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Aufmerken und Zeigen. Theoretische und empirische Untersuchungen zur pädagogischen Interattentionalität

Authors:

Abstract

Der Beitrag entwickelt eine phänomenologisch orientierte Theorie pädagogischer Aufmerksamkeit als Korrelation von erzieherischem Zeigen (als Aufmerksam-Machen) und lernendem Aufmerken (als Aufmerksam-Werden). Geteilte Aufmerksamkeit bzw. pädagogische Interattentionalität wird als interkorporales und responsives Geschehen exponiert. Im Unterricht manifestiert sie sich als ambivalente Machtpraxis, mit der in Übungen Aufmerksamkeit erworben werden kann. Zum anderen werden Ergebnisse aus der qualitativen videographischen Unterrichtsforschung vorgestellt. Pädagogische Interattentionalität kann einmal im Zuge eines deprofessionalisierten und methodisierten Unterrichts zu einer Produktion von Unaufmerksamkeit führen. Sie kann aber auch als fokussierte Praxis der pädagogischen Übung in einem attentionalen Geschehen gegenseitiger Achtsamkeit inszeniert werden.
Aufmerken und Zeigen
Theoretische und empirische Untersuchungen zur
pädagogischen Interattentionalität
Malte Brinkmann
Die folgenden theoretischen und empirischen Untersuchungen wollen
einen Beitrag für die pädagogische Bestimmung und Erforschung von
Aufmerksamkeit als soziale und geteilte Praxis in pädagogischen Situati-
onen im Unterricht leisten. Dieser Beitrag entwickelt im ersten Teil eine
phänomenologisch orientierte Theorie pädagogischer Aufmerksamkeit.
Im zweiten Teil wird diese für videographische Forschungen im Schul-
unterricht fruchtbar gemacht.
Die pädagogische Theorie der Aufmerksamkeit wird im ersten Teil in
fünf Schritten entwickelt. Sie wird zunächst bildungs-, erziehungs- und
sozialtheoretisch als Korrelation von erzieherischem Zeigen (als Auf-
merksam-Machen) und lernendem Aufmerken (als Aufmerksam-Werden)
bestimmt (1). Geteilte Aufmerksamkeit bzw. pädagogische Interattentio-
nalität wird dann genauer als interkorporales Geschehen im Unterricht
exponiert, das von normativen Aspekten durchzogen ist (2). Mit einem
anthropologisch-phänomenologischen Zugang wird danach pädagogi-
sches Zeigen als Geschehen deutlich, indem jemandem von jemandem
etwas als etwas vor anderen gezeigt wird. Pädagogisches Zeigen ist da-
mit leiblich, sozial und transformativ strukturiert (3). Die pädagogische
Übung ist die besondere Lernform, mit der Aufmerksamkeit eingeübt
und bildende Erfahrungen ermöglicht werden können (4). Konkret erfor-
dern pädagogische Übungen Ordnungen der Aufmerksamkeit, in denen
erzieherisch Aufmerksamkeit mittels Zeigen erzeugt und fokussiert w ird.
Insofern ist pädagogische Interattentionalität auch eine Praxis der Macht.
Diese manifestiert sich – wie in einem genealogischen Exkurs aufgezeigt
wird – in zwei Praxen: in der Subjektivierung von Unaufmerksamkeit als
Malte Brinkmann
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Willensschwäche des Schülers und in der Pathologisierung des unauf-
merksamen Schülers, der einer pädagogischen Normalisierung bedarf
(5). Die fünf Aspekte einer pädagogischen Theorie der Aufmerksamkeit
werden an Beispielen veranschaulicht, die aus dem Projekt Szene der pä-
dagogisch-phänomenologischen und videographischen Unterrichtsfor-
schung stammen.
Im zweiten Teil werden Ergebnisse aus dieser empirischen Forschung
anhand von zwei Beispielen exemplarisch vorgestellt. Pädagogische In-
terattentionalität kann einmal im Zuge eines deprofessionalisierten und
methodisierten Unterrichts zu einer Produktion von Unaufmerksamkeit
führen – gleichsam als Effekt einer technisierten Unterrichtsform, die
kollektives Lernen ermöglichen soll (6.1). Sie kann auch – positiv gewen-
det – als intensive, fokussier te Praxis der pädagogischen Übung inszeniert
werden (6.2). Pädagogische Interattentionalität wird so als ambivalente
und wechselseitige Praxis zwischen zeigendem Aufmerksam-Machen
und lernendem Aufmerksam-Werden empirisch gehaltvoll beschrieben
und intersubjektiv validiert.
1. Aufme r ksAmwerde n und Aufmerks A m m Achen
Es gibt eine neue Aufmerksamkeit für das Phänomen der Aufmerksam-
keit – nicht nur in der Phänomenologie,1 in den Kulturwissenschaften,2
in der Psychologie und den Neurowissenschaften,3 in der Medientheo-
1 | Waldenfels, Bernhard: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, Frankfurt am
Main: Suhrkamp 2004. Blumenberg, Hans: »Auffallen und Aufmerken«, in: ders.
(Hg.), Zu den Sachen und zurück. Aus dem Nachlass von H. Sommer, Frankfurt
am Main: Suhrkamp 2002, S. 182-206.
2 | Crary, John: Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, Frankfurt
am Main: Suhrkamp 2002. Assmann, Aleida: Druckerpresse und Internet – Von
einer Gedächtniskultur zu einer Aufmerksamkeitskultur, Vortrag auf der VdW-Jah-
restagung am 6.5.2002, online abrufbar unter http://www.wirtschaftsarchive.
de/vdw/veroeffentlichungen/zeitschrift/weitere-hefte/aufsatz_Assmann.pdf
(8.12.15).
3 | Gallagher, Shaun: How the body shapes the mind, Oxford: Clarendon Press
2005. Breyer, Thiemo: Attentionalität und Intentionalität. Grundzüge einer phä-
Aufmerken und Zeigen 119
rie4 und in der evolutionären Anthropologie,5 sondern auch in der Erzie-
hungswissenschaft. Hier wird sie in unterschiedlichen Ansätzen unter-
schiedlich thematisiert. In systemtheoretisch orientierten Studien wird
Aufmerksamkeit als Übergangsbegriff der pädagogischen Kommunika-
tion zwischen Erziehung und Gesellschaft bestimmt,6 in historischer
Perspektive als Begriff bzw. Grundbegriff der Erziehungswissenschaft,7
in empirischen Untersuchungen im Hinblick auf Üben und Zeigen ana-
lysiert8 und in phänomenologischen Studien theoretisch und empirisch
dimensioniert.9
nomenologisch-kognitionswissenschaftlichen Theorie der Aufmerksamkeit, Mün-
chen: Wilhelm Fink 2011.
4 | Franck, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit, München: Hanser 2007.
5 | Tomasello, Michael: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, Frank-
furt am Main: Suhrkamp 2009.
6 | Kade, Jochen: »Aufmerksamkeitskommunikation. Zu einem erziehungswis-
senschaftlichen Grundbegriff«, in: Amos, Karin/Meseth, Wolfgang/Proske, Mat-
thias (Hg.), Öffentliche Erziehung revisited. Erziehung, Politik und Gesellschaft
im Diskurs, Wiesbaden: Springer VS 2011, S. 75-100.
7 | Reh, Sabine: »Der ›Kinderfehler‹ Unaufmerksamkeit. Deutungsmuster zwi-
schen Kulturkritik und Professionellen Handlungsproblemen im Schulsystem
in Deutschland um 1900«, in: Reh, Sabine/Berdelmann, Kathrin/Dinkelacker,
Jörg (Hg.), Aufmerkamkeit: Geschichte – Theorie – Empirie, Wiesbaden: Springer
VS 2015, S. 71-94. Scholz, Joachim: »Aufmerksamkeit im Schulmännerdiskurs
der Sattelzeit«, in: Reh et al. (Hg.), Aufmerksamkeit, S. 35-54. Prondcynzky,
Andreas: »Zerstreutheit vs. Aufmerksamkeit. Historische Rekonstruktion eines
spannungsvollen Verhältnisses«, in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung
13 (2007), S. 115-137.
8 | Dinkelaker, Jörg: »Aufmerksamkeit«, in: Kade, Jochen/Helsper, Werner/
Lüders, Christian/Egloff, Birte/Radtke, Frank-Olaf/Thole, Werner (Hg.), Päda-
gogisches Wissen. Erziehungswissenschaft in Grundbegriffen, Stuttgart: Kohl-
hammer 2011, S. 75-182. Dinkelaker, Jörg: »Varianten der Einbindung von Auf-
merksamkeit. Zeigeinteraktionen in pädagogischen Feldern«, in: Reh et al. (Hg.),
Aufmerksamkeit, S. 241-264.
9 | Meyer-Dr awe, Käte: »Aufmerken – eine phänomenolog ische Studie«, in: Reh et
al. (Hg.), Aufmerksamkeit, S. 117-126. Brinkmann, Malte: Ȇbungen der Aufmerk-
samkeit: Phänomenologische und empirische Analysen zum Aufmerksamwerden
und Aufmerksammachen«, in: Reh et al. (Hg.), Aufmerksamkeit, S. 199-220.
Malte Brinkmann
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Wenn ich im Folgenden Aufmerksamkeit als pädagogisches Phäno-
men und Problem zu fassen versuche, dann werde ich davon ausgehen,
dass es sich erstens um ein Phänomen in temporaler Vorgängigkeit zu
Lernen und Bildung handelt. Aufmerksamkeit ist der »Anfang der Bil-
dung«.10 Mit ihr kann ein Bildungs- und Lernprozess beginnen. Aufmerk-
samkeit ist insofern als Kategorie der Bildungstheorie interessant.
Aufmerksamkeit in pädagogischen Kontexten ist zweitens eine soziale
Praxis. In pädagogischen Situationen wird nicht nur voneinander gelernt,
sondern von Anderen etwas gelernt und darin auch vor anderen etwas
voneinander gelernt.11 Damit werden die sozialen und gesellschaftlichen
sowie die institutionellen Kontexte relevant,12 die situativ eine Ordnung
der Aufmerksamkeit vorgeben. Als Kategorie der Erziehungstheorie ist
sie demnach interessant, insofern sie die Interaktionen zwischen den
Akteuren als ein auf Lernen gerichtetes Handeln genauer in den Blick
rücken kann. Zugleich können so die pädagogischen Ordnungen13 etwa
in der Schule und im Unterricht, als soziale und institutionelle Bedin-
gungen von praktizierter Aufmerksamkeit eingeholt werden.
Aufmerksamkeit als soziales Phänomen und pädagogische Praxis
werde ich drittens als »geteilte« oder »gemeinsame« Aufmerksamkeit
beschreiben, wie sie aktuell in den Forschungen von Tomasello14 sowie
von Campbell und Baldwin untersucht wird.15 Erst in der gemeinsamen
10 | Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Enzyklopädie der philosophischen Wissen-
schaften im Grundriss. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit mündlichen
Zusätzen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 13.
11 | Vgl. Ricken, Norbert: »Zeigen und Anerkennen. Anmerkungen zur Form pä-
dagogischen Handelns«, in: Berdelmann, Kathrin/Fuhr, Thomas (Hg.), Operative
Pädagogik: Grundlegung, Anschlüsse, Diskussion, Paderborn: Schöningh 2009,
S. 111-133.
12 | Vgl. Brinkmann, Malte: »Allgemeine Erziehungswissenschaft als Erfah-
rungswissenschaft. Versuch einer sozialtheoretischen Bestimmung als theore-
tisch-empirische Teildisziplin«, in: VjwP 2/2016 (im Erscheinen).
13 | Vgl. Reh, Sabine/Rabenstein, Kerstin/Idel, Till-Sebastian: »Unterricht
als pädagogische Ordnung. Eine praxistheoretische Perspektive«, in: Meseth,
Wolfgang/Proske, Matthias/Radke, Frank-Olaf (Hg.), Unterrichtstheorien in For-
schung und Lehre, Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2011, S. 209-222.
14 | M. Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation.
15 | Vgl. T. Breyer: Attentionalität und Intentionalität, S. 276ff.
Aufmerken und Zeigen 121
Aufmerksamkeit bzw. Interattentionalität erschließt sich der soziale und
thematische Sinn von Situationen. Der thematische Sinn ist für die Päda-
gogik insofern wichtig, als dass über die zu vermittelnde Sache intergene-
rational Kultur und Kulturtechniken weiter gegeben werden. Der soziale
Sinn ist, Tomasello zufolge, bedeutsam, weil die gemeinsame Aufmerk-
samkeit als gegenseitiges Verstehen von intentionalen Zuständen erst die
kulturelle Evolution als intergenerationale Weitergabe von kulturellen Be-
ständen möglich macht.
Gemeinsame und geteilte Aufmerksamkeit basiert auf zweierlei
Praxen: Während das Aufmerksamwerden als subjektive Leistung zwi-
schen Auffallen, Aufmerken und Bemerken unterschiedliche Qualitäten
aufweist,16 möchte ich das Aufmerksammachen als Praxis des Zeigens
untersuchen. Die Praxis des auf Aufmerksamkeit gerichteten Zeigens
erfährt momentan in unterschiedlichen Disziplinen, etwa in der Philoso-
phie17, der Sozialwissenschaft, 18 der Ethologie19 und der Kunst- und Bild-
wissenschaft20 recht große Beachtung. In der Regel wird es mit Lernen
und Erziehen in Verbindung gebracht. Erziehen kommt schon nach der
lebensweltlichen Erfahrung kaum ohne Geste, ohne Hin- und Verweise
und ohne Fokussierung der Aufmerksamkeit aus. Tatsächlich spricht vie-
les dafür, Zeigen als aufmerksamkeitsbezogene Praxis zu verstehen.21 Für
die Pädagogik ist es dabei wichtig, den Unterschied zwischen Lernen und
Erziehen zu bestimmen. Lernen als subjektives Bewusstseinsphänomen
ist von der sozialen Praxis der Erziehung zu unterscheiden. Die Differenz
zwischen Lernen und Erziehen wird als »pädagogische Differenz« be-
16 | Vgl. M. Brinkmann: Übungen der Aufmerksamkeit, S. 199-220.
17 | Landweer, Hilge: »Zeigen, Sich-zeigen und Sehen-lassen. Evolutionstheore-
tische Untersuchungen zu geteilter Intentionalität in phänomenologischer Sicht«,
in: van den Berg, Karen/Gumbrecht, Hans Ulrich (Hg.), Politik des Zeigens, Mün-
chen [u.a.]: Wilhelm Fink 2010, S. 29-58. Wiesing, Lamber t: Sehen lassen. Die
Praxis des Zeigens, Berlin: Suhrkamp 2013.
18 | Van den Berg, Karen/Gumbrecht, Hans Ulrich (Hg.): Politik des Zeigens,
München [u.a.]: Wilhelm Fink 2010.
19 | M. Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation.
20 | Boehm, Gottfried (Hg.): Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, Paderborn,
München: Wilhelm Fink 2010.
21 | Vgl. H. Landweer: Zeigen, Sich-zeigen und Sehen-lassen.
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stimmt.22 Man geht dabei von dem einfachen Sachverhalt aus, dass erzie-
herische Intentionen, Absichten und Handlungen nicht direkt und kausal
in Lernaktivitäten überführbar sind. Ich werde diese Differenz unter der
Perspektive der Aufmerksamkeit im Folgenden als Differenz zwischen
individuellem Aufmerken und erziehendem bzw. aufmerksam-machen-
dem Zeigen beschreiben. Ich gehe von der These aus, dass Aufmerken
und Bemerken mit der Praxis des Zeigens korreliert sind, ohne dass es
sich um kausale, direkte oder unmittelbare Zusammenhänge handelt.
Lernendes Aufmerksamwerden und zeigendes Aufmerksammachen ste-
hen vielmehr in einem wechselseitigen und unsicheren Bezug, der sich
im Wechselspiel von aktiver Sinnstiftung und passiver Sinngebung kon-
stituiert. In der Differenz zwischen Aufmerksam-Machen und Aufmerk-
sam-Werden kann es zum Ereignis einer geteilten Aufmerksamkeit kom-
men.
2. Gemeins A me Auf merksAmk e i t :
PädAGoGis che in t e r At t e n t ionAlität
Ich möchte zunächst einen pädagogisch-phänomenologischen Zugang
zur Aufmerksamkeit in Korrelation zur Praxis des Zeigens vorstellen: Die
pädagogische Perspektive kann die Perspektive der ersten Person, wie sie
in der Phänomenologie mit der Analyse des Bewusstseins, seiner Leis-
tungen und Korrelate entwickelt wurde, mit der Perspektive der dritten
Person, aus der heraus die Psychologie und die Kognitionswissenschaf-
ten ihre Gegenstände untersuchen, in ein Wechselverhältnis bringen.
Das kann gelingen mit einer Perspektive auf die zweite Person. Diese
Perspektive auf das Verhältnis zum Du, das heißt auf intersubjektive
und interkorporale Interaktionen, ist insofern als etwas spezifisch Päda-
gogisches zu verstehen, als dass hier neben interaktiven auch normative
Aspekte eine wichtige Rolle spielen: Jene Ziele, Werte und Normen, mit
und zu denen erzogen werden soll. Aufmerksamkeit als pädagogische
Kategorie und Praxis erfordert auf Seiten des Lernenden eine Wachheit
oder Aufgewecktheit, die sich im Aufmerken und Bemerken manifestiert
und verkörpert. Auf Seiten des Erziehenden erfordert es ein Ethos der
22 | Prange, Klaus: Die Zeigestruktur der Erziehung. Grundriss der operativen
Pädagogik, Paderborn: Schöningh 2005, S. 58.
Aufmerken und Zeigen 123
Achtsamkeit.23 Wachheit und Achtsamkeit können als zwei Aspekte einer
sozial dimensionierten und situativen »geteilten« oder »gemeinsamen«
Aufmerksamkeit gesehen werden.
Der Zeigefinger ist in diesen Situationen (Englischunterricht, 6. Klasse
Berliner Grundschule; Chemieunterricht 9. Klasse Gymnasium) direktiv
eingesetzt, als Ermahnung, die Aufgabe bzw. das Experiment vorsichtig
und sachkundig durchzuführen. Die Geste des Zeigens bezieht sich also
sowohl auf die Personen als auch auf den Umgang mit der Sache. Acht-
samkeit wird hier sowohl vom Lehrer praktiziert als auch Wachheit (als
Bedingung von Aufmerksamkeit und Lernen) von den Schülern einge-
fordert. Das kann als erster Hinweis darauf gelten, dass die Verhältnisse
zwischen achtsamen Zeigen und wachem Aufmerken in der (pädagogi-
schen) Praxis nicht nur einseitig und linear (vom Lehrer zum Schüler)
verlaufen. Zugleich wird hier die spezifische Normativität pädagogischen
Zeigens deutlich.
Ich möchte im Folgenden darlegen, dass die Koordination von Wach-
heit und Achtsamkeit im Unterricht als die Koordination von erziehen-
dem Zeigen und lernender Aufmerksamkeit stattfindet. Im Zeigen ge-
23 | Vgl. K. Meyer-Drawe: Aufmerken – eine phänomenologische Studie, S. 120ff.
Malte Brinkmann
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winnt das Ethos der Achtsamkeit eine pädagogische Relevanz, insofern
es sich auf eine bestimmte Operation richtet. Das Ethos der Achtsamkeit
als Einstellung empathischer Anerkennung24 entspricht so einem Ethos
des Zeigens, das sich in einer Haltung verkörpert und in einer Praxis ar-
tikuliert, Aufmerken taktvoll25 zu wecken und zu fokussieren. Zeigendes
Aufmerksam-Machen ist so gesehen die erzieherische Antwort auf die
Tatsache des Aufmerkens als Beginn des Lernens. Zeigen als Praxis ist
auf Aufmerksamkeit gerichtet, vom moralischen Zeigefinger bis hin zum
Zeigen abstrakter Formen und Symbole.
Zusammenfassend:
Pädagogische Aufmerksamkeit ist a) in bildungstheoretischer Pers-
pekt ive als Anfa ng der Bildung zu sehen; b) in erziehu ngstheoretischer
Perspektive als kulturelle Weitergabe im Kontext von pädagogischen
Ordnungen zu bestimmen und c) in sozialtheoretischer Perspektive
als soziale Praxis geteilter Aufmerksamkeit zu beschreiben.
Lernendes Aufmerken kann als Wirkung von erzieherischem Zeigen
bestimmt werden. Zeigendes Aufmerksam-Machen ist die erzieheri-
sche Antwort auf die Tatsache des Aufmerkens als Beginn des Ler-
nens.
In erzieherischen und institutionellen Kontexten findet eine Korrela-
tion von erziehendem Zeigen und lernendem Aufmerken statt.
3. ZeiGe n , et wA s ZeiGe n , sich-Zei Gen
Tomasellos ethologische Forschungen machen deutlich, dass in der
menschlichen Evolution das Verstehen der intentionalen Zustände im
Zeigen eine entscheidende Rolle spielt. Die kooperative Kommunikation
tritt in der Evolution zuerst »in der Form natürlicher, spontaner Gesten
des Zeigens und des Gebärdenspiels«26 vor der Sprache und ihrer Gram-
24 | Waldenfels, Bernhard: »Wahrnehmung und Anerkennung beim frühen Hus-
serl«, in: Philosophische Rundschau 52 (2005), S. 302-310.
25 | Vgl. Manen, Max von: »Herbart und der Takt im Unterricht«, in: Zeitschrift für
Pädagogik, H. 33, Beiheft (1995), S. 61-80.
26 | M. Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, S. 22.
Aufmerken und Zeigen 125
matik auf: »Der springende Punkt des gemeinsamen Hintergrunds ist,
dass er dem Menschen ermöglicht, über seine egozentrische Perspektive
auf die Welt hinauszugehen27 Mit der Zeigegeste muss erstens verstan-
den werden, was gezeigt wird, d.i. der propositionale Gehalt des Zeigens
(Sache). Das setzt voraus, dass die Intention, mit der gezeigt wird, ver-
standen wird. Im deiktischen, hinweisenden Zeigen schaut das Kind bei-
spielsweise nicht auf den Zeigefinger, sondern folgt mit dem Blick der
Richtung, die angezeigt wird. Zugleich versteht es, dass damit etwas ihm
selbst gezeigt wird. Es agiert unter Bedingungen einer primären geteilten
Intentionalität und Attentionalität. Es kann auch ikonische Gesten entzif-
fern, die keinen direkten Referenten aufweisen und unmittelbar gegeben
sind, sondern repräsentativ auf etwas nicht Anwesendes verweisen. Das
wiederum bedeutet, dass verstanden wird, dass etwas gezeigt wird, weil
es dem Anderen ausschließlich zu dem Zweck des Zeigens gezeigt wird. Die-
se reflexive Intentionalität und Attentionalität erzieherischer Situationen
ist nach Tomasello die Voraussetzung des menschlichen kulturellen Ler-
nens und, so kann man anfügen, die Voraussetzung des menschlichen
Erziehens.
Prange hat in einer ähnlichen Perspektive im Zeigen die Form pä-
dagogischen Handelns ausgemacht.28 Zeigen wird in seiner operativen
Pädagogik in unterschiedlichen Formen differenziert und kann als Form
pädagogischen Handelns systematisch von anderen Handlungsformen
unterschieden werden. Pädagogisches Zeigen emergiert aus einem Ge-
schehen zwischen Zeigendem, Aufmerkendem, Sache und Anderen. Die
pädagogischen Sachen oder Themen sind im institutionellen Lernen in-
sofern spezifisch, als dass diese als kulturelle Themen symbolisch sind.
Wenn nämlich, nach Dietrich Benner, schulisches Lernen im Unter-
schied zu vor- und außerschulischem Lernen »gerade nicht auf einer Ein-
heit von Lernen und Anwenden [basiert], sondern [...] in Kulturtechniken,
Wissensformen und Ref lexionsweisen [einführt, M.B.], die, wie Schrift-
sprache, Mathematik […] oder Fremdsprachen, aber auch sozialer Um-
gang mit Andersdenkenden und Fremden im unmittelbaren Gebrauch
weder erlernt noch überprüft werden« können, wenn also Unterricht das
Ziel hat, unmittelbare, lebensweltliche und intuitive Erfahrung zu ȟber-
27 | Ebd., S. 87.
28 | K. Prange: Die Zeigestruktur der Erziehung.
Malte Brinkmann
126
schreiten und zu erweitern«,29 dann muss in institutionellen Kontexten
wie der Schule anders als in der Lebenswelt, nämlich abstrakter gezeigt
werden.30
Zeigen setzt voraus, dass das, was gezeigt wird, sich zeigt. Wie Heideg-
ger im § 7 von »Sein und Zeit« zur »phänomenologische[n] Methode« ver-
deutlicht31, bezeichnet ei n Phänomen etwas, das sic h zeigt32 . Das Phänomen
(phainomenon) als das Erscheinende verweist im phänomenologischen
Sinn entgegen dem abendländischen onto-theologischen Dualismus gera-
de nicht auf etwas Verborgenes, Eigentliches, Wesenhaftes oder Latentes,33
sondern es ist eben desha lb Phänomen, weil es oberf lächl ich ist. Phänome-
nologie kann daher als Praxis des Sich-zeigen-lassens bestimmt werden:
»Das was sich zeigt, so wie es sich zeigt, von ihm selbst her sehen lassen.«34
29 | Benner, Dietrich: »Jenseits des Duals von Input- und Output. Über verges-
sene und neue Zusammenhänge zwischen Erfahrung, Lernen und Lehren«, in:
Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Jg. 84, H. 4 (2008), S. 421.
30 | Allerdings bleibt Pranges operative Theorie des Zeigens einem konventio-
nellen (autonomen) Subjektverständnis und damit einem traditionellen Intenti-
onalitäts- und einem (abbildtheoretischen) Repräsentationsmodell verpflichtet.
Damit aber wird weder die Medialität und die Performativität des Zeigens (vgl.
Thompson, Christiane: »Zeigen und Sprechen: Ironie und Unbestimmtheit in der
Erziehung«, in: Aßmann, Alex/Krüger, Jens Oliver (Hg.), Ironie in der Pädagogik,
Weinheim und München: Beltz Juventa 2011, S. 69ff.) noch dessen Sozialität
als auf etwas Drittes bezogene und in Anwesenheit von Dritten vollzogene Pra-
xis (vgl. N. Ricken: Zeigen und Anerkennen) hinreichend erfasst. Um Zeigen als
Modell für die empirische Pädagogik fruchtbar machen zu können, müsste es
aus der Prange’schen subjekt- und repräsentationstheoretischen Engführung he-
rausgelöst werden (vgl. Brinkmann, Malte: »Üben: Wissen – Können – Wiederho-
len. Zeitphänomenologische Überlegungen zur pädagogischen Übung«, in: Vier-
teljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Jg. 85, H. 4 (2009), S. 413-434.
Brinkmann, Malte: Pädagogische Übung. Praxis und Theorie einer elementaren
Lernform, Paderborn: Schöningh 2012, S. 138ff.).
31 | Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Tübingen: Niemeyer 2001, S. 27ff.
32 | Ebd., S. 29.
33 | Vgl. ebd., S. 36.
34 | Ebd., S. 34.
Aufmerken und Zeigen 127
In der »signifikativen Differenz«35 , etwas als etwas zu sehen, zu verstehen
und zu erfahren,36 stößt daher die intentionale Sinnbildung des aktiven
Selbst auf die Sinngebung des Phänomens, auf das also, was einem vom
Anderen oder den Anderen zukommt und über das das Selbst nicht ver-
fügt.37 Vor der Tatsache, dass sich etwas als etwas zeigt, zeigt sich etwas
auf dem Boden einer »regionalen Ontologie«.38
Husserls Analysen zur Intentionalität und Attentionalität zeigen, dass
ein simpler Analogieschluss vom äußeren Verhalten auf innerpsychische
Vorgänge, wie er etwa von Lipps und Dilthey oder auch von Vertretern der
Psychologie favorisiert wird, nicht ausreichend ist. Vielmehr müsse der
Intentionalitätsmodus der Fremderfahrung mit seinem korrespondieren-
den Erfüllungsmodus herausgearbeitet werden und mit anderen Modi der
Wahrnehmung vergleichen werden.39 »Die Ähnlichkeit des fremden Kör-
pers zu meinem eigenen motiviert die Zuschreibung mentaler Zustände
analog zu meinen eigenen. Das bedeutet aber nicht, dass die Zuschrei-
bung per Analogieschluss abgeleitet wird, sondern Wahrnehmung des
Anderen immer schon geleistet ist«.40 Für die Aufmerksamkeits-Situation
im Unterricht bedeutet das, dass Aufmerken und Zeigen nicht nur als
Handlungen, sondern in ihrer aktivisch-passischen Verschränkung als
situatives und performatives Geschehen zu fassen sind.
Dem Zeigen steht so das Sich-Zeigen von etwas ebenbürtig zur Seite,
verstanden als Sichtbar-Werden eines Anderen oder einer Sache, der, die
oder das mich anspricht und auf den, die oder das ich antworte. Mit dem
Blickwechsel auf die gleichermaßen sinnbildenden und sinngebenden
Momente im Zeigen können die nicht-intentionalen, die materialen und
die stimmungsmäßigen Momente erfassbar werden, können im Zeigen
35 | Waldenfels, Bernhard: Einführung in die Phänomenologie, München: Wil-
helm Fink 1992.
36 | M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 31.
37 | Vgl. Brinkmann, Malte: »Phänomenologische Forschungen in der Erzie-
hungswissenschaft«, in: ders. (Hg.), Erziehung. Phänomenologische Perspekti-
ven, Würzburg: Königshausen und Neumann 2011, S. 7-20.
38 | Husserl, Edmund: Husserliana: Gesammelte Werke, Den Haag: Nijhoff
1950ff, S. 19.
39 | Vgl. ebd., S. 122.
40 | T. Breyer: Attentionalität und Intentionalität, S. 270.
Malte Brinkmann
128
auch die Antworten auf die Dinge,41 die sich zeigen und die uns anspre-
chen, thematisch werden.42 Auf dieser anthropologisch-phänomenologi-
schen Grundlage kann das auf Aufmerksamkeit gerichtete pädagogische
Zeigen weiter differenziert werden:
Etwas zeigt sich (das Phänomen) unter Bedingungen einer regionalen
Ontologie.
Erst dann kann ich jemandem etwas zeigen,
indem sich dieses als etwas zeigt.
In einem pädagogischen Kontext wird zudem etwas von jemandem als
etwas vor anderen gezeigt,
und zwar, indem ich mich als jemand zeige und
indem sich andere vor anderen zeigen.
Als wechselseitiges Geschehen können Lehrer wie Schüler wechselsei-
tig zeigen. In der folgenden Abbildung zeigt im Chemieunterricht der 9.
Klasse ein Schüler vor anderen (auch vor dem Lehrer) etwas (ein Reagenz-
glas), in dem und mit dem sich etwas als etwas zeigt (nämlich das Gelin-
gen oder Scheitern eines Experimentes, die richtige Berechnung eitner
Formel), indem er sich selbst zeigt (als Forscher, als Person, als Schüler).
Deutlich wird damit
die leiblich-gestische Struktur des Zeigens,
die vierseitige Struktur des Zeigens zwischen Zeigendem, Aufmer-
kenden, Sache und Anderen,
die Sozialität des Settings in den Antworten der Anderen,
41 | Vgl. Stieve, Claus: Von den Dingen lernen: Die Gegenstände unserer Kind-
heit, München: Wilhelm Fink 2008.
42 | Vgl. Brinkmann, Malte: »Phänomenologische Methodologie und Empirie in
der Pädagogik. Ein systematischer Entwurf für die Rekonstruktion pädagogischer
Erfahrungen«, in: Brinkmann, Malte/Kubac, Richard/Rödel, Sales S. (Hg.), Päda-
gogische Erfahrung. Theoretische und empirische Perspektiven (Band 1 Phäno-
menologische Erziehungswissenschaft), Wiesbaden: Springer VS 2015, S. 31-57.
Wilde, Denise: »Wieso ist das kein Spielzeug? Eine phänomenologische Suche
nach Antworten auf Dinge im Unterricht«, in: Brinkmann et al. (Hg.), Pädagogi-
sche Erfahrung, S. 243-259.
Aufmerken und Zeigen 129
die Künstlichkeit der Kommunikation (über kulturelle Symbolsyste-
me),
der Transformationscharakter des schulischen Zeigens von der kon-
kreten lebensweltlichen Wahrnehmung hin zur Repräsentation eines
Abstrakten im Anschaulichen.
4. AuffA l len, Aufme rken, Beme r ken:
Pol Ari sieru nG der Aufmer k s Amkeit
Phänomenologische Analysen machen deutlich, dass ich nur aufmerk-
sam auf etwas sein kann, das sich zeigt und das mich angeht und affi-
ziert, und auf das ich mich richte. Aufmerken geschieht daher im Modus
der Intentionalität weg vom Selbst hin auf etwas oder jemand anderes. Es
ist zunächst das Selbst, was aktiv ist. Auch wenn ich mich nicht ausdrück-
lich auf mich selbst im Modus des Aufmerkens beziehe, ist es immer
beteiligt.
Bernhard Waldenfels’ Entwurf einer »pathischen Form der Phänome-
nologie«43 unterzieht das Phänomen der Aufmerksamkeit einer genauen
43 | B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit.
Malte Brinkmann
130
Analyse. 44 Aus der Grundfigur des Doppelten zwischen Sinnstiftung
und Sinngebung entspringt ein Zwischen, das Waldenfels als Hiatus
bzw. Bruch fasst. Der Fokus auf Zwischenereignisse und Brüche führt
auch für den Prozess der Aufmerksamkeit hin zu »Bruchlinien der Erfah-
rung«.45 Im Aufmerksamwerden kann Auffallen von Aufmerken und dar-
in Aufmerken von Bemerken differenziert werden. Während Auffallen zu-
nächst ein noch ungerichteter und unthematischer Akt ist, in dem etwas
wahrgenommen wird, was vorher nicht gesehen, gerochen, geschmeckt,
gefühlt oder gedacht wurde, ist im Unterschied dazu das Aufmerken und
dann das Bemerken zunehmend auf dieses etwas ausgerichtet und fo-
kussiert. Auffallen geschieht zunächst im Modus einer nicht-gerichteten
»impressionistischen Öffnung«46 der Welt gegenüber, in der uns darin
ereignishaft etwas widerfährt. Das Widerfahrnis des Auffallens in seiner
»diffusen Affektion«47 gerät im Aufmerken in den Fokus intentionaler
und rezeptiver Wahrnehmung. Wahrnehmen und Auffallen einerseits
und Aufmerken und Bemerken andererseits signalisieren also unter-
schiedliche Intensitätsgrade als zunehmend intentionales Gerichtetsein
auf etwas als etwas und zunehmende Ausdrücklichkeit dieses intentio-
nalen Bezuges.
Wir nehmen im Aufmerken etwas als etwas wahr. Darin voll-
zieht sich ein Übergang »vom Aufmerken auf etwas zum Bemerken
und Behalten von etwas«.48 Waldenfels zeigt, dass dieser Übergang als
»Doppelbewegung«49 zu verstehen ist, die in der Verschränkung von
pathischem Widerfahrnis im Auffallen einerseits und intentionaler Be-
wahrung des »Ich-Strahl[s]«50im Aufmerken andererseits geschieht.
44 | Waldenfels knüpft insofern an Plessner und Merleau-Ponty an, als auch
er sich gegen eine duale Gegenüberstellung von »Spontanität und Rezeptivität,
Aktion und Passion« (B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S.
41) wend et.
45 | Waldenfels, Bernhard: Bruchlinien der Erfahrung, Frankfurt am Main: Suhr-
kamp 2002.
46 | B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S. 67.
47 | Ebd.
48 | Ebd., S. 10. (Hervorh. im Orig.)
49 | Ebd., S. 80.
50 | E. Husserl: Husserliana III, S. 228.
Aufmerken und Zeigen 131
Das Verhältnis von Auffallen und Aufmerken ist temporal strukturiert.
»Was uns auffällt, kommt stets zu früh, das Aufmerken zu spät.« Darin
schieben sich »Eigenes und Fremdes, Einheimisches und Auswärtiges
ineinander«. 51
Im Bemerken, so Waldenfels mit James, findet eine »Relief bildun52
und eine »Konzentration auf ein Thema und ein Themenfeld« statt,
was zugleich eine »Sammlung als eine Bündelung der Kräfte« mit sich
bringt.53 In der Fokussierung und Polarisierung des Bemerkens kann sich
eine »Umorganisation des Erfahrungsfeldes« vollziehen.54 Pädagogisch
bedeutsam daran ist, dass in der Polarisierung ein Erfahrungsrelief oder
ein Erfahrungsindex gebildet wird, das eine intentionale und fokussier-
te Zuwendung zu einem Thema oder zu einem Themenkreis möglich
macht und sich darin zugleich die Umorganisation des Erfahrungsfeldes
und des Erfahrungshorizontes ereignen kann. In der Polarisierung der
Aufmerksamkeit kann sich also eine bildende Erfahrung ereignen.55
Lern- und übungstheoretisch ist das Phänomen und die Praxis der
polarisierenden Aufmerksamkeit als Fokussierung des Bemerkens von
großer Bedeutung. Um Aufmerken und Bemerken auf eine gewisse Dau-
er zu stellen, d.h. um Aufmerksamwerden in Aufmerksamsein zu über-
führen, bedarf es der Übung.56 Aus Sicht der Übungstheorie sind zwei
Aspekte wichtig: Zum einen wird der Übende mit seinem Nicht-Kön-
nen konfrontiert. Aufmerken und Bemerken als fragile und prekäre Zu-
stände entgleiten schnell, Distraktionen und Attraktionen anderer Art
schieben sich oft hervor. Hier sind pädagogische Operationen gefragt,
die im Modus der Achtsamkeit Hilfen und Settings für Sammlung und
Fokussierung bereitstellen. Zum anderen braucht die Übung Zeit und
Muße (skolé). »Intelligente« Übungen entstehen dann, wenn in der Wie-
derholung eine Verzögerung, ein Innehalten oder Epoché möglich wird.57
Dann kann in der wiederholenden Übung, mit Andreas Dörpinghaus ge-
51 | B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S. 72.
52 | Ebd., S. 101.
53 | Ebd., S. 103.
54 | Ebd.
55 | Vgl. M. Brinkmann: Übungen der Aufmerksamkeit.
56 | Vgl. M. Brinkmann: Pädagogische Übung.
57 | Vgl. Brinkmann, Malte: »Üben«, in: Kade et al. (Hg.), Pädagogisches Wis-
sen, Stuttgart: Kohlhammer 2011, S. 140-146.
Malte Brinkmann
132
sprochen58, eine reflexive und verstehende Distanz zu den eigenen Erfah-
rungen, ggf. zum eigenen Nicht-Können, entstehen, ein Aufmerken auf
das, was in der Fokussierung stattgefunden hat.59 Aufmerksamkeitsthe-
oretisch gesprochen: Gerade im Zeitlassen der wiederholenden Übung
kann im Aufmerken ein Bemerken als Umstrukturierung der Erfahrung
ermöglichen.60 Damit kann erstens, didaktisch gesprochen, ein Transfer
möglich werden, in dem das bisher Gewusste und Gekonnte mit Neuem
verknüpft wird.61 In der wiederholenden Übung könnte sich zweitens mit
einem didaktisch inszenierten Aufschub eine Epoché ereignen, die die
eigene Wahrnehmungs- und Urteilskategorien reflektiert und eine bil-
dende Erfahrung ermöglicht.
Zusammenfassend:
in der Fokussierung und Polarisierung der Aufmerksamkeit kann bil-
dende Erfahrung möglich werden.
Die pädagogische Übung ist die besondere Lernform der Aufmerk-
samkeit. Aufmerken-Können muss geübt werden.
Verlangsamende, verzögernde und wiederholende Übungen können
eine Umstrukturierung der Erfahrung, das heißt Bildung, ermögli-
chen.
58 | Dörpinghaus, Andreas: »Bildung als Verzögerung: Über Zeitstrukturen von
Bildungs- und Professionalisierungsprozessen«, in: Pädagogische Rundschau,
Jg. 59, H. 5 (2005), S. 563-574.
59 | Vgl. M. Brinkmann: Übe n, sowie M. Brinkmann: Übun gen der Aufmerk samkeit.
60 | Vgl. Buck, Günther: Lernen und Erfahrung Epagogik. Zum Begriff der di-
daktischen Induktion, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989,
und M. Brinkmann: Pädagogische Übung.
61 | Vgl. Brinkmann, Malte: »Vom Sinn des Übens. Die Pädagogische Übung
verstehen und gestalten«, in: Die Grundschulzeitschrift. Üben Situationen im
Unterricht gestalten, Jg. 27 (2013), S. 48-51.
Aufmerken und Zeigen 133
5. Pä d AGoGi sche ordnunG e n der Aufmerk s A mkeit
Aufmerksammachen findet in einem situativen und »thematischen
Feld«62 der Grenzziehung statt. Dieses thematischen Feld wird mittels er-
zieherischer Praktiken räumlich, sozial und thematisch eingegrenzt und
ausgegrenzt. Insbesondere die pädagogische Aufmerksamkeitspraxis hat
besondere Erziehungstechniken der Begrenzung, Eingrenzung und Aus-
grenzung (Foucault) sowie der Distinktion (Bourdieu) hervorgebracht,
mit denen die Störung der Aufmerksamkeit (attentio) durch andere The-
men oder andere Personen (Ablenkung) und die Abnahme oder Unterbin-
dung der Aufmerksamkeit durch Zerstreuung (distractio) gemindert wer-
den soll.63 Insofern ist die Praxis der Aufmerksamkeit im pädagogischen
Raum immer auch eine Machtpraxis.
Diese Lehrerin hat in einer Stillarbeitsphase eine Ordnung der Auf-
merksamkeit errichtet. Sie hat die Voraussetzungen für gemeinsames
62 | B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S. 102.
63 | Vgl. Kant, Immanuel: »Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie,
Politik und Pädagogik 2«, in: Weischedel, Wilhelm (Hg.), Werke. Band 12, Frank-
furt am Main: Suhrkamp 1977, Anthropologie § I.3.
Malte Brinkmann
134
Lernen in der Klasse hergestellt, Ablenkungen eingeschränkt und über
eine Aufgabe die Aufmerksamkeit fokussiert. In dieser Szene weist sie
einen Schüler zeigend auf einen Fehler hin, indem sie ihm, sich von
hinten nähernd, körperlich nah über die Schulter greift. Sie hat also,
traditionell gesprochen, die unwillkürliche Aufmerksamkeit einge-
schränkt, gelenkt und diszipliniert. Zugleich werden die Schüler in
die normative Ordnung der Schule und des Unterrichts als einer Ord-
nung der Aufmerksamkeit eingespannt. Diese Ordnung manifestiert
sich in der Sitzordnung und in Sozialformen sowie, leiblich erfahr-
bar, in der erzieherischen Bestimmung von Nähe und Distanz. In die-
sen Manifestationen werden sie als Ordnungen der Macht sinnfällig.
Diese Ordnungen der Aufmerksamkeit haben in der Pädagogik eine
lange Tradition. Aus dieser heraus lassen sich die tiefengeschichtlichen
Strukturen64 aktueller Praxen und Tendenzen besser verstehen. Ich
möchte daher in einem kurzen historischen Exkurs die pädagogischen
Praxen zur Aufmerksamkeitsherstellung kenntlich machen. In dieser
genealogischen Vergewisserung zur Geschichte der Aufmerksamkeit be-
schränke mich auf zwei wesentliche Aspekte: Aufmerksamkeit als sub-
jektives Phänomen des Willens und als pathologisches Phänomen.
exku rs: GeneAloGi e PädA GoGis c her or dnunGe n
de r Aufme rksAmkeit
Die Erweckung der Aufmerksamkeit ist schon in der aufgeklärten Päda-
gogik um 1800 ein Grundthema.65 Aufmerksamkeit wird als Vorausset-
zung für die Entwicklung der Verstandeskräfte angesehen und avanciert
zum Ausgangspunkt für pädagogisches Handeln.66 In dieser Zeit wird
zwischen äußerlicher und innerlicher, willkürlicher und unwillkürlicher
64 | Vgl. Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main: Fi-
scher 1991.
65 | Vgl. J. Scholz: Aufmerksamkeit im Schulmännerdiskurs der Sattelzeit, S. 37ff.
66 | Ehrenspeck, Yvonne: »Die Bildung der Aufmerksamkeit. Pädagogische Kon-
struktionen eines Wahrnehmungs- und Bewusstseinsphänomens im 18., 19. und
20. Jahrhundert«, in: Bilstein, Johannes/Brumlik, Micha (Hg.), Die Bildung des
Körpers, Weinheim u.a.: Beltz Juventa 2013, S. 78f.
Aufmerken und Zeigen 135
Aufmerksamkeit unterschieden.67 Aufmerksamkeit wird als Willensphä-
nomen, Unaufmerksamkeit als Willensschwäche gedeutet.68 Im Zuge der
sensualistischen Aufwertung der unteren Erkenntnisvermögen wird Bil-
dung als Verstandesbildung in einem prekären Dualismus eingespannt,
weil nämlich willkürliche Aufmerksamkeit immer in Gefahr steht, abge-
lenkt und zerstreut zu werden. Im Philanthropismus, etwa bei Campe,
Basedow und Rudoff, ersinnt die pädagogische Ref lexion über Aufmerk-
samkeit eine Fülle von aufmerksamkeitsfördernden Arrangements und
Übungen. Diese Übungen der Aufmerksamkeit sind im Kontext eines
Regimes der Willensbildung69 zu sehen, als pädagogische Eindämmung
und Disziplinierung unwillkürlicher Zerstreuung im Kontext einer Erzie-
hung zur Sittlichkeit.70
67 | A. Prondcynzky: Zerstreutheit vs. Aufmerksamkeit, S. 117.
68 | Y. Ehrenspeck: Bildung der Aufmerksamkeit, S. 83.
69 | Vgl. ebd., S. 33.
70 | Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wird Aufmerksamkeit im pädago-
gischen Diskurs der Schulmänner, eines sich herausbildenden pädagogischen
Establishments und vorschulpädagogischer Reflexion (Tenorth, Heinz-Elmar:
»Schulmänner, Volkslehrer und Unterrichtsbeamte: Friedrich Adolph Diesterweg,
Friedlich Wilhelm Dörpfeld, Friedrich Dittens«, in: ders. (Hg.), Klassiker der Pä-
dagogik. 1. Band: Von Erasmus bis Helene Lang, München: C.H.Beck 2003, S.
224-245), als Kollektivmerkmal von Unterrichtsklassen beschrieben (J. Scholz:
Aufmerksamkeit im Schulmännerdiskurs der Sattelzeit, S. 46). Bei Herbart fin-
det sich dann der erste systematisch ausgeführ te Versuch, Aufmerksamkeit als
pädagogischen Begriff zu fassen. Herbarts Beschäftigung mit der Kunst des Un-
terrichts macht deutlich, dass Aufmerksamkeit nicht einfach zu erzeugen ist,
sondern durch eine Didaktik als Kunst des Zeigens und der Artikulation (K. Pran-
ge: Die Zeigestruktur der Erziehung) hervorgebracht werden kann. Die volunta-
ristische Sicht auf Aufmerksamkeit (Nießeler, Andreas: »Die anthropologische
Bedeutung der Aufmerksamkeit: Anmerkungen zu einer zentralen Leistungska-
tegorie schulischer Bildung«, in: Neue Sammlung 37, H. 3 (1997), S. 459-474,
hier S. 464) wird von einer systematischen Reflexion der erzieherischen Prob-
leme der Erzeugung von Aufmerksamkeit durchkreuzt. Herbart konstatiert sehr
wohl, dass Aufmerksamkeit nicht einfach erzeugt werden kann, sondern einer
besonderen Achtsamkeit des Lehrers und einer Kunst des Unterrichts bedarf.
Hier zeigt sich eine pädagogische Reflexivität, die die Praxis des Unterrichts »als
ästhetische Darstellung der Welt« bestimmt, das heißt als ein Zeigen, das darauf
Malte Brinkmann
136
Die aus der Psychologie und aus der Anthropologie übernommene,
dualistische und voluntaristische Bestimmung der Aufmerksamkeit zwi-
schen willkürlicher und unwillkürlicher71 hat historisch zur Folge, dass
Unaufmerksamkeit zunehmend ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts als persönliche Unfähigkeit, als Makel und als Versagen des Willens
gesehen wird. Die »Entdeckung« des unaufmerksamen Schülers im Zuge
einer »pädagogischen Pathologie«72 macht den Schüler selbst für seine
Zerstreutheit und Nervosität verantwortlich. Aufmerksamkeit wird nicht
mehr vornehmlich als pädagogisches Phänomen (wie im Philanthropis-
mus oder bei Herbart), sondern als medizinisches und neurologisches
Phänomen bestimmt. Dieses medizinisch-psychiatrische Verständnis
von Aufmerksamkeit feiert heute immer noch unter den Titeln »ADHS«
und »Ritalin« Urstände und treibt weiter die Pathologisierung der Unauf-
merksamen voran.73 Das normale, aufmerksame Kind wird zum Garant
einer pädagogischen Ordnung, indem es sich selbst zu disziplinieren und
zu normalisieren hat – Montessori nennt das die Polarisation der Auf-
merksamkeit als Normalisierung.74 In dieser Hinsicht wird der unauf-
baut, dass sich etwas zeigt: »Die Vernunft vernimmt; und sie ur teilt, nachdem sie
vollendet vernahm« (Herbart, Johann Friedrich: Über die ästhetische Darstellung
der Welt als Hauptgeschäft der Erziehung, Weinheim: Beltz 1804 [1982], S. 63).
Vernunft wird hier nicht nur als Urteilsvermögen, sondern als Vernehmungsver-
mögen bestimmt, ein Vermögen, das auf ein Primat der Welt, das heißt dessen,
was vernommen wird, insistiert. Hier deutet sich die passive Seite der Aufmerk-
samkeit an: Das Sich-Öffnen gegenüber dem, was sich zeigt.
71 | A. Nießeler: Die anthropologische Bedeutung der Aufmerksamkeit, S. 464.
72 | Strümpell, Ludwig von: Die pädagogische Pathologie oder die Lehre von
den Fehlern der Kinder, Leipzig: Boehme 1890. Vgl. S. Reh: Der »Kinderfehler«
Unaufmerksamkeit, S. 73.
73 | Vgl. Rabenstein, Kerstin/Reh, Sabine: »Die pädagogische Normalisierung
der ›selbstständigen Schülerin‹ und die Pathologisierung des ›Unaufmerksa-
men‹. Eine diskursanalytische Skizze«, in: Bilstein, Johannes/Ecarius, Jutta
(Hg.), Standardisierung – Kanonisierung. Erziehungswissenschaftliche Reflexio-
nen, Wiesbaden: Springer VS 2009, S. 159-180.
74 | Vgl. Brinkmann, Malte: »Übung und Macht in der Pädagogik Montessoris:
Pädagogische Analysen zu Polarisiation, Normalisation und Hygiene«, in: Bühler,
Patrick/Bühler, Thomas/Osterwalder, Fritz (Hg.), Zur Inszenierungsgeschichte
pädagogischer Erlöserfiguren, Bern: Haupt 2013, S. 199-223.
Aufmerken und Zeigen 137
merksame Schüler nicht nur zum Deutungsmuster, sondern auch zum
Resultat einer Unterrichtsform, die auf kollektives Lernen ausgerichtet
ist.75
Pädagogische Ordnungen der Aufmerksamkeit, so lässt sich festhalten,
entstehen aus der erzieherischen Ein- und Ausgrenzung im themati-
schen Feld des Aufmerksam-Machens,
sind Praxen der Macht, die sich in materialen, leiblichen und institu-
tionellen Arrangements finden und
haben eine historische Tiefendimension, die genealogisch auf eine
Subjektivierung (Aufmerksamkeit als Phänomen des subjektiven Wil-
lens) und eine Pathologisierung (Normalisierung als Kalibrierung der
pädagogischen Ordnung) verweist.
6. Pr A xen PädAG oGisch e r interAt tentio n A l i tät
Die knappe genealogische Vergewisserung kann dazu dienen, für Zu-
schreibungen für Aufmerksamkeit (als Willensphänomen) und Unauf-
merksamkeit (als pathologisches Phänomen) auch im heutigen Unterricht
zu sensibilisieren. Im Folgenden soll das anhand von zwei Beispielen un-
ternommen werden – im ersten in Sinne einer Pathologisierung unauf-
merksamen Verhaltens. Im zweiten Beispiel wird umgekehrt eine kurze
Situation gelungener geteilter Aufmerksamkeit beschrieben. Obwohl das
wechselseitige Antwortgeschehen hier von Missverstehen durchzogen ist,
kann diese Szene als Beispiel einer Übung der Aufmerksamkeit gelten.
Dazu bedarf es allerdings einer Verschiebung der Perspektive auf das
Verhältnis von Ordnungserhaltung und Ordnungsbildung im Unterricht.
Die folgenden Beispiele stammen aus einem Projekt im Rahmen der
Berliner pädagogisch-phänomenologischen Unterrichtsforschung mit
dem Titel Szene (Schulunterrichtliches Zeigen und Negativität).76 Darin
75 | Vgl. S. Reh: Der »Kinderfehler« Unaufmerksamkeit.
76 | Vgl. M. Brinkmann: Phänomenologische Methodologie und Empirie in der
Pädagogik. Brinkmann, Malte: »Phänomenologische Erziehungswissenschaft. Ein
systematischer Überblick von ihren Anfängen bis heute«, in: ders./Rödel, Sales
S./Buck, Marc F. (Hg.), Pädagogik – Phänomenologie; Phänomenologie – Päd-
agogik. Verhältnisbestimmungen und Herausforderungen, Wiesbaden: Springer
Malte Brinkmann
138
wird Bildungstheorie und Bildungsforschung wechselseitig miteinander
in Bezug gesetzt. Dies wird in der qualitativen Bildungsforschung unter
dem Titel »Theoretische Empirie«77 zum Gegenstand methodologischer
und theoretischer Reflexion gemacht.78 Im Projekt wird Unterricht in un-
terschied lichen Schulformen (Gru ndschule, Gesamtschule, Gym nasium),
in zwei unterschiedlichen Jahrgangsstufen (Klasse 6, Klasse 9) und in
unterschiedlichen Fächern (Deutsch, Englisch, Chemie) untersucht. Die
Untersuchung verläuft mehrstufig: Der Feldforschung folgen videogra-
phische Untersuchungen und Interviews mit den Lehrerinnen und Leh-
rern. Als Vorbereitung auf die videographische Erfassung des Unterrichts
werden zunächst Feldnotizen und dichte Beschreibungen verfasst. Die er-
hobenen Daten werden mit Fachdidaktikern in dafür eingerichteten Da-
tensitzungen diskutiert, im Ganzen gesichtet und didaktische sowie sze-
nische Verlaufsprotokolle erstellt. Daran anschließend werden besonders
prägnante Szenen ermittelt und diese mikroanalytisch ausgewertet. Zum
Einsatz kommt dabei ein Partiturprogramm (Feldpartitur), das sowohl
für qualitative als auch quantitative Herangehensweisen einsetzbar ist.
VS 2016 (in Vorbereitung). Rödel, Sales S.: »Der Andere und die Andere. Über-
legungen zu einer Theorie pädagogischen Antwortgeschehens im Angesicht
von Dritten«, in: Brinkmann et al. (Hg.), Pädagogische Erfahrung, S. 199-222.
D. Wilde: Wieso ist das kein Spielzeug?
77 | Kalthoff, Herbert (Hg.): Theoretische Empirie. Zur Relevanz qualitativer For-
schung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.
78 | Brinkmann, Malte: »Pädagogische Empirie – Phänomenologische und me-
thodologische Bemerkungen zum Verhältnis von Theorie, Empirie und Praxis«,
in: Zeitschrift für Pädagogik, 61. Jg., H. 4 (2015), S. 527-545. Schäfer, Alfred/
Thompson, Christiane (Hg.): Arbeit am Begriff der Empirie. Wittenberger Gesprä-
che II. 2014, online abrufbar unter http://www.pedocs.de/volltexte/2014/9019/
pdf/Schaefer_Thompson_2014_Empirie.pdf. Thompson, Christiane/Jergus, Ker-
stin/Breidenstein, Georg (Hg.): Interferenzen. Perspektiven kulturwissenschaft-
licher Bildungsforschung, Weilerswist: Velbrück 2014. Miethe, Ingrid/Müller,
Hans-Rüdiger (Hg.): Qualitative Bildungsforschung und Bildungstheorie, Opla-
den, Berlin, Toronto: Babara Budrich 2012.
Aufmerken und Zeigen 139
6.1 Methodische Produktion von Unaufmerksamkeit
In einer Berliner 6. Grundschulklasse sollen die Kinder Schlüsselbegrif-
fe, die auf Kärtchen gedruckt sind, laut vorlesen und in eine logische Rei-
henfolge bringen. Sie sollen dann an der Tafel angeklebt werden. Dazu
sind sie auf der Rückseite mit einem Klebepunkt versehen. Die Lehre-
rin verteilt hierzu die Kärtchen an alle Schülerinnen und Schüler. Noch
während sie verteilt, beginnen die Schüler sich diese an die Stirn oder
an den Po zu kleben – versehen mit entsprechenden Kommentaren. Die
Kärtchen werden zum »Nummernschild« oder zum »Brett vorm Kopf«
usw. Die Lehrerin greift nach einiger Zeit ein mit den Worten: »So stopp
jetzt mal des ist kein Spielzeug [...], ist das klar?« Daraufhin stellen alle
Schülerinnen und Schüler ihren Umgang mit den Kärtchen ein und wen-
den sich der Lehrerin zu.
Diese Szene ließe sich zunächst als klassische Unterrichtsstörung
auffassen. Es fällt auf, dass die verwendeten Unterrichtsmaterialen
für die Schülerinnen und Schüler einen besonderen Reiz entwickeln,
auf den diese spielerisch antworten. Sie zweckentfremden die Kärt-
chen, geben ihnen einen anderen Sinn und zeigen diesen den ande-
ren, indem sie dabei auch sich selbst zeigen. Den Schülern fällt etwas
auf, auf das sie nicht aufmerksam werden sollen, das aber als Auffor-
Malte Brinkmann
140
derung fungiert. Der Aufforderungscharakter der Dinge79 gewinnt
hier Oberhand über die zweckbezogen und instrumentell eingesetzten
Materialen im Unterricht und erwirkt eine epidemisch sich ausbreiten-
de Unaufmerksamkeit. Die Ordnung des Unterrichts ist gestört. Der
Ausruf der Lehrerin: »des ist kein Spielzeug!« markiert diese Störung.
Gleichwohl macht die Lehrerin im Unterricht eigentlich alles richtig.
Sie wendet vieles an, was in der Lehrerausbildung mittlerweile als state of
the art des technisierten und methodisierten Unterrichts gilt. Hier lässt
sich deutlich die »merkwürdige Ehe«80 von technokratischer Steuerung
und reformpädagogischen Settings beobachten: Sie setzt unterschiedliche
Materialien und individualisierende und aktivitätsbezogene Lernformen
ein (wie die Gruppenarbeit); sie inszeniert häufig einen Phasenwechsel
verbunden mit einem Wechsel der Sozialform; sie beginnt die Stunden
mit einer ritualisierten Einstiegssequenz und sie setzt ein Belohnungs-
system ein, das am Ende der Stunde aufmerksames Verhalten mit Punk-
ten belohnt. Dies alles kann als Strategie effizienten class- room-manage-
ments gelten, das auf die Stärkung aufmerksamkeitsbezogener primärer
»kollektiver Handlungsvektoren« und die »Schwächung auftretender se-
kundärer Vektoren« zielt.81
Die kurzatmige Sequenzialisierung des Unterrichts führt dazu,
dass längere Phasen konzentrierten Arbeitens nicht mehr stattfinden.
Statt Auseinandersetzung mit der Sache wird Aktivität belohnt, die auf-
grund eines instrumentellen Verständnisses der Materialien ablenkend
und zerstreuend wirkt. Die Rituale und Belohnungssysteme nutzen sich
schnell ab und erzeugen ebenfalls Unaufmerksamkeit. Statt aber diese
Technologien in ihrem didaktischen Gehalt kritisch zu reflektieren, wer-
den sie nach einiger Zeit durch andere ersetzt. Im Interview erklärt die
Lehrerin, dass dies als »kreativer« Umgang mit den Technologien gelten
könne – so hätte es auch im Referendariat geheißen. Unruhe und Un-
aufmerksamkeit werden als Problem den Schülern zugeschrieben. Von
diesen sei nicht mehr zu erwarten, auch weil sie aus einem schwierigen
79 | C. Stieve: Von den Dingen lernen.
80 | Bellmann, Johannes/Waldow, Florian: »Die merkwürdige Ehe zwischen
technokratischer Bildungsreform und emphatischer Reformpädagogik«, in: Bil-
dung und Erziehung, Jg. 60, H. 4 (2007), S. 481-503.
81 | Ophardt, Diemut/Thiel, Felicitas: »Kompetenzen des Klassenmanagements.
Steuerung von Aufmerksamkeit«, in: Reh et al. (Hg.), Aufmerksamkeit, S. 183.
Aufmerken und Zeigen 141
sozialen Umfeld stammen (Neukölln) und viele verhaltensauffällig oder
ADHS-belastet seien. M.a.W.: soziale Benachteiligung wird mittels Zu-
schreibung als subjektives (pathologisches) Problem der Schüler ausgege-
ben, eine traditionelle Strategie im Umgang mit Unaufmerksamen. Die
Wirkung eines solchen technisierten Unterrichts ist pervers. Mit instru-
mentellen Mitteln soll er Aufmerksamkeit herstellen, bewirkt aber das
Gegenteil: Unaufmerksamkeit. Im Zuge eines instrumentellen Verhält-
nisses zu Theorien und Methoden können Probleme nur als subjektive
Probleme der Schüler, nicht aber als solche des Unterrichts ref lektiert
werden. Der technisierte Unterricht produziert unaufmerksame Schüler
und deprofessionalisierte Lehrer. Deprofessionalisierung zeigt sich hier
als fehlende didaktische Urteilskraft (Unfähigkeit Probleme als pädago-
gische zu reflektieren).
6.2 Fokussierte Aufmerksamkeit: Interattentionales Zeigen
Wird der Übergang vom Auffallen zum Aufmerken und ggf. zum Bemer-
ken weder als Problem eines subjektiven Willens noch als Frage einer
normalisierenden Ordnung, sondern als Übergangs- und Zwischenphä-
nomen gesehen, dann ergibt sich eine Verschiebung für die pädagogi-
sche Perspektive auf Aufmerksamkeit. Nicht mehr nur die ordnungssta-
bilisierenden und -erhaltenden Praktiken, sondern auch die Ordnung
unterlaufenden und damit neue Ordnungen hervorbringenden Aspekte
im interattentionalen Geschehen werden interessant.82 Diese lassen sich
meist dann beobachten, wenn die disziplinarische und thematische Ord-
nung in der Klasse schon »hergestellt« ist. Besonders auffällig sind da-
bei jene Prozesse, in denen das Wechselspiel zwischen Aufmerken und
Zeigen als Differenz deutlich wird. Diese sind Situationen responsiver
und geteilter Aufmerksamkeit, die zwischen erzieherischem Aufmerk-
sammachen und lernendem Aufmerksamwerden, zwischen Verstehen
und Nicht-Verstehen, Können und Nicht-Können sowie Intentionalität
und Negativität spielen. In ihnen verkörpert sich gleichsam der unsichere
Bezug im Wechselspiel von Sinnstiftung und Sinngebung. Ihr Sinn lässt
sich oftmals an den verkörperten Stellungnahmen zum Anderen ablesen.
82 | Zur Verhältnis von Ordnungserhaltung und Ordnungsbildung in der Erfah-
rung vgl. M. Brinkmann: Üben.
Malte Brinkmann
142
In einer pädagogischen Perspektive erhalten diese Situationen eine
bildungstheoretische und erziehungstheoretische Relevanz. Sie sind
bildungstheoretisch relevant, insofern subjektives Aufmerksamwerden
unterhalb der pädagogischen Ordnung als Beginn des Lernens möglich
werden kann. Sie sind erziehungstheoretisch relevant, insofern unterhalb
oder diesseits der pädagogischen Ordnung und Normalisierung einer-
seits und der pädagogischen Intentionen der Lehrkraft andererseits ein
Aufmerken und/oder Bemerken stattfindet, das sich nicht mit der Ord-
nung des Unterrichts deckt, das aber vielleicht gerade deswegen einen
Bildungssinn offenbart.
Auf der Abbildung sind links die Lehrerin und rechts ein Ausschnitt
einer Lerngruppe der 6. Jahrgangsstufe im Sitzkreis einer Deutsch-
stunde zu sehen. Schülerkamera- und Lehrerkameraperspektive sind
zusammengeschnitten. Es findet eine gemeinsame Suche einer Lö-
sung statt, die einem arithmetischen und moralischen Problem ent-
stammt. Die Lehrerin hatte Äsops Fabel »Die Krähe und der Krug«
vorgelesen bis zu dem Punkt, an dem das Problem exponiert wird.
Im Sitzkreis werden unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten disku-
tiert. Juri meldet sich. Es entspinnt sich folgender Dialog:
Aufmerken und Zeigen 143
01:30 L Mhm! Juri!
01:35 S Ehm, sie baut n Nest oben drauf, dann geht’se runter und baut da
nochmal n Nest bis se am Wasser is
01:43 L Also n Nest auf dem Krug?
01:47 S Aufm Krug und dann bohrt se da n Loch rein und baut unter dem
Nest da dran nochmal n Nest ...
01:51 L Aah! Also Hausbau rückwärts!? Das Hochhaus von oben angefangen?
Okee, auch ne Idee!
Im Video ist deutlich zu sehen, dass das gestische Zeigen den gesproche-
nen Worten vorgängig ist. Ostensives (vorzeigendes), repräsentatives (dar-
stellendes) und direktives (aufforderndes) Zeigen verschränken sich.83 Es
wird etwas gezeigt und im Sprechen auf das Gesagte bezogen, indem es
wieder gezeigt wird. So entsteht ein Moment intensiver geteilter Aufmerk-
samkeit unter Bedingungen einer schon existierenden unterrichtlichen
Ordnung. Offensichtlich ist auch, dass beide sich missverstehen. Die Leh-
rerin vollzieht nicht die Konsequenzen nach, die die Nestbautheorie für
die Lösung des Problems haben könnte. Schließlich werden die Aussagen
des Schülers relativiert: »Ok, auch ne Idee« und im Unterricht weiterge-
schritten. Deshalb kann der Schüler auch nicht bemerken, ob und warum
er das Problem gelöst bzw. nicht gelöst hat. Die Lehrerin fragt sokratisch
nach. Sie verschleiert einerseits ihr eigenes Wissen (warum sagt sie nicht
einfach die Lösung?) und will andererseits vielleicht aus didaktischen
Gründen zu diesem Zeitpunkt keine Diskussion von Lösungsmöglichkei-
ten, sondern nur eine Sammlung zulassen. Deshalb will sie vielleicht gar
nicht alles en detail verstehen, sondern lässt es zunächst für sich stehen.
Nimmt man die Nestbautheorie sachlich ernst, so ist festzustellen:
Diese Lösung ist umständlich. Es bleibt unklar, wie eine Krähe durch ei-
nen Gang ein zweites Nest unter dem oberen bauen könnte. Physikalisch
gesehen steigt aber dann der Wasserspiegel, das Problem wäre gelöst.
Obwohl in diesem Beispiel das interattentionale Antwortgeschehen
von einem Missverstehen durchzogen ist, lässt sich ein Aufmerken an
den Verkörperungen der Beteiligten deutlich ablesen: konzentriertes und
fokussiertes Zeigen, intensiver Blickkontakt, hohes Maß gegenseitiger
Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Im Unterschied zum ersten Beispiel
kann dieses als Beispiel für eine Übung der Aufmerksamkeit gelten –
83 | Vgl. K. Prange: Die Zeigestruktur der Erziehung, S. 66.
Malte Brinkmann
144
und zwar hinsichtlich der gegenseitigen Fokussierung als auch hinsicht-
lich der im Rahmen des Unterrichtsverlaufs ermöglichten Verzögerung.
Ob sich hier allerdings ein Bemerken oder gar eine Epoché eingestellt hat,
lässt sich nicht beurteilen.
7. schl us s
Ich habe an einigen Beispielen aus dem Forschungsprojekt Szene ver-
sucht deutlich zu machen, dass die Perspektive auf die Korrelation von
erzieherischem Zeigen und lernendem Aufmerken wichtige Aufschlüsse
hinsichtlich der Wirkung und Effekte erzieherischer Operationen geben
können. Bildende Erfahrungen und erzieherische Operationen werden
gleichermaßen qualitativ beschreibbar und intersubjektiv validierbar.
Für eine pädagogische Theorie der Aufmerksamkeit sind folgende As-
pekte bedeutsam:
1. Aufmerksam-Werden (als Auffallen, Aufmerken oder Bemerken
im Modus zunehmend fokussierter Aufmerksamkeit) ist bildungstheore-
tisch als Beginn von Bildung (Hegel) bzw. als lernende Erfahrung zu be-
stimmen. Es lässt sich erziehungstheoretisch als Wirkung von erzieheri-
schem Zeigen in der »ästhetischen Darstellung der Welt«84 im Unterricht
beschreiben. Sozialtheoretisch gesehen lässt sich pädagogische Aufmerk-
samkeit als ein interattentionales Geschehen fassen, in dem wechselsei-
tig jemand etwas vor anderen jemand anderem gezeigt wird und in dem
wechselseitig Wachheit und Achtsamkeit praktiziert wird.
2. Aufmerksamkeit wird geübt. Die pädagogische Übung der Auf-
merksamkeit ist eine verzögernde und wiederholende Lernform, die Zeit,
Muße und Ruhe erfordert. In einem methodisierten und technisierten
Unterricht, der durch kurzatmige Sequenzialisierung und inhaltsentleer-
ter Sozial- und Methoden-Arrangements gekennzeichnet ist, wird statt
Aufmerksamkeit Unaufmerksamkeit produziert. Das kann als ein Ergeb-
nis der videographischen Forschungen im Projekt Szene zur Korrelation
von Zeigen und Aufmerken im Unterricht festgehalten werden.
3. Pädagogische Übungen im Unterricht fungieren im Horizont päda-
gogischer Ordnungen. In einem kurzen genealogischen Abriss des päda-
84 | J.F. Herbart: Über die ästhetische Darstellung der Welt als Hauptgeschäft
der Erziehung.
Aufmerken und Zeigen 145
gogischen Diskurses des 19. Jahrhunderts konnten zwei wichtige Tenden-
zen herausgearbeitet werden: die Subjektivierung der Aufmerksamkeit
als Problem des Willens und die Pathologisierung des unaufmerksamen
Schülers als Effekt eines Unterrichts, der Schüler als Kollektivsubjekt be-
handelt. Im Beispiel zeigen sich daher die zuvor genealogisch aufgewiese-
nen Strukturen: Unaufmerksamkeit wird sowohl als subjektives Problem
in die Verantwortung des Schülers gestellt als auch als pathologisches
Phänomen beschrieben.
4. Findet interattentionale Aufmerksamkeit im Unterricht statt, dann
ereignet sie sich – das zeigt das zweite Beispiel aus dem videographischen
Forschungsprojekt Szene – in Situationen intensiver geteilter Aufmerk-
samkeit und wechselseitigem, leiblich-fundiertem Zeigen. Sie manifes-
tiert sich als ambivalentes Geschehen in der und gegen die Ordnung des
Unterrichts, in dem sie – wie hier – im Missverstehen die Grundlagen für
Verzögerung und Fokussierung legt.
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ABB ildun Gen
Alle Abbildungen: Screenshots aus dem Video-Datenmaterial von
Prof. Dr. Malte Brinkmann (Humboldt-Universität zu Berlin, Kultur-,
Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät, Institut für Erziehungs-
wissenschaften, Abteilung Allgemeine Erziehungswissenschaft)
... Neben der leiblich-verkörperten Dimension wurde zweitens mit der Zeigeforschung deutlich, dass Zeigen auf Aufmerksamkeit, genauer auf ein Aufmerken, gerichtet ist. (Tomasello 2009;Kade 2011;Dinkelaker 2015;Waldenfels 2005;Brinkmann 2016 ...
... Die leib-und aufmerksamkeits-theoretische Bestimmung und Erfassung des Zeigens hat schließlich Konsequenzen für seine sozialtheoretische Bestimmung. Interattentionalität wurde als situative Verschränkung von zeigendem Aufmerksam-machen und lernendem Aufmerksam-werden erfasst(Brinkmann 2016). Die Sozialität des Zeigens manifestiert sich in einem wechselseitigen Antwortgeschehen, in Situationen, in denen etwas gezeigt wird und in verkörperter und verbaler Form auf das vom Anderen Gezeigte bezogen wird, indem es wiedergezeigt wird(Brinkmann und Rödel 2018). ...
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Im Zuge einer langjährigen theoretischen und empirischen Auseinandersetzung, die sich in drei empirischen Projekten der pädagogisch-phänomenologischen Unterrichtsforschung (Schulunterrichtliches Zeigen und Negativität – SZENE (2014–2017), Triangulation im Unterricht – TRI-U (2018–2019) und Praxen der Aufmerksamkeit im Unterricht – PAU (2018–2020) niedergeschlagen hat, wurde eine Weiterführung und Erweiterung der Zeigeforschung im Kontext der phänomenologischen Praxeologie vorgenommen. Im Folgenden werden die Erträge dieser theoretisch-empirischen Forschungen (vgl. Meseth et al. 2016) entlang dreier Thesen der Operativen Pädagogik Klaus Pranges vorgestellt und mit systematischen Fragen nach der Interattentionalität (2), Sozialität und Existenzialität (2) und Mundanität (4) des erzieherischen Zeigens verbunden. Es wird damit theoretisch und empirisch nach dem Wie? (2), dem Wer? (3) und dem Was? (4) des Zeigens gefragt. Abschließend werden die Überlegungen in sechs Punkten zusammengefasst und für eine Ausblick auf eine Praxeologie der Erziehung als Praxis interattentionalen Zeigens (5) fruchtbar gemacht.
... The reference to objects in the perceptual environment of both participants, "behind the flowerpot there" (47), initiates the patient's overlapping subsequent utterance, first an ironic attribution of "cute" (48) and then another overlapping placed acknowledgment of the perception, which can also be called "to attend to" (s. German "aufmerken" in Brinkmann, 2016). Noticing establishes the attentional space as shared (Tomasello and Rakoczy, 2003; cf. ...
Article
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Introduction The study focuses on the orientation to being recorded in therapy sessions, emphasizing that these practices adapt to specific circumstances and influence subsequent actions. The study suggests a way to deal with the insolubility of the “observer paradox”: to accept that observation has an impact on the observed, but that the recorder is not necessarily a negative determinant. Furthermore, the study builds on the idea that participants' orientations to the recorder can be seen as actions. Methods The data included in this study were collected from four psychodynamic therapies. A total of 472 sessions were searched for orientation to be recorded. Twenty-three passages were found and transcribed according to GAT2. Of the 23 transcripts, six excerpts have been analyzed as part of this article. The analysis of this study was done through Conversation Analysis. Results The study explores how participants use the orientation to be recorded to initiate or alter actions within conversations, which can help achieve therapeutic goals, but can also hinder the emergence of a shared attentional space as the potential to disrupt the therapist-patient relationship. The study identifies both affiliative and disaffiliative practices, noting that managing orientation to be recorded in a retrospective design consistently leads to disruptive effects. Moreover, it highlights the difference between seeking epistemic authority (“being right”) and managing recording situations (“getting it right”) in therapeutic interactions as a means of initiating patients' self-exploration. Discussion The integration of recordings into therapeutic studies faces challenges, but it's important to acknowledge positive and negative effects. Participants' awareness of recording technologies prompts the need for a theory of observation in therapeutic interactions that allows therapists to visualize intuitive practices, incorporate active contributions, counteract interpretive filtering effects, facilitate expert exchange, ensure quality assurance, and enhance the comprehensibility of therapeutic processes. These aspects outline significant variables that provide a starting point for therapists using recordings in therapeutic interactions.
... reflexiven Empirie (Meseth et al. 2016;Kreitz et al. 2016) haben wir Bildungstheorie und Bildungsforschung in ein reflexives Verhältnis gebracht und Theorien generiert. 1 Wir haben eine Theorie der pädagogischen Erfahrung entwickelt (Brinkmann 2015a/b), Verkörperungen, Antwortgeschehen und Aufmerksamkeit als theoretische und empirische Grundlage und Operationalisierungen unseres Zugangs ausgewiesen (Brinkmann 2014(Brinkmann , 2016(Brinkmann , 2018c(Brinkmann , 2019, eine Theorie pädagogischen Verstehens auf Grundlage interkorporalen Antwortens (vgl. Brinkmann 2019b) sowie eine phänomenologische Videographie entwickelt (Brinkmann und Rödel 2018). ...
Chapter
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Wie kann man als qualitativ Forschende(r) etwas Fremdes als Fremdes sehen, erkennen, verstehen? Wie ist eine „Befremdung“ (Amann/Hirschauer 1997, S. 12), „Irritation“ (ebd., S. 38; Koller 2012b, S. 164), eine „Überraschung“ (Bourdieu 1993, S. 29) des eigenen Blicks, wie ist eine „Fremdheitserfahrung im Forschungsprozess“ (Koller 2012b, S. 164) möglich? Dieser Betrag möchte zeigen, dass die Voraussetzungen für Befremdung, Irritation, Überraschung im Forschungsprozess mit der phänomenologischen Epoché möglich werden können. So kann 1. eine Distanzierung von eigenen Vorannahmen – seien sie biographisch oder szientifisch, 2. eine Befremdung des Blickes durch und mit dem Material, 3. eine Reflexion der eigenen Vormeinungen, Vorurteile und Positionierungen 4. und schließlich ein Sehen-Lassen des Unüblichen und Überraschenden möglich werden. Zunächst werde ich im Kontext qualitativer (Bildungs-)Forschung forschungspraktische und methodologische Probleme der Distanzierung und Befremdung im Forschungsprozess aufweisen (1). Danach werden zwei Ausgangsprobleme qualitativer Forschung in phänomenologischer Perspektive exponiert: Zum einen die signifikative Differenz zwischen Erfahren und Beschreiben (2) sowie die naive oder natürliche Erfahrung im Feld (3). Dann werden Grundzüge der Epoché (bzw. eidetische Reduktion) genauer bestimmt und drei Modelle dieser Operation als Praktiken der Distanzierung vorgestellt (4). Diese werden an Beispielen aus Forschungsprojekten und aus Lehrveranstaltungen veranschaulicht und schließlich Konsequenzen für eine reflexive, theoretische Empirie und eine forschende Haltung ausgewiesen (5).
Chapter
Early in the COVID-19 pandemic, schools found in Zoom and other (typically business-oriented) video-conferencing systems a workable if incomplete substitute for conventional classroom instruction and interaction. Teachers and students sat in front of individual devices, screens, and cameras, and——using various online systems and services——engaged in a range of practices only broadly comparable to in-person teaching and study. How did educational practice adapt to this “virtual” setting? How do virtuality and reality interrelate pedagogically as counterparts? This paper addresses these questions by examining the online appearance of two acts or gestures that are said to constitute the “basic form” of education: pointing and showing (Zeigen). It focuses specifically on the way these gestures are realised through computer interfaces and “pointing devices”. Through reference to publicly available video recordings of teaching under pandemic conditions, virtuality is shown to appear not as the opposite of reality (however defined), but in part as an extension and amplification of indexical action and communication. Pointing is shown to be multiply-layered and——indexed, but as predominantly occurring as a “demonstrative” showing to would bring into presence to the student what is otherwise absent. At the same time—and despite the fact that the computer has been portrayed specifically as a pointing machine—it is the limitation of pointing operations, rather than their power.
Chapter
This article follows the thesis that the condition of possibility to perceive social phenomena as educational phenomena is related to affective dimensions. In order to develop this thought, practice-theoretical (1), neo-phenomenological (2), and new-materialist (3) approaches are explored in their inherent possibilities to frame affects in educational research. In their respective orientation, the three theoretical frameworks provide opportunities to explore affective dimensions of the social beyond representationalism and optimisation thinking. With the emphasis on moments of withdrawal and uncertainties, the norms through which educational science research is aligned with the requirement to contribute to the optimisation of education are questioned.
Chapter
Das Denken der Welt und die Erfahrung der Welt werden in diesem Text nicht vom Subjekt aus gedacht, sondern das Andere der Welt soll Einsatz- und Ausgangspunkt bildungstheoretisch orientierter Überlegungen werden. Ich gebe zunächst mit Nietzsche eine knappe genealogische Skizze der metaphysischen „Verfabelung“ der Welt, die in der Verschaltung mit den technischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Optimierungspraxen in eine Weltvernichtung führt, die sich aktuell in der Klima- und Umweltkrise manifestiert (1). Danach erfolgt eine metaphysikkritische Problematisierung der Bildungstheorie Humboldts (2). In Abgrenzung dazu wird Husserls antikopernikanische Bestimmung der Welt als Lebenswelt und Erde (3) sowie Heideggers Bestimmung der Weltlichkeit als Existential (4) vorgestellt. Beide Einsatzpunkte werden in bildungstheoretischer Perspektive diskutiert und am Beispiel der Bewegungserfahrung als negative und bildende Erfahrungen konkretisiert und zusammengeführt (5). Mit Fink wird sodann die oben genannte doppelte Negativität als mundane Struktur in Bildungserfahrungen aufgewiesen (6). Schließlich erfolgt ein Ausblick auf eine mundane Theorie der Bildung (7).
Chapter
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Zusammenfassung Der Beitrag argumentiert, dass die Handlungspraxis der Lehre operativ als idealtypische Form pädagogischer Zeigestruktur zu fassen ist. Im präsenzlosen Digitalsolipsismus an Universitäten während der coronapolitischen Schließungen kippte Lehre in operative Fehlformen des Lehrens. Diese Fehlformen sind keinesfalls harmlos, sondern zeitigen erheblich ungleichheitswirksame Effekte für Bildungsbiographien; ungleiche Lernvoraussetzungen werden erzeugt bzw. bereits vorhandene Differenzen im Chancengefüge verstärkt statt kompensiert. Dies bedeutet letztlich eine fatale pädagogische Regression in feudal-privatistische, neoliberalisierte Lehr-Lern-Verhältnisse, die aus ungleichheits-, vulnerabilitäts- und bildungsgerechtigkeitstheoretischer Überlegung aufs Schärfste zu verurteilen ist und künftig mit aller Kraft vereitelt werden muss.
Chapter
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Florian Dobmeier stellt sich in seinem Kapitel die Frage, wie eine Erziehung zur Kreativität gelingen kann. Im Wissen um das Paradoxon einer Kopplung von Kreativität und Erziehung entwickelt Dobmeier mit Bezug auf netzwerktheoretische Theorien eine präzise Beschreibung von potenziell ermöglichenden Lernsettings, in denen Kreativität befördert werden kann, beispielsweise durch die Schaffung von Gelegenheitsräumen und Anschlussmöglichkeiten. So weist Dobmeier nicht nur auf die Notwendigkeit sozialer Verschränkungen im akademischen Betrieb hin, sondern zeigt auch zielführend auf, wie solche Verschränkungen befördert werden können.
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These theoretical and empirical explorations aim at contributing to the phenomenology of intersubjectivity by opening up a pedagogical perspective on attention as a social and shared phenomenon in pedagogical situations in the classroom. In the first part, this paper develops a phenomenologically oriented theory of pedagogical attention. In the second part, this is made fruitful for videographic research in classrooms. First, I distinguish within shared attention between pointing 1 that is directed at drawing attention (Aufmerksam-machen) and learning in the sense of becoming attentive (Aufmerksam-werden) (1). Following an anthropological-phenomenological approach, pedagogical pointing and showing appears as an event in which something is shown to someone by someone in front of others (2). In a third step, educating is defined as showing the world (3). After that, in the sense of a phenomenology of attention, I distinguish between catching attention (Auffallen), becoming attentive (Aufmerken), and focusing attention (Bemerken) 2 and connect it with a pedagogical theory of practicing attention as a delay (4). In the next step, results from videographic empirical research in teaching and learning are presented. Pedagogical interattentionality is described here as an intensive, focused praxis of pedagogical practising and as an ambivalent and reciprocal praxis between pointing that is directed at drawing attention (Aufmerksam-machen) and learning in the sense of becoming attentive (Aufmerksam-werden) (5).
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Zunächst stelle ich Kernelemente des Übens anhand eines Beispiels zum leiblichen Üben vor. Danach werde ich auf psychologische Theorien zum Lernen und Üben eingehen. Es werden Kernelemente der Kompetenztheorie, der Expertiseforschung und der Kognitionstheorie benannt, im Hinblick auf die Praxis des Übens analysiert und jeweils nachgewiesen, dass darin der Übergang vom Wissen zum Können als Prozeduralisierung von gespeicherten, „deklarativen“ Informationen gefasst wird. In Abgrenzung zum Prozeduralisierungstheorem der kognitiven Psychologie werde ich in einem dritten Schritt anhand eines Beispiels von Eugen Fink die Praxis der meditativen Übung genauer untersuchen. Hier lässt sich ein Spielraum des Übens und ein elementarer Zusammenhang von Wissen und Können finden, der den Einfall vorprädikativer und vorrationaler Reflexion in der Iteration markiert. Schließlich werfe ich einen Blick auf eine Didaktik der pädagogischen Übung sowie auf Felder einer noch zu entwickelnden Übungsforschung. Ziel dieser Überlegungen ist es, im Blick auf die Praxis des Übens diese sowohl den pädagogischen als auch den psychologischen „Verschattungen“ (E. Fink) zu entwinden und sie als elementare und primäre Lernform zu exponieren. Mit der damit verbundenen Umkehrung sollen Einsicht, Transfer, Motivation und Problembewusstsein als Funktionen der wiederholenden Übung exponiert werden.
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Im Unterschied zu einer Wissenschaft mit einem abgegrenzten Objektbereich, etwa der Geographie, ist Pädagogik durchzogen von der Doppelung, Theorie und Praxis zugleich zu sein. Das spannungsverhältnis von Wissenschaft und Lebenslehre, d.h. zwischen wissenschaftlicher Theorie und erzieherischer Praxis, macht die Besonderheit der Pädagogik aus. Allgemeine Erziehungswissenschaft kann das spannungsreiche Verhältnis von Theorie, Empirie und Praxis reflexiv und produktiv zu bearbeiten. Als theoretische, praktische und forschende Disziplin kann sie sich, wie ich zeigen möchte, als Erfahrungswissenschaft bestimmen, die nicht nur den wechselseitigen Bezug zur Praxis (als erfahrene und erfahrungsbasierte) offen hält, reflektiert und sich darin traditionell als Pädagogik versteht. Sie kann auch als empirisch-theoretische Disziplin erziehungswissenschaftliche Forschung betreiben, hier Impulsegeben und darin den kritisch-reflexiven Austausch zu anderen (Teil-)Disziplinen weiter pflegen. Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Thesen formulieren: Die erste besagt, dass Allgemeine Erziehungswissenschaft nicht nur den Begriff der Bildung, sondern auch und gleichermaßen jenen der Erziehung zu bearbeiten hat. Sie muss die im deutschsprachigen Raum traditionell normativ aufgeladene Debatte um den Bildungsbegriff aus der dualistischen Engführung herausholen und eine produktive Verbindung von Bildungstheorie, Lerntheorie und Erziehungstheorie ermöglichen, indem die traditionelle Fixierung auf das Subjekt zugunsten einer sozialtheoretischen Orientierung verschoben wird. Die zweite Weichenstellung betrifft das Verhältnis der Allgemeinen Erziehungswissenschaft zu anderen Teildisziplinen. Allgemeine Erziehungswissenschaft ist traditionell um einen kritisch-reflexiven Umgang mit pädagogischen Grundbegriffen und philosophischen und sozialwissenschaftlichen bemüht. Die vergleichende und reflexive Aufgabe kann sie besonders im Feld einer theoretischen Empirie übernehmen, indem sie das Theorie-Praxis-Problem ausweitet, ihr Verhältnis zur Empire produktiv reflektiert und als Forschung praktisch werden lässt. Damit kann sie nicht nur Geltungsansprüche von Theorien und Reichweiten von empirischen Forschungen kritisch prüfen, sondern auch Möglichkeiten ermitteln, aus reflexiv-empirischer Forschung neue theoretische Hinsichten zu generieren. Sie ist damit eine theoriegeleitete und theorieorientierte Disziplin, die nicht auf ein skeptisch-kritisches Ethos verzichten kann.
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Die konventionelle Doppelung von Pädagogik und Erziehungswissenschaft muss unter einer erfahrungstheoretischen und -wissenschaftlichen Perspektive nicht mehr aufrecht erhalten werden.. Erziehungswissenschaft richtet sich gleichermaßen reflexiv auf Theorie, Empirie und Praxis, in denen sich auf je unterschiedliche Weise Erfahrung artikuliert.
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Wie lernen wir von den Dingen? Das Verhalten von Kindern zeigt: Dinge sind nicht allein sachliche Objekte, über die wir als freie Subjekte verfügen. 'Eine Treppenstufe reizt das zweijährige Kind zum Heraufklettern und Herunterspringen; Türen reizen es zum Auf- und Zuschlagen, kleine Krümchen zum Auflesen' (Kurt Lewin). Dinge fordern heraus, wecken Gefühle, ziehen an oder schrecken ab – ob als Vermittler pädagogischer Absichten und gesellschaftlicher Zwecke oder im Widerspruch zu ihnen. Anhand phänomenologischer und gestalttheoretischer Ansätze führt Claus Stieve in die Bedeutung der Dinge in der Kindheit ein.
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‚Aufmerksamkeit‘ ist ein vager Begriff, der sich vielleicht wegen dieser Unbestimmtheit so gut eignet, auf vielen Feldern aufzutreten. So fungiert Aufmerksamkeit heute nicht nur als psychologisches oder philosophisches Konzept, sondern auch als Währung im durch Medien unterstützten Kampf um Distinktion. Die bloße Abweichung, das betonte Auffallen, die Erfüllung des Wunsches, endlich Blickfang zu sein, sind wichtig für jene, die nichts anderes haben, um beachtet zu werden, und für solche, die alles haben und nur so aus der Dichte der Prominenz herausragen. Aufmerksamkeit genießt eine historisch wechselhafte Wertschätzung.
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Klassenmanagement ist neben kognitiver Aktivierung und Motivierung eine zentrale Basisdimension der Unterrichtsqualität (Brophy und Good 1986; Wang et al. 1993; Marzano 2000; Marzano und Marzano 2003; Klieme und Rakoczy 2008; Hattie 2009; Kunter et al. 2011; Oliver et al. 2011). Unterrichtsqualität wiederum wird als „stabile[s] Muster von Instruktionsverhalten“ definiert, „das als Ganzes oder durch einzelne Komponenten die substantielle Vorhersage und/oder Erklärung von Schulleistung erlaubt“ (Weinert et al. 1989, S. 899).