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Die ersten Blassynthesizer - Neue Puzzleteile aus den USA

Authors:

Abstract

Schon Benjamin F. Miessner konstruierte eine elektroakustische Klarinette mit Klangfarbenfilter und lies sich diese 1936 in den USA patentieren. Dieses Instrument kann als ältester Vorgänger der Blassynthesizer gesehen werden. Unter dem Begriff Blassynthesizer bzw. elektronisches Blasinstrument werden jene Instrumente zusammengefasst, deren Spielweise mit der herkömmlicher Blasinstrumente vergleichbar ist, wobei die Klangerzeugung vollelektronisch analog oder digital geschieht. Die älteste belegte Quelle für ein elektronisches Blasinstrument ist das US-Patent 2,301,184 (Arnold 1941) betreffend eine Klarinette mit eingebautem elektronischen Tongenerator. Leo F. J. Arnold entwickelte für sein Instrument ein Mundstück mit eingebautem Ein/Aus-Schalter, der durch den Anblasstrom betätigt wird. Dieser aktiviert den Tongenerator, die Lautstärke muss aber noch über den Lippendruck geregelt werden. Die ersten bekannten Blaswandler, die eine stufenlose Steuerung der Lautstärke ermöglichten, wurden in den 1950er Jahren in Frankreich und Deutschland entwickelt. Georges Jenny meldete ab 1951 Patente für Blaswandler in den USA, Frankreich und Deutschland an und Ernst Zacharias baute ab 1956 Prototypen für elektronische Blasinstrumente. (Swoboda 2015) Diese Entwicklungen führten 1967 zur Fertigstellung der Hohner Electra-Melodica, des ersten kommerziell ver- triebenen Blassynthesizers (Reuter/Voigt 2009). Während die Electra-Melodica ab 1967 in Deutschland erhältlich war, dürfte eines der ersten in den USA kommerziell vertrie- benen Instrumente das Computone Lyricon (Bernardi/Noble 1971) gewesen sein, welches 1971 als Patent an- gemeldet wurde. Über die Frühgeschichte der Blassynthe- sizer in den USA ist bisher jedoch wenig bekannt. Die Ergebnisse der aktuellen Recherche fügen dem Puzzle der Entstehungsgeschichte der elektronischen Blasinstrumente in den USA nun folgende neue Teile hinzu: Die Idee des luftstromgesteuerten Ein/Aus-Schalters von Arnold (1941) wurde für elektromechanische und elektronische Musikinstrumente in Mundharmonika-Form weiter- entwickelt (Williams 1947, Williams 1951, Workman 1943, Kenworthy 1955, Smith 1961). Diese besitzen separate, über Blas- und Saugluft steuerbare, Ein/Aus-Schalter für jede Tonhöhe. Auch eine elektronische Posaune mit Ein/Aus-Schalter im Mundstück und über den Zug einstellbarer Tonhöhe wurde in den USA durch ein Patent geschützt (Watson/Risely 1965). Das erste aufgefundene US-Patent für einen Blaswandler mit stufenloser Lautstärkeregelung wurde 1959 von Herbert M. Neustadt angemeldet. Er verwendet in seiner Schaltung einen druckempfindlichen Kondensator, um über den Blasdruck nicht nur die Lautstärke, sondern gleichzeitig auch Klangfarbe und Tonhöhe zu modulieren. In einem weiteren Patent (Goodale 1965) werden zwei Blaswandler be- schrieben, die über variable Widerstände (Thermistor und Potentiometer) die Lautstärke regeln. Edmund E. Goodale’s Konstruktion mit einem temperaturempfindlichen Wider- stand (Thermistor) ist außerdem ein System mit Leckluft. Dadurch wird, wie auch bei den Blaswandlern von Jenny (1965) und Zacharias (1965) aus dem selben Jahr, ein relativ natürliches Spielgefühl erzeugt.
Timeline zur Entstehung der elektronischen
Blasinstrumente (USA, DEU, FRA)
1936
USA
Miessner
: Patent betreffend elektroakustische Klarinette mit
elektronischem
Klangfarbenfilter.
1941
USA
Arnold: Patent betreffend elektronische
Klarinette mit Ein/Aus
-Blaswandler.
1943
USA
Workman: Patent betreffend
elektromechanische
Mundharmonika
mit Ein/Aus-Blaswandler.
1947/51
USA
Williams: Patent betreffend elektromechanische
Mundharmonika
mit Ein/Aus-Blaswandler.
1951ff
FRA
Jenny: Patente betreffend
stufenlose Blaswandler.
1951
DEU
Hohner
: Registrierung der Wortmarke Electra Melodica“.
1955
USA
Kenworthy
: Patent betreffend Controller in Mund-
harmonika
-Form mit Ein/Aus-Blaswandler.
1956ff
DEU
Zacharias: Prototypen für elektronische
Blasinstrumente
mit
stufenlosen Blaswandlern.
1959
USA
Neustadt: Patent betreffend
stufenlosen Blaswandler.
1961
USA
Smith: Patent betreffend Controller in
Mundharmonika-
Form mit
Ein/Aus-Blaswandler.
1965
USA
Goodale
: Patent betreffend elektronisches
Blasinstrument mit
stufenlosem Blaswandler.
1965
USA
Watson: Patent betreffend elektronische Posaune
mit Ein/Aus
-Blaswandler oder Mikrofon.
1965
DEU
Jenny/
Hohner: Patent betreffend stufenlosen Blaswandler.
1965
DEU
Zacharias/
Hohner: Patent betreffend stufenlosen Blaswandler.
1967
DEU
Zacharias/
Hohner: Electra-Melodica mit stufenlosem Blaswandler.
1967
DEU
Zacharias: Electra
-Clarina mit stufenlosem Blaswandler.
1967
JPN
Tokai
Gakki: Pianix (elektronische Melodika) mit stufenlosem Blaswandler.
1970ff
USA
Fritz: Prototypen für Controller (
Ocarina-ähnlich) mit stufenlosem Blaswandler.
1971
USA
Noble/
Bernardi/Comuptone: Lyricon (elektronische Klarinette) mit stufenlosem Blaswandler.
1972ff
USA
Steiner: Prototypen für elektronische Blasinstrumente mit stufenlosem
Blaswandler.
1975
DEU
Martin:
Martinetta (Melodika-ähnlich) mit stufenlosem Blaswandler (Impulsformung).
1975
USA
Steiner/Parker: EVI (elektronische Trompete) mit stufenlosem Blaswandler.
1977
USA
Fritz:
The Stealth (Controller) mit stufenlosem Blaswandler.
1979
DEU
Realton
: Variophon (Melodika-ähnlich) mit stufenlosem
Blaswandler
(Impulsformung).
1979ff
DEU
Zacharias: Electra
-Melodica-80
mit
stufenlosem Blaswandler.
Ergebnisse
Schon Benjamin F. Miessner konstruierte eine elektro-
akustische Klarinette mit Klangfarbenfilter und lies sich
diese 1936 in den USA patentieren. Dieses Instrument
kann als ältester Vorgänger der Blassynthesizer gesehen
werden. Unter dem Begriff Blassynthesizer bzw. elek-
tronisches Blasinstrument werden jene Instrumente zu-
sammengefasst, deren Spielweise mit der herkömmlicher
Blasinstrumente vergleichbar ist, wobei die Klangerzeu-
gung vollelektronisch analog oder digital geschieht. Die
älteste belegte Quelle für ein elektronisches Blasinstru-
ment ist das US-Patent 2,301,184 (Arnold 1941) betreffend
eine Klarinette mit eingebautem elektronischen Tongenera-
tor. Leo F. J. Arnold entwickelte für sein Instrument ein
Mundstück mit eingebautem Ein/Aus-Schalter, der durch
den Anblasstrom betätigt wird. Dieser aktiviert den
Tongenerator, die Lautstärke muss aber noch über den
Lippendruck geregelt werden. Die ersten bekannten Blas-
wandler, die eine stufenlose Steuerung der Lautstärke
ermöglichten, wurden in den 1950er Jahren in Frankreich
und Deutschland entwickelt. Georges Jenny meldete ab
1951 Patente für Blaswandler in den USA, Frankreich und
Deutschland an und Ernst Zacharias baute ab 1956
Prototypen für elektronische Blasinstrumente. (Swoboda
2015) Diese Entwicklungen führten 1967 zur Fertigstellung
der Hohner Electra-Melodica, des ersten kommerziell ver-
triebenen Blassynthesizers (Reuter/Voigt 2009). Während
die Electra-Melodica ab 1967 in Deutschland erhältlich war,
dürfte eines der ersten in den USA kommerziell vertrie-
benen Instrumente das Computone Lyricon (Bernardi/
Noble 1971) gewesen sein, welches 1971 als Patent an-
gemeldet wurde. Über die Frühgeschichte der Blassynthe-
sizer in den USA ist bisher jedoch wenig bekannt.
Hintergrund
Fragestellung und Vorgehensweise
Ziel der aktuellen Recherche war es, die Lücke zwischen
der elektronischen Klarinette von Arnold (1941) und dem
Lyricon von Bernardi und Noble (1971) zu schließen. Über
die Datenbank des Deutschen Patent- und Markenamtes
(DEPATISnet) wurde ausgehend von diesen ältesten bisher
bekannten US-Patenten versucht weitere zusammen-
hängende Erfindungen aus den USA zu identifizieren.
Zusammenfassung
Nach der Auswertung der Suchergebnisse können dem
Puzzle der Entstehungsgeschichte der elektronischen
Blasinstrumente in den USA nun folgende neue Teile
hinzugefügt werden:
Die Idee des luftstromgesteuerten Ein/Aus-Schalters von
Arnold (1941) wurde für elektromechanische und elektro-
nische Musikinstrumente in Mundharmonika-Form weiter-
entwickelt (Williams 1947, Williams 1951, Workman 1943,
Kenworthy 1955, Smith 1961). Diese besitzen separate,
über Blas- und Saugluft steuerbare, Ein/Aus-Schalter für
jede Tonhöhe. Auch eine elektronische Posaune mit
Ein/Aus-Schalter im Mundstück und über den Zug ein-
stellbarer Tonhöhe wurde in den USA durch ein Patent
geschützt (Watson/Risely 1965).
Das erste aufgefundene US-Patent für einen Blaswandler
mit stufenloser Lautstärkeregelung wurde 1959 von Herbert
M. Neustadt angemeldet. Er verwendet in seiner Schaltung
einen druckempfindlichen Kondensator, um über den Blas-
druck nicht nur die Lautstärke, sondern gleichzeitig auch
Klangfarbe und Tonhöhe zu modulieren. In einem weiteren
Patent (Goodale 1965) werden zwei Blaswandler be-
schrieben, die über variable Widerstände (Thermistor und
Potentiometer) die Lautstärke regeln. Edmund E. Goodale's
Konstruktion mit einem temperaturempfindlichen Wider-
stand (Thermistor) ist außerdem ein System mit Leckluft.
Dadurch wird, wie auch bei den Blaswandlern von Jenny
(1965) und Zacharias (1965) aus dem selben Jahr, ein
relativ natürliches Spielgefühl erzeugt.
Neustadt 1959
Goodale 1965
Miessner
1936
Die ersten Blassynthesizer
Neue Puzzleteile aus den USA
Andreas Swoboda
Institut für Musikwissenschaft
Universität Wien
Jahrestagung 2016
Universität Wien
9.-11. September 2016
Zacharias
1965
Noble/Bernardi 1971
Lyricon
Smith
1961
Workman 1943
Electra-
Melodica
Williams 1947
PATENTE
Arnold, L. F. J. (1941/42): Electrical clarinet, L. F. J.Arnold, US2301184.
Bernardi, W. A. / Noble, R. R. (1971/73): Electronic musical instrument, Computone Inc,
US3767833.
Goodale, E. E. (1965/69): Volume control apparatus for a single-tone electronic musical
instrument, Gen Electric, US3439106.
Jenny, Georges (1951/56): Elektronen-Musikinstrument, G. Jenny, DE944649.
Jenny, Georges (1965/66): Pneumatische Steuerung für einen Lautstärkeregler eines
elektronischen Musikinstruments, Matthias Hohner AG, DE1227320.
Kenworthy, E. H. (1955/56): Breath operated switch for musical instruments, E. H.
Kenworthy, US2774834.
Miessner, B. F. (1936/38), Apparatus for the production of music, Miessner Inventions Inc,
US2138500.
Neustadt, H. M. (1959/65): Breath controlled electronic musical instrument, H. M. Neustadt,
US3166622.
Smith, G. P. (1961/64): Musical control device, G. P. Smith, US3143027.
Watson, W. K. R. / R. E. Risely (1965/69): Musical instrument, Astrodata Inc, US3456062.
Williams, A. O. (1947/48): Musical instrument, A. O. Williams, US2455032.
Williams, A. O. (1951/55): Electronic musical instrument, A. O. Williams, US2715348.
Workman, E. R. (1943/49): Musical instrument, E. R. Workmann, US2475168.
Zacharias, Ernst (1965/67): Spielhilfe für ein Musikinstrument mit einem Generator für
elektrische Schwingungen, Matthias Hohner AG, DE1241244.
LITERATUR
Cole, R. (1998). The Electronic Valve Instrument: Nyle Steiner's Unique Musical Innovation.
Ph.D. Dissertation, University of Washington.
Reuter, C. / Voigt, W. (2009): „50 Jahre Blassynthesizer: Die Electra-Melodica und ihre
Entstehung“, in: Aughagen, W. / Bu.lerjahn, C. / Höge, H. (Hrsg.), Musikpsychologie
Musikalisches Gedächtnis musikalisches Lernen, Bd. 20, S. 236-242- Göttingen: Hogrefe.
Swoboda, A. (2015): Die Electra-Melodica und die Entstehung der Blassynthesizer -
elektroakustische Aerophone und elektronische Blasinstrumente, Masterarbeit, Institut für
Musikwissenschaft, Universität Wien.
ONLINE
DEPATISnet, Datenbank des Patent- und Markenamts der Bundesrepublik Deutschland,
https://depatisnet.dpma.de, letzter Zugriff: 23.04.2016.
The Electronic Sound-House, Ian Fritz, http://ijfritz.byethost4.com/Stealth/st_over.htm,
letzter Zugriff: 25.07.2016.
Quellen
Arnold
1941
Jenny
1951
Zacharias 1956
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Article
Thesis (D. Mus. Arts)--University of Washington, 1998. Vita. Includes bibliographical references (leaves [65]-73).
Apparatus for the production of music
  • B F Miessner
Miessner, B. F. (1936/38), Apparatus for the production of music, Miessner Inventions Inc, US2138500.
Datenbank des Patent-und Markenamts der Bundesrepublik Deutschland
  • Online Depatisnet
ONLINE DEPATISnet, Datenbank des Patent-und Markenamts der Bundesrepublik Deutschland, https://depatisnet.dpma.de, letzter Zugriff: 23.04.2016.
Die Electra-Melodica und die Entstehung der Blassynthesizer elektroakustische Aerophone und elektronische Blasinstrumente
  • A Swoboda
Swoboda, A. (2015): Die Electra-Melodica und die Entstehung der Blassynthesizer elektroakustische Aerophone und elektronische Blasinstrumente, Masterarbeit, Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien.
Breath controlled electronic musical instrument
  • H M Neustadt
Neustadt, H. M. (1959/65): Breath controlled electronic musical instrument, H. M. Neustadt, US3166622.
/69): Volume control apparatus for a single-tone electronic musical instrument
  • E E Goodale
Goodale, E. E. (1965/69): Volume control apparatus for a single-tone electronic musical instrument, Gen Electric, US3439106.
/56): Breath operated switch for musical instruments
  • E H E H Kenworthy
  • Kenworthy
Kenworthy, E. H. (1955/56): Breath operated switch for musical instruments, E. H. Kenworthy, US2774834.
Spielhilfe für ein Musikinstrument mit einem Generator für elektrische Schwingungen
  • Ernst Zacharias
Zacharias, Ernst (1965/67): Spielhilfe für ein Musikinstrument mit einem Generator für elektrische Schwingungen, Matthias Hohner AG, DE1241244.