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Kontakt: noemi.kasteler@unifr.ch; christoph.mueller2@unifr.ch
Abstract
Die vorliegende Pilotstudie untersuchte den Zusammenhang
zwischen verschiedenen Aggressionserfahrungen und der
sprachlichen Schlagfertigkeit von Jugendlichen. Entgegen der
Hypothesen ging eine erhöhte Schlagfertigkeit mit mehr eigener
physischer und verbaler Aggression gegenüber Anderen einher.
Weiter bestand kein Zusammenhang zwischen Schlagfertigkeit
und Opfererfahrungen.
Sprachliche Schlagfertigkeit und Aggressionserfahrungen
bei Jugendlichen
Noemi Kasteler, Linda Immler, Andrea Frei & Christoph Michael Müller
Universität Freiburg / Schweiz
Diskussion
Es konnte kein Zusammenhang zwischen sprachlicher Schlagfertigkeit
und Opfererfahrungen nachgewiesen werden. Schlagfertig zu sein,
scheint also nicht generell vor Opfererfahrungen zu schützen. Die
Ergebnisse zeigen weiter, dass je sprachlich schlagfertiger eine
Person ist, desto eher zeigt sie selbst physische und verbale
Aggression. Sprachlich schlagfertige Jugendliche scheinen sich also
nicht nur gut verbal verteidigen zu können, sondern auch selbst
aggressives Verhalten zu zeigen. Ob verbale und physische
Aggression als zusätzliche Reaktion auf einen verbalen Angriff gezeigt
wird oder unabhängig davon auftritt, kann hier nicht beantwortet
werden.
Generell ist zu erwarten, dass Persönlichkeitseigenschaften und
Kontextbedingungen den Zusammenhang zwischen Schlagfertigkeit
und eigenem aggressiven Verhalten moderieren (s.a. Hample, 2005;
Miller & Roloff, 2014).
Die ersten Befunde dieser Studie legen nahe, dass sog. „Schlag-
fertigkeitstrainings“ für Kinder und Jugendliche differenziert hinsichtlich
möglicher positiver und negativer Konsequenzen geprüft werden
sollten.
Ergebnisse
Die Korrelationsberechnungen zeigten entgegen Hypothese 1 keinen
Zusammenhang zwischen Schlagfertigkeit und Opferstatus. Entgegen
Hypothese 2 ging eine höhere Schlagfertigkeit mit mehr Täter-
erfahrungen einher (s. Tab. 1).
Einleitung
Jugendliche mit Sprachproblemen zeigen oft erhöhte Raten
aggressiven Verhaltens. Gleichzeitig werden sie selbst häufiger
Opfer von Aggressionen anderer Personen (Furlong et al.,
2004; Horowit et al., 2005; Martin & Anderson, 1996; von
Grünigen et al., 2008; Werner et al., 2006). Dies wird durch die
geringe Kompetenz erklärt, Konflikte sprachlich zu lösen und
Bedürfnisse angemessen ausdrücken zu können (Crick &
Dodge, 1994; van Reemst, Fischer & Zwirs, 2016).
Weiter konnte gezeigt werden, dass beim Lösen von Konflikten
Strategien wie Humor, aber auch eine kooperative Sprache und
Ironie, hilfreich sind (Hample, 2005; Norrick & Spitz, 2006;
Schwitalla, 2016; Taylor, 2014).
Ein Teilbereich der sprachlichen Mittel in Konflikten ist hingegen
wenig untersucht: Die sprachliche Schlagfertigkeit. Dieses
Alltagskonstrukt wurde in der vorliegenden Studie basierend auf
theoretischen Überlegungen und Fragebogenerhebungen, wie
in Abbildung 1 dargestellt, definiert. Es wurde erwartet, dass die
Fähigkeit, schlagfertig auf einen verbalen Angriff antworten zu
können, zu einer Abwendung des Angriffs führt. Dies reduziert
das Risiko, zum Opfer von Aggression zu werden oder selbst
aggressiv zu handeln (s.a. Hettiger, 2007).
Hypothese 1: Je schlagfertiger eine Person ist, desto geringer
die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer von Aggression zu werden.
Hypothese 2: Je schlagfertiger eine Person ist, desto geringer
die Wahrscheinlichkeit, selbst aggressives Verhalten zu zeigen.
Messinstrumente
Aggressionserfahrungen: Es wurden Peernominationen zu Opfer- und
Tätererfahrungen verbaler und physischer Aggression eingesetzt (s.
Tab. 1).
Sprachliche Schlagfertigkeit: Die wahrgenommene Schlagfertigkeit
wurde mit Hilfe von Peernominationen erfasst (s. Tab. 1). Den
Teilnehmenden wurden zuvor die Kriterien für Schlagfertigkeit aus
Abbildung 1 erläutert und mehrere Beispiele für schlagfertige
Antworten gegeben. Die Angaben aus den Peernominationen
korrelierten mit r=.43 (p<.01) mit einer Selbstauskunftsskala zu
Schlagfertigkeit (6 Items, α=.76).
Peernomination „Wer in deiner Klasse
ist besonders schlagfertig?“
Peernomination „Wer in deiner Klasse wird
von anderen beleidigt oder beschimpft?“ -0.029
Peernomination „Wer in deiner Klasse wird
von anderen geschlagen oder getreten?“ 0.050
Peernomination „Wer in deiner Klasse
schlägt oder tritt andere?“ 0.447**
Peernomination „Wer in deiner Klasse
beleidigt oder beschimpft andere?" 0.552**
**.Die Korrelation ist auf dem Niveau p<.01 signifikant.
Tabelle 1. Spearman-Korrelationen zwischen sprachlicher Schlagfertigkeit und
physischen und verbalen Aggressionserfahrungen (n=194)
Methode
Stichprobe
Die hier analysierte Stichprobe umfasste n=194 Jugendliche
aus 12 Schulklassen im Kanton Bern (7. – 9. Klassen aus drei
Regelbildungsgängen). Die ̈Teilnehmenden waren zwischen 10
und 17 Jahren alt (M=14.3; SD=1.1). Die Verteilung der
Geschlechter war ausgeglichen (49.0% Mädchen). Rund 51%
der Teilnehmenden sprachen zu Hause Deutsch und weitere
Sprachen, 29% nur Deutsch und 18% kein Deutsch.
Abbildung 1. Arbeitsmodell zur sprachlichen Schlagfertigkeit
Auslösen eines
unangenehmen
Zustands
Auflösen eines
unangenehmen
Zustands
Schlagfertige
Antwort
-schnell
-situativ passend
-überraschend
Verbaler
Angriff
Individuelle & kontextuelle Einflussfaktoren