Petrus von Cella, Abt verschiedener Klöster und zuletzt Bischof von Chartres († 1183), spricht von der Vielfalt der Arten, die Sünde zu erfahren: Multiformiter enim peccatum sentitur. Die Sünde erweise sich einem bald als Feuer, bald als Pech, bald als ein Stein und bald als Luft. Das erläutert er an Sündenstufen. Das Gefallenfinden an der Sünde mache sie zum Feuer, die Einwilligung und der
... [Show full abstract] Vollzug der Sünde mache sie zum Pech, die Gewohnheit mit dem Beharren in der Sünde mache sie zum Stein, im Zischen der Schlange (im Zuflüstern der Versuchung) erfahre man sie als einen Lufthauch.1 Feuer, Pech und Stein und Luft haben ihre einzige Gemeinsamkeit in ihrem Fungieren als Metaphern für die Sündenerfahrung (peccatum sentire), für das Leiden des Lebens in der Existenzbedrohung der sittlichen Gestalt des Menschen, die man mit der Theologie gemeinhin farblos Sünde nennt, ohne die nur metaphorisch zu beschreibenden Weisen der Erfahrung ihres Wirkens in den Blick zu nehmen. Von der Dogmatik haben wir keine Erschließung des Wesens der Sünde zu erwarten, wie sie die Sprache in meist unsystematischem Zusammenhang durch ihre Metaphorik bald bedacht, bald unwillkürlich immer wieder leistet. Die Sünde oder, unbiblisch gesprochen, die Schuld gehört zu den Urerfahrungen des Menschseins wie die Zeit, die Liebe und der Tod, deren allgemeingültige Definitionen als um so nichtssagender empfunden werden, als sie das jeweilig Besondere dieser existentiellen Grunderfahrung nicht erfassen können, wie es an einem Zipfel in den Blick kommt, wenn die Sprache die Sünde als ein Feuer, als ein Pech, als einen Stein, als einen Lufthauch charakterisiert. Erst die Metaphorik als hermeneutisches Prinzip der anthropologischen Erkenntnis solcher Phänomene wie der Zeit, der Liebe, des Todes und der Sünde eröffnet uns die Möglichkeit, über die Sprache Wege der Seinserhellung solcher Phänomene zu beschreiten, wie sie anders auch die Dichtung als eine noch weitere Erscheinungsform der Sprache auftut, wenn wir von der unerschöpflichen Fülle von Begegnungen mit diesem Phänomen in der Geschichte eines Lebens oder auch der Menschheit eine annähernde Vorstellung gewinnen wollen.2 Aus dem überreich bestellten weiten Feld der Metaphorik für die Sünde sei hier mit den Metaphern für die Sündenstufen nur ein kleiner Ausschnitt in den Blick genommen. Die in der Patri-stik ausgebildete und bis ins Hochmittelalter zu verfolgende, von der Theologie als solche bisher nicht wahrgenommene Tradition über eine Reihe von drei bis meist sieben, selten mehr Sündenstufen (gradus oder modi peccati), die von der ersten Versuchung bis zur theologischen Verzweiflung führen können, erfordert eine Metaphorik, die das Ganze des gradualistischen Prozesses eines Fortschreitens in der Sünde mit allen Phasen seines Ablaufs, unter Umständen samt seiner psychologischen Erfahrung darzustellen in der Lage ist. Damit ist ein sehr spezieller, aber auch eigenartiger Sektor aus dem Gesamtgebiet der Sündenmetaphorik hier zur Untersuchung ausgegrenzt.