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Preprint-Version: erschienen in B. Badura et al. (Hrsg.) Fehlzeiten-Report 2016, DOI 10.1007/978-3-
662-49413-4_19, Springer: Berlin.
Denkmuster im Unternehmen reflektieren: Qualitative Evaluation des Stressmanagement-
Seminars »Think Positive«
Autorenteam: Dennis John, Nadine Geißer, Annette Scheder
Zusammenfassung
Die AOK Bayern hat das Seminar »Think Positive – Wie Gedanken unsere Stimmung beeinflussen« als
verhaltensbasierte Maßnahme des kognitiven Stressmanagements für Betriebe entwickelt. Ziel des
Seminars ist es, funktionale und dysfunktionale Denkmuster wahrzunehmen, zu reflektieren und bei
Bedarf zu modifizieren. Im Beitrag werden die Ergebnisse einer qualitativen Begleitstudie vorgestellt.
In dieser wurde untersucht, ob das Seminar »Think Positive – Wie Gedanken unsere Stimmung
beeinflussen« bei Mitarbeitern und Führungskräften die Reflexion von individuellen und
gemeinsamen Denkmustern unterstützt und welcher konkrete Nutzen für den beruflichen Alltag
erwartet wird. Die Ergebnisse der Befragung von insgesamt 50 Personen zeigen, dass das Seminar
dazu beitragen kann, Stress zu reduzieren und individuelle Ressourcen zu aktivieren. In der
abschließenden Diskussion wird dargestellt, dass verhaltensbasierte Maßnahmen des kognitiven
Stressmanagements zu einer achtsamen Unternehmenskultur beitragen können, wenn sie in einen
umfassenden Prozess des Betrieblichen Gesundheitsmanagements eingebettet sind.
1. Einleitung: Unternehmenskultur aus psychologischer Perspektive
Die Unternehmenskultur ist definiert als ein Muster gemeinsamer und geteilter Grundannahmen
(Schein 2004). Nach Schein besteht die Organisationskultur aus drei verschiedenen Ebenen, die
jeweils von unten nach oben versteh- und erklärbar sind. Die oberste Ebene, die beobachtbar ist,
bezieht sich auf Verhaltensweisen, Artefakte, Rituale usw. Sie spiegelt sich wider in der
Außendarstellung und -wirkung des Unternehmens wie z. B. Architektur des Gebäudes, Logo, Leitbild
oder auch im Umgang mit Kunden. Die mittlere Ebene bezieht sich auf Werte und Normen sowie auf
Einstellungen und Grundsätze. Diese Ebene ist nicht immer direkt beobachtbar und oft nur
teilbewusst. Besonders bedeutsam ist die dritte bzw. unterste Ebene. Sie gibt Auskunft über die tief
im Unternehmen verwurzelten Denkhaltungen und Denkmuster. Wie wir denken (Ebene 3),
bestimmt wie wir fühlen (Ebene 2) und somit auch wie wir handeln (Ebene 1).
Das Modell von Schein passt gut zu einer psychologischen Perspektive auf die »Denkkultur« in einem
Unternehmen (Nerdinger 2007). Demnach beschreibt Unternehmenskultur die gemeinsamen
Denkmuster in einer Organisation. Werden bestimmte Denkmuster von vielen Mitarbeitern eines
Unternehmens – auch auf verschiedenen Hierarchieebenen – geteilt, bilden diese einen
wesentlichen Bestandteil der Unternehmenskultur (BMAS 2008). Denkmuster sind automatisierte
Bewertungsprozesse, die in der Regel nicht bewusst ablaufen, aber dennoch bedeutsame
Auswirkungen auf unser Empfinden und Verhalten haben (Kriz 2001). Denkmuster funktionieren wie
Denkschablonen, die beispielsweise bei neuen, ambivalenten Situationen (z. B. der erste
Außentermin bei einem neuen Kunden) als Orientierung und zur Ersteinschätzung helfen können.
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Jeder Mensch wendet mehr oder weniger häufig verschiedene Denkmuster an, denn diese
vereinfachen die Wahrnehmung und Interpretation von Informationen, sie können die
Situationseinschätzung aber auch verzerren (Sauerland 2015). Denkmuster sind funktional und
hilfreich, denn sie helfen dabei, komplexe Situationen schnell und einfach einschätzen zu können. Sie
können aber auch dysfunktional sein, wenn sie die Erreichung von Zielen des Einzelnen oder des
Unternehmens behindern.
Klassifikation von Denkmustern
Von Denkmustern spricht man in der Psychologie, wenn auf unterschiedliche Situationen ähnliche
Gedanken folgen bzw. ähnliche Auslöser dieselben gedanklichen Reaktionen beim Wahrnehmenden
auslösen (Ellis 1977). Denkmuster sind erlernte Bewertungsschemata, die uns helfen, unseren
komplexen Alltag zu strukturieren und zu bewerten. Ein Vorteil von Denkmustern ist u. a. der
deutlich geringere kognitive Aufwand – im Vergleich zur intensiven Einzelbewertung und Reflexion –
und damit einhergehend die Möglichkeit einer raschen Einschätzung der Situation und einer
schnellen Reaktion darauf. Problematisch können Denkmuster allerdings dann werden, wenn sie
generalisiert auf eine Vielzahl von Situationen übertragen werden und damit ein Hindernis dabei
darstellen, dass die Ziele des Einzelnen oder des Unternehmens erreicht werden (Wilken 2013). Dazu
finden sich im Folgenden einige Beispiele.
Ausgehend vom zugrunde liegenden psychologischen Prozess können Denkmuster in vier inhaltliche
Kategorien eingeteilt werden (Sauerland 2015): Die erste Kategorie »Wahrnehmung« umfasst
Prozesse der selektiven Wahrnehmung und des heuristischen Denkens. Darunter fallen Denkmuster
wie beispielsweise das Schwarz-Weiß-Denken (»Häufig denke ich, alle Kollegen sind gegen mich«)
sowie Übertreibungen (»Wenn ich einen Tippfehler von mir entdecke, denke ich meistens, der ganze
Bericht ist ruiniert«). Die zweite Kategorie »Leistung« bezieht sich auf Leistungsthematiken und
Kontrollüberzeugungen, weshalb Denk-muster dieser Kategorie unmittelbare Konsequenzen für den
Selbstwert haben. In diese Gruppe fallen das perfektionistische Denken (»Ich muss überall der Beste
sein«) und die Minimierung (»Auf Zwischenziele kann ich häufig nicht stolz sein«). In die dritte
Kategorie »Soziale Beziehungen« fallen Denkmuster, die vor allem in sozialen Beziehungen eine Rolle
spielen und häufig in der Interaktion und Kommunikation mit anderen auftauchen. Beispiele für
derartige Denkmuster sind das Gedankenlesen (»Manchmal unterstelle ich meinen Kollegen etwas,
das sich im Nachhinein als nicht richtig herausstellt«) und unfaire soziale Vergleiche (»Ich vergleiche
mich oft mit Führungskräften, die besser sind als ich, ohne sie näher zu kennen«). Die vierte
Kategorie »Zeit« umfasst eine Gruppe von selektiven Bewertungsprozessen bezogen auf die
Vergangenheit und die Zukunft, beispielsweise Katastrophisierungen (»Wenn ich einen Auftrag nicht
bekomme, zweifle ich sofort an meiner Fachkompetenz«) oder kontrafaktisches Denken (»Manchmal
denke ich darüber nach, wie alles gelaufen wäre, wenn ich den Auftrag bekommen hätte«).
Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, dass das, was wir denken, auch Realität wird (self-fulfilling
prophecy). Wie wir denken, bestimmt demnach, wie wir handeln. Da wir die Art, wie wir denken, im
Laufe unseres Lebens erlernt haben, ist davon auszugehen, dass wir auch wieder umlernen können
(Lotz 2010).
Denkmuster im Unternehmen und deren Auswirkungen
Unternehmenskultur ist die gemeinsame »kognitive Brille« in einer Organisation. Diese kognitiven
Grundhaltungen und Denkmuster (z. B. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«) werden in aller
Regel nicht bewusst wahrgenommen und folglich auch nicht offen diskutiert und eher implizit an
neue Mitarbeiter weitergegeben. Sofern sich gemeinsame Denkmuster in der Interaktion intern (z. B.
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zwischen Mitarbeitern) und extern (z. B. mit Kunden) bewähren, gelten sie normativ als bindend
(Schein 2004). Denkmuster können sich in einem Unternehmen bewährt haben, wenn sie in ihrer
Wirkung für das Unternehmen sowie für den einzelnen Mitarbeiter funktional sind.
Die Kultur in einem Unternehmen wird entscheidend durch Führungskräfte geprägt (Badura u.
Walter 2014). Deshalb sind diese zentrale Akteure, wenn es darum geht, die gemeinsamen
Denkmuster in einem Unternehmen zu reflektieren und – falls ein Denkmuster unerwünscht ist – zu
verändern (INQA 2006). Die geteilten Denkmuster von Führungskräften können darüber Aufschluss
geben, wie bestimmte Vorkommnisse, z. B. Fehler von Mitarbeitern, bewertet und kognitiv
verarbeitet werden. Diese Bewertungsprozesse von Führungskräften und das damit einhergehende
Verhalten haben einen bedeutsamen Einfluss auf eine Reihe von gesundheitsrelevanten Parametern
auf Mitarbeiterseite (Lohmann-Haislah 2012). Liegt der Fokus der Vorgesetzten mehr auf den Stärken
statt auf den Schwächen der Mitarbeiter, zeigen diese eine deutlich höhere Verbundenheit mit dem
Unternehmen (Nink 2014). Mitarbeiter, die auf diese Weise wertgeschätzt werden, sind zufriedener,
haben weniger Fehlzeiten und sind engagierter (Siegrist u. Dragano 2008). Folglich sind
Führungskräfte eine wichtige Zielgruppe für die Reflexion und ggf. Veränderung von bestehenden
Denkmustern in ihrem Unternehmen.
Wie in einem Unternehmen typischerweise mit sozialen Konflikten umgegangen wird und wie diese
in der Regel bewertet werden, ist neben dem Führungsverhalten ein weiterer zentraler Bestandteil
von Unternehmenskultur (Nerdinger 2007). Die Reflexion und (selbst-)kritische Auseinandersetzung
mit Denkmustern, die in Konflikten aktiviert werden, dienen nicht nur dazu, ein verantwortliches
Eigeninteresse zu entwickeln, sondern auch der Akzeptanz und Toleranz gegenüber anderen (Wilken
2013). Der konstruktive Umgang mit Konflikten in einem Unternehmen ist ein wesentliches Element
eines gesundheitsförderlichen Arbeitsplatzes. Untersuchungen haben beispielsweise gezeigt, dass ein
konstruktiver Umgang mit Konflikten ein wesentlicher Faktor für Wohlbefinden und Gesundheit
darstellt (Kaluza 1997). Kooperation im Arbeitsalltag stärkt die Ressourcen des Individuums und
macht zufriedener und leistungsfähiger (Gunkel et al. 2014). Dieser Effekt funktioniert auch in die
entgegengesetzte Wirkrichtung: Eine positive Stimmung hat einen Einfluss auf das Sozialverhalten
und führt beispielsweise zu erhöhter Hilfsbereitschaft bei Mitarbeitern (Blickhan 2015). Da Konflikte
auf allen hierarchischen Ebenen eines Unternehmens auftreten können, sind alle Mitarbeiter eines
Unternehmens gefordert, die eigenen Denkmuster von Zeit zu Zeit zu hinterfragen und zu
reflektieren. Damit ist jeder Mitarbeiter gleichzeitig Rezipient und Produzent von
Unternehmenskultur und somit auch ein wichtiger Akteur bei der Reflexion und ggf. Veränderung
von unerwünschten Denkmustern.
2. Das Seminar »Think Positive – Wie Gedanken unsere Stimmung beeinflussen«
Damit ein verhaltenspräventives Seminar sinnvoll im Unternehmen platziert ist und nachhaltig
wirken kann, ist eine Integration in ein Betriebliches Gesundheitsmanagement empfehlenswert. In
der Regel erfolgt hierfür zunächst eine Analyse im Betrieb (z. B. eine Mitarbeiterbefragung), die
Arbeitsbelastungen und Verbesserungsbedarfe aus Sicht der Belegschaft verdeutlicht. Durch eine
nachfolgende Ableitung konkreter Maßnahmen (z. B. zur Stressreduktion) gehen Verhaltens- und
Verhältnisprävention Hand in Hand, sodass ergänzend zu einem Seminar zur Stärkung der
individuellen Resilienz und Stressbewältigungskompetenz auch verhältnispräventive Maßnahmen
zum Einsatz kommen (wie z. B. Arbeitsentlastung durch das Einstellen von Springern oder
Aushilfskräften, klare Festlegung von Zuständigkeiten, Optimierung von Kommunikationsprozessen
usw.).
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Die AOK Bayern hat das Seminar »Think Positive – Wie Gedanken unsere Stimmung beeinflussen«
entwickelt und im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung evaluiert. Das Seminar besteht
aus drei Seminarbausteinen und beinhaltet neben der Vermittlung von theoretischem Wissen auch
praktische Übungseinheiten, die den Alltagstransfer sichern. Um einen effektiven Rahmen für die
praktischen Übungen und den gegenseitigen Austausch zu ermöglichen, ist die Seminargruppe auf
max. 15 Teilnehmer begrenzt. Die Dauer des Seminars ist auf drei Stunden ausgerichtet. Das Seminar
wird durchgeführt von Fachkräften mit psychosozialem Studienabschluss gemäß GKV-Leitfaden
Prävention.
Im Alltag verfallen Menschen häufig dem Automatismus, außenstehende Ereignisse oder Personen
für das eigene Befinden verantwortlich zu machen. Wäre dies nun tatsächlich der Fall, müssten alle
Personen auf ein- und denselben Reiz auf identische Art und Weise reagieren. Dies trifft nicht zu, da
eine vermittelnde Komponente zwischengeschaltet ist: die subjektive Bewertung der Person, des
Ereignisses oder der Situation. Das Seminar zeigt den Zusammenhang zwischen Ereignissen und
Denkmustern auf und verdeutlicht die Konsequenzen von Bewertungen für das eigene
Wohlbefinden. Den Teilnehmenden wird vermittelt, wie man aktiv hinderliche Denkmuster erkennen
und sein Denken den eigenen Zielen dienlich verändern kann. Ziel ist es, das subjektive Wohlbefinden
und die Stresstoleranz zu erhöhen.
Seminarbaustein 1: Achtsamkeit (»Denkmuster im Alltag aufspüren«)
Der erste Baustein des Seminars geht der Frage nach, wie wir im Alltag einen aktiven Zugang zu
unseren Gedanken finden können. »Achtsamkeit« bezeichnet die Fähigkeit, Dinge »bewusst
wahrzunehmen« (Kabat-Zinn 1990) – eine Fähigkeit, die man erlernen kann. Daraus kann sich
schließlich eine Haltung entwickeln, die wir uns, anderen Menschen und unserer Umwelt gegenüber
einnehmen können. Diese Haltung ist gekennzeichnet durch eine Absichtslosigkeit sowie eine Nicht-
Wertung gegenwärtiger Gedanken und Wahrnehmungen (Blickhan 2015). Die Distanzierung von den
eigenen Gedanken wird als sog. »gedankliche Defusion« bezeichnet (Kriz 2001). Man nimmt
Gedanken und Gefühle als das wahr, was sie sind – innere Regungen in Form von Bildern oder
Wörtern, die kommen und gehen. Es sind eben keine unumstößlichen Fakten, mit denen wir
fusionieren, also verschmelzen müssen. Diese Fähigkeit zur gedanklichen Defusion kann mit der
Gedankenachtsamkeitsübung trainiert werden. Im Seminar »Think Positive – Wie Gedanken unsere
Stimmung beeinflussen« wird eine Gedankenachtsamkeitsübung durchgeführt. Diese Übung dient
dazu, den Teilnehmenden bewusst zu machen, welche Gedanken ihnen aktuell »durch den Kopf
gehen« und somit den aktuellen Gedankenstrom bewusst wahrzunehmen. Ein weiteres Ziel besteht
darin, die eigenen Gedanken zur Kenntnis zu nehmen, ohne sie zu bewerten.
Seminarbaustein 2: Denkmuster prüfen (»Denkmuster aktiv hinterfragen«)
Nach der achtsamen Wahrnehmung der eigenen Gedanken folgt im zweiten Teil des Seminars die
Prüfung und ggf. Veränderung von Denkmustern (Wilken 2013). Anhand einer systematischen
Analyse von Erlebnissen im Berufsalltag (z. B. Konflikt zwischen Kollegen) lernen die
Seminarteilnehmer, dass die negative Bewertung einer Situation zu einer negativen Konsequenz (z. B.
Ärger, Unzufriedenheit oder Frustration) führt. Allerdings kann jede Situation immer auch alternativ
(z. B. als Herausforderung) bewertet werden und dann auch positive Konsequenzen (z. B.
gegenseitiges Vertrauen) nach sich ziehen. Die Reflexion und Änderung von Bewertungen und
Denkmustern wird seit Jahren erfolgreich in Präventionskursen zum kognitiven Stressmanagement
eingesetzt (Kaluza 1999). Kognitives Stressmanagement zielt darauf ab, dass es nicht bestimmte
problematische Situationen sind, die zwangsläufig zu unangenehmen Konsequenzen führen, sondern
dass es bestimmte Denkmuster sind, welche die belastenden Konsequenzen bedingen. Die
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Neubewertung der belastenden Situation erfordert demnach, sich mit den entsprechenden
Denkmustern auseinanderzusetzen.
Eine der Methoden des Seminars ist eine Einzelarbeit zur Unterstützung des (Selbst-
)Explorationsprozesses. Hierfür wird zunächst eine konkrete Situation spezifiziert, die für den
Teilnehmenden emotional belastend ist. Detailliert werden dann die in dieser Situation auftretenden
Körper- und Verhaltensreaktionen erfasst und die damit in Zusammenhang stehenden Gedanken
(»Was ging Ihnen zu jenem Zeitpunkt durch den Kopf?«) exploriert. Alternativ kann die Methode
aber auch verwendet werden, um emotional positiv konnotierte Ereignisse bewusster
wahrzunehmen. Hierfür werden die Teilnehmer instruiert, sich an ein freudiges Ereignis zu erinnern
(»Wann hatten Sie das letzte Mal ein tolles Erlebnis im Beruf?«) und sich im nächsten Schritt bewusst
zu machen, was die Situation an positiven Effekten auf der Gefühls- und Verhaltensebene ausgelöst
hat (»Luftsprung, inneres Strahlen«). Danach werden die Gedanken exploriert, die diese Situation
begleitet haben (»das habe ich super gemacht«). Abschließend soll – im Sinne des kontrafaktischen
Denkens – auch darüber nachgedacht werden, wie man das Ereignis auch hätte negativ bewerten
können (»jetzt habe ich wieder eine Verpflichtung mehr«) und wie man sich dann gefühlt hätte
(»verärgert, gestresst«). Dieses Vorgehen führt einerseits dazu, das schöne Ereignis noch einmal in
Gedanken zu erleben (was einen positiven Stimmungseffekt produzieren kann), es macht
andererseits aber auch deutlich, wie wir manchmal auch schöne Erlebnisse mit unerwünschten
Denkmustern bewerten und damit das Ereignis im inneren Monolog »zerreden« können. Die Prüfung
des entsprechenden Denkmusters kann dazu beitragen, das positive Ereignis bewusster
wahrzunehmen.
Seminarbaustein 3: Positive Selbstinstruktion (»Positives Denken im Alltag verankern«)
Im dritten Baustein des Seminars erfolgt der Praxistransfer mittels positiver Selbstinstruktionen.
Selbstgespräche sind internale Konversationen, die wir im Laufe eines Tages mit uns selbst führen.
Sehr häufig bezieht sich dieser innere Monolog als Evaluation auf das, was wir gerade tun oder in der
Vergangenheit getan haben. Das Konzept der positiven Selbstinstruktionen hat vor allem durch den
Psychologen Donald Meichenbaum (1977) im Rahmen seines Stressimpfungstrainings Verbreitung
gefunden. Die im Seminar »Think Positive – Wie Gedanken unsere Stimmung beeinflussen«
erworbene (oder neu aktivierte) Kompetenz zum Prüfen von Denkmustern kann in Form von
Selbstinstruktionen im Alltag genutzt und verankert werden. In Situationen, die mit Unwohlsein und
emotionaler Anspannung verbunden sind, können durch achtsame Gedankenwahrnehmung die im
Moment aktivierten Denkmuster bewusst gemacht und hinterfragt werden. Damit ist aus der
Situation heraus eine Entlastung möglich.
3. Methode der Evaluationsstudie
Im Rahmen der Begleitstudie wurde untersucht, ob das Seminar »Think Positive – Wie Gedanken
unsere Stimmung beeinflussen« auf verschiedenen hierarchischen Ebenen und bei unterschiedlichen
Zielgruppen (Berufsstarter, Mitarbeiter einer Personalabteilung mit Berufserfahrung und
Führungskräfte) eine Reflexion der eigenen Denkmuster anstoßen und verändern kann. Konkret
wurde untersucht, ob 1. das Seminar unmittelbar die Stimmung verbessert, 2. die Teilnehmer
bestehende Denkmuster hinterfragen und 3. die Teilnehmer erwarten, die Seminarinhalte auch in
ihrem Berufsalltag anwenden zu können. Die Aus-wertung der Ergebnisse erfolgte durch eine
zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse. Die qualitative Inhaltsanalyse von
Teilnehmerantworten auf offene Evaluationsfragen hat sich als Auswertungsmethode bei der
Untersuchung von Denkprozessen bewährt (Mayring 2007). Ziel dieser Evaluationsstudie war nicht
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die quantifizierbare Bewertung des Seminars, sondern die Identifikation der den Seminarbewer-
tungen zugrunde liegenden Denk- und Reflexions-prozesse sowie die persönliche
Auseinandersetzung mit den Seminarinhalten.
Stichprobe und Untersuchungsdesign
Die Wirkung des Seminars sollte bei möglichst unterschiedlichen Zielgruppen (z. B. Berufsanfänger,
Mitarbeiter mit Berufserfahrung und Führungskräfte) und unterschiedlichen Betrieben evaluiert
werden. Mit dem Ziel einer breitangelegten Stichprobe wurde das Seminar »Think Positive – Wie
Gedanken unsere Stimmung beeinflussen« an drei Zielgruppen in drei Betrieben evaluiert: Gruppe 1
bildeten junge Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung in der öffentlichen Verwaltung (N = 30).
Diese Stichprobe nahm im Rahmen einer internen Weiterbildung am Seminar teil. Die zweite Gruppe
bildeten alle Mitarbeiter einer Abteilung (Personalabteilung) eines Unternehmens aus dem
produzierenden Gewerbe ohne Teilnahme der Führungskraft (N = 8). Das Unternehmen hat be-reits
seit einiger Zeit einen umfassenden Prozess des betrieblichen Gesundheitsmanagements
implementiert. Die Durchführung des Seminars »Think Positive« war als verhaltenspräventive
Maßnahme in das Betriebliche Gesundheitsmanagement eingebettet. Die dritte Gruppe bildeten
Führungskräfte aus verschie-denen Bereichen eines Dienstleistungsunternehmens (N = 12). Auch in
diesem Unternehmen war das Seminar Teil eines umfangreichen Prozesses des Betrieblichen
Gesundheitsmanagements.
Die Datenerhebung der Evaluationsstudie fand von April bis Dezember 2015 statt. Alle drei Gruppen
nahmen abschließend eine Bewertung des Seminars vor. Die Teilnehmer der Gruppe 1 (junge
Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung) wurden mehrere Wochen nach dem Seminar erneut per
E-Mail kontaktiert und nachbefragt. Von den 30 Befragten der Gruppe 1 nahmen zum ersten
Messzeitpunkt der Nachbefragung zwölf Personen teil. Damit lagen von 40 Prozent der Teilnehmer
aus dieser Gruppe Seminarbewertungen zu zwei Messzeitpunkten vor.
Folgende drei offenen Fragen wurden mit Hilfe eines Fragebogens gestellt: Frage 1: Wie hat Ihnen
das Seminar insgesamt gefallen? Welche Erkenntnisse haben Sie für sich persönlich durch das
Seminar gewonnen? Wo können Ihnen die Seminarinhalte im Berufsalltag nützlich sein bzw. helfen?
Inhaltsanalyse
Eine Inhaltsanalyse eignet sich zur systematischen Analyse von Textmaterial (John 2014). Diese regel-
und theoriegeleitete Methode ist intersubjektiv nachvollziehbar (Mayring 2007).
Die Feedbackbögen wurden einer zusammenfassenden Inhaltsanalyse (Mayring 2007) unterzogen
mit dem Ziel, die Aussagen der Teilnehmer über die Wirkung des Seminars »Think Positive« zu
bündeln und zu kategorisieren.
Im ersten Schritt wurden die Analyseeinheiten festgelegt: Auswertungseinheit (der Textteil, der
komplett ausgewertet werden soll) und Kontexteinheit (der maximale Textteil, der unter eine
Kategorie fallen darf) waren in dieser Inhaltsanalyse identisch. Da den Teilnehmern drei offene
Fragen gestellt wurden, bildete eine Kodiereinheit eine vollständige Antwort zu einer Frage (Mayring
2007). Nach Bestimmung der Kodiereinheiten wurden diese im zweiten Schritt paraphrasiert, d. h.
die Veränderungen wurden auf einer einheitlichen Sprachebene reformuliert und
nichtinhaltstragende Textteile gestrichen. Auf Grundlage des Materials wurde die fallspezifische
Bewertung des Seminars »Think Positive« als Abstraktionsniveau festgelegt. Alle Paraphrasen
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wurden im dritten Schritt unter diesem Abstraktionsniveau generalisiert; lagen Paraphrasen über
dem Abstraktionsniveau, wurden sie belassen. Im anschließenden vierten Schritt wurden ähnliche
Paraphrasen zu einer (Unter-)Kategorie integriert und im fünften Schritt in einem Kategoriensystem
gebündelt.
Die Antworten der drei befragten Gruppen (Berufsanfänger, Mitarbeiter mit Berufserfahrung und
Führungskräfte) wurden in einem Kategoriensystem zusammengefasst, da sich die Antworten
hinsichtlich Antwortlänge und Inhalt nicht wesentlich unterschieden.
4. Ergebnisse
Ausgehend von den drei offenen Fragen wurden drei Oberkategorien abgeleitet:
1. Seminarbeurteilung
2. Erkenntnisse und Wissenszuwachs
3. Alltagsbezogene Nützlichkeit
Diesen Oberkategorien wurden auf Basis der Antworten verschiedene Unterkategorien zugeordnet.
Oberkategorie 1: Seminarbeurteilung
Insgesamt wurde das Seminar als sehr gut eingeschätzt. Die Gründe für diese Einschätzung lassen
sich in drei Unterkategorien zusammenfassen:
1.1. Affektive Bewertung
1.2. Inhalt
1.3. Gruppe
Die affektive Bewertung (1.1.) des Seminars umfasst Aussagen, die die Stimmung im bzw. nach dem
Seminar beschreiben. Nahezu alle Teilnehmer bewerten ihre Stimmung nach dem Seminar als sehr
gut (»Ich bin locker und gelöst«), dem Seminar wird bescheinigt, Ressourcen zu aktivieren
(»persönliche Kraftquellen finden«); ein Teilnehmer berichtet eine ambivalente Stimmung (»die
Thematik ist kompliziert«).Diese Äußerung lässt vermuten, dass die Auseinander-setzung mit den
eigenen Denkmustern für einige Teilnehmer ein kognitiv aufwendiger und möglicherweise auch ein
emotional negativ gefärbter Prozess sein kann. Der Inhalt des Seminars (1.2.) wird als
abwechslungsreich, interessant und hilfreich beschrieben (»viele Aha-Erlebnisse«). Als weitere Stärke
des Seminars wird die Gruppe (1.3.) genannt. Die Gruppen-atmosphäre wird als »sehr angenehm«
bezeichnet und als wichtiges Merkmal für das Gelingen des Seminars erwähnt (»Seminar lebt durch
Austausch untereinander und mit den Dozenten«).
Oberkategorie 2: Erkenntnisse und Wissenszuwachs
Insgesamt berichten die Teilnehmer neue Erkenntnisse und (re)aktiviertes Wissen im Bereich
kognitives Stressmanagement (z. B. positives Denken ist nicht gleichzusetzen mit »sich alles
schönreden«). Mehrere Teilnehmer berichten, dass das Seminar eine gute Möglichkeit bietet, sich
mit dem Thema »Gedanken« zu beschäftigen (»konnte mal wieder eigenes Denken und Handeln
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überprüfen«) oder dass das Seminar wie ein »Refresher« für die Überprüfung eigener Denkmuster
wirkt (»sich selbst immer mal wieder wachrütteln«).
Als Unterkategorien konnten identifiziert werden:
2.1. Denkmuster analysieren
2.2. Neubewerten/kognitive Umstrukturierung
2.3. Aktivieren psychologischer Ressourcen
Bei der Unterkategorie 2.1. Denkmuster analysieren reflektieren die Teilnehmer, dass Gedanken eine
große Wirkung haben und ein ständiger Begleiter im Alltag sind. Die Teilnehmer berichten aber auch,
dass ihre Gedanken häufig negativ sind (»ertappe mich immer wieder dabei, in alte Denkmuster zu
fallen«). Die Teilnehmer erleben außerdem, dass Gedanken veränderbar sind und es somit auch
möglich ist, sich von negativen Gedanken zu distanzieren (»nicht zu lange mit negativen Gedanken
beschäftigen, um Platz für neue, positive Gedanken zu haben«). Bei der Unterkategorie 2.2. kognitive
Umstrukturierung beschreiben die Teilnehmer eine Reihe von Methoden, wie Denkmuster aktiv
hinterfragt und alternative Bewertungen generiert werden können. Beispielhaft hierfür sind
Aussagen bezogen auf den Perspektivenwechsel (»Aussagen nicht persönlich nehmen und von
verschiedenen Blickwinkeln betrachten«), das Umdenken (»Positives bewusster sehen, Negatives
genauer durchleuchten«) und Neubewertungen (»versuche Technik der Umkehrung ins Positive noch
öfter anzuwenden«). Ein Teilnehmer berichtet als bedeutsame Erkenntnis auch die Möglichkeit,
Selbstinstruktionen aktiv zu nutzen, um sich selbst zu motivieren. In die Unterkategorie 2.3.
Aktivieren psychologischer Ressourcen wurden Aussagen zusammengefasst, die auf eine
stressreduzierende Wirkung des Gedankenprüfens hindeuten. Die Teilnehmer beschreiben, dass das
bewusste Reflektieren und Hinterfragen von Denkmustern neue Sichtweisen ermöglicht und dadurch
eine Reihe von psychologischen Ressourcen aktiviert werden. Besonders relevant und hilfreich für
die Teilnehmer waren insbesondere psychische Ressourcen wie Selbstmitgefühl (»mehr auf sich
schauen«), achtsamer Fokus auf positive Dinge (»geduldiger werden«, »mehr auf Positives achten«)
sowie Optimismus und emotionale Stabilität (»psychische Widerstandskraft im Sinne von Zuversicht
und Gelassenheit«).
Oberkategorie 3: Alltagsbezogene Nützlichkeit
Insgesamt beschreiben die Teilnehmer eine hohe Relevanz der Seminarinhalte für den Alltag. Konkret
erwarten sie Anwendungsmöglichkeiten im beruflichen sowie privaten Alltag.
Die Einschätzungen können in folgenden Unterkategorien zusammengefasst werden:
3.1. Soziale Beziehungen
3.2. Stressbewältigung
In der Unterkategorie 3.1. Soziale Beziehungen nennen die Teilnehmer eine Reihe von (potenziell)
konfliktträchtigen sozialen Interaktionen, bei denen die Seminarinhalte hilfreich sein können
(»Reaktionen anderer besser nachvollziehen«). Darunter fällt die Kommunikation mit Kollegen
(»Missverständnissen vorbeugen, Stress vermeiden«), Konflikte mit Kunden sowie schwierige
Gespräche mit Vorgesetzten und im Team (»in Gesprächen mit Fachbereich diesem die positiven
Seiten aufzeigen, an die selbst vorher nicht gedacht wurde«). In die Unterkategorie 3.2.
Stressbewältigung fallen Aussagen, wonach die im Seminar vermittelten Methoden des kognitiven
Stressmanagements vor allem in Momenten mit hoher psychischer Belastung helfen können (»An
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stressigen Tagen«). Als Strategien zur Stressbewältigung werden Entspannungsmethoden zur
Stressregulation erwähnt (»erst einmal durchatmen, bevor man sich ärgert«) sowie eine offene und
veränderungsbereite Denkhaltung (»bei Neuerungen einfach drauf einlassen und nicht denken, für
was das gut sein soll«).
Einige Aussagen der Teilnehmer deuten auch an, dass das Seminar möglicherweise bei bestimmten
Gruppen eine besondere Effektivität haben könnte (»sollte gezielt angeboten werden, da es einigen
Mitarbeitern helfen kann«). Als Zielgruppen für einen selektiven Einsatz des Seminars wurden
psychisch stark beanspruchte Mitarbeiter (»Aufgaben im Außendienst«) sowie neue Führungskräfte
genannt.
Nachbefragung
Die Teilnehmer der Gruppe 1 (junge Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung) wurden mehrere
Wochen nach dem Seminar erneut per E-Mail kontaktiert und nachbefragt. Zwölf Befragte der
Gruppe 1 nahmen an der Nachbefragung teil. Die Ergebnisse der Nachbefragung bestätigten die
Ergebnisse der Erstbefragung. Die Teilnehmer gaben an, dass sie das Seminar insgesamt als
interessant, aufschlussreich und weiterempfehlenswert empfanden. Es habe Denkanstöße geliefert
und »hilft über den Tellerrand zu blicken«. Die Atmosphäre wurde als sehr gut, die Stimmung als
angenehm wahrgenommen und »vor allem der offene Austausch untereinander« geschätzt.
Die Nachbefragung verdeutlicht zudem (erneut) die Einschätzung der Teilnehmer, dass im Alltag zwar
häufig der eigene Fokus eher auf dem Negativen liegt, dass jedoch »sich auf das Positive besinnen
das Leben erleichtert« und man »(…) dadurch viel Energie für den Alltag schöpfen« kann. Es gibt
Hinweise der Teilnehmer, wonach eigene Denkmuster hinterfragen zudem dazu beitragen kann,
Empathie zu fördern (»Feingefühl für Mitmenschen bekommen«, »hinter die Fassade eines
augenscheinlich wütenden Menschen sehen«) und Resilienz zu stärken (»ändere, was du kannst und
nimm hin, wo du keinen Einfluss hast«).
Auch wenn sich laut den Teilnehmern bei der Umsetzung im Arbeitsalltag gerade in Stresssituationen
oder bei Routineaufgaben Hürden ergeben können, wird das Reflektieren von Denkmustern
insgesamt als effektive Methode zur Stressreduktion angesehen. Die Teilnehmer berichten, dass sie
ihren Aufmerksamkeitsfokus in ihrem Berufsalltag stärker auf die positiven Aspekte richten
(»versuche jeden Tag, mir aktiv über die positiven Dinge Gedanken zu machen, um mit zufriedener
Grundstimmung an die Arbeit zu gehen«). Dadurch ergeben sich auch eine Reihe von erwünschten
Nebeneffekten wie beispielsweise die Möglichkeit, sich auf wichtige Ziele zu konzentrieren (»Wer
positiv denkt, kann solche [negativen] Momente schneller abhaken und sich auf Wichtigeres
konzentrieren«).
Bei der Interpretation der Nachbefragung sollte berücksichtigt werden, dass die Ergebnisse nur
bedingt auf die gesamte Stichprobe übertragen werden können, da lediglich von einem Teil der
Befragten ein Feedback zum zweiten Messzeitpunkt vorlag und somit positive Selektionseffekte nicht
ausgeschlossen werden können.
5. Diskussion und Fazit
Die AOK Bayern hat das Seminar »Think Positive – Wie Gedanken unsere Stimmung beeinflussen«
entwickelt und setzt dieses bayernweit im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung ein. Ziel
des Beitrags war es zu untersuchen, inwieweit das Seminar »Think Positive« die Teilnehmer dabei
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unterstützt, eigene Denkmuster zu reflektieren sowie ggf. zu ändern und ob die Seminarinhalte für
den beruflichen Alltag hilfreich sind. Befragt wurden hierfür verschiedene Gruppen von
Seminarteilnehmern (Berufsstarter, Mitarbeiter mit Berufserfahrung und Führungskräfte).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Seminar 1. unmittelbar zu einer positiven Stimmung
(»Die Stimmung ist locker und gelöst«) führt. Außerdem führt das Seminar 2. zu einer erhöhten
Selbstreflexion (»hilft Selbstbild/-wahrnehmung zu hinterfragen«) und die Teilnehmer erwarten 3.
auch eine Wirkung für den beruflichen Alltag (»hier kann man sich für die Zukunft etwas
mitnehmen«). Diese Ergebnisse passen gut zu anderen Studien, wonach verhaltensbasierte
Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung die psychosoziale Gesundheit, beispielsweise
geistige Leistungsfähigkeit (John et al. 2015) oder Stressresistenz stärken (Kaluza 1997).
Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass kognitives Stressmanagement zu einer positiven
Stimmung führt, die Stressbelastung reduziert und die Zunahme von flexiblem und realitätsnahem
Denken unterstützt (Kaluza 1997). Wird das Seminar »Think Positive« als ein Baustein einer zeitlich
umfangreicheren Maßnahme (z.B. im Rahmen eines Kursangebots) zum multimodalen
Stressmanagement durchgeführt, kann davon ausgegangen werden, dass die Stressbelastung auch
nachhaltig reduziert werden kann (Kaluza 1999).
Die Unternehmenskultur beschreibt die gemeinsamen Annahmen in einer Organisation über grund-
legende Dinge, beispielsweise darüber, wie Menschen miteinander umgehen bzw. umgehen sollten
(Schein 2004). Da die Unternehmenskultur maßgeblich durch Führungskräfte und den Umgang mit
Konflikten geprägt wird, fällt diesen beiden Komponenten auch eine entscheidende Rolle bei der
Gestaltung der Kultur in einem Unternehmen zu (Hinding u. Kastner 2011).
Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass Unternehmen, die sich bewusst mit ihren Denkmustern z. B.
in Bezug auf Führungsverhalten und den Umgang mit Konflikten auseinandersetzen, mehr
unternehmerischen Erfolg haben, attraktivere Arbeitgeber sind und gesündere und motivierte
Mitarbeiter haben (Nerdinger 2007). Die bewusste und regelmäßige Reflexion von geteilten
Denkmustern ist ein wesentlicher Bestandteil einer achtsamen Unternehmenskultur. Eine
Organisation zeichnet sich durch eine achtsame Unternehmenskultur aus, wenn sie nicht nur
gesundheitlich problematische Denkmuster im Umgang mit Arbeits-anforderungen und belastungen
erkennt, sondern auch die Stärkung gesundheitlicher Ressourcen im Unternehmen aktiv vorantreibt
(Becke 2014). Ein Wandel in Richtung einer achtsamen Unternehmenskultur kann beispielsweise
dadurch vollzogen werden, dass ein Unternehmen den Aufmerksamkeitsfokus weniger auf die
Schwächen, sondern mehr auf die Stärken und Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter, Kollegen und
Vorgesetzten legt. Ein solcher Wandel stellt jedoch einen Prozess dar, der nicht von heute auf
morgen vollzogen werden kann. Entscheidend ist, welches Maß an Selbstreflexion im Unternehmen
gelebt wird, beispielsweise wie Führungskräfte und Mitarbeiter sich in konflikthaften Situationen
verhalten, sich ihrer eigenen Denkmuster bewusst sind, diese reflektieren und bereit sind, sie bei
Bedarf zu modifizieren. Eine offene Frage für zukünftige Untersuchungen ist, ob verhaltensbasierte
Maßnahmen zur Reflexion individueller Denkmuster auch zu einem Wandel von gemeinsamen
Denkmustern in einem Unternehmen und somit zu einem Wandel in der Unternehmenskultur
beitragen können. Die Ergebnisse dieser qualitativen Evaluationsstudie liefern erste Hinweise dafür,
dass Seminarangebote wie »Think Positive – Wie Gedanken unsere Stimmung beeinflussen« die
gemeinsamen Denkhaltungen und damit die Unternehmenskultur eines Unternehmens beeinflussen
kann, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
1. Die Maßnahme sollte in möglichst vielen Abteilungen des Unternehmens und in verschiedenen
Hierarchieebenen durchgeführt werden, sodass die Teilnehmer gemeinsame Denkhaltungen
aufspüren und ggf. verändern können (Becke 2014).
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2. Die Maßnahme sollte bei Führungskräften durchgeführt werden, um durch die Reflexion der
eigenen Denkmuster als Führungskraft eine Veränderung der Unternehmenskultur anzustoßen
(Badura u. Walter 2014).
3. Die Maßnahme sollte eingebettet sein in einen umfassenden Prozess des betrieblichen
Gesundheitsmanagements (Winter u. Singer 2008).
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