt dieses zentral-dezentrale Gefälle und man muss einfach ganz gut gucken, dass man
nicht sich einbildet, immer schon alles vorher zu wissen. Und ich bleibe ganz klar dabei, wir
haben hier keine Studierenden. […] Das Kerngeschäft ist in der Fakultät. Und das sollte
jede zentrale Stelle, glaube ich, auch so wahrnehmen. Dass wir das auf jeden Fall hier nicht
besser wissen.“ (Mitarbeiter/in QM zentral)
Gerade für Akteurinnen und Akteure des (zentralen und dezentralen) QM werden dadurch
Zuhören und Verstehen zu einer wesentlichen Voraussetzung für einen Dialog.
„Ich finde auch wichtig, genau hinzuhören, um zu verstehen, wie funktioniert eine Fakultät.
Wie funktioniert auch gerade die Struktur, was treibt die gerade um.“ (Mitarbeiter/in QM
zentral)
Die Akteurinnen und Akteure des QM erkennen, dass sie sich auf die Besonderheiten der
Fakultäten einstellen müssen. Denn dadurch kann Vertrauen entstehen und die Grundlage
dafür gelegt werden, als Gesprächspartnerin bzw. Gesprächspartner akzeptiert zu werden.
Und erst daraus entstehen Möglichkeiten, im Dialog Impulse zu setzen, Themen anzuspre-
chen oder Fragen aufzuwerfen, die bei den lokalen Akteur/inn/en nicht gleich zu Defensiv-
Reaktionen führen.
Insbesondere Akteurinnen und Akteure des dezentralen QM verstehen sich in solchen Fällen
als Diplomaten/Diplomatinnen, die zwischen unterschiedlichen Sichtweisen zu vermitteln
versuchen, die ihre Hauptaufgaben in der Kommunikation sehen und die sich in erster Linie
als jemand begreifen, die bzw. der die Fakultäten in qualitätsbezogenen Angelegenheiten un-
terstützt.
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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„Ich sehe mich in allererster Linie mal als Diplomat. Also ich bin jemand, der zwischen den
Stühlen steht, der Aufbauhilfe leistet in einem Thema […], der sehr viel kommuniziert, sehr
viel Wertschätzung den Leuten gegenüber vermittelt, der auch durchaus die Themen, die in
der Fakultät brennen, sozusagen auch nach zentral trägt. […] Also jemand, der, (...) der
Sichtweisen vermittelt und […] der unterstützt […] und jemand, der auch Daten übersetzt
[…].“ (Mitarbeiter/in QM dezentral)
Mit Blick auf externe, meist formale Vorgaben aus der Hochschulgesetzgebung, aus Kriterien
der Kultusministerkonferenz oder aus externen Qualitätssicherungsverfahren wie der Akkre-
ditierung zeigen einige zentrale Akteurinnen und Akteure einen spielerischen Umgang.
„Das ist zumindest der Anspruch, mit dem ich auch angetreten bin, dass wir diese […]
externen Vorgaben, sowohl rechtliche Vorgaben als auch institutionelle Vorgaben, dass wir
die sozusagen als Trigger oder Hebel benutzen, um intern sinnvolle Strukturen zu etablieren
und einfach eine Kultur zu etablieren, in der es selbstverständlich ist, über die Ebenen hinweg
sich zu verständigen, über die Qualitätsentwicklungen der Studiengänge. Also das ist das
Ziel und (...) nicht primär die Erfüllung von gesetzlichen Vorgaben.“ (Vizepräsident/in
Studium und Lehre)
Derartige externe Anforderungen werden genutzt, um über relevante Themen ins Gespräch
zu kommen. Sie werden nicht als festes Konstrukt verstanden, das eins zu eins umzusetzen
ist, sondern eher als Auslöser oder als Reibungspunkt, um einen (kontroversen) Dialog über
qualitätsbezogene Themen zu fördern und für die Hochschule eigene Konzepte und Positi-
onen zu entwickeln.
Bei aller Offenheit für Dialog und der Betonung von Zuhören und Verstehen als wesentliche
qualitätsbezogene Aufgaben wird immer wieder auf die Notwendigkeit verwiesen, Konse-
quenzen aus der Qualitätsmessung zu ziehen bzw. Entscheidungen zu treffen. Dabei stehen
die handelnden Akteurinnen und Akteure vor einem Dilemma. Top-down lassen sich Ent-
scheidungen mit Blick auf die Autonomie der Expertinnen und Experten in der Regel nicht
gegen den Willen der Fakultäten oder der Lehrenden durchsetzen. Gleichzeitig kollidieren
hochschulweit einheitliche Vorgaben in Form von Zielen oder Standards mit den unter-
schiedlichen Qualitätsvorstellungen der Akteurinnen und Akteure auf Studiengangs- und Fa-
kultätsebene.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird darin gesucht, sich in Aushandlungsprozessen auf
einige wenige „Grundpfeiler“ (Mitarbeiter/in QM zentral) als Orientierungspunkte für das
Handeln zu einigen und gleichzeitig genug Elastizität in die Definition gemeinsamer Ziele
und Standards einzubauen, so dass sich die konkrete Ausgestaltung an den spezifischen Rah-
menbedingungen der lokalen Kontexte orientieren kann. Dies geschieht beispielsweise, in-
dem anstelle fester Zielwerte für Kennzahlen Zielkorridore definiert werden, innerhalb derer
sich die konkrete lokale Definition von Zielen bewegen kann.
5. Diskussion der Ergebnisse
Der Blick in die Hochschulpraxis offenbart unterschiedliche Ausprägungsformen des dicho-
tomen Spannungsfelds, welches sich zwischen der Steuerungsnotwendigkeit und einem da-
mit verbundenen Steuerungsoptimismus auf der einen Seite und der Skepsis gegenüber der
Steuerbarkeit der Hochschule auf der anderen Seite aufspannt. Unterschiedliche Qualitäts-
vorstellungen und Informationsbedarfe weisen darauf hin, wie schwierig es ist, Qualität ein-
heitlich und eindeutig zu definieren sowie objektiv und widerspruchsfrei zu messen. Dies
stellt jedoch eine wesentliche Vorbedingung dar, um Qualität gezielt beeinflussen zu können.
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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Aus den einleitenden Ausführungen zum theoretischen Diskurs über die Möglichkeiten und
Grenzen der Definition, Messung und Steuerung der Qualität an Hochschulen kann zu-
nächst der Eindruck entstehen, dass dies entweder möglich oder unmöglich ist. Demgegen-
über zeichnet der Blick in die Hochschulpraxis ein differenzierteres Bild. Durch den Fokus
darauf, wie die handelnden Akteurinnen und Akteure mit dem beschriebenen Spannungsfeld
umgehen, zeigt sich ein zusätzlicher Weg, den wir als kontext-sensibel bezeichnen wollen und
der sich als dritte, eigenständige Steuerungshaltung abzeichnet.
Diese Kontextsensibilität wird über die handelnden Akteurinnen und Akteure hergestellt, die
sich als kompetente Akteure (vgl. Giddens 1997, S. 55ff.) präsentieren. Sie sind in der Lage,
sich sensibel auf den jeweiligen organisationalen und situativen Kontext ihres Handelns ein-
zustellen und nach geeigneten Bewältigungsstrategien für die Komplexität und Widersprüch-
lichkeit unterschiedlicher Perspektiven auf Qualität zu suchen. Abhängig vom spezifischen
Kontext entscheiden sie sich zwischen qualitativen und quantitativen, zwischen einheitlichen
und individualisierten, zwischen formalen und informellen Erhebungsmethoden oder zwi-
schen rigiden und flexiblen Interventionsstrategien.
Abbildung 1: schematische Darstellung der Forschungsergebnisse (eigene Darstellung)
Abbildung 1 fasst noch einmal die Ergebnisse der empirischen Analyse in schematischer
Form zusammen. Auf dieser Grundlage lassen sich kontext-sensible Interventionsstrategien
anhand der folgenden drei Merkmale beschreiben:
(1) Ein erster Schritt bei der Bewältigung der beschriebenen Herausforderungen besteht da-
rin, dass sich die Akteurinnen und Akteure die Komplexität und Widersprüchlichkeit ihres
Handlungskontextes bewusst machen und als Ausgangspunkt für ihr eigenes Handeln aner-
kennen. Sie versetzen sich in die Lage, unterschiedliche Perspektiven zuzulassen oder gar
selbst einzunehmen.
(2) Bezogen auf die Ausgestaltung der Messinstrumente wird versucht, gleichzeitig unter-
schiedliche Informationsbedarfe zu bedienen und unterschiedliche Qualitätsvorstellungen
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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bzw. Qualitätsaspekte abzubilden. Die Vielschichtigkeit, Widersprüchlichkeit und Mehrdeu-
tigkeit von Qualität wird in die Instrumente integriert, wodurch sich zwar kein einheitliches,
eindeutiges und objektives Bild von Qualität ergibt. Die Integration unterschiedlicher Facet-
ten und Perspektiven ermöglicht es den Akteur/inn/en jedoch, auf unterschiedliche Infor-
mationen zuzugreifen und diese in Abhängigkeit vom Handlungskontext und den zu errei-
chenden Zielen für sich nutzbar und aussagekräftig zu machen. So werden Instrumente für
ein kontinuierliches Monitoring entwickelt, um Überblickswissen zum Qualitätsgeschehen in
den Fakultäten und Studiengängen zu erhalten, um die Aufmerksamkeit gezielt auf relevante
Belange und Fragestellungen zu lenken und eben auch um Impulse an die Fakultäten zu
geben, sich mit einzelnen Thematiken auseinanderzusetzen. Ergänzt wird dieses Monitoring
durch Instrumente, die eine differenzierte Analyse von Auffälligkeiten ermöglichen und Hin-
tergrundwissen generieren. Mithilfe dieser Instrumente sollen Zusammenhänge erkannt,
Handlungsoptionen identifiziert und Diskussions- und Reflexionsprozesse angeregt werden.
(3) Da Akteurinnen und Akteure, die sich mit der Steuerung der Qualität auseinandersetzen,
erkennen, dass vorschreibende oder kontrollierende Praktiken mit der Autonomie der Leh-
renden kollidieren und eher Defensiv-Reaktionen provozieren als tatsächlich zur Verände-
rung der Praxis beizutragen, wird das Anstoßen von Diskussions- und Reflexionsprozessen
als eine der wesentlichen Interventionsstrategien erkannt. Damit ist ein Paradigmenwechsel
verbunden: Kontrollaspekte und die Vorgabe fester, einheitlicher Standards treten merklich
in den Hintergrund. Stattdessen setzt QM zunehmend auf Praktiken des Zuhörens, Verste-
hens und Vermittelns sowie eine flexible und elastische Definition einiger weniger gemein-
samer Qualitätsstandards bzw. -ziele.
6. Fazit
Ausgehend vom programmatischen Diskurs zur Steuerbarkeit der Hochschule wurden in der
empirischen Analyse der QM-Praxis unterschiedliche Spannungsfelder identifiziert, welche
für die handelnden Akteurinnen und Akteure bei der Bearbeitung qualitätsbezogener The-
men zu bewältigen sind und eine einheitliche und eindeutige Definition, objektive Messung
und deterministische Steuerung infrage stellen. Anders als der theoretische Diskurs erwarten
lassen würde, finden sich in der Praxis vielfältige, kontext-sensible Strategien, mit denen die
Akteurinnen und Akteure auf die Komplexität und Widersprüchlichkeit ihrer Handlungs-
kontexte reagieren. Im Kern besteht eine derartige kontext-sensible Haltung darin, die Kom-
plexität und Widersprüchlichkeit der Handlungskontexte anzuerkennen, diese in den Prakti-
ken der Qualitätsmessung abzubilden und schließlich das Potenzial von Diskussions- und
Reflexionsprozessen als wesentliche Interventionsstrategien anzuerkennen.
Für die Praxis des QM sensibilisiert unsere Analyse dafür, dass die Wahrscheinlichkeit steigen
kann, dass qualitätsbezogene Interventionen trotz aller Hindernisse gelingen, wenn sich die
Akteurinnen und Akteure sensibel auf den jeweiligen situativen und organisationalen Kon-
text einstellen, sie pragmatisch und konstruktiv mit den Widersprüchlichkeiten umgehen und
flexible Bewältigungsstrategien entwickeln.
Zum theoretischen Diskurs zur Messbarkeit und Steuerbarkeit der Hochschule sehen wir
den Beitrag unserer Analyse darin, durch den Blick in die Hochschulpraxis die Dichotomie
bisheriger, programmatischer Diskurse aufzulösen und neben die von uns als „optimistisch“
und „pessimistisch“ bezeichnete Steuerungshaltung eine dritte, „kontext-sensible“ zu stellen.
Offen bleibt bei unserer Interpretation, ob es sich bei der „Kontextsensibilität“ tatsächlich
um eine dritte, eigenständige Haltung handelt, oder ob sich darin nicht eher eine intelligente
Strategie der handelnden Akteurinnen und Akteure offenbart, sich nur scheinbar auf den
Forschungsprojekt WirQung Working Paper 2016/01
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organisationalen und situativen Kontext einzustellen und die eigene optimistische bzw. pes-
simistische Haltung als kontext-sensibel erscheinen zu lassen.
Hinweise darauf, dass es sich um eine eigenständige dritte Steuerungshaltung handelt, sehen
wir in den folgenden drei Aspekten: Erstens zeigen Akteurinnen und Akteure, die sich mit
der Steuerung der Hochschule und ihrer Leistungsprozesse befassen, einen reflektierten
Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen der Definition, Messung und Steuerung von Qua-
lität. Sie sind sich nicht nur der spezifischen Form des Qualitätskonstrukts an Hochschulen,
sondern auch der spezifischen Operationsweise der Organisation und den unterschiedlichen
Handlungskontexten der Akteure bewusst und erkennen, in welchen Kontexten welche
Handlungsstrategien erfolgversprechender sind. Sie gehen grundsätzlich davon aus, dass
Steuerungsversuche ins Leere laufen können, dass sie nicht automatisch dazu führen, die
intendierten Effekte herbeizuführen und dass sie ggf. nicht-intendierte Effekte produzieren
können. Zweitens führt dies zu einem veränderten Rollenbild der Akteurinnen und Akteure,
das sich in einem Paradigmenwechsel von der Kontrolle zum Service ausdrückt. Dabei ste-
hen die Anregung und Moderation von Diskussions- und Reflexionsprozessen (mit unge-
wissem Ausgang), die Beeinflussung von Rahmenbedingungen und das Setzen von Impulsen
im Vordergrund. Und drittens ist mit einer kontext-sensiblen Haltung die Bereitschaft der
Akteurinnen und Akteure verbunden, eigene Ziele, Vorstellungen und Agenden auf der
Grundlage der Auseinandersetzung mit andern Perspektiven anzupassen – und zwar nicht
nur kosmetisch, sondern ggf. ganz grundsätzlich. Das kann sich beispielsweise darin ausdrü-
cken, dass sich die Idee, feste, einheitliche Ziele und Standards formulieren zu wollen, da-
hingehend verändert, sich nur auf einige wenige gemeinsame Vorgaben zu verständigen und
eine hohe Elastizität in der Ausgestaltung zu tolerieren. QM-Instrumente und Anforderun-
gen erfahren dadurch eine flexible und spielerische Anwendung bzw. Umsetzung.
Mit Blick auf die Wirksamkeit und Wirkung von QM trägt eine kontext-sensible Haltung
gleichsam optimistische wie pessimistische Elemente in sich. Denn Steuerungsinterventio-
nen können, müssen aber nicht gelingen (Wirksamkeit); und sie können dazu führen, die
intendierten Effekte zu erreichen, sie können ihre Ziele aber auch verfehlen bzw. nicht-in-
tendierte Effekte produzieren (Wirkung). In Abgrenzung zur optimistischen und pessimisti-
schen Haltung setzt Kontext-Sensibilität jedoch auf völlig andere, offene, flexible und spie-
lerische Beobachtungs- und Interventionsstrategien.
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