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UNIVERSITAS COMENIANA FACULTAS PHILOSOPHICA
MUSICOLOGICA ISTROPOLITANA XII
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Randbemerkungen zu den Wandlungen
der Kategorie des „Slowakischen“
in der slowakischen Musik*
Vladimír Zvara
Lehrstuhl für Musikwissenschaft, Philosophische Fakultät
der Comenius-Universität in Bratislava
vladimir.zvara@uniba.sk
Aus einem weiteren, sagen wir, europäischen Blickwinkel könnte die Frage
der Nationalität in der Musik und der nationalen Musikkulturen heute, bzw.
seit dem zweiten Weltkrieg bis in unsere Gegenwart, nicht nur als marginal
erscheinen (das ist sie sozusagen schon ex denitione), sondern auch als
geklärt und ad acta gelegt. Nationale Musik ist ja bekanntlich ein Thema
des 19. Jahrhunderts.
So einfach ist es aber doch nicht. Zum ersten wurde bewiesen, dass
der Vorwurf des Nationalismus, mit dem die großen Nationalkulturen
die kleinen „Randkulturen“ zu bewirten und tadeln pegen, nicht selten
auch als Instrument zur Anwendung nationalistischer Strategien und des
Ausschließlichkeitsanspruchs der Großen diente.1 Mit der „Randposition“
der „Nationalschulen“ ist es komplizierter, als dies Franz Brendel2 oder
* Der Beitrag erschien in slowakischer Sprache unter dem Titel: Marginálie k premenám
„slovenskosti“ v slovenskej hudbe, in: Slovenská hudba 20. storočia v pohľadoch a kon-
textoch, hrsg. von Ľubomír Chalupka, Bratislava 2011, S. 31 – 48.
1 Vgl. Richard TARUSKIN: Nationalism, in: The New Grove Dictionary of Music
and Musicians, zweite Ausgabe, hrsg. von Stanley Sadie and John Tyrell, Bd. 17,
Basingstoke 2001, S. 689 – 706.
2 Franz BRENDEL: Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich von
den ersten christlichen Zeiten bis auf die Gegenwart: fünfundzwanzig Vorlesungen ge-
halten zu Leipzig, Leipzig 1852.
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Theodor W. Adorno3 erscheinen mochte. Sind Mussorgski, Janáček und
Bartók tatsächlich Randerscheinungen der Musikgeschichte, ist ihr Beitrag
nachweislich weniger grundsätzlich als der der Komponisten des Main-
streams? Und zum zweiten ist die Idee der Nationalkultur, zumindest in
unseren Breitengraden, auch heute noch lebendig. Im Zusammenhang mit
aufschwingenden Nationalgefühlen im Kielwasser national orientierter Po-
litik eines jeweiligen Landes erfährt die Idee der Nationalkultur oft überra-
schende Renaissancen.
Im Grundsatz bleibt die Idee der Nationalkultur jedoch ein im 19. Jahr-
hundert verankertes Phänomen. Ihr Aufstieg hatte bekanntlich einige funda-
mentale historische Ursachen. Unter anderem war er der Aufforderung Jo-
hann Gottfried von Herders an die Nationen geschuldet, geistiges Reichtum
und Kraft in ihren jeweiligen nationalen, insbesondere kulturellen Erben zu
suchen. Ein weiterer Faktor war der wirtschaftliche und gesellschaftliche
Aufstieg und die Emanzipation der Mittelschicht – des Bürgertums, das auf
die Lockerung der strikt vertikalen, standesgemäßen Gliederung der Ge-
sellschaft zu drängen begann. Im Zuge der Kristallisierung der nationalen
Bewegungen spielte schließlich auch das Bedürfnis nach Abgrenzung eine
wichtige Rolle: der jeweiligen nationalen Gemeinschaften gegenüber dem
gefährlichen Nachbarn (Deutsche gegenüber Franzosen) oder gegenüber
einer direkten Fremdherrschaft (Italiener gegenüber Österreich) oder aber
gegenüber einer anderen im selben geographischen Raum dominierenden
Gemeinschaft (Tschechen gegen deutschsprachige Böhmen).
Dies waren die Hauptmotive der Entstehung der nationalen Bewegungen
in der zweiten Hälfte des 18. und im frühen 19. Jahrhundert. Ihre Motive und
ihre Erscheinungsformen haben sich allerdings im Laufe der Zeit wesent-
lich verändert. Die Idee der deutschen Kultur ging einen wahrlich langen
Weg von Herder – der das Deutschtum als Beitrag zum europäischen Kul-
turschatz betrachtete, als eine der Quellen, aus denen eine höhere kulturelle
Synthese entstehe4 – bis hin zu Kaiser Wilhelm I., d. h. zum Verständnis der
Kultur als Requisite und Instrument zur Durchsetzung deutscher Hegemo-
3 Theodor W. ADORNO: Einleitung in die Musiksoziologie: Zwölf theoretische
Vorlesungen, Frankfurt am Main 1975; derselbe: Glosse über Sibelius, in: derselbe,
Gesammelte Schriften, Bd. 17 (= Musikalische Schriften, Bd. IV), Frankfurt am Main
1982, S. 247 – 252.
4 Vgl. Bernd SPONHEUR: Über das „Deutsche“ in der Musik. Versuch einer idealtypi-
schen Rekonstruktion, in: Deutsche Geister – böse Geister? Nationale Selbstndung in
der Musik, hrsg. von Hermann Danuser und Herfried Münkler, Schliengen 2001, S. 128.
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nialinteressen. Die hegemonistische Tendenz des deutschen musikhistori-
schen Schrifttums der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in weniger
ostentativen Form auch im 20. Jahrhundert weiterwirkte (und deren Erbe in
einer gewissen Weise Adorno war, aber auch Hans Heinrich Eggebrecht5),
konnte inzwischen einer objektivierenden historischen Forschung unterzo-
gen werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass dadurch die stereotype aka-
demische Aufteilung der europäischen Musik in italienische, französische,
deutsche und die der „Nationalschulen“ ihre Gültigkeit verloren hätte.
Die „Nationalschulen“ der musikalischen „Nebenvölker“6 des 19. Jahr-
hunderts, d. h. besonders die der skandinavischen Länder, der Slaven (Rus-
sen, Polen, Tschechen) und der Ungarn griffen im Interesse der Abgren-
zung, bzw. im Sinne von Herders Erfassung des „Volksgeistes“, musika-
lische Elemente auf, die damals als typisch national empfunden wurden.
Carl Dahlhaus verweist darauf, dass diese Elemente ihrer musikalischen
Substanz nach meistens nicht singulär national sind, sondern dass mehrere
traditionelle Kulturen quer durch den Kontinent daran Anteil haben (sie-
he z. B. den „dudelsackartigen“ Quint-Bourdon oder die lydische Quart).
Nicht so sehr die Frage nach Authentizität und Singularität des Materials
war primär; entscheidende Bedingung der Konstituierung einer “nationa-
len Musik“ war – so Dahlhaus – die Begutachtung und „Akklamation“
seitens des nationalen Publikums.7
Elemente des Folklorismus (oder des Quasi-Folklorismus) in der „ho-
hen“ Musikkultur wurden zunächst im Herderischen Sinn als positive, er-
neuernde, fortschrittliche Entwicklung betrachtet. Erst später wurden sie im
universalistisch-hegemonialen musikhistorischen Schrifttum aus Deutsch-
land und anderen „zentralen“ Musikländern an den „Rand“ der geschicht-
lichen Entwicklung verbannt. Im 20. Jahrhundert, vor allem im Milieu der
musikalischen Avantgarde, nahmen die Zweifel an einer ästhetischen und
historischen Berechtigung der Verwendung folkloristischer Elemente in die
5 Vgl. Hans Heinrich EGGEBRECHT: Musik im Abendland: Prozesse und Stationen
vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1996. Vgl. auch die Polemik zu dieser
Arbeit: Vladimir KARBUSICKY: Wie Deutsch ist das Abendland? Geschichtliches
Sendungsbewusstsein im Spiegel der Musik, Hamburg 1995.
6 Dieser Ausdruck, der in der seinerzeitigen Musikpublizistik, aber auch bei Hugo
Riemann vorkommt, stellt eine gute Charakteristik der Konstellation nationaler
„Musiken“ in der traditionellen Auffassung der Musikgeschichte dar.
7 Carl DAHLHAUS: Die Musik des 19. Jahrhunderts (= Neues Handbuch der
Musikwissenschaft, Bd. 6), Laaber, S. 33 – 34, 180 – 187, 259 – 261.
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Kunstmusik zu – in manchen Fällen gewiss legitim.8 Schließlich setzte sich
– diametral zur Herderschen Romantik – die extreme Position durch: Folklo-
rismus in der Kunstmusik wurde pauschal als negativer Wert postuliert. Das
Wirken von Komponisten der Nachkriegsgeneration und von Apologeten
der Neuen Musik wie Theodor W. Adorno, unterstützt von der Kulturpolitik
des Westens in der Zeit des sich anbahnenden kalten Krieges,9 spielten dabei
eine entscheidende Rolle. Nun stand Folklore für Regress und war hierin ein
Teil der Demarkationslinie zwischen West und Ost (wo „Volkstümlichkeit“
von den Komponisten gefordert wurde). Leoš Janáček, Béla Bartók und Igor
Strawinsky wurden im Westen zu „exterritorialen“ Erscheinungen der Musik-
entwicklungen stilisiert.10 Und ihr Werk wurde in dieser politisch aufgelade-
nen Zeit zum Gegenstand ideologisch bedingter Selektion.11
***
Was soll aber mit uns geschehen, mit jenen Musikkulturen, die im 19.
Jahrhundert nicht einmal unter den „Nationalschulen“ etabliert waren, die
auch noch während des gesamten 20. Jahrhunderts hinsichtlich ihres An-
teils am internationalen Repertoire und hinsichtlich ihrer Position in der
Musikgeschichte musikalische „Nebenvölker“ waren? Was soll mit uns ge-
schehen, die wir weder einen Smetana, noch Grieg, weder Janáček, noch
Bartók, weder Lutosławski, noch Ligeti hatten. Und die wir hinsichtlich
der institutionellen Basis des Musiklebens und des gesellschaftlichen Dis-
kurses über Musik zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im
Vergleich zu den etablierten Musikkulturen des Kontinents eindeutig rück-
ständig waren. (Auch wenn das zur Ausrüstung der linearen Geschichts-
schreibung gehörende Wort „rückständig“ vorsichtig zu verwenden ist.)
8 Arnold SCHÖNBERG: Symphonien aus Volksliedern, in: derselbe: Stil und Gedanke
(= Gesammelte Schriften, Bd. 1), hrsg. von Ivan Vojtěch, Frankfurt/Main 1976, S. 185
– 192.
9 Vgl. Mark CARROLL: Music and Ideology in Cold War Europe, Cambridge 2003.
10 Zu Adornos Begriff der „exterritorialen Musik“ im Kontext unserer Betrachtungen
bringt folgende Arbeit wertvolle Anregungen: Lubomír SPURNÝ: „Exteritoriální“
Hába – několik poznámek k Adornově pojmu „exterritoriale Musik“ [Der „exterrito-
riale“ Hába – einige Bemerkungen zu Adornos Begriff „exterritoriale Musik“], Opus
musicum 33 (2001), Nr. 6, S. 11 – 16.
11 Vgl. Danielle FOSLER-LUSSIER: Bartók Reception in Hungary and the Transition to
Communism, 1945 – 55, Dissertation, University of California, Berkeley 1999.
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Im Bewusstsein der internationalen Kulturöffentlichkeit scheint die slo-
wakische Musik, genauer die Musik aus der Slowakei, nahezu überhaupt
nicht zu existieren. Als ob die internationale „Position“ der in unserem
Land entstandenen und entstehenden Musik indirekt die Vermutung be-
stätigte, dass die nationalen Musikkulturen doch primäre Daseinsformen
wären, von denen sich einige durchzusetzen vermögen, andere aber nicht.
Solche und ähnliche Gedanken gingen mir vor mehr als zehn Jahren durch
den Kopf, als ich an meiner Dissertation über die Oper Auferstehung von
Ján Cikker (1911 – 1989) arbeitete,12 über ein Werk, das in den 1960er
und 1970er Jahren in Europa und besonders in beiden deutschen Staaten
zu den häug aufgeführten Opern gehörte und das heute trotzdem nicht in
einschlägigen deutschsprachigen Geschichtsbüchern zu nden ist.
Die wenig ermutigende internationale Position der meisten der zu den
musikalischen „Nebenvölkern“ gehörenden Komponisten beförderte im lo-
kalen musikwissenschaftlichen Schrifttum das Beharren auf der lokal-eth-
nischen historischen Hypothese und damit eine deutlich defensive Haltung.
Danach ist die Musikgeschichte eines Landes (oder einer ethnischen Ge-
meinschaft) als primär autonomer Entwicklungsprozess zu deuten; er ver-
liefe auf dem dualen Hintergrund der heimischen Tradition einerseits und
modernisierenden Anregungen von außen andererseits. Damit wäre das von
Adorno postulierte Modell von Zentrum und Peripherie nur bestätigt.
Das aber schien mir als hoffnungsvollem jungen Deuter und Apologeten
der slowakischen Oper allzu bedrückend zu sein. Ich kam nämlich zu der
Überzeugung, dass Cikkers Auferstehung und viele andere Musikwerke
aus der Slowakei einmalige und vor allem aktive Beiträge zur europäischen
Musik, bzw. zur europäischen Oper darstellten. Ich lernte auch weniger
gelungene Kompositionen einzuschätzen. Meine Wachsamkeit gegenüber
der in der heimischen Fachliteratur angewandten lokal-ethnischen Hypo-
these, die unter Umständen zu einem wertnivellierenden „Gänsemarsch“
der Komponisten und ihrer Werke führt, war geschärft. Andererseits war
ich stets ein wenig von den gegenteiligen Versuchen geängstigt, mit denen
energisch, sozusagen managerartig selektiert wurde, was von unserem mu-
sikalischen Erbe internationales Niveau und (bei richtig gewählten PR-Me-
thoden) Hoffnung auf Erfolg außerhalb der Slowakei haben könnte. Sobald
12 Vladimír ZVARA: Ján Cikker: Vzkriesenie. Genéza, osudy a interpretácie operného
diela / Ján Cikker: Auferstehung. Entstehung, Wirkung und Interpretation der Oper,
Bratislava 2000.
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Individuen oder am Ende gar Institutionen solche Selektionen durchführen,
ohne vorherigen wertbestimmenden Diskurs in einer breitgefächerten Kul-
turöffentlichkeit, sind die Gefahren von Voluntarismus viel zu groß.
Damals fand ich den Schlüssel zu diesem Problem – und damit beschlie-
ße ich den persönlichen Exkurs – bei Carl Dahlhaus und in dem von ihm
formulierten Konzept der Werkgeschichte. Diese Methode gehe aus dem
ästhetischen Zugriff auf ein einzelnes Werk hervor – aus der Überzeugung
von seiner künstlerischen Qualität, was erst nachträglich zu historischen
Urteilen führt.13 Werkgeschichte ist damit eine Alternative zu Adornos Me-
thode der Musikhistoriographie, die – verkürzt gesagt – ihre ästhetische
Urteile aus den historischen Begebenheiten fällt, also danach, was „an der
Zeit ist“ und was nicht.
Ich konzentrierte mich also auf ein konkretes Werk, in dem meiner An-
sicht nach Cikker „nach den Sternen griff“. Und ich versuchte es, nicht nur
den Weg des Komponisten zum chef d´oeuvre, sondern besonders dessen
Qualität und Einmaligkeit und dadurch auch seine historische Bedeutung,
seinen Rang in der Geschichte, nicht nur der slowakischen Oper, wissen-
schaftlich zu ergründen.
***
In der kleinen und „jungen“ slowakischen Musikkultur des 20. Jahrhun-
derts wurden die volksmusikalischen Elemente und daraus gewonnenen In-
spirationen für die Kunstmusik überwiegend als positiver Wert empfunden,
und zwar lange vor Schdanow. Dies ist auch im musikwissenschaftlichen
Schrifttum, in der musikalischen Publizistik und in sonstigen historischen
Quellen und Zeugnissen bestätigt.14 Bereits seit den 1920er Jahren wurde
diese Besonderheit der slowakischen Musikkultur mit ofzieller Unter-
stützung zu einer kulturpolitischen Konstante. Die Regime änderten sich,
aber die Präferenzen zur „nationalen Musik“ blieben fortan unverändert.
Die Idee der slowakischen Musik kam regelrecht unter politischen Einuss
13 Carl DAHLHAUS: Geschichte und Geschichten, in: Die Musik der fünfziger Jahre.
Versuch einer Revision, hrsg. von C. Dahlhaus, Mainz 1985, S. 10.
14 Vgl. Jana LENGOVÁ: Die slowakische Musik des 20. Jahrhunderts und die Idee der
Nationalmusik, in: Nationale Musik im 20. Jahrhundert. Kompositorische und soziokul-
turelle Aspekte der Musikgeschichte zwischen Ost- und Westeuropa. Konferenzbericht,
hrsg. von Helmut Loos und Stefan Keym, Leipzig 2004, S. 84 – 96.
WANDLUNGEN DER KATEGORIE DES „SLOWAKISCHEN“
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– im Rahmen der kulturpolitischen Erfordernissen der ersten Tschechoslo-
wakischen Republik, einschließlich der wichtigen Rolle der (Tschecho-)
Slowakisierung von Bratislava, später im Rahmen der scharf umrissenen
vaterländischen Doktrin des völkisch-nationalen Regimes des slowaki-
schen Staates (1939 – 1945) und schließlich unter den Vorzeichen des kul-
turpolitischen Kurses der 1950er Jahre, der bereits im Kaschauer Regie-
rungsprogram (1945) angekündigt war.15
Die „nationale Musik“ als langfristig wirkender positiver Wert griff auch
auf das Publikum und die musikalische Öffentlichkeit über. Zwar steht eine
Geschichte des slowakischen Musikpublikums noch aus, doch manches
dazu kann aus schriftlichen Referenzen und Nachrichten über Urauffüh-
rungen und Aufführungszahlen einzelner Werke entnommen werden. Es
scheint, als hätte das Publikum in Zeiten einer stark ideologisierten Kul-
turpolitik die Manifestationen vom „Volkstümlichen“ und vom „Slowa-
kischen“ im stilistischen und institutionellen Rahmen der Hochkultur als
wahrhaftige, von Politik und Ideologie unabhängige Feste der nationalen
Kultur wahrgenommen. Z. B. berichtet nicht nur die Presse, sondern auch
Zeitzeugen über die stürmische, begeisterte Aufnahme von Eugen Suchoňs
Krútňava (Katrena) im Jahr 1949 und von Ján Cikkers Juro Jánošík im Jahr
1954. Zu einem einschneidenden Wandel kommt es wohl erst zu Zeiten der
„Normalisierung“ in den 1970er Jahren, als unter dem Eindruck des aka-
demischen Folklorismus und der ofziellen Aureole älterer slowakischer
„Nationalkünstler“ bestimmte Teile der Öffentlichkeit damit begannen, die
folkloristische Kunstmusik, insbesondere opulente Orchesterarrangements
der Volksmusik, mit dem ungeliebten Regime zu verbinden.
Wie sollte die slowakische Musik sein? Der seit dem 19. Jahrhundert ge-
führte ästhetische Diskurs (vergleiche hierzu besonders die Artikel von Ján
Levoslav Bella aus den 1860er und 1870er Jahren16) tritt nach Gründung der
Tschechoslowakei in eine neue Phase. In den 1920er und 1930er Jahren wur-
15 Vgl. Petr MACEK: Směleji a rozhodněji za českou hudbu! „Společenské vědomí“
české hudební kultury 1945 – 1969 v zrcadle dobové hudební publicistiky [Mutiger
und etschlossener für die tschechische Musik! Das „gesellschaftliche Bewusstsein“ der
tschechischen Musikkultur zwischen 1945 und 1969 im Spiegel der Musikpublizistik
der Zeit], Praha 2006, S. 30.
16 Vgl. Jana LENGOVÁ: Poznámky k úvahám Jána Levoslava Bellu o slovenskej a slo-
vanskej hudbe [Anmerkungen zu Ján Levoslav Bellas Betrachtungen über slowakische
und slawische Musik], in: Ján Levoslav Bella v kontexte európskej hudobnej kultúry,
hrsg. von J. Lengová, Banská Bystrica 1993, S. 14 – 20.
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de er höchst aktuell und, wie Naďa Hrčková verwies, folgenreich in Hinblick
auf die schöpferische Orientierung der slowakischen Komponisten.17
Bedeutende Impulse kamen von tschechischen Musikwissenschaftlern,
Ästhetikern und Publizisten. Als einussreichste Persönlichkeit erscheinen
im Lichte der Forschungen von Naďa Hrčková der Ästhetiker Otakar Zich
und sein slowakischer Schüler Ivan Ballo, der wohl bedeutendste slowaki-
sche Musikkritiker der Zwischenkriegszeit, ein Mann von hoher Bildung
und Großzügigkeit, wenn auch von eher konservativem Geschmack. Zich
und Ballo propagierten den Aufbau der slowakischen Musikkultur vor
allem durch die slowakische Komponisten selbst (häug wird auch vom
„Aufschließen“ auf die traditionsreicheren Musikkulturen gesprochen).
Durch Komponisten solle – schrittweise, „wie kluge Eltern“ es tun18 – auch
das slowakische Publikum erzogen werden. Vordergründige Experimente
seien laut Zich zu meiden, „die sich eine junge, an ihrem Anfang stehen-
de Musikkultur nicht ebenso leisten kann wie eine ältere, deren Tradition
sie vor Abwegen schützt.“19 Als der junge Komponist Alexander Moyzes
an der Wende der 1920er und 1930er Jahre im Stil der „Neuen Sachlich-
keit“ komponiert und Jazzelemente anwendet, tadelt ihn Ballo, dass seiner
Musik die „wünschenswerte Wärme“ fehle und dass dies „ein ungesundes
Experimentieren“ sei.20 Solche und ähnliche Stimmen blieben nicht ohne
Einuss auf die weitere kompositorische Entwicklung, nicht nur die von
Alexander Moyzes.
In der Gestaltung der modernen slowakischen Musik hat sich nur ein
einziges konkretes Rezept durchgesetzt, nämlich jenes des Prager Kompo-
nisten und Lehrers Vítězslav Novák. Bei ihm studierte (in der hier bespro-
chenen Ära) eine ganze Reihe slowakischer Komponisten: u. a. Alexander
Moyzes, Ján Cikker, Dezider Kardoš. Nováks Rezept bestand, kurz gefasst,
darin, dass das Material der Volksmusik – die Modalität älterer Schichten
der volksmusikalischen Tradition inbegriffen – in die lingua franca der
17 Naďa HRČKOVÁ: Tradícia, modernosť a slovenská hudobná kultúra 1918 – 1948
[Tradition, Modernität und slowakische Musikkultur 1918 – 1948], Bratislava 1996.
18 Jozef KRESÁNEK: Národný umelec Eugen Suchoň [Nationalkünstler Eugen Suchoň],
Bratislava 1961, S. 71.
19 Zitiert nach: HRČKOVÁ: Tradícia, modernosť a slovenská hudobná kultúra (Anm.
17), S. 136.
20 Ivan BALLO: Mikuláš a Alexander Moyzes [Mikuláš und Alexander Moyzes], in:
Slovenské pohľady 44 (1928), S. 816 – 818; derselbe: Bratislavské koncerty [Konzerte
in Bratislava], in: Slovenská politika 10 (1929), Nr. 5, S. 2.
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spätromantisch-modernistischen Musiksprache einzugliedern ist, etwa
im Sinne von seinen eigenen Kompositionen, bzw. den Werken von Josef
Suk. Die Formenwelt der westlichen Musik des 19. Jahrhunderts und im
Wesentlichen auch ihre Ausdruckswelt blieben unangetastet. Die folklo-
ristische Inspiration wirkte eher als Würze, denn als Mittel der Erneue-
rung. Die jungen slowakischen Komponisten „wichen der zeitgenössischen
Avantgarde aus und holten die Romantik ein.“21 Von Béla Bartók und sei-
nem Weg der konsequenten Neuorganisation der Elemente der Kunstmusik
mithilfe struktureller Prinzipien der (auch slowakischen) Volksmusik wur-
den unsere jungen Komponisten wirkungsvoll durch eine kulturpolitische
„Mauer“ getrennt, die während der Zwischenkriegszeit den slowakischen
Teil der Tschechoslowakei vom restlichen Ungarn trennte.
Im Diskurs über die slowakische Musik der Zwischenkriegszeit spiel-
ten auch inhaltlich-ästhetische Gesichtspunkte eine unumgängliche Rolle.
Im Wesentlichen wird an die Herderische Überzeugung geknüpft, wonach
eine Nation im „Geist“, oder moderner, säkular ausgedrückt: im National-
charakter, ihre Wesensart hat. Die Charakterkunde der Tschechen und Slo-
waken, die sich in der Ära der nationalen Wiedergeburt des 18. und 19.
Jahrhunderts stabilisierte, betonte – nicht unähnlich der deutschen natio-
nalen Charakterkunde – Wahrhaftigkeit, inneren Reichtum und Tiefe des
Menschen.22 Bei den westlichen Slawen handelt es sich jedoch weniger
um Tiefsinn als um Gefühlstiefe.23 Und in der modernen Charakteristik
der Slowaken steigert sich die slawische Emotionalität bis in die Nähe zur
Irrationalität. Dieses Bild der Slowaken, das mehr mit den Gedichten Jako
Kráľs als mit der Lehre des Anführers der nationalen Wiedergeburt Ľudovít
Štúr korrespondiert, wird auch von den Tschechen maßgeblich mitgestal-
21 Vladimír GODÁR: Slovenská národná hudba – folklorizmus I [Slowakische
Nationalmusik – Folklorismus], in: Slovo, 14.4.2004 (zugänglich im Internet: noveslo-
vo.sk/node/25111).
22 Vgl. Vladimír MACURA: Znamení zrodu. České národní obrození jako kulturní typ
[Zeichen der Geburt. Die tschechische Nationalbewegung als Kulturtypus], Jinočany
1995.
23 Dieser Gesichtspunkt ist auch auf der anderen Seite der „Barrikade“ üblich – in der
deutschen Publizistik. „Der Slave bleibt eben bei aller Vergeistigung doch stets sinnlich
sensitiv.“ (Max Unger über Karol Szymanowski in der Neuen Zeitschrift für Musik, 8.
2. 1912, S. 75; zit. nach: Stefan KEYM: Zur Bedeutung des Nationalen bei der deut-
schen Rezeption polnischer Musik von 1900 bis 1914 am Beispiel von Szymanowski
und Paderewski, in: Nationale Musik im 20. Jahrhundert, hrsg. von Helmut Loos und
Stefan Keym, Leipzig 2004, S. 235 – 264.
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tet. Zum Beispiel schreibt der bereits erwähnte Otakar Zich im Jahr 1925:
„Der Slowake als veritabler lyrischer Dichter irrt allein mit seiner Trauer
umher, im Herzen voll Leidens, dessen Grund er auszudrücken entweder
nicht will, oder vielleicht auch nicht kann.“24 Wir Slowaken seien also so
etwas wie eine Nation romantischer Helden. Plebejer, Hunderte von Jahren
sozial und national unterdrückt, gestählt, zugleich aber zart, introvertiert,
träumerisch.
Auf dem Hintergrund dieser Vorstellungen und ihrer unzähligen Formen
und Varianten in der Publizistik und besonders in der Kunst, entsteht auch
der legendäre „balladeske“ Ton, den Eugen Suchoň in seiner Musik unver-
wechselbar zu Entfaltung brachte.
***
Es war der Komponist Eugen Suchoň (1908 – 1993), der vom nationa-
len Publikum die deutlichste Zustimmung erfuhr. Die „Wahl“ Suchoňs zum
Nationalkünstler verlief als ein langer Prozess, mit einem entscheidenden
Moment: der Uraufführung seiner Oper Krútňava im Jahr 1949. Zur „Wahl“
Suchoňs zum Nationalkünstler hat auch die ofzielle Kulturpolitik beige-
tragen – weniger zur Zeit der Aufführung von Krútňava (im Gegenteil, da-
mals bekamen die Mächtigen eher Kopfschmerzen von den ideologischen
„Fehlern“ der Oper, die schnellstens beseitigt werden mussten25), vielmehr
später, in den 1950er Jahren.26 Politik und Dramaturgie der musikalischen
Institutionen, zu denen die Komponisten der Suchoň-Generation direkte
persönliche Verbindungen hatten, spielten dabei auch eine Rolle. Moyzes
war u. a. Leiter der Abteilung Musik des Rundfunks in Bratislava (1937 –
1948) und Gründer des Slowakischen künstlerischen Kollektivs (Slovens-
ký ľudový umelecký kolektív – SĽUK; 1949), Suchoň war Vorsitzender
des Vorbereitungs- und Verwaltungsausschusses der Slowakische Philhar-
monie (1949 – 1952), Cikker war Operndramaturg am Slowakischen Na-
24 Otakar ZICH: O slovenské písni lidové [Vom slowakischen Volkslied], in: Slovenská
čítanka, Praha 1925, S. 615.
25 Danica ŠTILICHOVÁ-SUCHOŇOVÁ: Život plný hudby. Hudobný skladateľ Eugen
Suchoň (1908 – 1993) v spomienkach [Der Komponist Eugen Suchoň (1908 – 1993) in
Erinnerungen], Bratislava 2005, S. 148 – 150.
26 Wichtige Signale der „Kanonisierung“ von Suchoňs Persönlichkeit und seines Werks
war seine Ernennung zum Nationalkünstler (1958) und die Veröffentlichung von Jozef
Kresáneks Buch Národný umelec Eugen Suchoň (Anm. 18).
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tionaltheater (1945 – 1948). Persönliche Beziehungen und Verbindungen
spielen in der Slowakei bis in unsere Gegenwart eine bedeutende Rolle:
die Kontinuität des Suchoň-Kultes in der Zeit nach der politischen Wende
(1989) wird durch die Aktivitäten der Mitglieder der Familie gesichert, an
der sein Schwiegersohn, der Dichter, Journalist, langjähriger Kulturattaché
in Frankreich und Marketingdirektor der Slowakischen Philharmonie Peter
Štilicha beteiligt ist.
Zurück zum „balladesken“, bzw. „rhapsodischen“ Element in der Mu-
sik Eugen Suchoňs. Dieses Element in Suchoňs Musik wird von Kresá-
nek als „in der heimischen slowakischen Erde verwurzelt“ gedeutet, „trotz
der großen Entfernung von seiner ursprünglichen volksmusikalischen Er-
scheinungsform“, wobei jedoch „das explosive Temperament von Suchoňs
rhapsodischer Melodik mit dem Rubato-Vortrag vokaler Volksmelodien“
identisch sei.27 Seit der Balladischen Suite (1934 – 1936) kristallisiert sich
in Suchoňs Schaffen eine Expressivität, die zwischen Melancholie, sogar
Resignation einerseits und der heroischen Auehnung andererseits oszil-
liert. In dieser Polarität spiegelt sich das Bild von den Slowaken, wie dies
in der Volkstradition (etwa in den erwähnten Rubato-Liedern) und auch in
der Hochkultur zum Ausdruck kommt.
Die Grundpolarität, an der sich die musikalische Expression der Balla-
dischen Suite abspielt, ist auch in Suchoňs Kantate Psalm des Karpatenlan-
des (1937 – 1938) präsent, wobei hier der Zusammenhang von Expressi-
vität mit dem „kollektiven Gedächtnis“ und der Mythologie der Slowaken
von Jaroslav Zatloukals Text unterstrichen wird: „Zem! / Krása uplakaná /
s korunou tŕňovou / kol zbojníckeho čela“ [Das Land! / Verweinte Schön-
heit / mit der Dornenkrone / um ihre Räuberstirn].28 Hier ndet die moder-
ne Variante des slowakischen Mythos ihren Ausdruck, die die fortdauernde
Armut des Volkes akzentuiert – jene Variante, die in den 1920er und 1930er
Jahren auch in der slowakischen Literatur und bildenden Kunst allgegen-
wärtig war („To je tá zem / tieňov hôr a núdze / kde smútku rozsievač /
Vrchovinou ide“ [Es ist das Land / umschattet von Bergen und vom Elend
/ wo der Säer der Trauer / durch das Hochland schreitet].29 In der Balla-
27 KRESÁNEK: Národný umelec Eugen Suchoň (Anm. 18), S. 72.
28 Žalm zeme podkarpatskej [Der Psalm des Karpatenlandes], Text Jaroslav Zatloukal,
Übersetzung aus dem Tschechischen und Bearbeitung von Eugen Suchoň und Ivan
Ballo, Reprint in: Slovenská hudba 24 (1998), Nr. 1 – 2, S. 164.
29 Ebenda, S. 165.
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dischen Suite und im Psalm des Karpatenlandes werden zwei ausdrucks-
reiche musikalisch-expressive Lagen etabliert – nennen wir sie das slo-
wakische Doloroso und das slowakische Eroico, die als roter Faden nicht
nur das weitere Schaffen Eugen Suchoňs, sondern auch die Werke anderer
slowakischer Komponisten durchziehen.
Das zeitspezische Verständnis des „Slowakischen“ in der Kunst schlug
sich nicht nur auf die Ausdruckswelt von Suchoňs Kompositionen nieder,
sondern auch auf seine Wahl der Kompositionsmittel. Suchoňs modale
Harmonik, basierend auf einer Auswahl aus höheren Terzkombinationen,
verweist auf das Schaffen einiger ausländischen Komponisten jener Zeit.
So kann zum Beispiel Ľubomír Chalupka eine Parallele zu Olivier Mes-
siaen ziehen.30 Suchoň bezieht gleichermaßen Anregungen aus den älteren
Schichten der musikalischen Folklore, insbesondere aus dem tetrachorda-
len Denken und den quarttonalen Kernen. Die somit entstandene Verbin-
dung von archaischen Folkloreelementen mit moderner Musik erschien als
eine Lösung, durch die das Konzept der „festen Basis“ der slowakischen
Musik verwirklicht wurde.31
In Eugen Suchoňs kompositorischem Schaffen ist andererseits auch das
Erbe der westeuropäischen Musik des 19. Jahrhunderts präsent – was im
slowakischen musikwissenschaftlichen Schrifttum praktisch nicht bespro-
chen wird –, was vor allem im überwiegend akkordischen Orchestersatz
sowie im Bereich der Formstruktur deutlich wird.32 Schließlich ist Suchoň
(ähnlich wie Novák und Suk) auch in der musikalisch-expressiven Rhe-
torik seiner Werke, die im vorangegangenen Absatz vom Gesichtspunkt
der slowakischen Nationalmythologie aus interpretiert wurde, ein Erbe des
19. Jahrhunderts, insbesondere der Lisztschen symphonischen Dichtung
und der „neudeutschen“ Symphonik. „Das Slowakische“ wird hier im ro-
mantisch universalen Gewand präsentiert; mit Mitteln, die als konservativ
bezeichnet werden können, wenngleich hinsichtlich ihres „rhapsodischen“
Charakters Suchoňs Werke weniger akademisch wirken als zum Beispiel
30 Vgl. Ľubomír CHALUPKA: Eugen Suchoň a 12 tónov v oktáve, in: Slovenská hudba
24 (1998), Nr. 1 – 2, S. 15.
31 Vgl. HRČKOVÁ: Tradícia, modernosť a slovenská hudobná kultúra (Anm. 17),
S. 176.
32 Vgl. Peter ZAGAR: Žalmové kantáty Eugena Suchoňa a Zoltána Kodálya [Die
Psalmkantaten von Eugen Suchoň und Zoltán Kodály], Slovenská hudba, Jg. 24 (1998),
Nr. 1 – 2, S. 73 – 81.
WANDLUNGEN DER KATEGORIE DES „SLOWAKISCHEN“
103
die Orchestersuite Dolu Váhom [Den Fluss Váh hinunter] (1945) von Ale-
xander Moyzes.33
Zur Geschichte und Rezeption von Suchoňs Oper Krútňava können sub-
tile Interferenzen verschiedenster Ideologien dokumentiert werden, die ab-
wechselnd in unserem Kulturraum dominierten, und von denen auch der
nationale Gedanke auf seinem Weg von Herder über Schdanow bis in un-
sere Gegenwart verwandelt wurde. Dieses Spitzenwerk des slowakischen
Opernschaffens entstand auf Anregung des slowakischen Regierungsko-
missärs für das Slowakische Nationaltheater, der Suchoň 1940 beauftragt
hat, eine Nationaloper zu komponieren.34 Die literarische Vorlage hierzu,
die Erzählung Za vyšným mlynom [Hinter der oberen Mühle] von Milo Ur-
ban (1926), wurde von den Autoren des Textbuches – Suchoň und Štefan
Hoza – der Opernkonvention angepasst und somit in hohem Maße „entmo-
dernisiert“. Dafür wurden die Dialoge um explizit religiöse Motive erwei-
tert, wodurch der Einuss der klerikalen Atmosphäre im slowakischen Staat
sichtbar wurde. Nach der Uraufführung im Jahr 1949 wurde es natürlich
notwendig, jede Erwähnung Gottes im Text zu streichen. Nach dementspre-
chender Appretur wurde Krútňava bald als „Musterwerk des sozialistischen
Realismus“ gerühmt. Später kam es zu einer teilweisen Restitution des Ori-
ginals (Banská Bystrica, 1963) und 2008 wurde die Urfassung wieder auf-
geführt – mit zwei Schauspielern, die, quasi über dem Werk stehend, die
Vorgänge kommentieren und sie überhöhen. Der schauspielerische Rahmen
war der kommunistischen Zensur 1949 zum Opfer gefallen, wobei diese
Änderung aus ästhetischer Perspektive durchaus als legitim vertreten wer-
den kann. Heute wird die Oper Krútňava in ihrer ursprünglichen Fassung als
Beweis dafür verwendet, dass Suchoň nicht ein bloßer Nationalkomponist,
sondern darüber hinaus ein moderner Künstler europäischer Prägung war,
der das künstlerische Experiment nicht scheute.35
33 Mehr dazu in der Studie: Vladimír ZVARA: Suchoňovské mýty, in: Tvorivý odkaz
Eugena Suchoňa v kontexte miesta, doby, vývoja a diela vrstovníkov, hrsg. von Ľubomír
Chalupka, Bratislava 2009, S. 153 – 165.
34 Vgl. Danica ŠTILICHOVÁ: Krútňava vo svete / Krútňava in der Welt, Bratislava 1993,
S. 10 – 11.
35 Vgl. Vladimír ZVARA: Návraty k Suchoňovej Krútňave [Die Wiederbegegnungen
mit Suchoňs Krútňava], in: Studia Academica Slovaca 38, Bratislava 2009, S. 335 –
349; Martin BENDIK: Krútňava ako oneskorená polemika [Krútňava als verspätete
Polemik], in: Hudobný život – Sonderheft „Eugen Suchoň, storočnica“, Jg. 41, Nr. 1 – 2
(2009), S. 6.
VLADIMÍR ZVARA
104
***
Zur Generation der „slowakischen musikalischen Moderne“ zählten
Komponisten mit verschiedenem schöpferischen Naturell und Tempera-
ment, die sich um jeweils eigene Wege bemüht haben. Auch bei der Ver-
wirklichung der Idee der slowakischen Musik brachten sie zahlreiche indi-
viduelle Lösungen und mindestens zwei grundlegende Konzepte zu Tage.
Eines davon repräsentiert Suchoňs stilisiert „balladesk-rhapsodischer“
Ton, ohne Verwendung von ausgesprochen musikfolkloristischen Elemen-
ten. Das andere Konzept, das das volksmusikalische Material, inklusiver
Anklänge an konkrete Volkslieder, nicht meidet, wird bis 1945 wohl am
überzeugendsten von Ján Cikker in dessen Slovenská suita und Spomienky
[Erinnerungen] vertreten.
Trotz aller Unterschiede können in den Werken der Repräsentanten der
„slowakischen musikalischen Moderne“ bis in die Mitte der 1950er Jahre
bedeutende gemeinsame Züge aufgespürt werden. Auf Grund derer ist es
möglich, sie nicht nur als Mitglieder einer Generation, sondern auch als
programmatisch verwandt zu betrachten.36 Gemeinsam ist ihnen die Ver-
wurzelung im stilistischen Kanon der Schule Novák und ihre Anpassung
an die slowakischen Verhältnisse, ihre Akzeptanz der Anforderungen aus
dem heimischen Milieu. Falls Musikpublizisten und Ästhetiker zum Kris-
tallisierungsprozess der konservativen nationalen Moderne ihren Beitrag
leisteten, so waren es slowakische Musikwissenschaftler, die mit ihrer
nicht selten sehr afrmativen Denk- und Schreibart, in der ihr Respekt ge-
genüber führenden Persönlichkeiten der heimischen Musikszene und der
Einuss der zeitgenössischen Kulturpolitik zum Ausdruck kamen, zu des-
sen anschließender Kodizierung beigetragen haben. Als exemplarisches
Beispiel kann Kresáneks Monographie Národný umelec Eugen Suchoň er-
wähnt werden, in der der Autor seine kultivierte, ästhetisch und historisch
sorgfältig argumentierte und zugleich devote und apologetische Interpreta-
tion von Suchoňs kompositorischen Schaffen präsentiert.37
Die Linie der „slowakischen Musikmoderne“ wurde also ofziell zum
„richtigen Weg“ der slowakischen Musik gekürt, zur Norm, bei deren
Durchsetzung sich der ästhetische Diskurs mit ideologischen Gesichts-
36 Vgl. Ladislav BURLAS: Slovenská hudobná moderna [Die slowakische Musikmoderne],
Bratislava 1983.
37 KRESÁNEK: Národný umelec Eugen Suchoň (Anm. 18).
WANDLUNGEN DER KATEGORIE DES „SLOWAKISCHEN“
105
punkten und auch mit Machtansprüchen der betreffenden „Nationalkünst-
ler“ vermischte. Unseren Respekt verdienen umso mehr zwei jüngere slo-
wakische Komponisten und Musiktheoretiker, die sich zur öffentlichen
Kritik dieser Norm entschlossen haben: Oto Ferenczy (1921 – 2000) und
Ladislav Burlas (1927). Ferenczy trat 1946 gegen die Novák-Linie in der
slowakischen Musik auf und bezweifelte die eigentlichen Ausgangspunkte
der „nationalen Moderne“. Zehn Jahre später kam Ladislav Burlas mit sei-
ner Kritik an der „Automatisierung“ der Ausdrucksmittel und am „forma-
listischen Folklorismus“ auf dasselbe Thema zurück.38
Die jüngere Komponisten-Generation39 (Ende der 1950er Jahre und
in den 1960er Jahren) blickte mit viel Neugier auf die Schönberg-Schu-
le und die Neue Musik der Nachkriegszeit. Sie rezipierte auch in Bar-
tók und Strawinsky jene Klassiker des 20. Jahrhunderts, die in der Poe-
tik der „slowakischen musikalischen Moderne“ keine maßgebliche Rolle
gespielt hatten. Der jüngeren slowakischen Komponistengeneration stan-
den weder die „Suk- und Novák-Sezession“ noch der akademische Fol-
klorismus nahe; folkloristischen Inspirationen und dem „slowakischen“
Ton im Sinne Suchoňs wichen sie vorerst aus. Aber schrittweise und dann
immer häuger begegnet man auch bei ihnen Elemente aus der Volks-
musik. Während das Schaffen der 1960er Jahre vorwiegend avantgardis-
tisch orientiert und nur wenig „slowakisch“ ist (um diese altbewährte und
scheinbar simple Polarität zu verwenden, die, wie bereits angedeutet, aus
mehreren Gesichtspunkten problematisch erscheint), mehren sich in den
1970er Jahren wieder volksmusikalische Elemente. Dafür bietet sich eine
politisch-historische Erklärung an: Nach dem Einmarsch der „befreunde-
ten“ Armeen im Jahr 1968 scheint sich in der Slowakei der neokonserva-
tive kulturpolitische Kurs der Breschnew-Ära durchzusetzen, woraus sich
der von sowjetischen Musikhistorikern als „neue folkloristische Welle“
38 Otto FERENCZY: Bella či Novák? [Bella oder Novák?], in: Kultúrny život 1 (1946),
Nr. 16 – 17, S. 4; Ladislav BURLAS: Myšlienky o vývine národnej hudby [Gedanken
über die Entwicklung der Nationalmusik], in: Slovenská hudba 1 (1957), Nr. 2, S. 54
– 61; derselbe: Etika a estetika slovenskej národnej hudby [Ethik und Ästhetik der slo-
wakischen Nationalmusik], in: Slovenská hudba 8 (1964), Nr. 6, S. 164 – 167.
39 Vgl. Ľubomír CHALUPKA: Avantgarda ’60, in: Slovenská hudba 26 (2000), Nr. 1 – 2,
S. 59 – 105. Siehe auch: derselbe: Slovenská hudobná avantgarda. Štýlotvorné formo-
vanie skladateľskej generácie nastupujúcej v 60. rokoch 20. storočia [Slowakische mu-
sikalische Avantgarde. Stilbildende Formierung der in den 1960er Jahren antretender
Komponistengeneration], Bratislava 2011.
VLADIMÍR ZVARA
106
bezeichnete Kompositionsstil entwickelte. Bei genauerer Betrachtung von
Werken slowakischer Komponisten wird jedoch klar, dass diese Erklärung
zu kurz greift.
Einer der jüngeren Komponisten, die in jener Zeit aus der Volksmu-
sik schöpfte, war Tadeáš Salva (1937 – 1995). Anregungen der polnischen
Schule weiter entwickelnd schuf er eine außergewöhnliche Klangsynthese
aus archaischen Schichten der mittelslowakischen Volksmusik und der neu-
esten Kompositionstechniken, u. a. der elektroakustischen Musik. In seinen
Werken wird vokale Volksmusik mit elektronischem Klang konfrontiert,
wobei das „zitierte“ volksmusikalische Material auch die strukturelle und
expressive Gestaltung der elektronischen Schicht der jeweiligen Kompo-
sition prägt. Avantgardistische musikalische Prozesse werden zum Mittel
einer „Inszenierung“ der menschlichen Stimme als Medium des Ausdrucks
und des kulturellen Gedächtnisses. Zur Geltung kommt auch die Psycho-
logie des Erinnerns: Im Fragment konzentriert sich ein sehr viel größeres
Teil der Realität in ihrer ganzen Komplexität, wobei Gedächtnis und Erin-
nerung des Künstlers einerseits und Gedächtnis und Erinnerung der natio-
nalen Gemeinschaft andererseits voneinander nicht zu trennen sind. Salvas
Einbildungskraft ist von der kollektiven Einbildungskraft und Mythologie
beeinusst, aber auch von deren konkreten Ausprägungen in der slowaki-
schen Volks- und modernen Kunst.
In den 70er Jahren schuf Salva einen Kompositionszyklus für verschie-
dene Besetzungen unter der Bezeichnung Ballade. „Seine musikalischen
‚Balladen‘ sind moderne expressionistische Pendants der slowakischen
Volksballade, dieser ‚morbidesten aller Gattungen der Weltliteratur‘“.40
Bei Salva begegnen wir also wieder der „balladesken“ Form des „Slowaki-
schen“, die aber, im Hinblick auf unterschiedliche Ausgangspunkte und auf
die verschiedenartige Handhabung der volksmusikalischen Modelle, fast
keinerlei Gemeinsamkeit mit Suchoňs balladeskem Gepräge aufweist, au-
ßer einiger sehr allgemeinen Züge (beabsichtige Verbindungen archaischer
und moderner Charakteristika, Anknüpfung an die „balladeske“ Linie der
slowakischen Kulturtradition).
40 Vgl. Vladimír GODÁR: Tadeáš Salva – archaisti, novátori a neandertálci [Tadeáš
Salva – Archaisten, Neuerer und Neandertaler], in: Slovo, 24.11.2004 (zugänglich im
Internet: noveslovo.sk/node/21826). Vgl. auch Ľubomír CHALUPKA: Tadeáš Salva:
Balada pre 12 sláčikových nástrojov [Tadeáš Salva: Ballade für 12 Streichinstrumente],
in: Hudobný život 36 (2004), Nr. 10, S. 30 – 33.
WANDLUNGEN DER KATEGORIE DES „SLOWAKISCHEN“
107
Als weitere Beispiele für „Neofolklorismus“ der 1970er Jahre gelten ei-
nige Kompositionen von Salvas Zeitgenossen Ilja Zeljenka (1932 – 2007):
seine Dritte Symphonie, mehrere Kompositionen für gemischten Chor
(5 miešaných zborov [Fünf gemischte Chöre], Slovenské balady [Slowa-
kische Balladen], Hry a riekanky [Spiele und Sprüchlein], die Kantate
Spievať? [Singen?] sowie Filmmusiken, in denen sich der Avantgardist
Zeljenka eindeutig zum „Slowakischen“ hinwendet, sogar „zu Suchoňs
balladesken Stil“.41 Die Umkehr Zeljenkas wird manchmal als Kompro-
miss gedeutet, der durch seine belastende Situation nach Ausschluss aus
dem Komponistenverband und dem Aufführungsverbot seiner Werke
ausgelöst werden würde.42 In diesen und ähnlichen Fällen wäre es jedoch
angebracht, zwischen Kompromissen in persönlichem und in ästhetisch-
künstlerischem Sinn zu unterscheiden. Zeljenkas neofolkloristische Kom-
positionen der 70er Jahre mögen als persönliche Zugeständnisse dargelegt
werden. Bei genauerer Betrachtung seines bekanntesten Werkes, Musica
Slovaca na ľudové motívy z Čičmian a Dolného Vadičova [Musica Slovaca
nach Volksmotiven aus Čičmany und Dolný Vadičov], komponiert im Jahr
1975, begreift man aber, dass auch solche (im Sinne Adornos) „restaura-
tive“ Musik vom ästhetischen Standpunkt kompromisslos und trotz ihrer
Entstehungszeit legitim sein kann, weil sie ungeachtet von traditionellen
Bezügen in ihrem Ergebnis neu und einmalig ist.43
Als weitere Beispiele für folklore-inspirierte Musik der „Normalisie-
rungszeit“ gelten mehrere Volksliedbearbeitungen für a cappella-Chor von
Ján Cikker (Tri zbory [Drei Chöre], 1970, Tri slovenské ľudové piesne [Drei
slowakische Volkslieder], 1975) sowie für Singstimme mit Kammerensem-
ble, bzw. Klavier (Desať uspávaniek [Zehn Wiegenlieder], 1973 und Päť
slovenských ľudových piesní [Fünf slowakische Volkslieder], 1975). Stau-
nend verfolgen wir in ihnen die dreifache schöpferische Befreiung des al-
ternden Komponisten. Cikker emanzipierte sich in ihnen vom Novákschen
Akademismus und seiner modernistischen Methode der Volksliedharmo-
nisierung. Er befreite sich auch von jeglichem Prunk und Aufmachung,
41 Robert KOLÁŘ: Pod lupou: od diela k dielu [Unter der Lupe: Von Werk zu Werk],
in: Yvetta Kajanová – Robert Kolář, Autor v kontexte histórie a kultúry: Ilja Zeljenka
(zugänglich im Internet: melos.hrckova.sk/index.php?id=8#zeljenka).
42 Vgl. HRČKOVÁ: Tradícia, modernosť a slovenská hudobná kultúra (Anm. 17),
S. 177.
43 Vgl. KOLÁŘ: Pod lupou: od diela k dielu (Anm. 41).
VLADIMÍR ZVARA
108
die seine Zeitgenossen der Volksmusik in Bearbeitungen für die profes-
sionellen Folkloreensembles SĽUK und Lúčnica verliehen haben. Und
schließlich sind Cikkers Volksliedbearbeitungen frei von allen Spuren des
komplexen, psychologisch und gedanklich aufgeladenen Stils von Cikkers
späten Opern, die in derselben Zeit komponiert wurden.
In Cikkers Desať uspávaniek na slová ľudovej piesne [Zehn Wiegenlie-
der nach Worten eines Volkslieds] für Alt und Kammerorchester, gewid-
met der Sängerin Darina Laščiaková, herrscht Transparenz, Schlichtheit
und Offenheit der Narration. Ähnlich wie in Musica Slovaca von Cikkers
Schüler Zeljenka, besteht auch in den Wiegenliedern Originalität in der
Art der Rückkehr zum volksmusikalischen Material, in den Nuancen der
kompositorischen Ausführung, die sich in diesem Fall als bloße Bearbei-
tung, Arrangement präsentiert. Cikkers Wiegenlieder sind Ausdruck einer
ganz anderen Gestalt des „Slowakischen“ als es jene Kompositionen wa-
ren, die von der „slowakischen musikalischen Moderne“ kultiviert wurden.
Demutsvoll, ohne Pathos, ohne inszeniertes Leiden oder Heldentum. Das
„Slowakische“ in Cikkers späten Volksliedbearbeitungen ist überdies intim
und frei von jeglichem Kollektivismus. Mittels folkloristischer Poetik wer-
den hier dem Zuhörer individuelle, existenzielle und dadurch universelle
Aussagen vermittelt. Somit kehren wir auf Umwegen zurück zu Herder:
das Volkserbe ist primär nicht als partikulärer Besitz einer nationalen Ge-
meinschaft kostbar, sondern als Beitrag für die universellen Schatzkammer
der Schönheit und Lebensweisheit.
***
In der slowakischen Kultur – dasselbe gilt aber auch im Fall weiterer
Länder Mittelost- und Osteuropas – dauert die Volksmusik bis ins 20. Jahr-
hundert in ihrer primären Existenz fort, als lebendiger Kulturwert. Wenn
wir also von einer Rückkehr der slowakischen Komponisten zur Volksmu-
sik sprechen, so ist der Begriff Rückkehr eigentlich nicht ganz angebracht.
Zudem hat sich die Einstellung der Komponisten zur Volksmusik im Laufe
des Jahrhunderts prinzipiell geändert: Es geht nicht mehr um die Suche
nach einer (quasi) authentischen nationalen Substanz, vielmehr wird das
„Slowakische“ als Narration, als Mythos thematisiert, an dem jeder Künst-
ler in seiner Art weiterdichtet.
Dieser Umgang mit „nationalen“ Elementen in der Kunst kann kaum
pauschal als Regress oder Kompromiss bezeichnet werden. Denn für Cik-
WANDLUNGEN DER KATEGORIE DES „SLOWAKISCHEN“
109
ker, Zeljenka oder Salva ist die Volksmusik eine wahrhaft „reine Quelle“,
sie ist Teil ihrer Identität, zu der sie individuelle Beziehungen haben, viel-
leicht komplizierte, bestimmt aber vorwiegend positive. Man muss das von
Dahlhaus formulierte Prinzip der „Werkgeschichte“ anwenden, um vor-
dergründig aktuelle Artefakte von nachhaltig und im übernationalen Sinne
wertvollen Kunstwerken zu unterscheiden. Jedenfalls gehört der hartnä-
ckig überdauernde Folklorismus in der Kunstmusik während des gesamten
20. Jahrhunderts zu den Eigenschaften der „Musik des Ostens“, wie Naďa
Hrčková sie zu denieren versuchte. In ihrem Sinne wird der Folklorismus
in der slowakischen Musik auch von der an dramatischen Wendungen und
totalitären Ideologien reichen gesellschaftspolitischen Geschichte der Re-
gion bedingt – was insgesamt die Notwendigkeit einer Hinwendung zur
„Tradition als festem und glaubwürdigen Punkt“ brachte –, die Rückkehr
zu nationalen Traditionen inbegriffen, „nicht aber an deren Oberäche,
sondern in ihre tiefste archetypische Substanz durchdringend“.44 Auch dies
könnte eine der möglichen Sichtweisen sein, die zu den Metamorphosen
des „Slowakischen“ in unserer Musik zu überlegen wären.**
Summary
Notes on the Variations of the Concept of “Slovakness”
in Slovak Music
The international standing of Slovak music is not only a historical topic, but also
a question of politics and marketing. Reection upon the “Slovakness” of Slovak
music, and the search for its “proper realization”—carried out in Slovak and
Czech music journalism, in musicology, and by Slovak composers themselves—is
nothing new. The attempts to rethink or reinterpret the concept are interesting to
follow, but so too are the continuities of national symbolism, for these were often
maintained despite drastic political changes (one can nd, for example, signicant
44 Naďa HRČKOVÁ: „Hudba Východu“. Východiská – cesty – trendy [„Musik des
Ostens“. Ausgangspunkte – Wege – Trends], in: Dejiny hudby VI: Hudba 20. storočia
(2) [Geschichte der Musik VI: Musik des 20. Jahrhunderts (2)], hrsg. von N. Hrčková),
Bratislava 2006, S. 18.
** Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines von der Agentur APVV (Agentúra na pod-
poru výskumu a vývoja) geförderten Projektes (Vertrag APVV-14-0681) und im Rah-
men des Projektes VEGA Nr. 1/0914/15.
VLADIMÍR ZVARA
110
continuities between the democratic interwar period, the totalitarian period of
the First Slovak Republic during the Second World War, and the communist
period that followed the war). The concept of “Slovak music,” a concept that
presupposes its own existence and possibility, is today in need of reassessment.
Slovak composers were very much a part of the history of European music in the
19th and 20th centuries, even though their participation is not recorded in history
books. Their contribution, however, cannot be understood as the group effort of
a particular “school”; rather, it must be sought in individual works, for it is here
that they expressed their most notable and important ideas.
Resumé
Marginálie k premenám „slovenskosti“ v slovenskej hudbe
Medzinárodné postavenie slovenskej hudby nie je iba historickou témou, ale
tiež politickou a marketingovou. Úvahy o „slovenskosti“ v slovenskej hudbe
a o „správnej“ ceste jej realizácie, ktoré pestovali slovenskí a českí hudobní pub-
licisti, muzikológovia, ale tiež samotní slovenskí skladatelia, majú dlhú históriu.
Zaujímavé boli pokusy o reinterpretáciu tohto konceptu, ale tiež kontinuity národ-
ného symbolizmu, ktoré existovali napriek drastickým politickým zmenám (napr.
kontinuity medzi demokratickým medzivojnovým obdobím, totalitným režimom
vojnového Slovenského štátu a komunistickou érou po vojne). Pojem „slovenská
hudba“ a predpoklad existencie entity, ktorú označuje, si dnes zasluhujú prehod-
notenie. Slovenskí skladatelia boli v 19. i 20. storočí súčasťou európskej hudby,
aj keď ich účasť nie je zaznamenaná v dejinách hudby, písaných v svetových ja-
zykoch. Ich príspevok netreba chápať ako výsledok skupinového úsilia národnej
„školy“; lepšie je hľadať ho v jednotlivých dielach, lebo v nich skladatelia najlep-
šie vyjadrili svoju umeleckú intenciu.