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Martin Ebner, Anja Lorenz, Sandra Schön, Andreas Wittke
Offene Lizenzen als Treiber für neuartige Kooperationen
und Innovationen in der Bildung
Zusammenfassung
Offene Lizenzen erlauben nicht nur die Nutzung, sondern auch die Modifi kation
von Texten, Programmen und Bildern – oder eben auch von Bildungsressourcen,
die als „offene Bildungsressourcen“ derzeit große Aufmerksamkeit erhalten
(Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2015). In diesem Beitrag wer-
den die unmittelbaren Folgen der offen Lizenzierung, nämlich die damit ver-
bundenen weiträumigen Nutzungsmöglichkeit, dargestellt und demonstriert, dass
die offenen Lizenzen auch als ein Treiber für Kooperationen und Innovationen
in der Bildung betrachtet werden können. Die Produktion und Nutzung der
offenen Bildungsressourcen unterscheidet sich von traditionellen, proprietären
Arbeits- und Produktionsweisen u. a. in Bezug auf Finanzierung, Entwicklung,
Qualitätssicherung und Nutzung. Anhand der Rolle von OER für Open
Educational Practice und mehreren Projekten (L3T 2.0, „Gratis Online Lernen“,
dem Schulbuch-O-Mat-Projekt, dem MOOChub sowie COER16) wird dies dar-
gestellt.
1 Offene Lizenzen und offene Bildungsressourcen (OER)
OER hat sich in den letzten Jahren, auch im deutschsprachigen Raum, als
Abkürzung für Open Educational Resources etabliert. Darunter werden
Materialien für Lernende und Lehrende verstanden, welche kostenlos im Web
zugänglich sind und über eine entsprechende Lizenzierung zur Verwendung und
auch zur Modifi kation freigegeben sind (Geser 2007; Mruck et al. 2011). In den
letzten Jahren wird darüber hinaus davon ausgegangen, dass die Lizenzen sog.
„offene“ bzw. „freie“ Lizenzen sein müssen (vgl. UNESCO, 2012). Auch wenn
es durchaus noch weitere Lizenzmodelle gibt, hat sich das sogenannte Creative-
Commons-Lizenzmodell etabliert, wobei nicht alle Lizenzen die eben genannten
Bedingungen der Offenheit erfüllen (vgl. Ebner u. a., 2015). Wird der Defi nition
von Offenheit der Open Knowledge Foundation Deutschland (o. J.) gefolgt,
trifft dies nur für die Lizenzvarianten „CC BY“ bzw. „CC BY-SA“ zu, und bei-
spielsweise nicht für Lizenzmodelle, bei denen die Veränderung ausgeschlossen
wird (CC BY-ND). Auch gemeinfreie Ressourcen bzw. solche, die mit Hilfe von
CC0 als gemeinfrei veröffentlicht worden sind, entsprechen den Anforderungen
Erschienen in: Digitale Medien: Zusammenarbeit in der Bildung (2016). Wachtler, J., Ebner, M., Gröblinger, O.
Kopp, M., Bratengeyer, E., Steinbacher, H.-P., Freisleben-Teutscher, C., Kapper, C. (Ed.). Waxmann Verlag,
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der Defi nition. Ausgeschlossen sind auch Lizenzmodelle, die Einschränkungen
in der Nachnutzung zur Folge haben, beispielsweise bei denen die kommerzi-
elle Nutzung verhindert werden soll (CC BY-NC, CC BY-NC-SA, vgl. auch
Klimpel, 2012).
Offene Bildungsressourcen nach dieser Defi nition sind also kostenlos nutz-
bar und modifi zierbar – damit sind sie auch einfach in ganz unterschiedli-
chen Bildungskontexten und -szenarien einsetzbar. Das an sich ist als eine
Innovation zu werten, setzt ja das Urheberrecht im deutschsprachigen Europa
teils deutliche Grenzen bei den Einsatzmöglichkeiten von herkömmlichen, pro-
prietären Bildungsressourcen. Gleichzeitig verändern OER auch maßgeblich die
Spielregeln und tradierten Vorgehensweisen der Entwicklung und Nutzung von
Bildungsmaterialien, so unsere Hypothese für diesen Beitrag. Wir zeigen, wie in
unterschiedlichen Beispielen rund um OER ganz neuartige Kooperationen und
auch Innovationen entstehen, bei denen die offene Lizenzierung maßgeblich ist.
2 Vorgehen und Fragestellung
Offene Lizenzen ermöglichen nicht nur die Nutzung und Modifi kation von Lern-
und Lehrmedien, sondern können auch die Basis für höchst ungewöhnliche
Kooperationen und Innovationen sein, wie sie (derzeit) nicht in proprietär umge-
setzten Projekten, z.B. bei Verlagen, möglich erscheinen. Die Auswahl der nach-
folgend dargestellten Projekte ist dabei so gewählt, dass ganz unterschiedliche
Aspekte rund um Kooperation und/oder Innovation dargestellt werden. Bei der
Präsentation wird begründet, warum offene Lizenzen mit- oder maßgeblich ver-
antwortlich für Kooperation und Innovation sind. Zunächst werden wir jedoch
eine kurze Übersicht über das traditionelle Geschäfts- und Nutzungsmodell von
Bildungsressourcen sowie den Begriff der Innovation geben.
3 Traditionelles Geschäfts- und Nutzungsmodell von
Bildungsressourcen und damit verbundene Kooperationen
als mögliche Innovationsfelder
Das traditionelle Geschäfts- und Nutzungsmodell für Bildungsressourcen unter-
scheidet sich in den Bildungssektoren, da im deutschsprachigen Europa die
Lehrmittelfreiheit in Schulen dafür sorgt, dass neben den Eltern auch andere
für die Finanzierung der Ressourcen aufkommen. Dennoch sind wesentliche
Parameter ähnlich. In der Regel wird die Erstellung von Bildungsressourcen
durch Verlage vorfi nanziert, indem Kosten für Autor/innen sowie weitere
Beteiligte bis zum Vertrieb übernommen werden. Im Hochschulbereich werden
i.d.R. etablierte Expertinnen und Experten mit dem Schreiben eines Lehrwerks
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Offene Lizenzen als Treiber für neuartige Kooperationen und Innovationen
beauftragt, das diese dann mit anderen gemeinsam konzipieren und sich auch
um eine Begutachtung (Peer Review) bemühen. Das Layout und Lektorat
obliegt dann in der Regel dem Verlag, welcher sich auch um das Marketing
und den Vertrieb der Bücher kümmert. Die Bücher können im Rahmen von
Lehrveranstaltungen (nur) unter bestimmten Voraussetzungen genutzt wer-
den, z.B. wenn die Studierenden die Lehrwerke kaufen oder sog. Privatkopien
anfertigen. Weitaus mehr Bildungsressourcen im Hochschulkontext entstehen
auf Initiative der Lehrenden und werden häufi g als Kopiervorlage, oder auch
im Lernmanagementsystem oder sonstigen Webseiten zur Verfügung gestellt und
können dann von anderen im Rahmen der Privatnutzung bzw. im Rahmen des
Zitatrechts in der Lehre eingesetzt werden.
Abb. 1: Entwicklung und Nutzung von Bildungsressourcen, eigene Darstellung.
Durch die offene Lizenzierung von OER entstehen nicht nur weiterge-
hend nutzbare Ressourcen, sondern auch neuartige Kooperationen und inno-
vative Entwicklungen. Im Rahmen einer engeren betriebswirtschaftlichen
Perspektive wird unter Innovation eine neuartige Entwicklung verstanden, die
auch marktwirtschaftlichen Erfolg hat, d.h. verkauft wird. In einem breite-
ren Verständnis werden unter Innovationen auch Erneuerungen verstanden, die
eine Verbesserung darstellen. So beschreiben Howaldt und Schwarz (2010) eine
„soziale Innovation“ als „Neukonfi guration sozialer Praktiken in bestimmten
Handlungsfeldern (…), mit dem Ziel, Probleme oder Bedürfnisse besser zu lösen
bzw. zu befriedigen, als dies auf der Grundlage etablierter Praktiken möglich
ist“ (Howaldt & Schwarz 2010, S. 89). Es ist noch nicht hinreichend geklärt,
ob die im Folgenden dargestellten Verfahren der Entwicklung und Nutzung von
Bildungsressourcen einem solchen Verständnis einer „Verbesserung“ entspricht –
neuartige Veränderung und Entwicklung sind es aber in jedem Fall.
(Vor-)
Finanzierung
Qualitäts-
sicherung
(Re-)
Finanzierung
Erstellung Vertrieb und
Marketing Nutzung
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4 Neuartige Kooperationen und Innovationen: Ausgewählte
Aspekte und Beispiele
Im folgenden Abschnitt möchten wir anhand einzelner, allgemeiner Aspekte und
konkreter Projekte unsere eingangs aufgestellte These belegen, dass die offene
Lizenzierung von Bildungsressourcen neuartige Kooperationen und Innovationen
ermöglicht.
4.1 OER als Grundlage für offene Bildungspraktiken (Open
Educational Practices)
Die Diskussion und Entwicklung von offenen Bildungsressourcen war von
Anfang an, also seit Beginn der 2000er Jahre, eine Debatte um die Mög lich-
keiten offener Bildung, d.h. um Lernszenarien, bei denen Lernende Lernziele
und Lernorganisation (mit-)bestimmen und (mit-)gestalten können (vgl.
Geser, 2007). Solche offene Bildungspraktiken wie die (E-)Portfolio methode,
Projekt- und Gruppenarbeit ist zum einen auf (im Internet) zugängliche offene
Ressourcen angewiesen, zum anderen ermöglicht die Lizenzierung auch die
Modifi kation der Ressourcen, d.h. Lernende können mit Hilfe von OER beste-
hende Ressourcen weiterentwickeln und im Internet veröffentlichen bzw. im
Internet mit anderen vernetzt weiterentwickeln. Die Nutzung der Ressourcen ist
im Falle von OER also breit angelegt und ermöglicht nicht nur den Lehrenden
Nutzungsmöglichkeiten, sondern auch den Lernenden.
Die Verbindung von Open Educational Practices und OER ist nicht zwangsläu-
fi g, d.h. OER führen nicht per se zu partizipativen, offenen Lernszenarien, kön-
nen diese aber unterstützen (vgl. Lane & McAndrew, 2010; Lane & van Dorp,
2011).
4.2 L3T 2.0: Im Massen-Booksprint zum offenen Lehrbuch
Hinter L3T verbirgt sich das „Lehrbuch für Lernen und Lehren mit
Technologien“, das im Frühjahr 2011 online geschaltet wurde. Mehr als 130
Autorinnen und Autoren hatten sich an dem Vorhaben beteiligt, erstmals ein frei
zugängliches und verwendbares Lehrbuch für das dynamische, interdisziplinäre
Fachgebiet des technologiegestützten Lernens zu schreiben (Ebner & Schön,
2011). Wie es gelang, die Mitmacher/innen zusammenzubringen und in welcher
Weise es rund um die PDF-Version des Buches weitere Ergänzungen zum ehren-
amtlichen Projekt, beispielsweise Apps, gab, wurde dabei ausführlich beschrie-
ben (vgl. Alimucaj, 2012). Inzwischen gibt es das Lehrbuch in einer zweiten,
völlig überarbeiteten Aufl age (Ebner & Schön, 2013) und diese zweite Aufl age
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Offene Lizenzen als Treiber für neuartige Kooperationen und Innovationen
entstand unter spannenden Rahmenbedingungen. In nur sieben Werktagen
wurde das Lehrbuch im Projekt „L3T 2.0“ in Form eines Booksprint kom-
plett überarbeitet und erweitert (vgl. Ebner u. a., 2014). Beim Booksprint, der
in der Veröffentlichung des Werkes als pdf-, html- und epub-Version sowie der
Printversion im Buchhandel erfolgreich endete, haben 220 Personen mitgemacht.
Diese arbeiteten virtuell zusammen, zahlreiche Rollen und Aufgaben wur-
den verteilt und koordiniert, mit neun L3T-Camps, davon acht in E-Learning-
Einrichtungen in Deutschland gab es auch Möglichkeiten zum gemein samen
Arbeiten im physischen Raum. Die Gastgeber der L3T-Camps, u. a. das MMKH,
die FU Berlin und e-teaching.org, waren schon eng in die Vorbereitung ein-
gebunden, ohne dass eine entsprechende Finanzierung aus Projektmitteln
möglich schien. Die Lust am Neuen, am gemeinsamen Erproben neuartiger
Zusammenarbeit sowie die Schaffung einer offenen Bildungsressource mit gro-
ßem Nutzen für die deutschsprachige E-Learning-Landschaft schien hier maß-
geblich. Auch für die vielen Einzelpersonen war die Erstellung von offen lizen-
zierten Materialien wichtig, so die Antworten bei der Befragung der Mitmacher/
innen (vgl. Hübner & Schön, 2014). Mehr als die Hälfte geben an „von Anfang
an bereit gewesen zu sein, die eigene Arbeit unter einer offenen Lizenz zu veröf-
fentlichen“, bei den drei Fragen rund um die Lizenz wählten mehr als ein Drittel
die Option „weiß nicht“. Diese wurde in der Evaluation so interpretiert, dass für
etliche die Frage der Lizenz nicht ausschlaggebend für die Beteiligung war; eine
Frage zur Motivation bei der Teilnahme wurde jedoch nicht gestellt.
4.3 „Gratis Online Lernen“ – Ein Online-Kurs mit mehr
als 55 Kooperationspartner/inne/n
Massive Open Online Courses (kurz MOOCs) richten sich überwiegend an ein
akademisch interessiertes und entsprechend vorgebildetes Publikum. Mit dem
Kurs „Gratis Online Lernen“ wurde bei der Zielgruppendefi nition davon abge-
wichen, indem gerade Anfänger/innen des Online-Lernens angesprochen wurden
und ein (auch sprachlich) einfacher Einstieg versprochen wurde.
Der kostenlose, achtwöchige Online-Kurs unterstützte Interessierte beim
Einstieg in das selbstorganisierte Lernen mit kostenlosen Angeboten im Internet.
Inhaltlich gibt der Kurs eine Einführung in das selbstgesteuerte Lernen und
auch wie man erfolgreich im Internet sucht und fragwürdige (Lern-)Angebote
erkennt (z.B. Geschäftsmodelle hinterfragt). Zudem konnten auch Formen des
kollaborativen Arbeitens erprobt werden. Der Kurs führt also in das selbsti-
nitiierte und -gesteuerte Lernen mit Hilfe des Internets und entsprechender
Angebote ein und geht auf Herausforderungen ein. Der Kurs wurde erstmals von
Oktober bis Dezember 2014 durchgeführt und Einheit für Einheit freigeschal-
tet. Bei der Gestaltung der acht Einheiten, insbesondere bei den Lernvideos und
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dem Arbeitsheft, wurde Wert darauf gelegt, Einsteiger/inne/n ohne Vorwissen
eine gute Einführung zu geben, so wurde z.B. auf englische Vokabeln verzich-
tet bzw. diese systematisch eingeführt (z.B. „E-Learning“). Ende Dezember
2014 hatten sich 849 Personen für den Kurs angemeldet, und 115 davon (14%)
hatten bereits eine Teilnahmebestätigung erhalten, weil sie alle Quizze zu den
Einheiten erfolgreich abgelegt hatten. Bezogen auf die Anzahl der registrierten
Teilnehmerinnen, die im Kurs erkennbar aktiv waren, also min. ein Quiz aus-
gefüllt haben, erhöht sich die Erfolgsquote sogar auf über 30%. Bis zum Mai
2015 haben sich auch nach der offi ziellen Kurslaufzeit die Anmeldezahlen auf
mehr als 1.000 erhöht, so dass sich das Angebot als den bis Ende 2014 größten
deutschsprachigen Volksbildungskurs bezeichnen lässt.
Alle Materialien, also insbesondere die Lernvideos sowie das 28-seitige beglei-
tende Arbeitsheft stehen unter einer offenen Lizenz (CC BY). Veranstaltet wurde
der Online-Kurs auf der Plattform imoox.at (Kooperationsprojekt der Universität
Graz sowie der TU Graz), die sich auf OER-Kurse spezialisiert hat. Für die
Plattform hat die Österreichische UNESCO Kommission die Schirmherrschaft
übernommen (Kopp & Ebner, 2015).
Entwickelt und durchgeführt wurde der Kurs von vier Kernpartnern (BIMS e.V.,
TU Graz, Verband Österreichischer Volkshochschulen und Salzburg Research).
Weitere Einrichtungen und Akteure in Österreich und Deutschland unterstützten
den Kurs, indem sie als Ausgabestelle für das gedruckte (kostenlose) Arbeitsheft
fungierten. Es gab 32 Ausgabestellen in Österreich und Deutschland, das Heft
konnte auch selbst gedruckt werden oder wurde per Freiumschlag verschickt.
Zum Teil wurden dort auch begleitende Präsenz- und Online-Veranstaltungen
angeboten (12 Akteure und Akteurinnen boten offene Treffs für Lerner/innen in
Deutschland und Österreich an). Zudem gab es mehrere geschlossene und nicht
öffentlich beworbene Angebote für existierende Nutzergruppen.
Nicht zuletzt die Entwicklung aller Kursmaterialien als offene Bildungs-
ressourcen sowie die intensive Suche nach Kooperationspartnern hat die Kern-
partnerschaft durch zahlreiche Akteure und Akteurinnen unkompliziert erwei-
tert. So gab es unter anderem bei einem Pongauer Seniorenstammtisch (Leitung
Johann Weilharter), in einem Wiener Seminarhotel (Hotel Karolinenhof), in
einem Jugendtreff in Hannover sowie bei der Volkshochschule in Hamburg
Präsenzangebote für Teilnehmer/innen. Darüber hinaus hat die Virtuelle PH in
Österreich mit Lehrer/inne/n ein Begleit- und Refl exionsangebot für den Online-
Kurs angeboten; durch ein Deutsch-als-Fremdsprache-Netzwerk mit begleiten-
den Online-Treffen wurde das Publikum international. Aus vielen Ländern betei-
ligten sich Deutschlehrer/innen am Kurs und nutzen ihn als Einstieg für das
Lernen im Web bzw. in einem MOOC. Etliche begleitende Angebote wurden
nicht über die Kursseiten für die Öffentlichkeit zugänglich, sondern waren nur
für geschlossene Gruppen gedacht und so nahmen auch komplette Schulklassen
teil (z.B. von einer Salzburger Schule). „Gratis Online Lernen“ erhielt im
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Offene Lizenzen als Treiber für neuartige Kooperationen und Innovationen
Dezember 2015 den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung in der
Kategorie „Digital Literacy“.
4.4 Per Crowdfunding zum ersten offenen Schulbuch:
Das Biologie-Schulbuch des Schulbuch-O-Mat-Projekts
Mindestens zwei Aspekte beim Schulbuch-O-Mat-Projekt sind innovativ und
weichen vom üblichen Entwicklungsprozess ab. Zum einen ist es das erste
deutschsprachige größere OER-Projekt, das sich durch Crowdfunding fi nan-
zierte, zum anderen sind auch Schüler/innen bei der (Fort-)Entwicklung einge-
bunden.
Das Projekt „Schulbuch-O-Mat“ hatte sich zur Zielsetzung gemacht, bis Ende
Juli 2013 das erste frei zugängliche deutschsprachige Schulbuch zu veröffent-
lichen (vgl. Ebner u.a. 2014). Im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne bei
Startnext wurde zunächst bis zum 13. Januar 2013 ein Basiskapital gesam-
melt. Dort wurde das Projektziel folgendermaßen beschrieben: „Wir wollen das
erste offene und freie elektronische Schulbuch Deutschlands publizieren ohne
Verlage, ohne Urheberrecht, alles frei zu verwenden und zu kopieren (unter CC
BY). Als Pilotprojekt ist ein Biologiebuch für die Klassenstufe 7/8 geplant, das
im Schuljahr 2013/2014 vorliegen soll.“1 Das Crowdfunding-Ziel (10.000 Euro)
wurde durch Zusammenwirken von 239 Personen erreicht, so dass die beiden
Initiatoren Hans Hellfried Wedenig, Medienproduzent und Berater, und Heiko
Przyhodnik, Biologie- und Sportlehrer, mit Unterstützung eines kleinen Kreises
beginnen konnten, den Auftrag zu erfüllen. Für die gemeinschaftliche Online-
Erstellung des Biologie-Schulbuches setzte das Team auf das Autorensystem
LOOP von oncampus, der E-Learning-Tochter der FH Lübeck. Das Online-Tool
für die Erstellung von akademischen Inhalten wurde in Kooperation mit oncam-
pus auf die Bedürfnisse des Schulbuch-O-Mats angepasst.
Da die Unterstützer/innen, die sich in der Antragsphase gemeldet hatten, wider
Erwarten nicht aktiv wurden, haben die Projektleiter einen Plan entwickelt,
der es ihnen möglich machte, mit einem kleinen Team fristgerecht eine erste
Version des Schulbuches veröffentlichen zu können. Das Schulbuch basiert nun
auf ins Deutsche übertragenes englischsprachigen Material einer Plattform der
US-amerikanischen Foundation CK-124 , das unter der Lizenz CC BY-NC-SA
veröffentlicht steht. Die Abbildungen wurden selbst erstellt und stehen unter der
Lizenz CC BY-SA.
Die Projektgruppe Schulbuch-O-Mat bereitete für den Herbst 2013 einen
Ansatz für die weitere Anreicherung mit Inhalten vor, der als Vorgabe für
Projektunterricht verwendet werden kann. Unterstützt von der Medienanstalt
1 http://www.startnext.de/schulbuch-o-mat (2013-10-03)
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Martin Ebner, Anja Lorenz, Sandra Schön, Andreas Wittke
Berlin-Brandenburg (mabb) wurden von der Projektgruppe Schulbuch-O-
Mat im Herbst 2013 „Schulbuch-Hacking-Tage“ durchgeführt. Dabei konnten
Schulklassen systematisch mit ihren Lehrkräften eigene Beiträge wie Videos,
kleine Texte oder Fotos zu selbstgewählten Themen des OER-Schulbuches pro-
duzieren. Die Redaktion und ein integriertes Revisisonsystems gewährleistet
dabei, dass nur geeignete Materialien übernommen werden – dass Schüler/innen
bei der Entwicklung von Bildungsressourcen eingebunden werden, scheint bei
traditionellen Schulbüchern undenkbar.
4.5 Der MOOChub: Zwei Online-Kurs-Anbieter kooperieren
Wenn sich zwei Online-Kurs-Anbieter auf OER (bzw. CC-lizenzierte Kurse)
festgelegt haben, was sollte sie daran hindern, zu kooperieren? Diese Überlegung
hat die beiden MOOC-Plattformen mooin aus Lübeck und iMooX aus Graz
dazu gebracht, offi ziell gemeinsam aufzutreten. Seit Mai 2015 werden auf bei-
den Plattformen die Angebote des jeweils anderen Partners verlinkt und somit
deren Sichtbarkeit erhöht. Dieser simple „Bannertausch“ hat bereits Erfolg: 2015
kamen etwa 8% der externen Referrer auf mooin über einen Link von iMooX
und umgekehrt (Ebner et al., 2016).
4.6 COER16: Der gleiche Online-Kurs zu offenen
Bildungsressource auf zwei Kursplattformen
COER16 (Course zu OER) ist schließlich ein Beispiel dafür, wie die offe-
nen Lizenzen zu einer Weiternutzung und -entwicklung der Materialien füh-
ren kann. Der COER13 war der erste offene deutschsprachige Kurs zu offenen
Bildungsressourcen. Als Kooperationsprojekt unter der Leitung von eteaching.
org gestartet wurde er als sog. cMOOC nach dem konnektivistischen Modell
angelegt und im Vordergrund stand die Produktion eigener OER (Arnold et al.,
2014). Der offen lizenzierte Kurs mit seinen Materialien wurde im März 2016
mit einem OER-Award in der Rubrik „OER über OER“ ausgezeichnet. Im Jahr
2015 wurden ausgewählte Materialien, v. a Videos ausgewählt, erweitert und auf
der imoox.at-Plattform als sog. xMOOC angeboten und durchgeführt. Dieser
Kurs wird nun im Mai 2016 erstmals parallel auf den zwei Kursplattformen
des MOOChub – imoox.at und mooin – kostenlos angeboten. Neben den Über-
arbeitungen, die allgemein und durch die Portierung auf mooin nötig sind, wird
der Kurs auch weiter ergänzt. So wurden auf dem OER-Festival Interviews mit
OER-Akteuren aus verschiedensten Bereichen geführt, sodass der Kurs nicht
einfach nur wiederholt, sondern auch erweitert und aktuell gehalten wird.
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Offene Lizenzen als Treiber für neuartige Kooperationen und Innovationen
In einer Zeit, in der Alleinstellungsmerkmale gewahrt bleiben, erstaunt dies.
Allerdings scheint es nur eine folgerichtige Entscheidung bei OER zu sein. Die
Übernahme der Kursmaterialien ist per Defi nition erlaubt und so steht auch
einer parallelen Durchführung nichts im Wege. Dadurch gelangen wertvolle
Erkenntnisse in die Praxis offener Lernarrangements.
5 Diskussion: OER sind „mehr“ als offen lizenzierte
Bildungsressourcen
Natürlich gibt es im Kontext der technologiegestützten Lehre auch wei-
tere innovative Entwicklungen, die nicht mit offenen Lizenzierungen ein-
hergehen. Beispiele dafür sind proprietäre MOOC-Plattformen oder auch
interaktive Hörsaalsysteme. Unser Fokus in diesem Beitrag war jedoch die
Entstehung und Nutzung von Bildungsressourcen. Und hier scheinen die tradier-
ten Geschäftsmodelle und Nutzungsszenarien rund um Bildungsressourcen im
Vergleich mit OER geradezu starr.
Wie wir mit den verschiedenen Beispielen illustriert haben, ist die offene
Lizenzierung auch Basis für neuartige Kooperationen und Innovationen rund
um die Erstellung von Bildungsressourcen. In einer Zeit, in der gerade an das
Bildungssystem hohe Erwartungen an Innovationen und Kooperationen gestellt
werden, ist OER eben auch mehr als „nur“ offen lizenzierte Bildungsressourcen.
Sie sind offensichtlich Treiber für Neues.
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