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reportpsychologie ‹41› 10|2016
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Internetnutzung im Alter
Diffusion, Alltagsrelevanz und
Kompetenzvermittlung
Alexander Seifert und Michael Doh
woge
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Zitation: Seifert, A. & Doh, M. (2016). Internetnutzung im Alter – Diffusion, Alltagsrelevanz und
Kompetenzvermittlung. Report Psychologie, 41(10), 394-402.
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Einleitung
Moderne Gesellschaften befinden sich derzeit in einem
weitreichenden Transformationsprozess, der neben Glo-
balisierungstendenzen vor allem durch zwei Entwick-
lungslinien gekennzeichnet ist: erstens einen demografi-
schen Wandel, der mit immer mehr älteren Menschen
einhergeht, die noch älter werden, wobei gleichzeitig auf-
grund niedriger Geburtenraten der Anteil an jüngeren
Menschen abnimmt – ein Prozess, den Tews (1977) be-
reits vor fast vier Jahrzehnten als »dreifaches Altern« be-
zeichnet hat. Diese »Gerontologisierung des Alltags« ist
also keineswegs neu, jedoch ist sie erst heute auf gesell-
schaftlicher Ebene so sichtbar und allgegenwärtig ge-
worden, dass sie nicht mehr ignoriert werden kann.
Zweitens geht es um Wandlungsprozesse in Richtung ei-
ner »Mediatisierung des Alltags«, die durch eine sehr
hohe technische Innovations- und Diffusionsdynamik in
der Nutzung von Informations- und Kommunikations-
technologien (IKT) gekennzeichnet ist (vgl. Hepp & Krotz,
2014). Dies hat zur Folge, dass zunehmend auch ältere
Kohorten mit »digitalen Welten« konfrontiert werden.
Die Digitalisierung, die sich aktuell durch Schlüsselme-
dien wie das Internet und mobile Technologien wie Tab-
let-PCs und Smartphones ausdrückt, bietet für das Alter
vielfältige Ressourcen für Autonomie, Mobilität und Par-
tizipation. Gleichzeitig bedingt die Mediatisierung des
Alltags einen »Umweltdruck« für ältere Menschen, sich
mit technisierten Umwelten – wie zum Beispiel Bankau-
tomaten, Fahrkartenschaltern – auseinandersetzen zu
müssen. Damit zusammenhängend besteht die Gefahr,
»abgehängt« und ausgegrenzt zu werden – eine »digitale
Exklusion«, die das Gefühl von Obsoleszenz verstärkt.
Dieses Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken
will der Beitrag aufzeigen. Hierzu werden vorrangig ei-
gene Befunde aus repräsentativen Forschungsdaten aus
der Schweiz und Deutschland zur Nutzung von IKT im Al-
ter vorgestellt. Darüber hinaus werden speziell für das In-
ternet die Potenziale für das Alter beschrieben und Wege
zur Technik- und Medienkompetenz im Alter aufgezeigt.
Als Grundlage dienen Ergebnisse aus der repräsentati-
ven Schweizer Studie von 2009 und 2014 zur Internet-
nutzung von Personen ab 65 Jahren (je ca. N = 1000)
von Seifert und Schelling (2010, 2015) sowie ausgewählte
Vergleichsdaten aus dem (N)Onliner-Atlas aus Deutsch-
land von 2002 bis 2014 (TNS Emnid, jeweils N = 30 000
bis 50 000, 14 bis 99 Jahre). Der vorliegende Beitrag ver-
steht sich als vergleichende Zusammenfassung (de-
skriptive Beschreibung) bestehender Forschungsergeb-
nisse der beiden Länder und Autoren.
Die Diffusion von technischen Innovationen
Technische Innovationen werden nicht sofort und von
allen Personen adaptiert, in der Regel kommt es eher zu
einer sukzessiven Diffusion. Einer der wichtigsten theo-
retischen Bezugspunkte ist die Diffusionstheorie von
Rogers (1962 [2003]). Er definiert Diffusion als »process
in which an innovation is communicated through cer-
tain channels over time among the members of a social
system« (2003, S. 5). Damit besitzt die Diffusion einen
prozesshaften Charakter. Bei der Technikakzeptanz einer
Innovation geht es nicht nur um die Unterscheidung
»adoption versus non adoption«, sondern auch um den
Zeitaspekt: »early versus late adoption« (Dutton, Rogers
& Jun, 1987, S. 228).
Um die Personengruppen hinsichtlich ihrer Innovations-
bereitschaft und ihrer konkreten Adoption einer neuen
Technik zu klassifizieren, wurden von Rogers (2003) fünf
Typen gebildet. Demzufolge werden zunächst neue tech-
nische Produkte von zwei kleineren Personengruppen
eingeführt: von den »Innovatoren« und den »Early Adop-
ters«. Danach folgen mit der »Early Majority« und der
»Late Majority« zwei größere Personengruppen, bis zu-
letzt die Nachzügler, die »Laggards«, übrig bleiben. Für
die Zuteilung der Adoptionstypen spielen soziodemo-
grafische Merkmale wie Bildungs- und Einkommenssta-
tus sowie Persönlichkeitsdispositionen wie Offenheit und
Neurotizismus eine große Rolle. Frühe Adoptierer verfü-
gen über ein höheres Einkommen, einen höheren Bil-
dungsstand, sind offener gegenüber Neuem und emo-
tional stabiler als späte Adoptierer. Interessant ist, dass
hinsichtlich des Merkmals »Alter« zwischen den frühen
und späten Adoptoren nicht immer ein Altersunterschied
besteht (vgl. Rogers, 2003, S. 288; Mahajan, Muller & Sri-
vastava, 1990). Jedoch kann eine bisherige Techniker-
fahrung (Techniksozialisation) eine Adoption neuer tech-
nischer Geräte erleichtern (vgl. Sackmann & Weymann,
1994). Wie schnell sich eine Innovation ausbreitet, ist
nach Rogers (2003) von fünf Produkteigenschaften ab-
hängig: von relativer Vorteilhaftigkeit, von Kompatibili-
tät, von Komplexität, von Beobachtbarkeit und von Prüf-
barkeit. Mit zunehmendem Alter wird es schwieriger, »für
Innovationen einen komparativen Vorteil zu erzielen,
und je mehr Neuheiten den eingelebten Gewohnheiten
zuwiderlaufen, desto komplexer werden sie wahrge-
nommen. Auch nimmt der Effekt der Beobachtbarkeit
mit zunehmendem Alter ab. Wichtiger dagegen werden
mit zunehmendem Alter die Aspekte Prüfbarkeit und
Bewährung.« (Claßen et al., 2014, S. 91) Demzufolge ist
bei älteren Menschen eine gewisse Zurückhaltung ge-
genüber Innovationen erklärbar, weshalb ältere Men-
schen speziell in Bezug auf IKT seltener zu den »Early
Adopters« zählen.
Gerontologische Aspekte zur Techniknutzung
Ältere Menschen sind keineswegs gegenüber techno-
logischen Innovationen verschlossen (vgl. Claßen et al.,
2014). Dies belegen auch aktuelle Befunde aus der
Schweizer Studie von 2014 (Seifert & Schelling, 2015),
wonach bei den Personen ab 65 Jahren eine breite
Mehrheit den technisierten Alltag akzeptiert (58 Pro-
zent stimmten zu: »Ein Leben ohne technische Geräte
kann ich mir nicht mehr vorstellen«) und mehr als ein
Drittel an neuen technischen Dinge grundsätzlich sehr
interessiert ist. Gleichwohl werden Vorbehalte einge-
räumt, zum Beispiel aufgrund der schwierigen Bedie-
nung (41 Prozent stimmten zu: »Die Bedienung moder-
ner technischer Geräte ist für mich schwierig«).
Die Gründe für die Zurückhaltung älterer Menschen
gegenüber IKT sind vielfältig. Hierfür lassen sich neben
altersbezogenen auch produkt- und umweltbezogene
Aspekte ins Feld führen. Im Alter kann sich die körper-
liche Funktionsfähigkeit verändern und die Nutzung
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von Technik eingeschränkt beziehungsweise erschwert
sein (vgl. Claßen et al., 2014). So können altersbedingte
sensomotorische Beeinträchtigungen (z.B. Seh- oder
Höreinbußen oder taktile Einschränkungen) oder ko-
gnitive Einschränkungen zum Beispiel die Nutzung des
Computers beeinträchtigen (vgl. Kaduszkiewicz et al.,
2014; Schmidt et al., 2015). Wird die Lerndynamik bei
Menschen berücksichtigt, bedeuten die technologi-
schen Veränderungen nicht nur ein »Neuerlernen« im
Alter, sondern ein »Erlernen« unter erschwerten kogni-
tiven und sensomotorischen Bedingungen. Dies führt
dazu, dass neue Verhaltensweisen zeitintensiv neu er-
lernt und eingeübt werden müssen. Damit verbunden
sind oftmals psychologische Barrieren wie fehlende Mo-
tivation und Selbstwirksamkeitserwartung, ein negatives
Altersbild und Gefühle wie Obsoleszenz (»die moderne
Welt ist mir fremd«).
Darüber hinaus können auch ökonomische und soziale
Ressourcen eine Rolle spielen, wenn zum Beispiel ein In-
ternetanschluss aufgrund geringer finanzieller Mittel
nicht finanziert werden kann oder wenn keine motiva-
tionale und technische Unterstützung im sozialen Umfeld
vorhanden ist – zum Beispiel Freunde und Enkelkinder,
die einen an technische Innovationen heranführen und
bei Problemen helfen können (vgl. Doh et al., 2015).
Neben den möglichen altersbedingten Beeinträchti-
gungen sollte beim Thema »Technikakzeptanz« auch
die biografische Technikerfahrung berücksichtigt wer-
den. Da jede Generation mit unterschiedlichen techni-
schen Geräten groß geworden ist beziehungsweise so-
zialisiert wurde, können – je nach Geburtskohorte – ver-
schiedene Technikgenerationen voneinander unter-
schieden werden. Sackmann und Weymann (1994) un-
terscheiden hierbei die frühtechnische Generation (Per-
sonen, die vor 1939 geboren wurden), die Generation
der Haushaltsrevolution (geboren 1939–1948), die Ge-
neration der zunehmenden Haushaltstechnik (geboren
1949–1963) sowie die Computergeneration (geboren
1964–1980). In einer neueren Studie konnten Sackmann
und Winkler (2013) empirisch bestätigen, dass sich eine
neue Technikgeneration entwickelt hat, die sogenannte
»Internetgeneration« (geboren nach 1980). Heutige äl-
tere Menschen wurden eher durch analoge Massen-
medien wie Fernseher und Radio in ihrer Jugend sozia-
lisiert. Sie haben den Computer oder das Mobiltelefon
erst als Erwachsene kennengelernt.1So ist es dann auch
nachvollziehbar, dass Personen aus der Generation der
Haushaltsrevolution deutlich seltener als Personen aus
Computergeneration und noch seltener als Personen aus
der Internetgeneration das Internet nutzen (siehe Er-
gebnisse aus der Schweiz und Deutschland weiter un-
ten). Doch gilt es zu bedenken, dass es innerhalb sol-
cher Technikgenerationen eine große Spannbreite an In-
novationsbereitschaft sowie Technikakzeptanz und
-nutzung gibt. So zeigt auch die Diffusionsforschung zu
IKT im Alter ein breites »digitales Spektrum« (vgl. Len-
hart & Horrigan, 2003).
Diese Zusammenstellung empirischer Befunde zur Tech-
niknutzung und -akzeptanz älterer Menschen werden
von den etablierten theoretischen Konzepten und Mo-
dellen nur unzureichend erfasst. Das Technik-Akzep-
tanz-Modell von Davis und Vankatesh (vgl. Davis, 1989;
Vankatesh & Davis, 2000) betont bei einer generellen
Technikakzeptanz zwei elementare Faktoren, die eine
Akzeptanz neuer Technik beeinflussen: Nützlichkeit und
Leichtigkeit der Bedienung. Diese beiden Faktoren be-
einflussen die Einstellung gegenüber einer Technik, und
diese wiederum begünstig eine Akzeptanz beziehungs-
weise eine Nutzung der Technik. Auch für ältere Men-
schen gelten diese beiden zentralen Faktoren; in diesem
Sinne nutzt eine ältere Person zum Beispiel den Com-
puter, wenn dieser als nützlich und leicht zu bedienen
bewertet wird (vgl. Claßen et al. 2014). Doch wie oben
aufgezeigt spielen neben solch produktbezogenen psy-
chologischen Kriterien im Alter besonders umweltun-
terstützende Faktoren eine große Rolle. Nägle und
Schmidt (2012) erweiterten daher in ihrer »Unified
Theory of Acceptance and Usage of Technology«
(UTAUT) das TA-Modell um zwei Umweltfaktoren: »so-
zialer Einfluss«, im Sinne wie ich über mein soziales Um-
feld Zuspruch zur Nutzung neuer Technologien erfahre,
und »begünstigende Rahmenbedingungen«, im Sinne
von infrastrukturellen und organisatorischen Möglich-
keiten für einen (schnellen) Zugang zum Internet. Al-
lerdings greifen diese Aspekte zu kurz, da bedeutsame
Umweltfaktoren wie technische und soziale Unterstüt-
zung altersbezogene Faktoren wie Gesundheit, subjek-
tives Alter sowie psychologische Faktoren wie Selbst-
wirksamkeitserwartung und Technikeinstellung ausge-
blendet bleiben.
Verbreitung des Internets und Einflussfaktoren
der Internetnutzung im Alter
Die Nutzung des Internets älterer Menschen hat seit den
1990er-Jahren sowohl in der Schweiz als auch in Deutsch-
land kontinuierlich zugenommen. Doch bestehen wei-
terhin große Unterschiede zu den jüngeren Altersgruppen.
Nutzen in Deutschland etwa 84 Prozent der 16- bis 74-Jäh-
rigen das Internet, sind es nur 53 Prozent in der Alters-
gruppe von 65 bis 74 Jahren (Schweiz: 90 Prozent zu 62
Prozent; vgl. Eurosstat, 2014). Bei den Onliner-Zahlen in-
nerhalb der Altersgruppe der Personen ab 65 Jahren lie-
gen die Schweiz und Deutschland zwar über dem euro-
päischen Durchschnitt, aber doch hinter der Spitzen-
gruppe aus den skandinavischen Ländern und den Nie-
derlanden (vgl. Eurostat, 2014). Die in der Schweiz und
Deutschland zu beobachtende generelle Zunahme der In-
ternetnutzung über die Jahre hinweg kann auch in ande-
ren europäischen Ländern konstatiert werden; jedoch ist
hier auch weiterhin eine »digitale Spaltung« zwischen den
Altersgruppen festzustellen (ebd.; vgl. Lengsfeld, 2011).
Der direkte Vergleich mit der 2009 durchgeführten ers-
ten Befragungsstudie in der Schweiz zum Thema »Inter-
netnutzung im Alter« (Schelling & Seifert, 2010) zeigt, dass
sich die Internetnutzung in den vergangenen fünf Jahren
auch bei der Bevölkerungsgruppe der 65-Jährigen und
Älteren weiter verbreitet hat. Waren es 2009 noch 38
Prozent der Befragten, die angaben, das Internet zu nut-
zen, sind es nun 56 Prozent (Altersgruppe: 65 bis 100
Jahre). Dennoch ist auch weiterhin eine Kluft zwischen
den Generationen der unter und über 65-Jährigen fest-
zustellen. Diese Nutzungsunterschiede zeigen sich auch
Autoren
Alexander Seifert
Diplom-Sozialpädagoge und
Soziologe, M. A., wissen-
schaftlicher Mitarbeiter am
Zentrum für Gerontologie
und am universitären
Forschungsschwerpunkt
(UFSP) »Dynamik Gesunden
Alterns« der Universität
Zürich
Dr. Michael Doh
Gerontologe,
wissenschaftlicher
Mitarbeiter am
Psychologischen Institut
der Universität Heidelberg
Kontakt
Alexander Seifert
Universität Zürich
Zentrum für Gerontologie
Pestalozzistraße 24
8032 Zürich
Schweiz
Ealexander.seifert@zfg.uzh.ch
www.zfg.uzh.ch
Dr. Michael Doh
Universität Heidelberg
Psychologisches Institut
Abteilung für Psychologische
Alternsforschung
Bergheimer Str. 20
69115 Heidelberg
Emichael.doh@psychologie. -
uni-heidelberg.de
www.psychologie.uni-
heidelberg.de/ae/apa
1Prensky (2001)
bezeichnet diese älteren
Technikgenerationen als
»digitale Immigranten« – im
Gegensatz zu der
technikaffinen jüngeren
Technikgenerationen,
die er »digitale Eingeborene«
nennt.
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zwischen den Altersgruppen der Älteren selbst: Während
es nur 13 Prozent Onliner unter den Personen ab 85 Jah-
ren gibt, sind es bei den befragten 65- bis 69-Jährigen im-
merhin 79 Prozent. Frauen sind zu 46 Prozent Onliner,
Männer zu 68 Prozent.
In der multivariaten Analyse der Schweizer Daten zeigte
sich, dass das kalendarische Alter allein die Nutzung
des Internets nicht erklären kann, auch wenn das Alter
isoliert betrachtet einen hohen statistischen Erklärungs-
wert besitzt. Vielmehr profitiert die Nutzung des Inter-
nets sowohl von sozioökonomischen als auch von ge-
sundheitlichen und sozialen Ressourcen. Neben Res-
sourcen im engeren Sinn bestimmen auch die persönli-
che Technikaffinität und -bewertung das tatsächliche
Nutzungsverhalten. Die Wahrscheinlichkeit einer Inter-
netnutzung ist also höher, wenn hinreichende Ressour-
cen (Bildung, Einkommen, Gesundheit, Technikkompe-
tenz, Zuraten aus dem sozialen Umfeld) vorhanden sind
und eine Affinität zu Technik sowie eine positive Ein-
stellung zum Internet und zu dessen Nutzung – im Sinne
von »die Nutzung ist nützlich und leicht« – bestehen.
Das Internet hat auch unter den älteren Menschen in
Deutschland eine enorme Verbreitung gefunden. Wäh-
rend 1998 erst ein Prozent der Personen ab 60 Jahren zu
den Onlinern zählten, waren es 2014 bereits 45 Prozent
– dies entspricht mehr als neun Millionen Personen (vgl.
van Eimeren & Frees, 2014). Dennoch besteht weiterhin
eine große digitale Kluft zwischen den Altersgruppen,
wie eigene Analysen aus dem (N)Onliner-Atlas zeigen:
Während 2014 95 Prozent der 14- bis 49-Jährigen das In-
ternet nutzen, sind es bei den 80- bis 89-Jährigen le-
diglich 15 Prozent. Gleichwohl gab es in den vergange-
nen Jahren hohe Zuwachsraten bei den älteren Men-
schen, insbesondere unter den »jungen Alten«. So stieg
zwischen 2002 und 2014 in der Altersgruppe von 60 bis
69 Jahren die Diffusionsrate von 14 Prozent um 51 Pro-
zentpunkte auf 65 Prozent – so sehr wie in keiner an-
deren Altersgruppe. Doch gründen diese Zuwächse
mehr auf dem Nachwachsen jüngerer, technikerfahrener
Altersgruppen in das Alterssegment ab 60 Jahren, wäh-
rend die Erschließung neuer Zielgruppen, vor allem der
bildungsfernen älteren Menschen, nicht wirklich voran-
gekommen ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang
auch der Befund, dass mit zunehmendem Lebensalter
zusätzlich auch die Bedeutung soziodemografischer Dis-
tinktionsmerkmale im Sinne eines komplexen Kohor-
teneffekts für die Nutzung der IKT ansteigt (Stichwort:
Feminisierung, Singularisierung). So liegt das Diffusi-
onsniveau bei den Männern ab 60 Jahren mit hohem Bil-
dungs- und Einkommensstatus, die nicht allein lebend in
den alten Bundesländern wohnen, bei 88 Prozent, bei
den Frauen ab 60 Jahren mit niedrigem Bildungs- und
Einkommensstatus, die allein lebend in den neuen Bun-
desländern wohnen, beträgt es nur sechs Prozent.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es in
Deutschland und in der Schweiz nicht nur eine digitale
Kluft zwischen Alt und Jung gibt, sondern ebenso zwi-
schen den älteren Personengruppen. Demzufolge lassen
sich unter den älteren Menschen folgende Personen-
gruppen als besonders technikdistant und technikun-
erfahren identifizieren (vgl. Claßen et al., 2014; Doh,
2011a/2011b; Seifert & Schelling, 2015): hochaltrige, allein
lebende Personen, Frauen und ältere Personen mit nied-
rigem Bildungs- und Einkommensniveau.
Diese manifest bestehenden sozioökonomischen Un-
terschiede in der Verbreitung und Nutzung von IKT und
speziell des Internets finden sich global. Wird die digi-
tale Spaltung weltweit vorwiegend durch die Faktoren
»Einkommen« und »Bildung« definiert, spielt in Europa
das Alter eine größere Rolle, da hier Einkommens- und
Bildungsunterschiede nicht so stark ausfallen. Brandt-
zæg, Heim und Karahasanovi (2011) konstatierten in ei-
ner europäischen Untersuchung das Merkmal »Alter« als
den heute wichtigsten »Vorhersager« für die Internet-
nutzung innerhalb Europas. Lengsfeld kommt bei seiner
Analyse von Daten aus dem European Social Survey zur
gleichen Schlussfolgerung: »Age groups do represent
fault lines of the digital divide with in many countries.«
(Lengsfeld, 2011, S. 149)
Nutzung des Internets
Befragte Personen der Schweizer Studie, die 2014 das In-
ternet nutzen, tun dies zu 52 Prozent täglich, zu 31 Pro-
zent mehrmals pro Woche und zu 17 Prozent seltener. Die
Nutzung erfolgt mehrheitlich zu Hause, jedoch gibt be-
reits ein Drittel der Onliner an, das Internet auch unter-
wegs (mit Smartphone oder Tablet-Computer) zu nutzen.
Bevorzugt werden allgemeine Funktionen wie E-Mails
schreiben, Informationen suchen oder Fahrpläne abfra-
gen. Weniger genutzt beziehungsweise weniger interes-
sant sind spezifische Anwendungen wie Multimediain-
halte, soziale Netzwerke oder der Verkauf von Waren.
Von Onlinern wurden an aktuellen Schwierigkeiten bei
der Nutzung des Internets besonders häufig genannt: Si-
cherheitsbedenken (56 Prozent), Angst vor technischen
Problemen (24 Prozent) und geringe Glaubwürdigkeit
von Informationen im Internet (23 Prozent). Am häu-
figsten gaben Offliner diese Gründe für die Nichtnut-
zung des Internets an: Kompliziertheit der Benutzung
(70 Prozent), Sicherheitsbedenken (64 Prozent) und zu
hoher Aufwand beim Erlernen (63 Prozent).
Das Internet als Ressource bei der
Alltagsbewältigung
Das Thema »Technik und Alter« kann ambivalent be-
trachtet werden: Auf der einen Seite erschweren alters-
bedingte Einschränkungen die Techniknutzung. Auf der
anderen Seite ermöglichen es technische Assistenzen, al-
tersbedinge Beeinträchtigungen abzufedern. Cutler for-
muliert daher eine zweiseitige Beziehung zwischen einer
Altersdiskriminierung (»ageism«) und neuen Technolo-
gien: »Technology may be considered as having the po-
tential to affect ageism – both by fostering the perpe-
tuation of ageism and by acting as a force contributing
to the weakening of ageist views.« (Cutler, 2005, S. 67)
Der Einsatz von Technik zur Erleichterung des Alltags wird
heute kaum mehr hinterfragt, und die Auswahl neuer
technischer Geräte wird stetig größer (vgl. Claßen et al.,
2014, S. 93). Assistierende Techniken spielen eine zu-
nehmende Rolle bei der Unterstützung und Bewältigung
des täglichen Lebens von älteren Menschen (vgl. Kruse,
1994). Schulz und Kollegen formulieren die Funktionen
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von Technik im Alter dabei wie folgt: »Technology can be
helpful by maintaining functioning, independence, and
motivating engagement with important life goals.«
(Schulz et al., 2014, S. 9)
Eine gute Passung von Person und Umwelt ist ein »zen-
traler Faktor für hohes Wohlbefinden und lange Selb-
ständigkeit im Alter« (Höpflinger & van Wezemael 2014,
S. 20). Diese Passung kann beispielsweise durch assis-
tierende technische Hilfsmittel gefördert werden. Sind
die betroffenen Personen zum Beispiel in ihrer Mobili-
tät und Selbstständigkeit eingeschränkt, können assis-
tierende Techniken oder Kommunikationsmedien wie
das Internet die Interaktion und Integration mit der
sozialen Umwelt aufrechterhalten.
Speziell das Internet bietet vielfältige Unterstützungs-
möglichkeiten für ein aktives und selbstbestimmtes Al-
tern (vgl. Erickson & Johnson, 2011). Czaja und Lee for-
mulierten hierzu eine passende Zusammenfassung: »For
those who are frail, isolated, or have some type of mo-
bility restrictions, such as a significant number of older
persons, access to the Web holds the promise of en-
hancing independence by providing link ages to goods
and resources, facilitating communication, and enhan-
cing the ability to perform routine tasks such as banking
and shopping.« (Czaja & Lee, 2003, S. 129)
Das Internet eröffnet daher »vielfältige Möglichkeiten,
ungewollte Isolation zu vermeiden und Kontakte auch
über große Entfernungen und bei eingeschränkter Mo-
bilität aufrechtzuerhalten oder neu zu knüpfen« (Mol-
lenkopf, 2012, S. 224).
Es kann festgestellt werden, dass das Internet in zahl-
reichen Lebensbereichen eine kompensierende bezie-
hungsweise unterstützende Rolle spielen kann. Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien wie das
Internet stehen dem älteren Menschen daher nicht nur
im Wege, vielmehr können die IKT-Produkte ein »Tor
zur Welt« (Kocka & Staudinger, 2009, S. 77) und ein Fo-
rum für den sozialen Austausch (soziale Teilhabe) sein
(vgl. Mollenkopf & Hampel, 1994).
Mit den vorliegenden Daten aus der Schweiz kann auf-
zeigt werden, dass die befragten Personen das Internet
als Ressource für die Aufrechterhaltung der eigenen
Selbstständigkeit ansehen. Einen direkten Nutzen des
Internets sehen 47 Prozent der befragten Personen zum
Beispiel darin, den Kontakt zu anderen Menschen auf-
rechtzuerhalten. 56 Prozent sehen ihn darin, dass das
Internet viel »Lauferei« erspart. Onliner stimmen diesen
direkten Nutzenbereichen jeweils stärker zu als Offliner:
63 Prozent der Onliner stimmen beispielsweise der Aus-
sage zur »Lauferei« zu, aber nur 43 Prozent der Offliner.
Neben dem direkten Nutzen kann das Internet auch in-
direkte (distale) Funktionen erfüllen. Von den befragten
Personen stimmen 43 Prozent der Aussage »Das Inter-
net ermöglicht es mir, im Alter länger selbstständig zu
bleiben« eher oder völlig zu. Auch hier ist der Anteil der
Zustimmung bei den Onlinern höher als bei den Offli-
nern. Dennoch zeigt das Antwortverhalten, dass das In-
ternet von beiden Gruppen grundsätzlich als Ressource
wahrgenommen wird. Auch weitere Aussagen zur Ver-
wendung des Internets für bestimmte Bereiche des Le-
bens (Einfluss auf das eigene Leben, Sicherheit im Le-
ben, Freiheit in der Gestaltung des eigenen Lebens)
werden von mindestens 25 Prozent aller befragten Per-
sonen als zutreffend bewertet.
Mit der aktuellen Einschätzung der eigenen Selbststän-
digkeit (Spearman r = .074, p = .013) und Gesundheit
(Spearman r = .068, p = .019) korreliert die Aussage
»Das Internet ermöglicht es mir, im Alter länger selbst-
ständig zu bleiben« zwar signifikant, aber mit schwa-
chen Effektgrößen. Ein direkter Zusammenhang zwi-
schen der Internetnutzung und der Gesundheit bezie-
hungsweise Selbstständigkeit kann daher mit den
Schweizer Daten nicht eindeutig bestätigt werden.
Vermittlung von Technik- und
Internetkompetenzen
Sackmann und Winkler (2013) betonen, dass zwar der
Computer von einigen älteren Bevölkerungsgruppen be-
reits akzeptiert und eingesetzt wird, aber das Internet als
Anwendung von vielen älteren Menschen noch nicht ge-
nutzt wird. Hieraus ergibt sich eine »existence of first and
second-level digital divides of current older technology
generations« (Sackmann & Winkler, 2013, S. 501). Somit
wird zwar der Computer vielleicht für das Schreiben ei-
nes Briefes genutzt, aber weniger das Internet. Des Wei-
teren macht die Unterscheidung von Sackmann und
Winkler (2013) darauf aufmerksam, dass zwischen dem
Zugang und der intensiven Nutzung eine große Brand-
breite liegt und nicht nur Wissen im Hinblick auf den
Umgang mit der Hardware nötig ist, sondern auch Wis-
sen in Bezug auf den richtigen Umgang mit der Anwen-
dung selbst. Zur Überwindung dieses digitalen Grabens
sind daher nicht nur Computerkompetenzen, sondern
auch Internetkompetenzen notwendig. In diesem Sinne
braucht es eine geragogische Medienkompetenz, um
zum Beispiel das sichere Surfen im Netz zu erlernen.
In der Schweizer Studie gaben 2014 27 Prozent der be-
fragten älteren Personen an, sie hätten bereits einmal ei-
nen Kurs beziehungsweise eine Schulung zum Erlernen
des Internets besucht. Bei den Onlinern sind es 39 Prozent
und bei den Offlinern immerhin acht Prozent. Die gene-
rell geringe Anzahl an Personen, die bereits eine Schulung
besucht hat, unterstreicht die hohe Alltagsrelevanz infor-
mellen Lernens im Alter. Ältere Menschen bringen sich
den Umgang mit IKT und dem Internet überwiegend au-
todidaktisch und mit Hilfe ihres sozialen Umfelds bei.
Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen aus ei-
ner deutschen Initiative zu »Senioren-Technik-Bot-
schaftern«. Hierzu wurden in Deutschland techniker-
fahrene ältere Menschen als Wissensvermittler für tech-
nikunerfahrene und technikdistante ältere Menschen im
Umgang mit der IKT qualifiziert und eingesetzt. Die
zwölfmonatige Förderung vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) startete Ende 2013 in
zehn Bundesländern und umfasste 18 Teilprojekte. Im
Verlauf konnten mehr als 300 Botschafter etwa 1500 No-
vizen schulen – wobei die meisten Teilprojekte noch ak-
tuell weiterlaufen. Der Schwerpunkt lag auf Bildungs-
angeboten für mobile Endgeräte wie Laptops, Tablets
und Smartphones. Eine Spezifität dieser Initiative war
die Verknüpfung von formalen Bildungsangeboten wie
Kursen mit informellen Lernsettings wie Sprechstunden,
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Informationstreffs, Stammtischen und Hausbesuchen.
In dem begleitenden Forschungsprojekt FUTA (Förderli-
che und hinderliche Faktoren im Umgang mit IKT im Al-
ter) (Doh et al., 2015) konnten bedeutsame Faktoren für
ein »gutes Lernen« herausgearbeitet werden, die sich mit
Befunden aus der Lernforschung und Geragogik decken
(vgl. Kim, 2008; Leipold, 2012; Martin & Kliegl, 2014):
1) Lernsettings, die individuelle Bedürfnisse,
Wünsche und Kompetenzen berücksichtigen,
2) Kleingruppen, die ein angepasstes Lerntempo
mit intensiver Betreuung durch Tandems und
Tutoren ermöglichen,
3) ausreichend Raum für Übungen und
Wiederholungen bieten,
4) Handreichungen an Unterrichtsmaterialien in
Papierform und digital als USB-Stick bereitstellen und
5) formale Bildungsangebote, die durch
informelle Unterstützungsangebote ergänzt werden.
Hinzu kommen zwei weitere förderliche Faktoren (vgl.
Doh et al., 2015): mobile Endgeräte und die Altersähn-
lichkeit zwischen Lehrer und Lernenden.
■ Mobile Computer wie Laptops, Tablets und Smart-
phones bieten völlig neue Potenziale im Bildungssektor,
denn die mobile Nutzung dieser Geräte erlaubt es den
Lernenden, ihre eigenen Geräte in das Lernsetting mit-
zunehmen. Dadurch entsteht eine schnellere Vertrautheit
mit dem Computer. Zudem können die Geräte nach den
persönlichen Bedürfnissen eingestellt werden, was oftmals
mit fremden Geräten in den Bildungseinrichtungen nicht
möglich ist. Eine weitere Barriere entfällt, wenn im Kurs
und zu Hause nicht mehr mit unterschiedlichen Produk-
ten, Betriebssystemen oder einer anderen Software gear-
beitet werden muss. So wurde in den Gruppengesprächen
beklagt, dass im Unterricht Erlerntes zu Hause nicht um-
gesetzt werden konnte. Durch die Mitnahme des eigenen
Geräts wird ein Lerntransfer zwischen öffentlichem und
privatem Lernsetting gestärkt. Auch können technische
Probleme am eigenen Gerät im öffentlichen Lernsetting
direkt gelöst werden. Innerhalb der untersuchten mobi-
len Endgeräte offenbart das Tablet spezifische Vorteile in
Bezug auf die Benutzerfreundlichkeit und Gebrauchs-
tauglichkeit. All diese Aspekte stützen die Annahme, dass
sie den Lernprozess und damit auch die Selbstwirksamkeit
im Umgang mit der IKT begünstigen. Doch für die Über-
prüfung dieser Annahmen fehlen noch Testungen zur
Performanz und zum Lernerfolg.
■ Des Weiteren bietet die Altersähnlichkeit zwischen
Lehrer und Lernenden spezifische Vorteile. So werden die
älteren Botschafter als positives Rollenmodell (Modell-
lernen) wahrgenommen. Sie besitzen eine gemeinsame
Sprache und stehen »auf Augenhöhe«. Die Botschafter
bringen mehr Verständnis für die Probleme der älteren
Novizen auf, und die Novizen haben weniger Hemmun-
gen, Fragen zu stellen. Diese Vorteile schaffen zwar eine
günstige Lernatmosphäre, doch fanden sich keine Hin-
weise auf einen erhöhten Lernerfolg. Ob jemand ein ho-
hes oder niedriges Ausmaß an Selbstwirksamkeit auf-
weist, hat keinen Einfluss darauf, ob er ein höheres oder
niedrigeres Ausmaß an Vorteilen in der Altersähnlichkeit
zwischen Botschafter und Novizen wahrnimmt. Die Vor-
teile einer Altersähnlichkeit zwischen Botschafter und
Novizen lassen sich folglich als eine spezifische soziale,
emotionale und motivationale Ressource interpretieren.
Diese angeführten Faktoren stellen günstige Rahmenbe-
dingungen dar, um älteren Menschen an moderne Tech-
nik heranzuführen, sie mit der digitalen Welt vertraut zu
machen und sie in ihren Medien- und letztlich auch in ih-
ren Alltagskompetenzen zu fördern und zu stärken. Der
starke Zuspruch an Teilnehmern innerhalb der Initiative
belegt, welch großer Bedarf an solchen neuen und er-
weiterten Lern- und Bildungsangeboten besteht.
Zusammenfassender Vergleich zwischen
Deutschland und der Schweiz
Die Verbreitung des Internets unter Menschen liegt in
Deutschland wie auch in der Schweiz über dem EU-
Durchschnitt. Doch bestehen zu den führenden skan-
dinavischen Ländern große Abstände. In beiden Län-
dern gab es zwischen 2009 und 2014 unter den älteren
Menschen überdurchschnittliche Zugewinne an On-
linern – besonders unter den jungen Alten (65–74
Jahre). Dennoch besteht weiterhin eine große Kluft zu
den jungen Altersgruppen. Länderunabhängig beste-
hen in den soziodemografischen Merkmalen wie Alter,
Bildung, Haushaltseinkommen und Haushaltsgröße re-
levante Determinanten zur Adoption des Internets. An-
hand der Befragungsdaten aus der Schweiz kann zu-
sätzlich gezeigt werden, dass auch Faktoren wie sub-
jektive Gesundheitsbewertung, Technikaffinität, Tech-
nikbiografie und eine aktive Internetnutzung des sozia-
len Umfelds bedeutsam für die eigene Internetnutzung
sind. Die Ergebnisse aus der Schweiz zeigen zudem, dass
das Internet von den befragten älteren Menschen auch
als Ressource für die Alltagsbewältigung bewertet wird;
dennoch können heutige Informations- und Kommuni-
kationstechnologien nur eine Opportunitätsstruktur
schaffen, inwieweit diese für eine Alltagsbewältigung
genutzt werden, hängt dann von der individuellen Be-
wertung der Nützlichkeit ab. Für beide Länder gilt aber:
Um älteren »Offlinern« die Chance und Möglichkeit zur
digitalen Inklusion zu geben, bedarf es der Förderung
niedrigschwelliger Zugänge, zum Beispiel durch Peer-to-
Peer-Ansätze und durch informelle Bildungsangebote
etwa im direkten Wohnumfeld.
Ausblick
Es kann davon ausgegangen werden, dass das Thema
»Nutzung von modernen Technologien im Alter« auch in
Zukunft nicht an Bedeutung verlieren wird. Individuell
stellt sich für jeden einzelnen älteren Menschen weiter-
hin die Frage, ob neue technische Dinge das Leben im
Alter wirklich erleichtern oder keinen zusätzlichen Nut-
zen bringen. Gesellschaftlich gewinnt das Thema an Re-
levanz, wenn durch die fortwährende Technologisie-
rung des Alltags gewisse Personengruppen aus der ge-
sellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden, weil sie
die neuen Technologien nicht nutzen können oder wol-
len. Die Gefahr der sozialen Exklusion sollte vermieden
und eine gesellschaftspolitische Sensibilisierung für das
Thema unterstützt werden.
Für allfällige sozialpolitische Interventionsmaßnahmen
zur Überwindung des digitalen Grabens ist es wichtig, die
reportfachwissenschaftlicherteil
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reportpsychologie ‹41› 10|2016
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ältere Person nicht als »die alte Person« wahrzunehmen,
die sich grundsätzlich nicht für Technik interessiert. Viel-
mehr sollte die Gruppe der älteren Menschen als hete-
rogene Gruppe wahrgenommen werden, in der es un-
terschiedliche Ressourcen, Wünsche und Einstellungen
hinsichtlich der Techniknutzung gibt. Ziel jeder Inter-
ventionsmaßnahme muss es daher sein, diese individua-
lisierte Sichtweise zu berücksichtigen und jede einzelne
Person dort abzuholen, wo sie sich befindet. Es hat sich
als hilfreich erwiesen, dass sich neben einer generellen
Sensibilisierung der Gesellschaft für die Probleme älterer
Menschen beim Zugang zu neuen Technologien vor al-
lem das individuelle Lernsetting als Interventionsmaß-
nahme bewährt hat. Gerade in Kleingruppen oder Peer-
to-Peer-Lernumgebungen kann eine nutzenorientierte
und individuelle Schulung erfolgen. Darüber hinaus muss
auch die Anbieterseite von neuen Technologien für das
Thema sensibilisiert sein und ihre Geräte oder Internet-
angebote altersberücksichtigend gestalten.
Abschließend muss betont werden, dass die gewollte
Nichtnutzung des Internets durch ältere Personengrup-
pen akzeptiert werden sollte; es sollte vermieden wer-
den, dass sich Offliner von der Gesellschaft ausge-
schlossen fühlen. Grundsätzlich sollten Alternativzu-
gänge zu Informationen und Dienstleistungen (z.B. der
klassische Bank- oder Bahnschalter) erhalten bleiben.
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LITERATUR
Our everyday life is becoming increasingly filled with
digital content. Right now, we are already living in a
world where we use the internet on a daily basis and
our smartphones are at hand at any given time.
However, what we quickly overlook when dealing
with technical development and distribution is the
fact that not all groups in our societies have equal
access to these new technologies, such as a computer
or the internet. In particular, older people use the
internet less than the younger generation does. Aside
from describing groups of people who are offline and
online, the article attempts to show the newest
insights into the internet usage of older people.
Additionally, it tries to elaborate the question of the
everyday relevance and the knowledge transfer of
technical and media skills.
A B S T R A C T
Unser Alltag füllt sich immer mehr mit digitalen Inhal-
ten, und wir leben heute in einer Gesellschaft, in der
das Internet täglich genutzt und das Smartphone
schnell zur Hand genommen wird. Was bei der Be-
trachtung der Technikentwicklung und -verbreitung
aber oftmals vernachlässigt wird, ist die Tatsache, dass
nicht alle Personengruppen einen Zugang zu neuen
Technologien wie zum Beispiel dem Computer oder
dem Internet haben. Gerade ältere Personen nutzen
auch heute noch weniger das Internet, als dies jünge-
re Personen tun. Der vorliegende Beitrag versucht, die
neusten Erkenntnisse zur Internetnutzung im Alter
darzustellen und neben der Beschreibung der On- und
Offliner auch auf die Frage der Alltagsrelevanz und
Vermittlung von Technik- und Medienkompetenz ein-
zugehen.
ZUSAMMENFASSUNG
394_402_FAC-r10-2016.qxp_394_402_FAC-r10-2016 21.09.16 11:37 Seite 402