Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen
Chapters (8)
Das mag sich die eine oder der andere beim Betrachten dieses Buches fragen — oder schon seit längerem Mutmaßungen über Sinn und Zweck des Begriffs in der heutigen Diskussion angestellt haben. Warum und wie betreibt man eine Forschung zu ›Kultur und Gedächtnis‹ — als Literaturwissenschaftler, Kulturhistorikerin oder als Soziologe? Und was soll gewonnen sein, wenn wir dem bestehenden Begriffsrepertoire der Kulturwissenschaften — Mentalitäten, Identitäten, Symbole, Texte, Medien — nun noch das ›Gedächtnis‹ hinzufügen und Gesellschaftsformationen, historische Prozesse, Literatur, Kunst und Medien in dieser Perspektive ausleuchten?
Wenn in diesem Kapitel von der ›Erfindung‹ des kollektiven Gedächtnisses die Rede ist, so soll damit betont werden, dass im Folgenden nicht eine Sachgeschichte, sondern eine Forschungsgeschichte rekapituliert wird. Stiftung, Pflege und Reflexion des kulturellen Erbes scheinen zur anthropologischen Grundausstattung des Menschen zu gehören, und die Sachgeschichte des kollektiven Gedächtnisses ist bis in die Antike zurückzuverfolgen. Allerdings setzte erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Phänomenen ein. Formen des kollektiven Bezugs auf Vergangenheit wurden bewusst beobachtet und zum Gegenstand kulturwissenschaftlicher Theoriebildung gemacht. Die kulturwissenschaftliche Grundannahme von der Konstruiertheit menschlicher Sinnwelten und Erinnerungen gilt dabei allerdings auch für die Ebene der Theoriebildung: Jede theoretische Annahme über Inhalte oder Funktionsweisen des kollektiven Gedächtnisses ist selbst ein Konstrukt und hat mehr von einer wissenschaftlichen ›Erfindung‹ als von einem Auffinden kultureller Gegebenheiten.
Obwohl ›Gedächtnis‹ seit den 1980er Jahren, im Zuge seiner verstärkten kulturwissenschaftlichen Erforschung, weithin als ein genuin transdisziplinäres Phänomen verstanden wird, dessen Funktionsweisen kaum von der Warte eines einzelnen Faches aus zu begreifen sind, haben sich doch auch disziplinspezifische Gedächtniskonzepte herausgebildet. In den Geschichts- und Sozialwissenschaften, der Literaturwissenschaft und der Psychologie konstituiert sich der Gegenstand ›Gedächtnis‹ heute auf so unterschiedliche Weise, dass in der Tat wohl besser von ›Gedächtnissen‹ im Plural zu sprechen wäre. Dennoch: Die Disziplinen bewegen sich durchaus aufeinander zu. Zunehmend versuchen Wissenschaftler/innen, integrative Modelle des kollektiven Gedächtnisses zu entwerfen. Sowohl solche Modelle als auch eine Kenntnis fachspezifischer Konzepte und Hintergrundannahmen bilden die Voraussetzung für eine erfolgreiche interdisziplinäre Gedächtnisforschung. In diesem Kapitel wird das Augenmerk daher auf beides gerichtet: auf einige disziplinspezifische Zugänge zum Gedächtnis und auf mögliche interdisziplinäre Vernetzungsmöglichkeiten.
Sollte man eine Definition von (kollektivem) Gedächtnis und Erinnerung(skulturen) überhaupt anstreben? Jens Ruchatz und Nicholas Pethes halten dies angesichts des weiten, transdisziplinären Feldes der Gedächtnisforschung und der Vielfalt der Gedächtnis- und Erinnerungskonzepte weder für denkbar noch für wünschenswert und lassen daher die Einträge ›Gedächtnis‹ und ›Erinnerung‹ in ihrem gleichnamigen interdisziplinären Lexikon (2001) offen. Unrecht haben sie damit nicht. Die alle Ansätze integrierende Super-Gedächtnistheorie ist noch nicht ersonnen worden (für weitreichende Versuche vgl. aber Kap. III.3.3). Hier soll, als Angebot an und Einstiegsmöglichkeit für interessierte Kulturwissenschaftler/innen, ein heuristisches Modell entwickelt werden, das deutlich semiotisch-kulturwissenschaftlichen Ursprungs ist, aber möglichst viele Anschlussmöglichkeiten für andere Ansätze offen lässt.
Kollektives Gedächtnis ist ohne Medien nicht denkbar. Schon die soziale Prägung der individuellen Erinnerung (Gedächtnis als Kulturphänomen/collected memory) beruht in hohem Maße auf medialen Phänomenen: Memory talk zwischen Mutter und Kleinkind, Kommunikation im Familienkreis, die Bedeutung von Fotos für eine mediengeleitete (Re-)konstruktion vergangener Erlebnisse, der Einfluss von Massenmedien bei der Herausbildung von Schemata und Narrationsmustern für die Kodierung von Lebenserfahrung usw. Die Konstitution und Zirkulation von Wissen und Versionen einer gemeinsamen Vergangenheit in sozialen und kulturellen Kontexten (Kultur als Gedächtnisphänomen / collective memory) werden überhaupt erst durch Medien ermöglicht: durch Mündlichkeit und Schriftlichkeit als uralte Basismedien zur Speicherung fundierender Mythen für nachfolgende Generationen, durch Buchdruck, Radio, Fernsehen und Internet zur Transmission von Versionen gemeinschaftlicher Vergangenheit in weiten Kreisen der Gesellschaft, schließlich durch symbolträchtige Medien wie Denkmäler, als Anlässe des kollektiven, oft ritualisierten Erinnerns.
Literarische Texte sind als Medien des kollektiven Gedächtnisses allgegenwärtig: Das lyrische Gedicht, der Groschenroman, der historische Roman, Fantasy-Fiction oder Liebesgeschichten — Texte aller Gattungen und Genres, sowohl die populäre ›Trivialliteratur‹ als auch die kanonisierte ›Hochliteratur‹ dienten und dienen als Medien des kollektiven Gedächtnisses. Sie erfüllen vielfältige erinnerungskulturelle Funktionen, wie die Herausbildung von Vorstellungen über vergangene Lebenswelten, die Vermittlung von Geschichtsbildern, die Aushandlung von Erinnerungskonkurrenzen und die Reflexion über Prozesse und Probleme des kollektiven Gedächtnisses. Literatur wirkt in der Erinnerungskultur. An welchen Stellen berühren sich Erinnerungskultur und das Symbolsystem Literatur? Wie unterscheiden sich literarische Texte von nicht-literarischen Texten und anderen Medien des kollektiven Gedächtnisses? Wie nehmen literarische Darstellungen von Gedächtnis auf erinnerungskulturelle Kontexte und umgekehrt, Erinnerungskulturen auf Literatur Bezug? Wie wird ein literarischer Text zum Medium des kollektiven Gedächtnisses? Und welche Funktionen vermag er dann in der Erinnerungskultur zu erfüllen?
In diesem Kapitel geht es um eine erzähltheoretische Annäherung an Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses. Die vorgestellten Kategorien eignen sich daher insbesondere zur Untersuchung von fiktionalisierten Biographien, Autobiographien und Memoiren, von historischen Romanen und Zeitromanen, von der Vergangenheitsdarstellung in Novellen und short stories, aber auch zur Analyse und Interpretation narrativer Elemente in Balladen oder Dramen, die auf kollektives Gedächtnis bezogen sind. Auch mit Blick auf weitere Medien, die narrative Vergangenheitsfiktionen entwerfen (etwa Historienfilme, Comics), kann von einer Gedächtnisrhetorik die Rede sein. Weil das Verhältnis von literarischer Form und gedächtnismedialer Funktion stets nur im Kontext konkreter Erinnerungskulturen betrachtet werden kann, es also nicht stabil ist, sondern sich von Kultur zu Kultur sowie im Laufe der Zeit wandelt, können in diesem Kapitel keine Patentrezepte zur Untersuchung von Fiktionen des kollektiven Gedächtnisses angeboten, sondern lediglich flexible Kategorien einer stark kontextorientierten ›erinnerungshistorischen Narratologie‹ aufgezeigt werden.
... Es por ello pertinente men-2 Según Assmann (2008), la memoria cultural se manifiesta en una variedad de soportes, incluidos objetos, imágenes, escritos, actuaciones y rituales. Considerando la pluralidad y heterogeneidad de versiones del pasado latentes dentro del Estado-nación, Erll (2005) propone contemplar la memoria cultural como culturas de la rememoración. ...
El Archivo de la Memoria Trans (AMT) es un proyecto que nace desde la organización colectiva en Argentina. A partir de la transversalización de perspectivas transgénero, despliega memorias en perpetua interpelación y relectura de los procesos de justicia transicional. Comprendido por un acervo principalmente fotográfico, el trabajo de esta iniciativa privilegia la visualidad. Sin embargo, propone también una respuesta sonora ante los silencios del sub-registro y las limitaciones de la imagen para lidiar con un trauma histórico pluridimensional. En este sentido, el Podcast del AMT emerge ante el deseo de expresar la densidad de lo vivido más allá del encuadre fotográfico. Trascendiendo visualidades, se desencadenan relatos que enriquecen el ecosistema mediático del AMT.
... The individual experiences that make up one's memories become more firmly rooted when narrating or sharing them with others, thus highlighting their significance within one's memory. 7 According to Erll (2005), remembering is a dynamic process, and memories are the narrated manifestation of this process. 8 This suggests that memories become more firmly established through communication and are open to reinterpretation. ...
This essay explores how seriality and televisuality inform and fuel meme culture. Television and streaming series not only provide material for internet memes, i.e., appropriable audio-visual extracts that circulate on social media and video-sharing platforms, but often already feature meme-like visuals themselves, e.g., visual or scenographic imitations of artwork, reenactments of movie scenes, or even entire iconographies of a media franchise. In a semi-historical approach, this essay explores these “memefications” as intertextual practices for recalling, recycling, and preserving cultural artifacts. Citing various cases in US series from an autobiographical collection of such revisualizations and elaborate referential networks in both legacy TV series and popular contemporary shows, this essay proposes a taxonomy of pre-internet memefication within and between series: intermedial, interserial, and intraserial memefications. I discuss them as aesthetic and praxeological precursors of current moving image memes such as TikToks, which similarly restage scenes, characteristics, or tropes from other shows, films, or media. As it is a key characteristic of televisuality to adopt and transform modes of representation from other media, I argue that television may have premeditated and mastered memefication before the conception of internet memes, which are now prevalent in everyday communication.
Eating Cultures in Children’s Literature – National, International and Transnational Perspectives investigates how the child is positioned as the consumer/eater of cultural food. It also highlights some ingredients that are to be found on more than one national menu, so to speak. We interrogate what it means to serve a “cultural meal” to a young person, identifying the discourses that are inscribed in the recipe. By analyzing authorial or translational choices, the different chapters explore the thematic and ideological roots of the stories that authors, illustrators and translators offer their young readers. The essays in this collection are organized around three themes in children’s cultural and literary texts about food and eating. In the first section, the political dimensions of food narratives are explored. Food’s power to define “us” versus “them” is key to understanding food narratives in their national and political contexts. The second part is dedicated to inter/national and transnational nightmares, specifically narratives addressing the supreme threat lurking in young people’s literature: being eaten. Finally, the collection features a section on food fantasies in young people’s narratives, and addresses the disconcerting capability of food to transform, translate, transcend and become abundantly surreal, without ever losing the power to marvel and satiate, even when it conveys complex concepts and ideas.Enjoy!
Der Beitrag diskutiert Erinnern und Vergessen im Kontext von Archivierung und qualitativer Sekundäranalyse von Biographien. Dabei wird die Rolle von Archiven bei der Bewahrung, Bereitstellung und Nachnutzung von Lebensgeschichten in Bezug auf die Erinnerungskultur herausgearbeitet. Zunächst werden verschiedene theoretische Bezüge zum Gedächtnisdiskurs hergestellt. Daran anschließend wird die Bedeutung von Archiven bei der Überführung von individuellen Erinnerungen in das kulturelle Gedächtnis entfaltet, um zu beschreiben, wie dadurch dem Vergessen entgegengewirkt wird und Biographien in die Erinnerungskultur eingebunden werden können. Außerdem wird die (digitale) Möglichkeit der Archivierung und Nachnutzung von Quellen herausgestellt, die zur Erweiterung methodischer und theoretischer Möglichkeiten sowie zur Bewahrung von Erinnerungen beiträgt. Qualitative Sekundäranalysen von biographischen Interviews können Leerstellen füllen, neue Perspektiven eröffnen und zur Nachhaltigkeit beitragen, erfordern jedoch den achtsamen Umgang mit den Daten und die Einhaltung forschungsethischer Grundsätze. Die Archivierung biographischer Narrationen leistet einen Beitrag zur lebendigen Erinnerungskultur und beugt dem kollektiven Vergessen vor, weil im Rahmen qualitativer Sekundäranalysen archivierter Quellen ein Erinnerungspotenzial entfaltet und darüber hinaus ein Reflexionsprozess über das Vergessen angeregt wird.
La presente investigación, desde una óptica postestructuralista de las Relaciones Internacionales (poniendo el énfasis en la importancia de las emociones y las imágenes en la construcción identitaria de las sociedades) profundiza en los procesos de conmemoración y justicia transicional en el espacio indo-pacífico. A través de la tecnología interactiva e inmersiva, en concreto a través de los digital games, se analiza la memoria del dolor y su reconstrucción/divulgación en Camboya, China y Corea del Sur. El marco teórico se centrará en el concepto de new media memory o memoria mediada y en el papel de esta índole de creaciones culturales en los procesos de reparación, recuperación y difusión de acontecimientos traumáticos en el sentir identitario de las naciones apuntadas. Partiendo de los paradigmas metodológicos de Alexander Vandewalle y de Eun A Jo, se destaca cómo la narrativa, mecánicas y códigos visuales de los videojuegos seleccionados (The Killer, A Brief History of Cambodia, Resistance War Online y Unfolded: Camellia Tales) los convierten en museos interactivos de la memoria al servicio de fines reconciliadores, educativos y, por supuesto, nacionalistas. En la primera sección se hace un detallado repaso de las conexiones que se establecen entre la tecnología y el entretenimiento en las estrategias presentes de recuperación de la memoria colectiva, teniendo en cuenta que este género de recreaciones y representaciones tienen poder político y restaurador cuando los actores sociales las movilizan con fines estratégicos. En un segundo bloque aparece el estudio de caso, es decir, diferentes videojuegos cuya temáticas recrean, denuncian y divulgan episodios muy dramáticos en la historia reciente de Asia-Pacífico en el siglo XX: el genocidio camboyano bajo el régimen de Pol Pot, los asesinatos masivos y violaciones de derechos humanos en China desde la ocupación japonesa de Manchuria hasta el fin de la Segunda Guerra Mundial, y, finalmente, la masacre de la isla de Jeju, en Corea del Sur, en 1948, por parte del gobierno de Seúl y las fuerzas de ocupación de EEUU. Este estudio revela que la memoria colectiva y su representación digital adopta formas muy variadas dependiendo de la intención de las políticas estatales (o las ausencias de las mismas) que las promueven: reconciliación (saga Unfolded), denuncia y nacionalismo exacerbado (Resistance War Online) o divulgación a través de la simplicidad compositiva (títulos sobre Camboya). .
The article deals with the stories of Pom-Pom, which appeared in Hungary from the beginning of the 1980s, initially in the media network of picture books and animated films. Since the 2010s, the characters have increasingly appeared in the public space of Budapest: first in the context of thematic playgrounds, then in the form of mini-sculptures, and finally street art murals. In terms of time, these events coincide on the one hand with the so-called critical threshold, that transition between communicative and cultural memory, and on the other hand they set in at a point in time initiated by the operational end as well as the incipient building decay of the renowned Pannónia film studios. The examples chosen solely according to the criterion of visibility in public space prove to be representations planned, supported and tolerated by the public authorities.
Der Aufsatz untersucht die komplexen Interaktionen zwischen Erinnerungskultur, kollektivem Gedächtnis und der Tabuisierung bestimmter historischer Ereignisse am Beispiel von „Deutschenmädchen“ und „Deutschenkindern“ in Norwegen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Das kollektive Gedächtnis fungiert als kulturelles Konstrukt, das die Art und Weise beeinflusst, wie Gesellschaften historische Ereignisse interpretieren und weitergeben. Die Autorin analysiert die Erinnerungskultur in Norwegen und ihre Auswirkungen auf die Darstellung der „Deutschenmädchen und „Deutschenkinder“, die während des Krieges in Norwegen lebten, unter Berücksichtigung der skandinavischen Forschung zum Thema. Die Tabuisierung bestimmter Aspekte wird als wichtiger Faktor betrachtet, der die Entwicklung des kollektiven Gedächtnisses beeinflusst. Die vorliegende Untersuchung nutzt eine interdisziplinäre Methodik, die museale Verarbeitung, literarische Werke, filmische Darstellungen und zeitgenössische Medien wie Videogames einschließt. Durch die Analyse dieser vielfältigen Quellen wird ein umfassendes Bild von der Interaktion zwischen Erinnerungskultur, kollektivem Gedächtnis und der Behandlung von „Deutschenmädchen“ und „Deutschenkindern“ während und nach dem Zweiten Weltkrieg in Norwegen gezeichnet. Die Ergebnisse des Aufsatzes zeigen ebenfalls einen Wandel in der Wahrnehmung einerseits der Frauen und Kinder durch die Bevölkerung Norwegens und andererseits der eigenen Rolle der Bevölkerung im Verhältnis zu diesen. Es lässt sich schlussfolgern, dass der negative Umgang mit „Deutschenmädchen“ und deren Kindern intensiv im kollektiven Gedächtnis verhandelt wird und sich überdies in einem „floating gap“ befindet, da die Phase der Ritualisierung noch aussteht.
Inwiefern spiegeln Videospiele und ihre Kultur gesellschaftliche Machtverhältnisse? Vor welchen Herausforderungen steht die Spieleindustrie und welche strukturellen Mechanismen prägen sie? Wie können virtuelle Welten utopische Möglichkeitsräume eröffnen? Erstmalig im deutschsprachigen Raum versammeln die Beiträger*innen kritische Perspektiven auf herrschende Ideologien sowie die Produktion und die Nutzung eines Mediums, dessen gesellschaftliche Relevanz stetig wächst. Dabei finden sie Zugänge über Kunst, Wissenschaft sowie Journalismus, um Videospiele im Spannungsfeld von Kapitalismus, Patriarchat und Kolonialismus unter die Lupe zu nehmen.
Als Sinnstiftungssysteme prägen Kulturen das Handeln und Denken von Individuen, werden aber auch aktiv von ihnen gestaltet. Das Kompetenzfeld „kulturelle Bildung“ fokussiert dabei das Hineinwachsen und Orientieren in sowie das kritische Reflektieren und die Teilhabe an Kultur bzw. Kulturen. Es gehört zu den wesentlichen Aufgabengebieten von Schule und Unterricht und fokussiert die systematische und reflexive Unterstützung Lernender in ihrem kompetenten Umgang mit Kultur(en) und kultureller Vielfalt. Lehrerinnen und Lehrer sind dabei zentrale Akteure, denn sie bieten kulturelles Wissen an und unterstützen beim Einüben kultureller Praktiken. Dadurch fördern sie Lernende in ihrer Fähigkeit zum kompetenten Umgang mit Kultur. Gleichzeitig stehen Lehrkräfte vor immensen Herausforderungen: Im Kontext fortschreitender Digitalisierung und Globalisierung wird der Traditionsbestand der Sinnstiftungssysteme zunehmend infrage gestellt. (Angehende) Lehrkräfte benötigen Kompetenzen zur (De-)Codierung von Kultur(en), um u. a. Schülerinnen und Schüler im diversitätssensiblen Umgang mit den Sinnstiftungssystemen zu bestärken und so ihre Orientierungs- und Handlungsfähigkeit im Kontext kultureller Vielfalt zu fördern. Im Verbund mit den Bildungswissenschaften leisten gerade die Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften einen elementaren Beitrag zu diesen Aufgaben. In vorliegendem Sammelband werden Perspektiven gebündelt, die die Professionalisierung von Lehrkräften im Kompetenzfeld kultureller Bildung beleuchten und Herausforderungen, Potentiale und Standards fachbezogen und überfachlich diskutieren. Der interdisziplinäre Band fokussiert dadurch auf mehreren Ebenen die Kontexte kultureller Bildung in Schule und Unterricht und erörtert die Herausforderungen sowie die Möglichkeiten einer kulturellen Lehrerinnen- und Lehrerbildung.
"This paper intends to illustrate an often neglected, yet relevant aspect of the collective memory construction in communist Romania. In addition to other forms of collective remembrance, cinematic representations of the recent past have played a significant role for both the political regime and the Romanian society by providing political legitimacy as well as entertainment. The communist resistance was one of the most recurrent topos of collective memory, whereas underground party supporters – the so called “illegalists”- often had to be presented as figures of identification. The cinema permitted, however, a negotiation of the recent past on different levels. Starting from these considerations and focusing on the film production „Duminică la ora 6“(Sunday at Six, Lucian Pintilie, 1966), the paper brings into discussion the communist resistance discourse during the liberalization period. Keywords: communist resistance, cinema, collective memory, communist regime, Romania, liberalization period"
IIija Trojanow, one of the Bulgarian writers of Contemporary German Literature, penned the story of the Luxow family's migration from Bulgaria to Germany in his first novel, "The World is Big, and Salvation Lurks Everywhere" (Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, 1996). Employing self-reminiscences ingrained in his autobiographic memoir, the author reveals how the oppressive communist regime of the 70s affected society in the novel's story of the Luxow family. The novel is composed employing modern and post-modern narration techniques. The past is rendered in the story of Alex Luxow, the main character, who loses his family in a traffic accident in Germany and cannot recall past events before this accident. In addition, the main character's journeys in tandem with his godfather Bai Dan, who helps him in the healing process both physically and spiritually, indicate the search for an individual and cultural identity. This study discusses how the main character's memories of the overshadowed past are revived and what they point to while surpassing individual/cultural boundaries in the context of memory objects in autobiographical and collective reminiscences.
Im vorliegenden Beitrag gehe ich der Frage nach, welchen Anteil die Fachgeschichtsschreibung an der Herausbildung und Entwicklung einer Fachidentität der deutschen Prähistorischen Archäologie hatte. Dafür stelle ich unterschiedliche Arten der Bezugnahme deutscher Prähistoriker auf ihre »kollektive Vergangenheit« dar und beschreibe sie als eine Form kultureller Erinnerungspraxis. Ich möchte damit das Spektrum der Entwicklungen, Ereignisse, Erkenntnisse und Protagonisten vorstellen, die von verschiedenen Fachvertretern zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung der Prähistorischen Archäologie als erinnerungswürdig und damit identitätsstiftend angesehen wurden.
Over 25 years after the fall of socialism, the memory of this period in European history continues to oscillate between nostalgia and opprobrium. For textbooks, as educational media and carriers of cultures of memory, this state of disagreement amounts to both a challenge and an opportunity to reflect societal debates around the issue. In their overview of current work on the depiction of socialism in textbooks, the authors uncover the theoretical assumptions and methodological approaches underlying this research and point the reader towards innovative work which ventures beyond simple analysis of textbooks’ shortcomings in this regard. This chapter reveals a preponderance of research on Germany and post-Soviet countries and casts light on the heterogeneity of the theoretical premises and findings of work in this area.
The staging of history in literature is engaged in dynamic exchange with society’s memory discourses and in this context, literature is generally seen as playing a creative role as a formative medium in memory cultures. For some time, however, many feel that established concepts of Cultural Memory Studies need to be reconsidered for multiethnic societies. The assumption is that official memory cultures tend to exclude people with a migrant background from identity-forming discourses about the past. Using Germany as an example, this paper argues, first, that the question of memory in multiethnic societies needs to be reconsidered indeed, but in a different direction than has been assumed so far, and, second, that much-discussed concepts such as the post-migrant paradigm or multidirectional memory tend to circumvent the problems at hand rather than contribute to their solution. The paper therefore discusses the preconditions for a literary-theoretical engagement with this socio-political issue and the direction in which an alternative conceptualization would have to go – that is, not a new theory or method, but a novel perspective that should be the basis for future theory building .
Rather than confining the notion of a »shared history« to, either the common history of a country’s native population, or to the history since migration shared by minorities and receiving society, this paper proposes to focus on actual links between the histories of Germany as the receiving society and the histories of the new Germans’ countries of origin. Using literary texts and discussing a concrete example, it brings such shared histories to the fore and explores how they open up national memory discourses transnationall y. The underlying vision is that these important components of multiethnic societies have the potential to show a way in which national and transnational memory landscapes as a whole could be transformed. In this sense, the metaphor of »Migration into Other Pasts« may be rephrased as migration not »into the past of others« but a territorial move within one common shared history . The paper therefore shows that the prerequisites for a literary-theoretical examination of the question of memory culture in multiethnic societies and its literary representations must be sought in the offerings of literature itself. The literary example, Orkun Ertener’s novel Lebt (Alive/Live! 2014), with its numerous entangled and interweaving shared histories shows particularly clearly how literature can function as a drive or even theory generator for concepts to be developed – instead of, conversely, imposing readymade concepts on both German multiethnic societies and its literary production.
The novel perspective of this paper can be summarized in the inversion of the conventional point of departure: Instead of looking for a way to include people with a migrant background into the German memory culture, the first question to be asked should be how, in the age of the general recognition of concepts of entangled history, the idea could arise and persist for so long that migrants with Turkish roots, for instance, have no relation to German history. By focusing on the historical connectivities between Germans and new Germans, Orkun Ertener’s novel Lebt chooses a different approach in this regard. It provides a transnational expansion of memory discourses on German, Greek, Jewish and Turkish/Ottoman history and thus opens up a new and long overdue memory space that is of central interest to multiethnic societies in Germany and beyond. As it seems, it takes writers who are more interested in entangled histories than in history as a resource for identity to get this right. Ertener undoubtedly belongs to this type of writers, as evidenced not least by the fact that he cites or refers to some of the most important historical studies for his context from Mark Mazower’s Salonica – City of Ghosts , a standard reference on the multiethnic and multicultural history of Thessaloniki, to Turkey, the Jews and the Holocaust by Corry Guttstadt who challenged the myth of a Jewish-friendly policy in Turkey. Ertener’s novel Lebt is saturated with the interconnected histories of various ethnic groups and may therefore serve as a blueprint for a vision of memory culture in a multiethnic society .
In conclusion, the essay outlines that developing an alternative concept of memory and historical consciousness in multiethnic societies and their literary representations cannot be based on much-discussed concepts such as post-migration or multidirectional memory. Although a superficial glance suggests that they might be the obvious choice for the topic of this paper, a novel take on multiethnic memory landscapes must start from specific shared histories and their entanglements. The paper therefore proposes that a bottom-up development of theoretical-methodological work is necessary in the case of representations of memory in multiethnic societies. This approach must highlight how links between the histories of the receiving societies and the histories of the migrants’ countries of origin are, or could become, important components of an alternative memory culture in multiethnic landscapes – and that these links hold the potential for transforming national and transnational memory landscapes as a whole.
Anhand historischer Germanismen in Nachbarsprachen des Deutschen (v.a. des Englischen, aber auch des Polnischen) versucht der Beitrag aus interdisziplinärer Sicht die Frage zu beantworten, wie sprachliche Ausdrücke als immaterielle Erinnerungsorte (P. Nora) konzeptualisiert werden können. Nach einer Übersicht über die relevante geschichts- und sprachwissenschaftliche Literatur wird zunächst vorgeschlagen, das Denotat lexikalischer Erinnerungsorte als narrative Abbreviatur (J. Rüsen), das Konnotat als historisches Stereotyp (H.H. Hahn, H. Orłowski) zu beschreiben. In einem zweiten Schritt wird die strenge Dichotomie von Denotat und Konnotat durch eine flexiblere framesemantische Konzeption ersetzt. So lässt sich linguistisch modellieren, wie Sprache als Erinnerungsstabilisator (J. Fried) die Ordnungen des sozialen Gedächtnisses (H. Feilke) herzustellen und weiterzutragen hilft, und zwar auch übereinzelsprachlich, insofern nämlich translingualer Wortschatz als Repertoire transnationaler Erinnerungsorte zur perpetuierenden Aktualisierung geteilter Erinnerung beiträgt.
Background:
Crimes against humanity took place in many institutions as well as psychiatric departments during the Nazi dictatorship.
Objectives:
The aim of this review paper is to present a special kind of dealing with crimes in psychiatric institutions on a local and regional level.
Methods:
Analogous to the psychiatric-psychotherapeutic approach with traumatized individuals, the procedure "secure-describe and work through-reconnect" is suggested for the collective within the frame of remembrance work and commemorative culture.
Results:
As an example of a collective memorial process, the handling of the topic of the crime of Nazi euthanasia in Carinthia/Austria is presented.
This paper presents a case study dedicated to a particular genre of folk music popular in the Alpine countries, and its collection and display in Austria in connection with a project in which the author was involved. The theoretical and practical questions related to this study reflect the needs and challenges posed by this topic in terms of museum documentation and communication. The aim of the paper is to expand the current discourse in the field by discussing the relationships between this genre of music as an intangible social phenomenon and as tangible cultural heritage. The paper presents the case study in an international context of discussion on the display of music culture and the role of sound in exhibitions, and connects theoretical considerations with practical approaches.
This chapter argues that in postmigrant literature published since the 1990s, a new mode has emerged that traverses different countries and cultures: multilingual autofiction. The chapter explores the aesthetic scope and political potential of this autofictional mode for the negotiation of an author’s multilingual identities, with reference to case studies from Germany, Sweden, and Denmark: Feridun Zaimoğlu’s Kanak Sprak: 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft ( Kanak Sprak: 24 Discordant Notes from the Margin of Society ) (1995) Jonas Hassen Khemiri’s Ett öga rött ( One Eye Red ) (2005), and Yahya Hassan’s Yahya Hassan (2013). It investigates the ways in which the flexibility that autofictional strategies afford is mobilized in these texts to penetrate political discourses on migration, transculturality, and racism.
We like to see ourselves as autonomous beings—that is what we are. No one tells us what music we like or who we fall in love with. However, we are also “social beings”—firmly integrated into the structures that shape and orient us throughout our lives, offer us a coordinate system of the world. If choices are free, then we can also fail. To choose is to make mistakes. It becomes clear why forgiveness has a direct effect of freedom.
Göç etmek zorunda bırakılmış insanların yaşadıkları travmalardan biri de uğruna her şeyin göze alındığı ve pek çok şeyin feda edildiği sevgiliden, belki bir daha hiç görüşmemek üzere ayrılmaktır. İnsanın doğup büyüdüğü ve bahçesinde koştuğu evi terk edip oraları bir daha görememesi, en yakınlarından ayrılması da diğer bir travmatik yaşantıdır. Bu çalışmada Türk kadın yazarlardan Canan Tan’ın “Hasret” ve Nur İçözü’nün “Hürriyet” adlı anıya dayalı bellek romanları karşılaştırılmaktadır. Her iki yazarın eseri, 1900’lü yılların başında gerçekleşen Balkan Savaşları ile Birinci Dünya Savaşı ve Kurtuluş Savaşı’nda yaşanan zorlukları, travmaları, ekonomik çöküntüyü, göç etme mecburiyetini, güç kaybını ve yabancılaşmayı dile getirir. Savaş sonrası Lozan mübadelesi ile göç etmek zorunda kalan Türk ve Yunan diyesi Rum halkının göç sonrası karşılaştıkları hoşgörü yoksunluğu ele alınmaktadır. Her iki eserde de birbirlerine bir türlü kavuşamayan Rum ve Türk âşıkların hazin aşk hikâyeleri göç unsurunun yıkıcılığı bağlamında irdelenip aşkın mübadelesinde sevginin farklı dil, din veya ırk tanımadığı konusuna eleştirel bakış açısı sunulmaktadır.
The following article discusses Regina Scheer’s novel Machandel (2014) and the approach to personal memory and historical perception that Scheer develops by drawing on Walter Benjamin’s famous essay On the Concepts of History, published in 1940. The article examines formal and narrative aspects of the novel, which tells the story of a family and an East German village from the 1930s until the present day, in order to demonstrate how Scheer rejects the possibility of direct access to history and the reconstruction of the past. Special attention is devoted to the specific meanings of different forms of silence and the role of literature in the process of cultural memory.
The analysis of urban experience of modernity developed simultaneously with the analysis of collective memory. Urban space is related with a palimpsest metaphor, which includes urban memory in the history of memory understood as a history of the media. In recent years the relationship between memory and a city is analyzed on the examples featuring multiculturalism and migration movements of the cities of the Central Europe, e.g. in the Vienna monograph ca. 1900 Das Gedächtnis der Städte (The Memory of the City) by Moritz Csaky. On the other hand, the media paradigm is used by Christine Boyer, who analyses visual manifestations of city memory in her book The City of Collective Memory. Juxtaposition of the two mutually complementing scientific attitudes invokes a need to postulate a deeper analysis of the role of popular culture and visuality in shaping the memory of cities, as well as conducting further studies on cross-country and transnational “cultural tangles”.
Gerne sehen wir uns als autonome Wesen – das sind wir. Niemand schreibt uns vor, welche Musik wir mögen, in wen wir uns verlieben. Jedoch sind wir ebenso „soziale Wesen“ – fest eingebunden in die Strukturen, die uns lebenslang prägen und orientieren, uns ein Koordinatensystem der Welt bieten. Wenn Entscheidungen frei sind, dann können wir auch irren. Wählen bedeutet Fehler machen. Es wird deutlich, warum das Verzeihen eine direkte Auswirkung der Freiheit ist.
Der Artikel geht der Frage nach, wie die ehemals multikulturelle Industriestadt Łódź in der Region (aber auch darüber hinaus) wahrgenommen und wie darüber (interdisziplinär) geforscht und geschrieben wird. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf der Rolle der Łódźer Germanistik bei der Wiederentdeckung der deutsch-polnisch-jüdischen Vergangenheit in den letzten zwanzig Jahren.
The article introduces the notion of the “post-German” archive as an idea for further research on the erased cultures of Central Europe. The author questions the hierarchical and top-down structure of the institutionalized archive. Instead, she proposes to understand the “post-German” archive as an inclusive conception. It would incorporate various narratives, languages, and perspectives. In this way, the canonization of given motives can be avoided. The author pays special attention to the responsibility of the researcher. She illustrates the theoretical framework with examples from Polish and Czech archival practices.
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