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Virtual-Reality-Aided Architectural Design (VRAAD) - eine Annäherung an kultur- und naturwissenschaftliche Parameter

Authors:

Abstract

Die Diplomarbeit beschäftigt sich mit drei Themenbereichen: der Herausarbeitung konzeptioneller Unterschiede zwischen einerseits manuellen und computergestützten Methoden des Architekturentwurfs und andererseits der Möglichkeit des immersiven Arbeitens in virtuellen Umgebungen; der Relevanz dieser Unterschiede für die Überprüfung und Vermittlung von Entwurfs- und Planungsprozessen; sowie den, sich aus den vorgenannten Punkten ergebenden, konkreten Vorschlägen und Anforderungen für zukünftige Anwendungen. Im empirischen Teil der Arbeit werden anhand von Experimenten Teilaspekte der Technologie Virtual Reality auf ihre Tauglichkeit hin untersucht. Die Frage nach der Validität einer virtuellen Repräsentation von Raum steht dabei im Vordergrund.
DIPLOMARBEIT AN DER
UNIVERSITÄT DER KÜNSTE BERLIN
Virtual-Reality-Aided Architectural Design (VRAAD)
eine Annäherung an kultur-
und naturwissenschaftliche Parameter
Robert Patz
Matrikelnummer 36 10 89
post@robert-patz.de
Berlin, der 10. April 2015
betreut durch
Prof. Dr. Christoph Gengnagel
FACHGEBIET KONSTRUKTIVES
ENTWERFEN UND TRAGWERKSPLANUNG
UNIVERSITÄT DER KÜNSTE BERLIN
Prof. Dr. Norbert Palz
FACHGEBIET DIGITALES UND
EXPERIMENTELLES ENTWERFEN
UNIVERSITÄT DER KÜNSTE BERLIN
Prof. Dr. Susanne Hauser
FACHGEBIET KUNST-
UND KULTURGESCHICHTE
UNIVERSITÄT DER KÜNSTE BERLIN
Prof. Constance Scharff, Ph.D.
INSTITUT FÜR BIOLOGIE
FACHGEBIET VERHALTENSBIOLOGIE
FREIE UNIVERSITÄT BERLIN!
mit Unterstützung von
cand. M.F.A. Marcel Karnapke
VIRTUAL REALITY AND
VISUALIZATION RESEARCH LAB-
BAUHAUSUNIVERSITÄT WEIMAR
Dipl.-Des. Alexander Kulik
VIRTUAL REALITY AND
VISUALIZATION RESEARCH LAB
BAUHAUSUNIVERSITÄT WEIMAR!
Alexander Hey und Paul Dahlke
PLAN 3D LASERSCAN + MODELL BERLIN!
!
2
Titelbild
Virtuelle Architekturfotograe im digitalen Modell der Haupthalle der UdK Berlin.
Motiv: Niklas Goldbach; Modell, Belichtung und Nachbearbeitung: Verfasser
Vorwort
Das von mir im Herbst 2014 begonnene Projekt befasst sich mit zwei Fragen.
Erstens: Wie kann eine bessere Einbindung subjektiver, zeitlich-räumlicher
Wahrnehmung im gegenwärtigen Entwurfs- und Planungsprozess von Architek-
ten verwirklicht werden? Und zweitens: Wie kann die Technologie Virtual Reality
(VR) dabei helfen?
Meiner Beobachtung nach wird sich in der Praxis zusehends auf effiziente com-
putergestützte Verfahren der Abbildung von Architektur und der Arbeit an ihr
verlassen. Meines Erachtens besteht dabei die Gefahr, dass ein tieferes Ver-
ständnis von Raum und seiner potenziellen Qualitäten vernachlässigt wird. Weil
ich nicht glaube, dass sich dahingehend einmal veränderte Prozesse rückwirkend
entschleunigen lassen, habe ich für eine Lösung des Problems den Blick auf die
Anwendung der VR und ihre Integration in die Entwurfsarbeit gerichtet. Die
Anfangshypothese war, dass sich mithilfe dieser Technologie Wahrnehmung
besser in kreatives Denken und dadurch in konkrete Entwürfe umsetzen lässt.
Meine Diplomarbeit beschäftigt sich mit drei Themenbereichen: der Herausar-
beitung konzeptioneller Unterschiede zwischen einerseits manuellen und com-
putergestützten Methoden des Entwerfens und andererseits der Möglichkeit des
immersiven Arbeitens in virtuellen Umgebungen; der Relevanz dieser Unter-
schiede für die Überprüfung und Vermittlung von Entwurfs- und Planung-
sprozessen; sowie den, sich aus den vorgenannten Punkten ergebenden,
konkreten Vorschlägen und Anforderungen für zukünftige Anwendungen.
Beginnend mit der Betrachtung klassischer und computergestützter Entwurfs-
methoden der Architektur und bestehender Anwendungen aus dem Bereich
Virtual-Reality-Aided Design, sowie Interfaces kreativer Interaktion, will diese Ar-
beit geeignete Ansätze in einem theoretischen Teil herausstellen. Durch die VR
werden eine Reihe von Wahrnehmungsprozessen auf eine neue Weise in Ar-
chitekturentwurf und Architekturdarstellung integriert. Deswegen wird ein
Überblick über Wahrnehmungsprozesse einbezogen. Im anschließenden em-
pirischen Teil wurden anhand eines Experiments Teilaspekte der VR auf ihre
Tauglichkeit hin untersucht. Die Frage nach der Validität einer virtuellen
Repräsentation von Raum stand dabei im Vordergrund.
Für die Genese dieser Repräsentation eines Realraums und die Gegenüberstel-
lung verschiedener Darstellungsmethoden wurden neue Wege effizienter tech-
nologischer Implementierungen untersucht und beschritten. Übergeordnetes
Ziel war die Annäherung an eine hypothetische, ideale Anwendung.!
3
Inhalt
1. ARCHITEKTUR ENTWERFEN
1.1. Kreatives Denken
1.2. Der Prozess des Entwerfens
1.3. Traditionelle Werkzeuge
1.4. Defizite traditioneller Werkzeuge
1.5. Der Computer
1.6. Defizite computergestützter Werkzeuge
2. WAHRNEHMUNG UND KÖRPERWISSEN
2.1. Sehen und Raumwahrnehmung
2.2. Bewegungswahrnehmung
2.3. Propriozeption und Kinästhesie
2.4. Haptik und Oberflächensensibilität
2.5. Hören
2.6. Verbale Kommunikation und manuelle Gesten
2.7. Korrektive des Sehens
3. VIRTUAL REALITY
3.1. Wahrnehmungsaspekte
3.1.1. Immersion und Präsenz
3.1.2. Salienz
3.1.3. Cybersickness
3.1.4. Diskrepanzen der Raum- und Bewegungswahrnehmung
3.2. Immersive Entwurfsumgebungen
3.2.1. Defizite
3.2.2. Verfügbarkeit
3.3. Die hypothetische Anwendung – offene Fragen
3.3.1. Skalierung, Maßstab und Orientierung
3.3.2. Selektion und Interaktion
3.3.3. Darstellung
3.3.4. Ergonomie
4. EXPERIMENT
4.1. Fragestellung
4.2. Methode
4.2.1. Probanden
4.2.2. Ort
4.2.3. Technische Implementierung
4.2.4. Darstellung
4.2.5. Ablauf und Auswertung
4.3. Ergebnisse
4.4. Diskussion
5. AUSBLICK UND SCHLUSSWORT
5.1. Danksagung
6. VERWENDETE LITERATUR, ABBILDUNGEN
7. ANHANG!
4
………………………………………………………. 5
…………………………………………………………………. 5
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…………………………………………………………………………… 59
1. Architektur entwerfen
Der Entwerfer erforscht das In-Existente, um das Beispiellose hervorzubrin-
1
gen. Doch was sind die relevanten Einflussfaktoren dieser Arbeit im Kontext
2
der Architektur? Im folgenden Kapitel werde ich ohne Anspruch auf Voll-
ständigkeit – jene benennen und definieren, die mir im Hinblick auf das Thema
meiner Arbeit als besonders wichtig erscheinen.
1.1 Kreatives Denken
»Intuition favors the prepared mind« dieses Zitat des Neurowissenschaftlers
3
António Damásio könnte kaum treffender formuliert sein. Es bringt zwei
wesentliche Einflussfaktoren der Kreativität auf den Punkt: Beim prepared mind
handelt es sich um einen klugen Kopf, der angesichts der bevorstehenden Auf-
gabe das vorhandene Wissen in neue Zusammenhänge bringt. Intuition ist die
Fähigkeit, Einsichten, Sichtweisen und Gesetzmäßigkeiten ohne den bewussten
Gebrauch des Verstandes in einem Fluss freizusetzen und damit die subjektive
Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlangen. Intuition als wesentlicher Be-
standteil von Kreativität bringt also mit sich, dass es sich bei Kreativität um eine
Synthese von sowohl intuitiven als auch analytischen Fähigkeiten handelt, die
eine Neu- oder Re-Kombination von Wissen erfordert und erregt.
»THE CREATIVE PROCESS IS A COCKTAIL OF INSTINCT, SKILL, CULTURE AND A HIGHLY
CREATIVE FEVERISHNESS. IT IS NOT LIKE A DRUG; IT IS A PARTICULAR STATE WHEN
EVERYTHING HAPPENS VERY QUICKLY, A MIXTURE OF CONSCIOUSNESS AND UNCON-
SCIOUSNESS, OF FEAR AND PLEASURE; IT'S A LITTLE LIKE MAKING LOVE, THE PHYSI-
CAL ACT OF LOVE
4
1.2. Der Prozess des Entwerfens
Die Besonderheit des architektonischen Entwerfens ist wegen des Ziels, physis-
chen Raum zu schaffen, die iterative Verschränkung von entwerfender und pla-
nender Tätigkeit. Entwerfen meint die Genese von Ideen und Konzepten. Planung
bezeichnet zumeist sowohl die technische Präzisierung und Darstellung von En-
twurfsobjekten mit dem Ziel der baupraktischen Ausführung als auch die
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weib
1-
licher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei
Geschlecht.
Vgl. auch Krauthausen, Karin: Vom Nutzen des Notierens. In: Krauthausen, K. und Omar W. Kasim
2
(Hrsg.): Notieren – Skizzieren. Schreiben und Zeichnen als Verfahren des Entwurfs, 2010
Damásio, António: Descartes Error. Emotion, reason and the human brain. Random House, New York,
3
2008, unter Berufung auf das Zitat einer Vorlesung Louis Pasteurs: »Dans les champs de l'observation
le hasard ne favorise que les esprits préparés.«, Universität Lille (7.12.1854)
Francis Bacon über den kreativen Prozess
4
5
zeitliche Strukturierung baupraktischer Abläufe, jeweils unter Einbeziehung der
Interessen anderer. Als ingenieurtechnische Leistung verschreibt sich die Ar-
chitektur der Lösung von konkreten Problemen, wodurch sie sich von der Kunst
abgrenzt.
Wie ein Jongleur hält der Architekt angesichts der Leerstelle, die er auszufüllen
beauftragt ist, unzählige Bälle in der Luft: Ökonomische und rechtliche
Forderungen müssen genauso befriedigt werden, wie ein möglichst ausgewo-
genes Verhältnis zwischen den Ansprüchen zukünftiger Nutzer und jenen der
Öffentlichkeit. Er muss das Nutzungsverhalten projizieren und dabei dem Selb-
stbild der beteiligten Akteure entsprechen. »Ethische und ästhetische Prämissen,
grundlegende Einstellungen zu Natur und Kultur manifestieren sich in Entwür-
fen ebenso, wie die Berücksichtigung oder Nicht-Berücksichtigung von Theo-
rien, Befunden und Überlegungen zu ökologischen Fragen. [… Die] Verfüg-
barkeit von Materialien oder Technologien [kann] Entwürfe entscheidend prä-
gen und [wird] in ihnen verarbeitet oder ignoriert. […]!Manche Aspekte, die für
einen Entwurf prägende Bedeutung haben, entscheiden sich auch dadurch, dass sie
so selbstverständlich sind, dass sie sich einer Thematisierung entziehen.«
5
Im architektonischen Entwurfsprozess können drei Hauptphasen unterschieden
werden: In der ersten Phase werden die zugrundeliegenden Daten und die Au-
flagen zusammengestellt, die zusammengenommen als Bedingungen des En-
twurfs gelten. In der zweiten Phase beginnt der Entwerfer mit der Suche nach
Lösungen für das Entwurfsproblem. Er entwickelt bei diesem Schritt zunächst
mentale Modelle der erwarteten Lösungen. Seine Gedanken externalisiert er
daraufhin mithilfe stellvertretender, meist nur ihm vollständig verständlicher,
grafischer Symbole (auch: Zeichen). Seine Arbeit besteht vor allem darin, diese
Darstellungen umzustellen und umzuformen. Die Intention bleibt dabei
mehrdeutig, bis der Entwurf auf die nächste Stufe gehoben wird, in der das
Wissen über die Lösungen gewachsen ist, und er mit größerer Präzision vorge-
hen kann. In dieser dritten Phase stellt die Verwendung eines Repertoires nun
allgemein gültiger, grafischer Repräsentationen sicher, dass die Mehrdeutigkeit
aufgehoben ist und die Vermittlung des Entwurfs an am Prozess beteiligte
Parteien möglich wird.
6
Betrachtet man die Gesamtheit dieser Prozesskette, lassen sich zwei Arten von
Aktivitäten unterscheiden: zum einen, die gestaltende aktive Handlung der
Hauser, Susanne: Verfahren des Überschreitens. In: Ammon, Sabine und Eva Maria Froschauer (Hrsg.):
5
Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur. Fink
München, 2013, S.364f.
Vgl. auch: Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural
6
Design, ITcon, Vol. 15, 2010, S. 202
6
Schöpfung und Beurteilung von Ideen oder Konzepten, zum anderen die
beschreibende passivere Handlung, der vor allem grafischen Kommunika-
tion entstandener Informationen zum Zweck der Vermittlung ausformulierter
Entwürfe an andere. Idealerweise durchläuft der Entwurfsprozess die oben
7
beschriebenen Phasen mehrfach. Durch wiederholende Bearbeitung wird die
Dichte der Informationen größer, und es wächst die Qualität der Lösungen.
Weil ein Entwurf in jedem Durchlauf erneut anhand der bereits angeführten
Prämissen geprüft wird, sollten die Durchläufe an sich möglichst ungehemmt
erfolgen. Um den Prozess nicht zu hemmen, ist es wünschenswert, dass der
Fluss der Ideen und Konzepte durch die verwendeten Techniken so intuitiv und
natürlich (oder beiläufig) wie möglich erfasst wird.
1.3. Traditionelle Werkzeuge
Der Architekt benötigt Werkzeuge zum Entwerfen. In der Konzeptphase des
Entwurfsprozesses ist das Skizzieren ein gebräuchliches Medium der Arbeit.
Selten tritt der Entwerfende mit einer fertigen Vorstellung im Kopf an den Ze-
ichentisch. Versatzstücke sind zumeist die persönliche Erfahrung von Raum,
8
ein Körperwissen, und ein Architekturwissen, dass aus zahllosen Referenzen
und dem Verständnis formaler Beschreibbarkeit von Architektur, der Geometrie
besteht. »Geometrie ist [das] vom Menschen [geschaffene] Ordnungssystem, um
Formen begreifbar und erfaßbar zu machen. Ihr kann die Rolle eines sinnlichen
Ordnungsfaktors zugewiesen werden.«
9
Gabriela Goldschmidt identifiziert zwei Absichten des Skizzierens: Einerseits
können bereits im Kopf befindliche Gedanken mithilfe grafischer Repräsenta-
tionen beschrieben werden, andererseits können gerade während des Skizzierens
neue Ideen entstehen. Diese Unterscheidung ließe sich erweitern: Skizzieren ist
10
eine Technik, die sowohl zur Visualisierung, Untersuchung und Überprüfung als
auch zur Korrektur und Überarbeitung taugt. »Entwerfer nehmen auf, reißen an,
bessern aus, verfolgen variieren und antworten.« Dank der Möglichkeit einer
11
schnellen Wiederholung des Kreislaufs aus Abbildung und Rückinformation
entspricht diese Technik der rekursiven Natur des Entwurfsprozesses. Mit der
Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural Design,
7
ITcon, Vol. 15, 2010, S. 202
Robbins, Edward und Edward Cullinan: Why architects draw. MIT press Cambridge, 1994
8
Leopold, Cornelie: Geometrische Grundlagen der Architekturdarstellung. Vierweg+Teubner Wies
9-
baden, 42013, S. 12
Goldschmidt, Gabriela: On Visual Design Thinking. The Vis Kids of Architecture. Design Studies 15,
10
1994, S.158f.
Hasenhütl, Gerd: Zeichnerisches Wissen, in Gethmann, Daniel und Susanne Hauser (Hrsg.): Kul
11 -
turtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science. [transcript]
Bielefeld, 2009, S.342
7
Wiederholung wird das gedankliche Modell stabilisiert. Skizzieren regt den
kreativen Prozess aber auch aufgrund der Verbindung seiner drei Komponenten
an: der visuellen, der mentalen und der psychomotorischen: »Zeichnen beinhal-
tet einen permanenten Lernprozess durch die aufmerksame Verfolgung von
Bewegungen der Hand und der Reflexion visueller Wahrnehmungen.«
12
Karin Krauthausen schließt das Entwerfen in die wissenschaftlichen und künst-
lerischen Forschungsprozesse ein, die auf der Grundlage von Experimenten
stattfinden. Das Skizzieren wird von ihr als eigenständige Kulturtechnik isoliert.
Die Aussage: »[Die] Einrichtung [von Experimenten] zielt auf die Provokation
eines Möglichkeitsraums, dessen Reglementierung nur grade so weit gehen darf,
dass Anschlüsse wahrscheinlich werden, zum Beispiel Rekursionen und Trans-
formationen« charakterisiert auch den inkrementellen Vorgang des wiederholten
Skizzierens.
13
Die skizzenhafte Beschreibung und die auf dieser Grundlage stattfindende Er-
forschung des Entwurfs umfasst außerdem die Nutzung zumeist ebenso grober,
plastischer Arbeitsmodelle. Sie dienen der Veranschaulichung räumlicher Ver-
hältnismäßigkeiten. Die physischen Modelle können in jedwedem Maßstab kon-
struiert werden, die Entscheidungs- und Formfindung kann direkt an ihnen
vorgenommen werden.
Eine besondere Qualität sowohl des Modellbaus als auch des Skizzierens ist die
Unschärfe. Im Modellbau stellt das visuelle Symbol eines idealen Quaders als
Beispiel möglicherweise die einfachste Form der präzisen Wiedergabe einer un-
scharfen Hypothese bereit. Geometrische Abstraktion ist ein intuitiv ver
14 -
ständliches Mittel, um unscharfes Wissen auszudrücken. Gleiches trifft für
Skizzen zu, die zumeist von unfertiger, grober Anmutung sind. Sie vermitteln
ihre Intention ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit. Die ihnen innen-
wohnende Form der Abstraktion drängt die Fragen nach den Spezifikationen
jedes einzelnen Details zurück. Mehrdeutigkeit erlaubt die Offenlassung
konkreter Antworten für eine spätere Isolierung und Bearbeitung von Details.
Gerade durch das Auslassen von Informationen wird eine anhaltende Neuinter-
pretation erzwungen, die dem Entwerfer bei der Ideen- und Konzeptfindung
und der Spezifizierung seiner Überlegungen unterstützt.
Hasenhütl, Gerd: Zeichnerisches Wissen, in Gethmann, Daniel und Susanne Hauser (Hrsg.): Kul
12 -
turtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science. [transcript]
Bielefeld, 2009, S. 342
Krauthausen, Karin: Vom Nutzen des Notierens. In: Krauthausen, K. und Omar W. Kasim (Hrsg.):
13
Notieren – Skizzieren. Schreiben und Zeichnen als Verfahren des Entwurfs, 2010, S. 10–11
Lengyel, Dominik und Catherine Toulouse: 3D-Scans für die Rekontextualisierung antiker Skulptur.
14
Electronic Media and Visual Arts (EVA), Konferenzband, Berlin, 2014, S. 138
8
Sowohl die Fähigkeit zur abstrakten Skizze als auch das handwerkliche Geschick
des Modellbaus sind erlernbar. Beides entwickelt sich durch die Kenntnis
vielfältiger architektonischer Darstellungen und verbindender Darstellungskon-
ventionen. Darstellungsmethoden sind selbst Werkzeuge, die verschiedene Re-
sultate erzeugen. So ließe sich mit zahllosen Beispielen belegen, wie sich analog
der Entwicklung der Wissenschaft Geometrie, die Formensprache der Architek-
tur verändert hat. Die Kulturtheoretikerin Elke Krasny bemerkt, dass »man eine
Geschichte der Architektur in ganz andere Epochen einteilen [könnte], ausge-
hend von einer wissenschaftshistorischen Logik der Werkzeugtechnologien und
der Haltung von Architektinnen und Architekten zu diesen.«
15
1.4. Dezite traditioneller Werkzeuge
Während ein Teil der Entwerfer die Fähigkeit erwirbt abstrakte Darstellungen
von komplexen, dreidimensionalen Objekten zu interpretieren, gelingt es einem
anderen Teil, vor allem den weniger erfahrenen Nutzern und den meisten Laien
nicht, bemerkt Ahmad Okeil. Die räumliche Abstraktionsfähigkeit, die nötig ist,
um ein komplexes Objekt auf der Grundlage seiner zweidimensionalen
Repräsentation zu erfassen, erfordert die Fähigkeit der Entschlüsselung abstrak-
ter Informationen und muss erlernt werden. Der Entschlüsselungsprozess
(auch: gedankliche Exploration) bleibt dann trotzdem eine Anstrengung, die
permanent kognitive Kapazitäten bindet. Diese Kapazitäten würden somit nicht
für die Schöpfung von Ideen und Konzepten zur Verfügung stehen.
16
Ich möchte den Blick jedoch auf eine andere Schwierigkeit lenken: Zwar sind
die Wechselwirkungen zwischen abstrakten Darstellungen und gedanklicher
Rekonstruktion wichtig und richtig, weil sie genauso Denk- und Überprüfung-
sprozesse fördern, wie die Fähigkeit zur Konstruktion auf Grundlage zweidi-
mensionaler Repräsentationen. Problem ist aber die mangelnde Objektivität: Die
skizzierten, schematischen Perspektiven sind in frühen Phasen des Entwurfs
sehr nützlich. Sie sind aber oftmals trügerisch. Zu leicht gelingt es sie – bewusst
oder unbewusst – so anzupassen, dass sie dem Eindruck der gewünschten räum-
lichen Konfiguration entsprechen, einem Vorurteil. Um diese Beliebigkeit einzu-
grenzen, ist eine Präzision vonnöten, die nur geometrisch korrekt konstruierte
Perspektiven bieten. Jene wiederum sind durchaus aufschlussreich, erfordern
aber die Anwendung zeitaufwendiger und umständlicher geometrischer Kon-
struktionsverfahren.
Krasny, Elke et. al.: Architektur beginnt im Kopf. The making of architecture. Birkhäuser Basel, 2008,
15
S.11
Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural Design, in
16
ITcon, Vol. 15, 2010, S. 202
9
Zweidimensionale Perspektivdarstellungen sind in jedem Fall statisch und zeigen
immer nur die vom Urheber ausgesuchten Blickwinkel, sind also bei der Vermit-
tlung von Entwürfen unter Umständen ebenso manipulativ. Sie berücksichtigen
keine Bewegung im Raum und die daraus resultierende Änderung des visuellen
Eindrucks über einen gewissen Zeitraum. Gleiches gilt im Übrigen für Architek-
turfotografien, Renderings (auch: virtuelle Architekturfotografie) und deren
Mischformen, wie Fotomontagen. Eine körperlich-zeitliche Erfahrung des Ab-
bildungsgegenstands bleibt ausgeschlossen. Die gedankliche Exploration soll
hier nicht infrage gestellt werden. Jedoch der Umfang und die Qualität ihrer
Grundlage.
Charles W. Moore und Gerald Allen behaupten in L’architecture sensible gar, dass
die traditionellen Darstellungsmethoden generell bei ihrem Versuch scheitern
würden, Raum zu repräsentieren. Hinter Grundrissen und Schnitten bleibt das
eigentliche Objekt verborgen, das sie abbilden sollen. Die zweidimensionale
Darstellung als Medium zieht die Aufmerksamkeit auf sich, anstatt sie auf den
Raum zu lenken, den sie repräsentiert. Diese Kritik ließe sich leicht auch auf
17
die vielfältig gebräuchlichen Perspektivdarstellungen ausweiten, deren ästhetis-
che Überzeugungskraft immer auch ein Selbstzweck ist. Schon Adolf Loos kri-
tisierte:
»DIE BAUKUNST IST DURCH DEN ARCHITEKTEN ZUR GRAPHISCHEN KUNST HERABGE-
SUNKEN. NICHT DER ERHÄLT DIE MEISTEN AUFTRÄGE, DER AM BESTEN BAUEN KANN,
SONDERN DER, DESSEN ARBEITEN SICH AM PAPIER AM BESTEN AUSNEHMEN
18
Man mag an dieser Stelle an das Architekturmodell erinnern, das durchaus
veränderliche räumliche Beobachtungen zulässt. Die Skalierung beeinflusst je-
doch ganz beträchtlich die visuellen Einflussgrößen. Eine Wahrnehmung der
realen Proportionen des Objekts wird dadurch deutlich eingeschränkt. Ein
Grund, warum seit Mitte der achtziger Jahre der Versuch unternommen wurde,
mithilfe von Endoskopie räumliche Simulationen zu erzeugen. Ein Verfahren,
19
dass inzwischen nahezu in Vergessenheit geraten ist.
Architekturmodelle versuchen oft, ähnlich wie auch Planzeichnungen und Ren-
derings, durch Referenzobjekte (Menschen, Fahrzeuge, Möblierungen etc.) ihre
Moore, Charles Willard und Gerald Allen: L'architecture sensible. Espace, échelle et forme. Dunod
17
Paris, 1981
Loos, Adolf und A. Opel (Hrsg.): Architektur. Ausgewählte Schriften. Die Originaltexte. 1897–1900.
18
Wien, 1995, S.79
Vgl. auch: Martens, Bob: Räumliche Simulationstechniken in der Architektur. Wege zu einer
19
neuzeitlichen Raumgestaltung. Europäische Hochschulschriften, 37. Lang Verlag, Frankfurt a. M., 1995
10
Maßstäblichkeit zu vermitteln. Sie verweisen auf bekannte Größen und damit
auf Größenrelationen. Ein sinnvoller Ansatz, der behutsam eingesetzt seinen
Zweck erfüllt, jedoch gegebenenfalls auch stark abzulenken vermag von der
technisch-objektiven Beschreibung von Architektur.
1.5. Der Computer
Der Computer wird seit nunmehr vier Dekaden in der Produktion von Ar-
chitektur eingesetzt. Mit dem Siegeszug von Computer-Aided Architectural Design
(CAAD) wurde zunächst vor allem das händische Planzeichnen mit dem
Tuschestift obsolet. Die Integration einer 3D-Funktionalität wurde Mitte der
siebziger Jahre in bis dato zweidimensionale Programme erstmals durch den
französischen Flugzeughersteller Avions Marcel Dessault implementiert. Diese
20
Technologie ermöglicht Architekten seitdem, detaillierte, gegebenenfalls hoch-
komplexe und dynamisch modifizierbare virtuelle Modelle zu erstellen, die im
Gegensatz zum statischen Abbild traditioneller Medien eine räumliche Model-
lierung und Erkundung ermöglichen. Damit übernimmt der Computer die Rolle
physischer Repräsentationen von Raum im Dienst der Planung, wobei er die
erwähnte Freiheit der Erkundung von Entwürfen mit der Möglichkeit der per-
manenten Modifikation, ohne wiederholte Neuerstellung, wie eben bei
manuellen Zeichnungen und Modellen, verbindet.
Mit den 1990er Jahren wurden eigentlich für die Filmproduktion entwickelte
Animationssoftwares Teil des digitalen Werkzeugkastens. Sie bringen ein bis
heute wachsendes Repertoire automatisierter, geometrischer Operationen mit,
bis hin zur Simulation physikalischer Effekte, die zur Formfindung in der Ar-
chitektur eingesetzt werden können. Mit der Parametrisierung von form-
21
gebenden Algorithmen – so eine populäre Idee der Zeit – werden Computer zu
überlegenen Entwurfswerkzeugen, zu »Denkzeugen«. Die Schlagwörter sind
Generative Gestaltung und Computational Design. Zum Teil heftig polarisierende Pro-
tagonisten wie Patrik S. Schumacher propagieren ein Verständnis von Entwurf
und Planung in Architektur und Städtebau, das ausschließlich durch para-
metrische Zusammenhänge und vordefinierte Handlungsvorschriften beschreib-
bar ist und letztlich die subjektive Komponente »Mensch« überflüssig macht.
22
Die Software hieß zunächst CATI (Conception Assistée Tridimensionelle Interactive) und wurde
20
nach 1981 unter dem Namen CATIA (Computer Aided Three-dimensional Interactive Application)
bekannt.
Schodek, Daniel L.: Digital design and manufacturing. CAD/CAM applications in architecture and
21
design. John Wiley & Sons Hoboken, 2005, S. 50.
Vgl.: Schumacher, Patrik: The autopoiesis of architecture. A new framework for architecture. John
22
Wiley & Sons Hoboken, 2011
11
Diese Ansätze verbinden sich mit einer keineswegs neuen, durchaus zu hinter-
fragenden Idee der unmittelbar bevorstehenden technologischen Singularität auf
Grundlage einer ungebremsten Technikeuphorie seit dem Beginn der Comput-
erisierung. Der Architekt wird zum Programmierer. Die Lösungen der En
23 -
twurfprobleme überlässt er den von ihm entwickelten Programmen. So drückt
schon Joseph Weizenbaum – einer der stets kritischen Pioniere der Informatik –
seine Gedanken in den siebziger Jahren aus:
»DER COMPUTER IST ALSO EIN SPIELPLATZ, AUF DEM JEDES ERDENKLICHE SPIEL
MÖGLICH IST. MAN KANN WELTEN ERSCHAFFEN, IN DENEN KEINE SCHWERKRAFT
EXISTIERT […], IN DENEN DIE ZEIT IN TANZSCHRITTEN VORWÄRTS UND RÜCKWÄRTS
ABLÄUFT […]. EIN INGENIEUR IST DER MATERIELLEN WELT UNLÖSBAR VERHAFTET.
SEINE KREATIVITÄT FINDET IHRE SCHRANKEN IN DEREN GESETZEN; ER KANN
SCHLIESSLICH NUR DAS TUN, WAS SICH DIESEN GESETZEN ENTSPRECHEND TUN LÄSST.
[…] DER PROGRAMMIERER JEDOCH IST SCHÖPFER VON UNIVERSEN, DEREN
ALLEINIGER GESETZGEBER ER SELBST IST. […] IN FORM VON COMPUTERPROGRAM-
MEN KÖNNEN UNIVERSEN VON MÖGLICHERWEISE UNBEGRENZTER KOMPLEXITÄT
GESCHAFFEN WERDEN. AUSSERDEM, UND DAS IST DER SPRINGENDE PUNKT, HAN-
DELN DIE SO FORMULIERTEN UND ENTWICKELTEN SYSTEME IHREN EIGENEN PRO-
GRAMMEN GEMÄSS. SIE GEHORCHEN BEREITWILLIG IHREN GESETZEN, UND IHR FOL-
GSAMES VERHALTEN MACHT SICH ALLENTHALBEN BEMERKBAR
24
Die rapide wachsenden Kapazitäten von Computersystemen haben Ende der
neunziger Jahre kybernetische und systemtheoretische Visionen aus den
Sechzigern Wirklichkeit werden lassen. So schien der verlockende Schritt zu ein-
er Selbsterschaffung, -organisation und -erhaltung von Systemen (auch: Au-
topoiesis) greifbar nah zu sein. Nicht weiterverfolgte Ansätze beispielsweise an
der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zeigten die Fähigkeiten »künstlich-
er Intelligenz« (KI) zur Schöpfung und Optimierung urbaner Strukturen nach
der Definition eines wachsenden Parameterraums. Iterativ näherten sich die
Anwendungen über Tage und Wochen an »optimale« Lösungen an. Letztlich
musste man aber einsehen, dass die Anzahl der Parameter, ganz gleich wie groß,
immer nur einen Teil der Kriterien abbildet, die für die Schöpfung einer am
Menschen orientierten Architektur einzubeziehen sind.
Inzwischen rücken dennoch viele der Themen dieser Zeit wieder ins Zentrum
der Aufmerksamkeit, weil das Handling von Big Data und somit die Integration
Als prominentester, zeitgenössischer Vertreter dieser Theorie gilt der Mathematiker Ray Kurzweil.
23
Vgl. auch: Vinge, Vernor und Ray Kurzweil: Technological Singularity. Department of Mathematical
Sciences, San Diego State University, 1993
Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Suhrkamp Frank
24 -
furt a.M., 1977, S. 157f.
12
nahezu unbegrenzter Mengen von Parametern und Daten in Berechnung-
sprozessen möglich wird. Sinnvoll eingesetzt werden derartige Anwendungen
25
der KI heute beispielsweise für crowd simulations (Verhalten großer Menschen-
mengen) und immer detaillierter werdende Techniken der bauphysikalischen
Gebäudesimulation. – Der Begriff der computational creativity aus dem Bereich der
KI ist inzwischen weiter gefasst: Zwar bezieht er noch immer das fiktive Com-
puterprogramm ein, dass es dem Menschen gleichtut und selbständig kreativ ist,
aber schließt er nun auch das Verständnis und die Formulierung algorithmischer
Perspektiven auf kreatives Verhalten des Menschen, und die Schaffung von An-
wendungen ein, die lediglich die Kreativität des Menschen fördern ohne
notwendigerweise selbst kreativ zu sein.
26
In der Praxis generiert der Computer heute noch keine Entwürfe selbstständig,
sondern stellt dem Nutzer lediglich ein spezifisches Set an Tools bereit: Er
»verbindet Stifte, Lineale, Zirkel und den Zeichentisch mit Maßstäben und
Scheren, mit Paletten von Oberflächen und Mustern, mit Baumaterialien,
Gestaltungselementen, Musterfenstern und Mustertüren, sowie mit DIN-Nor-
men […]. [Seine Besonderheit] besteht in der Zusammenführung und umstand-
slosen Verfügbarkeit ehemals räumlich auseinander liegender Tätigkeiten.« Der
27
Nutzer kann sämtliche für Entwurf und Planung benötigten Arbeitsschritte aus-
führen, ohne den Raum vor dem Computerdisplay verlassen zu müssen. »[Er]
wechselt zwischen Künstlerbedarfshandlung, Rechenwerkzeug, [Bücherregal,]
Materiallager und Mustersammlung hin und her.« Digitale Kommunikations
28 -
medien und die Möglichkeit der räumlich getrennten, gemeinsamen Bearbeitung
von Projekten sind integriert.
Die Wichtigkeit der letztgenannten Punkte ist nicht zu unterschätzen, denn wie
Susanne Hauser schreibt, sind Entwürfe »Ergebnisse von Auseinandersetzungen
zwischen vielen – mehr oder weniger wirksam – durchgesetzten Interessen. Das
heißt, dass sie niemals das Ergebnis einzelner Interessen und Perspektiven sind.«
Sie deutet den Versuch an, »architektonische Entwürfe als komplexe Kommu-
Siehe auch: Mainzer, Klaus: Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big Data. CH Beck,
25
München, 2014
Vgl. auch: McCormack, Jon und Mark d’Inverno: Computers and Creativity. Springer Science & Busi
26 -
ness Media Berlin, 2012
Uhlig, Franziska: Robinsons Pug. In: Schmitz, Thomas H. und Hannah Groninger (Hrsg.): Werkzeug –
27
Denkzeug. Manuelle Intelligenz und Transmedialität kreativer Prozesse. [transcript] Bielefeld, 2012,
S.168
Ebd., S.168
28
13
nikationsprozesse zu rekonstruieren, in denen Entscheidungen über viele
einzelne Aspekte getroffen und koordiniert werden.«
29
Das Resultat des Computereinsatzes ist die enorme Beschleunigung aller
Prozesse, aber auch eine Änderung der Entwurfsmethodik: Denn während
CAAD ursprünglich die Metaphern einer unmittelbaren Übertragung des
manuellen Arbeitens bereitstellte, also ganz ähnlich gezeichnet wurde wie am
Zeichentisch, werden nun (auch auf Grundlage von Formfindungsalgorithmen)
dreidimensionale Modelle erstellt, die im Nachhinein automatisch in
beschreibende zweidimensionale Zeichnungen zerlegt werden. Die aktuellen
30
Methoden kreieren neue Wechselwirkungen, wenn Realmodelle gescannt, digital
weiterverarbeitet und im Anschluss gegebenenfalls 3D-gedruckt werden. Rapid
Prototyping ersetzt den manuellen Modellbau und das händische Operieren mit
seinen Materialien.
»BUT THE HONEYMOON FADES, AND THE DARK SIDE OF COMPUTING DESCENDS
UPON YOU. THE ROMANCE WITH COMPUTERS SHOWS ITS PATHOLOGICAL ASPECTS:
MINDLESS PRODUCTIVITY AND INCREASED STRESS
31
1.6. Dezite computergestützter Werkzeuge
Ein Hemmnis bei der Einbeziehung von CAAD in die konzeptionelle Entwurf-
sphase liegt in der Gestaltung der Interfaces. Computersysteme nutzen eine
grafische Organisation der Benutzeroberfläche auf der Grundlage von WIMP-
Metaphern. WIMP ein Akronym für windows, icons, menus and pointing ist ein
Paradigma der Mensch-Computer-Interaktion, dass Zweidimensionalität im-
pliziert. Wie oben erwähnt, wird das zweidimensionale Arbeiten am Zeichen
32 -
tisch in eine eindeutig zweidimensionale digitale Arbeitsumgebung übertragen.
Als Resultat dieser Organisation werden aber auch sämtliche Einschränkungen
zweidimensionaler Medien in die computergestützten Anwendungen übernom-
men. Folgt man beispielsweise der oben begonnen Argumentation Ahmad
Okeils, wird dem Entwerfer eine mentale Auslastung angesichts der steten Auf-
gabe der Dekodierung abstrakter Informationen abverlangt. Die Kritik ließe
33
Hauser, Susanne: Verfahren des Überschreitens. In: Ammon, Sabine und Eva Maria Froschauer
29
(Hrsg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur.
Fink München, 2013, S.376
Temel, Robert: Mittel und Zweck. In: Krasny, Elke (Hrsg.): Architektur beginnt im Kopf. The making of
30
architecture. Birkhäuser Basel, 2008, S. 141f.
Heim, Michael: Infomania. In: The Metaphysics of Virtual Reality. Oxford University Press, 1993, S.5
31
Heinecke, Andreas M.: Mensch-Computer-Interaktion. Basiswissen für Entwickler und Gestalter.
32
Springer, 2012
Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural Design, in
33
ITcon, Vol. 15, 2010, S. 204
14
sich auch andernorts weiterverfolgen, wo – angesichts eines sich zusehends auf-
blähenden Funktionsumfangs – der Nutzer zur Umsetzung seiner Überlegungen
womöglich mehr Energie auf die Konfiguration des Werkzeugs und die Suche
nach passenden Funktionen, als auf die Entwurfsaufgabe selbst verwendet.
Ein weiterer Nachteil von CAAD-Anwendungen im Entwurf ist die Unauswe-
ichlichkeit grafischer Präzision. Die Mehrdeutigkeit einer Skizze ist durch Com-
puter nicht darstellbar. Die Leere des weißen Blatts, die darauf aufbauende Of-
fenheit des Prozesses, ist bereits durch Umfang und Aufdringlichkeit des Inter-
faces an sich verwirkt. Mit der Vermutung, dass digitale Werkzeuge gar ein
eigenes Formenrepertoire implizieren, lässt sich die Kritik fortsetzten: Orthog-
onalität ist in CAAD Programmen stets privilegiert. Ein rechtwinkliges Raster
und die Halbierung in zwei Winkel von 45 Grad führen zu durch diese For-
malien beschreibbare Architektur. Man kann von einer normativen Gestal-
tungskraft der Werkzeuge sprechen, die womöglich rückwirkend auch die »Er-
lebnismodelle« der Umwelt beeinflusst.
34
Der Entwerfer ist stets gezwungen, mit einem bereits bestehenden Satz von
Ideen in die Anwendung zu gehen. Die geforderte Präzision zu erfüllen, stellt
eine Herausforderung dar, behindert womöglich die initiierenden mentalen
Bilder und begrenzt dadurch das kreative Denken. Die entstehenden grafischen
Repräsentationen im CAAD vermitteln dem Nutzer stets den Eindruck präziser,
vollkommener und fotorealistischer Entwurfsobjekte. Insbesondere in einer
frühen Entwurfsphase wird dies nicht zur Weiterentwicklung und Generierung
neuer Ideen ermutigen. Ganz im Gegenteil kann der sich einstellende Eindruck
des Fertigen eine Erfahrung, von der viele Architekten zu berichten wissen
zu einem verfrühten Abbruch des Entwurfsprozesses führen.
In der Praxis benutzen Architekten aus diesen Gründen wohl auch weiterhin,
insbesondere in der wichtigsten, der Konzeptphase des Entwurfs traditionelle
Methoden. Häufig werden gewonnene Informationen daraufhin in Computer-
anwendungen eingegeben, um sie weiterzuentwickeln, zu präzisieren und
schließlich zu kommunizieren. Der Schritt der Eingabe bedeutet einen zeitlichen
Aufwand. Hinzu kommt, dass trotz der zunehmenden Bedeutung des 3D-Mod-
elings im Bereich CAAD die Mehrzahl der Anwendungen noch immer einen
zusätzlichen Aufwand vom Nutzer bei der Erstellung dreidimensionaler Objekt-
Repräsentationen fordern. Beide Schritte können gerade den ungeübten An-
wender frustrieren und den Gebrauch dreidimensionaler virtueller Modelle bei
der Formfindung und der räumlichen Erkundung von Entwürfen hemmen.
Flusser, Vilém: Vom Unterworfenen zum Entwerfer von Gewohntem, in Intelligent Building, Univer
34 -
sität Karlsruhe, 1989
15
Schade ist, dass das Ziel der Einbeziehung dreidimensionaler, visueller Ausgabe-
und räumlicher Eingabemedien in den computergestützten Entwurf in der De-
batte schon fast zum Allgemeinplatz verkommen ist. Es wird mich nicht hin-
dern, im Folgenden dafür zu argumentieren.
Das dem architektonischen Entwurfsprozesses innewohnende Ziel ist ein drei-
dimensionales, räumliches Produkt. Ganz gleich, wie intuitiv bestehende CAAD-
Anwendungen gestaltet werden und wie gut eine 3D-Funktionalität integriert ist,
das Ergebnis ihrer Darstellungen bleibt zweidimensional und versucht das Aus-
bleiben des dreidimensionalen Sehens zu kompensieren. Illusorisch ist die Ver-
mittlung einer der Hauptqualitäten gelungener Architektur, die allgemein als »der
rechte Maßstab« bezeichnet wird. Seine Einschätzung gelingt oft nur erfahrenen
Entwerfern. Seine Vermittlung ist häufig ein vergeblicher Versuch. Die Umset-
zung dreidimensionaler Ein- und Ausgabe birgt die Lösung, auch einer Reihe
weiterer, oben und im Folgenden beschriebener Probleme, weil sie Aspekte in-
tegriert, die bisher nur unter zusätzlichem Aufwand Berücksichtigung fanden.
»OUR TASK TODAY, I WOULD ARGUE, IS TO RESIST THESE PATH WAYS OF THOUGHT,
AND WHEREVER POSSIBLE TO EXPAND THE CONCEPT OF THE CONCRETE AND TO EX-
TEND THE PLAY OF INTUITION INTO NEW DOMAINS
35
Kwinter, Sanford: Architectures of time. Toward a theory of the event in modernist culture. MIT
35
Press, 2002, S.213
16
2. Wahrnehmung und Körperwissen
Die Szenografin Hannah Groninger und der Architekt Thomas H. Schmitz
heben für den Entwurf von Raum drei konstitutive Einflussfaktoren des
kreativen Denkens hervor: »Erstens das Körperwissen als die Summe der multi-
sensorischen und gefühlsmäßigen Erfahrungen [die uns einen] erlebbaren Bezug
zur Realität der Materialien, des Raums, der Masse [verschaffen].« Dieses Kör-
perwissen ist es, was »uns Gewissheit auf der Suche nach dem Neuen [gibt].« An
zweiter Stelle benennen sie »die Kommunikation […] die – als Sprache, Geste,
Skizze oder Modell immer des Körpereinsatzes bedarf.« Und »drittens die In-
teraktion von Machen und Denken«, wobei sie vermuten, »dass der Körper gerade
bei kreativen Prozessen eine Schlüsselfunktion zur Entdeckung der (noch) un-
bewussten Überlegung übernehmen kann.« Die Akkumulation des Körper
36 -
wissens und die Integration der multisensorischen Wahrnehmungen, sollen im
folgenden Kapitel umrissen werden.
2.1. Sehen und Raumwahrnehmung
Das Verlangen, den physischen Raum so abzubilden, wie wir ihn wahrnehmen,
ist ein altes Anliegen. Die historische Entwicklung visueller Simulation von
virtueller Räumlichkeit lässt sich gut nachvollziehen, weil sie durch erhaltene
Artefakte belegt ist. Die korrekte geometrische Perspektivkontruktion schafft
seit der Renaissance die Illusion räumlicher Tiefe in einer piktorialen Dimension.
Insbesondere die illusionistische Quadratura-, Trompe l’Œil- und Di-sotto-in-
sù-Malerei, sowie der Chiaroscuro-Malerei, die sich meisterhaft mit Licht und
Schatten auseinandersetzt, werden perfektioniert. Einige, der im Folgenden er-
wähnten Tiefenhinweise, wie beispielsweise die der Linearperspektive, der atmo-
sphärischen Perspektive oder des Schattenwurfs sind bereits in dieser Zeit um-
fasend verstanden und künstlich erzeugt worden.
37
Inwiefern sich Menschen früherer Zeiten in der Simulation akustischer, hap-
tisch-taktiler, propriozeptiv-kinästhetischer oder olfaktorisch-gustatorischer
Wahrnehmung übten, ist dagegen ungleich schwerer nachzuvollziehen. Auch
wenn der Sehsinn die räumliche Wahrnehmung dominiert, wirken doch alle Sin-
neseindrücke auf die Wahrnehmung von Architektur ein. In der Technologiede-
batte über Virtual Reality, aber womöglich auch in der Architekturtheorie, nimmt
die multimodale Natur unserer Sinneswahrnehmung von Raum sicher noch eine
zu kleine Rolle ein.
Schmitz, Thomas H. und Hannah Groninger (Hrsg.): Werkzeug – Denkzeug. Manuelle Intelligenz
36
und Transmedialität kreativer Prozesse. [transcript] Bielefeld, 2012, S. 23–24
Vgl. auch: Belting, Hans. Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks. CH Beck,
37
München, 2008. Oder: Edgerton, Samuel Y.: Giotto und die Erndung der dritten Dimension. Malerei
und Geometrie am Vorabend der wissenschaftlichen Revolution. Fink, München, 2004.
17
18
Wer sich mit VR und ihrer Bedeutung für die Architektur beschäftigt ist gut be-
raten, sich die physiologischen Rahmenbedingung vor Augen zu führen. Sie sind
zugleich Grundlage und Herausforderung für die Implementierung. Das offen-
sichtlichste Phänomen für die Funktionsweise des Sehsinns (auch der visuellen
Interfaces der VR) ist die Stereopsis, das Stereosehen (auch: stereoskopisches Se-
hen). Obwohl der Mensch die Welt mit zwei Augen sieht, nimmt er nicht zwei
separate Bilder wahr. Stattdessen ermöglicht der minimale Unterschied zwischen
den beiden zweidimensionalen Netzhautreizungen die Rekonstruktion einer
dreidimensionalen Umwelt.
Das Stereosehen ist aber bei weitem nicht der einzige Hinweis, den das Gehirn
zur Rekonstruktion einer räumlichen Tiefe nutzt. Besonders nachvollziehbar
wird dies angesichts von Schätzungen, dass etwa jeder fünfte Mensch stere-
oblind, binokulares Sehen für ihn also nur eingeschränkt oder überhaupt nicht
relevant ist. Den meisten der von Stereoblindheit betroffenen Menschen ist
dieser Zustand – ganz ähnlich wie bei Farbenblindheit nicht einmal bewusst.
Es müssen also eine ganze Reihe weiterer sogenannter Tiefenhinweise
wahrgenommen werden, die als ein aktueller Kenntnisstand aus vorwiegend
technologisch orientierter Literatur in der folgenden Liste zusammengetragen
wurden.
38
Ein Beispiel für Tiefenhinweise, die unabhängig vom Stereosehen sind, ist unser
erlerntes Verständnis von Größen und Größenrelationen. Wie oben bereits er-
wähnt, bedient sich die Architektur häufig optischer Referenzen, um Maßstäbe
zu vermitteln. Weil wir seit frühester Kindheit ein Verständnis von der Größe
Vgl. auch: Dörner, Ralf und Frank Steinicke: Wahrnehmungsaspekte von VR. In: Virtual und Aug
38 -
mented Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität, Springer
Berlin/Heidelberg, 2013, S. 41
19
Tiefenhinweis Wirkungsbereich Klassifizierung Positionsbestimmung
Disparität bis 10 m binokular relativ
Konvergenz bis 2 m binokular absolut
Akkomodation bis 2 m monokular absolut
Tiefenschärfe komplett monokular relativ
Verdeckung komplett monokular relativ
Linearperspektive komplett monokular absolut
Texturgradient komplett monokular relativ
Relative Größe komplett monokular absolut
Bekannte Größe komplett monokular absolut
Höhe im Gesichtsfeld über 30 m monokular relativ
Atmosphärische Perspektive über 30 m monokular relativ
Beleuchtungsrichtung komplett monokular relativ
Schattenwurf komplett monokular relativ
Bewegungsparallaxe über 20 m dynamisch relativ
Akkretion komplett dynamisch relativ
einer erwachsenen Person haben, funktioniert diese Referenz in Darstellungen
lebenslänglich. Dies ist nur ein Indiz für die Bedeutung unserer Erfahrungen bei
der Interpretation räumlicher Wahrnehmung.
2.3. Bewegungswahrnehmung
Beispiele monokular funktionierender Tiefenhinweise sind Verdeckungen, die
auch zu den durch Bewegung entstehenden dynamischen Veränderungen des
Bildes zählen. Es gibt weitere veränderliche Eindrücke, so ziehen etwa Objekte
in der Nähe schneller an uns vorbei, als Objekte in der Ferne, und auch die
Ausleuchtung und der Schattenwurf verändern sich, wenn Objekte sich selbst
bewegen.
39
Ein wichtiger Aspekt der visuellen Bewegungswahrnehmung – auch für die
Erzeugung virtueller Umgebungen ist der optical flow und der untergeordnete
Effekt der Vektion, der beispielsweise dann entsteht, wenn sich Objekte in einem
eingeschränkten Sichtfeld bewegen und das Gefühl hervorrufen, man bewege
sich selbst. Ein Beispiel für diesen Effekt ist der Moment, in dem ein Zug am
Nachbargleis anfährt. Vom stehenden Zug aus gesehen macht er dem Betrachter
leicht glauben, der eigene Zug würde sich bewegen. So nehmen wir die Bewe-
gung anderer Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr aus den Augenwinkeln
wahr und berücksichtigen sie zumeist »unbewusst« bei der eigenen Fortbewe-
gung. Objekte mit divergentem »Fluss« werden dabei als näherkommend
wahrgenommen.
Der optische Fluss wurde als Begriff von James Jerome Gibson eingeführt. Mit
zwei bis heute nachhallenden Ansätzen revolutionierte er den Blick der Psy-
chologie auf die Wahrnehmung: Der erste Ansatz, den er mit seiner Er-
forschung visueller Felder untermauerte, umreißt den Rahmen, in dem die Be-
wegung zur Bedingung der visuellen Stimulation wird. Hiernach formulierte er
die Idee eines konzeptionellen dreidimensionalen Raumes. Für Gibson ist die
Raumwahrnehmung eine Integration von der visuellen Wahrnehmung der
Umgebung und der Interaktion mit ihr. Indem Gibson die Aktivität an sich ins
Zentrum rückt, setzt er ein Subjekt voraus, das in spezifischer Weise, intentional
mit seiner Umwelt umgeht. Diese Sichtweise hatte bereits Jakob von Uexküll
40
im frühen 20.!Jahrhundert vorweggenommen, in seinen Studien über Unter-
Dörner, Ralf und Frank Steinicke: Wahrnehmungsaspekte von VR. In: Virtual und Augmented Reality,
39
Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität, Springer Berlin/Heidelberg,
2013, S. 41
Gibson, James J.: The perception of the visual world, Houghton Miin Boston, 1950
40
20
schiede zwischen Merkwelt und der Umwelt der Tiere. Unsere Umwelt enthält
41
Ultraschallwellen, unsere Merkwelt nimmt diese nicht wahr. Die Merkwelt der
Fledermäuse hingegen schon. Bezogen auf die menschliche Psychologie und
vor allem in Hinblick auf die VR bedeutet dies auch, dass nicht alles, was wir
wahrnehmen, relevant ist. Es gilt zu unterscheiden, welche Angebote der
Umwelt (auch: Affordanzen) für spezifische VR Anwendungen berücksichtigt
werden und welche eher nicht.
Gibson geht davon aus, dass der Mensch visuelle Wahrnehmung gelernt haben
muss, um überhaupt sehen zu können, was er sehen will. Affordanzen bedeuten
aber auch, auf Grundlage von Wissen die Möglichkeit zum Handeln zu erken-
nen. »Sehen lernen!« ist vielleicht die beliebteste Unterrichtung von Zeichen-
lehrern im Kunst- und Architekturstudium. Le Corbusier hat seine Empfehlung
zur Synthese von Sehen und Denken so formuliert:
»MAN MUSS IMMER SAGEN, WAS MAN SIEHT, VOR ALLEM MUSS MAN IMMERUND DAS
IST WEITAUS SCHWIERIGERSEHEN, WAS MAN SIEHT
42
2.4. Propriozeption und Kinästhesie
Die Bewegungswahrnehmung wäre nur unvollständig beleuchtet, würde die
Rolle der Körperempfindungen dabei außer Acht gelassen. Die Propriozeption
beschreibt die Empfindung der Körperbewegung, Körperlage und die Stellung
einzelner Körperteile zueinander. Einen wesentlichen Anteil – auch für die
43
Synthese visueller Wahrnehmung – hat die Stellung des Kopfes im Verhältnis
zum Rumpf auf Grundlage propriozeptiver Afferenzen der Halsmuskulatur.
Durch eine permanente Veränderung der Kopfposition wird außerdem ein
veränderlicher visueller Eindruck der Umgebung erzeugt, der zu einer ständigen
Rückversicherung der kognitiven Rekonstruktion der Umgebung dient.
Die Kinästhesie als Teilbereich der Propriozeption bezeichnet den reinen Bewe-
gungssinn. Hierfür werden die Rezeptoren des Bewegungsapparates (Gelenke,
Muskeln, Sehnen) herangezogen.
44
Vgl. auch: Agamben, Giorgio und Davide Giuriato (Übers.): Das Oene. Der Mensch und das Tier.
41
Suhrkamp Frankfurt am Main, 2003
Le Corbusier: An die Studenten. Charte d’Athenes. Rowohlt Hamburg, 1962
42
Buser, Kurt: Kurzlehrbuch Medizinische Psychologie/Medizinische Soziologie, Urban&Fischer
43
München/Jena, 62007, S. 93
Proske, Uwe und Simon C. Gandevia: The kinaesthetic senses. The Journal of physiology, 587.17,
44
2009, S. 4139–4146
21
2.5. Haptik und Oberächensensibilität
Haptik kann auch als »handgreiflich-körperliche Zugang des Menschen zur Welt
und zu sich selbst« umschrieben werden. Das Tastsinnessystem ersetzt bei
45
geburtsblinden Menschen das visuelle Sehen auf erstaunliche Weise. Bei ausre-
ichender sozialer Einbindung und Stimulation entsteht ein adäquates »Abbild«
der physischen Welt. Dies ist aber nur ein Hinweis auf den enormen Leistungs-
bereich des Tastsinnessystems. Er verweist auf einen noch viel bedeutenderen
Aspekt: auf die direkte Beteiligung des Tastsinns an Bewusstseinsprozessen.
46
Die zunehmende Rückeroberung des Tastsinns in der digitalisierten Welt zeigt
sich in Tendenzen moderner Interfacegestaltung. Immer häufiger wird die
Steuerung von Objekten auf Bildschirmen von Computern und Mobilgeräten
mit Hand und Fingern vorgenommen. Herbert Marshall McLuhan führte den
Begriff der digitalen Taktilität ein. Die Künstlerin Elke Mark zitiert Till Heil
47 -
mann, der vom »[…] unmöglichen Wunsch des Menschen, über die Vermittlung
von Tasten und Schaltflächen, über die Ebene der schriftlichen und der grafisch-
ikonografischen Vermittlung hinaus die digitalen Dinge selbst in den Griff zu
bekommen« versucht. Inzwischen wäre der Mensch mit seinen Körperbewe
48 -
gungen jedoch Teil des Interfaces. »In Kombination mit dem Sehen kommt dem
Tastsinnesvermögen der Hand in der Auge-Hand-Koordination eine besondere
Stellung zu. Sie bildet in Verbindung mit der visuellen Wahrnehmung, Schreiben
und Lesen wichtige Grundlagen für unsere Bewusstseinsprozesse heraus.«
49
2.6. Hören
Im Gegensatz zum visuellen Sinn ist die räumliche Auflösung beim Hören sehr
viel geringer. Allerdings werden auch hier eine Reihe von Faktoren einbezogen,
wie beispielsweise die komplexen Filterwirkungen von Kopf, Außenohr und
Rumpf. Die Rekonstruktion räumlichen Hörens erfolgt durch Auswertung von
sich zwischen den Ohren unterscheidenden Amplituden und Laufzeitdifferen-
zen des sich radial-wellenförmig ausbreitenden Schalls. Die Unterscheidbarkeit
von Intensität und Frequenz hat jedoch Grenzen: zwei verschiedene
Geräuschquellen müssen zur Differenzierung schon mehrere Grad auseinander-
Grunwald, Martin: Haptik, in Schmitz, Thomas H. und Hannah Groninger (Hrsg.): Werkzeug –
45
Denkzeug. Manuelle Intelligenz und Transmedialität kreativer Prozesse. [transcript] Bielefeld, 2012, S.
168
Ebd., S. 168f.
46
McLuhan, Marshall: The Medium is the Massage: An Inventory of Eects, Random House, 1967
47
Mark, Elke: Taktile Wissen. In: Schmitz, Thomas H. und Hannah Groninger (Hrsg.): Werkzeug –
48
Denkzeug. Manuelle Intelligenz und Transmedialität kreativer Prozesse. [transcript] Bielefeld, 2012, S.
136. Zitiert: Heilmann, Till A.: Digitalität als Taktilität, Zeitschrift für Medienwissenschaft 3, Berlin 2010
Ebd., S. 136
49
22
liegen. Besser funktioniert die zeitliche Auflösung: Zwei bis drei Millisekunden
zeitlicher Diskrepanz eintreffender Signale werden hierbei unterschieden.
50
Seit einiger Zeit rückt die Bedeutung des Hörens immer stärker in den Fokus
der Raumwahrnehmung und somit auch der Architektur. Natürlich war das
Hören schon immer Thema der Akustik, denkt man beispielsweise an den En-
twurf von Konzertsälen. Eine auditive Architekturtheorie aber existiert bisher
nicht. Auditive Architektur ist zudem eine neue künstlerisch-wissenschaftliche
Disziplin, wie Alex Arteaga berichtet.
51
Neuere Forschungen beschäftigen sich mit dem Hören auch im Zusammenhang
vom Verständnis der Materialeigenschaften. So werden für die Rekonstruktion
der Umwelt ganz unbewusst ständig akustische Eigenschaften von Oberflächen
und Körpern herangezogen. Konzentriert man sich beispielsweise einmal alleine
auf das Geräusch, dass die eigenen Schritte auf dem Boden machen, so wird
klar, dass dadurch erst die Beschaffenheit des Bodens verständlich wird. Der
visuelle Eindruck ist völlig untergeordnet, und vorausgesetzt man läuft nicht
barfuß, trägt bequeme Schuhe – ist auch das Tastsinnessytem damit nur peripher
beschäftigt.
2.7. Verbale Kommunikation und manuelle Gesten
Eine Rekonstruktion der Umwelt wird natürlich erst »durch Sprache, durch ihre
Fähigkeit, Wirklichkeit zu stiften, sie erfahrbar zu machen« möglich. –!Mit
52
welchen Schwierigkeiten der Gebrauch der Sprache jedoch verbunden ist, lässt
sich leicht an dieser Arbeit überprüfen. – Interessant für den Entwurf von Ar-
chitektur erscheint die multimodale Kommunikation bei der Externalisierung
gedanklicher, räumlicher Zusammenhänge. Einbezogen werden deswegen die
manuellen Gesten, die verbale Kommunikation oft begleiten und deren Bedeu-
tung nicht zu unterschätzen ist.
Eine Reihe von Publikationen aus den Bereichen Semiotik, Verhaltensforschung,
Tanz- und Choreographie-Forschung sowie Psychologie und Psycholinguistik
beschäftigen sich mit den Gesten bei der Vermittlung von abstrakten oder/und
Dörner, Ralf und Frank Steinicke: Wahrnehmungsaspekte von VR. In: Virtual und Augmented Reality,
50
Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität, Springer Berlin/Heidelberg,
2013, S. 43
Arteaga, Alex: Auditive Architektur Einführung in eine neue Disziplin. Kunsttexte, 4/2010
51
Tellkamp, Uwe: Laudatio auf Mircea Cărtărescus, Leipziger Buchpreis, 15.03.2015
52
23
räumlichen Zusammenhängen. Es liegt auf der Hand, dass hier häufig Ar
53 -
chitektur als Gegenstand der Auseinandersetzung genutzt wird. Eine Vielzahl
von Studien suchen nach einem verbindenden Repertoire gestischer Metaphern,
die von Menschen zur Erklärung räumlicher Zusammenhänge genutzt werden.
Die Erkenntnisse, so bruchstückhaft sie bisher auch sein mögen, drängen die
Idee auf, man könne Gesten für Interfaces der Mensch-Computer-Interaktion
nutzbar machen. Die semiotisch orientierte Gestenforscherin Irene Mittelberg
beispielsweise definiert gestische Zeichen als multimodale Repräsentationsfor-
men. Man könne Gesten als ein »Vorwärtsentwurf« verstehen, der verinnerlichte,
konzeptionelle Bilder und Strukturen wie Bildschemata und metaphorische
Konzepte in Figuren sichtbar macht, und ihnen – so gibt sie den Ausblick – für
das architektonische Gestalten das Potenzial eines Werkzeugs zuschreiben.
54
Mit den manuellen Gesten als Interaktion von Machen und Denken ist hier der
Anschluss zu den im ersten Kapitel benannten Entwurfsmethoden hergestellt.
Im folgenden Kapitel wird versucht, der Technologie VR ihren Platz einzuräu-
men. In der Übersetzung von Gesten liegt möglicherweise ein großes Potenzial,
das hier nicht weiter untersucht werden konnte, aber den Ausblick gibt auf
zukünftige Arbeiten. Zuvor noch ein kurzer Blick auf Korrektive des Sehsinns.
2.8. Korrektive des Sehens
Die Korrektur der geometrischen Ordnung ist eine beachtliche Fähigkeit des
menschlichen Sehens. Denn »[obwohl] die Netzhaut gekrümmt ist, ist das Auge
in der Lage, gerade Kanten im Allgemeinen, senkrechte Kanten im Speziellen
als solche zu erkennen. Die perspektivische Projektion auf eine ebene Fläche,
sei es auf Papier oder in einer Fotokamera, ist grundsätzlich anders als die Pro-
jektion im sphärischen Auge – bis auf die praktisch unbedeutende Ausnahmesi-
tuation, wenn der Betrachter einer planen Perspektive exakt den Hauptpunkt
fixiert.«
55
Der Mensch scheint interessanterweise immer von der Orthogonalität seiner
Umwelt auszugehen. Für die Architekturdarstellung resultiert daraus ein Prob-
lem. Würde sie diesen Effekt nicht kompensieren, führte dies zur Verfälschung
Etwa: Goldin-Meadow, S. und Wagner, S.M.: How our hands help us learn. Trends in Cognitive Sci
53 -
ences 9, 2005, S. 234–241. Oder: Heath, C. und Lu, P.: Gesture and institutional interaction. Figuring
bids in auctions of ne art and antiques, Gesture, 7(2), 2007, S. 215–240. Oder auch: Visser, W.: The
cognitive artifacts of designing. Erlbaum Mahwah, 2006.
Mittelberg, Irene: Ars memorativa, Architektur und Grammatik. In Schmitz, Thomas H. und Hannah
54
Groninger (Hrsg.): Werkzeug – Denkzeug. Manuelle Intelligenz und Transmedialität kreativer Prozesse.
[transcript] Bielefeld, 2012, S. 191f.
Lengyel, Dominik und Catherine Toulouse: 3D-Scans für die Rekontextualisierung antiker Skulptur.
55
Electronic Media and Visual Arts (EVA), Konferenzband, Berlin, 2014, S. 138
24
des Charakters der dargestellten Architektur. Eigentlich senkrechte Wände und
ganze Gebäude erschienen durch stürzende Linien geneigt. »Die traditionelle ar-
chitektonische Perspektivzeichnung verwendet daher in der Konstruktion der
Perspektive eine senkrechte Bildebene, ebenso wie die traditionelle Architektur-
fotografie auf eine senkrechte Bildebene notfalls mit Hilfe von Spezialobjektiv-
en mit verschiebbarer Trägerplatte belichtet [auch: Shift].«
56
Ein weiteres Korrektiv ist die Robustheit der linearen Perspektive. Ein Phänomen,
57
das dafür sorgt, dass Verzerrungen vom Betrachter ignoriert werden, obwohl er
die Perspektive nicht von dem Punkt aus sieht, von dem sie aufgenommen
beziehungsweise konstruiert wurde. Beobachten lässt sich dieser Effekt etwa im
Kino: Denn auch wenn der Besucher in der ersten Reihe rechts außen
wahrscheinlich eine ganz andere Perspektive hat, als die Kamera, mit der
aufgenommen wurde, so sieht er den Film doch richtig. Offenbar entzerrt das
visuelle System des Betrachters den falschen Bildeindruck. Diese Korrektur
basiert – so die Vermutung auf der Abweichung der Blickrichtung von der
Normalen der Bildebene.
58
Versuchte man alle bisher beschriebenen Sinneseindrücke zusammenzuzählen
und sie in der benötigten zeitlichen Auflösung durch einen Computer für die
Simulation einer virtuellen Welt berechnen zu lassen, würde dies einen schwer
zu zähmenden Datenstrom generieren. Jedoch ist dies vielleicht gar nicht er-
forderlich. Der Mensch ist in der Lage, selbst aus einer reduzierten Anzahl, selb-
st verzerrter Wahrnehmungen, eine Vorstellung von Welt zu synthetisieren, die
umfassend ist und ihn einschließen kann. Die beiden letztgenannten Punkte
dieses Kapitels können auch als Belege dieser Fähigkeit verstanden werden.
Viele Beobachtungen und Erkenntnisse zeigen, dass einzelne Sinneseindrücke
andere Aspekte suggerieren. In der offensiven Suggestion liegt womöglich ein
Schlüssel für die Weiterentwicklung der Technologie Virtual Reality.
»THE WORLD, AS WE PERCEIVE IT, IS OUR OWN INVENTION!
59
Ebd., S. 138
56
Vgl. auch: Kubovy, Michael: The psychology of perspective and Renaissance art. CUP Archive, 1988
57
Vishwanath, Dhanraj, Ahna R. Girshick und Martin S. Banks: Why pictures look right when viewed
58
from the wrong place. Nature neuroscience 8.10, 2005, S.1401–1410
von Foerster, Heinz: The Invented Reality. In: Watzlawick, Paul (Hrsg.): The Invented Reality. How do
59
we know what we believe we know? Contributions to constructivism, Norton, 21988, S. 45–46
25
3. Virtual Reality
Virtual Reality wird in dieser Arbeit als stehender Begriff genutzt. Es wäre
zweifellos an der Zeit, diese inkonsistente Bezeichnung für die Fortführung der
interdisziplinären Debatte auszutauschen, da das Wortpaar ein offensichtliches
Paradox einschießt, ganz abgesehen davon, dass der Realitätsbegriff in der
Philosophie von je her schwer umkämpft ist. Diese Arbeit versucht sich nicht
daran, einen Beitrag zum philosophischen Diskurs zu leisten. Der amerikanische
Autor Michael R. Heim einer der bekannteren Akteure der populärwis-
senschaftlichen Auseinandersetzung über VR in den neunziger Jahren, kürzt die
Frage nach dem Realitätsgriff wie folgt ab:
»IF FOR TWO THOUSAND YEARS WESTERN CULTURE HAS PUZZLED OVER THE MEAN-
ING OF REALITY, WE CANNOT EXPECT OURSELVES IN TWO MINUTES, OR EVEN TWO
DECADES, TO ARRIVE AT THE MEANING OF VIRTUAL REALITY
60
Pragmatisch betrachtet handelt es sich – zumindest aktuell – um eine Technolo-
gie, genauer: eine Mensch-Maschine-Schnittstelle, deren wesentliches Potenzial in der
Möglichkeit liegt, dem Nutzer die Illusion der Anwesenheit in einer virtuellen
Umgebung zu suggerieren. VR kann also als technologisches System
beschrieben werden, dass in erster Linie das Gefühl der Präsenz in einer dreidi-
mensionalen computergenerierten Welt vermittelt. Die Empfindung dieser
Präsenz ist das Ergebnis des Funktionsumfangs der VR, der die Interaktion mit
der virtuellen Umgebung in Echtzeit voraussetzt.
Andere weniger verfängliche Bezeichnungen für das Produkt dieser Tech-
nologie sind Virtuelle Umgebung (Virtual Environment, kurz: VE) und Immersive
Virtuelle Umgebung (Immersive Virtual Environment, kurz: IVE).
Der besondere Nutzen für die Architektur ist dabei die Erkundung von Räumen
und Orten im Abbildungsmaß 1:1, was bedeutet, dass die tatsächliche Größe
abgebildeter Objekte und die optische Größe ihrer Abbildungen gleich groß
sind. Die dafür notwendige Technologie erzeugt die visuelle Wahrnehmung
eines gleich großen Objekts, indem sie möglichst viele der bekannten Tiefen-
hinweise (!Stereosehen und Tiefenhinweise) der kognitiven Rekonstruktion der
Umwelt zur Verfügung stellt. Die Wahrnehmung visueller Hinweise kann mit
einer sehr realistischen raumakustischen Simulation verbunden werden. Die
Berechnung von Resorptions- und Absorptionsprozessen von Schall ist
genauso wie jene des Lichts – heute umfänglich möglich und im Prinzip nur eine
Frage verfügbarer Rechenleistungen.
Heim, Michael: The Essence of VR. In: The metaphysics of virtual reality. Oxford University Press,
60
1993, S.117
26
3.2. Wahrnehmungsaspekte
Visuelle und akustische, räumliche Wahrnehmungsaspekte werden relativ prob-
lemlos durch die hierfür zur Verfügung stehenden Software-Engines simuliert
und können bedarfsweise in verschieden starker Ausprägung in virtuelle Umge-
bungen integriert werden. Die erforderlichen Datenmengen werden bereits
durch hochwertige, aber handelsübliche Computersysteme in Echtzeit generiert.
Als Interfaces der Ausgabe werden beispielsweise Head-Mounted-Displays (HMD)
und Raumklang-Kopfhörer genutzt. Integrierte Gyrosensorik und Infrarotkam-
eras erfassen Bewegung und Gesten. Und auch wenn die Palette der Umwel-
treize nur in Teilen abgedeckt ist, so ist das Resultat doch schon jetzt sehr
überzeugend.
Die Laufzeit-Umgebung Unity (Unity Technologies) beispielsweise, die problemlos
mit auch in der Architektur gebräuchlichen Modeling- und Visualisierungspro-
grammen wie etwa Cinema 4D (Maxon) zusammenarbeitet, integriert bereits jetzt
die stereoskopische Ausgabe für etwa das HMD Oculus Rift (Oculus VR). Nutzer
von Cinema kennen den mächtigen Funktionsumfang dieser Software, der auch
physikalische Simulationen und Raumakustik beinhaltet. Unity kann als ihr ver-
längerter Arm verstanden werden, der alle in Cinema vorgefertigten Objekte,
Umgebungen und Animationen für die Exploration in Echtzeit bereitstellt.
Natürlich sind die Simulationen in Cinema und Unity Interpolationen auf Grund-
lage weniger komplexer physikalische Modelle. Die Weiterentwicklung dieser
Modelle vollzieht sich aber derartig schnell, dass eine umfassende Beschreibung
mit Aktualitätsanspruch vom Vornherein zum Scheitern verurteilt wäre.
Die Bildsynthese geschieht in den Laufzeit-Umgebungen auf Basis von mehr
oder weniger komplexen Render-Engines. Sie berechnen die Sichtbarkeit von Ob-
jekten, das Aussehen der Oberflächen (auch: Shading) und die Lichtverteilung
innerhalb einer Szene, was Schattenwurf und indirekte Beleuchtung einschließt.
Aufwendige Berechnungsmodelle wie Raytracing oder Radiosity vollständig und in
Echtzeit und in der gewünschten Auflösung bei der Ausgabe von VR-Renderern
zu nutzen, liegt derzeit noch in weiter Ferne. Auch hier bleibt also abzuwarten,
was die technologische Weiterentwicklung mit sich bringt.
Ein komplexeres System der rechenintensiven Simulation von Schallausbreitung
im dreidimensionalen Raum ist etwa das System RAVEN der Rheinisch-Westfälis-
chen Technischen Hochschule Aachen. Zur Beschleunigung des Verfahrens wurden die
für das Richtungshören relevanten frühen Schallreflexionen abgekoppelt von
27
den späteren, die als Nachhall wahrgenommen werden. Die letzteren werden mit
einem stochastischen Verfahren ermittelt.
61
3.1.2. Immersion und Präsenz
Das Ziel der meisten Anwendungen der VR ist Immersion: das möglichst um-
fassende Eintauchen in die virtuelle Umgebung. Michael R. Heim schreibt hi-
erzu:
»THE VIRTUAL ENVIRONMENT SUBMERGES THE USER IN THE SIGHTS AND SOUNDS
AND TACTILITY SPECIFIC TO THAT ENVIRONMENT. IMMERSION CREATES THE SENSE
OF BEING PRESENT IN A VIRTUAL WORLD, A SENSE THAT GOES BEYOND PHYSICAL
INPUT AND OUTPUT. HOW PRESENCE AN IMMERSION COALESCE REMAINS AN OPEN
QUESTION IN VR RESEARCH
62
Im Nachsatz gibt er den Ausblick auf eine Untersuchung unter Einbeziehung
des zweiten fundamentalen Begriffs der Präsenz. Im technologischen Zusam-
menhang ist damit das Gefühl gemeint, durch das der Betrachter auf die
virtuelle Umgebung so reagiert, als ob es sich um eine reale Umgebung handeln
würde. Dabei werden die drei Faktoren Ortsillusion, Plausibilitätsillusion und In-
volviertheit begrifflich unterschieden.
63
Die Ortsillusion bezieht sich auf das Gefühl, sich am virtuellen Ort zu befinden.
Sie wird vor allem durch die qualitative Reife der verwendeten Interfaces
erzeugt. Ein großer Teil der oben beschriebenen Wahrnehmungsaspekte, vor
allem visuelle und akustische, kann heute technisch simuliert werden. Die ver-
wendeten Interfaces werden zusehends brillanter. Wachsende Rechenkapazitäten
stellen die Informationen in benötigter Menge und Geschwindigkeit zur Verfü-
gung. Sobald die betrachterabhängige Darstellung erreicht ist, das heißt, dass das
Interface auf den Betrachter dahingehend reagiert, dass er die von seiner Kör-
perposition abhängigen Informationen bekommt, fühlt er in der virtuellen
Umgebung präsent.
Die Plausabilitätsillusion erzeugt das Vertrauen, das die umgebenden Ereignisse
wirklich passieren können. Je stärker zum Beispiel die physischen Constraints
64
Schröder, Dirk et al. (2010): Virtual reality system at RWTH Aachen University. Proceedings of the
61
international symposium on room acoustics (ISRA), Melbourne Australia, 2010
Heim, Michael: The metaphysics of virtual reality. Oxford University Press, 1993, S. 154–155
62
Dörner, Ralf et al. (2013): Virtual und Augmented Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen
63
und Augmentierten Realität, Springer Berlin/Heidelberg, 2013, S. 18–19
Der Begri stammt aus der Informatik, bedeutet im engeren Sinne »Einschränkungen«, wird aber
64
häuger synonym für »Regeln« oder »Bedingungen« verwendet.
28
ausgeprägt sind, sich also dem natürlichen (auch hypothetischen) Verhalten der
Objekte angleichen, desto plausibler oder auch glaubwürdiger wird das Erlebnis
der virtuellen Umgebung. Ein Bruch dieser Glaubwürdigkeit kann beispielsweise
dann passieren, wenn ein zwar vollständig abgebildeter und sich natürlich bewe-
gender Mensch sich plötzlich nur in abgehackten Phrasen artikulieren würde.
65
Vor allem was die Involviertheit betrifft, die den Nutzer in die virtuelle Welt
einbezieht, setzt die Technologie VR tatsächlich neue Maßstäbe. Involviertheit
meint vor allem den Grad der Aufmerksamkeit und des Interesses an der
virtuellen Umgebung. Gewährleistet wird dies durch ihren Angebotscharakter.
Für Anwendungen der Architektur muss das vor allem bedeuten, dass der
Nutzer selbständig interagiert und seine Umwelt nun jederzeit selbst modifiziert.
Er gewinnt an Macht gegenüber der Darstellung, indem er sich frei bewegt.
Wie viel Fremdbestimmung enthalten ist, bleibt dabei stets kritisch zu hinterfra-
gen.
3.2.2. Salienz
Der Begriff der Salienz wird im Umfeld der VR genutzt, um die Steuerung der
Aufmerksamkeit des Nutzers zu beschreiben. Die menschliche Wahrnehmung
hat weder die Kapazitäten, noch ist es aufgrund der Fülle von Umwelteinflüssen
sinnvoll, alle Reize gleichermaßen zu verarbeiten. Diese Feststellung kann von
den VR-Systemen dahingehend genutzt werden, dass sie nur die Reize künstlich
erzeugen müssen, auf die die Aufmerksamkeit des Nutzers gerichtet ist. So
66
können teilweise oder vollständig außerhalb des Sichtbereichs liegende Objekte
während der Laufzeit mittels Clipping- und Culling-Techniken beschnitten oder
ganz entfernt werden.
3.2.3. Cybersickness
Cybersickness, auch: Simulatorkrankheit, entsteht bei der Bewegung durch
virtuelle Welten. Sie ist ein Resultat der Diskrepanz zwischen den tatsächlich
vollzogenen Eigenbewegungen und der visuell wahrgenommenen Veränderun-
gen der Realität (auch: Latenz). Durch die Zunahme der die VR generierenden
67
Rechnerleistungen, und der damit verbundenen gesteigerten Ausgabeleistung
Dörner, Ralf et al. (2013): Virtual und Augmented Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen
65
und Augmentierten Realität, Springer Berlin/Heidelberg, 2013, S. 18–19
Ebd., S. 57
66
Dörner, Ralf und Frank Steinicke: Wahrnehmungsaspekte von VR. In: Virtual und Augmented Reality,
67
Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität, Springer Berlin/Heidelberg,
2013, S. 56
29
der benötigten Informationen, schwindet die Bedeutung der Cybersickness
zusehends.
3.2.4. Diskrepanzen der Raum- und Bewegungswahrnehmung
Victoria Interrante et al. und Frank Steinicke et al. beschreiben in ihrer aktuellen
Forschung zu Größen- und Distanzwahrnehmung eine Vielzahl von Problemen.
So haben sie festgestellt, dass unter Anwendung derzeit verfügbarer Technolo-
gien, Probanden Distanzen in immersiven virtuellen Umgebungen um bis zu 50
Prozent unterschätzen. Ein kompensierender Effekt, der mit dem Begriff transi-
tional environment bezeichnet wird, tritt ein, wenn die Probanden den sie
umgebenden realen Raum als virtuelle Kopie vorfinden. Offenbar werden die in
der realen Umgebung wahrgenommenen Distanzen in die virtuelle Umgebung
»mitgenommen«, auch wenn die virtuelle Kopie durch das genutzte Interface
eine geringere Anzahl von für das Gehirn verwertbaren Tiefenhinweisen anbi-
etet.
68
Bei der Bewegungswahrnehmung stellen sich ähnliche Effekte der Fehlinterpre-
tation ein. Eine Reihe von Untersuchungen zeigen, dass etwa Vorwärtsbewe-
gungen unterschätz und Rotationen überschätzt werden.
69
Selbstredend ist es für Anwendungen der VR im Architekturentwurf von im-
menser Wichtigkeit, dass Distanzen und Größen richtig vermittelt werden kön-
nen. Insbesondere für den Fall, dass die VR bei Erkundungen von Entwurfsob-
jekten zur Beurteilung des richtigen Maßstabs genutzt werden soll. Man kann
aber davon ausgehen, dass die bisher erkannten Probleme in den nächsten
Jahren sukzessive gelöst werden, zumal die Industrie inzwischen in großem Um-
fang in die Weiterentwicklung und Perfektionierung der Technik investiert.
Auf der anderen Seite steht die Frage nach Eingabemedien für die kreative Ar-
beit. Durch die Entwicklungen im Bereich VR sind hier eine Reihe von vielver-
sprechenden Ansätzen entstanden, von denen im Folgenden einige zusam-
mengetragen wurden.
Steinicke, Frank et al. (2009): Transitional environments enhance distance perception in immersive
68
virtual reality systems. Proceedings of the 6th Symposium on Applied Perception in Graphics and
Visualization. ACM, 2009. Und: Interrante, Victoria et al. (2006): Distance perception in immersive virtu-
al environments. Virtual Reality Conference IEEE, 2006
Lappe, Markus, Michael Jenkin und Laurence R. Harris: Travel distance estimation from visual mo
69 -
tion by leaky path integration. Experimental Brain Research 180.1, 2007, S.35–48. Und: Steinicke,
Frank, et al. (2010): Estimation of detection thresholds for redirected walking techniques." Visualization
and Computer Graphics, IEEE Transactions on 16.1, 2010, S. 17–27
30
3.3. Immersive Entwurfsumgebungen
Zusammengefasst sind es die folgenden Charakteristika, die derzeit die Tech-
nologie VR beschreiben:
Echtzeit-Rendering dreidimensionaler, dynamischer, fotorealistischer Grafiken
Immersion
Präsenz, insbesondere Involviertheit
Autonomie bei der Bedienung
Erfassung von Gesten
und die Möglichkeit von Kollaboration, eingeschlossen Telepräsenz.
Vom Standpunkt des entwerfenden Architekten aus gesehen wirken sich diese
Charakteristika idealerweise wie folgt aus:
Der Grad der räumlichen Abstraktion ist nach den Bedürfnissen des Anwenders
frei wählbar. Somit auch der Anteil zweidimensionaler Informationen, die
gegebenenfalls benötigt werden, um eine dreidimensionale Umgebung zu ver-
stehen. Während der Entwerfer dadurch von einer unnötigen mentalen Tätigkeit
befreit wird, wird ihm gewährt, sich stärker auf das Entwurfsproblem und auf
zunehmend komplexere Aufgaben zu fokussieren. Die VR ist ein effektives
Werkzeug, um einen stetigen Fluss von visueller Rückinformation zu generieren,
insbesondere bei der Einschätzung der räumlichen Wirkung der Entwurfsobjek-
te. Das Feedback hilft, auf eine im Vergleich zu traditionellen Medien neue
Weise, das Entwurfsergebnis zu verbessern und die Anzahl der Fehlentschei-
dungen zu verringern.
70
VR erlaubt dem Entwerfer intuitive Kontrolle über das dreidimensionale Objekt
des Entwurfs. Er kreiert seine virtuelle Umgebung von »innen heraus«. Gestal
71 -
tung wird zum erfahrbaren Prozess, weil der Entwerfer mit den Konsequenzen
seiner Entscheidungen konfrontiert wird. Diese Verbesserung ist vor allem der
Frequenz geschuldet, in der er mit Rückinformationen konfrontiert wird. Sie
führt zu einer korrespondierenden Beschleunigung im rekursiven Kreislauf aus
Hypothese, Schöpfung, Feedback und Modifikation.
72
Mit der VR wird auch eine deutlich stärkere Bindung an das Objekt des En-
twurfs erreicht, wenn beispielsweise die natürlichen (Hand-)Bewegungen des
Vgl. auch Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural
70
Design, in ITcon, Vol. 15, 2010, S. 204
Kuhlen, Thorsten: Virtuelle Realität. In Schmitz, Thomas H. und Hannah Groninger (Hrsg.): Werkzeug
71
– Denkzeug. Manuelle Intelligenz und Transmedialität kreativer Prozesse. [transcript] Bielefeld, 2012, S.
288f.
Vgl. auch Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural
72
Design, in ITcon, Vol. 15, 2010, S.204
31
Nutzers übersetzt werden und die unmittelbare Manipulation des Entwurfsge-
genstands ermöglicht wird. Diese Funktionsweise integriert die Genese digitaler
Modelle in der gleichen Weise wie Skizzieren und Zeichnen oder die Arbeit mit
physischen Arbeitsmodellen. VR als Medium der Darstellung wirkt sich dabei
auf weitere kognitive Aspekte des Anwenders aus. Die Exploration virtueller
Umgebungen kann das körperliche Denken stimulieren, indem es ein tieferes
Verständnis von Ort und Raum erzeugt.
73
Auch bei der Integration der vernetzten Zusammenarbeit stellt die VR einen
Evolutionsschritt bereit. Durch Telepräsenz arbeiten (real-)räumlich getrennte
Nutzer gleichzeitig im selben Projekt. Sie nehmen ihre körperliche Präsenz
gegenseitig wahr und arbeiten so, als ob sie sich im selben Raum befänden. Die
durch diese neue Form der Kommunikation implizierte Gleichzeitigkeit hat ganz
eigene Auswirkungen auf die Arbeit an Entwurfsobjekten.
3.3.2. Dezite
Das primäre Ziel vieler Bestrebungen in der Entwicklung von Anwendungen ist
nicht die Einführung einer weiteren Darstellungsmethode, der VR also die Rolle
eines passiven Mediums zuzuweisen und mehr oder weniger ans Ende des En-
twurfsprozesses zu stellen, sondern sie von Anfang an, also bei allen Tätigkeiten
einzusetzen, die den Entwurf erzeugen. Immersive Entwurfsumgebungen sollen
ein Gefühl von »In-der-Welt-sein« erzeugen. Sie bieten dem Entwerfer dafür die
räumliche Wahrnehmung der von ihm als Entwurfsproblem eingegrenzten
Umgebung. Im realistischen Maßstabsverhältnis der Person zum Gebäude er-
lauben die Systeme genau den Raum zu »skizzieren«, in dem man sich befindet.
Der Vision vieler Entwickler nach kreieren manuelle Gesten Wände, Öffnungen
und Decken; Geschosse und Treppen werden hinzugefügt und entfernt. Aus
einem intuitiv steuerbaren Blickwinkel werden die Details untersucht, während
alle Entscheidungen auf der direkten Wahrnehmung basieren.
3.2.3. Verfügbarkeit
Die meisten der zur Verfügung stehenden Setups sind bisher nicht mehr als
Darstellungsprogramme mit der Option visueller Exploration und der Ein-
bindung von überlagerten Informationen. Für die Anzeige von 3D-Modellen als
IVEs werden stereoskopische Render-Engines genutzt, die zwar über Naviga-
tionstools verfügen, aber bisher nur selten Werkzeuge für die Modifikation von
Objekten. Exploration und das Versetzen von Objekten ist vom Gestalterstand-
punkt aus gesehen noch keine wirkliche Interaktion. Die Aufgabe bleibt deswe-
Vgl. auch: Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural
73
Design, in ITcon, Vol. 15, 2010, S.204
32
gen, »echtes« Entwerfen in virtuelle Umgebungen zu integrieren und die entste-
henden Anwendungen so einfach und intuitiv wie möglich zu gestalten. Bisher
muss der Entwerfer, sobald er die VR betritt, die mächtige, digitale Werkzeug-
palette zurücklassen, an die er gewöhnt ist. Diese Lücke zu schließen und die
Palette der Werkzeuge auch in der VR bereitzustellen, ist Inhalt einer Vielzahl
von Ansätzen aus der Literatur:
Das beispielsweise von Dirk Donath und Holger Regenbrecht an der
Bauhausuniversität Weimar Ende der neunziger Jahre vorgestellte voxDesign-
Werkzeug ist eine Arbeitsumgebung, die sich darauf konzentriert, mithilfe von
3D-Skizzierwerkzeugen räumliche Strukturen zu erzeugen. Auf der Entwicklung
einer intuitiven Palette dieser Werkzeuge lag besonderes Augenmerk. Sie ist so
umfassend, dass auf zusätzliche Eingabemethoden verzichtet werden konnte.
Neben voxDesign entwickelten Donath und Regenbrecht mit planeDesign ein
Werkzeug für die Konzeptphase des Entwurfs: Durch das Verschieben von
Flächen lassen sich hier auf einfachste Weise räumliche Situationen erzeugen
und untersuchen (Vgl. Abb. 1 u. 2). Die Anwendung repliziert eine Entwurfs
74 -
methode, die im Architekturstudium auch gerne als »Bierdeckelmethode« Er-
wähnung findet. »Der Architekt sollte in die Lage versetzt werden, Raumdefini-
tionen und Raumanordnungen im Maßstab 1:1 unmittelbar aus seinen
Gedanken und Intentionen heraus auszudrücken. Kein Menü, kein Start- und
Endsymbol, keine Angaben von exakten Maßen. Einzig Proportionen, Anord-
nungen und Formen in einer Detailgenauigkeit, wie sie dieser ersten Phase des
Entwurfes entspricht: grob, ungefähr, abschätzend, verwerfend, dokumen-
tierend. Nicht mehr, nicht weniger. Genau dafür reichen solche einfachen
Flächen (“planes”) aus.«
75
Donath, Dirk und Holger Regenbrecht: Der Bleistift im 21. Jahrhundert. Das architektonische En
74 -
twerfen in interaktiven VR-Umgebungen. Erfahrungen im Entwerfen von Raumsituationen mit einem
immersiven Virtual-Reality-System. Proceedings Architektur im Informationszeitalter, Stuttgart, 1999
Ebd.: S. 6
75
33
Abb. 1/2 Räumliche Arrangements aus planeDesign
Sowohl Dobson als auch Coomans und Oxman schlagen Methoden vor, die auf
einer Bibliothek vorgefertigter Architekturelemente basieren. Durch Zusam-
menstellung von dreidimensionalen Standardrepräsentationen werden architek-
tonische Kompositionen erzeugt. Damit hat diese Anwendung Ähnlichkeit zu
konventionellen CAAD-Programmen wie beispielsweise ArchiCAD (Autodesk).
Die von ihnen beschriebenen Ansätze schließen die Gestenerfassung als Auslös-
er von Kommandos ein.
76
In der Herangehensweise, die Ahmad Okeil umreißt, werden immersives und
nicht-immersives Arbeiten als hybride Anwendung verschränkt. Der Architekt
nimmt die gewohnten digitalen Werkzeuge in seine immersiven Umgebung mit,
also in das Objekt des Entwurfs. Während des Entwurfsprozesses hat er perma-
nenten, optionalen Zugriff auf skalierte zweidimensionale Darstellungen, um
auch in ihnen Objekte zu erstellen, zu verändern und zu bewegen. Durch die
Integration in die virtuelle Umgebung springt er nicht zwischen den Medien hin
und her, spart Zeit und Aufwand. Zugleich steht ihm das bereits erwähnte vi-
suelle Feedback zur Verfügung, und er hat die Möglichkeit zur Modifikation von
Details. Für den globalen Überblick werden ihm Übersichtspläne, Grundrisse
und Schnitte angezeigt während er zeitgleich den Ort im Abbildungsmaßstab 1:1
exploriert.
77
Auch für die Integration des Skizzierens in die VR existieren Vorschläge: Ellen
Yi-Luen Do beispielsweise stellte 2001 das VR-Sketchpad vor als virtuelle Frei-
hand-Zeichenunterlage. Auf einfache Weise werden hierbei aus diagrammatis-
chen Skizzen von beispielsweise räumlichen Aufteilungen Wände, Stützen und
Möblierungen generiert. Die Anwendung interpretiert dank kluger Algorithmen
Skizzen selbstständig in dreidimensionale Objekte, die in einem VRML-Player
und somit in der VR angezeigt werden können.
78
Dorta, Perez et al. haben mit der immersive Drafted Virtual Reality (iDVR) eben-
falls eine Art Hybrid entwickelt, der eine immersive Umgebung nutzt. Der
Vorschlag integriert eine Skizzierfunktion in eine immersive Umgebung. In
einem sphärischen Panorama besteht die Möglichkeit auf ein zweidimensionales
Interface zu zeichnen. Die Zeichnungen werden auf eine zylindrische Projek-
Dobson, Adrian: Exploring conceptual design using CAD visualisation and virtual reality modelling..
76
Computerised Craftsmanship-16th Conference on Education in Computer Aided Architectural Design
in Europe, eCAADe, Paris, 1998, und Coomans, MiK D., und R. M. Oxman: Prototyping of Designs in
Virtual Reality. Proceedings of the 3rd Design and Decision Support Systems in Architecture and Ur-
ban Planning Conference, 1996
Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive Architectural Design,
77
ITcon, Vol. 15, 2010, S. 211
Do, Ellen Yi-Luen: VR sketchpad. Computer Aided Architectural Design Futures 2001. Springer, 2001,
78
S. 161–172
34
tionswand übertragen. Das Produkt ist allerdings nicht mehr, als eine statische
Panoramaprojektion.
79
Zum Thema Multi-User-Interaktion kommen sehr eindrucksvolle technologis-
che Aussichten wiederum von der Bauhausuniversität Weimar: Das Team um
Bernd Fröhlich realisiert kollaborative Interaktion unter Einbeziehung von Tele-
präsenz. So können durch das dort entwickelte Framework mehrere Nutzer-
gruppen, die an unterschiedlichen Orten dreidimensional von Infrarot-
Tiefenkameras erfasst werden, in der selben virtuellen Umgebung aufhalten und
in Echtzeit interagieren (Vgl. Abb. 3–6). Eine Reihe von Werkzeugen steht für
die Manipulation des optischen Interfaces zur Verfügung, und die Ausgabe auf
mehrere Displays und Projektionsleinwände ist möglich.
80
Ebenfalls auf die Erfassung von Körperbewegungen mittels einer Infrarotkam-
era setzt die Entwicklung der Firma Leap Motion. Der entwickelte Controller soll
die Eingabe durch klassische Interfaces, vor allem der Maus überflüssig machen,
indem er die Handbewegungen erfasst und durch komplexe Algorithmen »ver-
steht«. Das erst seit knapp zwei Jahren erhältliche Produkt lässt sich mit dem
HMD Oculus Rift verbinden, wodurch virtuelle Repräsentationen der eigenen
Hände und Unterarme in der VR sichtbar werden. Erste Demos zeigen den
Einsatz für Selektion und räumliche Modellierung von virtuellen Objekten und
Objektgruppen (Vgl. Abb. 7 u. 8).
Dorta, Tomas, Edgar Perez und Annemarie Lesage: The ideation gap. Hybrid tools, design ow and
79
practice. Design Studies 29.2, 2008, S. 121–141
Beck, Stephan, André Kunert, Alexander Kulik und Bernd Froehlich: Immersive group-to-group
80
telepresence. Visualization and Computer Graphics, IEEE Transactions, 2013, S. 616–625.
35
Abb. 3–6 Multi-User-Interaktion im VR-Lab der Bauhausuniversität Weimar
All diese Ansätze die Liste ließe sich fortsetzen –, wie auch immer sie funk-
tionieren, bieten nie den vollen Funktionsumfang eines konventionellen CAAD-
Programms. Als Resultat sind die Ergebnisse bei weitem nicht so zufriedenstel-
lend, wie jene konventioneller Programme und ihrer fotorealistischen Renderer.
Wie auch immer die Vermittlung zwischen den Funktionen aussieht, idealer-
weise sitzt die Option der immersiven Darstellung und der dreidimensionalen
körperlichen Eingabe auf einer mächtigen CAAD-Anwendung auf, die die Ar-
beit auf multiplen Bildschirmen und die Eingabe durch verschiedenen Inter-
faces integriert. Eine derartige Software wäre dringend zu isolieren, damit die
VR den architektonischen Entwurfsprozess signifikant verbessern kann.
Das Aufsitzen auf einer bestehenden Anwendung hätte auch weitere Vorteile:
So würde das gesamte Funktionsrepertoire von CAAD auch in der VR bereit-
stehen. Es umfasst 3D-Modeling, wahlweise aus egozentrischer oder exozentrischer
Perspektive, zweidimensionale Zeichenfunktionen, Objektbibliotheken und
Parametrisierbarkeit generativer Formfindungsalgorithmen. Mit der Integration
von KI-Modulen würden Simulationen und automatische Optimierungs-
vorgänge möglich werden. Sprachsynthese und Gestenerfassung erledigen den
Abruf von Befehlen und Menüs und die räumliche Eingabe.
3.4. Die hypothetische Anwendung – oene Fragen
Immersive virtuelle Umgebungen, die eine Interaktion erlauben, sind derzeit
noch auf einem experimentellen Entwicklungsstand. Im Folgenden werden
einige der auftauchenden Fragen zusammengefasst. Schnelle Antworten gibt es
36
Abb. 9 Beispiel für die Selektion von Objekten in einer World-In-Miniature-Darstellung: Der Nutzer
selektiert ein im verkleinerten Modell abgebildetes Objekt.
keine, aber eine Reihe von Lösungsansätzen macht neugierig auf die weitere
Entwicklung.
3.4.1. Skalierung, Maßstab und Orientierung
Architekten sind es gewohnt, ihr Projekt im selbstgewählten Maßstab zu bear-
beiten und diesen Maßstab auch jederzeit ändern zu können. CAAD-Pro-
gramme beschleunigen diese Vorgehensweise, die dazu dient, sehr unter-
schiedliche Aspekte des Entwurfs zu analysieren und zu bearbeiten. In einer
immersiven Umgebung ist die Wahrnehmung des Entwerfers auf das Projekt, in
dem er sich befindet, deutlich eingeschränkt. Umgeben von Raum und seiner
Grenzen büßt er die globale Übersicht ein. Wenn er dann beispielsweise eine
Wand im aktuellen Raum verschiebt, um seine Tiefe zu ändern, löst er zwar ein
Problem an dieser Stelle. Die resultierenden Probleme auf der anderen Seite der
Wand sieht er aber nicht.
Immersion erzeugt häufig eine Desorientierung der Nutzer, weil sie die
Verbindung zum globalen Bezugssystem verlieren. Ein Problem ist die freie Ro-
tation der virtuellen Weltkoordinaten. In der Realität nutzen Menschen Karten,
Pläne und Beschilderungen, um zu navigieren, auch dreht sich ihre Welt nicht
einfach so. In immersiven Umgebungen benötigen Nutzer ähnliche Hilfestellun-
gen, alternativ bleibt die Ausrichtung zur virtuellen Umgebung immer gleich
oder wird eindeutig signalisiert.
Ein Lösung für die Orientierung in der VR könnte die sogenannte World-In-
Miniature-Technik (WIM) sein. Die virtuelle Umgebung wird dabei so herunter-
skaliert, dass sie als verkleinerte Version in das Sichtfeld des Benutzers passt.
Auf diese Weise wird eine exozentrische in eine egozentrische Weltsicht integriert
(Vgl. Abb. 9). Manipulation im verkleinerten und im umgebenden Modell
81
wirken sich gleichzeitig aufeinander aus. Das Werkzeug des virtuellen Architek-
turmodells wird dadurch doppelt als visuelle Repräsentation benutzt. Durch
WIM könnten auch die gewohnten zweidimensionalen Darstellungsformen, also
Grundrisse und Schnittdarstellungen, in dynamisch veränderbaren Ebenen, ähn-
lich der aus CAAD bekannten Bounding Boxes, integriert werden. WIM löst damit
auch Probleme der Selektion von Objekten und der generellen Interaktion im
Modell.
3.4.2. Interaktion und Selektion
Dörner, Ralf, Christine Geiger, Leif Oppermann und Volker Paelke: Interaktion in virtuellen Welten. In:
81
Virtual und Augmented Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Real-
ität, Springer Berlin/Heidelberg, 2013, S. 165
37
Es ist nicht ganz einfach, in einer räumlichen Darstellung Objektpositionen ex-
akt einzuschätzen. Besonders die Ausdehnung großer oder weit entfernter Ob-
jekte präzise zu bestimmen und zu ändern, gestaltet sich schwierig. Auch drag-
and-drop, die vielleicht beliebteste Operation in Computerprogrammen, wird in
einer immersiven Umgebung zur echten Herausforderung: Sobald die physis-
chen Constraints, wie etwa Entfernung, Zeit und Sichtbarkeit vollständig
simuliert werden, ist diese Operation auch eine physische Belastung. Sie würde
nämlich am Beispiel der Architektur erfordern, ein selektiertes Objekt, nach Ab-
schaltung aller Kollisionssimulationen, durch Türen, Korridore, Treppenhäuser
und weite Räume zu zerren, um letztlich an der gewünschten Zielposition
anzukommen. Das Problem wächst zusehends mit komplexer werdenden Ob-
jekten, Objektgruppen und Bauwerksstrukturen. Vorausgesetzt, die Steuerung
könnte durch eine Gestenerfassung erfolgen, würde dem Anwender umfangre-
iche körperliche Tätigkeit abverlangt (Ziehen, Schieben, Drehen, die Kontrolle
aus verschieden Blickwinkeln etc.). Keine schlechten Aussichten für die Ar-
beitsmedizin.
Um derlei Probleme anzugehen, wurde etwa das Konzept der Teleportation en-
twickelt, das ermöglicht, Objekte vom Standort des Nutzers an andere Positio-
38
Abb. 10 Eine Frage des Maßstabs
nen in der virtuellen Umgebung zu senden. Diese Funktion ist allerdings nur
praktikabel auf der Grundlage eines globalen Orientierungssystems, welches
sicherstellt, dass die Objekte auch dort ankommen, wo der Anwender sie wirk-
lich haben will.
Für die Selektion der Objekte, die modifiziert werden sollen, kann zwischen na-
hen und entfernten Interaktionstechniken unterschieden werden. Die proximale
Interaktion entspricht eher dem, was der Anwender aus einer realräumlichen
Arbeitsweise gewöhnt ist. In der VR lässt sich aber auch die Interaktion mit Ob-
jekten über größere Distanzen realisieren, die normalerweise außerhalb der
natürlichen Reichweite liegen. Vergleichbar mit einem Kranführer, der weit
82
entfernte Objekte präzise bewegen soll, kann man hierbei von distalen Hand-
lungen sprechen, deren Effekte vom Nutzer verstanden werden müssen.
Besonders schwierig gestaltet sich die distale Selektion aus einer zentralen
Nutzerperspektive: Das System muss erkennen, welches Objekt gemeint ist.
Anhaltende Fehlinterpretationen durch den Computer würden zu Frustration
führen. Nun könnte man »auf die Idee kommen, die Selektion, grade über
größere Entfernung [mittels Eye-Tracking] mit den Augen vollziehen zu wollen:
immerhin kann man weiter schauen als greifen und sehr schnell fokussieren. [In
Versuchen] hat sich aber herausgestellt, dass eine generelle Selektion nur mit den
Augen für den Nutzer nicht komfortabel ist. […] [Er könnte] nirgendwo hin-
blicken, ohne dass er unbeabsichtigt etwas selektiert.« Robert Jacob spricht
83
vom Midas Touch Problem , weil König Midas alles, was er berührte, in Gold ver
84 -
wandelte. Eines Tages versehentlich sogar seine Tochter.
3.4.3. Darstellung
Während die perspektivische und fotorealistische Darstellung des Entwurfsob-
jekts dem Nutzer dabei helfen kann, seinen Entwurf zu bewerten, wird diese
Darstellungsform womöglich die konzeptionelle Entwurfphase und die Genese
von Ideen behindern – ein ähnliches Problem wie bei der Nutzung von CAAD-
Anwendungen. Es müssen also neue Darstellungskonzepte gefunden werden,
die Unschärfe und Offenheit signalisieren. Gerade hier sind die Architekten
gefragt, ihre Vorstellungen an Interfacedesigner zu vermitteln.
Dörner, Ralf, Christine Geiger, Leif Oppermann und Volker Paelke : Interaktion in virtuellen Welten.
82
In: Virtual und Augmented Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten
Realität, Springer Berlin/Heidelberg, 2013, S. 160 f.
Dörner, Ralf, Christine Geiger, Leif Oppermann und Volker Paelke : Interaktion in virtuellen Welten.
83
In: Virtual und Augmented Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten
Realität, Springer Berlin/Heidelberg, 2013, S. 163
Jacob, Robert JK: What you look at is what you get. Eye movement-based interaction techniques.
84
Proceedings of the SIGCHI conference on Human factors in computing systems. ACM, 1990
39
3.4.4. Ergonomie
Immersive Entwurfsumgebungen werden entwickelt um den Nutzer in darin
einzuschließen. Die meisten Anwendungen erfordern zumindest den zeitweili-
gen Aufenthalt in ihnen. Möglicherweise wird einst der gesamte Arbeitstag in
ihnen verbracht. Bisher ist zugegebenermaßen wenig über die Auswirkung län-
gerer Aufenthalte in der VR bekannt. Die stehende Haltung und die für die In-
teraktion notwendigen Hand- und Armbewegungen führen merklich zu Ermü-
dungserscheinungen. Auch gibt es erste Anzeichen, dass aus der länger an-
dauernde Benutzung eine Senkung der Produktivität resultiert, deren Ursache
bisher unbekannt ist.
85
Durch meine Annäherung an das Thema virtueller Entwurfsumgebung für Ar-
chitekten wurde mir schnell klar, dass die ergiebigsten Ansätze immer dann
entstehen, wenn Programmierer, Interfacedesigner und Entwerfer unmittelbar
zusammenarbeiten. Denkt man beispielsweise an die Entwicklungen, die von
großen Architekturbüros angestoßen wurden, wie beispielsweise AES (IBM Ar-
chitectural & Engineering Series) eine CAAD-Arbeitsumgebung, die maßgeblich
durch Skidmore, Owings and Merrill bis Mitte der neunziger Jahre mitentwickelt
wurde; oder an Gehry Technologies, dessen Gründer Frank Gehry ab 2002 ein
86
eigenes Werkzeug für seine komplexen Entwurfsprojekte zusammenstellen ließ,
so zeigt sich, dass Architekten mithilfe der von ihnen formulierten Anforderun-
gen ihre Werkzeuge selbst gestalten können.
Ein beliebtes Beispiel ist übrigens auch die Erfindung des Bleistifts durch den
Hofarchitekten Joseph Hardtmuth Ende des 18. Jahrhunderts. Aus einer Un-
zufriedenheit mit den gängigen Stiften heraus probierte er neue Herstellungsver-
fahren für Graphit, die zu einem bis heute unveränderten Resultat führten.
87
Mit der Weiterentwicklung der VR und den assoziierten Entwurfswerkzeugen
müssen sich Architekten beschäftigen. Mit den im Rahmen dieser Arbeit
Vgl. auch: Kuhlen, Thorsten: Virtuelle Realität. In Schmitz, Thomas H. und Hannah Groninger (Hrsg.):
85
Werkzeug – Denkzeug. Manuelle Intelligenz und Transmedialität kreativer Prozesse. [transcript] Biele-
feld, 2012, S. 289. Und: Okeil, Ahmad: Hybrid Design Environments. Immersive and Non-Immersive
Architectural Design, ITcon, Vol. 15, 2010, S. 210f.
Temel, Robert: Mittel und Zweck. In: Krasny, Elke (Hrsg.): Architektur beginnt im Kopf. The making of
86
architecture. Birkhäuser Basel, 2008, S. 140
Temel, Robert: Mittel und Zweck. In: Krasny, Elke (Hrsg.): Architektur beginnt im Kopf. The making of
87
architecture. Birkhäuser Basel, 2008, S. 140
40
durchgeführten Experimenten habe ich versucht, die Bedeutung dieser Tech-
nologie für die Architektur zu verstehen.!
41
4. Experiment
Die Architekturdarstellung ist dem Einfluss sich stets weiterentwickelter künst-
lerischer Ausdrucksformen ausgesetzt. Deren Wirksamkeit bei der Vermittlung
von Architektur ist aufgrund des riesigen Parameterraums der relevanten Vari-
ablen schwer, wenn überhaupt, quantifizierbar. Das probate Mittel der Bewer-
tung von diesen künstlerischen Ausdrucksformen ist deswegen meines Eracht-
ens immer noch die Diskussion. Als durchaus quantitativ erfassbar erscheint mir
jedoch die Validität von Darstellungsmethoden bei der Repräsentation von ph-
ysischem Raum, durch vergleichende Gegenüberstellung.
Die VR erlaubt eine Emanzipation von vorgegeben Perspektiven, indem der
Betrachter nicht mehr nur betrachtet, sondern selbstständig exploriert. Die We-
sensmerkmale eines durch Geometrie, Formensprache, Belichtung und Atmo-
sphäre definierten architektonischen Raums sind vom Urheber oft anders
gemeint, als sie vom Nutzer interpretiert werden. Die VR als Werkzeug des Ar-
chitekturentwurfs taugt daher auch dazu, dem Entwerfer diese Unterschiede
begreiflich zu machen.
4.1. Fragestellung
In einem Experiment sollte die Wirkung und das Verständnis eines realen
Raumes mit der Wirkung und dem Verständnis seiner virtuellen Repräsentation
verglichen werden. Im ersten Teil des Experiments wurden Probanden, die en-
tweder den realen oder den virtuellen Raum explorierten, mit der gleichen Auf-
gabe konfrontiert: Sie sollten zunächst fünf Standorte wählen und die damit
verbundenen Perspektiven, die den Raum bestmöglich repräsentieren, fo-
42
Abb. 11 Haupthalle der Universität der Künste Berlin
tografisch dokumentieren. Danach sollten sie aus vier Grundrissen den
auswählen, der dem explorierten Raum entspricht. Die Aufgabenstellung »Fo-
tografieren« wurde gewählt, um den Probanden im realen Raum zu ermöglichen,
annähernd genau so ungezwungen zu explorieren, wie es von Probanden in der
VR bekannt ist. Unter dem Schutz der Kamera ist es sozial akzeptabel, sonst als
merkwürdig eingestuftes Verhalten zu zeigen. Die Exploration eines virtuellen
hingegen ist automatisch privater.
Wenn die Vorhersage richtig ist, dass der virtuelle Raum den realen Raum ar-
chitektonisch adäquat abbildet, erwartete ich, dass die Übereinstimmung der
fotografischen Repräsentationen zwischen den Probandengruppen (virtuelle
Exploratoren und reale Exploratoren) sich nicht stärker unterscheiden als inner-
halb der Gruppen. Zusätzlich erwartete ich, dass in beiden Gruppen die Ein-
schätzung, welcher Grundriss der richtige ist, ähnlich sind, also richtige und
falsche Antworten in beiden Gruppen ebenso häufig sind. Zudem sollten wom-
öglich Übereinstimmungen im Explorationsverhalten beobachtet werden kön-
nen.
4.2. Methode
4.2.1 Probanden
Die Probanden waren Architekturstudierende beiderlei Geschlechts im Alter
zwischen 24 und 30 Jahren. Eine Gruppe waren Studierende der Universität der
Künste (I). Die andere Gruppe waren Studierende der Bauhausuniversität Weimar
(II). Beide Gruppen bekamen dieselbe Aufgabe; Gruppe I im Realraum; Gruppe II
im virtuellen Raum, ohne Kenntnis des Realraums.
43
Abb. 12 Einbauten der Lichthöfe
4.2.2. Ort
Die Haupthalle und Quergalerie der Universität der Künste in der Berliner Hard-
enbergstraße wurde aufgrund der besonderen räumlichen Gegebenheiten und
dem historischen Bezug gewählt. (Abb. 11–14)
Die Haupthalle ist der größte und wohl eindrucksvollste Raum des zwischen
1898 und 1902 vom Büro Kayser &!von Großheim geplanten Hauptgebäudes der
Königlichen akademischen Hochschule für die bildenden Künste. Er dient bis heute als
Vorraum der Erschließung, Wandelhalle und, gemeinsam mit der sich im hin-
teren Teil anschließenden Quergalerie, als wichtiger Ausstellungsraum der Fach-
bereiche Bildende Kunst und Architektur. Die Quergalerie wurde im Jahr 1954
durch Wilhelm Brüning auf der Grundfläche im Weltkrieg zerstörter Gebäude-
teile angefügt. Die Überbauung der seitlichen Lichthöfe erfolgte vermutlich zu
Beginn der sechziger Jahre. Die Urheberschaft ist ungeklärt.
88
Die Haupthalle besticht durch ihre Großzügigkeit. Die unterschiedlichen
Gewölbe und deren gleichmäßige Ausleuchtung und die acht freistehenden
insgesamt zwölf Pfeiler rufen eine Tiefenwirkung hervor, die den Eindruck
eines Kontinuums evoziert, dessen Begrenzungen schwer zu definieren sind.
Die Wandflächen sind durch 52 Halbpilaster, in Abschnitten reiche Dekore,
sowie Architrave um Türen strukturiert. Der Gewölbescheitel liegt bei etwa 8,30
Metern. Die umlaufend verglasten Lichthof-Einbauten (ca. 3,30 m Höhe) und
die hochliegenden Fenster sorgen für einen kontrollierten Lichteinfall. In der
Bollé, Michael: Der Campus. Ein Architekturführer durch das Gelände der Hochschule der
88
Künste und der Technischen Universität Berlin. Arenhövel Verlag Berlin, 1994, S. 22.
44
Abb. 13 Quergalerie
sachlicher gestalteten, die Symmetrielängsachse fortsetzenden Quergalerie (ca.
4,50 m Höhe), sorgt ein sich an die zwischen Wänden und Decke
überblendende Rundung anschließendes Oberlicht-Band für eine ebenso gle-
ichmäßige Ausleuchtung.
Die Haupthalle ist zweifach axial-symmetrisch angelegt. Diese Symmetrie und
die serielle Staffelung der Abschnitte sowie die Sichteinschränkung durch die
Pfeiler führen zu sehr unterschiedlichen und schwer zu einem Gesamtverständ-
nis zu synthetisierenden Isovisten . Dies mag der Grund sein, warum Studen
89 -
ten auch nach langjähriger Benutzung teilweise desorientiert sind und zum
Beispiel die »falsche« Treppe benutzen.
Der schematische Grundriss wurde für das Experiment in unterschiedlicher
Stärke verändert. Alle Varianten erhielten jeweils eine zählbare und eine propor-
tionalen Manipulation, so dass Raumtiefen und die Anzahl von Pfeilern unter-
schiedlich waren. (!Anhang 1)
4.2.3. Technische Implementierung
In Kooperation mit der Berliner Firma Plan3D GmbH wurde ein detaillierter
3D-Scan (!0,3!cm Auflösung) der Geometrie der gesamten Haupthalle erstellt.
Betrachten ließe sich an dieser Stelle das in der algorithmischen Geometrie beschriebene Sicht
89 -
barkeitsproblem, auch: Problem der Museumswächter (engl.: art gallery problem). Siehe dazu auch:
Zoltán Füredi und D. J. Kleitman: The prison yard problem. In: Combinatorica 14, Nr.3, 1994, S.287–
300. Und: Suleiman, Wassim, Thierry Joliveau und Eric Favier: A New Algorithm for 3D Isovists, Ad-
vances in Spatial Data Handling, Springer Berlin/Heidelberg, 2013, S. 157–173
45
Abb. 14 Pfeiler
Mit dem FARO Focus 3D-Scanner (FARO Europe GmbH) wurden 33 Einzelscans
(Abb. 15) erzeugt, die durch Kalibrierung und Registrierung in der Software
FARO Scene in eine 885 Millionen Punkte umfassende, kolorierte Punktwolke
zusammengefasst wurden (Abb. 16). Auf Grundlage dieser Daten wurden mit
der Software PointCab (PointCab GmbH) Grundriss- und Schnittdarstellungen
erzeugt, die der Rekonstruktion eines idealisierten 3D-Modells in der NURBS-
Modellierungssoftware Rhinoceros 3D (Robert McNeel & Associates) dienten.
Das NURBS-Modell von Haupthalle und Quergalerie wurde aus Rhino im Mo-
tionBuilder-Format (fbx) exportiert, um es für die Laufzeit- und Entwicklung-
sumgebungen Unity nutzbar zu machen. Mit der Einbindung des Oculus Software
Development Kits ist die Kompilierung der virtuellen Umgebungen für das Head
Mounted Display (HMD) Oculus Rift (Oculus!VR) gewährleistet. Eine mit der
massiven Reduktion der Polygonanzahl (um bis zu 66 %) einhergehenden Op-
timierung der Polygonnetze in Level-of-Detail-Stufen (LODs) erfolgte mit der
Software Simplygon (Donya Labs AB).
Die virtuelle Umgebung wurde auf dem HMD Oculus Rift Developement Kit II
präsentiert (1920 x 1080 px @ 75 Hz, 40° diagonales Sichtfeld). Das Gerät inte-
griert einen 3-Achsen-Gyrometer und Beschleunigungssensoren zur Messung
der Kopfdrehung (Rotation). Das externe Tracking durch eine Infrarotkamera
erfasst zudem Bewegungen des Oberkörpers. Die Sensoren des Oculus Rift ar-
beiten mit einer Abtastfrequenz von 1000 Hz, was die Verzögerungszeiten
(Latenzen) minimiert. Angeschlossen wurde das Display an einen Intel Comput-
er (Dual-Core-Prozessor, 16 GB RAM, nVidia GeForce GTX 970).
46
Abb. 15 Scannerpositionen
Das Explorationsverhalten in der virtuellen Umgebung ist zum Zweck der Ver-
gleichbarkeit mit der realen Exploration auf eine natürliche Bewegungs-
geschwindigkeit und Augenhöhe begrenzt, wobei der durch das Tracking abge-
bildete Bereich, ein Beugen des Oberkörpers und die Exploration aus der Hocke
ermöglichen. Die Bewegungssteuerung (Laufen, optional Drehen) erfolgte mit
dem kabellosen Xbox-360-Game-Controller (Microsoft). Bei der Konfiguration des
virtuellen Ausgabemediums HMD wurden personalisierte Werte für den Pupil-
lenabstand im Bereich von 62 mm bis 67 mm und der Augenhöhe im Bereich
1600 mm und 1750 mm (im Stand) voreingestellt, da sich beide Werte auf die
Tiefenwahrnehmung auswirken. Zur Anpassung wurde das Oculus Configuration
90
Utility genutzt. Es bietet eine auf statistischen Ermittlungen basierende Anpas-
sung der vorgenannten Werte durch die Vorauswahl von Körpergröße und
Geschlecht.
4.2.4. Darstellung
Mit dem idealisierten Modell aus Rhino 3D wurde ein ästhetisches Konzept for-
muliert, das versucht, die »reine Form« optimal wiederzugeben. Der Begriff der
Idealisierung meint hier das Weglassen jeglicher Möblierung und die Interpola-
tion von Bauwerksschäden. Die Idee ist, eine Ästhetik zu generieren, die eine
unverfälschte Plastizität der Formen vermittelt. Dafür wurde eine monochrome
Darstellung gewählt (Vgl. Abb. 17).
Dodgson, Neil A.: Variation and extrema of human interpupillary distance. Electronic Imaging 2004.
90
International Society for Optics and Photonics, 2004, S. 4. Und: Dixon, Melissa W. et al. (2000): Eye
height scaling of absolute size in immersive and nonimmersive displays. Journal of Experimental
Psychology. Human Perception and Performance 26.2, 2000, S. 582.
47
Abb. 16 Bereinigte Punktwolke als Ergebnis des Scanvorgangs
Qualitätsmerkmal einer monochromen Darstellung ist, ganz ähnlich wie bei der
Schwarzweißfotografie, die Zeichnung. Die dafür notwendige, optimierte Kon-
trastdifferenzierung (!Texturgradient) ließ sich durch das der Render-Engine zur
Verfügung stehenden Shader-Script und die Beleuchtungssimulation kontrollieren.
Der verwendete Shader wurde spezifisch für das Projekt für eine Latenz-freie
Wiedergabe (75!Hz) programmiert. Eine Verbesserung der Abbildungsqualität
des Modells hinsichtlich der Spezifika des Realraums kann durch eine
verbesserte Belichtungssimulation und Weiterentwicklung von Shadern und Tex-
turen ermöglicht werden. Mit der Verbesserung der verwendeten Hardware
können hier höherer Leistungsanforderungen der Render-Engine umgesetzt
werden.
4.2.5. Ablauf und Auswertung
Jeder Proband hatte während einer Explorationszeit von 15 Minuten die Auf-
gabe, fünf Perspektiven zu wählen und fotografisch festzuhalten, die seines Er-
achtens den Raum im Hinblick auf architektonische Formensprache und At-
mosphäre bestmöglich wiedergeben. Im realen Raum fotografierten die
Probanden die Perspektiven mit einer Fotokamera (24 mm Festbrennweite). In
der VR wurde die jeweilige Auswahl durch Screen-Capturing festgehalten. Der
zurückgelegte Weg wurde während der Exploration vom Experimentator auf
Grundrissen skizziert. In der VR hatten die Probanden die Wahl zu stehen, sich
hinzuhocken oder durch die Steuerung mit dem Controller zu »laufen« (Vgl.
Abb. 18). Nach der Erfüllung der ersten Aufgabe wurden die Probanden außer-
halb der realen beziehungsweise virtuellen Umgebung mit drei Grundrissvari-
anten, dem richtigen und drei manipulierten, konfrontiert und sollten die
48
Abb. 17 Haupthalle in Unity
richtige Variante wählen, ohne im Vorhinein über diese zweite Aufgabe in Ken-
ntnis gesetzt worden zu sein.
Die Auswertung der Abbildungsähnlichkeit wurde vom Experimentator
vorgenommen (Vgl. Abb. 19). Verglichen wurde (1) die Übereinstimmung des
abgebildeten Bereichs sowie der Blick au diesen Bereich, also Richtung
beziehungsweise Winkel, von dem aus der Bereich betrachtet wurde, sowie die
Höhe der Objekte im Sichtbereich; (2) die zurückgelegten Wege. Hierdurch
konnten die Punkte, an denen Fotos beziehungsweise Bildschirmfotos gemacht
wurden, rekonstruiert werden. Durch die Symmetrien im Gebäude stellen sich
charakteristische Perspektiven zumeist an vier Stellen, mindestens aber an zwei
Stellen auf gleiche Weise eintreten, wurden auch spiegelgleiche Blickwinkel als
ähnlich gewertet. Bilder wurden als ähnlich gewertet, wenn die Blickrichtung ±
15 Grad horizontal/vertikal abwich und/oder die rekonstruierten Wege der
Probanden eine klare Zuordnung der Bilder ermöglichten.
4.3. Ergebnisse
Bei der Exploration des Realraums durch Gruppe I (6 Teilnehmer: 3, 3, III.–
VI. Studienjahr) fotografierte jeder Proband mindesten fünf und bis zu sieben
Bilder. Wie erwartet, gab es innerhalb der Gruppe eine hohe Konkordanz an
kanonischen Perspektiven: Die insgesamt 33 Bilder bildeten nur 13 Motive ab.
Zwei Motive wurden von vier Probanden fotografiert, sechs Motive wurden von
jeweils drei Probanden fotografiert. Zwei Motive wurden von zwei Probanden
abgelichtet, und nur drei Motive waren Probanden-spezifisch.
49
Abb. 18 Versuchsaufbau an der Bauhausuniversität Weimar
In Gruppe II - virtuelle Exploratoren (6 Teilnehmer: 3, 3, III.–VI. Studien-
jahr) wurden insgesamt 35 Sichten festgehalten (pro Proband ebenfalls 5 bis 7
Bilder). Auch hier gab es nur zwölf Motive mit ebenfalls hoher Konkordanz:
Ein Motiv wurde von fünf Probanden gewählt, ein anderes von vier Probanden,
vier Sichten wurden von vier Probanden festgehalten, sechs Perspektiven wur-
den von je zwei Probanden gewählt, und nur zwei Ansichten waren Probanden-
spezifisch.
Diese Daten legen nahe, dass bestimmte Sichten im virtuellen und im realen
Raum von den Architekturstudenten übereinstimmend als besonders relevant
eingestuft wurden. Aber waren dies im virtuellen und im realen Raum die gle-
ichen Perspektiven? Tatsächlich stimmte die Mehrheit der Befunde mit meiner
Vorhersage überein: 12 der insgesamt 15 festgehaltenen Motive wurden sowohl
im virtuellen wie im realen Raum gewählt. Das am häufigsten übereinstimmend
fotografierte Motiv im realen Raum wurde auch dreimal mal in der VR festge-
halten. Das zweitbeliebteste Motiv in der VR (4 x) war auch im realen Raum auf
dem zweiten Rang (3 x). (Vgl. !Anhang 2)
Interessant ist allerdings auch die Betrachtung der Unterschiede. Obwohl die
Analyse der zurückgelegten Pfade in beiden Gruppen ähnliches Explo-
rationsverhalten zeigte (!Anhang 3 u. 4), zogen die Treppen in der VR mehr
Aufmerksamkeit auf sich (5 x) als bei den Probanden im realen Raum (2 x). Auf
ebenfalls wenig Entsprechung stieß die Wahl der Probanden in der VR für eine
Sicht aus dem Zentrum der Haupthalle in die Querachse, die 3 Probanden
ikonisch fanden, jedoch im realen Raum kein Mal fotografiert wurden. Hinge-
gen widmeten die Probanden des realen Raums den Seitenflügeln mehr
50
Abb. 19 Exemplarische Bilder im Vergleich. Oben Perspektiven aus der VR, unten aus dem Realraum
Aufmerksamkeit (2 Sichten insgesamt 6 x gewählt) als die Probanden in der VR
(eine Sicht 0 x, die andere 1 x).
Beeindruckend war das korrekte Übertragen des explorierten Raums auf den
Grundriss: Vier der virtuellen Exploratoren wählten die Variante C richtige
Repräsentation und zwei Variante A die am geringsten abweichende Vari-
ante. Fünf Exploratoren im realen Raum wählten ebenfalls Variante C und einer
Variante A.
Bei der Exploration der virtuellen Umgebung zeigten alle Probanden zunächst
eine kurze Phase der Orientierung (< 3 min), in der sie sich einen Überblick
über den Raum von der Ausgangsposition verschaffen. Danach beschrieben alle
Probanden die virtuelle Umgebung während oder nach dem Experiment als sehr
plastisch. »Jetzt möchte man gerne anfassen«, kommentierte eine Teilnehmerin
ihr Erlebnis. Alle Probanden konnten dabei beobachtet werden, wie sie erfolglos
mit Händen nach Objekten in ihrem Sichtfeld tasteten. Die Aufgabe des Fo-
tografierens wurde ohne Zögern angenommen. Aussagen wie »ich muss mich
erst richtig hinstellen, damit das Foto gut wird«, sprechen für eine direkte Über-
tragung einer gewohnten Tätigkeit in die virtuelle Welt und für die Einbeziehung
eines gestalterischen Anspruchs bei der Ausführung der Aufgabe. Die
Beschränkungen auf den »natürlichen« Blick wurden beispielsweise mit »ran-
zoomen wär’ jetzt cool« oder »schade, dass ich grad nicht höher stehen kann«
kommentiert. Von vier Teilnehmern wurde ohne Nachfrage der Zweck des
Raumes als der einer Empfangshalle identifiziert. Der Katalog der Fragen, die
den Probanden vor und nach der Exploration gestellt wurden, ist angehängt
(!Anhang!5).
Betrachtet man das Explorationsverhalten in der Überlagerung der Notationen,
so wird der Raum, genauer: der unterschiedliche Affordanzcharachter einzelner
Raumteile, auf geeignete Weise lesbar (Vgl. Abb. 20). Im virtuellen Modell war
die Quergalerie offenbar weniger interessant zu erlaufen, als im Realraum. Den-
noch wurden »Fotos« von der räumliche Situation, insbesondere des Übergangs
zur Haupthalle gemacht. Für einen Blick vom oberen Treppenpodest wurden im
virtuellen Modell die hinteren Treppen bestiegen. Die Lichthof-Einbauten wur-
den im virtuellen Modell ausgiebiger betrachtet.
4.4. Diskussion
Anhand des Experiments konnten Wirkung und Verständnis eines realen
Raumes mit der Wirkung und dem Verständnis seiner virtuellen Repräsentation
verglichen werden. Auch ohne statistische Auswertung, die aufgrund der kleinen
Stichprobe nur bedingt relevant wäre, zeichnet sich eine Bestätigung der Hy-
51
pothese ab. Das virtuelle Modell, das mithilfe von Interfaces der VR exploriert
wurde, stellt eine valide Repräsentation des Realraums dar. Es erlaubte den
Probanden eine ebenso akkurate Übertragung auf den Grundriss wie den Pro-
banden des realen Raums. Trotz Auslassung beispielsweise propriozeptiver und
auditiver Simulationen legten die Probanden offensichtlich ein ausreichend
genaues mentales Modell an – und das innerhalb von 15 Minuten.
Obwohl es naheliegend ist, dass Architekturstudenten besonders qualifiziert sind
von Raumkonfigurationen auf Grundrisse zu schließen, müsste dies mit einer
fachfremden Vergleichsgruppe bestätigt werden. Die Wahl von Variante C lässt
sich so vermute ich damit erklären, dass sie die geringsten Abweichungen
von Variante A beschreibt: Zwei Stützen sind verbunden, und die Proportionen
der Quergalerie sind verändert. Sie ist im Grundriss verkürzt und verbreitert
dargestellt. Interessanterweise stellt sich der Effekt einer Fehlwahrnehmung
der Quergalerie auch unabhängig des hier beschriebenen Experiments im Real-
raum ein. Ich vermute einen Zusammenhang mit der sehr gleichmäßig-intensiv-
en, indirekten Belichtung und den gerundeten oberen Raumkanten. Ein ähnlich-
er Effekt lässt sich beispielsweise bei installativen Lichtkunst-Arbeiten James
Turrells beobachten.
91
Die Aufgabe, repräsentative Bilder zu machen, zeigte, dass beide Gruppen of-
fen-bar eine relativ klare und verbindende Vorstellungen haben, wie der Raum
foto-grafisch festzuhalten ist. Anstatt 33 beziehungsweise 35 verschiedener
»In seinen begehbaren Rauminstallationen löst er [James Turrell] den Zusammenhang von optisch
91
wahrnehmbaren Raumtiefen und der Erfahrung räumlicher Dimensionen auf und erzeugt den Ein-
druck, sich in einem grenzenlosen Umfeld aus reinem, farbigen Licht zu benden.« Heert, Heike:
Raum Zeit Technikkonstruktion. Aspekte der Wahrnehmung. In: Frieling, Rudolf und Dieter Daniels
(Hrsg.): Medien Kunst Netz 1. Medienkunst im Überblick, Springer Wien/New York 2004, S. 178
52
Abb. 20 Explorationsverhalten, links Realraum, rechts virtuelles Modell
Bilder wurden nur 13 beziehungsweise 15 Motive als besonders relevant festge-
halten. Bei der Beobachtung der Exploratoren stellte sich der Eindruck ein, die
Probanden würden bereits vorgefertigte Bilder im Kopf haben, während sie die
dafür erforderlichen Aufnahmepositionen suchten.
Die geringeren Unterschiede der Motivwahl könnten verschiedene Gründe
haben: Zum einen ist das Fotografieren privater und nicht identisch mit der
Ansage, der Experimentator möge ein Bildschirmbild auslösen. Bei zukünftigen
Experimenten ließe sich auch bei der virtuellen Exploration eine virtuelle Kam-
era einbinden, die für den Moment der Aufnahme das dreidimensionale Bild in
ein zweidimensionales virtuelles Kamerabild zurückführt. Eine zusätzliche Inte-
gration der Fotofunktion in den Controller macht die Probanden unabhängig
und enthemmt womöglich. Ebenfalls nicht ganz vergleichbar ist das Explo-
rationsverhalten. Im Realraum ließe sich in Zukunft ein elektronisches Tracking-
Verfahren realisieren, das dafür sorgt, dass sich die Probanden hier un-
beobachteter fühlen.
Unterschiedliche Prioritäten in der Abbildungsauswahl könnten schließlich
durch die verschiedenen Ausprägungen von Details der beiden Raumrealitäten
(Oberflächen, Möblierungen, Licht etc.) und durch die unterschiedliche Vor-
erfahrung der Probanden mit den Räumen bedingt sein. Zusammenfassend her-
vorzuheben ist jedoch, wie relativ robust die Haupterfahrung beider Räume zu
sein scheint und damit die übereinstimmende Motivauswahl und korrekte Iden-
tifikation des Grundrisses, trotz der Reduktion der Dimensionalität der Sinne-
seindrücke in der VR.
53
5. Ausblick und Schlusswort
Das Experiment zeigt, dass ein mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln
virtuell explorierter Raum durchaus eine valide Repräsentation von realem Raum
darstellen kann. Sowohl bei den Zuordnungen des Grundrisses zum Erlebten als
auch beim Explorationsverhalten der Probanden sind Übereinstimmungen zu
beobachten, die darauf schließen lassen, dass der Raum auf ähnliche Weise
wahrgenommen wurde. Der Vergleich der Fotos belegt, dass architektonische
Formulierungen und Charakteristika in virtuell und real exploriertem Raum ähn-
lich verstanden werden können. Das kann als übereinstimmende Lesart von Ar-
chitektur durch Prägung interpretiert werden, und ein Verweis auf objektiv
wahrnehmbare Raumwirkungen sein. Inwiefern Korrelationen zwischen realem
und virtuellen Raum auch beim Laien sichtbar wären, bleibt zu überprüfen. Die
vorliegende Arbeit könnte als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen di-
enen.
Für meine Annäherung an neue Werkzeuge des Entwerfens bedeuten die
gewonnenen Erkenntnisse, dass VR auch für hypothetischen Raum ein
geeignetes Werkzeug der Betrachtung und Überprüfung ist. Meine Hypothese,
dass in IVEs Wahrnehmung besser in kreatives Denken – und kreatives Denken
besser in konkrete Entwürfe umgesetzt werden kann, ist davon abhängig, wie
intuitiv die Interpretation der Nutzervorstellung vollzogen wird. Die Freiheits-
grade im 3D-Modeling erreichen noch nicht diejenigen konventioneller Anwen-
dungen. Abstrakte Darstellungsformen, die durch Unschärfe die »Erforschung
des In-Existenten« unterstützen, gilt es auszuprobieren. Die Integration von
Werkzeugen dreidimensionaler Interaktion digital generierter Objekte ist eine
Aufgabe, die in Zusammenarbeit mit Interfacedesignern erfüllt werden muss.
Wenn man Entwürfe als komplexe Kommunikationsprozesse zu rekonstruieren
versucht, dann eröffnet die VR abgesehen von den selbstverständlich gewor-
denen digitalen Kommunikationsmedien – schon jetzt eine neue Dimension:
Die Beobachtungen während des Experiments machen es auf erstaunliche
Weise möglich, den Blick des anderen zu lesen. Ganz egal wie viel vom körper-
losen »Auf-die-Welt-Blicken« durch den Nutzer als »In-der-Welt-sein« inter-
pretiert wird, die Darstellungsform einer virtuellen Umgebung ist für einen
außenstehenden Beobachter ein »symbolischer Spiegel« – ein Spiegel, der den
Blick selbst abzubilden vermag. Auch darin liegt ein Potenzial dieser Tech
92 -
nologie: nämlich im Verständnis des Anderen, seines Blicks auf (oder in) die
Welt; und in der Einbeziehung dieses Verständnisses in die eigene Arbeit. !
Der symbolische Spiegel wird von Hans Belting im Bezug auf die Versuche Filippo Brunelleschis zur
92
Zentralperspektive eingeführt. Vgl.: Belting, Hans: Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte
des Blicks. CH Beck, München, 2008, S.177f.
54
5.1. Danksagung
Ich danke meinen Betreuern und langjährigen Hochschullehrern Christoph
Gengnagel, Susanne Hauser und Norbert Palz für die Möglichkeit, meine
Diplomarbeit bei ihnen anzufertigen, und das Vertrauen, mich bei dieser Tour
ins Ungewisse zu begleiten.!Eine Horizonterweiterung waren auch die
Gespräche mit Niklas Goldbach, Alexander Kulik und Constance Scharff, die
mir unter anderem die Türen zu unbekannten Disziplinen geöffnet haben. Mein
besonderer Dank gilt zudem meinen Mitstreitern und Freunden Jörg Brinkmann
und Marcel Karnapke, die mir in ihren Professionen als Mediendesigner, -in-
formatiker und -künstler stets kritisch und aufopferungsvoll bei der Umsetzung
meiner Überlegungen beiseite standen. Paul Dahlke und Alexander Hey möchte
ich für ihren spontanen und selbstlosen Einsatz danken. Ich möchte daneben
auch meine »Versuchskaninchen« und Helfer nicht unerwähnt lassen: Dank an
Kommilitonen der UdK Berlin, BTU Cottbus und BU Weimar: Alex, Basti, Caro,
Freya, Hikari, Katja, Kevin, Kim, Lara, Martin, Maxim, Sarah und Simon.!
55
5. Verwendete Literatur, Abbildungen
BÜCHER
Agamben, Giorgio und Davide Giuriato (Übers.): Das Offene. Der Mensch und das Tier.
Suhrkamp Frankfurt am Main, 2003
Ammon, Sabine und Eva Maria Froschauer (Hrsg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden
Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur. Fink München, 2013
Belting, Hans. Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks. CH Beck, München,
2008
Bollé, Michael: Der Campus. Ein Architekturführer durch das Gelände der Hochschule der Kün-
ste und der Technischen Universität Berlin. Arenhövel Verlag Berlin, 1994
Bowman, Doug A., et al.: 3D user interfaces. Theory and practice. Addison-Wesley, 2004
Broderick, Damien: The Judas Mandala. Pocket Books, 1982
Buser, Kurt: Kurzlehrbuch Medizinische Psychologie/Medizinische Soziologie. Urban&Fischer
München/Jena, 62007
Damásio, António: Descartes Error. Emotion, reason and the human brain. Random House, New
York, 2008
Dörner, Ralf, Wolfgang Broll, Paul Grimm und Bernhard Jung (Hrsg.): Virtual und Augmented
Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität. Springer Berlin/
Heidelberg, 2013
Edgerton, Samuel Y.: Giotto und die Erfindung der dritten Dimension. Malerei und Geometrie
am Vorabend der wissenschaftlichen Revolution. Fink, München, 2004
Frieling, Rudolf und Dieter Daniels (Hrsg.): Medien Kunst Netz 1. Medienkunst im Überblick.
Springer Wien/New York 2004
Gethmann, Daniel und Susanne Hauser (Hrsg.): Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte
und Medien in Architektur und Design Science. [transcript] Bielefeld, 2009
Gibson, James Jerome: The perception of the visual world. Houghton Mifflin Boston, 1950
Gibson, William: Neuromancer. Ace New York, 1984
Heim, Michael: The Metaphysics of Virtual Reality. Oxford University Press, 1993
Krasny, Elke (Hrsg.): Architektur beginnt im Kopf. The making of architecture. Birkhäuser Basel,
2008
Krauthausen, Karin und Omar W. Kasim (Hrsg.): Notieren – Skizzieren. Schreiben und Zeichnen
als Verfahren des Entwurfs, 2010
Laurel, Brenda: Computers as theatre. Addison-Wesley, 2013
Lem, Stanisław und Herbert Hörz (Übers.): Summa technologiae. Insel, 1976
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ABBILDUNGEN
Titelbild: Niklas Goldbach/Verfasser
Abb. 1 u. 2: Donath Donath, Dirk und Holger Regenbrecht: Der Bleistift im 21. Jahrhundert. Das
architektonische Entwerfen in interaktiven VR-Umgebungen
Abb. 3–6: Beck, Stephan, André Kunert, Alexander Kulik und Bernd Froehlich: Immersive group-
to-group telepresence
Abb. 7 u. 8: Leap Motion Inc., http://www.leapmotion.com
Abb. 9: Dörner, Ralf, Wolfgang Broll, Paul Grimm und Bernhard Jung (Hrsg.): Virtual und Aug-
mented Reality, Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität
Abb. 10: The New Yorker, http://www.newyorker.com
Abb. 11–20, sowie Anhänge 1–4: Verfasser!
58
Anhang 1 – Grundrissvarianten
!
59
A
B
C
D
Anhang 2 – Fotopositionen!
60
Fotopositionen
(interpoliert)
Anhang 3 – Explorationsverhalten real-räumliche Exploration!
61
Anhang 4 – Explorationsverhalten virtuell-räumliche Exploration
62
Anhang 5 – Fragebogen
63
Proband __________________ m/w
Alle Fragen und Aufgaben werden vom Experimentator mündlich gestellt.
Fragen vor Durchführung
Kennst du die Oculus Rift?
Hast du irgendwelche Erfahrungen mit Virtual Reality?
Spielst du Computerspiele?
Wie groß bist du?
Hast du eine Sehschwäche?
Aufgabe 1
Du hast 15 Minuten Zeit, dir den Raum in der VR in Ruhe anzuschauen. Die Aufgabe besteht
darin, dir fünf Standorte bzw. Perspektiven zu suchen, die du fotografisch festhalten möcht-
est. Du kannst die Fotos dann direkt während deiner Erkundung machen. Du kannst aber
auch am Ende zu den Punkten zurückkehren. Wenn du ein Bild machen möchtest, sagst du
bitte Bescheid. Nach 10 Minuten gebe ich dir zu verstehen, dass du noch 5 Minuten Zeit
hast.
Aufgabe 2
Bitte wähle den richtigen Grundriss aus! Nimm dir dabei soviel Zeit, wie du brauchst.
Fragen nach Durchführung
In welchem Studienjahr bist du derzeit?
Du studierst Architektur?
Kennst du das Gebäude der UdK in der Berliner Hardenbergstraße?
Hast du Anmerkungen?
Wie hast du den virtuellen Raum erlebt?
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Book
Full-text available
Computers have dramatically altered life in the late 20th century. Today we can draw on worldwide computer links, speeding up communications for radio, newspapers, and television. Ideas fly back and forth and circle the globe at the speed of electricity. And just around the corner lurks full-blown virtual reality, in which we will be able to immerse ourselves in a computer simulation not only of the actual physical world, but of any imagined world. As we begin to move in and out of a computer-generated world, this book asks, how will the way we perceive our world change? This book considers this and other philosophical issues of the Information Age. With an eye for the dark as well as the bright side of computer technology, it explores the logical and historical origins of our computer-generated world and speculates about the future direction of our computerized lives. The book discusses such topics as the effect of word-processing on the English language. The book also looks into the new kind of literacy promised by Hypertext. And it also probes the notion of virtual reality, "cyberspace" the computer-simulated environments that have captured the popular imagination and may ultimately change the way we define reality itself. Just as the definition of interface itself has evolved from the actual adaptor plug used to connect electronic circuits into human entry into a self-contained cyberspace, so too will the notion of reality change with the current technological drive. Like the introduction of the automobile, the advent of virtual reality will change the whole context in which our knowledge and awareness of life are rooted. And along the way, the book covers such intriguing topics as how computers have altered our thought habits, how we will be able to distinguish virtual from real reality, and the appearance of virtual reality in popular culture (as in Star Trek's holodeck, William Gibson's Neuromancer, and Stephen King's Lawnmower Man).
Article
Full-text available
Ideation is still done with traditional analog manual tools because current computer interfaces are inconsistent with the needs of designers. The Hybrid Ideation Space (HIS) was developed to respond to this lack by augmenting analog tools with digital capabilities respecting the designer's needs for uninterrupted reflective conversation with the representation that should, in turn, enrich ideation. To assess ideation, we have developed the notion of Design Flow, which considers the pattern of multiple dimensions involved in ideation. Design practitioners testing the HIS showed that ideation was well supported in synchronous, individual or team settings.
Article
Isovist or vision field computing is an interesting topic with many applications in different fields: security, wireless network design, or landscape management. In all existing solutions, a 3D environment appears to be the most challenging task and few solutions exist for detecting the obstacles that limit the vision field. In this paper a new algorithm is presented for isovist calculation that can detect all objects, which block the sight in a 2D and 3D environment. Then, a demonstration with GIS data is given and some visibility indices are also presented.
Article
In pre-industrial times, decisions related to the design of buildings were often made and applied directly to the project under construction. Space and form were shaped in this way, inspired by the direct perception of the forms and spaces under construction and the problems that were defined within the building under construction. Recent virtual reality systems offer modern day designers a similar opportunity by allowing them to get immersed inside an imaginary, computer-generated "virtual world" large enough to walk through. In this paper some approaches for integrating immersive virtual environments in the architectural design process will be introduced and evaluated based on experience made using a CAVE facility designed, built and operated by the author in a school of architecture. The findings suggest using hybrid design environments as a new paradigm combining, on one hand, nonimmersive design tools such as sketches, models and CAD, and on the other hand, immersive design tools such as virtual reality. This paradigm merges both types of tools and suggests a new design environment that utilizes the high functionality of non-immersive tools with the capacities of the immersive tools without replacing one or the other.
Book
Das umfassende Lehrbuch bietet Studierenden eine anschauliche Begleit- und Nachschlaglektüre zu Lehrveranstaltungen, die Virtual Reality / Augmented Reality (VR/AR) thematisieren, z.B. im Bereich Informatik, Medien oder Natur- und Ingenieurwissenschaften. Der modulare Aufbau des Buches gestattet es, sowohl die Reihenfolge der Themen den Anforderungen der jeweiligen Unterrichtseinheit anzupassen als auch eine spezifische Auswahl für ein individuelles Selbststudium zu treffen. Die Leser erhalten die Grundlagen, um selbst VR/AR-Systeme zu realisieren oder zu erweitern, User Interfaces und Anwendungen mit Methoden der VR/AR zu verbessern sowie ein vertieftes Verständnis für die Nutzung von VR/AR zu entwickeln. Neben einem theoretischen Fundament vermittelt das Lehrbuch praxisnahe Inhalte. So erhalten auch potenzielle Anwender in Forschung und Industrie einen wertvollen und hinreichend tiefen Einblick in die faszinierenden Welten von VR/AR sowie ihre Möglichkeiten und Grenzen.