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ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN
IN DER STADT
GESUNDHEIT SCHÜTZEN UND
LEBENS QUALITÄT ERHÖHEN
Herausgegeben von
Ingo Kowarik, Robert Bartz und Miriam Brenck
ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
IN DER STADT
GESUNDHEIT SCHÜTZEN UND
LEBENS QUALITÄT ERHÖHEN
Berlin, Leipzig 2016
IMPRESSUM | INH ALTSV ER ZEICHN IS 32
Naturkapital Deutschland – TEEB DE:
Gesamtprojekt und Einordnung des Berichts 6
Vorwort 8
Danksagung 9
1 Stadtnatur: Einleitung 12
1.1 Aus einer ökonomischen Perspektive auf die Natur schauen – warum? 13
1.2 Erhaltung des Naturkapitals als zentrale Herausforderung
in städtischen Räumen 14
2 Städtische Ökosystemleistungen und ihre Bewertung 22
2.1 Städtische Ökosystemleistungen 23
2.2 Ansätze zur Erfassung und Bewertung städtischer
Ökosystemleistungen 30
3 Stadtnatur fördert gute Lebensbedingungen 50
3.1 Stadtnatur fördert gutes Stadtklima 51
3.2 Stadtnatur fördert Klimaschutz 64
3.3 Stadtnatur fördert saubere Luft 71
3.4 Stadtnatur mindert Lärm 80
3.5 Stadtnatur sichert funktionsfähige Böden und Gewässer 86
4 Stadtnatur fördert die Gesundheit 98
4.1 Zum Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesundheit 99
4.2 Psychische Wirkungen von Stadtnatur 101
4.3 Physische Wirkungen von Stadtnatur 110
4.4 Ansätze zur Quantifizierung und ökonomischen Bewertung
der gesundheitlichen Bedeutung von Stadtnatur 115
4.5 Schlussfolgerungen für eine gesundheitsförderliche
Stadtentwicklung 117
INHALTSVERZEICHNISIMPRESSUM
Zitationsempfehlung
Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2016):
Ökosystem leistungen in der Stadt – Gesundheit schützen
und Lebens qualität erhöhen. Hrsg. von Ingo Kowarik,
Robert Bartz und Miriam Brenck. Technische Universität
Berlin, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ.
Berlin, Leipzig.
Berichtsleitung
Ingo Kowarik (Technische Universität Berlin – TUB),
Koordination: Robert Bartz (TUB)
Naturkapital – TEEB DE Koordinierungsgruppe
Bernd Hansjürgens (Helmholtz-Zentrum für Umwelt -
forschung – UFZ), Miriam Brenck (UFZ), Katharina Dietrich
(Bundesamt für Naturschutz – BfN), Urs Moesenfechtel
(UFZ), Christa Ratte (Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – BMUB),
Irene Ring (UFZ), Christoph Schröter-Schlaack (UFZ),
Burkhard Schweppe-Kraft (BfN)
Förderung und Fachbetreuung
»Naturkapital Deutschland – TEEB DE« wird als Forschungs-
und Entwicklungsvorhaben im Rahmen des Umwelt forschungs-
plans durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit
Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) gefördert. Fachbetreuung:
BfN, Fachgebiet | 2.1 Recht, Ökonomie, umweltverträgliche
regionale Ent wicklung.
Disclaimer
Die in diesem Bericht geäußerten Ansichten und Meinungen
müssen nicht mit denen der beteiligten Organisationen
übereinstimmen.
Lektorat
Sonja Macke (kontext umwelt)
Grafisches Konzept | Layout
Metronom | Agentur für Kommunikation und Design GmbH,
Leipzig
Titelbild
Baum am alten Luftschiffhafen, Tempelhofer Feld, Berlin.
(Foto: Christo Libuda, www.lichtschwaermer.de)
Gesamtherstellung
Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG
Erschienen 2016
Auflage
1.000
Dieser Bericht ist auf Magno Satin
(FSC-zertifiziertes Papier) gedruckt
ISBN: 978-3-944280-35-6
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: NATURLEISTUN GEN IN DER STADT
4 5NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT
5 Stadtnatur fördert sozialen Zusammenhalt 126
5.1 Stadtnatur und gesellschaftlicher Wandel 127
5.2 Urban Gardening: Experimentierräume für postmaterielle
Wohlstandsmodelle 128
5.3 Inklusion durch Austausch: der Beitrag von interkulturellen Gärten 132
5.4 Soziale Leistungen der Kleingärten für die Lebensqualität
in der Stadt 134
5.5 Grünräume im Wohnumfeld: Fördern und Profitieren 136
5.6 Zur sozialen Bedeutung wohnortnaher Grünräume 139
5.7 Brachflächen als neue Gelegenheiten der Freiraumnutzung 140
5.8 In-Kulturnahme nach Rückbau: Bedeutung von urbanem
Grün für schrumpfende Städte 140
5.9 Wassernahe Flächen: Orte der Erholung 141
6 Naturerleben, Naturerfahrung und Umweltbildung in der Stadt 146
6.1 Naturerfahrungsräume in der Stadt 148
6.2 Grüne Lernorte in der Stadt 155
6.3 Urbane Wildnis 165
7 Stadtnatur versorgt 170
7.1 Nahrungsmittel vor der Haustür 172
7.2 Sauberes Wasser aus dem Untergrund 179
7.3 Ökosystemleistungen des Stadtwaldes: Auf dem Weg zu einem
integrierten Waldmanagement 185
8 Stadtnatur als Standortfaktor 196
8.1 Stadtgrün und Immobilienwerte 197
8.2 Natur und Wirtschaft 203
9 Wege zur Umsetzung – Integration von Ökosystemleistungen in
Entscheidungen der Stadtentwicklung 216
9.1 Leitbilder erstellen, Orientierung bieten 218
9.2 Kommunizieren und Informieren 221
9.3 Beteiligen, Mobilisieren und Mitgestalten 228
9.4 Steuern und Entscheiden durch Planung 235
9.5 Ökonomische Fehlanreize vermeiden, positive Anreize setzen 251
10 Fazit und Handlungsempfehlungen 268
10.1 Ökosystemleistungen erhöhen die Lebensqualität und
Attraktivität von Städten 271
10.2 Multifunktionalität von Stadtnatur: Chancen und Herausforderungen 275
10.3 Ökosystemleistungen in kommunale Entscheidungen integrieren
und Handlungen anstoßen: Ansatzpunkte und Instrumente 279
10.4 Fazit 285
Glossar 288
Verzeichnis der Mitwirkenden 298
INHALTSVERZEICHNIS
6 7NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT GESAMTPRojEKT UND EINoRDNUNG DES BERICHTS
»Naturkapital Deutschland – TEEB DE« ist die deutsche Nachfolgestudie der inter-
nationalen TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), die den
Zusammenhang zwischen den Leistungen der Natur, der Wertschöpfung der
Wirtschaft und dem menschlichen Wohlergehen zum Thema hat. »Naturkapital
Deutschland – TEEB DE« will durch eine ökonomische Perspektive die Potenziale
und Leistungen der Natur konkreter erfassbar und sichtbarer machen. Mit der öko-
nomischen Abschätzung des Naturkapitals sollen die Leistungen der Natur bes-
ser in private und öffentliche Entscheidungsprozesse einbezogen werden können.
Damit kommt es zu positiven Mehrfachwirkungen bei verschiedenen gesellschaft-
lichen Zielen. Die Erhaltung und Förderung der natürlichen Lebensgrundlagen, der
biologischen Vielfalt und der damit verbundenen Leistungen führt zu wesentlichen
positiven gesellschaftlichen Effekten, die insgesamt eine sozial, ökonomisch und
ökologisch nachhaltige Entwicklung unterstützen. Letztlich dient das Projekt auch
zur Flankierung der Umsetzung von Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Naturschutz-
zielen und -strategien, insbesondere der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und
das Bundesamt für Naturschutz finanzieren das Projekt. Die Studienleitung liegt am
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Studienleiter ist Prof. Dr. Bernd
Hansjürgens. Das Projekt wäre ohne die starke ehrenamtliche Beteiligung zahl-
reicher Autorinnen und Autoren undenkbar gewesen.
Im Zentrum von »Naturkapital Deutschland – TEEB DE« stehen vier thematische
Berichte, die von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis erstellt
werden. Basis der vier Hauptberichte sind vorliegende Studien, Konzepte und Fall-
beispiele, welche die Leistungen der Natur in Deutschland für den Menschen deut-
lich machen. Die Berichte behandeln folgende Themen:
1) Naturkapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte;
2) Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen – Grundlage für menschliches
Wohlergehen und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung;
3) Ökosystemleistungen in der Stadt – Gesundheit schützen und Lebensqualität
erhöhen;
4) Naturkapital Deutschland – Neue Handlungsmöglichkeiten ergreifen.
Die ersten beiden Berichte zu »Naturkapital und Klimapolitik« und »Ökosystem-
leistungen in ländlichen Räumen« sind bereits erschienen, die wesentlichen
Ergebnisse sind jeweils in den »Schlussfolgerungen für Entscheidungsträger« fest-
gehalten. Ebenso erschienen sind eine Einführungsbroschüre und eine Broschüre
für Unternehmen:
Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung
Die Unternehmensperspektive – Auf neue Herausforderungen vorbereitet sein
Alle Dokumente sind als Download auf der Projektwebseite verfügbar
(www.naturkapital-teeb.de).
»Naturkapital Deutschland – TEEB DE« wird von einem Projektbeirat begleitet, des-
sen Mitglieder das Vorhaben fachlich beraten. Diesem Gremium gehören Persön-
lichkeiten aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Medien
an. Zudem gibt es eine Projektbegleitende Arbeitsgruppe, die der Information, Ver-
netzung und Einbindung von gesellschaftlichen Interessengruppen in das Projekt
dient. Hierbei sind Umwelt- und Wirtschaftsverbände, Bundesressorts, Bundes-
länder und kommunale Interessenvertreterinnen und -vertreter beteiligt.
Die vorliegende Veröffentlichung »Ökosystemleistungen in der Stadt – Gesund-
heit schützen und Lebensqualität erhöhen« stellt den dritten Bericht des Vor-
habens »Naturkapital Deutschland – TEEB DE« dar. Die Berichtsleitung liegt beim
Fachgebiet Ökosystemkunde/Pflanzenökologie der Technischen Universität Berlin,
Berichts leiter ist Prof. Dr. Ingo Kowarik.
Zielsetzung des Berichts ist es, die Zusammenhänge zwischen den vielfältigen Leis-
tungen der Natur, der menschlichen Gesundheit und dem Wohlergehen in attrak-
tiven Städten und Ballungsgebieten ins Bewusstsein zu rücken, die Leistungen und
Werte der Natur in urbanen Räumen sichtbarer zu machen sowie Vorschläge zur
besseren Berücksichtigung dieser Ökosystemleistungen in privaten und öffent-
lichen Entscheidungsprozessen zu unterbreiten. Diese Informationen sollen eine
Bewusstseinsbildung und konkretes Handeln unterstützen und letztendlich über
eine dauerhafte Sicherung und Förderung des Naturkapitals in urbanen Gebieten zu
Gesundheit und Wohlbefinden, wirtschaftlicher Entwicklung, gesellschaftlichem
Wohlstand und der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen.
7
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE:
GESAMTPROJEKT UND
EINORDNUNG DES BERICHTS
8VoRwoRT | DANKSAGUNG 9NATURK APITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEIS TUNGEN IN DER STADT
VORWORT
Städte sind die Orte, in denen die meisten Menschen leben und arbeiten. Mittler-
weile leben mehr als 50 Prozent der Menschheit in urbanen Gebieten – in Deutsch-
land sogar mehr als drei Viertel der Bevölkerung. Das Bedürfnis nach gesunden
Lebensbedingungen und danach, sich in den städtischen Wohn-, Arbeits- und
Freizeit-Umwelten wohlzufühlen, tritt mehr und mehr in den Vordergrund. Gleich-
zeitig wachsen die Herausforderungen im Zusammenhang mit den dynamischen
Veränderungen in Städten – nicht zuletzt auch aufgrund des Klimawandels. Damit
aber gewinnt auch die Einsicht an Bedeutung, dass wir Menschen zunehmend auf
Stadtnatur angewiesen sind. Kinder bewegen sich immer weniger in der freien
Landschaft. Die Natur, die sie erfahren, ist zumeist die Stadtnatur. Das urbane Grün
wird damit wichtiger denn je, denn es prägt unsere Lebensbedingungen und damit
auch uns. Zudem gewinnt Stadtnatur als Standortfaktor bei wirtschaftlichen Ent-
scheidungen an Bedeutung.
Ganz im Gegensatz dazu werden viele Entscheidungen hinsichtlich der Flächen-
nutzung in den Städten gegen das »Grün in der Stadt« getroffen. Straßen, Bebau-
ung und technische Infrastruktureinrichtungen nehmen immer mehr Flächen-
anteile ein. Angesichts zunehmenden Flächendrucks wird es immer schwieriger zu
rechtfertigen, dass Stadtgrün wichtig ist, und dieses zu erhalten und zu unterhal-
ten. Häufig wird Stadtnatur mehr als Kostenträger denn als Leistungserbringer ge-
sehen. Alternative Mittelverwendungen erscheinen daher allzu oft dringender als
die Beibehaltung oder gar Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für das Stadtgrün.
An dieser Stelle setzt der vorliegende »Naturkapital Deutschland – TEEB DE«-Be-
richt an: Wir wollen zeigen, dass sich die Erhaltung von Stadtnatur mit ihren vielen
naturnahen und kulturell geprägten Bestandteilen auf öffentlichen und privaten
Flächen lohnt, weil sie zum Gesundheitsschutz beiträgt und den sozialen Zusam-
menhalt befördert, weil sie Kindern und Jugendlichen oft den einzigen Weg bietet,
sich in einem naturnahen Umfeld auszuleben, und weil sie letztlich die Attrakti vität
von Standorten und Städten erhöht. Investitionen in das Naturkapital in Städten
sind daher »lohnende« Investitionen. Dazu müssen aber die vielen positiven Wir-
kungen des Stadtgrüns ins Bewusstsein aller Entscheidungsträger wie auch der
Wirtschaft und Gesellschaft gerückt werden. Das »Unsichtbare sichtbar machen«
ist das Motto. Es geht darum, die vielfältigen Leistungen der Natur zu erkennen,
ihren Wert und ihre Bedeutung zu erfassen und dies in privaten und öffentlichen
Entscheidungen über Flächennutzungen zu verankern.
Wir hoffen, mit diesem Bericht hierzu einen Beitrag zu leisten!
Berlin und Leipzig, im April 2016
INGO KOWARIK, ROBERT BARTZ, MIRIAM BRENCK, BERND HANSJÜRGENS
Herausgeber und Studienleitung
9
DANKSAGUNG
Am vorliegenden Bericht »Ökosystemleistungen in der Stadt – Gesundheit schützen
und Lebensqualität erhöhen« waren mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler sowie etwa 50 Gutachterinnen und Gutachter aus Wissenschaft,
Politik, Verwaltung und Gesellschaft beteiligt, denen wir an dieser Stelle danken
möchten. Unser besonderer Dank gilt vor allem denjenigen, die Berichtskapitel
koordiniert haben.
Wir möchten zudem den folgenden Gruppen und Personen unseren herzlichen
Dank aussprechen:
dem Projektbeirat »Naturkapital Deutschland – TEEB DE«:
Stefanie Engel (Universität Osnabrück), Uta Eser (Büro für Umweltethik),
Karin Holm-Müller (Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Mitglied im
Sachverständigenrat für Umweltfragen), Beate Jessel (Präsidentin des
Bundesamtes für Naturschutz), Marion Potschin (Universität Nottingham),
Christian Schwägerl (Wissenschafts-, Politik- und Umweltjournalist),
Karsten Schwanke (Meteorologe und Moderator), Antje von Dewitz
(Geschäftsführerin VAUDE), Angelika Zahrnt (Ehrenvorsitzende des Bundes
für Umwelt und Naturschutz – BUND).
der Projektbegleitenden Arbeitsgruppe »Naturkapital Deutschland – TEEB DE«:
Hans-Ulrich Bangert (Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz,
Landschaftspflege und Erholung – LANA, Sächsisches Staatsministerium für
Umwelt und Landwirtschaft), Rüdiger Becker (Kommunen für biologische
Vielfalt e. V., Stadt Heidelberg, Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und
Energie), Axel Benemann (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit – BMUB), Carolin Boßmeyer (»Biodiversity in Good
Company« Initiative e. V.), Ann Kathrin Buchs (Bund / Länder-Arbeitsgemein-
schaft Wasser – LAWA, Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie
und Klimaschutz), Deliana Bungard (Deutscher Städte- und Gemeinde -
bund), Andreas Burger (Umweltbundesamt – UBA), Wiltrud Fischer (Projekt -
träger des Bundesministeriums für Bildung und Forschung – BMBF im
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.), Claudia Gilles (Deutscher
Tourismus verband e. V.), Alois Heißenhuber (Wissenschaftlicher Beirat
des Bundes ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft – BMEL »Biodiver-
sität und genetische Ressourcen« , Technische Universität München),
Udo Hemmerling (Deutscher Bauernverband e. V.), Till Hopf (Naturschutz bund
Deutschland e. V. – NABU), Barbara Kosak (BMEL), Jörg Mayer-Ries (BMUB),
Günter Mitlacher (World Wide Fund for Nature – WWF Deutschland),
10 DANKSAGUNG 11NATURKAPITAL DEUTSCHL AND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUN GEN IN DER STADT
Michaela Pritzer (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur –
BMVI), Catrin Schiffer (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. – BDI),
Reinhard Schmidt-Moser (LANA, Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und
ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein), Annette Schmidt-Räntsch
(BMUB), Ulrich Stöcker (Deutsche Umwelthilfe e. V. – DUH), Magnus Wessel
(Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland – BUND), Markus Ziegeler
(Deutscher Forst wirtschaftsrat – DFWR), Jochen Zimmermann (Bundesminis-
terium für Wirtschaft und Technologie – BMWi).
den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Ressort-
forschungseinrichtungen des Bundes, u. a. im Kompetenzzentrum Naturkapital
des Bundesamtes für Naturschutz, die den Erstellungsprozess kritisch und mit
vielen hilfreichen Hinweisen begleitet haben.
Herausgeber und Studienleitung
ABBILDUNG Tempelhofer Feld in Berlin: multifunktionale Stadtnatur als Attraktion für Erholungssuchende und Touristen sowie als
Hotspot biologischer Vielfalt. Die Wertschätzung der Berliner Bevölkerung führte zur Erhaltung des gesamten ehemaligen Flughafen-
geländes als grüner Freiraum. (Foto: Ingo Kowarik)
STADTNATUR: EINLEITUNG 13
STADTNATUR: EINLEITUNG
1hohen »Gewinnen« der Bebauung zu stehen scheint. Eine
ökonomische Perspektive, die auch den Wert der Ökosys-
temleistungen von Stadtnatur ins Auge fasst, hilft, die tat-
sächlichen Kosten ihres Verlustes aufzudecken, um sie an-
gemessen in Entscheidungen berücksichtigen zu können.
Viele Menschen denken bei ihren Entscheidungen im
Grunde in ökonomischen Kategorien, d. h. sie wägen Vor-
teile und Nachteile von Alternativen ab. Das soll nicht be-
deuten, dass sie jede ihrer Handlungen exakt in »Heller und
Pfennig« abschätzen und ständig optimieren. Es weist aber
darauf hin, dass die Gefahr besteht, dass Entscheidungs-
träger nur den Dingen einen Wert beimessen, deren Preis
bzw. Wert sie kennen. Die Leistungen der Natur im Sinne
des TEEB-Ansatzes aus einer gesamtgesellschaftlichen Per-
spektive zu betrachten und sichtbar zu machen, zielt da-
her nicht auf die Vertreterinnen des Naturschutzes und
des Stadtgrüns – sie wissen um die Bedeutung der Natur.
Die ökonomischen Argumente sollen vielmehr diejenigen
Personen ansprechen, die sich oft nicht bewusst machen,
inwieweit ihre Handlungen als Unternehmerin, Konsument
oder als städtische Entscheidungsträgerin mit der Natur
und ihren Leistungen in Zusammenhang stehen und wel-
che Kosten und Nutzen sie verursachen.
Schließlich kann die ökonomische Perspektive auch zu ei-
ner größeren Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern
zur Mitwirkung in Entscheidungsprozessen beitragen. Die
Stadtbevölkerung wird nicht nur angeregt, sich ein Bild von
den Leistungen der Natur zu machen; sie soll auch – in Ab-
hängigkeit von der Art und Weise, wie der Wert der Stadt-
natur und ihrer Leistungen erfasst wird – aktiv ihre Präfe-
renzen äußern und zur Meinungsbildung beitragen.
Es wird deutlich: Eine ökonomische Perspektive kann dazu
beitragen, die Aufmerksamkeit für die Belange von Stadtna-
tur zu erhöhen; sie kann der Gesellschaft vor Augen führen,
was es bedeutet, Stadtnatur zu verlieren bzw. sie zu erhal-
ten; sie kann zu einer systematischeren Erfassung aller Vor-
und Nachteile einer Entscheidung anregen; und sie kann
mehr Raum für Beteiligungsmöglichkeiten von Bürgerinnen
und Bürgern in Entscheidungsprozessen bieten (Lienhoop
und Hansjürgens, 2010). Dabei wird bewusst ein breites Ver-
ständnis der ökonomischen Perspektive zugrunde gelegt, wie
auch in der internationalen TEEB-Studie »The Economics of
Ecosystems and Biodiversity« (»Die Ökonomie von Ökosyste-
men und Biodiversität«, TEEB 2010; siehe auch Infobox 1 – 1).
Hierbei handelt es sich um eine volkswirtschaftliche bzw.
gesamtgesellschaftliche Perspektive. Es stehen damit die
1.1 AUS EINER ÖKONOMISCHEN PERSPEKTIVE
AUF DIE NATUR SCHAUEN – WARUM?
Im urbanen Bereich, den Städten und ihren Randlagen, gibt
es vielfältige Natur – in Form von Straßenbäumen, begrün-
ten Dächern und Fassaden, Brachflächen, Gärten, Stadtparks,
Wäldern, Wiesen, Flüssen oder Seen. Diese Natur erbringt
ebenso vielfältige Leistungen, sogenannte Ökosystemleis-
tungen, und fördert so maßgeblich die Lebensqualität der im
urbanen Raum lebenden Menschen. Denn Stadtnatur trägt
zu körperlicher wie seelischer Gesundheit und damit zum
Wohlbefinden von Menschen bei; sie bietet Orte für Freizeit,
Begegnung und Austausch.
Aber warum sollen diese Leistungen der Stadtnatur aus
einem ökonomischen Blickwinkel betrachtet werden? Was
kann durch diese ökonomische Perspektive (siehe Info-
box 1–1) gewonnen werden? Ziel der Betrachtung der Natur
aus ökonomischer Perspektive ist es, zusätzliche Argumente
für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Natur und
ihrer Ökosystemleistungen zu entwickeln und mehr Men-
schen für dieses Anliegen zu erreichen. Dies lässt sich wie
folgt erläutern (siehe auch Kapitel 2 dieses Berichts sowie
Natur kapital Deutschland – TEEB DE, 2012):
Viele Leistungen der Natur sind »unsichtbar«. Die meisten
von uns nehmen sie wie selbstverständlich in Anspruch,
ohne sie bewusst wahrzunehmen. Das führt dazu, dass
für diese Ökosystemleistungen häufig keine oder nur eine
geringe Wertschätzung zum Ausdruck gebracht wird (z. B.
für die durch Bäume verbesserte Luftqualität; für die Fähig-
keit einer unversiegelten Fläche, Regenwasser aufzuneh-
men). In der Folge werden diese Leistungen meist vernach-
lässigt. Oft bemerken wir ihren Nutzen erst dann, wenn sie
uns auf einmal fehlen. Eine ökonomische Perspektive trägt
dazu bei, auf Leistungen von Stadtnatur aufmerksam zu
machen, ihre Wertschätzung zu erhöhen und zu verdeut-
lichen, dass es sich lohnt, sie zu fördern.
Entscheidungen, die die vielfältigen Ökosystemleistungen
in der Stadt und die damit verbundenen Werte für Men-
schen nicht berücksichtigen, führen oft zu einem Verlust
von Natur. Wie eindeutig scheinen die monetären Argu-
mente für die Ansiedlung eines Unternehmens auf einer
Freifläche zu sein: Sie bringt Arbeitsplätze, wirtschaftliches
Wachstum und höhere Steuereinnahmen für die Stadt-
kasse. Wie gering scheinen im Vergleich dazu die Kosten
durch den Verlust der Freifläche: Schließlich werden nur
einige Hektar Land versiegelt, deren Wert – üblicherweise
ausgedrückt im Bodenpreis – in keinem Verhältnis zu den
KOORDINIERENDER AUTOR
INGO KOWARIK
WEITERE AUTORIN UND AUTOREN
ROBERT BARTZ, MIRIAM BRENCK, BERND HANSJÜRGENS
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
BJÖRN BÜNGER, TILL HOPF, STEFAN KLOTZ, ASTRID MATHEY, KARSTEN
SCHWANKE, HENRIK VON WEHRDEN, ULRIKE WEILAND, ANGELIKA ZAHRNT
SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
1.1 Aus einer ökonomischen Perspektive auf die Natur schauen – warum? 13
1.2 Erhaltung des Naturkapitals als zentrale Herausforderung
in städtischen Räumen 14
1.2.1 Deutschland wird urbaner 14
1.2.2 Im Fokus des Berichts: Urbane Gebiete und Stadtnatur 17
1.2.3 Zentrale Herausforderungen in urbanen Gebieten 17
1.2.4 Aufbau des Berichts 19
Literatur 20
14 STADTNATUR: EINLEITUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 15
Interessen aller Menschen in urbanen Gebieten im Vorder-
grund – nicht einzel- oder betriebswirtschaftliche Interes-
senlagen. Wird in diesem Bericht von einem ökonomischen
Wert von Stadtnatur gesprochen, ist grundsätzlich dieses
gesamtgesellschaftliche Verständnis gemeint.
INFOBOX 1 – 1
Der TEEB-Ansatz: eine ökonomische Perspektive
auf die Natur
INFOBOX 1 – 2
Zunehmende Urbanisierung in Deutschland
Zwischen verschiedenen Ökosystemleistungen können zahl-
reiche Wechselwirkungen bestehen (vgl. Kapitel 2.1). Im Hin-
blick auf die Nutzung von Ökosystemleistungen sind hier-
bei v. a. Synergien und Trade-offs relevant. Der ökonomische
Ansatz hilft dabei, diese sich begünstigenden oder konkur-
rierenden Zusammenhänge deutlich zu machen. So besagt
die ökonomische Perspektive letztlich, dass es nichts um-
sonst gibt: Wenn wir städtische Flächen für eine Bebauung
nutzen, stehen diese Flächen für andere Zwecke nicht mehr
zur Verfügung. Wenn wir den städtischen Boden verdich-
ten, können wir dessen vielfältige Ökosystemleistungen, wie
u. a. Filter- und Gewässerschutzleistungen, nicht mehr in
Anspruch nehmen. Es kommt daher darauf an, durch eine
nachhaltige Nutzung von Flächen möglichst umfassende
Ökosystemleistungsbündel zu erhalten und zu fördern. Auf
diese Weise bleibt das Leistungspotenzial der Flächen erhal-
ten und sie können auch in Zukunft großen Nutzen stiften.
Der TEEB-Ansatz hilft städtischen Entscheidungsträgerinnen,
diese Informationen aufzugreifen und in ihrer Arbeit und
ihren Entscheidungen, die direkt oder indirekt die Nutzung
von Stadtnatur betreffen, angemessen zu berücksichtigen.
Der TEEB-Ansatz umfasst die folgenden Schritte: (1) Identi-
fizieren und Anerkennen, (2) Erfassen und Bewerten sowie
(3) das Berücksichtigen von Werten in Entscheidungen. Die
Anerkennung von Werten (1) ist geprägt durch die Sozialisa-
tion und kulturelle Prägung der Menschen einer Gesellschaft.
Das Erfassen dieser Werte (2) bezeichnet den bewussten Pro-
zess der Verdeutlichung von Werten mittels geeigneter An-
sätze und Methoden. Das Berücksichtigen von Werten der
Stadtnatur in Entscheidungen (3) zielt auf die Schaffung von
Instrumenten und Maßnahmen ab, die dazu führen, Aspekte
von Stadtnatur und ihren Leistungen in privaten oder öffent-
lichen Entscheidungen zu berücksichtigen, also in Wert zu
setzen (Inwertsetzung).
Hierzu kommt ein breites Methodenspektrum zur Anwen-
dung. Dabei sind die Methoden der Monetarisierung nur ein
Teil der möglichen Ansätze, die auf die Identifikation, Erfas-
sung und Bewertung von Stadtnatur und ihren Leistungen
abzielen (siehe Kapitel 2.2).
Im Jahr 2013 betrug der Anteil der Siedlungs- und Verkehrs-
flächen an der Gesamtfläche Deutschlands 13,6 % (StBA, 2015b).
Darunter entfielen 51,3 % auf Gebäude und dazugehörige Frei-
flächen, 37,3 % auf Verkehrsflächen, 8,7 % auf Erholungsflächen,
1,9 % auf Betriebsflächen ohne Abbauland und 0,8 % auf Fried-
hofsflächen (StBA, 2015c). Während im Jahr 2004 die Siedlungs-
und Verkehrsfläche täglich noch um 131 ha wuchs, verringerte
Das Ziel des Vorhabens »Naturkapital Deutschland – TEEB
DE« als Fortsetzung des internationalen TEEB-Prozesses ist
es vor diesem Hintergrund, die vielfältigen Werte der Natur
in Deutschland aufzuzeigen und Ansätze zu einer besseren
Berücksichtigung dieser in privaten und öffentlichen Ent-
scheidungen zu erarbeiten und zu kommunizieren.
Dazu entstehen vier thematische Berichte: Nach »Natur-
kapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte« (Natur-
kapital Deutschland – TEEB DE, 2015) und »Ökosystemleis-
tungen in ländlichen Räumen: Grundlagen für menschliches
Wohlergehen und wirtschaftliche Entwicklung« (Naturkapi-
tal Deutschland – TEEB DE, 2016) betrachtet der vorliegende
Bericht die Ökosystemleistungen in der Stadt, gefolgt von
einem abschließenden Bericht »Naturkapital Deutschland:
Neue Handlungsoptionen ergreifen – eine Synthese« (Natur-
kapital Deutschland – TEEB DE, in Vorbereitung).
Mit dem hier vorgelegten Bericht wird der Fokus auf die Leis-
tungen der Natur gelegt, die für Gesundheit und Wohlbefin-
den der Menschen in urbanen Gebieten von Bedeutung sind.
Aufgezeigt wird das breite Spektrum von Ökosystemleistun-
gen und Beispiele veranschaulichen, wie eine erfolgreiche
Inwertsetzung der Natur in Deutschland aussehen kann.
Die Adressaten dieses Berichts sind insbesondere kommu-
nale Entscheidungsträgerinnen, die die Entwicklung von
Städten beeinflussen und steuern, aber auch Stadtplaner
sowie Politikerinnen mit Bezug zur Stadtentwicklung. Nicht
zuletzt richtet sich der Bericht an die interessierte Öffentlich-
keit und damit an jeden Einzelnen, der sich fragt, ob und in-
wieweit er mit seinem Handeln zu einer nachhaltigen Stadt-
entwicklung beitragen kann.
1.2 ERHALTUNG DES NATURKAPITALS
ALS ZENTRALE HERAUSFORDERUNG
IN STÄDTISCHEN RÄUMEN
1.2.1 Deutschland wird urbaner
Mehr als die Hälfte (54 %) der Menschheit lebt heute in Städ-
ten (UN, 2014). In Deutschland leben sogar gut drei Viertel
der Bevölkerung in dicht oder mittelstark besiedelten Ge-
bieten (2012: 77 %; StBA, 2014a). Wir befinden uns, wie der
sich der tägliche Zuwachs danach kontinuierlich bis auf 70,5 ha
im Jahr 2013 (StBA, 2014b, vgl. auch Abbildung 1 – 1). Jedoch ent-
spricht dieser Wert immer noch einer Fläche von fast 100 Fuß-
ballfeldern (Feldmaße 105 m x 68 m, vgl. UEFA, 2010) und liegt
deutlich über dem Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.
Demnach sollen ab dem Jahr 2020 nicht mehr als 30 ha täglich
für neue Siedlungs- und Verkehrsflächen beansprucht werden.
ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan folgerichtig an-
merkte, im »urban millennium«. Urbanes Wachstum ist ein
globaler Megatrend, der künftig v. a. in Asien und Afrika zu
hochdynamischen Veränderungen führen wird. Aber auch im
bereits stark städtisch geprägten Deutschland werden wei-
ter Flächen zu Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt.
In den vergangenen Jahren waren dies etwa 73 ha pro Tag
(gleitender Vierjahresdurchschnitt der Jahre 2010 – 2013; StBA,
2015a; vgl. Infobox 1 – 2). Die Ausweitung urbaner Flächen er-
folgt ebenso außerhalb dynamischer Wachstumsregionen.
Auch in »schrumpfenden« Regionen, die durch Bevölkerungs-
rückgang und wirtschaftliche Probleme gekennzeichnet sind
(Oswalt und Rieniets, 2006), werden weiter neue Siedlungs-
und Verkehrsflächen ausgewiesen (Haase et al., 2013). Dabei
wachsen Städte in Deutschland vornehmlich auf Kosten von
Landwirtschaftsflächen.
ABBILDUNG 1 – 1 Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland seit dem Jahr 2001.
(Quelle: nach StBA, 2014b)
1
140
120
100
80
60
40
20
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Hektar pro Tag
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69,5
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117,5
106,2
96,1 95,3
78 76,7 73,6 70,5
30
ZIEL
Nachhaltigkeits-
strategie
16 STADTNATUR: EINLEITUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 17
INFOBOX 1 – 3
Was ist Stadtnatur?
Die stadtökologische Forschung des vergangenen Jahrhunderts
erbrachte die Erkenntnis, dass jeder Flächennutzungstyp in
Städten auch Lebensraum für Tiere und Pflanzen bietet und
in ökosystemare Prozesse eingebunden ist, bspw. über Was ser-
und Nährstoffkreisläufe. »Stadt« und »Natur« stehen daher
nicht grundsätzlich im Gegensatz zueinander. Allerdings wei-
chen Böden, Gewässer, Klima und die Pflanzen- und Tierwelt
in Städten meist erheblich von den ursprünglichen Bedingun-
gen ab. Ein Beispiel hierfür ist die starke Präsenz eingeführter
Pflanzenarten in Parks und Gärten und in der innerstädtischen
Flora (Sukopp und Wittig, 1998).
Stadtnatur kann durchaus unterschiedlich definiert werden
(z. B. Endlicher, 2012; Kowarik, 1992a; Wittig, 2002). In diesem
Bericht wird unter Stadtnatur die Gesamtheit der in urba-
nen Gebieten vorkommenden Naturelemente ein schließlich
ihrer funktionalen Beziehungen (Ökosysteme) verstanden.
Das Konzept der »vier Naturen« (Kowarik, 1992a, 2011) ver-
anschaulicht bildlich, dass es sich hierbei einerseits um ver-
schiedene Transformationsstadien der ursprünglichen Na-
tur handelt, andererseits aber auch um Naturelemente, die
gärtnerisch gestaltet worden sind oder nach tief greifenden
Standortveränderungen neu entstehen, bspw. auf urban-
indus triellen Brachen. Die Bestandteile der Stadtnatur vari-
ieren stark hinsichtlich ihrer kulturellen Prägung, der Über-
einstimmung mit ursprünglichen Bedingungen, der Präsenz
einheimischer und nicht-einheimischer Arten und damit
auch in ihrer ökologischen Neuartigkeit (»novel ecosystems«,
Hobbs et al., 2013; Kowarik, 2011).
Bei aller Unterschiedlichkeit haben alle Bestandteile der Stadt-
natur zwei wesentliche Gemeinsamkeiten: Sie werden zum ei-
nen direkt oder indirekt durch urbane Flächennutzungen und
die damit verbundenen menschlichen Aktivitäten beeinflusst.
Dazu gehören die Art und Intensität der Flächenbewirtschaf-
tung (einschließlich ihres Ausbleibens), Erholungsaktivitäten,
Stoffeinträge oder Veränderungen im Wasserhaushalt. Zum
anderen können alle Bestandteile der Stadtnatur grundsätz-
lich Ökosystemleistungen für die Stadtbevölkerung darbieten
und damit die Lebensbedingungen in urbanen Gebieten ver-
bessern. Deswegen wird hier einer umfassenden Definition
von Stadtnatur gefolgt, die sämtliche Naturausprägungen in
urbanen Gebieten einschließt (vgl. Abbildung 1 – 2).
ABBILDUNG 1 – 2 Stadtnatur als Oberbegriff für verschiedene Naturausprägungen, die in urbanen Gebieten vorkommen und
sich in ihrer Entwicklungsgeschichte und hinsichtlich ökologischer Eigenschaften und kultureller Prägungen stark unterscheiden.
(Eigene Darstellung/Ingo Kowarik)
urbanisiert werden, kann es in benachteiligten Stadtquar -
tieren durch den Fortzug wirtschaftlich stärkerer Bevölke-
rungsgruppen zu sozialer Segregation kommen, da nur weg-
zieht, wer es sich auch leisten kann (Jetzkowitz et al., 2007).
Andererseits weichen Menschen in einigen Städten auch auf
das Umland aus, weil innerstädtische Wohnungen zu teuer
geworden sind. Städte, die in ihren Zentren an Bevölkerung
verlieren, werden ökonomisch geschwächt, wenn sie eine
immer weniger ausgelastete Infrastruktur vorhalten müssen
(Eichstädt-Bohlig, 2003). Die anhaltende Zersiedlung steht
im deutlichen Gegensatz zum Ziel der nationalen Nachhal-
tigkeitsstrategie, die Ausweitung der Siedlungs- und Ver-
kehrsflächen zu begrenzen (Infobox 1 – 2).
»Innenentwicklung vor Außenentwicklung«
Mit diesem, einer nachhaltigen Flächenentwicklung verbun-
denem Leitbild versucht die Stadtplanung seit Längerem, die
Zersiedlung des Stadtumlands zu begrenzen. Der Erfolg ist
allerdings häufig beschränkt, weil politische Steuerungs-
instrumente andere Anreize setzen und damit zwischen den
Kommunen die Konkurrenz um Arbeitsplätze und Steuer -
einnahmen fördern (vgl. BfN, 2008). Eine Flächenentwicklung,
die auf Nachverdichtung im Bestand oder auf die Wieder-
nutzung von Brachflächen zielt, kann ebenfalls an Grenzen
stoßen und soziale Probleme verursachen (Deilmann et al.,
2005). Dies ist der Fall, wenn sich durch die Bebauung von
Freiflächen die Lebensbedingungen v. a. in solchen Stadtquar-
tieren verschlechtern, die mit Grün bereits unterversorgt sind,
und wenn zugleich der Bedarf an Freiflächenfunktionen auf-
grund einer erhöhten Bevölkerungsdichte zunimmt. Zudem
können Brachen auch für die biologische Vielfalt bedeutsam
sein (Bonthoux et al., 2014). Auch wenn Instrumente der
Landschaftsplanung und der Stadtplanung seit Langem
grundsätzlich dem Ziel einer sozial und ökologisch nachhal-
tigen Stadtentwicklung verpflichtet sind (Bott und Grassi,
2013; Ermer et al., 1996; Klemme und Selle, 2010), begrenzen
Flächenkonkurrenzen häufig Fortschritte in diese Richtung.
Eine wesentliche Ursache hierfür ist, dass die ökonomischen
Vorteile einer verstärkten Innenentwicklung oft bilanziert
werden (z. B. Wertschöpfung im Immobilien bereich), ohne
jedoch die volkswirt schaftlich ebenfalls relevanten Kosten
einzurechnen, die mit dem Verlust an Frei räumen verbunden
sein können (z. B. Wegfallen positiver Wirkungen auf die
Gesundheit; vgl. Kapitel 4).
Urbane Umweltbelastungen und Umweltgerechtigkeit
Eine Kehrseite urbaner Dichte sind Umweltprobleme, die zur
Minderung der Lebensqualität in Städten führen. Hitzestress
infolge eines überwärmten Stadtklimas, Feinstaub und Lärm
1.2.3 Zentrale Herausforderungen
in urbanen Gebieten
Angesichts der anhaltenden Urbanisierung Deutschlands
ist die Gewährleistung guter Lebensbedingungen in Städten
eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Eine nachhaltige, so-
zial und ökologisch verträgliche Entwicklung urbaner Gebiete
steht dabei vor erheblichen Herausforderungen:
Zersiedlung durch Ausweitung urbaner Flächen
Die Zersiedlung des Umlands führt häufig zum Verlust hoch-
produktiver Landwirtschaftsflächen, zu ökologischen Beein-
trächtigungen naturnaher Lebensräume, zur Land schafts-
zerschneidung und auch zu erhöhter Verkehrsbelastung.
Während die Lebensstile in wachsenden Umlandgemeinden
1.2.2 Im Fokus des Berichts: Urbane Gebiete
und Stadtnatur
Die zunehmende Urbanisierung verändert ganze Landschaf-
ten. Waren historische Städte räumlich klar von ihrem länd-
lichen Umfeld abgesetzt, so verschwimmen die Grenzen zwi-
schen Stadt und Land zunehmend. Landschaften werden
zersiedelt, Umlandgemeinden verstädtern. In wachsenden
Regionen wie um Frankfurt, Stuttgart oder München ent -
stehen sogenannte Zwischenstädte (Sieverts, 1997), in denen
typisch urbane Flächennutzungen mit Relikten von Agrar-
flächen und naturnahen Lebensräumen gemischt sind. In
Ballungsräumen wachsen ganze Städte zusammen und
bilden neue Stadtverbünde (z. B. »Metropole Ruhr«).
Angesichts der zunehmenden Verflechtung städtischer
und ländlicher Strukturen bezieht sich dieser Bericht allge-
mein auf urbane Gebiete. Damit sind Städte ebenso wie
ihr verstädtertes Umfeld gemeint, also auch die Zwischen -
räu me, die zwischen zusammenwachsenden Städten oder
zwischen einer Stadt und ihren Umlandgemeinden beste-
hen können.
Um die Rolle von Ökosystemleistungen für das Wohlbefinden
von Menschen in urbanen Gebieten angemessen einschät-
zen zu können, ist ein breites Verständnis von »Stadtnatur«
notwendig. Mit Stadtnatur ist daher hier die Gesamtheit
aller Naturelemente in urbanen Gebieten gemeint. Stadtna-
tur in diesem Sinne umfasst Relikte ursprünglicher Natur (z. B.
Wälder, Feuchtgebiete) und Reste agrarischer Landschaften
(z. B. Äcker, Wirtschaftsgrünland) ebenso wie Naturelemente,
die gärtnerisch geprägt sind (z. B. Gärten, Parks, Fassaden-
begrünung) oder die sich als neuartige Ökosysteme in Städ-
ten entwickelt haben, etwa auf urban-industriellen Brach-
flächen (Infobox 1 – 3).
1
Stadtnatur
Relikte ursprüngliche r
Naturlandschaften
Natur 1
Relikte ländlicher
Kulturlandschaften
Natur 2
Gärtnerische
Naturelemente
Natur 3
Neuartige wil de
Naturelemente
Natur 4
Übereinstimmung mit ursprünglicher Natur
Vorkommen einheimischer Arten
Ökologische Neuartigkeit
Vorkommen nichteinh eimischer Arten
Bereitstellung von Ökosystemleistungen
18 STADTNATUR: EINLEITUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 19
Hierbei wird für Entscheidungsträger jeweils offengelegt,
zu welchen aktuellen Herausforderungen Ökosystemleistun-
gen Lösungsbeiträge liefern können. Beispiele veranschauli-
chen, welche gesellschaftliche Bedeutung und damit volks-
wirtschaftliche Relevanz solche Leistungen haben. Diese
Beispiele beziehen sich zumeist auf die konkrete Situation
in Deutschland.
Kapitel 9 veranschaulicht planerische sowie ökonomische
Instrumente und deren Möglichkeiten und Grenzen, den Öko-
systemleistungsansatz verstärkt in die Entwicklung urbaner
Gebiete einzubringen.
Kapitel 10 stellt Ökosystemleistungen der urbanen Natur
als Schlüsselbeitrag einer nachhaltigen Stadtentwicklung
heraus. Stadtnatur als »grüne Infrastruktur« liefert einen
wesentlichen Beitrag zur Daseinsvorsorge. Diesen Beitrag
angemessen in Wert zu setzen und ihn auch angesichts zu-
künftiger Herausforderungen zu sichern und zu stärken, ist
eine wichtige Zukunftsaufgabe.
Botzat et al., 2016). Hier werden Chancen sichtbar, mit dem
Ökosystemleistungsansatz gleichzeitig die Lebensqualität
der Bevölkerung und die biologische Vielfalt in urbanen Ge-
bieten zu fördern.
1.2.4 Aufbau des Berichts
Dieser Bericht legt ein breites Spektrum an Ökosystem-
leistungen offen, die Stadtnatur in ihren vielfältigen Erschei-
nungsformen der verschiedenen urbanen Flächennutzungs-
typen für die Stadtbevölkerung und für die Attraktivität von
Standorten erbringen kann.
Kapitel 2 veranschaulicht wesentliche methodische Grund-
lagen und die diesem Bericht zugrunde liegende Systematik
von Ökosystemleistungen sowie verschiedene methodische
Ansätze, mit denen der gesellschaftliche Wert dieser Leistun-
gen bemessen werden kann. Ökosystemleistungen sind
bereits für urbane Räume quantifiziert worden – jedoch in
unterschiedlichem Ausmaß (Elmqvist et al., 2013; Haase et
al., 2014). Der Erkenntnisstand zu kulturellen Ökosystem-
leistungen, die Gesundheit und Wohlergehen von Menschen
in der Stadt direkt beeinflussen, ist geringer als bspw. bei
regulierenden Ökosystemleistungen. Auch kulturelle Ökosys-
temleistungen sind grundsätzlich quantifizierbar. Da ihre
Wahrnehmung und Wertschätzung jedoch sehr stark an
menschliche Bedürfnisse gekoppelt sind, die in verschiede-
nen gesellschaftlichen Gruppen stark variieren, sind die
Grenzen von Verallgemeinerungen schnell erreicht. Insofern
haben qualitative Bewertungen bei kulturellen Ökosystem-
leistungen in urbanen Gebieten einen besonderen Stellen-
wert in diesem Bericht.
In den Kapiteln 3 bis 8 wird auf der Grundlage des aktuellen
Wissensstands dargestellt, wie Ökosystemleistungen
die Lebensbedingungen für Stadtbewohner durch das Ver-
ringern von Umweltbelastungen verbessern (Kapitel 3),
die Gesundheit und den sozialen Zusammenhalt von
Menschen in der Stadt fördern (Kapitel 4 und 5),
Naturerleben und Umweltbildung möglich machen
( Kapitel 6),
die Basis für Naturprodukte sind, die zur Versorgung bei-
tragen (Kapitel 7), und
die Attraktivität von Standorten steigern (Kapitel 8).
Naturerfahrung und soziale Funktionen
Die verschiedenen Elemente der Stadtnatur haben wichtige
soziale Funktionen, die als öffentliches Gut umso bedeut-
samer sind, je beschränkter der Zugang gesellschaftlicher
Gruppen zu privaten Freiräumen ist. So kann der soziale
Zusammenhalt verloren gehen, wenn durch bauliche Verdich-
tung traditionelle (z. B. Kleingärten) oder neuartige Freiraum-
nutzungen (z. B. Naturerleben oder Urban Gardening auf
Brachen) gefährdet werden (vgl. Kapitel 5, 6). Kinder und
Jugendliche interagieren zunehmend weniger mit Natur-
elementen in ihrem Umfeld. Dies kann an einem unzu-
reichenden Angebot an Stadtnatur in ihrem Umfeld liegen,
aber auch an veränderten Lebensstilen (»Verhäuslichung«;
vgl. Kapitel 6, Zinnecker, 2001). Eine solche Natur ent -
frem dung kann die Entwicklung und Fähigkeiten von Heran-
wachsenden beeinträchtigen und möglicherweise auch ihr
Verantwortungs gefühl gegenüber der Natur verringern
( Miller, 2005). Soziale Leistungen der Stadtnatur angemessen
bei der Stadt entwicklung zu berücksichtigen, bedeutet eine
große Heraus forderung, da die Grenzen quantifizierender
Ansätze schnell erreicht sind. Umso wichtiger ist es, die quali-
tative Dimension dieser kulturellen Ökosystemleistungen in
Debatten um städtische Flächenkonkurrenzen einzubringen.
Biologische Vielfalt
Der Artenrückgang in Deutschland hält an. Die Urbanisie-
rung nimmt zu, und gleichzeitig schreitet die Intensivierung
der Landnutzung im ländlichen Raum voran. Vor diesem
Hintergrund gewinnt die Frage an Bedeutung, in welchem
Ausmaß Städte nicht nur zu einer Gefährdung, sondern auch
zur Bewahrung der biologischen Vielfalt beitragen. Urbane
Gebiete weisen eine überraschend hohe biologische Vielfalt
auf und beherbergen bspw. mehr Pflanzenarten als gleich
große Gebiete in ihrem ländlichen Umfeld (Kühn et al., 2004).
Allerdings ist die Populationsgröße bei vielen Arten in Städ-
ten sehr klein, und seltene und gefährdete Arten sind meist
auf besondere Lebensräume beschränkt (Kowarik, 1992b;
Wittig, 2002). Eine wesentliche Herausforderung des Natur-
schutzes besteht deshalb darin, die biologische Vielfalt der
verschiedenen städtischen Flächennutzungstypen so weit
wie möglich zu fördern und hierbei neben der öffentlichen
Hand auch andere Akteure der Stadtgesellschaft einzube-
ziehen. Dies erfordert integrative Ansätze, bspw. im Rahmen
kommunaler Biodiversitätsstrategien (Beispiel Berlin, vgl.
SenStadt, 2012), die den Ausbau einer grünen urbanen Infra-
struktur zur Stärkung von Ökosystemleistungen unterstüt-
zen können. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin,
dass mit zunehmender biologischer Vielfalt auch Ökosystem-
leistungen verstärkt werden können (Fuller et al., 2007;
beeinträchtigen die menschliche Gesundheit und verur sachen
erhebliche Kosten im Gesundheitswesen (vgl. Kapitel 3.1 –
3.4 sowie 4). Solche Umweltbelastungen können zur Ab-
wanderung in das Umland führen, was Kernstädte schwächt,
soziale Segregation bewirken kann und die Zersiedelung
des Stadtumlands weiter vorantreibt. Der hieraus erwach-
sende Handlungsbedarf wird durch mangelnde Umwelt-
gerechtigkeit weiter verstärkt: Umweltbelastungen sind
räumlich oft ungleich verteilt und betreffen verstärkt Ge-
biete, die von Bevölkerungsgruppen mit niedrigem sozioöko-
nomischen Status bewohnt werden und zugleich schlechter
als andere mit Freiräumen versorgt sind (Hornberg et al.,
2011). Dies kann zu einer Verschlechterung des Gesundheits-
zustandes der dortigen Bevölkerung führen (Schade, 2014).
Solchen Benachteiligungen durch eine höhere urbane
Umweltge rechtigkeit entgegenzuwirken, ist eine wesent-
liche Herausforderung zukünftiger Stadtentwicklung (Bunge
et al., 2011).
Klimawandel und grüne Infrastruktur
Die Notwendigkeit, städtische Umweltbelastungen zu min-
dern, wird durch absehbare Wirkungen des Klimawandels
weiter verstärkt. Eine erhöhte Wärmebelastung wird bspw.
Gesundheitsrisiken vermehren (Harlan und Ruddell, 2011).
Häufigere Extremereignisse wie Dürreperioden oder Un-
wetter erhöhen einerseits den Bedarf an ausgleichenden
Ökosystemleistungen der Stadtnatur. Andererseits schrän-
ken sie zugleich die Fähigkeit urbaner Ökosysteme ein,
solche ausgleichenden Ökosystemleistungen zu erbringen.
Die notwendige Anpassung und Stärkung von Stadtnatur
im Sinne einer »grünen Infrastruktur« (EU-Kommission, 2013)
als Teil der Daseinsvorsorge erfordert neue konzeptionelle
Ansätze (Heiland et al., 2012), aber auch finanzielle Anstren-
gungen der Kommunen. Tatsächlich sind die Haushalts- und
Personalmittel, die den für »Grün« zuständigen kommu nalen
Ab teilungen zur Verfügung stehen, seit Längerem rückläu-
fig. Bereits im Jahr 2007 hat der Sachverständigenrat für
Umweltfragen vor einer Überlastung und Überforderung der
entsprechenden kommunalen Bereiche gewarnt (SRU, 2007).
Ein Kernproblem bei der Verteilung öffentlicher Mittel ist die
vorherrschende sektorale Perspektive, nach der Stadtnatur
nur als Kostenfaktor gesehen wird, während die mit ihr ver-
bundenen positiven ökonomischen Effekte (z. B. im Gesund-
heitswesen) nicht zur Refinanzierung des Leistungserbrin-
gers verwendet werden. Eine Umfrage in deutschen Städten
hat ergeben, dass öffentliche Parks und Grünan lagen eine
sehr hohe Wertschätzung genießen und mehr als drei Vier-
tel der Befragten dafür plädieren, sie von Sparmaßnahmen
auszunehmen (FORSA, 2014).
20 STADTNATUR: EINLEITUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 21
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LITERATUR
STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG 23
STÄDTISCHE
ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
UND IHRE BEWERTUNG
22.1 STÄDTISCHE ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
KOORDINIERENDER AUTOR
INGO KOWARIK
WEITERER AUTOR
ROBERT BARTZ
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
STEFAN KLOTZ, HENRIK VON WEHRDEN, ULRIKE WEILAND, RÜDIGER WITTIG SOWIE WEITERE ANONYME
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
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zeigen dabei, dass Ökosystemleistungen im Einzelnen durch-
aus unterschiedlich definiert, kategorisiert und in Wert ge-
setzt werden können (Boyd und Banzhaf, 2007; Costanza et
al., 1997; Jax und Heink, 2015; Luederitz et al., 2015; Nahlik et
al, 2012; vgl. auch Kapitel 2.2). Daher ist es wichtig, eingangs
das diesem Bericht zugrunde liegende Begriffsverständnis
offenzulegen (vgl. Abbildung 2.1 – 1).
Die Bedeutung urbaner Natur für Stadtbewohner ist in
Deutschland seit Langem bekannt (z. B. Auhagen und Sukopp,
1983) und wird bei der Entwicklung städtischer Freiraum-
systeme durch die Landschaftsplanung berücksichtigt (z. B.
Ermer et al., 1996). Der Ökosystemleistungsansatz, der mit
dem Millenium Ecosystem Assessment (MA, 2005) der Ver-
einten Nationen und den nachfolgenden TEEB-Studien zu
einem internationalen Leitkonzept geworden ist, geht einen
Schritt weiter: Er bietet einen breiten konzeptionellen Rah-
men, um verschiedene Ökosystemleistungen systematisch
erfassen und ihnen einen gesellschaftlichen Wert beimes-
sen zu können. Die Bewertung der gesellschaftlichen Bedeu-
tung von Ökosystemleistungen kann qualitativ, quantitativ
und teilweise auch monetär erfolgen (Infobox 1 – 1). Der Öko -
ABBILDUNG 2.1 – 1 Gesellschaftliche Bedeutung von Stadtnatur, veranschaulicht durch das Konzept der Ökosystemleistungen : Der
Wirkungskomplex Stadtnatur – Ökosystemleistungen wird durch gesellschaf tliche Bedingungen sowie durch Entscheidungen zur Stadt-
entwicklung beeinflusst. (Quellen: eigene Darstellung nach de Groot et al., 2010; Potschin und Haines-Young, 2011; Ring et al., 2014)
2
private und öffentliche
Entscheidungen
(Inwert setzung von Ökosyste mleistungen)
z. B. Temp eratur-
regulation
ÖKOSYSTEM-
LEISTUNGEN z. B. we niger Hitzestress,
gesundheitliche
Belastung
NUTZEN
z. B. größeres
Wohlbefinden, geringere
Gesundheitskosten
WERTE
sozialer Kontext, Ethik, Recht, Ökonomie, Technik
GESELLSCHAFTLICHE BEDEUTUNG
Stadtentwicklung
Grüne Infrastruktur
Nutzung, Unte rhaltung, Ausbau
STADTNATUR
naturnah und gestal tet
privat und öf fentlich
Wälder, Gewässer,
Äcker, Grünland, Parks,
Hausgärten, Kl eingärten,
Friedhöfe, Straß en- und
Bahnränder, begrünte
Gebäude, Brach en u. v. a.
Biologische Vielfalt
Bestandteil e, Strukturen,
Prozesse, Funktionen
2.1 Städtische Ökosystemleistungen 23
2.1.1 Zum Begriff der Ökosystemleistungen in diesem Bericht 24
2.1.2 Nutzen und Werte von Ökosystemleistungen sind kontextabhängig 26
2.1.3 Wechselwirkungen zwischen Ökosystemleistungen 26
2.1.4 Ökosystemleistungen und biologische Vielfalt 26
Literatur 28
2.2 Ansätze zur Erfassung und Bewertung städtischer Ökosystemleistungen 30
2.2.1 Zu den Werten der Natur und ihrer Erfassung 30
2.2.2 Erfassung und Bewertung von Ökosystemleistungen auf der
Grundlage individueller Präferenzen 33
2.2.3 Erfassung und Bewertung von Ökosystemleistungen auf der
Grundlage sozialer Werte 38
2.2.4 Sozial-ökologische Ansätze zur Erfassung und Bewertung
von Ökosystemleistungen 43
Literatur 45
24 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 25
2
ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
BASISLEISTUNGEN
Nährstoffkreislauf
Bodenbildung
Primärproduktion
…
VERSORGUNGSLEISTUNGEN
Nahrung
Trinkwasser
Holz und Faser n
Brennstoffe
…
REGULIERUNGSLEISTUNGEN
Klimaregulierung
Hochwasserregulierung
Krankheitenregulierung
Wasserreinigung
…
KULTURELLE LEISTUNGEN
Ästhetik
Spiritualität
Bildung
Erholung
…
LEBEN – BIOLOGISCHE VIELFALT
BESTANDTEILE MENSCHLICHEN WOHLERGEHENS
SICHERHEIT
persönliche Sicherheit
gesicher ter Zugang zu Ressourcen
Sicherhe it vor Katastrophen
MATERIELLE GRUNDVERSORGUNG
angemessene Lebensgrundlagen
ausreichen de Versorgung mit
Nahrung und Nährstof fen
Unterkunft
Zugang zu Güter n
GESUNDHEIT
Lebenskraft
Wohlbefinden
Zugang zu sauber er Luft
und sauberem Wasser
GUTE SOZIALE B EZIEHUNGEN
sozialer Zusammenhalt
gegenseitiger Respekt
Fähigkeit, and eren zu helfen
ENTSCHEIDUNGS- UND
HANDLUNGSFREIHEIT
Möglichkei t, ein selbst-
bestimmtes Le ben zu
führen
Hintergrund werden im vorliegenden Bericht Basisleistungen
nicht systematisch adressiert.
Der Fokus des Berichts liegt somit auf Regulierungsleistungen,
kulturellen Leistungen und Versorgungsleistungen:
Regulierungsleistungen: Hierzu gehören die Verminderung
von Belastungen des Stadtklimas, der Luft oder der Gewäs-
ser, die wesentlich zur Umweltqualität in Städten beitragen.
Kulturelle Leistungen: Diese Kategorie umfasst u. a. posi-
tive Beiträge der Stadtnatur zur Erholung und Bildung von
Menschen in der Stadt sowie ihre spirituelle oder ästheti-
sche Bedeutung.
Versorgungsleistungen: Darunter fällt z. B. die Versorgung
mit Nahrungsmitteln aus urbanen Gärten, mit Rohstoffen
wie Holz aus Stadtwäldern oder mit sauberem Wasser für
die Trinkwassernutzung.
Der vorliegende Bericht zielt darauf, den aktuellen Kenntnis-
stand zu wesentlichen Ökosystemleistungen dieser drei Kate-
gorien mit Bezug auf urbane Räume in Deutschland abzubil-
den. Dabei wird nicht nach einzelnen Ökosystemleistungen
untergliedert, da diese jeweils zur Umsetzung verschiede-
ner Ziele beitragen können. Vielmehr ist der Bericht nach
verschiedenen Themenfeldern hoher gesellschaftlicher Rele -
vanz (z. B. Umweltbelastungen, Gesundheit) gegliedert, zu
denen jeweils die Funktionen, Nutzen oder Werte verschie-
dener Ökosystemleistungen zusammengeführt werden. In
Kapitel 3 werden bspw. Ökosystemleistungen dargestellt,
die zu verminderten Belastungen innerhalb städtischer
Lebensräume führen (z. B. durch Abkühlungseffekte, Bin-
dung von Schadstoffen, Regulierung des Wasserhaushalts).
Bei anderen Kapiteln steht der unmittelbare Nutzen für den
Menschen stärker im Vordergrund: zum Beispiel die positiven
Wirkungen auf die Gesundheit (Kapitel 4) oder auf den so-
zialen Zusammenhalt (Kapitel 5) von Menschen in der Stadt.
Der Klassifizierungsansatz des »Millennium Ecosystem
Assess ment« (MA, 2005) ist in den vergangenen Jahren in
unterschiedlicher Form weiterentwickelt und unterg liedert
worden (Hermann et al., 2011). Auf europäischer Ebene ent-
stand eine gemeinsame Klassifikation von Ökosystem-
leistungen (»Common International Classification of Eco -
system Services«, CICES; vgl. Haines-Young und Potschin,
2013). Auch hier werden die Kategorien Versorgungs- und
Regulierungsleistungen sowie kulturelle Leistungen unter -
schieden und weiter in Bereiche, Gruppen und Klassen
»Disservices« beschrieben und kategorisiert (Lyytimäki und
Sipilä, 2009; von Döhren und Haase, 2015). Dazu zählen bspw.
die Schädigung baulicher Strukturen durch Pflanzenwachs-
tum, gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Pflanzen
und Tiere (Allergien, Krankheitsübertragung) oder Gefähr-
dungen im Straßenraum durch Sichtbehinderung oder Ast-
brüche. Wenn ein zuvor schlecht mit Grün versorgtes Stadt-
quartier einen neuen Park erhält, kann dies durchaus auch
unerwünschte Folgen für die dort lebenden Menschen ha-
ben, beschrieben mit dem Begriff »grüne Gentrifizierung«
(Wolch et al., 2014). Disservices werden im vorliegenden Be-
richt nicht näher betrachtet; der Fokus liegt auf urbanen
Ökosystemleistungen und deren Nutzen und Werten für das
Wohlergehen der Menschen.
2.1.1 Zum Begriff der Ökosystemleistungen
in diesem Bericht
Unter Ökosystemleistungen werden in diesem wie in allen
»Naturkapital Deutschland – TEEB DE«-Berichten grundsätz-
lich »direkte und indirekte Beiträge von Ökosystemen zum
menschlichen Wohlergehen« verstanden, also Leistungen,
die den Menschen »einen direkten oder indirekten wirt-
schaftlichen, materiellen, gesundheitlichen oder psychischen
Nutzen bringen« (Naturkapital Deutschland – TEEB DE, 2012).
Im urbanen Kontext sind Ökosystemleistungen somit an der
Schnittstelle von Stadtnatur und Gesellschaft angesiedelt
(vgl. Abbildung 2.1 – 1). Stadtnatur kommt in allen städtischen
Flächennutzungen vor (vgl. Kapitel 1.2) und ist in einer Viel-
zahl von naturnahen (z. B. Stadtwälder), durch städtische
Nutzungen geprägten (z. B. Parks) oder ganz neuartigen
Ökosystemen (z. B. begrünte Dächer, Brachflächen) räum-
lich strukturiert und durch ökologische Prozesse funktional
organisiert (z. B. Wasser- und Nährstoffhaushalt, Populati-
onsdynamik von Tier- und Pflanzenarten). Mit ihren natür-
lichen und kulturell variierten Bestandteilen, Prozessen und
Funktionen ist sie die Voraussetzung für urbane Ökosystem-
leistungen.
Zu Ökosystemleistungen werden ökologische Funktionen
von Stadtnatur aber erst durch ihren Nutzen für die Gesell-
schaft. Die Bedeutung dieses Nutzens kann für einzelne Men-
schen, verschiedene gesellschaftliche Gruppen oder die Ge-
sellschaft insgesamt sehr unterschiedlich sein (s. u.).
Das von den Vereinten Nationen veranlasste »Millennium
Ecosystem Assessment« (MA, 2005) veranschaulicht die fun-
damentale Bedeutung von Ökosystemleistungen für das
menschliche Wohlbefinden (vgl. Abbildung 2.1 – 2). Dabei wer -
den drei Kategorien unterschieden, die einen unmittelbaren
Nutzen für den Menschen haben: Versorgungsleistungen,
Regulierungsleistungen und kulturelle Leistungen. Als wei-
tere Kategorie werden Basisleistungen (auch »unterstüt-
zende Leistungen«) genannt, die im engen Zusammenhang
mit Ökosystemfunktionen stehen. Hierzu zählen Prozesse
wie Bodenbildung, Nährstoffkreisläufe oder Photosynthese.
Auch Habitatfunktionen für die Tier- und Pflanzenwelt bzw.
die biologische Vielfalt werden in anderem Zusammenhang
gelegentlich als eigene Ökosystemleistung kategorisiert
(Mace et al., 2012). In Anlehnung an das MA (2005) sind bio-
logische Vielfalt und Basisleistungen der Ökosysteme eine
unverzichtbare Grundlage für Versorgungs-, Regulierungs-
und kulturelle Leistungen, haben aber keine unmittelbare
Verbindung zum menschlichen Wohlbefinden. Vor diesem
unter teilt. Dieser Ansatz, der aktuell noch weiterentwickelt
wird, soll es den Mitgliedstaaten der EU ermöglichen, ihre
Öko systeme und deren Leistungen einheitlich zu erfassen,
zu bewerten und somit nicht zuletzt die Verständigung
und Entscheidungsfindung auf EU-Ebene zu vereinfachen.
Ökosystemleistungen werden oft als Leistungen der Natur
betitelt (»Naturkapital Deutschland«). Der Wirkungsgrad
städtischer Ökosystemleistungen hängt dabei jedoch häufig
von menschlichen Handlungen ab und kann durch sie gestei-
gert werden (z. B. Pflege von Grünflächen, Straßenbäumen).
Prinzipiell können von Stadtnatur auch unerwünschte Wir-
kungen auf einzelne Individuen, Gruppen oder auf die Gesell-
schaft insgesamt ausgehen. Solche Wirkungen werden als
ABBILDUNG 2.1 – 2 Ansatz des »Millennium Ecosystem Assessment« zu Ökosystemleistungen und ihrer Bedeutung für das mensch-
liche Wohlergehen. (Quelle: übersetzt und veränder t nach MA, 2005; BfN, 2012)
26 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 27
Ein erster Schritt in diese Richtung ist durch die internatio-
nale Literatur zu städtischen Ökosystemleistungen (Elmqvist
et al., 2013; Haase et al., 2014) bereits gut gesichert und wird
durch diesen Bericht auch für Deutschland illustriert: die
Erkenntnis, dass das Vorhandensein von Stadtnatur in unter-
schiedlichster Ausprägung mit einer Vielzahl von Ökosystem-
leistungen verbunden und damit in höchstem Maße auch
volkswirtschaftlich relevant ist.
Ein zweiter Schritt adressiert die Frage, wie viel und welche
Biodiversität erforderlich ist, um eine bestimmte Ökosystem-
leistung zu erreichen. Hier bestehen allerdings noch erheb-
liche Forschungsdefizite (Mace et al., 2012; Jax und Heink,
2015). Die meisten Arbeiten zu urbanen Ökosystemleistungen
setzen auf der typologischen Ebene an und bilanzieren da-
bei Ökosystemleistungen von Gewässern, Wäldern, Parks,
begrünten Dächern, Brachen etc. oder vergleichen »grüne«
und »graue« Flächen (z. B. Haase et al., 2014). Hierbei wer-
den durchaus wichtige Unterschiede berücksichtigt, bspw.
die Ausbildung von Vegetationsstrukturen in Parks (Bjerke
et al., 2006).
Wenige Arbeiten untersuchen jedoch die Abhängigkeit der
Ökosystemleistungen einer Stadt vom Artenreichtum an
Tier- oder Pflanzenarten oder dem Vorkommen bestimmter
Arten. Einige Untersuchungen konnten solche Zusammen-
hänge nicht belegen (z. B. Luck et al., 2011; Dallimer et al.,
2012). Andere Arbeiten dagegen konnten klare positive Zu-
sammenhänge zwischen Artenreichtum und Ökosystem-
leistungen aufzeigen: In Sheffield war bspw. der Arten-
reichtum in Parks mit positiven psychologischen Wirkungen
bei Parkbesuchern verbunden (Fuller et al., 2007). In einer
Züricher Studie wurde die Aufwertung wohnungsnaher Flä-
chen positiver gesehen, auch mit erhöhter Akzeptanz von
Mietpreisaufschlägen, wenn diese mit artenreichem Grün-
land und dem Vorkommen seltener Tierarten verbunden war
(Obrist et al., 2012).
Auch wenn bislang Verallgemeinerungen nur begrenzt mög-
lich sind, gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Ökosystem-
leistungen durch eine höhere biologische Vielfalt gesteigert
werden können. So kann der Ökosystemleistungsansatz auch
zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Biodiversität
in urbanen Gebieten beitragen.
2.1.3 Wechselwirkungen zwischen
Ökosystemleistungen
Zwischen verschiedenen Ökosystemleistungen, aber auch
zwischen Ökosystemleistungen und Disservices, sind zahl-
reiche Wechselwirkungen möglich, die bei der Planung und
beim Management urbaner Freiräume zu berücksichtigen
sind (Haase et al., 2012). Relevant sind hierbei v. a. Synergien
und Trade-offs. Synergien liegen vor, wenn die Zunahme
einer Ökosystemleistung zur Verbesserung einer weiteren
Ökosystemleistung führt. Beispielsweise führen mehr Grün-
flächen meist zu positiven Wirkungen auf das Stadtklima und
steigern zugleich das Angebot kultureller Ökosystemleistun-
gen, wie etwa Erholung. Bei Trade-offs hingegen nimmt eine
Ökosystemleistung zulasten einer anderen Ökosystem-
leistung zu. So mindert z. B. die Pflanzung von Bäumen in
dichten Stadtquartieren meist die Überwärmung durch
Schattenwurf und Verdunstung. Jedoch können zu dichte
Baum -pflanzungen auch zu einer Verschlechterung der
Durchlüftung in engen Straßen führen und damit zu einer
Anreicherung von Schadstoffen (Vos et al., 2013). In diesem
Fall spricht man von »Service-Trade-offs«. Darüber hinaus
können zeitliche Trade-offs (z. B. Kosten jetzt, Nutzen später),
räumliche Trade-offs (Nutzen hier, Kosten dort) oder auch
Nutznießer-Trade-offs (einige gewinnen, andere verlieren)
vorliegen (Grunewald und Bastian, 2013; TEEB, 2009).
Solche Zusammenhänge sind bei der Implementierung des
Ökosystemleistungsansatzes in urbanen Gebieten zu beach-
ten, um vorhandene Naturressourcen optimal zu nutzen und
um Fehlentwicklungen zu vermeiden (Bennett et al., 2009;
Yang et al., 2015).
2.1.4 Ökosystemleistungen und biologische Vielfalt
Biologische Vielfalt auf all ihren Ebenen zu bewahren, ist ein
wesentliches Ziel der internationalen Umweltpolitik (Ȇber-
einkommen über die biologische Vielfalt«, CBD; Info-
box 2.1 – 1). Nach dem deutschen Naturschutzrecht gilt dies
ebenso für städtische Gebiete, die auch Gegenstand der »Na-
tionalen Strategie zur biologischen Vielfalt« sind (BMU, 2007).
Da Ökosystemleistungen ohne das Vorhandensein oder die
Wirkung einzelner oder mehrerer Komponenten der biolo-
gischen Vielfalt undenkbar sind, besteht eine große Chance:
zwei Ziele schneller und nachhaltiger zu erreichen, indem sie
miteinander in Bezug gesetzt werden. Das eine Ziel ist die
Erhaltung biologischer Vielfalt in urbanen Gebieten; das an-
dere besteht darin, Ökosystemleistungen in urbanen Gebie-
ten zu sichern und zu erweitern, um die Attraktivität und Le-
bensqualität von Städten zu stärken.
2.1.2 Nutzen und Werte von Ökosystemleistungen
sind kontextabhängig
Ein Stadtplatz an einem heißen Sommertag: Einige Men-
schen sonnen sich, andere drängen in den Schatten, den die
hier stehenden Bäume bieten. Dieses einfache Bild veran-
schaulicht, dass Menschen durchaus sehr unterschiedliche
Ansprüche an urbane Freiräume und die dort vorkommen-
den Naturelemente haben können. Dieselbe Ökosystem-
leistung, hier eine Temperaturminderung durch den Schatten
eines Stadtbaumes, kann daher einen unterschiedli chen Nut-
zen für einzelne Menschen oder auch für verschiedene ge-
sellschaftliche Gruppen haben. Die Bedeutung einer Ökosys-
temleistung ist daher nicht einfach zu verallgemeinern,
sondern hängt häufig vom gesellschaftlichen Kontext ab.
Neben rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingun-
gen oder den technischen Möglichkeiten einer Gesellschaft
ist hier v. a. der soziokulturelle Hintergrund von Bedeutung
(Brondízio et al., 2010; Scholte et al., 2015). Dies gilt insbe-
sondere für kulturelle Ökosystemleistungen, die in urbanen
Gebieten besonders wichtig sind. Sozialempirische Studien
belegen, dass die Wünsche an urbane Freiräume, z. B. im Hin-
blick auf Ausstattung, Größe, Vegetationsstrukturen, Natur-
haftigkeit u. v. a., deutlich zwischen verschiedenen demogra-
fisch oder sozio-kulturell differenzierten Gruppen variieren
können. Drei Beispiele:
(1) Die Wertschätzung unterschiedlicher Vegetationsstruk-
turen in Stadtparks hängt vom Alter, dem Bildungsgrad
und dem allgemeinen Interesse an Natur ab (Bjerke et
al., 2006).
(2) Der Migrationshintergrund spielt bei der Wertschätzung
von Ökosystemleistungen der Stadtwälder eine große
Rolle (Jay und Schraml, 2014).
(3) Präferenzen für wildnishafte – im Vergleich zu gärtnerisch
gepflegter – Straßenrandvegetation können sehr unter-
schiedlich sein (Weber et al., 2014).
Der gesellschaftliche Kontext spielt daher bei der Anerken-
nung, Bewertung und Inwertsetzung von Ökosystemleistun-
gen eine große Rolle. Auch wenn damit zusammenhängende
Herausforderungen bekannt sind (Jax et al., 2013; Scholte et
al., 2015), bestehen zu diesem Thema erhebliche Forschungs-
defizite, da nur sehr wenige Arbeiten die sozio-kulturelle
Vielfalt moderner Stadtgesellschaften bei der Analyse und
Bewertung von Ökosystemleistungen systematisch berück-
sichtigen (Botzat et al., 2016).
INFOBOX 2.1 – 1
Was ist »biologische Vielfalt«?
1992 wurde in Rio de Janeiro im Rahmen der UN-Konferenz
über Umwel t und Ent wicklung das Übereinkommen über die
biologische Vielfalt (»Convention on Biological Biodiversity«,
CBD) mit dem Ziel verabschiedet, die Erhaltung und nach -
haltige Nutzung der biologischen Vielfalt sicherzustellen.
Im Sinne des Übereinkomens wird unter biologischer Viel-
falt (kurz: Biodiversität) auch im vorliegenden Bericht die
Variabilität lebender Organismen und der von ihnen gebilde-
ten Komplexe verstanden. Biologische Vielfalt umfasst dabei
die folgenden drei Ebenen: a) die Vielfalt an Ökosystemen,
Lebensräumen und Lebensgemeinschaften, b) die Arten-
vielfalt und c) die genetische Vielfalt innerhalb der verschie-
denen Arten (siehe auch Wittig und Niekisch, 2014).
28 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 29
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LITERATUR
30 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 31
einen direkten oder indirekten Nutzen aus der Natur ziehen.
Man kann auch davon sprechen, dass hier das Angebot an
Naturleistungen unabhängig von der Nachfrage durch die
Menschen bewertet wird (Gómez-Baggethun et al., 2015).
Die Ökonomie schließt im Allgemeinen diesen Selbstwert
der Natur, der u. a. in Ethik, Philosophie und Kulturwissen-
schaften reflektiert wird, aus ihren Betrachtungen aus, da
sie auf dem anthropozentrischen Paradigma beruht.
Bei den hier betrachteten anthropozentrischen Werten kann
weiter zwischen der Bewertung durch subjektive Präferen-
zen von Individuen und durch Präferenzen der Gemeinschaft
unterschieden werden. Erstere werden häufig als im enge-
ren Sinne ökonomische Werte aufgefasst, während Letztere
auch als »soziale Werte« (Kenter et al., 2015) oder »kulturelle
Werte« (Gómez-Baggethun et al., 2015) bezeichnet werden
und ökonomische Werte im weiteren Sinne darstellen. Mit
diesem Begriff der sozialen Werte wird unterstellt, dass ein
Mensch als Mitglied einer Gemeinschaf t und im Hinblick
auf zukünftige Generationen andere Präferenzen äußert als
als Individuum. Er kann daher verschiedenen Leistungen der
Natur im Hinblick auf den gemeinschaftlichen Nutzen einen
anderen Wert zumessen als hinsichtlich seines individuellen
Nutzens (siehe Infobox 2.2 – 1). Wir verwenden im vorliegen-
den Bericht den Begriff der sozialen Werte grundsätzlich in
diesem Verständnis gemeinschaftlicher Werte.
Dies ist insofern bedeutsam, als die Art und Weise, wie wir
als Individuen oder als Gesellschaft bestimmte Werte wahr-
nehmen und zum Ausdruck bringen, auch die Art und Weise
prägt, wie wir mit der Natur und ihren Leistungen umgehen
und wie wir die Nutzung der Natur gestalten.
Es gibt somit – wie schon zuvor angedeutet – nicht den einen
Wert, sondern vielfältige Werte der Natur, beruhend auf un-
terschiedlichen Wertvorstellungen bzw. Werte-Paradigmen
(siehe Abbildung 2.2 – 1).
»Naturkapital Deutschland – TEEB DE« nimmt mit dem Öko-
systemleistungsansatz eine anthropozentrische Sicht auf
die Natur ein. Dies bedeutet, dass den verschiedenen Nut-
zen, die wir Menschen aus den Leistungen der Natur be-
ziehen, Werte zugewiesen werden. Diese Werte spiegeln
die Nachfrage nach Ökosystemleistungen wider (Gómez-
Baggethun et al., 2015).
Neben den Werten, die wir der Natur aus anthropozentri-
scher Perspektive beimessen und die wir mit dem Vorhaben
»Naturkapital Deutschland – TEEB DE« näher betrachten,
wird der Natur oft ein physiozentrischer Wert zugesprochen
(EPA, 2009; Krebs, 1996; WBGU, 1999). Hier wird von einem
Selbstwert der Natur »an sich« ausgegangen – unabhängig
von einer Wertschätzung durch den Menschen (vgl. Eser und
Potthast, 1999). Dieser Wert besteht, ohne dass Menschen
2.2 ANSÄTZE ZUR ERFASSUNG UND BEWERTUNG STÄDTISCHER ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
KOORDINIERENDE AUTORIN UND KOORDINIERENDER AUTOR
MIRIAM BRENCK, BERND HANSJÜRGENS
WEITERE AUTORINNEN UND AUTOREN
DAGMAR HAASE, VOLKMAR HARTJE, NADJA KABISCH, IRENE RING, DIETER RINK, WANDA BORN
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, BJÖRN BÜNGER, FABIAN DOSCH, MARCO FRITZ, SONJA GÄRTNER, STEFAN KÖRNER, ARMIN LUDE,
ASTRID MATTHEY, ELISABETH SCHWAIGER, BETTINA SCHWARZL, IRMI SEIDL, ULRIKE WEILAND, RÜDIGER WITTIG
SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
deutlich gemacht werden, wie wichtig es ist, Ökosystem-
leistungen sowohl quantitativ als auch von ihrer Bedeutung
und ihrem Wert her möglichst vollständig zu erfassen« (Na-
turkapital Deutschland – TEEB DE, 2012).
Für ein solches breites Verständnis von Werten der Natur und
einem Wertepluralismus sprechen v. a. zwei Gründe: Zum
einen kann eine Bewertung der Natur ganz unterschiedli-
che Zwecke verfolgen. Hierzu zählen etwa: Förderung des
Bewusstseins um die Bedeutung der Natur (Aufmerksam-
keitsmechanismus), Bilanzierung von Umweltleistungen für
Zwecke des volkswirtschaftlichen Rechnungswesens (Bilan-
zierungsmechanismus), Feedback an Stakeholder und/oder
Öffentlichkeit (Feedback-Mechanismus), Unterstützung bei
der Prioritätensetzung in politischen Entscheidungen (Ent-
scheidungsmechanismus), Informationen für die Auswahl
und das Design von Instrumenten, z. B. die Gestaltung von Aus-
gleichszahlungen, oder die Einbeziehung von Stakeholdern
durch die Anwendung bestimmter Bewertungsverfahren
(Informationsmechanismus) (Lienhoop und Hansjürgens,
2010; Gómez-Baggethun et al., 2015).
Zum anderen spricht für ein breites Verständnis von Wer-
ten und für Wertepluralismus, dass Bewertung immer kon-
textabhängig ist. Jede Bewertung hängt von komplexen
Rahmenbedingungen ab: von ökologischen, sozialen und kul-
turellen Gegebenheiten, von den Präferenzen der Individuen,
den Auffassungen der Gesellschaft, dem Wohlstand, der
wir tschaf tlichen Lage etc. (Brondízio et al., 2010; Vatn, 2009) .
Die Ausprägung dieser Faktoren ist situativ, raum- und zeit-
bezogen jeweils unterschiedlich. Sie hängt vom kulturellen
Rahmen und von der Prägung derjenigen ab, die diese Werte
ausdrücken. Dementsprechend sind auch Vorstellungen
der Menschen bezüglich der Werte der Natur unterschiedlich.
2.2.1 Zu den Werten der Natur und ihrer Erfassung
Fragt man nach der Bedeutung des Begriffs »Wert«, so er-
fährt man im Deutschen Wörterbuch (2015), dass es sich um
das »Wert-sein« eines materiellen oder immateriellen Ob-
jekts für einen Einzelnen oder eine Gemeinschaft in mehre-
ren Bedeutungsvarianten handelt. Dabei wird »Wert« in ei-
ner ersten Deutung als Entsprechung zum Preis als Äquivalent
eines Handelsobjekts gesehen, das in Geld oder in anderen
Zahlungsmitteln ausgedrückt werden kann. In einer zweiten
Deutung wird der Begriff weiter aufgefasst, im Sinne von
Geltung, Bedeutung oder Wichtigkeit einer Sache, einer
Person, eines Umstandes etc. Dies hängt auch mit der Wort-
herkunft von »Wert« aus der lateinischen Sprache (valor =
Geltung) zusammen.
Im Vorhaben »Naturkapital Deutschland – TEEB DE« fol-
gen wir mit dem Begriff des Wertes ausdrücklich dem zwei-
ten, breiten Verständnis: Wir betrachten sowohl Werte der
Natur, die sich monetarisieren, d. h. in Geldeinheiten aus-
drücken lassen, als auch Werte im Sinne der Bedeutung und
Wichtigkeit der Natur, die sich nicht monetär und häufig
auch schwer quantitativ abbilden lassen. Wenn wir vom öko-
nomischen Wert der Natur sprechen, meinen wir die volks-
wirtschaftliche oder gesamtgesellschaftliche Bedeutung
der Natur. Wir sehen uns damit in Einklang mit dem TEEB-
Ansatz »The Economics of Ecosystems and Biodiversity« (Die
Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität), in dem das
Nebeneinander unterschiedlicher Wertvorstellungen aner-
kannt und ein Wertepluralismus explizit betont werden. In
der »Naturkapital Deutschland – TEEB DE«-Einführungs-
broschüre wird festgehalten: »Bei der Erfassung der wirt-
schaftlichen Bedeutung der Leistungen der Natur kommt es
nicht in erster Linie darauf an, diese Werte in Geldeinheiten
zu fassen (Monetarisierung). Vielmehr soll grundsätzlich
ABBILDUNG 2.2 – 1 Werte der Natur. Der vorliegende Bericht nimmt eine anthropozentrische Perspektive ein und betrachtet daher
ausschließlich präferenzbasierte Werte. (Quelle: eigene Darstellung)
2.2
Werte der Natur
Anthropozentrische Sicht –
präferenzbasierte Werte
Physiozentrische Sicht
»Selbstzweck«
Soziale WerteIndividuelle Wer te Selbst wert der Natur
Ökonomische
Kosten-Nutzen-Betrachtung
auf individuellen
Präferenzen basierend
Gesellschaftliche Abwägung
als Ergebnis von
»übergeordneter Einsicht«
oder Diskursen
Verschiedene Ansätze
der Naturethik
z. B. Theologie,
Philosophie
32 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 33
ökonomische Zahlungsbereitschaftsstudien, die den Wert
von Stadtnatur in monetären Größen ausweisen
Über erweiterte Kosten-Nutzen-Betrachtungen können
diese verschiedenen Informationen auch in konkrete Ent-
scheidungen Eingang finden: Multi-Kriterien-Analysen (MKA)
erlauben auch die Berücksichtigung qualitativer Daten, d. h.
es lassen sich Kosten und Nutzen mit abbilden, für die keine
monetären Daten vorliegen (siehe Kapitel 3.5, Beispiel einer
MKA zur Entscheidung über Gestaltungsalternativen eines
Bebauungsplans).
2.2.2 Erfassung und Bewertung von
Ökosystemleistungen auf der Grundlage
individueller Präferenzen
Die Bewertung der Ökosystemleistungen städtischen Grüns
auf der Grundlage der individuellen Präferenzen ist der zen-
trale Ansatz der Wirtschaftswissenschaften, der das Konzept
der Analyse der Nachfrage nach privaten Gütern auf die Ana-
lyse der Nachfrage nach öffentlichen Gütern übertragen hat.
Als private Güter werden in der Regel die Güter bezeichnet,
die auf Märkten gehandelt werden. Im Gegensatz dazu sind
unter öffentlichen Gütern die Güter zu verstehen, die aus
unterschiedlichen Gründen nicht auf Märkten gehandelt
werden. Dies kann z. B. geschehen, indem eine staatliche
Organisation die Güter mithilfe von Steuermitteln, also durch
Zwangsabgaben, erzeugt. Beispiele sind öffentliche Grün-
anlagen oder Verkehrsampeln. Eine andere Möglichkeit ist,
private Grundeigentümer zu Handlungen zu verpflichten,
bspw. Landwirte zur Begrenzung des Einsatzes von Dünge-
mitteln, um die Gewässergüte zu verbessern und damit das
öffentliche Gut der Trinkwasserversorgung sicherzustellen.
Bei öffentlichen Gütern, wie sauberer Luft, kann niemand
von der Nutzung ausgeschlossen werden. Bei privaten Gü-
tern ist es umgekehrt: Ein Auto bspw. kann zu einem Zeit-
punkt nur von einer Person gefahren werden; andere kön-
nen vom Zugang leicht ausgeschlossen werden. Nutzer
privater Güter sind deshalb aufgefordert und bereit, für die
Nutzung bzw. den Kauf dieses Produktes entsprechend ih-
rer Wertschätzung und ihres Einkommens einen Preis zu
entrichten. Für die Abgrenzung dieser und anderer Güter-
gruppen sind noch weitere Gesichtspunkte bedeutsam (vgl.
Nowottny und Zabel, 2008; Stiglitz, 2000). Die Wertschät-
zung für alle Gütertypen wird als Zahlungsbereitschaft der
Käufer bezeichnet, die aufsummiert für alle potenziellen
Käufer durch die Nachfragekurve für ein Produkt (auch em-
pirisch) beschrieben wird.
INFOBOX 2.2 – 1
Individuelle Präferenzen und soziale Werte
Aus ökonomischer Sicht beruhen Entscheidungen über den
Schutz und die nachhaltige Nutzung der Natur auf den Präfe-
renzen der Individuen. Dabei umfassen die Präferenzen mögli-
cherweise auch Vorteile (Nutzen), die andere Menschen emp-
fangen. Dies ergibt sich aus dem ökonomischen Gesamtwert
(»Total Economic Value«): Menschen ziehen einen Nutzen dar-
aus, dass es anderen Menschen (altruistischer Wert) oder ihren
Kindern gut geht (Vermächtniswert). Ein gesellschaftlicher
oder sozialer Nutzen ergibt sich – im engeren Sinne der ökono-
mischen Bewertung – direkt aus der Summe der individuellen
Präferenzen.
Der soziale oder gemeinschaftliche Nutzen kann aber auch von
den summierten individuellen Präferenzen abweichen. Dies ist
dann der Fall, wenn Individuen in der Rolle als Staatsbürger an-
ders entscheiden, als wenn sie ihre Eigeninteressen verfolgen.
Es kommt zu gemeinsamen Werten (»shared values«, Gómez-
Bag gethun et al., 2015; Kenter et al., 2015). Die von einer Gemein-
schaft oder Gesellschaft als Ganzes vertretenen Werte wie die
Erhaltung der Natur für zukünftige Generationen, ein gerech-
ter Zugang zur Natur oder ästhetische Aspekte können Beispiele
dafür sein. Der Einzelne stellt bei Entscheidungen über gesell-
schaftliche Regeln unter Umständen sein eigenes Interesse zu-
rück, während er die Interessen der Gemeinschaft als Ganzes
berücksichtigt. Dies wird von Vatn (2009) als »We-rationality«
(Wir-Rationalität) bezeichnet, im Gegensatz zur »I-rationality«
(Ich-Rationalität), mit der eine Entscheidung im Eigeninteresse
des Einzelnen gemeint ist.
entsprechende Ansätze der »Inwertsetzung« mit geeigneten
Instrumenten abzielen.
Das weite Werte-Verständnis, das den »Naturkapital
Deutsch land – TEEB DE«-Berichten zugrunde liegt, erfordert
auch eine methodische Vielfalt, um diese Werte der Öko-
systemleistungen zu erfassen. In den folgenden Abschnitten
werden daher verschiedene methodische Ansätze zur Erfas-
sung und Bewertung urbaner Ökosystemleistungen im Hin-
blick auf die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen
aufgezeigt. Dahinter steht das Ziel, dass diese Informationen
schließlich im Sinne der Inwertsetzung von Ökosystemleis-
tungen in Entscheidungen berücksichtigt werden. Die hier
betrachteten methodischen Ansätze sind weder vollständig
noch überschneidungsfrei.
Die im engeren Sinne ökonomischen Bewertungsmethoden
erheben individuelle Präferenzen (siehe dazu Kapitel 2.2.2).
Die Präferenzen werden dabei als gegeben betrachtet und
können durch geeignete Bewertungsverfahren ermittelt
werden. Auch die gesundheitsbezogene Sicht kann diesem
Ansatz zugeordnet werden, da sie versucht, die Bedeutung
von Stadtnatur aus ihren Wirkungen auf die individuelle
Gesundheit und Lebensqualität der Menschen abzuleiten.
Oft werden gesundheitsbezogene Kostengrößen auch auf
volkswirtschaftlicher Ebene erfasst.
Die Einnahme einer ökonomischen Sicht auf die Natur
wird in Teilen der Öffentlichkeit kritisch gesehen. So wei-
sen in Deutschland insbesondere Vertreter der Heinrich-
Böll-Stiftung darauf hin, dass eine solche ökonomische
Sicht, wie sie auch dem Projekt »Naturkapital Deutschland –
TEEB DE« zugrunde liegt, einem Handel mit Naturressour-
cen und damit letztlich ihrem Ausverkauf Vorschub leiste.
Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Inan-
spruchnahme von Naturressourcen in sich entwickelnden
Ländern durch bestimmte Marktmechanismen, wie REDD
(»Reducing Emissions from Deforestation and Degradation«)
oder die Zahlungen für Ökosystemleistungen (»Payments
for Ecosystem Services«, PES), die zu einer Verdrängung hei-
mischer Landbesitzer durch multinationale Konzerne füh-
ren (Fatheuer et al., 2015). Diese Kritik findet an dieser Stelle
Zustimmung, jedoch nur sofern sie auf eine voreilige oder
nicht sorgsame Monetarisierung von Naturressourcen oder
die Überführung von Naturressourcen in Märkte abstellt,
selbst wenn diese als Steuerungsmechanismen wenig geeig-
net sind. Der pauschalen Ablehnung jeglicher ökonomischer
Überlegungen und Lösungsansätze im Bereich des Natur-
und Umweltschutzes wird jedoch nicht gefolgt (siehe auch
Hansjürgens, 2015). Es kommt vielmehr darauf an, die Vielfalt
von Werten der Natur explizit zu berücksichtigen und bei der
Inwertsetzung dem Charakter öffentlicher Güter Rechnung
zu tragen, d. h. Entscheidungen über die Nutzung von Natur-
ressourcen durch politische Instanzen vorzunehmen, die auf
Partizipative oder deliberative Verfahren (Verfahren der Be-
teiligung oder »Aushandlung«) sind insbesondere für die Er
-
fassung sozialer Werte von Stadtnatur erforderlich (siehe
Kapitel 2.2.3). Sie werden auch als »architektonische An-
sätze« verstanden, da sie zum Ziel haben, gemeinsame Prä-
ferenzen zu entwickeln – im Sinne der Gemeinschaft oder
der Gesellschaft als Ganzes (Lienhoop et al., 2015).
Auch quantitative bio-physikalische und sozial-ökologische
Indikatoren sind notwendig, um Ökosystemleistungen in
Städten und ihre Bedeutung zu erfassen. Kapitel 2.2.4 be-
trachtet diese Indikatoren aus der Perspektive der »ökolo-
gischen Bewertung«, die insbesondere das Angebot, d. h.
das Ausmaß und die Verfügbarkeit an Ökosystemleistun-
gen im Fokus hat. Dem Großteil der Studien zur Erfassung
von Ökosystemleistungen liegt dieser angebotsbasierte
Ansatz zugrunde. Aus ökonomischer Perspektive ist diese
ökologische Bewertung zu weiten Teilen der Erfassung von
Ökosystemleistungen zuzurechnen und damit als wichtige
Vorstufe einer nachfragebezogenen und präferenzbasier-
ten Bewertung einzuordnen.
Wie kann mit diesen Daten weitergearbeitet werden?
Die im Folgenden dargestellten Ansätze zur Identifikation,
Erfassung und Bewertung von Ökosystemleistungen liefern
unterschiedliche Arten von Daten. Dies spiegelt sich selbst-
verständlich auch in den Inhalten des vorliegenden Berichts
wider. Die Darstellung der Bedeutung urbaner Ökosystem-
leistungen für Gesundheit und Lebensqualität in den Kapi-
teln 3 bis 8 zeigt, dass je nach Herangehensweise und Ver-
fügbarkeit von Daten auf verschiedenen Ebenen Ergebnisse
vorliegen können, wie:
qualitative Auswertungen von Ökosystemleistungen und
ihrer Wirkung auf Menschen, wie die Auswirkung tem-
peraturregulierender Leistungen des Stadtgrüns auf die
menschliche Gesundheit
quantitative Daten zu Ausmaß und Verfügbarkeit der Ökosys-
temleistungen, z. B. die CO2-Bindung eines städtischen Waldes
sozial-ökologische Indikatoren, die den Nutzen von Öko-
systemleistungen für Menschen abbilden, z. B. potenzielle
Energieeinsparungen durch begrünte Dächer und Fassaden
Nutzenbewertungen anhand von Indikatoren der Nach-
frage nach Ökosystemleistungen, z. B. Besucherzahlen in
einem Stadtpark
quantitative Daten zu Ausmaß und Verfügbarkeit der Ökosys-
temleistungen, z. B. die CO2-Bindung eines städtischen Waldes
34 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 35
Kompensation schätzen, die die Erhöhung des statistischen
Sterberisikos für eine Person bzw. einen Krankheitstag aus-
gleicht. Der Trade-off zwischen Risiko (z. B. Erhöhung des
Sterberisikos um 0,0002 %) und Kompensation ist für den
Einzelnen recht klein, aber multipliziert mit der betroffenen
Bevölkerung (für das Beispiel mit 500.000 Personen) ergibt
sich ein »Wert eines statistischen Lebens« (WSL oder »Value
of Statistical Life«, VSL, Robinson und Hammitt, 2013). Die
Zahlungsbereitschaft für eine Verminderung des Risikos
geteilt durch das Risiko ergibt den Wert für das statistische
Leben.
Der Kompensationswert für eine Erhöhung des Sterberisikos
ist als Nutzen für staatliche Maßnahmen zur Reduzierung
des Sterberisikos verwendet und dabei als statistischer Wert
für den Erhalt eines Lebens ex ante bezeichnet worden (vgl.
Viscusi und Aldy, 2003). Diese Bezeichnung hat vielfach zu
Irritationen geführt. Es wäre sicherlich genauer, ihn als ge-
zahlte Kompensation für eine Erhöhung des statistischen
Sterberisikos bzw. als implizite Zahlung für eine Verringerung
des statistischen Sterberisikos um ein Lebensjahr zu bezeich-
nen. Der Ansatz liegt über 60 Studien zugrunde. Dabei haben
unterschiedliche Herangehensweisen der Studien eine große
Bandbreite von Ergebnissen hervorgerufen (Viscusi und Aldy,
2003). Das hat dazu geführt, dass im anglo-amerikanischen
Raum von den Regierungen Richtlinien für ein statistisches
Leben entwickelt worden sind, die für staatliche Studien als
Vorgaben dienen. Diese weisen eine Bandbreite zwischen
2,0 und 7,4 Mio. USD pro VSL in den USA und zwischen 1,8 und
6,1 Mio. USD in Großbritannien und Kanada auf (Robinson
und Hammit, 2013).
Dieser Ansatz kann dann zur ökonomischen Bewertung der
Gesundheitseffekte von städtischem Grün genutzt werden,
wenn die Nutzung des Grüns oder seine Existenz zu einer
Verringerung des Erkrankungs- bzw. des Sterberisikos führt,
z. B. durch die Verringerung von Hitzestress. Dieser Bewer-
tungsansatz gilt in den Wirtschaftswissenschaften als ange-
messen, weil er auf dem praktizierten Trade-off der vom Ge-
sundheitsrisiko Betroffenen zwischen ihren Präferenzen und
ihrem Einkommen beruht. Die häufig verwendeten Kosten
der Behandlung gelten deshalb als eine weniger angemes-
sene Ersatzlösung. Zur Bewertung von Gesundheits kosten
und Lebensqualität siehe auch Infobox 2.2 – 2. Beispiele zur
Bewertung von Ökosystemleistungen über Gesundheits-
kosten- und Lebensqualitätsansätze finden sich auch in den
Kapiteln 3.3.1 (Infobox 3.3 – 1), 3.4.3 und 4.4.
dort vorherrschenden Umweltqualitäten (Lärm, Luftquali-
tät, Ausblick, Nähe zu grüner Infrastruktur etc.). Die Preise
und die beeinflussenden Faktoren sind beobachtbar und kön-
nen erhoben werden. Letztlich möchte man wissen, welche
Rolle unter diesen Faktoren die Umweltqualität spielt. Die
Abschätzung des Zusammenhangs erfolgt über multiple Re-
gressionsmodelle; mit deren Hilfe wird der implizite Preis der
Umweltqualität, der nicht als solcher gekennzeichnet ist, als
Koeffizient der erhobenen Ausprägungen der Umweltquali-
tät (z. B. die Entfernung zum nächstgelegenen öffentlichen
Park) geschätzt (Taylor, 2003). Diese direkte Plausibilität des
Vorgehens macht die Methode sehr attraktiv – aber sie hat
einige methodische Probleme bei ihrer Anwendung. Dazu ge-
hören u. a. die Wahl der mathematischen Form der Gleichung,
mit der die Zusammenhänge statistisch geschätzt werden,
und der Umgang mit räumlichen, statistischen Zusammen-
hängen (z. B. Autokorrelationen) zwischen den unabhängi-
gen Variablen, die zu Schätzfehlern führen können. Ein Bei-
spiel für die Anwendung dieser Methode auf städtisches
Grün in Deutschland findet sich in Kapitel 8.1.
Inzwischen ist die hedonische Methode der Analyse von
Immobilienpreisen etabliert. Es gibt eine große Bandbreite
von Untersuchungen, die Daten zur Zahlungsbereitschaft
für städtische Grünflächen liefern und Eingang in die politi-
sche Diskussion finden können (McConnell und Walls, 2005).
Aller dings ist noch nicht klar, für welche Ökosystemleistun-
gen von Grünflächen diese impliziten Preise gezahlt wur-
den und in welchem Maße sie als Zahlungsbereitschaften
die individuellen Vorteile der Hauskäufer reflektieren oder
eher die Qualität der Grünflächen als öffentliche Güter der
Städte widerspiegeln.
Hedonische Analyse von Lohnunterschieden
und Gesundheitskosten
Die hedonische Analyse ist auch auf die Analyse der Unter-
schiede der gezahlten Löhne in einzelnen Branchen mit
unter schiedlichen Gesundheitsrisiken angewendet worden.
Die Lohnunterschiede zwischen den Branchen werden als
Ausdruck der erforderlichen Kompensation der Beschäftig-
ten für die Hinnahme von erhöhten Gesundheitsrisiken in der
jeweiligen Branche gewertet. Wie bei den Immobilienprei-
sen werden die gezahlten Löhne mithilfe einer Regressions-
gleichung durch die sonstigen beeinflussenden Faktoren
(Qualifikation der Beschäftigten, Eigenschaften der Beschäf-
tigung, wirtschaftliche Parameter der Branche usw.) ge-
schätzt, zu denen auch das Sterbe- bzw. Erkrankungsrisiko
gehört. Hochgerechnet auf das Jahreseinkommen und die
Zahl der Beschäftigten lässt sich die erforderliche jährliche
die mit unterschiedlichen Umweltqualitäten verknüpft sind.
Damit haben sie indirekt eine Nachfrage nach Umweltquali-
täten zum Ausdruck gebracht. In der Begrifflichkeit der Wirt-
schaftswissenschaften haben sie ihre Präferenzen offenbart,
weshalb diese Ansätze als »Revealed Preference Approaches«
bezeichnet werden. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich
um direkte umfragebasierte Ermittlungen der Zahlungsbe-
reitschaft der Nachfrager für mögliche Verbesserungen ein-
zelner Komponenten der Umweltqualität. Dazu werden die
in Frage kommenden Komponenten der Umweltqualität
(z. B. die Renaturierung eines Flussabschnitts) in ihren Dimen-
sionen beschrieben, mögliche Umfänge differenziert (z. B. Ver -
änderungen der Länge der zu renaturierenden Flussab-
schnitte) und hierfür die individuelle Zahlungsbereitschaft
erfragt. Weil hier die Befragten ihre Zahlungsbereitschaf-
ten direkt äußern, werden diese Ansätze als »Stated Pre-
ference Approaches« bezeichnet. Im Folgenden werden (1) die
Revealed-Preference-Ansätze und (2) die Stated-Preference-
Ansätze näher erörtert.
(1) Revealed-Preference-Ansätze
Bei den Revealed-Preference-Ansätzen haben sich drei Berei-
che herausgebildet, bei denen ein Zusammenhang zwischen
Umweltqualität und individueller Marktentscheidung nach-
weisbar ist (vgl. für einen Überblick Freeman, 2003).
Die Analyse der Immobilienpreise (vgl. Kapitel 8.1) und
ihrer benachbarten Umweltqualitäten wird als hedoni -
sche Analyse bezeichnet, weil sie den Einfluss von sicht -
baren und nicht-sichtbaren Qualitätsmerkmalen auf die
Preisentwicklung von Gütern mit einer Vielzahl von Quali-
tätsmerkmalen untersucht.
Zudem gibt es auch die hedonische Analyse von Lohnunter-
schieden als Kompensation unterschiedlicher Gesundheits-
risiken am Arbeitsplatz.
Bei der Reisekostenanalyse werden die bei der Anreise zu
Erholungszielen aufgewendeten Kosten als Preis der Nach-
frage nach Erholungsstandorten inter pretiert.
Hedonische Analyse von Immobilienpreisen
Die hedonische Analyse von Immobilienpreisen macht sich
die Tatsache zunutze, dass die Immobilienpreise durch eine
Reihe von Faktoren beeinflusst werden. Dabei beschränkt sie
sich nicht nur auf die Größe, Ausstattung und Qualität der
Wohnung oder des Hauses, sondern berücksichtigt auch die
Lage des Objekts (Nähe zum Stadtzentrum, zu öffentlichen
und privaten Versorgungseinrichtungen) und damit auch die
Die Möglichkeit des Ausschlusses nicht-zahlender Nach frager
ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass durch das Zu-
sammenspiel der Nachfrage mit dem Angebot an Gütern
ein Markt und damit Marktpreise entstehen. Diese Markt-
preise können für die Schätzung der Nachfrage und damit
der Zahlungsbereitschaft (»willingness to pay«) für diese
privaten Güter genutzt werden. Die durch die Zahlung des
Marktpreises zum Ausdruck gekommene Wertschätzung
des gekauften Produktes beruht auf den individuellen Prä-
ferenzen des Käufers und beinhaltet eine Abwägung mit an-
deren Verwendungsmöglichkeiten der Kaufsumme im Rah-
men des verfügbaren Einkommens. Dies macht aus Sicht der
Wirtschaftswissenschaften den hohen Wert der Marktpreise
als Indikator für die Wertschätzung aus: Preise sind Ausdruck
einer konkreten Entscheidung unter den Restriktionen des
verfügbaren Einkommens, und nicht nur eine mündliche Aus-
sage im Rahmen von Befragungen.
Diese Logik der Bewertung haben Wirtschaftswissenschaft-
ler auf die Nachfrage nach öffentlichen Gütern übertragen,
wohl wissend, dass es für sie keine Märkte und keine Markt-
preise gibt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Bewoh-
ner einer Region/eines Landes für die Menge und Qualität
eines öffentlichen Gutes, etwa eines öffentlichen Parks, als
Individuen eine Nachfrage im Sinne einer Zahlungsbereit-
schaft pro Individuum (bzw. pro Haushalt) haben. Wenn die
individuelle Nachfrage aufsummiert die Finanzierung der
Kosten der Erstellung dieses Gutes abdeckt, dann macht es
volkswirtschaftlich Sinn, dieses Gut bereitzustellen.
Diese Überlegungen spielen eine zentrale Rolle bei der öko-
nomischen Analyse öffentlicher Ausgaben (Stiglitz, 2000),
die anfänglich ihren Schwerpunkt auf theoretische Ansätze
gelegt hat. Die Entwicklung der Umweltökonomie seit Mitte
der 1980er Jahre hat diesem Ansatz einen empirischen Schub
gegeben.
Die empirische Schätzung der Nachfrage nach öffentlichen
Gütern kann nicht auf beobachtbare Preise dieser Güter zu-
rückgreifen. Daher haben Umweltökonomen Methoden
entwickelt, um die Nachfrage ersatzweise schätzen zu kön-
nen. Dabei stehen grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung:
Der eine Ansatz ist die Nutzung von Marktpreisen von Gü-
tern, die inhaltlich in Verbindung mit der Nachfrage nach
Umweltgütern stehen, z. B. durch ihre Komplementarität.
Der andere Ansatz ist das direkte Erfragen der Zahlungs-
bereitschaft für die in Frage stehenden Umweltgüter. Bei
der ersten Gruppe von Schätzverfahren haben die Betrof-
fenen Kaufentscheidungen über andere Güter getroffen,
36 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND IHRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 37
INFOBOX 2.2 – 2
Bewertung von Gesundheitskosten und Lebensqualität
Städtisches Grün fördert physische wie psychische Gesundheit
und Lebensqualität, z. B. in Form erhöhter Konzentrations- und
Leistungsfähigkeit und Stressresistenz (vgl. Kapitel 4). Der ge-
sundheitsfördernde Einfluss des Stadtgrüns bringt zum einen
einen hohen Effekt für jeden Einzelnen und zum anderen auch
einen erheblichen volkswirtschaf tlichen Nutzen mit sich. Um
diesen Nutzen zu er fassen, geht es zum eist nicht um eine Mone-
tarisierung städtischer Ökosystemleistungen über individuelle
Präferenzen, sondern um die Betrachtung des Umstands, dass
die Ökosystemleistungen einer Vielzahl negativer Effekte auf
Gesundheit und Lebensqualität entgegenwirken und so einen
Beitrag zur Reduzierung volkswirtschaftlicher Kosten im Ge-
sundheitsbereich leisten. So zeigen Studien, dass die Wahr-
scheinlichkeit für Übergewicht (Alexander et al., 2013; Dunton
et al., 2009; Wolch et al., 2011) und die Anzahl chronischer Er-
krankungen (Besenyi et al., 2014) bei Kindern maßgeblich sinkt,
wenn diese Zugang zu Parks und Naherholungsgebieten haben.
Zur quantitativen Erfassung dies er posi tiven Effek te dien t bspw.
die Gesundheitskostenmethode, die im Kontext der Bewertung
von Ökosystemleistungen bisher vernachlässigt wurde. Sie be-
wertet Stadtnatur auf einer Makro- und einer Mikroebene. Auf
Da intangible Kosten, die sich auf immaterielle oder nicht-
greifbare Kosten beziehen, nicht über Märkte abgeleitet werden
können, wurden für ihre Erfassung spezielle Fragebögen entwi-
ckelt, wie der SF (Short Form) 36 (Bullinger und Kirchberger,
1998) oder der WHOQOL (»The World Health Organization
Quality of Life assessment instrument«, 1998). Diese Kosten
sind Produkt eines Wirkungsgeflechts qualitativer Faktoren, wie
Stimmung und Selbstzufriedenheit. Diese haben großen Ein
-
fluss auf eine gute psychische Ver fassung, die wiederum grund-
sätzlich die Gesundheit beeinflusst (Barton und Pretty, 2010).
der Makroebene werden objektive Lebensbedingungen wie Ge-
sundheit und Freizeitverhalten gemessen und ermittelt, wie sie
durch Stadtgrün beeinflusst werden. Diese Größen sind in Geld-
einheiten messbar. Auf der Mikroebene werden das subjektive
Wohlbefinden, die Zufriedenheit und Grundstimmung einzel -
ner Individuen erfasst (Maier, 2010). Diese haben wiederum
starken Einfluss auf die objektiv messbare Gesundheit (Barton
und Pretty, 2010).
Menschliches Leben wird in diesem Zusammenhang als ökono-
misches Gut aufgefasst, dessen Wert sich nach dem ihm inne-
wohnenden Wertschöpfungspotenzial bemisst. Durch Krank-
heit wird dieses reduziert (Wahn und Wichmann, 2000). Der
Wert von Stadtnatur ergibt sich dabei durch die tatsächlich
oder potenziell vermiedenen Kosten durch Krankheiten (siehe
Tabelle 2.2-1). Bei den direkten Kosten werden Zahlungen bzw.
verbrauchte Ressourcen aufgrund von Krankheit bemessen.
Indirekte Kosten entstehen durch die verlorengegangene Pro-
duktivität der Patienten. Hinzu kommen sog. intangible (nicht-
materielle) Kosten, die den Verlust von Lebensqualität zu erfas-
sen versuchen.
Nachweislich hat jegliche Art der Beschäftigung in der Stadtnatur,
z. B. Gärtnern, Spazierengehen oder Spielen, einen positiven Ein-
fluss auf die Gesundheit von Menschen unabhängig von Dauer,
Alter, Geschlecht oder Gesundheitszustand (Barton und Pretty,
2010). Stadtnatur fördert zudem die Produktionsfähigkeit
(HSE, 2012) und kognitive Fähigkeiten (Burdette und Whitacker,
2005). Aufenthalte in der (Stadt-)Natur sollten daher als eine kos -
tenlos verfügbare »Therapie ohne Nebeneffekte« (Barton und
Pretty, 2010, S. 3951) bereits heute vermehrt ins Gesundheits-
management einbezogen werden.
TABELLE 2.2 – 1 Kostenarten und -elemente der Gesundheitskostenmethode. (Quelle: Born et al., 2012)
Kostenart Kostenelemente Beispiele
Direkte Kosten Ambulante Behandlung Arztbesuche
Stationäre Behandlung Krankenhausaufenthalte
Patientenausgaben Arzneimittelaufwendungen
Indirekte Kosten Produktionseinbußen Arbeitsunfähigkeit
Vorzeitige Todesfälle
Intangible Kosten Verlust von Lebensqualität Körperliche Einschränkungen
Psychischer Stress
Auswahl stehen, zwischen denen sie eine Auswahl tref-
fen. Diese Wahlmöglichkeiten werden mit »Random-Utility-
Models« (RUM oder auch »Random Utility Discrete Choice
Models«) untersucht, da sie die diskreten Wahlmöglichkeiten
des Besuchs einzelner Standorte durch Wahrscheinlichkeiten
der Häufigkeit der Wahl abbilden und dabei die Reisekosten,
die Eigenschaften der Standorte und die Eigenschaften der
Besucher als erklärende Faktoren der Wahlentscheidung nut-
zen (Parsons, 2003).
Die Reisekostenanalyse zählt ebenfalls zu den Revealed-
Preference-Ansätzen, da die Besucher durch die Zahl ihrer
Besuche und die damit verbundenen Reisekosten ihre Präfe-
renzen offenbart haben. Die Methode beruht aber auch auf
Umfragen, da anders die Informationen über die Besuche
und die Besucher nicht zu gewinnen sind. Durch die Methode
lassen sich Qualitätsaspekte der Standorte (Ausstattung und
Umweltqualitäten) erfassen und statistisch ihre Wertan-
teile schätzen (Parsons, 2003). Damit lässt sich die Zahlungs-
bereitschaft der Erholungssuchenden für Verbesserungen der
Umweltqualität der Erholungsstandorte abschätzen.
Dieses Vorgehen hat eine prominente Rolle bei der Begrün-
dung von Anforderungen an die Wasserqualität seitens
der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde (EPA, Environ-
mental Protection Agency) gespielt (Bockstael et al., 1989).
Die Methode fand inzwischen vielfach Anwendung, aller-
dings mit einem Schwerpunkt auf spezifischen Erholungs-
aktivitäten im ländlichen Raum. Innerstädtische Erholung
spielt in der empirischen Forschung eine nachrangige Rolle,
mit der Ausnahme der Stranderholung in Küstenstädten bzw.
an Badegewässern (vgl. Meyerhoff et al., 2010).
(2) Stated-Preference-Ansätze
Bei den Stated-Preference-Ansätzen haben sich zwei Grup-
pen herausgebildet: Am Anfang stand die »Kontingente
Reisekostenanalyse
Bei der Reisekostenanalyse werden die Kosten für die Anfahrt
eines Erholungsstandortes erhoben (Ausgaben für die An-
fahrt, Opportunitätskosten der Zeit), beruhend auf der Ent-
fernung und der Zahl der Besuche in einem Zeitraum. Dar-
aus wird die Nachfrage nach dem Erholungsstandort
geschätzt. Die dieser Nachfrage zugrunde liegende Wert-
schätzung beruht ebenfalls auf den individuellen Präferen-
zen der einzelnen Besucher. Damit lässt sich die Wertschät-
zung der Besucher für einzelne Standorte ermitteln, die auch
für spezifische Nutzungen differenziert werden kann, z. B.
der Wert eines Gewässers für eine Angelnutzung oder der
Wert einer Bergregion für das Bergsteigen. Der Wert eines
einzelnen Besuchs steigt in der Regel mit der Entfernung, die
die Besucher auf sich nehmen, um zum jeweiligen Standort
zu kommen. Für besonders bedeutsame, spektakuläre Stand-
orte nehmen Erholungssuchende große Entfernungen auf
sich, sodass deren Besuch einen hohen Wert erzielt. Entspre-
chend geringer ist der Wert eines einzelnen Besuchs eines
Standortes mit geringer Entfernung, typisch für städtische
Grünflächen, die dafür aber häufiger besucht werden.
Die empirische Schätzung der Nachfragefunktion nach einem
Erholungsstandort beruht auf Erhebungen der Besuchshäu-
figkeit, der Entfernung zum Wohnort und anderer Größen,
die die Nachfrage beeinflussen, wie Einkommen und Bildung.
Daraus lassen sich mithilfe von statistischen Verfahren Glei-
chungen mit konkreten Koeffizienten berechnen, die dann
Aufschluss über die Wertschätzung geben. Aus dem Wert
des einzelnen Besuchs, der Zahl der Besuche pro Person und
Jahr und der Zahl der Besucher insgesamt ergibt sich der Ge-
samtwert einer Grünfläche.
Die Reisekostenanalyse beschränkte sich anfänglich auf
die Besuche an einem Standort. Es wurde aber bald deut-
lich, dass den Erholungssuchenden mehrere Standorte zur
38 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 39
Forschungsbedarf. Einen weiteren Bewertungsansatz stellt
schließlich die im Rahmen der kommunalen Haushaltsfüh-
rung angewandte Methode dar, Stadtnatur auf Kostenbasis
zu erfassen (vgl. Infobox 2.2 – 3).
2.2.3 Erfassung und Bewertung von
Ökosystemleistungen auf der Grundlage
sozialer Werte
Während Kapitel 2.2.2 die Erfassung individueller Präferen-
zen erörterte, werden in diesem Abschnitt diejenigen Werte
von Stadtnatur aufgezeigt, die stärker im sozialen Gefüge
und den kulturellen Traditionen in der Stadt verankert sind:
die sozialen Werte. Sie gehen deutlich über eine Addition in-
dividueller Interessenlagen der Stadtbewohner hinaus (vgl.
Infobox 2.2 – 1), indem sie Wertekomponenten aufweisen, die
den Stadtbewohnern als Bürger ihrer Stadt wichtig sind
oder die durch öffentliche Verantwortungsträger und sozi-
ale Gruppen repräsentiert werden. Mit ihrem historischen
und gesellschaftlichen Hintergrund, ohne den man sie nicht
verstehen kann, sollen diese gemeinsam getragenen, sozia-
len bzw. kulturellen Werte verdeutlicht werden. In Anleh-
nung an die internationale Literatur zur Erfassung dieser
Werte verwenden wir im Folgenden dafür den Begriff der so-
zialen Werte (Gómez-Baggethun et al., 2015; Kenter et al., 2015).
Der soziale Wert von Stadtnatur:
Ein kurzer historischer Abriss
Stadtnatur genießt seit Langem einen hohen gesellschaft-
lichen Wert und wurde bereits im 19. Jahrhundert Teil städ-
tischer Politik als Daseinsvorsorge. Allerdings haben sich im
Verlauf der Zeit deutlich die Gewichte verschoben: von un-
mittelbar ökonomischen hin zu kulturellen sowie mittelbar
ökonomischen Nutzungen und Werten. So war Stadtnatur
in früheren Zeiten als Acker, Wald und Weide Teil traditio-
neller Wirtschafts- und Versorgungsstrukturen und spielte
bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Holz oder zur Füt-
terung der Tiere durchaus eine Rolle. Bis weit ins 19. Jahrhun-
dert hinein wurden in vielen deutschen Städten städtischer
Wald oder Weide als Allmende (als gemeinschaftliches
Eigentum) genutzt. Auch später erfolgten noch die Bewirt-
schaftung von Stadtwäldern, der Betrieb von z. T. großen
Stadtgärtnereien zur Versorgung des lokalen Marktes sowie
von Landwirtschaft. Letzteres ließ sich bis in die 80er Jahre
des vorigen Jahrhunderts beobachten und erfährt derzeit
eine Renaissance als »urban farming«. Darüber hinaus gibt
es eine aktuelle Debatte zu den sogenannten »urban com-
mons«, die u. a. die alte Funktion als Allmende wiederzu-
beleben trachtet (Dellenbaugh et al., 2015).
Bewertung« (Contingent Valuation Method, CVM), bei der
die Zahlungsbereitschaft für ein Umweltgut in Gänze mit
unterschiedlichen quantitativen Ausprägungen geschätzt
wird, z. B. die Reduzierung von unterschiedlichen Mengen ei-
nes Schadstoffs oder Programme zur Renaturierung von
landwirtschaftlichen Flächen mit unterschiedlichen Umfän-
gen (Boyle, 2003). Aus diesem Ansatz heraus hat sich ein
neuer Ansatz entwickelt, der als »Choice Model« bezeichnet
wird. Hiermit können zusätzlich einzelne Eigenschaften der
Umweltgüter explizit bewertet werden. Beiden Ansätzen ist
der hypothetische Charakter gemeinsam, da die Betroffenen
explizit nach der Zahlungsbereitschaft für ein zukünftiges
Programm zur Verbesserung der Umweltqualität (bzw. der
Umwelteigenschaften) befragt werden. Dies hat dazu ge-
führt, dass die Methode sowohl unter Wirtschaftswissen-
schaftlern als auch in der praktischen Politik umstritten ist.
Grund dafür ist die Befürchtung, dass die fehlenden Kon-
sequenzen für die Befragten eine erhebliche Überschät -
z ung der tatsächlichen Wertschätzung bewirken. Diese Kri-
tik hat in der Umweltökonomie eine intensive Forschung zur
Verbesserung der Zuverlässigkeit der Methode bewirkt. Da-
bei haben sich Frageformate in Anlehnung an Volksabstim-
mungen als bester Ansatz erwiesen (Kling et al., 2012). Das
klassische Beispiel hierfür ist die Schätzung der Zahlungs-
bereitschaft für Grünflächen mithilfe einer Zahlungsbereit-
schaftsstudie über die Einrichtung von städtischen Park-
flächen, deren Zuverlässigkeit durch eine durchgeführte
Volksabstimmung überprüft werden konnte (Vossler et al.,
2003). Im Rahmen der Überprüfung der Zuverlässigkeit
der Methode sind im Bereich der Erholungsökonomie um-
fangreiche Studien durchgeführt worden, die sowohl die
CVM als auch die Reisekostenmethode angewendet haben
(Adamowicz et al., 1997).
Für die Bewertung städtischer Ökosystemleistungen ste-
hen somit verschiedene ökonomische Methoden zur Verfü-
gung, die auf wirtschaftswissenschaftlichen Theorien beru-
hen. Dabei erfolgt die Bewertung von Umweltgütern durch
die Addition individueller Zahlungsbereitschaften für diese
Umweltgüter, die durch die Individuen nach der Abwägung
ihrer Präferenzen mit ihren Einkommensrestriktionen zu-
stande gekommen sind. Diese Methoden sind in den vergan-
genen Dekaden in einem breiten Anwendungsfeld erprobt
worden. Dabei konnte ihre Eignung für die Bewertung städ-
tischer Ökosystemleistungen nachgewiesen werden. Für die
konkrete Anwendung auf städtische Ökosystemleistungen
liegen dennoch bisher nur wenige empirische Forschungs-
ergebnisse vorForschungsergebnisse vor. Hier gibt es im
inter nationalen Vergleich in Deutschland noch erheblichen
INFOBOX 2.2 – 3
Bewertung von Stadtnatur in der kommunalen Haushaltsführung: »Grüne« Doppik
Neue Bewertungsansätze erlauben es, Stadtnatur im kommu-
nalen Haushalt darzustellen. Dies ist eine Voraussetzung für ein
verstärktes Handeln zugunsten der Natur. Es handelt sich dabei
jedoch nicht um einen Ansatz zur Erfassung individueller Prä-
ferenzen, wie er in diesem Kapitel beschrieben wurde, sondern
um einen Ansatz auf Kostenbasis, der auf die Erfassung von
Ressourcenverbräuchen abzielt. Dieser Ansatz kann als Ergän-
zung zu einer ökonomischen (präferenzbasierten) Bewertung
herangezogen werden.
In den vergangenen zehn Jahren hat das öffentliche Haushalts-
und Rechnungswesen in Deutschland mit der Umstellung der
Haushaltsführung von der Kameralistik auf die doppelte Haus-
haltsführung (die sogenannte Doppik) einen fundamentalen
Wandel erfahren. Die meisten der insgesamt knapp 13.000 deut-
schen Gebietskörperschaften haben ihr traditionelles, auf Ein-
nahmen und Ausgaben basierendes kameralistisches Haushalts-
und Rechnungswesen seit Ende der 2000er Jahre reformiert
(vgl. Hilgers und Burth, 2011; Güse et al., 2010, S. 5). Dabei wurde
v. a. auf kommunaler Ebene der Umstieg auf ein ressourcen-
verbrauchsorientiertes, doppisches Haushalts- und Rechnungs-
wesen vollzogen, das an den kaufmännischen Rechnungsstil der
doppelten Buchführung (kurz: Doppik) angelehnt ist. Ergebnis
ist dabei ein vollständig neues Informations- und Planungssys-
tem, verbunden mit dem Anspruch an eine effektivere und ef-
fizientere Verwaltung, an verbesserte Steuerungsmöglichkeiten
und eine generationen-gerechtere Haushalts- und Finanz politik.
Im Rahmen der Einführung der Doppik ging in die Bilanzierung
des kommunalen Vermögens auch eine Bewertung kommuna-
ler Grünflächen ein. Zur Ermittlung des »grünen Vermögens«
wurden unterschiedliche Verfahren angewandt. Überwiegend
kam dabei das Sachwertverfahren zum Einsatz, bei dem der
Wert des Vermögens über die Anschaffungs- und Herstellungs-
kosten abzüglich der Alterswer tminderung bestimmt wird
(Güse et al., 2010, S. 6). In Einzelfällen kam auch das Ertragswert-
verfahren zur Anwendung (etwa bei bewirtschafteten Wäldern
oder Friedhöfen), bei dem der Wert durch die zu erzielenden Er-
träge (Holzwert, Gebühren) abgebildet wird (ebd.). Teilweise
sind die Kommunen dabei so vorgegangen, dass sie Pauschal-
werte gebildet haben, etwa pro Hektar Park oder Grünfläche,
teilweise wurden die Werte aber auch sehr differenziert und
detailliert erfasst. Dabei wurden etwa Hecken oder Bäume
einzeln aufgeführt und auch nach Alter bzw. Wuchshöhe unter-
schieden.
Im Unterschied zu gewöhnlichen Sachgütern, die der Abschrei-
bung unterliegen, zeigt Vegetation jedoch »eine für Vermögens-
güter einzigartige Wertentwicklung: Der Wert nimmt zunächst
über einige Zeit zu« (Güse et al. 2010, S. 7). Um diese Wertzu-
nahme zu erfassen, kam eine kombinierte Methode zum Einsatz.
Diese geht von den Beschaffungskosten aus und berücksich-
tigt über pauschalisierende Bewertungen jeweils die Nutzungs-
dauer und schreibt entsprechend den Wertzuwachs fort (Güse
et al. 2010, S. 7 ff.). Um das zu illustrieren, sei hier das Beispiel
der Stadt Leipzig aufgeführt: Der städtische Besitz ist laut Er-
öffnungsbilanz rund 3,9 Mrd. Euro wert. Im Sachanlagever-
mögen stehen unter der Rubrik »Unbebaute Grundstücke und
grundstücksgleiche Rechte an solchen« die Kategorien Grün-
flächen, Ackerland, Wald und Forsten, Schutz- und Ausgleichs-
flächen, Gewässer sowie die sonstigen unbebauten Grund-
stücke mit insgesamt rund 196,5 Mio. Euro (Stadt Leipzig, 2012,
S. 17). Sie machen damit rund 5 % des städtischen Vermögens
aus. Als Beispiel dient einer der attraktivsten Parks der Stadt, das
Rosen thal: Der Park umfasst eine Fläche von 1.137.000 m2 und
wurde mit rund 398.000 Euro bewertet (Stadt Leipzig, 2012.).
Diese Summe mutet angesichts der Größe der Fläche sowie
ihrer Lage und Gestaltung sehr niedrig an.
Die »grüne« Doppik macht deutlich, dass städtische Grünflä
-
chen einen erheblichen kommunalen Wert darstellen. In ihnen
sind bedeutende öffentliche Investitionen gebunden. Außer-
dem sind sie Gegenstand permanenter Investitionen in Form
von Pflege-, Erhaltungs- und Gestaltungsmaßnahmen. Dabei
ist natürlich zu berücksichtigen, dass diese Wertermittlung
vorzugsweise an den Herstellungskosten orientiert ist. Aus
Sicht der Kommune stellen diese kostenbasierten Ansätze
eine erste – zwar grobe, aber mit geringem Aufwand zu ermit-
telnde – Annäherung für die Erfassung des Werts von Stadtgrün
dar. Damit wird Stadtgrün erstmals systematisch bei der Haus-
haltsführung berücksichtigt. Gleichzeitig muss man sich des-
sen bewusst sein, dass die Herstellungskosten den Nutzen des
Stadtgrüns mitunter weit unterschätzen, lediglich eine Unter-
grenze für die Zahlungsbereitschaft für Stadtgrün repräsentie-
ren und damit die Erfassung und Bewertung von Ökosystem-
leistungen nicht ersetzen können.
40 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 41
quantitative Verfahren wie statistisch auswertbare Befra-
gungen mittels Fragebögen ebenso wie qualitative Verfah-
ren der teilnehmenden Beobachtung oder der Durchführung
qualitativer Interviews.
Wichtige Verfahren zur Bestimmung sozialer Werte der
Natur bzw. von Ökosystemleistungen sind darüber hinaus
gruppenbasierte partizipative und deliberative Bewertungs-
methoden (DEFRA, 2007; eftec, 2006; Lienhoop et al., 2015).
Die entsprechenden Werte werden also »partizipativ«, d. h.
unter Beteiligung betroffener bzw. relevanter Bevölkerungs-
gruppen oder der Öffentlichkeit ermittelt. Schließlich eig-
nen sich sogenannte deliberative Verfahren besonders, um
gemeinsam vertretene Werte zu ermitteln oder zu entwi-
ckeln, da sie auf den Diskurs, die gemeinsame Beratung und
das Gespräch in der Gruppe aufbauen. Tabelle 2.2 – 2 gibt ei-
nen Überblick über eine Auswahl entsprechender Methoden.
Zusätzlich zu den hier vorgestellten partizipativen und deli-
berativen Verfahren wird in Kapitel 9 auf weitere Verfahren
eingegangen, z. B. Runde Tische, Zukunftswerkstätten oder
Bürgergipfel. Neben rechtlich verbindlichen Verfahren der
Bürgerbeteiligung, z. B. im Rahmen formeller Planungspro-
zesse, spielen neuere, informelle Formen der Bürgerbetei-
ligung eine zunehmend große Rolle bei der gemeinsamen
Entwicklung von Leitbildern, bei der Umsetzung städtischer
Strategien und Ziele sowie bei der informellen Planung.
Die Übergänge zwischen sozialwissenschaftlichen und öko-
nomischen Bewertungsmethoden sind fließend. Methodi-
sche Weiterentwicklungen gerade der ökonomischen Um-
weltbewertung haben dazu geführt, dass heute oft ein
kombiniertes Methodenspektrum zur Anwendung kommt,
um zuverlässigere Ergebnisse zu erzielen. So werden bspw.
Zahlungsbereitschaf tsanalysen oder Choice Experimente
zur Bestimmung monetärer Werte von Ökosystemleistun-
gen mit Fokusgruppen (Erläuterung siehe Tabelle 2.2 – 2) oder
Workshops kombiniert, um Vorteile verschiedener Methoden
zu verbinden (Lienhoop et al., 2015).
dies eines der wesentlichen Instrumente zur Erhaltung bzw.
Verbesserung der Lebens- und Wohnqualität und wird gene-
rell als Strategie nachhaltiger Stadtentwicklung angesehen
(BMVBS und BBSR, 2009).
Eine weitere Perspektive ist die Berücksichtigung von Grün-
flächen als sogenannter weicher Standortfaktor im Wett-
bewerb um Einwohner und die Ansiedlung von Unterneh-
men. »Investitionen in Planung, Gestaltung und Unterhalt
von städtischen Grünräumen gelten folglich als wichtige In-
vestitionen im Wettbewerb der Städte« (Kaspar, 2012, S. 18).
Das wird jedoch nicht spezifisch ausgewiesen oder in Preisen
ausgedrückt, sondern allgemein als »weicher Standortfak-
tor« für die gesamte Stadt angegeben (vgl. auch Kapitel 8.2).
Bei allen genannten Funktionen und Leistungen urbanen
Grüns ist entscheidend, dass ihr Nutzen bzw. Wert nicht
vollständig durch Methoden der Erfassung individueller Prä-
ferenzen ermittelt werden kann, sondern dass sie Teile der so-
zialen Wertschätzung durch eine Kommune und ihre Bürger
sind. Damit spiegeln sich weniger die individuellen Interes-
senlagen der Stadtbewohner in diesen Bewertungsmustern
wider, als vielmehr die durch die jeweilige Kommune – bzw.
durch eine Gesellschaft insgesamt – repräsentierten Werte.
Wie können soziale Werte von Ökosystemleistungen
erfasst werden?
Die sozialen Werte von Ökosystemleistungen fassen ver-
schiedene immaterielle und weniger greifbare Wertekate-
gorien zusammen, wie historische, spirituelle, religiöse oder
ethische Werte, die sich sehr schwer – wenn überhaupt –
quantifizieren oder gar monetarisieren lassen (de Groot et
al., 2010; Gómez-Baggethun et al., 2014; Kenter et al., 2014;
Kenter et al., 2015). Zwar können ökonomische Methoden
wie die Zahlungsbereitschaftsanalyse auch für die Erfassung
bestimmter sozialer Werte angewendet werden, jedoch ist
dies vom kulturellen Kontext abhängig und teilweise um-
stritten (IPBES, 2015). Im Zusammenhang mit kulturellen
Ökosystemleistungen wird die Bedeutung sozialer Werte und
ihrer Erfassung durch nicht-ökonomische Methoden beson-
ders betont (Gómez-Baggethun et al., 2014); soziale Werte
sind aber auch für Versorgungs- und Regulierungsleistungen
von Bedeutung.
Es gibt eine große Bandbreite sozialwissenschaftlicher Me-
thoden, um die von einer Gruppe oder Gesellschaft gemein-
sam vertretenen Werte in Bezug auf Stadtnatur und de-
ren Ökosystemleistungen zu erfassen (Gómez-Baggethun
und Barton, 2013; Kelemen et al., 2014). Dabei finden sich
(Ziegler-Hennings und Schulte-Daxbök, 2011, S. 175). Hier-
bei spielt eine wichtige Rolle, dass diese Leistungen von der
Stadtbevölkerung gesehen werden, auch wenn sie vielleicht
nicht selbst dieser Leistungen bedürfen, etwa weil sie wohl-
habend sind und diese Elemente der Lebensqualität in ihren
eigenen herrschaftlichen Häusern und Gärten wahrnehmen
können.
Stadtnatur besitzt zudem einen anerkannten Wert für die
Wohnqualität. Eine Wohnlage in der Nähe von Grünflächen,
insbesondere Parks und Wäldern, gilt als bevorzugt. Dieser
soziale Wohnwert wird mitunter auch gesondert ausgewie-
sen als Ausstattungs- und damit Lagemerkmal für ein Quar-
tier bzw. dessen Häuser und Wohnungen. Als solcher fließt
er auch in die Ermittlung von Bodenrichtwerten und damit
in Immobilienwerte sowie in Mieten ein und wird somit in
ökonomischen Preisen (mit-)erfasst (vgl. Kapitel 8.1). Städ-
tische Grünflächen haben allerdings nicht per se eine wert-
steigernde Wirkung auf die umliegenden Immobilien, denn
der Wert der Grünflächen ist nicht nur abhängig von ihrer
Größe, Lage, Gestaltung und Pflege. Ihr Wert hängt auch von
der Wertschätzung durch die Bevölkerung und der jeweiligen
sozialen oder wirtschaftlichen Inanspruchnahme durch ver-
schiedene Nutzer ab (Jacobs, 1993, S. 65 ff.). Die dauerhafte
Nutzung durch Gruppen wie Suchtkranke, Obdachlose oder
Dealer ist keineswegs wertsteigernd. In solchen Fällen kann
sich der schlechte Ruf einer Grünfläche auf die umliegende
Wohngegend übertragen und diese abwerten. Ein Beispiel
dafür ist der Görlitzer Park in Berlin, der seit Jahren als Dro-
genumschlagplatz bundesweit negative Schlagzeilen macht
(Arlt, 2013, S. 167).
Der soziale und kulturelle Wert von Stadtgrün hängt in erster
Linie von der Qualität der jeweiligen Grünflächen ab. So tra-
gen klassische Parks oder alte Gärten in aller Regel zur Auf-
wertung von Wohnvierteln bei. Brachflächen können dage-
gen einen gegenteiligen Effekt haben, obwohl sie vielleicht
für die biologische Vielfalt bedeutsam sein mögen. Brachflä-
chen können bei der Bestimmung von Bodenrichtwerten zu
Abschlägen führen und sind mitunter sogar ein im Mietspie-
gel ausgewiesener Mietminderungsgrund (vgl. Stadt Leipzig,
2012). Ihre Revitalisierung und Umwandlung oder Integra
-
tion in formelle Grünflächen ist daher ein Ziel von Stadtent-
wicklungspolitik. Öffentliche Grünflächen werden vonseiten
der Planung seit Langem als Katalysatoren für die Aufwer-
tung von Stadtquartieren betrachtet (Smaniotto und Mathey,
2007). So werden neue Grünflächen innerhalb der Stadter-
neuerungsplanung und -praxis häufig zur Aufwertung des
Wohnumfelds etabliert. Beim Stadtumbau Ost und West ist
Der im engeren Sinne wirtschaftliche Wert von Stadtnatur,
der sich insbesondere in seinen Versorgungsleistungen für
die Bürger in Form von Nahrungsmitteln, Brennholz oder
Trinkwasser zeigte, ist im Laufe der Zeit gegenüber anderen
gesellschaftlichen Werten zurückgetreten. Heutzutage be-
misst sich der gesellschaftliche Wert von Stadtnatur vielmehr
an ihrer Bedeutung für Freizeit und (Nah-)Erholung. Anknüp-
fend an die frühere adlige Nutzung von Natur als Ort der Er-
holung und des ästhetischen Genusses wurde Stadtnatur im
Zuge der Urbanisierung im 19. Jahrhundert in Deutschland v. a.
als Park und (Kunst-) Garten integriert. Dies diente zunächst
der Repräsentation und war in den wachsenden Städten des
19. und frühen 20. Jahrhunderts zunächst überwiegend den
oberen Schichten vorbehalten. Diese scheinbar »zweckfreie«
Nutzung bzw. Funktion offenbart erst auf den zweiten Blick
ihren verborgenen Wert: Eine soziale Gruppe stellt damit öf-
fentlich ihren Reichtum zur Schau und ihr Vermögen, wert-
volle Natur eben nicht utilitaristisch (im Sinne der Versorgung
mit lebensnotwendigen Gütern) zu nutzen. Zudem demons-
triert die aufwendige Gestaltung – etwa als englischer Park
oder französischer Garten – den Geschmack dieser Gruppe
und ermöglicht damit bewusste Abgrenzung. Über die An-
lage von Volksgärten und die schrittweise Öffnung bürger-
licher und höfischer Parks, Gärten und Grünanlagen wur-
den öffentliche Grünflächen zu Orten der Begegnung und
des Austausches, der Kommunikation und der Integration.
Neben pädagogischen spielten dabei auch immer politische
Motive eine Rolle; Stadtnatur ist auch Teil der städtischen
Öffentlichkeit. Das ist auch in der Gegenwart so: Insbeson-
dere die Funktion und der Wert von öffentlichen Grünflächen
als Orte interkultureller Verständigung und Integration wer-
den betont (z. B. BMVBS, 2009, S. 3; siehe auch Kapitel 5).
Soziale Werte von Stadtnatur heute
Die Rolle, die früher Mäzene bzw. einzelne soziale Gruppen
ausübten, übernahmen im Laufe der Demokratisierung des
städtischen Grüns die Kommunen. Grünflächen wurden so
nach und nach wieder Teil der kommunalen Daseinsvorsorge,
analog zu anderen – technischen oder sozialen – kommuna-
len Dienstleistungen. Neben den schon erwähnten dominan-
ten Freizeit- und Erholungsfunktionen spielen auch gesund-
heitliche Funktionen eine Rolle. Der gesellschaftliche Wert
von Stadtnatur wird von der Erfüllung all dieser und zusätz-
licher ökologischer Funktionen abgeleitet.
Das Bewusstsein, dass städtische Freiflächen ein wichtiger
Bestandteil der Lebensqualität in der Stadt und ein Element
nachhaltiger Stadtentwicklung sind, ist sowohl in der Pla-
nung als auch bei den Bürgern sehr ausgeprägt vorhanden
42 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 43
TABELLE 2.2 – 2 Verfahren zur politischen Beteiligung und gemeinsamen Beratung zur Ermittlung sozialer Werte.
(Quellen: Dienel, 2002; Hansjürgens und Lienhoop, 2015, S. 41 f.; Lienhoop et al., 2015)
Gruppenbasierte Ansätze der politischen Beteiligung
Bürgerforum
(Citizens’ Jury)
Bei dieser Methode bezieht sich die Bewertung auf Gruppenmeinungen und
ist somit qualitativer Art. Eine Gruppe von Bürgern begutachtet und beratschlagt
die relevante Umwelt veränderung, erörtert die Expertenmeinungen und
urteilt über den Nutzen und die Kosten. Hierbei werden Bedürfnisse und Prä fer -
enzen sichtbar gemacht, jedoch nicht quantifiziert. Die Bewertung basiert
auf den Erkenntnissen und Ergebnissen des Diskurses und ist rein qualitativer Art.
Planungszellen Eine Abwandlung des Bürgerforums mit Anwendung in der Schweiz und Deutsch -
land, in der Regel zur Unterstützung von Planungsprozessen. Mehrere kleine
Gruppen mit etwa fünf Teilnehmern, ggf. mit wechselnder Zusammensetzung,
dis ku tieren etwa eine Woche über ein Thema, ab wechselnd mit Sitzungen
im Plenum mit allen Teilnehmern (25 – 80 Personen). Das Ziel besteht darin,
einen Konsens zwischen den Beteiligten zu erzielen, wobei Abweichungen von
Minderheiten erlaubt sein können.
Konsenskonferenzen In Konsenskonferenzen erarbeiten Bürger, Fachleute und Entscheider Kompro -
misse zu Themen von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Konsenskonferenzen
wurden zuerst in Dänemark und den USA zu Themen wie Gentechnik oder
Lebensmittelsicherheit erprobt. Sie dauern etwa drei bis vier Tage und werden
meist von einem Bürgerforum, in dem die verschiedenen Lager vertreten sind,
in zwei Sitzungen vorbereitet. Hier werden auch Fragen erarbeitet, die in der
Konferenz von Fachleuten beantwortet werden. Nach der Anhörung im Plenum
berät die Bürgergruppe und entscheidet über Verfahren oder Inhalte. Da die
Ergebnisse von Konsenskonferenzen in der Regel bindend sind, sollten sich die
Teilnehmer vor den Beratungen bereit erklären, die späteren Resultate zu
akzep tieren und ihre Umsetzung zu unterstützen.
Fokusgruppen Fokusgruppen zielen darauf ab, die Positionen der Teilnehmer zu einem vor-
definierten Thema oder Set von verwandten Themen zu ergründen, und/oder
herauszufinden, wie sie interagieren, wenn sie dieses diskutieren.
Deliberative Verfahren der gemeinsamen Beratung
Bewertungsworkshop Bewertungsworkshops kombinieren das Gespräch über den zu bewertenden
Gegenstand mit konventionellen ökonomischen Bewertungsmethoden,
z. B. Zahlungsbereitschaftsanalysen oder Choice Experimenten, um eine aggre-
gierte Zahlungsbereitschaft für ein Umweltgut zu er halten. Ein Moderator
stellt die betreffende Umweltveränderung in verschiedenen Gruppen mit etwa
10 – 15 Personen vor. Nach der Diskussion über die Umweltveränderung wird
die Zahlungs bereitschaft von jedem einzelnen Teilnehmer in Form eines anony -
men Fragebogens erfasst.
Marktstandmethode
(Market Stall)
Die Marktstandmethode ist eine Erweiterung des Bewertungsworkshops. Sie
erlaubt den Teilnehmern, ausführlich über die betreffende Umweltveränderung
nachzudenken, zu diskutieren und sich ihre jeweiligen Präferenzen im Diskurs
zu bilden. Einige Tage nach dem ersten Workshop werden die Befragten während
eines zweiten Workshops postalisch oder telefonisch gebeten, ihre Zahlungs-
bereitschaft erneut anzugeben und ggf. zu revidieren.
2.2.4 Sozial-ökologische Ansätze zur Erfassung
und Bewertung von Ökosystemleistungen
Neben den betrachteten ökonomischen und weiteren sozial-
wissenschaftlichen Ansätzen zur Erfassung des Werts ur-
baner Ökosystemleistungen, die auf den Präferenzen der
Stadtbewohner beruhen bzw. im Rahmen von Gruppenab-
wägungen gebildet und ermittelt werden, sind auch sozial-
ökologische Bewertungsansätze auf der Basis ökologischer
Forschung wesentlich. Hier werden Ergebnisse der Analyse
von Ökosystemprozessen (z. B. in Form von Messwerten
wie Konzentration von Luftschadstoffen oder Oberflächen-
Emissivität) in Bezug gesetzt zum daraus resultierenden Nut-
zen für Menschen (Winkler, 2006). Menschen werden dabei
als einzelne Stadtbewohner, als Gruppe oder auch als Teil
der städtischen Gesellschaft betrachtet. Die Bewertung von
Ökosystemleistungen im Rahmen landschaftsökologischer
Unter suchungen beleuchtet vorrangig die Angebotsseite –
bspw. die Beschattungsfläche durch Baumkronen, die die
Luft temperatur möglicherweise um eine bestimmte Grad-
zahl reduzieren kann – und weniger die Nachfrageseite. Die
Erfassung von Ökosystemleistungen erfolgt dabei meist
durch quantitative Größen, die durch Messungen oder Mo-
dellierungen ermittelt werden. Diese Kennzahlen drücken
den Wirkungsumfang und die Verfügbarkeit von Öko system-
leistungen aus.
Dabei gibt es verschiedene Forschungsschwerpunkte:
Ein Großteil der Untersuchungen zu urbanen Ökosystem-
leistungen und deren Nutzen für den Menschen beziehen
sich auf regulierende Ökosystemleistungen. Das sind v. a.
die Leistungen der Luftreinhaltung, Luftkühlung, Befeuch-
tung der Luft sowie der Rückhalt von Wasser auf der Flä-
che und ihr Nutzen für die Menschen – bezogen auf das
physische und mentale Wohlbefinden (Haase et al., 2014).
Hierbei sind v. a. die empirisch in verschiedenen Städten
ermittelten Effekte temperaturregulierender Wirkungen
von grüner Infrastruktur, d. h. von Parks, Bäumen, Fried-
höfen und Wasserflächen von Bedeutung. Diese können
das Wohlbefinden der Menschen direkt und spürbar be-
einflussen und Hitzewellen im Sommer abmildern (Esco-
bedo und Nowak, 2009; Fischer und Schär, 2010; EEA 2013a).
Der Kühlungseffekt von Park- und Straßenbäumen und de-
ren Schatten wird meist durch Feldmessungen mit Tem-
peratur- und Insolationssonden ermittelt (Bowler et al.,
2010; Shashua-Bar und Hoffman, 2000). Park- und Stra-
ßenbäume, aber auch andere urbane Grünflächen bin-
den zudem Kohlenstoffdioxid (CO2). Auf Fallstudienebene
existieren bereits zahlreiche Untersuchungen zur Kohlen-
stoffspeicherung in urbaner Vegetation (Lal, 2004; Strohbach
und Haase, 2012) oder zur Luftreinhaltung (Escobedo et al.,
2011). Zu diesen Ökosystemleistungen und ihrem Nutzen
für Gesundheit und Lebensqualität vgl. Kapitel 3 und 4. Stu -
dien zur Wertschätzung oder Nutzung anderer Ökosystem-
leistungen, wie z. B. Wasserreinigung und Hochwasserre-
gulation, findet man bisher eher selten. Die Hochwasser-
regulation wird jedoch seit einigen Jahren v. a. in Bezug
auf Hochwassergefährdung und Widerstandsfähigkeit von
Städten diskutiert (Costanza et al., 2012).
Chapin et al. (2000) thematisieren die Bedeutung von Bio-
diversität in der Stadt für die menschliche Lebensqualität.
Andere Studien beschäftigen sich ebenfalls mit der Bedeu-
tung von biologischer Vielfalt, aber eher in Bezug auf die Er-
füllung der regulierenden und produzierenden Ökosystem-
leistungen (Auhagen und Sukopp, 1983; Zerbe et al., 2003).
Hingegen steht Bedeutung von genetischer Diversität
( Dobbs et al., 2011) oder von Pflanzen als medizinische Res-
source hinsichtlich ihrer Wertschätzung bisher eher selten
im Fokus wissenschaftlicher Studien (Haase et al., 2014).
Eine Ökosystemleistung, die zunehmend erforscht wird, ist
die reine Versorgungsleistung (messbare Erträge in kg/ha)
urbaner Gärten, Stadtäcker oder Kleingärten (BMVBS und
BBR, 2008). Hierbei werden v. a. Ideen der sich selbst ver-
sorgenden Stadt diskutiert.
Es existieren zudem Studien, die sich mit der emotiona-
len oder auch spirituellen Bedeutung bestimmter Plätze
und Orte für die Stadtbewohner beschäftigen (»sense of
place«; Schetke et al., 2010). Hierbei geht es um traditionelles
Wissen über Ökosysteme und Natur (Gómez-Baggethun
und Barton, 2013).
Wahrnehmungs- bzw. Wertschätzungsanalysen von Öko-
systemleistungen in Städten basieren auf klassischen
sozial wissenschaftlichen Methoden wie Fokusgruppen
oder fragebogenbasierte Umfragen. Zunehmend werden
Befragungen über das Internet durchgeführt (Online-
Surveys). Dies kann zu einer nutzer- und altersbedingten
Verzerrung (Bias) in den Antworten führen (Ambrey und
Fleming, 2011; Bertram und Rehdanz, 2015; Calvet-Mir et
al., 2012.; Tse et al., 2012). Immer häufiger werden auch
internetbasierte Karten zur Kennzeichnung beliebter Er-
holungsflächen, sogenannten internetbasierte geografi-
sche Informa tionssysteme (kurz: Web-GIS), genutzt. Auch
44 STÄDTISCHE ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN UND I HRE BEwERTUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 45
von Ökosystemen« schwer in die messungs- oder modell -
basierten Analysen der Angebotsseite einzubeziehen
(Haase et al., 2014).
Die Übergänge zu ökonomischen Zahlungsbereitschafts-
studien sind dabei bisweilen fließend, da diese auch auf
Befragungen und Interviews beruhen. Im Vordergrund der
genannten Studien stehen jedoch meist nicht-monetäre Er-
fassungen der Leistungen von Stadtnatur.
Tabelle 2.2 – 3 gibt einen Überblick über relevante Indikatoren
zur Erfassung urbaner Ökosystemleistungen sowie eine Aus-
wahl an dazugehörigen Veröffentlichungen. Es werden vor-
nehmlich Indikatoren für regulierende Ökosystemleistungen
wie Luftreinhaltung, Lufttemperaturregulation, Kohlenstoff-
speicherung und Wasserabflussregulierung aufgezeigt. Er-
gänzend werden Beispiele gegeben, mit welchen Indikatoren
sich auch die Bereitstellung kultureller Ökosystem leistungen,
wie bspw. die Bereitstellung von Erholungsleistungen, auf-
zeigen lässt.
Interviews mit Experten aus der Stadtplanung oder mit
Bürgerinnen und Bürgern tauchen im Methodenspektrum
auf, besonders, wenn es um die (planerische) Implementie-
rung als wichtig empfundener Ökosystemleistungen durch
urbane Grünflächen geht (Kabisch, 2015; Maas et al., 2006;
Makinen und Tyrvainen, 2008).
Andere häufig verwendete Ansätze der sozial-ökologi-
schen Bewertung analysieren den Zusammenhang zwi-
schen Landnutzungsmanagement und der Bereitstellung
von Ökosystemleistungen (Barthel et al., 2005). Hierbei
werden Strategien und Konzepte der Land- bzw. Flächen-
nutzung bewertet (Florgård, 2000; Niemelä et al., 2010)
oder die biophysikalische Ausstattung eines Raumes mit
der von den Nutzern wahrgenommenen Erholungsleistung
(v. a. durch urbane Grünflächen) verglichen (Fuller et al.,
2007; Rall und Haase, 2011). Ein Nachteil von wahrneh-
mungsbezogenen Studien ist ihre Kosten- und Zeitintensi-
tät. Außerdem sind für Naturwissenschaftler viele der pu-
blizierten Ergebnisse derartiger »Erfragungen des Nutzens
TABELLE 2.2 – 3 Sozial-ökologische Indikatoren zur Erfassung und Bewertung urbaner Ökosystemleistungen.
(Quellen: eigene Darstellung/vgl. Angaben in der Tabelle)
Ökosystemleistung Indikator und Einheit der Bestimmung Veröffentlichung
Luftreinhaltung PM10 durchschnittliche Jahres konzentration (µg m-3)AirBase v.7 (EEA, 2013b)
NO2 durchschnittliche Jahres konzentration (µg m-3)
O3-Wert basierend auf einem
8 h-Durchschnittswert (µg m-3)
PM10-Reduktion in einer Luftsäule
von 1 m (mg)
Escobedo et al., 2011;
Yang et al., 2008
Lufttemperaturregulation
Beschattung
Baumfläche (Baumkronen, beschattete Fläche) (m2)Bowler et al., 2010
Kühlung der bodennahen
Luftschicht
Oberflächen-Emissivität bzw. auch Verdunstung
standardisiert über Grünfläche (dimensionsloser
Index von 1 – 10 bzw. 0,1 – 1,0)
Larondelle und Haase, 2013;
Schwarz et al., 2011
Kühlungspotenzial Temperaturunterschied zwischen Park und städtischer
Umgebung (°C, Kelvin; dT)
Bowler et al., 2010;
Larondelle und Haase, 2013;
Spronken-Smith und Oke, 1998
Oberirdische Kohlenstoff-
speicherung
CO2 (t/ha) Larondelle und Haase, 2013;
Strohbach und Haase, 2012;
Escobedo et al., 2011
Wärmedämmungs-
wirkung von Grün-
dächern und -fassaden
Energieeinsparpotenzial (KWh/a) Heisler, 1986
Wasserrückhalt und
Verlangsamung des
oberirdischen
(Hochwasser-)Abflusses
versiegelte Fläche als Anteil an Gesamtfläche (kurz:
Versiegelungsgrad) (%); Oberflächenabfluss (Ao) in mm
oder % am Gesamtabfluss (A)
Larondelle und Haase, 2013;
Schwarz et al., 2011
Strukturelle Diversität Ausstattung von Parks
Infrastruktur (Anzahl der Wege, Papierkörbe,
Toiletten, Cafés etc.)
Topographie (Höhenunterschiede in m)
Biodiversität (Artenanzahl, Artendiversität)
(Erfassung von Landschaftsmaßen wie Kantendichte,
Flächengröße, Abwechslungsgrad der Landschaft,
Zerschneidungsgrad, Homogenitätsindex etc.,
Kartierung)
Voigt et al., 2014
Erholung Erholungsfläche pro Person (m2), Erreichbarkeit
(Distanz zu Grünfläche von bestimmter Größe) (m),
Wahrnehmung (qualitative Einschätzung; ordinale
Werte), Nutzung von Grünflächen, Häufigkeit
(z. B. Besuche/Woche) oder Art der Nutzung
Bertram und Rehdanz, 2015;
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STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN 51
STADTNATUR FÖRDERT GUTE
LEBENSBEDINGUNGEN
3
3.1 STADTNATUR FÖRDERT GUTES STADTKLIMA
KOORDINIERENDE AUTOREN
WILFRIED ENDLICHER, DIETER SCHERER
WEITERE AUTORIN UND AUTOREN
BJÖRN BÜTER, WILHELM KUTTLER, JULIANE MATHEY, CHRISTOPH SCHNEIDER
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
SONJA DEPPISCH, FABIAN DOSCH, MARCO FRITZ, SONJA GÄRTNER, DIRK HÜRTER, ARMIN LUDE, NINA SCHWARZ,
KARIN ZAUNBERGER SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
KERNAUSSAGEN
Städte weisen gegenüber dem unbebauten Umland veränderte Klimabedingungen auf, die als Stadtklima bezeichnet werden
und eine große Bedeutung für die Gesundheit von Menschen in der Stadt haben.
Städte bilden nachts Wärmeinseln aus, die in verdichteten Quartieren durch erhöhte Lufttemperaturen gekennzeichnet sind.
Durch Hitzewellen im Sommer, deren Häufigkeit und Dauer durch den Klimawandel voraussichtlich weiter zunehmen
werden, wird der Effekt der Wärmeinseln weiter verstärkt.
Urbaner Hitzestress führt bereits heute zu einer deutlich erhöhten Sterblichkeit.
Urbane Grünstrukturen und insbesondere Stadtparks reduzieren im Sommerhalbjahr durch ihre nächtliche Kaltluft -
pro duktion urbane Wärmeinseln in ihrer näheren Umgebung. Allee- und Parkbäume verringern durch Schattenwurf und
Verdunstungskühlung in erheblichem Umfang den Hitzestress. Fassaden- und Dachbegrünung senken die Wärmebelastung
im Inneren von Gebäuden und erhöhen bei Kälte deren Wärmedämmung.
Die Erhaltung und Förderung von Stadtnatur ist aufgrund ihrer klimatischen Ökosystemleistungen von hoher gesellschaft-
licher und ökonomischer Relevanz. Allerdings müssen hierbei standortspezifische Randbedingungen und Wechselwir -
kungen beachtet werden.
Die Lebensqualität urbaner Räume kann erheblich durch Umweltbelastungen
gemindert werden. Kapitel 3 veranschaulicht, wie Ökosystemleistungen von Stadt-
natur solche Umweltbelastungen verringern können. Dabei geht es um gutes
Stadtklima (Kapitel 3.1), Beiträge zum Klimaschutz (Kapitel 3.2), um saubere Luft
(Kapitel 3.3) und weniger Lärm (Kapitel 3.4) sowie um vielfältige Ökosystem-
leistungen von Böden und Gewässern (Kapitel 3.5). Die in diesem Kapitel aufge-
zeigten Ökosystem leistungen haben große Bedeutung für die menschliche
Gesund heit. Entsprechende Wirkungsbezüge werden im folgenden Kapitel 4
aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht konkretisiert.
3.1 Stadtnatur fördert gutes Stadtklima 51
3.1.1 Besonderheiten des Stadtklimas 52
3.1.2 Stadtklima und Hitzestress 54
3.1.3 Klimarelevante Ökosystemleistungen durch Stadtnatur 56
3.1.4 Urbane Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel 59
3.1.5 Hinweise zur Ausgestaltung städtischer Grün- und Freiraumsysteme 60
Literatur 61
3.2 Stadtnatur fördert Klimaschutz 64
3.2.1 Stadtvegetation: Kohlenstoffspeicher oder Treibhausgasquelle? 64
3.2.2 Stadtböden als Kohlenstoffspeicher 66
3.2.3 Gebäudebegrünung für Klimaschutz 66
Literatur 69
3.3 Stadtnatur fördert saubere Luft 71
3.3.1 Luftverschmutzung beeinträchtigt die Gesundheit 71
3.3.2 Lufthygienische Funktionen und Nutzen des Stadtgrüns 75
3.3.3 Empfehlungen zur Auswahl von Pflanzen 76
Literatur 78
3.4 Stadtnatur mindert Lärm 80
3.4.1 Bedeutung von Lärm für Individuen und Gesellschaft 80
3.4.2 Wie kann Stadtnatur zur Lärmminderung beitragen? 82
3.4.3 Wie lässt sich Lärmminderung durch Stadtnatur quantifizieren? 83
Literatur 84
3.5 Stadtnatur sichert funktionsfähige Böden und Gewässer 86
3.5.1 Ökosystemleistungen von Böden in urbanen Gebieten 86
3.5.2 Bedeutung bodenbildender Prozesse für Ökosystemleistungen 89
3.5.3 » Grünes« Regenwassermanagement lohnt sich:
Verminderte Kosten durch Versickerung von Niederschlagswasser 90
3.5.4 Entwicklung naturnaher Gewässer: Chance für die Stadtentwicklung 91
3.5.5 Ökologischer Umbau lohnt sich: Beispiel Emscher im Ruhrgebiet 94
Literatur 96
52 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 53
3.1.1 Besonderheiten des Stadtklimas
Städte besitzen ein im Vergleich zum offenen Umland deut-
lich verändertes Klima. Ursächlich dafür sind der hohe Anteil
versiegelter Flächen sowie die Vielzahl von Gebäuden. Städte
weisen aus diesen Gründen einen stark veränderten Wärme-
haushalt auf, der eine wesentliche Ursache des Stadtklimas
und der damit verbundenen sommerlichen Belastungen für
die Bevölkerung darstellt.
Die mit der starken Versiegelung einhergehende Verrin-
gerung der Vegetation reduziert die Pflanzenverdunstung
(Transpiration). Zudem wird überschüssiges Niederschlags-
wasser rasch über die Kanalisation abgeführt, anstatt in Bö-
den gespeichert zu werden, weshalb auch die Verdunstung
über den Boden (Evaporation) niedriger ist. Dies hat zur Folge,
dass in der Stadt ein geringerer Anteil der solaren Strahlungs
-
energie als im Umland für Verdunstung und Transpiration
(Evapotranspiration) verbraucht wird.
In Städten wird ein erheblicher Teil der tagsüber (v. a. im Som
-
mer) im Überschuss vorhandenen Strahlungsenergie (posi-
tive Strahlungsbilanz) in Dächern, Wänden und versiegelten
Oberflächen gespeichert. Diese Energie kann nachts wieder
an die bodennahe Luft abgegeben werden und verhindert
dadurch ein rasches Abkühlen der Luft, wie es über Freiflä-
chen zu beobachten ist. In der Nacht wird die Strahlungsbi-
lanz in Städten und im Umland negativ. Über den Freiflächen,
wo tagsüber nur wenig Energie gespeichert wird, bildet sich
Kaltluft, weil die bodennahe, wärmere Luft Energie an die
kältere Erdoberfläche abgibt. Die weder für die Evapotran-
spiration benötigte noch im Untergrund oder in Gebäuden
gespeicherte Strahlungsenergie steht für die Erwärmung der
bodennahen Luft zur Verfügung.
Die unterschiedlichen Oberflächen in der Stadt mit ihren Er-
höhungen und Vertiefungen durch Bebauung (auch: Rauig-
keit) setzen einerseits die mittleren Windgeschwindigkeiten
herab, erhöhen andererseits aber die Turbulenz. Dies hat v. a.
Einfluss auf die städtische Durchlüftung, die sehr komplex
ist und auch durch Stadtvegetation beeinflusst wird. Gene-
rell ist der bodennahe Luftaustausch in Städten im Vergleich
zum Umland reduziert. An bestimmten Standorten können
in Städten aber auch Luftwirbel zu verbesserten Austausch-
bedingungen beitragen und bei bestimmten Wetterlagen zu
Schäden durch Windböen führen.
Die wesentlichen stadtklimatischen Besonderheiten einer
mitteleuropäischen Großstadt sind in Tabelle 3.1 – 1 zusam-
mengestellt.
Die tagsüber in den Gebäuden gespeicherte Energie wird
der Stadtatmosphäre verzögert am Abend und in der Nacht
wieder zur Verfügung gestellt. Dieses Phänomen kann durch
Messungen der Lufttemperatur im Vergleich Stadt – Um-
land festgestellt werden und ist als städtische Wärmeinsel
weltweit bekannt (Kuttler, 2013). Diese ist definiert über den
Unterschied zwischen den wärmsten Gebieten einer Stadt
und den kältesten in ihrer Umgebung. Wärmeinseln sind
desto intensiver ausgebildet, je höher der Energieverbrauch
und je größer eine Stadt ist (Oke, 1973). So beträgt etwa die
TABELLE 3.1 – 1 Stadtklimatische Besonderheiten einer
Groß stadt in Mitteleuropa. (Quelle: modifiziert nach Kuttler,
2013, Tabelle 10.1)
ABBILDUNG 3.1 – 1 Mittlere Wärmeinsel von Aachen dargestellt anhand der Lufttemperaturdifferenz relativ zur Klimastation
Aachen-Hörn. Oben: Modellierte Wärmeinsel von Aachen am Nachmittag (links) und am Abend (rechts). Die Farbgebung der Maßan-
gaben reicht von den niedrigsten (blau) bis zu den höchsten (purpur) Differenzen relativ zur Wetterstation Aachen-Hörn. Die Punkte
symbolisieren die Lage der Messpunkte bei mobilen Messungen mit einem an Linienbussen angebrachten mobilen Messsystem. Unten:
gemessene (Gem) und modellierte (Mod) Luf ttemperaturunterschiede relativ zur Wetterstation Aachen-Hörn entlang der Buslinie,
die in einem Transekt von Westsüdwest (A = Aachen Vaalserquartier) nach Ost (B = Aachen-Eilendorf ) das Stadtgebiet quert. Modellierte
Werte sind als Dreiecke und gemessene Werte als Punkte dargestellt, wobei die Daten in Pink die Abendsituation (abend) und die
Daten in Grün die Nachmittagssituation (mittag) darstellen. Die Säulen (Diff ) zeigen den Unterschied zwischen Modell und Messung
am Nachmittag (grau) und am Abend (weiß). (Quelle: Buttstädt und Schneider, 2014)
Klimaelement/Auswirkung Veränderung gegenüber dem
nicht bebauten Umland
Globalstrahlung bis – 10 %
Gegenstrahlung bis + 10 %
UV-Strahlung
im Sommer bis – 5 %
im Winter bis – 30 %
Sonnenscheindauer
im Sommer bis – 8 %
im Winter bis – 10 %
Evapotranspiration bis – 50 %
Wärmespeicherung im
Untergrund und in Bauwerken
bis + 40 %
Lufttemperatur
Jahresmittel ~+ 2°C
Winterminima bis + 10°C
in Einzelfällen (insb. in
Sommernächten)
bis + 15°C
Wind
Geschwindigkeit bis – 20 %
Richtungsböigkeit stark variierend
Geschwindigkeitsböigkeit erhöht
Nebel (Großstadt) weniger
Niederschlag
Regen mehr (auf der windabgewand-
ten Seite)
Schnee weniger
Tauabsatz weniger
Vegetationsperiode bis zu 10 Tage länger
Dauer der Frostperiode bis – 30 % Temperaturprofil
Temperaturdifferenzen zur Wetterstation Aachen- Hörn
[ ˚C ]
Diff_mittag Dif f_ abend Gem_abend
Wohngebiet
Wohngebiet
Wohngebiet
Wohngebiet
IndustrieInnenstadt
Park
Wald
Mod_abend Gem_mittag Mod_mittag
Wetterstation Aachen -Hörn
Abendsituation
(20: 00 Uhr – 0:00 Uhr)
Nachmittagsituation
(13: 00 Uhr – 17:00 Uhr)
Perzentil
54 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 55
zu 70.000 Menschen zusätzlich verstorben (Larsen, 2006;
Robine et al., 2008; Schär und Jendritzky, 2004), insbesondere
ältere, alleinstehende Menschen. In Berliner Kliniken steigt
bei Hitzewellen die Aufnahme von Patienten mit Erkrankun-
gen des Atmungssystems stark an (Scherber et al., 2013). Etwa
4 – 5 % aller Sterbefälle in Berlin hängen mit Hitze zusammen
(Scherer et al., 2013; vgl. Abbildung 3.1 – 3). Gefährdet sind
besonders ältere und kranke Menschen sowie Kleinkinder,
bei denen das Thermoregulationssystem nur eingeschränkt
funktionsfähig ist (Eis et al., 2010). Diese verwundbaren
Grup pen sind bei Hitzewellen in Städten somit einem höheren
Gesundheitsrisiko ausgesetzt (Vandentorren et al., 2006).
Stadtvegetation und insbesondere Straßen- und Parkbäume
reduzieren bei Hitzewellen das gesundheitliche Risiko. Sie
senken am Tage durch Schattenwurf die Wärmebelastung
und das Hautkrebsrisiko. Auch die Verdunstungskühlung re-
duziert die Wärmebelastung. In der Nacht produzieren Stadt -
parks Kaltluft, die je nach Topographie nicht nur in ihrer
näheren Umgebung die städtische Wärmeinsel vermindert.
Dadurch wird die nächtliche Erholungsphase befördert.
hohe Luftfeuchtigkeit und Windstille beeinträchtigt werden
(vgl. auch Abbildung 3.1 – 2). Daher werden zur Einschätzung
der bioklimatischen Bedingungen sogenannte thermische
Indizes, wie der »Universal Thermal Climate Index« (UTCI)
verwendet, bei denen neben der Lufttemperatur auch die
Strahlungsflüsse, die Luftfeuchtigkeit und der Wind Berück-
sichtigung finden (Jendritzky et al., 2009; utci.org).
Mit zunehmender Wärmebelastung steigen die Anforderun-
gen an das Herz-Kreislauf-System und die Atmung an. Human-
biometeorologische bzw. epidemiologische Untersuchungen
aus verschiedenen Städten Deutschlands und Europas bele-
gen bei sommerlichen Hitzewellen deutlich erhöhte Erkran-
kungs- (Morbidität) und Sterberaten (Mortalität) (Gabriel
und Endlicher, 2011; Heudorf und Meyer, 2005; Hoffmann
et al., 2008; Koppe, 2005; Michelozzi et al., 2009; Schneider
et al., 2009). Besonders problematisch ist das gleichzeitige
Auftreten von Wärmebelastung und hohen Ozon- und Fein-
staubwerten, wie in Berlin und Lissabon gezeigt werden
konnte (Burkart et al., 2013; Schneider et al., 2011). Während
der europaweiten Hitzewellen im Sommer 2003 sind bis
Erholung vom thermischen Stress des Tages erschwert. Es tritt
eine Beeinträchtigung des Schlafes bis hin zur Gesundheits-
gefährdung ein (Fenner et al., 2015; Höppe, 1999; Jendritzky
und Grätz, 1999; Scherer und Endlicher, 2013).
Der Wärmehaushalt des Menschen ist im Körperinneren auf
eine gleichbleibende Temperatur von etwa 37°C ausgerichtet.
Daher können im Sommer direkte Sonnenstrahlung, hohe
Lufttemperatur und -feuchte sowie geringe Windgeschwin-
digkeit zur Wärmebelastung bis hin zum Hitzestress führen.
Wärmebildung und -abgabe werden durch das menschli-
che Thermoregulationssystem gesteuert. In einer warmen
Umgebung gibt der menschliche Organismus Wärme v. a.
durch Schweißverdunstung, aber auch durch Eigenstrahlung,
Atmung und ggf. Erwärmung der Umgebungsluft ab. Diese
Thermoregulation kann durch übergroße Strahlung, Wärme,
mittlere Wärmeinsel von Berlin ca. 2 – 4°C und die von Aachen
ca. 1 – 3°C (zu Aachen vgl. Abbildung 3.1 – 1). Die städtische
Wärmeinsel ist in mitteleuropäischen Städten überwiegend
ein nächtliches Phänomen (z. B. Fenner et al., 2014). Am Tage
sind die Städte im Sommerhalbjahr nur wenig überwärmt
oder bilden sogar schwache Kühlezonen aus, etwa in gut
durchgrünten Stadtvierteln. Städte können aber in längeren
Trocken perioden höhere Maximalwerte der Lufttemperatur
erreichen als vegetationsbestandene, unbebaute Gebiete.
3.1.2 Stadtklima und Hitzestress
Städtische Wärmeinseln bilden sich v. a. bei heiterem Wetter.
In deutschen Großstädten können sich dann nachts Tempe-
raturunterschiede zwischen Umland und Zentrum von 10°C
und mehr ergeben. In diesen Wärmeinseln wird in über 20°C
warmen »tropischen Nächten« die notwendige nächtliche
ABBILDUNG 3.1 – 2 Energieflüsse und der menschliche Organismus: Durch Abschattung kann am Tage die Hitzebelastung reduziert
werden. (Abbildung: Wilfried Endlicher unter Verwendung von Jendritzky und Grätz, 1999)
ABBILDUNG 3.1 – 3 Mittlere tägliche Sterbefälle in Berlin sowie tägliche Sterbefälle und tägliches Maximum des
»Universal Thermal Climate Index« (UTCI) im Jahr 2010 : deutliche Zunahme der Sterbefälle während der sommerlichen Hitzewelle.
(Abbildung: Wilfried Endlicher, Katharina Scherber)
Die Komponenten im Wärmehaushalt
des Menschen am Tag aus
humanbioklimatologischer Sicht
Anzahl täglicher Sterbefälle
Mittelwert täglicher Sterbefälle 2000 – 2010
Tagesmaxima UTCI in °C
56 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 57
dabei wesentlich zu einer Senkung der Oberflächen- und
Lufttemperatur und damit zur Verbesserung des thermi -
schen Komforts bei. In Innenhöfen kann die Oberflächen-
temperatur am Tage durch Beschattung um bis zu ca. 10°C
reduziert werden. Fassaden- und Dachbegrünung können
die sommerliche Lufttemperatur in Innenräumen positiv
beeinflussen und im Winter Wärmeverluste an Gebäuden
reduzieren (vgl. auch Kapitel 3.2). Klimatische Wirkungen
städtischer Vegetationsstrukturen bestehen demnach am
Tage in Temperaturregulierung (Abkühlung durch Verduns-
tung und Schattenwurf), Erhöhung der Luftfeuchtigkeit,
Windschutz sowie Strahlungsabsorption insbesondere im
UV-Bereich. Die Ergebnisse einer Modellierung am Beispiel
von Dresden zeigen, dass die sommerlichen Höchsttempe-
raturen durch große Vegetationsvolumina deutlich gesenkt
werden können (siehe Abbildung 3.1 – 5).
Klimatische Funktionen einzelner Bestandteile des städti-
schen Freiraumsystems sind auf verschiedenen räumlichen
Ebenen bedeutsam: innerhalb einer Grünfläche, in ihrer Um-
gebung und auch in entfernteren Bereichen, in die kühle,
saubere Luft abfließen kann. Die Kühleffekte einer Grün-
anlage sind in aufgelockerten, bereits gut durchgrünten
Gebieten am Stadtrand geringer als in dichten, stark über-
wärmten Innenstadtbereichen, wobei grundsätzlich immer
zwischen Oberflächen- und Lufttemperaturen zu unterschei-
den ist. Neben der Vegetationsbedeckung spielt die Größe
einer Grünfläche eine große Rolle für mögliche Kühleffekte.
Senkung hitzebezogener Erkrankungs- und Sterberaten
im Sommer (insbes. Herz-Kreislauf- und Atmungs system-
Erkrankungen)
Reduktion durch ultraviolette Strahlung ausgelöster Ge-
sundheitsrisiken (Schattenwurf am Tage und Absorption
von UV-Strahlung)
Reduktion des Heizenergiebedarfs im Winterhalbjahr (Iso-
lierung durch grüne Gebäudehülle)
Reduktion des Gebäudekühlbedarfs im Sommerhalbjahr
(Isolierung durch grüne Gebäudehülle)
Reduktion temperaturbedingter Schäden an Gebäuden und
Infrastruktur (Isolierung durch grüne Gebäudehülle)
Erschließung zusätzlicher freizeitlicher/touristischer Poten -
ziale (Schattenwurf in Straßen und Parks)
Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch Senkung der ther-
mischen Belastung
Städtische Grün- und Freiflächen erbringen somit wich-
tige Regulationsleistungen für das Stadtklima. Im Sommer-
halbjahr wird am Tage die direkte Sonnenstrahlung durch
Baumkronen und hohe Büsche abgefangen und die Energie -
umsatzfläche nach oben verlagert. Der Schattenwurf trägt
Schattenwurf am Tage und Kaltluftproduktion in der Nacht
sind demnach von hoher Relevanz für die physische Ge-
sundheit der Stadtbevölkerung. Da insbesondere ältere und
kranke Menschen unter der Hitzebelastung in der Stadt lei-
den, gewinnen klimaregulierende Ökosystemleistungen im
Zuge des demografischen Wandels an Bedeutung.
Aus zahlreichen Städten liegen Kartierungen gesundheit-
licher Belastungszonen vor, die meistens aus zu dichter Be-
bauung sowie fehlenden Grünstrukturen resultieren (BMVBS
2013; REGKLAM Konsortium, 2013; Scherber et al., 2013; zu
Dresden vgl. Abbildung 3.1 – 4).
Zu diesen lokalen Effekten tritt im Zuge des Klimawandels die
globale Erwärmung in ihrer jeweiligen regionalen Aus prägung
hinzu. Der zwischenstaatliche Wissenschaftsausschuss für
den Klimawandel, das »Intergovernmental Panel on Climate
Change« (IPCC, Weltklimarat), geht in seinem 5. Sachstands-
bericht von einer weiteren Zunahme von Extremwetter
und -witterung aus. Insbesondere sei es sehr wahrscheinlich,
dass Hitzewellen künftig häufiger auftreten, intensiver
ausfallen und länger andauern werden (IPCC, 2013). Die
Häufig keit von Hitzewellen hat bereits in jüngerer Zeit
stark zu genommen. Gegen Ende des Jahrhunderts sollen
ABBILDUNG 3.1 – 4 Zonen innerstädtischer Wärmebelastung: Betroffenheit der Bevölkerung aller Altersgruppen im Stadtzentrum
von Dresden. (Quelle: verändert nach Krüger et al., 2014)
die kältesten Sommermonate so warm sein wie derzeit die
wärmsten (Coumou und Robinson, 2013). Die globale Erwär-
mung wird aber nicht nur zu einer Verstärkung des Wärme-
inseleffektes führen, sondern auch die räumliche Ausbrei-
tung der Wärme insel innerhalb der Stadtgebiete erhöhen
(Li und Bou-Zeid, 2013).
3.1.3 Klimarelevante Ökosystemleistungen
durch Stadtnatur
Die bioklimatisch bedeutsamen Klimaelemente Strahlung,
Lufttemperatur, Luftfeuchte sowie Wind werden in vielfäl tiger
Weise durch die Stadtnatur beeinflusst (siehe Tabelle 3.1 – 2).
Städtisches Grün trägt somit wesentlich zu den positiven
Effekten eines guten Stadtklimas bei durch:
Erhöhung des thermischen Komforts (Reduktion der ther-
mischen Extreme)
Reduktion von Hitzestressrisiken (Schattenwurf und Ver-
dunstungskühlung am Tage, Kaltluftproduktion in der Nacht)
Reduktion von Kältestressrisiken (Verringerung der Wind-
geschwindigkeit, die bei Kälte zur Auskühlung beiträgt)
TABELLE 3.1 – 2 Wirkung von Stadtvegetation auf ausgewählte Klimaelemente. (Quellen: verschiedene Autoren in Mathey et al., 2011)
Klimaelement Wirkungstendenz bei
Zunahme der Stadt vegetation
Qualitative Beschreibung
Strahlung unbeeinflusst bis sinkend Dämpfung der Helligkeitsmaxima unter Bäumen und höheren
Sträuchern (mittlere und hohe Vegetationsschicht); Absorption von
Sonnenlicht (insbesondere im UV-Bereich); verschattende Wirkung
Lufttemperatur sinkend Anstieg der verschattenden Wirkung , insbesondere durch mittlere
und hohe Vegetation; Transpiration der Pflanzen; Reflektion von
Sonnen strahlung; Kühlung unterhalb der Vegetation sowie angren -
zender Bereiche
Luftfeuchte steigend Geringerer Abfluss von Regenwasser; Zunahme der Regenwasser -
ver sickerung; Zunahme der Verdunstungsflächen; steigende Wasser-
dampfabgabe
Wind sinkend Entstehung von Temperaturunterschieden zwischen Vegetationsflächen
und der Umgebung; vertikale Luftbewegungen; Ausbildung kleiner
Luftkreisläufe, die den horizontalen Luftaustausch ggfs. unterstützen, je
nach Anordnung der Vegetation innerhalb der Struktur; Zunahme
des Luftwiderstands und damit Abnahme der Windgeschwindigkeiten
58 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 59
von Grünflächen endet ohne Einfluss der Topographie un-
abhängig von der Flächengröße meist nach ca. 200 – 300 m
(von Stülpnagel, 1987). Jedoch fließt in vielen Städten in Tal-
und Kessellage durch Grünflächen im Umland produzierte
nächtliche Kaltluft als Bergwind weit in die Innenstädte (z. B.
»Höllen täler« in Freiburg i. Br.). Derartige Belüftungs- oder
Luftbahnen sollten daher von Bebauung frei gehalten wer-
den (Sachsen, 2013).
Zwischen Freiraum und Baukörpern können darüber hin-
aus nachts thermische Ausgleichsströmungen stattfinden,
die zwischen Umland und Stadt als Flurwind, bei Parks in-
nerhalb einer Stadt als Parkbrise bekannt sind. Als relevant
werden die vom Freiraum ausgehenden Wirkungen ab einer
Temperaturabsenkung von 0,5 °C in die Umgebung angese-
hen (siehe Abbildung 3.1 – 6).
Die temperaturregulierenden Ökosystemleistungen von
Stadtnatur tragen erheblich zur Lebensqualität in Städten bei –
insbesondere während sommerlicher Hitze. Gesundheitlich
relevant ist die abkühlende Wirkung der Stadtnatur dabei
insbesondere für stark verwundbare Gruppen wie ältere
Menschen, Kranke oder Kleinkinder, bei denen das Thermo-
regulationssystem nicht voll funktionsfähig ist (vgl. auch
Kapitel 4 zu den Gesundheitswirkungen von Stadtnatur).
Maßnahmen sollen dabei Synergien zwischen Naturschutz,
Klimaschutz und Anpassung nutzen und die Biodiversität
för dern (Bundesregierung, 2008). So bietet sich durch die
Berücksichtigung der klimawirksamen Qualitäten von Grün-
und Freiraumstrukturen im Planungsprozess die Chance,
das Thema urbane Biodiversität im Sinne der Biodiversitäts-
konvention der Vereinten Nationen mitzudenken (Burkhardt
et al., 2008; Fryd et al., 2011; Mosbrugger et al., 2012).
Allerdings ist die städtische Vegetation auch den Folgen
des Klimawandels ausgesetzt: Veränderungen der pflanz-
lichen Lebensprozesse, Sommerdürren, Hitzeperioden und
Luft belastungen sowie neue Schad- und Krankheitserreger
können die Stadtvegetation in der Erfüllung ihrer Ökosystem-
leistungen beeinträchtigen (Bowler et al., 2010; Defila, 1999;
Roetzer et al., 2000). Durch gezielte Pflanzenauswahl (Roloff
et al., 2010) sowie mittels geeigneter pflegerischer Maßnah-
men, insbesondere zur Sicherstellung ausreichender Wasser-
verfügbarkeit in Trockenperioden, kann diesen Folgen entge-
gengewirkt werden.
Spürbare klimatische Wirkungen werden in Grünflächen
ab einer Größe von 1 ha beschrieben (Gill et al., 2007). Auf
50 – 100 m breiten Grünflächen wurde eine Abkühlung an
heißen und windstillen Tagen um 3 – 4 °C gegenüber der an-
grenzenden Bebauung festgestellt (Bruse, 2003; Ermer et al.,
1996). In klaren Nächten können größere Grünanlagen zu ei-
ner nächtlichen Absenkung der Lufttemperatur von 5 bis 10°C
führen. Damit produzieren sie Kaltluft, die in die bebaute
Umgebung abfließen und dort zu einer Senkung der nächt-
lichen Wärmeinsel führen kann. Auch Brachflächen können –
je nach Stadium der Vegetationssukzession – Abkühlungs-
effekte erzeugen: junge Stadtbrachen mit Ruderal- und Stau-
denfluren bis zu 1,4 °C; alte Stadtbrachen mit Sukzessions-
wald bis zu 1,7 °C (Mathey et al., 2011, am Beispiel von Dresden).
Dabei sind Vegetationsstrukturen mit möglichst wenig ver-
siegelten Flächen und unterschiedlichen Baumhöhen mikro-
klimatisch besonders günstig. Städtisches Grün wirkt somit
im Sommerhalbjahr – je nach Struktur und Umfang – mehr
oder weniger als »Kühleinsel«, sowohl am Tage als auch in
der Nacht (Goldbach und Kuttler, 2013).
Der Wirkungsbereich einer Grünfläche wächst nicht pro-
portional zur Flächengröße. So erklärt sich auch, dass klei-
nere Grünflächen im Verhältnis teilweise wirkungsvoller sind
als große (Scherer, 2007). Der klimatische Wirkungsbereich
3.1.4 Urbane Anpassungsmaßnahmen
an den Klimawandel
Es besteht die Notwendigkeit, sich an die inzwischen unver-
meidbaren Folgen des Klimawandels anzupassen. Unsere
Städte müssen deshalb mittel- bis langfristig strukturell um-
gestaltet werden (BMVBS, 2013; Endlicher, 2012; Endlicher
und Kress, 2008; Gill et al., 2007). Hier spielt die Stadtnatur
eine entscheidende Rolle: Dem öffentlichen Grün in Form
von Stadtbäumen in Parks und an Straßen sowie vielen an-
deren Elementen der grünen Infrastruktur kommt dabei eine
zentrale Bedeutung zu. Auch bewaldete Stadtbrachen und
gut durchgrünte Wohnquartiere erbringen über das einzelne
Grundstück hinaus wichtige ökologische und soziale Leistun-
gen, neben dem Stadtklima auch für den Wasserhaushalt, für
Sport, Spiel und Erholung bis hin zur Biotopvernetzung
(Kordowski und Kuttler, 2010; Nowak und Crane, 2002;
Rößler und Mathey, 2014).
In der Deutschen Anpassungsstrategie wird die Erhaltung der
Biodiversität als eine Voraussetzung angesehen, um die An-
passungsfähigkeit natürlicher Systeme zu sichern. Integrative
ABBILDUNG 3.1 – 5 Verteilung des Grünvolumens und damit verbundene maximale Abkühlungseffekte an einem strahlungsreichen
Sommertag in Dresden. (in K = Kelvin; Quelle: verändert nach Mathey et al. 2011)
ABBILDUNG 3.1 – 6 Nächtliche Temperaturabsenkung in einem Dortmunder Park und seine Wirkung in der Umgebung.
(Lufttemperaturdifferenzen in K = Kelvin; Quelle: Bongardt, 2006)
Legende
Luft temperaturdiff. in K
0,00 – 0,25
0,26 – 0,5
0,51 – 0,75
0,76 – 1
1,01 – 1, 25
1,26 – 1,5
1,51 – 1,75
1,76 – 2
2,01 – 2,25
2,26 – 2,5
2,51 – 2,75
2,76 – 3
3,01 – 3,25
3,26 – 3 ,5
3,51 – 3,75
3,76 – 4
Parkfläche
max. Wirkungsber eich
tatsächlich
sichtbar
0 50 100 150 m
60 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 61
nächtliche Abkühlung als auch Milderung der Wärme-
belastung am Tage (Pauleit, 2011; Werner, 2010).
(3) Kaltluftbahnen sollten von höherer Vegetation freigehal-
ten bzw. Hecken und Baumreihen möglichst strömungs-
parallel, dem Gefälle folgend angeordnet werden (Mayer
et al., 1994). Gegebenenfalls kann in schwach geneigtem
Gelände die Anlage der Vegetation sogar genutzt werden,
um durch Stau- und sukzessive Überströmungseffekte
bode nnahe Kaltluft in besonders überwärmte Stadtteile
zu lenken (Sachsen et al., 2013).
höher ist in der Regel der Abkühlungseffekt. Diese Aus -
sage ist allerdings je nach Wetterlage differenziert zu be-
trachten, da bspw. beim Luftaustausch auch die Vegeta-
tionsstruktur (z. B. Kronenschluss von Bäumen) eine Rolle
spielen kann. Mit Blick auf die jeweiligen planerischen Be-
lange ist abzuwägen, welche klimatischen Wirkungen an
einem bestimmten Ort im Stadtgefüge wünschenswert
sind und ob die erzielbaren Abkühlungseffekte einer Flä -
che tagsüber oder nachts an den Rändern der Grünflächen
angestrebt werden. Die häufig anzutreffende Gestal-
tung von Grünanlagen mit Schatten spendenden Bäumen
und größeren Rasenflächen bewirkt meist beides: sowohl
werden soll, lassen sich folgende Hinweise (1) zur Verteilung
der Freiräume, (2) zur Bebauungsstruktur und Vegetations-
ausstattung einzelner Freiräume sowie (3) zu Kaltluftbahnen
geben (Mathey et al., 2011; MUNLV-NRW, 2010):
(1) Die Verteilung der Freiräume über die Stadt beeinflusst
ganz wesentlich die erzielbaren klimatischen Wirkungen.
Ein kleinräumig engmaschiges und reich strukturiertes
Freiraumsystem im Innenbereich, ergänzt durch offene
Kaltluftbahnen aus den Randbereichen, kann über den
gesamten Stadtbereich bioklimatisch wirken. Je höher der
Anteil vegetationsgeprägter, aufgelockerter Stadtvege-
tationsstrukturtypen an der Stadtfläche, desto günstiger
ist in der Regel das Stadtklima. Die Bedeutung von Grün-
flächen wird bspw. an den Klimafunktionskarten einzelner
Städte deutlich (siehe Abbildung 3.1 – 7).
(2) Bebauungsstruktur und Vegetationsausstattung einzel-
ner Freiräume sind entscheidend für die bioklimatischen
Ausgleichspotenziale. Je größer das Grünvolumen, desto
3.1.5 Hinweise zur Ausgestaltung städtischer
Grün- und Freiraumsysteme
Die Art und Ausprägung der Vegetationsstruktur eines Grün-
bzw. Freiflächentyps bestimmen maßgeblich die von ihr aus-
gehenden Ökosystemleistungen. So unterscheiden sich die
vielfältigen städtischen Grün- und Freiflächentypen sowohl
hinsichtlich ihrer Anpassungsfähigkeit an die Folgen des Kli-
mawandels, wie Dürreperioden und erhöhte Sommertem-
peraturen, als auch hinsichtlich ihrer klimatischen Regulati-
onsleistungen. Besonders positiv stellen sich mit Bäumen
und Sträuchern bestandene, offene Parkflächen dar, wohin-
gegen reine Rasenflächen keinen Schatten werfen und in aus-
getrocknetem Zustand auch keine Verdunstungskälte erzeu-
gen. Dach- und Wandbegrünungen wirken sich im Nahbereich
sowie bei Gebäuden mit schlechter Wärmedämmung regu-
lierend auf das Innenraumklima aus (siehe Kapitel 3.2).
Für eine städtische Freiraumplanung, die sowohl den An-
passungserfordernissen des Klimawandels als auch den Zie-
len zur Erhaltung und Förderung von Biodiversität gerecht
ABBILDUNG 3.1 – 7 Ausschnitt aus der Klimafunktionskarte Magdeburg mit Grün- und Freiflächen geringer und hoher nächtlicher
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LITERATUR
Legende
Kaltluf tlieferung der Grün - und
Freiflächen
4 Sehr hoch
3 Ho ch
2 Mäßig
1 Gering
Vorherrschende Strömungs-
richtung und mi ttlere
Strömungsgeschwindigkeit (m/s)
0.1 – <=0.2
0.2 – <=0.3
0.3 – <=0.5
0.5 – <=1.0
> 1
Fläche hoher
Kaltluftp roduktivität
Grenze Kaltluf teinzugs-
gebiet
Bioklimati sche Situation in den
Stadtgebieten
1 Sehr günstig
2 Günstig
3 Wenige r günstig
4 Ungünstig
Einwirkungsbereic h der
Kaltluft strömung
innerhalb der Bebauung
Hohe verkehrsbe dingte
Luftbelastung
Übergeordnete Luftaustauschbereiche
Lufthygie nisch unbelastet
Lufthygie nisch belastet
Gewässer
Straßenfläche
Stadtgrenze Magdeburg
Lokale Luftaustauschbereiche
Lufthygie nisch unbelastet
Lufthygie nisch belastet
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64 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
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und Kendall, 2014; Strohbach et al., 2012). Die tatsächliche
Klimaschutzwirkung kann nur über eine Gegenüberstellung
von Quellen und Senken von Treibhausgasen geklärt werden
(Infobox 3.2 – 1). Durch die Auswahl von robusten, langlebigen
und wenig pfl egeintensiven Baumarten sowie durch die
Gestaltung und Pfl ege von Grünfl ächen, die ohne häufi ges
Rasenmähen, Düngen oder Bewässern auskommen, kön-
nen nicht nur städtische Ausgaben reduziert, sondern kann
auch das Klima geschützt werden (McPherson und Kendall,
2014; Strohbach et al., 2012). Urbane Wildnis (siehe auch
Kapitel 6.3) stellt in diesem Zusammenhang eine besonders
klimafreundliche Flächennutzung dar, da auf Pfl ege und Ge-
staltung weitgehend verzichtet wird.
geprägtem Stadtrand, liegt die durchschnittliche Kohlen-
stoffspeicherung bei 12 t/ha (etwa 44 t CO2/ha; Strohbach
und Haase, 2012).
Wichtig für den Klimaschutz ist jedoch nicht nur die Gesamt-
menge des gespeicherten Kohlenstoffs, sondern die Bilanz
über einen Zeitraum von mehreren Jahren bis Jahrzehnten.
In Städten sind viele Bäume in Grünfl ächen und an Straßen
gepfl anzt worden und werden dort regelmäßig gepfl egt.
Dies ist mit Treibhausgasausstoß verbunden, z. B. durch den
Einsatz von Maschinen und Fahrzeugen. Intensiv gepfl egte
Grünfl ächen mit wenigen oder kurzlebigen Bäumen können
sogar mehr CO2 freisetzen als sie aufnehmen (McPherson
Vegetation gespeichert und durch Zersetzung wieder als CO2
an die Luft abgegeben. Oftmals wird mehr CO2 aufgenom-
men als abgegeben und dadurch das Klima geschützt. Von
der Gesamtmenge der durch menschliche Aktivität freige-
setzten Treibhausgase kann jedoch nur ein geringer Teil durch
Stadtnatur ausgeglichen werden (Pataki et al., 2006). Daher
wird im Folgenden erörtert: Was kann Stadtnatur zum Klima-
schutz beitragen und in welcher Form? Welche Synergien
ergeben sich zwischen den Klimaschutzleistungen und wei-
teren Ökosystemleistungen der Stadtnatur?
3.2.1 Stadtvegetation: Kohlenstoffspeicher oder
Treibhausgasquelle?
Im Gegensatz zu anderen Pfl anzen können Bäume aufgrund
ihrer Langlebigkeit über Jahrzehnte Kohlenstoff speichern.
Die Gesamtmenge des gespeicherten Kohlenstoffs in Stadt-
bäumen hängt von ihrer Größe und von ihrem Alter ab. In
Karlsruhe, einer Stadt mit großem Waldbestand innerhalb
der Gemeindegrenze, sind durchschnittlich 32 t Kohlenstoff
pro ha (etwa 120 t CO2/ha) gespeichert (Kändler et al., 2011).
In Leipzig, einer eher kompakten Stadt mit landwirtschaft lich
Ein Großteil der durch den Menschen verursachten Treibhaus-
gasemissionen hat seinen Ursprung in Städten (Revi et al.,
2014). Dort lebt bereits heute die Mehrheit der Bevölkerung,
und viele menschliche Aktivitäten sind direkt mit dem Ver-
brennen fossiler Energieträger verbunden, z. B. Autofahren
oder Heizen und Kühlen von Gebäuden. Auch der Verbrauch
von Strom durch Gewerbe, Industrie und Privatpersonen
führt indirekt zum Ausstoß von Treibhausgasen, da ein Groß-
teil der Stromversorgung auf fossilen Energieträgern basiert.
Den größten Anteil an den gesamten durch Menschen verur-
sachten Treibhausgasemissionen hat Kohlenstoffdioxid (CO2).
Die Klimawirkung anderer Treibhausgase, die zwar in gerin-
geren Mengen vorkommen, aber durchaus klimaschädlicher
sein können, wird oft auf CO2 bezogen. Man spricht dann von
CO2-Äquivalenten (CO2-Äq).
Stadtnatur kann durch Festlegung von CO2 in Vegetation und
in Böden direkt zum Klimaschutz beitragen. Wie in anderen
Ökosystemen wird auch in Städten der Kohlenstoff aus dem
CO
2
der Luft über Photosynthese in pfl anzliche Biomasse ein-
gebaut, in biologische Prozesse eingebunden, in Böden und
3.2 STADTNATUR FÖRDERT KLIMASCHUTZ
KOORDINIERENDER AUTOR
MICHAEL W. STROHBACH
WEITERE AUTORINNEN UND WEITERER AUTOR
DAGMAR HAASE, NATHALIE JENNER, CHRISTIAN KLINGENFUSS, NICOLE PFOSER
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, SONJA GÄRTNER, ARMIN LUDE, STEPHAN PAULEIT, KARIN ZAUNBERGER SOWIE WEITERE ANONYME
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
KERNAUSSAGEN
Stadtnatur leistet einen Beitrag zum Klimaschutz, denn Pfl anzen und Böden in Städten binden das Treibhausgas Kohlenstoff-
dioxid (CO2). Dach- und Fassadenbegrünung steigert die Energieeffi zienz von Gebäuden und vermindert damit indirekt den
Ausstoß von Treibhausgasen aus Heizungen und Kraftwerken.
Die Gestaltung von Stadtnatur und die Art und Intensität ihrer Pfl ege haben einen Einfl uss auf das Klima, da je nach Aus-
gestaltung unterschiedlich viel CO2 durch das Grün gebunden bzw. durch Anlage und Pfl egemaßnahmen freigesetzt wird.
Klimaschutz ist selten ein alleiniges Ziel, aber oft ein willkommener Nebeneffekt von Maßnahmen und Projekten zur För-
derung von Ökosystemleistungen. Die Synergien zwischen Stadtnatur und Klimaschutz und -anpassung sollten im Rahmen
der langfristigen Stadtentwicklung daher stärker Berücksichtigung fi nden.
INFOBOX 3.2 – 1
CO2-Fußabdruck einer Grünfl äche
Der CO2-Fußabdruck eines Produktes, einer Dienstleistung oder
in diesem Fall einer Grünfl äche ist zu ermitteln, indem man
alle Quellen und Senken von Treibhausgasen entlang des Le-
bensweges abschätzt. Abbildung 3.2 – 1 zeigt die Hauptquellen
und -senken sowie den Gesamt-CO2-Fußabdruck einer 2,16 ha
großen Grünfl äche in Leipzig mit einer Bilanzierung über einen
Zeitraum von 50 Jahren (aus Strohbach et al., 2012). Dargestellt
sind CO2-Äquivalente.
Design und Pfl ege haben einen großen Einfl uss auf die Ge-
samtbilanz: Wird z. B. Gras statt zehnmal nur einmal im Jahr
geschnitten oder wird durch die Gestaltung mit bodende cken-
dem Efeu oder Büschen ganz auf Rasenmähen verzichtet, ver-
mindert sich der CO2-Ausstoß durch Pfl ege deutlich. Ein gut
gepfl egter, gesunder und langlebiger Baumbestand ist essen-
ziell für eine hohe CO2-Fes tlegung. Ob CO2 über einen längeren
Zeitraum als 50 Jahre gespeicher t wird, hängt von der Lebens-
dauer der Bäume, ihrer Verwertung und Entsorgung sowie
davon ab, ob neue Bäume nachgepfl anzt werden.
ABBILDUNG 3.2 – 1 Der CO2-Fußabdruck einer Grünfl äche in Leipzig. Dargestellt sind Freisetzung und Bindung von CO2 über einen
Zeitraum von 50 Jahren. (Quelle : eigene Darstellung nach Strohbach et al., 2012; *Berechnung der km mit www.probas.umwelt -
bundesamt.de für Pkw-Otto-mittel-DE-2010-Basis; Foto : Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen (GeoSN), 2014)
10 t CO2
werden beim Anlegen
der Fläche durch Bau-
maßnahmen und Trans-
port ausgestoßen.
6 t CO2
werden durch Pfl ege-
maßnahmen über einen
Zeitraum von 50 Jahren
ausgestoßen.
367 t CO2
werden über einen
Zeitraum von 50 Jahren
in Bäumen gespeichert.
351 t CO2
werden insgesamt nach 50 Jahren
der Atmosphäre entzogen. Das ent-
spricht der Menge die ein PKW nach
2,1 Mio. km Fahrt ausgestoßen hat*
CO2CO2
CO2
66 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 67
Werden Moore entwässert oder zerstört, verkehrt sich ihre
ökologische Leistungsfähigkeit ins Gegenteil, da dann große
Mengen an CO
2
durch mikrobielle Torfzersetzung freigesetzt
werden. So werden Moore zur ökologischen Belastung. Ent-
wässerte Niedermoore können mit jährlich 24 t CO2/ha er-
hebliche Mengen emittieren (Couwenberg et al., 2011). Die
Schutzwürdigkeit intakter Moore wird verständlich, wenn
man sich ihre außergewöhnlichen Ökosystemleistungen vor
Augen führt: Neben ihrer Klimaschutzleistung sind sie Sen-
ken für Nähr- und Schadstoffe, wirken sich ausgleichend auf
das lokale Klima aus und halten Hochwasser zurück (Joosten
et al., 2013). Ihre kulturellen Ökosystemleistungen als Raum
für Erholung und Sport, Bildung und Archiv der Landschafts-
geschichte, Identifikation und Spiritualität ist besonders im
urbanen Kontext bedeutend (Klingenfuß, 2013). Schließlich
haben sie auch eine hohe Bedeutung im Hinblick auf die Er-
haltung biologischer Vielfalt, da sie Lebensräume für seltene,
an Nässe angepasste Tiere und Pflanzen bieten.
3.2.3 Gebäudebegrünung für Klimaschutz
Neben der CO
2
-Speicherung in Pflanzen und Böden kann
Stadtnatur auch indirekt zum Schutz des Klimas beitragen:
Durch Baumpflanzungen und die Begrünung von Gebäuden
kann deren Energieeffizienz erhöht werden. Die damit er-
zielte Energieeinsparung verringert Treibhausgasemissionen.
Beispielsweise können Laubbäume durch Beschattung von
Straßenzügen und Gebäuden in den Sommermonaten
Überhitzung verhindern, während sie in der kalten Jahreszeit
die wärmende Sonne durchscheinen lassen (siehe auch
Kapitel 3.1). In innerstädtischen Lagen sind Baumpflanzungen
jedoch nicht immer möglich. Hier bietet eine Gebäudebe-
grünung eine Vielzahl an positiven Wirkungen: Dazu gehören
ne ben der Energieeinsparung die Potenziale einer ästheti-
schen Aufwertung und der Förderung der Artenvielfalt.
Gebäude begrünung unterstützt städtisches Grün ohne zu-
sätzlichen Bodenverbrauch. Neben Dachbegrünungen lassen
sich z. B. mit wandgebundenen Fassadensystemen (siehe Ab-
bildung 3.2 – 4) dauerhafte Begrünungen auch ohne Boden-
und Boden wasseranschluss realisieren. Zu diesem Thema
erschien 2014 die Studie »Gebäude Begrünung Energie: Po-
tenziale und Wechselwirkungen. Abschlussbericht« (Pfoser
et al., 2014). Der interdisziplinäre Leitfaden dient als
Planungshilfe zur Nutzung energetischer, klimatischer und
gestalterischer Potenziale und empfiehlt, sich folgende
Wechselwirkungen von Gebäude, Bauwerksbegrünung und
Gebäude umfeld zunutze zu machen:
3.2.2 Stadtböden als Kohlenstoffspeicher
Die Ökosystemleistungen von Böden sind vielseitig (siehe
auch Kapitel 3.5). Durch die Festlegung von atmosphärischem
CO2 leisten sie einen großen Beitrag zum Klimaschutz, denn
in fast allen terrestrischen Ökosystemen der Erde stellen Bö-
den die bedeutendsten Kohlenstoffspeicher dar (Ciais et al.,
2013). Die durchschnittliche Speicherung von organischem
Kohlenstoff in Stadtböden wird auf 77 t/ha (etwa 280 t
CO
2
/ha) geschätz t (Pataki et al., 2006). In unbebauten Stadt-
böden, z. B. im Stadtwald, in Gärten oder in Parks, befindet
sich der organische Kohlenstoffspeicher zum Großteil im
Humus des Oberbodens. In städtischen Gärten stellte Burg-
hardt (2001) sogar bis zu 570 t/ha organischen Kohlenstoff
fest (etwa 2.090 t CO2/ha). Oft sind Stadtböden jedoch von
Veränderungen wie Bodenauftrag und -abtrag, Mischen und
Planieren sowie Verdichtung betroffen (Sukopp und Wittig,
1993). Der ursprüngliche humose Oberboden ist dadurch
stark beeinträchtigt oder zerstört, verbunden mit CO2- F r e i -
setzung und – im Falle versiegelter Böden – mit feh lender Ka-
pazität, neues CO2 aufnehmen zu können (Faensen-Thiebes,
2010). Dagegen besitzen städtische Brachflächen Potenzial
für die Anreicherung von Humus. Bezüglich der Bedeutung
von Stadtböden im globalen Kohlenstoffkreislauf bestehen
noch größere Unsicherheiten. Sicher ist jedoch, dass funkti-
onstüchtige Böden für den Klimaschutz nicht ersetzbar sind
und wegen des großen Flächenverbrauchs in der Stadt ein
hohes Schutzgut darstellen (Hiller und Meuser, 1998).
Eine herausragende Rolle beim Klimaschutz nehmen Moor-
böden ein (siehe auch Naturkapital Deutschland – TEEB DE,
2015), die in vielen Stadtgebieten zu finden sind (z. B. in
Potsdam, Berlin, Hamburg, Bremen). Durch Torfbildung wird
CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen und dauerhaft ge-
speichert. Im Gegensatz zu anderen Böden ist der mikro-
bielle Abbau von abgestorbenen Pflanzen durch Sauerstoff-
mangel in Mooren stark gehemmt. Daher stellen Moore bei
oberflächennahen Wasserständen permanente Kohlenstoff-
Senken dar. Je nach Moortyp und -tiefe können zwischen gut
500 und mehr als 2.800 t C/ha (ca. 1.830 – 10.270 t CO2 /ha)
gespeichert werden (Roßkopf und Zeitz, 2009; Zauft et al.,
2010). Die Speicherleistung liegt rund zehnmal so hoch wie
jene der Mineralböden. Weltweit werden so auf nur 3 %
der Landfläche 30 % des Boden-Kohlenstoffs gespeichert
(Joosten und Couwenberg, 2008). In Berlin und Hamburg
nehmen Moore mit ca. 751 ha bzw. 627 ha etwa 1 % der Stadt-
fläche ein (Freie und Hansestadt Hamburg, 2014; Klingenfuß
et al., 2015).
INFOBOX 3.2 – 2
Renaturierung der Kleinen Pelzlaake für den Klimaschutz
Der Berliner Senat beschloss 2009 eine Klimaschutzabgabe zur
Kompensation der durch Dienstflüge verursachten CO2-Emissi-
onen. Mit diesen Mitteln wurde ein Moor am Stadtrand im Be-
zirk Köpenick im Naturschutzgebiet Krumme Laake/Pelzlaake
renaturiert, sodass die Fläche in der Bilanz wieder mehr CO
2
bindet als emittiert. Standortfremde Vegetation wurde groß-
flächig entfernt, um den obersten Torfhorizont freizulegen
(siehe Abbildung 3.2 – 2) und dadurch eine Wiederbesiedlung
durch torfbildende Seggen, Wollgras und Torfmoos zu fördern.
Abbildung 3.2 – 3 zeigt das Moor nach der Maßnahme. Es wird
geschätzt, dass durch die Renaturierung dieser Moorfläche der
Atmosphäre im Laufe von 29 Jahren etwa 1.300 t CO2-Äq ent-
zogen und im Boden gespeichert werden (siehe Tabelle 3.2 – 1).
ABBILDUNG 3.2 – 2 Entfernung von Pfeifengras im Natur-
schutzgebiet Krumme Laake/Pelzlaake im September 2012.
(Foto: Eckhart Scheffler)
TABELLE 3.2 – 1 Ungefähre Projektkosten, Abschätzung der Kompensationswirkung und Vermeidungskosten je Tonne CO2 bei der
Renaturierung der Kleinen Pelzlaake. (Quelle: Stiftung Naturschutz Berlin, 2013)
ABBILDUNG 3.2 – 3 Wiederbesiedlung durch
torfbildende Pflanzen (Torfmoose und Seggen) im Naturschutz-
gebiet Krumme Laake/Pelzlaake im Oktober 2013.
(Foto: Justus Meißner)
Projektgröße 2,04 ha
Projektkosten insgesamt 79.300 €
Beitrag aus Klimaschutzabgabe 42.000 €
Kompensationswirkung in ca. 29 Jahren 1.300 t CO2-Äq
Kompensationswirkung pro Jahr 45 t CO2-Äq
Vermeidungskosten aus Klimaschutzabgabe 32 €/t CO2-Äq
Vermeidungskosten aus Klimaschutzabgabe pro Jahr 1. 440 €
68 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 69
Vermeidung von Wärmeverlusten
Der Wärmeverlust von Gebäuden über Bauteile ist abhängig
vom Temperaturgefälle zwischen innen und außen sowie
vom Wärmedurchlasswiderstand der verschiedenen Bauteil-
schichten. Gebäudebegrünung kann beide Eigenschaften ver-
bessern. Eine dämmende bzw. puffernde Wirkung kommt
durch eine beruhigte Luftschicht (Schutz vor Auskühlung
durch Wind und Feuchte) bzw. durch Substrataufbau zu-
stande, der den Wärmedurchgang mindert. Dies gilt für die
Dach- wie auch für die Fassadenbegrünung (siehe Abbildun-
gen 3.2 – 4 und 3.2 – 6). Untersuchungen an der Hochschule
Neubrandenburg zeigen, dass im Vergleich zu einem bekies-
ten Dachaufbau extensive Dachbegrünungen mit einer Auf-
bauhöhe von 10 – 15 cm einen 3,3 – 10,2 % geringeren Wärme-
verlust im Winter bewirken. Das entspricht in etwa einer
6 – 16 mm dicken, konventionellen Dämmung der Wärmeleit-
fähigkeitsgruppe 040 (Köhler und Malorny, 2009; Scharf et
al., 2012). Darüber ergibt sich eine zusätzliche Einsparung
von etwa 0,13 kg CO2
/ m 2
/ Jahr. Monetär leistet dies mit ca.
4 ct / m 2
/ Jahr (bei 8 ct/kWh für Heizenergie) einen klei nen
Beitrag zur Kosteneinsparung. Bei wandgebundenen Fassa-
den begrünungen bietet die Substitution der Sicht fassade ei-
nen zusätzlichen Kostenvorteil.
Vermeidung von Überhitzung
Ein hohes Potenzial besitzt die Gebäudebegrünung in der
Unterstützung der Gebäudekühlung. Sommergrüne Fassaden -
begrünung kann Sonnenschutzsysteme ersetzten, indem sie
im Sommer die Sonneneinstrahlung vermindert, jedoch im
Winter die solare Wärme hindurchlässt (siehe Abbildung
3.2 – 5 und Kapitel 3.1). Das gleiche Prinzip unterstützt die sai-
sonale Steuerung von Energiesammlern wie Luftkollektoren
ABBILDUNG 3.2 – 5 Vertikale Fassadenbegrünung als
außenliegender Sonnenschutz, Institut für Physik, Humboldt-
Universität, Berlin-Adlershof. (Foto: Nicole Pfoser, 2009)
ABBILDUNG 3.2 – 6 Photovoltaik-Aufdachanlage mit Dachbegrünung, Münchner Technologie Zentrum.
(Foto: ZinCo GmbH, 2011)
oder transparente Wärmedämmung, die Sonnenstrahlen
nutzen, um Wärmeenergie zu gewinnen. Gerüstkletter-
pflanzen können in den Sommermonaten vor Überhitzung
schützen. Verdunstungskühlung unterstützt die Sonnen-
schutzfunktion zusätzlich. Dadurch weisen begrünte Dächer
im Sommer bis zu 25°C geringere Oberflächentemperaturen
auf, wohingegen sich ein Bitumen- oder Kiesdach auf
40 – 55°C aufheizen kann (Berlin Bauen, 2010; Sukopp und
Wittig, 1993). Intakte Begrünungen reduzieren so extreme
Temperaturschwankungen der Materialoberflächen, was
auch zur Langlebigkeit der darunterliegenden Materialien bis
hin zur Verdopplung der Lebensdauer z. B. von Dichtungsbah-
nen beiträgt (Hämmerle, 2010).
Kühlungseffekt durch Dachbegrünung begünstigt
Stromgewinnung aus Photovoltaik
Photovoltaik erzeugt Strom aus Sonnenenergie, der Ertrag
ist dabei temperaturabhängig: Photovoltaikanlagen erzielen
den besten Wirkungsgrad bei ca. 25°C Umgebungstempera-
tur. Mit jedem Grad Temperaturanstieg nimmt die Leistung
in der Regel um bis zu 0,5 % ab. Kühleffekte durch die Ver-
dunstung von Gebäudebegrünungen mindern die Aufhei-
zung der Umgebung und steigern so die Leistung der Module.
In einer Untersuchung von aufgeständerten Photovoltaik-
Aufdachanlagen wurde eine um 8°C höhere Modultempera-
tur über einem Bitumendach im Vergleich zu dem Modul über
einer extensiven Dachbegrünung festgestellt (siehe Abbil-
dung 3.2 – 6). Damit lässt sich bei kristallinen Photovoltaik-
modulen eine Leistungssteigerung von ca. 4 % (ZinCo GmbH,
2011) und gerade bei großen Dachanlagen ein nicht unwe-
sentlicher Mehrertrag erzielen.
ABBILDUNG 3.2 – 4 Wandgebundene Fassadenbegrünung
mit Dämmwirkung, Ausschnitt Fassade Magistratsabteilung 48,
Wien. (Foto: Nicole Pfoser, 2012)
BERLIN BAUEN – SENATSVERWALTUNG FÜR STADTENTWICKLUNG, 2010. Konzepte der Regenwasserbewirtschaf tung. Gebäude-
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hunderttausende vorzeitige Todesfälle auf den Einfluss der
Luftverschmutzung zurück (WHO, 2000). In Deutschland
verursacht die Belastung mit Feinstaub pro Jahr ca. 47.000
vorzeitige Todesfälle (Kallweit und Wintermeyer, 2013) sowie
eine große Anzahl behandlungsbedürftiger Herz- und Atem-
wegserkrankungen (siehe Abbildung 3.3 – 1).
Warum ist das so? Insbesondere bei Feinstaub und Stick-
oxiden werden die von der Europäischen Union zum Schutz
der Gesundheit festgelegten Grenzwerte immer wieder
übertroffen. Über 90 % der Bewohner von EU-Städten sind
Luftschadstoffkonzentrationen ausgesetzt, die jenseits
der durch die Weltgesundheitsorganisation (World Health
Organisation, WHO) festgelegten Richtlinien liegen (EEA,
2013). Vergleichsweise hohe Feinstaubkonzentrationen be-
stehen in Osteuropa in Regionen mit niedrigerem Brutto-
inlandsprodukt und in Westeuropa in reicheren und struktur-
starken Regionen mit hoher Einwohnerdichte (Richardson et
al., 2013; für Deutschland siehe Abbildung 3.3 – 1).
Besonders problematisch ist, dass gesundheitsrelevante
Effekte durch das Zusammentreffen der städtischen Wärme-
belastung mit hohen Ozon- und Feinstaubwerten verstärkt
3.3.1 Luftverschmutzung beeinträchtigt
die Gesundheit
Städte haben häufig eine im Vergleich zum Umland deut -
lich verringerte Luftqualität. Ursachen dafür sind der durch
Menschen verursachte Ausstoß von gas- und partikelförmi-
gen Schadstoffen und die im Verhältnis zum weniger dicht
bebauten Umland geringere Durchlüftung. Die Verschmut-
zung der Atemluft ist mit einer Vielzahl von nachteiligen
gesundheitlichen Effekten verbunden. Obwohl wir uns heute
nach jahrzehntelanger Verbesserung der Luftqualität auf
einem relativ niedrigem Niveau der Luftbelastung befinden,
lassen sich noch immer deutlich negative Einflüsse auf die
menschliche Gesundheit beobachten (Pascal et al., 2013;
WHO, 2013).
Die gesundheitlichen Belastungen können innerhalb von
Städten sehr unterschiedlich sein (Wilson et al., 2005): Mög-
lich sind schädigende Kurzzeiteffekte v. a. auf das Herz-Kreis-
lauf-System, aber auch Langzeiteffekte wie Krebserkrankun-
gen. Neuere Studien zeigen zudem einen Zusammenhang
zwischen der Entwicklung der Volkskrankheit Diabetes und
einer lang andauernden Feinstaubexposition (WHO, 2013; vgl.
Infobox 3.3 – 1). Epidemiologische Studien in Europa führen
3.3 STADTNATUR FÖRDERT SAUBERE LUFT
KOORDINIERENDE AUTORIN
INA SÄUMEL
WEITERE AUTOREN
THOMAS DRAHEIM, WILFRIED ENDLICHER, MARCEL LANGNER
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, ULRICH FRANCK, SONJA GÄRTNER, RÜDIGER GROTE, MICHAELA PRITZER, ELISABETH SCHWAIGER,
KARIN ZAUNBERGER SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
KERNAUSSAGEN
Noch immer sind 90 % der Stadtbewohner Europas Luftschadstoffen ausgesetzt, die über den WHO-Richtwerten liegen und
deren gesundheitliche Folgen beträchtliche Kosten verursachen.
Städtische Vegetation kann durch das Binden von Schadstoffen aus der Umgebungsluft direkt zur Verbesserung der Luft-
qualität beitragen.
Die luf thygienischen Funktionen krautiger Vegetation in der Stadt und von Bauwerkbegrünung können in Ergänzung zu
Bäumen besonders in engen Straßenschluchten mit hoher Verkehrsbelastung stärker genutzt werden.
72 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 73
motorisierten Verkehrs hervorgerufen. Dieser setzt Partikel
nicht nur durch Auspuffemissionen, sondern auch durch Ab-
rieb- und Aufwirbelungsprozesse frei; Erstere sind allerdings
aufgrund der großen gesundheitlichen Relevanz von Diesel-
rußpartikeln hervorzuheben (Totlandsdal et al., 2012). Der Ein-
satz von Dieselrußpartikelfiltern und Katalysatoren zur Re-
duktion von Stickoxiden in den Fahrzeugen kann die Situation
deutlich verbessern. Auch Emissionen aus Einzelfeuerungs-
anlagen, die in Form der Holzfeuerung aktuell eine Renais-
sance erleben, können erheblich zur Partikelbelastung bei-
tragen (Fuller et al., 2013; Pfeffer et al., 2013).
als in den Städten. Die Belastung mit NO2 geht hauptsäch-
lich vom Verkehr aus. Überschreitungen der NO2-Grenzwerte
treten räumlich eng begrenzt entlang von stark befahrenen
Straßen auf; der Jahresgrenzwert wird hier regelmäßig an
über 60 % der verkehrsnahen Messstationen überschritten
(UBA, 2016). Feinstaub ist räumlich homogener verteilt, da
hier die Hintergrundbelastung eine höhere Bedeutung hat.
Dennoch treten aufgrund der lokalen Zusatzbelastung auch
hier Grenzwertverletzungen, v. a. an Straßen, auf (siehe Abbil-
dung 3.3 – 2). Feinstaub-Gehalte variieren allerdings erheblich
von Jahr zu Jahr, da die bodennahen Konzentrationen stark
vom Wetter beeinflusst werden.
werden können (Burkart et al., 2013). Während in Europa die
Spitzenbelastung bei Ozon in den Städten und im Umland
gleichermaßen zurückgeht, war in den vergangenen beiden
Dekaden ein stärkerer Anstieg der mittleren Ozonbelastung
in Städten im Vergleich zum Umland zu beobachten (Paoletti
et al., 2014). Forschungsbedarf besteht insbesondere noch
hinsichtlich der gesundheitlichen Wirkungen und Mecha-
nismen der gleichzeitigen Belastung durch Erwärmung, Luft-
belastung und dem verändertem Verhalten von Menschen in
der Stadt im Zuge des Klimawandels (Sujaritpong et al., 2014).
Lokale Belastungsspitzen mit Luftschadstoffen werden in
urbanen Räumen in erster Linie durch Emissionen des
Die Verbesserung der Luftqualität ist ein Ziel des Siebten Um-
weltaktionsprogramms der Europäischen Union (Europäi-
sches Parlament, 2013). Die Überführung der EU-Luftquali-
tätsgesetzgebung, deren Beurteilungswerte sich allerdings
nur teilweise an den Leitlinien der Weltgesundheitsorgani-
sation (WHO) orientieren, in nationales Recht ist für Mitglied-
staaten obligatorisch.
Die städtische Luft hat im Verhältnis zu den geltenden Grenz-
und Zielwerten relativ hohe Konzentrationen an Feinstaub
(PM10 ) und Stickstoffdioxid (NO2). Die mittleren Ozon (O3)-
Konzentrationen sind im ländlichen Raum dagegen höher
INFOBOX 3.3 – 1
Volkswirtschaftliche Kosten der Gesundheitsbeeinträchtigung
Schätzungen der Europäischen Umweltagentur (EEA) zufolge
sterben in Europa jährlich ca. 350.000 Menschen infolge der
Luftverschmutzung vorzeitig. Dabei sind Herz- und Atemwegs-
erkrankungen typisch (vgl. Abbildung 3.3 – 1 A). Die insgesamt
in Deutschland durch den vorzeitigen Tod verlorenen Lebens-
jahre berechnen sich aus der Anzahl der Todesfälle multipliziert
mit der verbliebenen Lebenserwartung im Sterbealter in Jahren
(vgl. Abbildung 3.3 – 1 B). Für ein verlorenes Lebensjahr wird in
Deutschland als Bemessungsgrundlage ein Wert von etwa
54.000 € kalkuliert (vgl. EEA, 2010, 2013). Legt man diesen
Wert zugrunde, würde eine Verbesserung der städtischen
Luftqualität entsprechend der WHO-Standards nicht nur Wohlbe-
finden, Lebenserwartung und Lebensqualität erhöhen, sondern
auch jährlich ca. 31 Mrd. € einsparen (u. a. durch verminderte
Gesundheitsausgaben und Fehlzeiten; vgl. Pascal et al., 2013;
zu den ökonomischen Bewertungsmethoden vgl. auch Kapi-
tel 2.2.2, Infobox 2.2 – 2 zur Bewertung über Gesundheitskosten-
ansätze). Europaweit bewegen sich Schätzungen der durch Luft-
verschmutzung verursachten volkswirtschaftlichen Kosten
zwischen 330 und 940 Mrd. € jährlich; diese entsprechen 3 – 9 %
des Bruttoinlandprodukts (BIP) der EU (vgl. EEA, 2010, 2013).
ABBILDUNG 3.3 – 1 Gesundheitswirkungen der Luftverschmutzung (A) und Schätzung der in Mitteleuropa durch Langzeitkontakt
mit Feinstaub potenziell verlorenen Lebensjahre bezogen auf die Gesamtbevölkerung (B) . (verändert nach EEA, 2010)
3
Schätzung der durch Langzeitkontakt mit
Feinstaub potentiell verlorenen Lebensjahre
bezogen auf Gesamt bevölkerung pro 100 km2
(Referenzjahr 2005, Quelle: EEA 2010 )
Jahre
0 – 0.5
> 5000
0.5 – 1
1 – 5
5 – 10
10 – 25
25 – 50
50 – 100
100 – 500
500 – 5000
A
B
3
Vorzeitiger
Tod *
Krankenhaus-
aufenthalt *
Aufnahme auf
Notfallstation *
Medikamenteneinnahme gegen
kardiorespiratorische Symptome
Ärztliche Untersuchungen auf
kardiorespiratorische Symptome
Kardiorespiratorische Symptome
Einschränkung der Lungenfunktion
Nichtoffensichtliche Ef fekte
Pyramide der Gesundheitswirkungen der Luftverschmutzung
Zunehmende Schwere der gesundheitlichen Auswirkungen
Umfang der betroffenen Bevölkerung
* in Folge
kardiorespiratorischer
Erkrankungen
74 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 75
3
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
ländlicher Hintergrund städtischer Hintergrund städtisch verkehrsnah
Der als trockene Deposition (Ablagerung) bezeichnete Vor-
gang, Gase oder Staubpartikel auf Blattoberflächen zu bin-
den, ist von vielen Faktoren abhängig: Dazu gehören mikro-
meteorologische Parameter, die Eigenschaften des Gases
bzw. der Partikel sowie die Beschaffenheit der Oberfläche,
auf der die Deposition erfolgt (Sehmel, 1980). Die Deposition
ist besonders wirksam bei Pflanzen mit großen Blattflächen
und in unmittelbarer Nähe der Schadstoffquellen, z. B. an
Straßenrändern (Litschke und Kuttler, 2008). Aber auch städ-
tische Grünflächen und Gärten verbessern die Luftqualität
(Cohen et al., 2014). Die Filterkapazitäten von Pflanzen hän-
gen von ihren Merkmalen, ihrer Größe und jahreszeitlichen
Entwickung ab (Litschke und Kuttler, 2008). Staub reichert
sich v. a. auf strukturreichen Blattoberflächen an (Litschke
und Kuttler, 2008; Weber et al., 2014a). Unterschiedliche
Entwicklungsstufen der Stadtvegetation (Wachstum, jahres-
zeitliche Variabilität) beeinflussen deren Wirkung auf die
Luftqualität und sollten bei der Planung und der Pflege des
Stadtgrüns beachtet werden.
Zum aktuellen Forschungsstand
Bislang wurde hauptsächlich die lufthygienische Rolle von
Gehölzen (z. B. Stadtwäldern, Straßenbäumen) untersucht.
Baumkronen können ein gewisses Maß an Staub filtern.
Wird dieser allerdings weiter zum Boden transportiert und
trifft dort auf eine versiegelte Oberfläche (z. B. Asphalt,
Pflaster), kann er von dort leicht wieder aufgewirbelt wer-
den. Nur auf begrünten Flächen werden die Staubpartikel
weitgehend festgehalten (Langner, 2006). Da ein Großteil
des Staubs durch Regen wieder von den Blättern entfernt
wird und dann unterhalb der Baumkronen als nasse Depo-
sition abgeschieden wird (Langner et al., 2011), ist die Ge-
staltung der Bodenoberflächen mit krautigen Pflanzen un-
terhalb von Bäumen von besonderer Relevanz.
Während Langner (2006) von einer maximalen Filterleis-
tung von 5 – 10 % durch Bäume ausgeht, führten niederlän-
dische Experimente, bei denen mehrere dichte Vegetations-
strukturen hintereinander geschaltet und dadurch in ihrer
Wirkung optimiert wurden, zu einer Reduzierung der Fein-
staubkonzentration von bis zu 15 % (Kuypers et al., 2007).
Auch Fassadenbegrünung wirkt staubfilternd, was an der
Schnittstelle von Außen- und Innenräumen besonders po-
sitiv ist (Thönnessen, 2007). Das Staubrückhaltevermögen
von Fassaden- und Dachbegrünungen, durch die der Luft-
austausch nur minimal vermindert wird, kann bei Berück-
sichtigung der Ablagerungen in Straßenschluchten mehr
als 40 % betragen (Pugh et al., 2012).
Bevölkerung kann aber auch durch Feinstaub im städtischen
Hintergrund beeinträchtigt werden. Den Hauptbeitrag zur
Minderung der Schadstoffbelastung an sogenannten Hot-
spots kann nur die Reduzierung der Kfz-Emissionen leisten.
Zusätzlich können in besonders belasteten Bereichen der
Stadt auch immissionsreduzierende Maßnahmen ergriffen
werden: So kann bspw. die Durchlüftung verbessert oder
es können Schadstoffe durch geeignete technische Maß-
nahmen gebunden werden (z. B. durch Begrünung, Straßen-
reinigung sowie photokatalytisch wirkende Flächen).
3.3.2 Lufthygienische Funktionen und Nutzen
des Stadtgrüns
Stadtgrün kann die Schadstoffbelastung der Luft reduzieren,
indem Gase oder Staubpartikel auf Blattoberflächen abge-
lagert oder vom Laub aufgenommen werden (Janhäll, 2015;
Langner et al., 2011). Dies bedeutet eine effektive Ergänzung
wichtiger anderer Maßnahmen zur Verbesserung der Luft-
qualität, wie Einrichten von Umweltzonen, Attraktivitätsstei-
gerung des öffentlichen Personennahverkehrs, verbesserte
Durchlüftung von Stadtquartieren, Ersetzen alter Feuerungs-
anlagen oder Erhöhen der Energieeffizienz.
ABBILDUNG 3.3 – 2 Häufige Überschreitung von Grenzwer ten der Feinstaubbelastung im Zeitraum 2000 – 2015. Dargestellt ist
der Anteil der Messstationen in Deutschland, gruppiert nach »ländlicher Hintergrund«, »städtischer Hintergrund« sowie »städtisch
verkehrsnah«, an denen der PM10 -Kurzzeitgrenzwert (Tagesmittelwert von 50 µg/m3) mehr als 35 mal überschritten worden ist.
(Quelle: eigene Abbildung/Marcel Langner nach UBA, 2016)
In Jahren mit einem hohen Anteil an austauscharmen Wetter-
lagen ist in der Regel auch die Feinstaubbelastung relativ hoch.
Die Einhaltung des PM10 -Jahreswerts gemäß der EU-Gesetz-
gebung bundesweit zu gewährleisten, stellte in den vergan-
genen Jahren kein größeres Problem dar (zu Vertragsstrafen
bei Nichteinhaltung der EU-Grenzwerte siehe Infobox 3.3 – 2).
Allerdings wird der von der WHO empfohlene, jedoch gesetz-
lich in Deutschland bisher nicht verankerte Luftgüteleitwert
für Feinstaub von 20 µg/m3 als Jahresmittel in Städten noch
häufig überschritten, sogar an Messstationen entfernt von
Hauptstraßen. Eine Herausforderung ist es auch, den PM10-
Grenzwert zur Kurzzeitbelastung (EU-Grenzwert) einzu-
hal ten, der insbesondere an verkehrsreichen Straßen noch
überschritten wird. Aus Sicht der für die Luftreinhaltung zu-
ständigen Behörden sollten zunächst Konzentrationen an
Verkehrsstandorten gesenkt werden, da v. a. dort Grenz-
wertverletzungen auftreten und lokale Verursacher bes-
ser zu identifizieren sind. Die Gesundheit der städtischen
INFOBOX 3.3 – 2
Vertragsstrafen bei Nichteinhaltung der EU-Luftqualitäts-
grenzwerte
Die Rechtsverbindlichkeit der EU-Luftqualitätsgrenzwerte
führte in Deutschland bereits zu einer Reihe erfolgreicher Kla-
gen zur Durchse tzung des »Rechts auf saubere Lu ft«. Für zahl-
reiche Gebiete Deutschlands wurden Fristverlängerungen auf
Einhaltung der Grenzwerte bei der Europäischen Kommission
beantragt und in etwa der Hälfte der Fälle auch genehmigt.
Werden Grenzwerte überschritten, kann die Kommission
Mahn- oder Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Hiervon
ist eine Reihe von Mitgliedstaaten betroffen. Auch gegen
Deutschland hat die Kommission Vertragsverletzungsver-
fahren wegen der Überschreitungen der PM10- und NO2-
Grenzwerte eingeleitet. Grundsätzlich können bei Nichtein-
haltung Vertragsstrafen im dreistelligen Millionenbereich
pro Jahr für einzelne Mitgliedsländer fällig werden.
ABBILDUNG 3.3 – 3 Hohe Emmissionen an stark befahrenen
innerstädtischen Straßen. (Foto : Lauranne Pille)
76 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 77
Mittelstreifen künftig stärker genutzt werden. Im Gegensatz
zu der durch viele Stressoren eingeschränkten Vitalität von
Straßenbäumen ist die spontan wachsende krautige Vegeta-
tion an die extremen Lebensbedingungen besser angepasst.
Bodenpflanzen lassen sich zudem kostengünstig anle gen
oder fördern, ohne dass eine Beeinträchtigung des Luft-
austauschs befürchtet werden muss. Pflanzen im Straßen -
raum können zudem Menschen auch in solchen Stadtvier-
teln (Stadt-)Natur erleben lassen, die ansonsten mit Grün
unter versorgt sind (Säumel et al., 2015; vgl. Infobox 3.3 – 3).
Die Freisetzung flüchtiger organischer Substanzen durch die
Vegetation (»biogenic volatile organic compounds«, BVOC)
kann in einer stark mit Stickoxiden angereicherten städti-
schen Atmosphäre allerdings auch zur Bildung von Ozon
(Calfapietra et al., 2013) und sekundären Partikeln (Wagener
et al., 2012) beitragen. Ein Auswahlkriterium für Straßen-
baumarten sollte deshalb auch die Freisetzung solcher flüch -
tigen Stoffe sein. Geringe BVOC-Emissionen haben bspw.
Linden und Ahornarten, hohe dagegen Eichen und Pappeln
(Churkina et al., 2015). Weiterhin sollten im städtischen Raum
verwendete Pflanzen ein möglichst geringes Allergiepoten-
zial haben (vgl. Cariñanos und Casares-Porcel, 2011).
Pflanzen fungieren auch als Barrieren für die Ausbreitung
verkehrsbedingter Luftschadstoffe (Säumel et al., 2012; von
Hoffen und Säumel, 2014). Breitkronige Bäume können
aufgrund ihrer Wirkung als Strömungshindernis den Luft-
austausch im Straßenraum auch behindern. Eine solche
Barrierewirkung kann gezielt genutzt werden, um Wohn-
bebauung z. B. gegen Staubquellen abzuschirmen. Aller-
dings können dichte Baumbestände auch eine Schadstoff-
anreicherung in engen Straßen bedingen. Modellrech-
nungen und Experimente im Windkanal – jedoch ohne
ausreichende Berücksichtigung von Ablagerungen – haben
eine lokale Anreicherung von Luftschadstoffen von bis zu
20 % ergeben (Buccolieri et al., 2009; Vos et al., 2012).
Auch vor diesem Hintergrund findet die lufthygienische
Wirkung krautiger Vegetation im Straßenraum zuneh-
mende Beachtung. Krautige Pflanzen wie Beifuß, Gänse-
fuß, Schafgarbe oder Löwenzahn tragen nachweislich zur
Reduktion der Staubbelastung bei (Weber et al., 2014a).
Wie bei Gehölzen beeinflussen Blattmerkmale die Staub-
bindungskapazität, wobei verschiedene Arten unterschied
-
liche Partikelgrößen und Partikeltypen binden, sodass
struktur- und artenreiche krautige Vegetation im Straßen-
raum die Filterfunktion von Bäumen sehr gut ergänzen
kann (Weber et al., 2014a).
Die Wirkungen des Stadtgrüns auf die Luftqualität sind
auf unterschiedlichen räumlichen Skalen bilanziert wor-
den. Beispielsweise ist ein monetärer Nutzen von jährlich
6,4 Mio. USD errechnet worden, den Bäume im Stadtgebiet
von Chicago durch das Entfernen von Kohlenstoffoxiden
(CO2), Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffdioxid (NO2), Ozon (O3)
und Feinstaub (PM10 ) aus der Luft erbracht haben (Nowak
et al., 2010). Für Barcelona ist errechnet worden, dass jährlich
166 Tonnen Feinstaub (PM
10
) durch Stadtnatur gebunden wer-
den (das entspricht 22 % der innerhalb der Stadt verursach-
ten Staubemissionen). Diese Ökosystemleistung entspricht
einem monetären Nutzen von jährlich 1,1 Mio. USD (Baró
et al., 2014). Die Forschungsergebnisse zeigen: Durch eine be-
wusste Gestaltung von Stadtnatur können die Ökosystem-
leistungen zur Lufthygiene besonders unterstützt werden.
Folgende Empfehlungen lassen sich aus Studien ableiten:
3.3.3 Empfehlungen zur Auswahl von Pflanzen
Stadtnatur kann durch ihre Filterwirkung die allgemeine Be-
lastung der Luft in Städten ebenso wie besondere Belastun-
gen an verkehrsreichen Standorten reduzieren. Besonders in
engen Straßenschluchten können die lufthygienischen Funk-
tionen krautiger Vegetation auf Baumscheiben, Seiten- und
INFOBOX 3.3 – 3
Zur Wertschätzung struktur- und artenreicher spontaner Straßenbegleitvegetation
ABBILDUNG 3.3 – 4 Befragungen im Straßenraum mit vielfältiger spontaner Straßenrandvegetation (z. B. A – D) zeigten, dass
Anwohner Ökosystemleistungen der Straßenrandvegetation wertschätzen. (Quelle: nach Weber et al., 2014b)
Bäume dominieren häufig die Wahrnehmung von Stadtgrün.
Allerdings zeigen Untersuchungen in Köln und Berlin, dass
auch wildwachsende krautige Straßenbegleitvegetation und
damit verbundene Ökosystemleistungen von den Anwohnern
gesehen und geschätzt werden (siehe Abbildung 3.3 – 4 E) –
wenn auch nicht von allen: In Berlin konnten zwei Gruppen
identifiziert wer den: Die Hälfte der Befragten zog gepflegte
und bepflanzte Straßenrabatten vor, während die andere
Hälfte wild wachsendes Stadtgrün schöner fand (vgl. Weber
et al., 2014b).
A
E
B C D
3
Von 313 befragten Passanten in Berlin
und Köln benannte Ökosystem leistungen
der Straßenbegleitvegetation
(insgesamt 747 Nennungen, Mehrfachnennungen möglich)
9 %
Disservices
14 %
andere
Ökosystem-
leistungen
13 %
Lebensraum für
Flora & Fauna
19 %
Verbesserung
der Luftqualität
19 %
Steigerung
des Wohlbefindens
26 %
Verschönerung
des Straßenraums
78 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 79
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80 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 81
In Deutschland lag in den Studien zum Umweltbewusst-
sein allein schon die Zahl derer, die sich durch Straßenver-
kehrslärm (als der bedeutendsten Lärmquelle) mindestens
mittelmäßig gestört fühlten, in den vergangenen Jahren kon-
stant über 25 % (vgl. Rückert-John et al., 2013). Der Umwelt-
bewusstseinsstudie 2014 zufolge fühlen sich gerade einmal
23 % der Befragten nicht durch Lärm belästigt. Jede zehnte
Person hingegen gab an, stark oder äußerst stark belästigt
zu sein (BMUB und UBA, 2015). Über die Belästigung als Leit-
indikator für mögliche Beeinträchtigungen des Wohlbefin-
dens hinaus kann Lärm aber auch schwerwiegende gesund-
heitliche Auswirkungen haben (vgl. u. a. Claßen, 2013), dazu
zählen:
Stressreaktionen (Gereiztheit, schlechte Konzentrations-
fähigkeit und Nervosität, Niemann et al., 2005)
Schlafstörungen (u. a. Ein- und Durchschlafstörungen,
WHO Europe, 2009)
psychische Störungen (Ohnmachtsgefühle und Depressio-
nen, vgl. Niemann et al., 2005) infolge der zumeist unfreiwil-
ligen chronischen Exposition gegenüber Umgebungslärm
Herzkreislauferkrankungen (von Arteriosklerose und Blut-
hochdruck über die ischämische Herzkrankheit bis hin zu
herzinfarkt- und schlaganfallbedingten Todesfällen, vgl.
Babisch, 2014)
Beeinträchtigung der kognitiven und psychosozialen Ent-
wicklung von Kindern (WHO Europe, 2011)
weitere Wirkungen z. B. in Kombination mit Luftverun-
reinigungen (u. a. Giering, 2010)
All diese gesundheitlichen Wirkungen weisen eine gesamt-
gesellschaftliche Dimension auf (vgl. u. a. Claßen, 2013). So
gehen chronische Ein- und Durchschlafstörungen mit einer
verminderten Leistungsfähigkeit am Tage (z. B. in der Schule,
am Arbeitsplatz) und einem erhöhten Unfallrisiko (WHO
Europe, 2009) einher. Direkte und indirekte lärmassoziierte
Krankheitskosten (durch Behandlung, Arbeitsausfall und vor-
zeitigen Tod) belasten das deutsche Gesundheitssystem. In
stark verlärmten Räumen wird die verbale Kommunikation
und Erholungseignung innerhalb und außerhalb der Woh-
nung erheblich eingeschränkt, wodurch solche Räume ge-
mieden und nachbarschaftliche Kontakte verringert werden
(Claßen, 2013). In diesen Gebieten bedingt die Lärmbelas-
tung häufig den Fortzug sozioökonomisch besser gestellter
unterschieden werden. Als Lärmquellen gelten gemeinhin
der Verkehrs-, Gewerbe- und Industrielärm (vgl. EU-Umge-
bungslärmrichtlinie) sowie Freizeit- und Nachbarschaftslärm.
Entsprechend werden Lärmquellen und ihre individuellen
und gesellschaftlichen Wirkungen in den Regelwerken und
in der Lärmwirkungsforschung differenziert betrachtet.
Anlagen- und verhaltensbezogene Ursachen können zu Lärm-
emissionen beitragen. Beim Verkehrs-, Gewerbe- und Indus-
trielärm dominieren anlagenbezogene (technische) Ursachen
(abgesehen von individuellen Verhaltensweisen und gesell-
schaftlichen sowie ökonomischen verkehrserzeugenden
Mobilitätszwängen). Dagegen hat der Freizeit- und Nachbar-
schaftslärm verhaltensbezogene und sozial wirksame Ursa-
chen wie Türenknallen, das Hören lauter Musik, laute Gesprä-
che, Sport- und Vereinslärm etc.
Die Belastungen und Schädigungen für Betroffene und für
die Gesellschaft sind vielfältig, wobei die gesundheitlichen
Wirkungen von zentraler Bedeutung sind. Denn gesundheit-
liche Schädigungen treten bereits bei Schallpegeln weit un-
terhalb der Schädigung des Hörorgans auf und betreffen
das psychisch-mentale, physische und soziale Wohlbefin-
den von Menschen.
schutzmaßnahmen. Stadtnatur – und hier v. a. der Ve getation –
wird seit Langem eine lärmmindernde oder zumindest lärm-
moderierende Funktion zugesprochen. In diesem Kapitel
werden die Wirkungen des Stadtgrüns dargestellt und Ideen
entwickelt, wie diese quantitativ erfasst werden können –
mit dem Ziel, politische Entscheidungsfindungs prozesse zur
Lärmminderung zu unterstützen.
3.4.1 Bedeutung von Lärm für Individuen
und Gesellschaft
Lärm besitzt eine erhebliche Relevanz für betroffene Per-
sonen, Personengruppen und – aufgrund der großen Zahl
Betroffener – für die gesamte Gesellschaft. Aufgrund der
unterschiedlichen Charakteristika von Schallereignissen und
des individuellen Lärmerlebens muss jedoch zwischen den
Wirkungen verschiedener Lärmquellen und Lärmursachen
Lärm ist heutzutage in unserer Lebenswelt allgegenwärtig,
insbesondere im städtischen Raum. Lärm – egal ob durch
Straßen-, Schienen- oder Flugverkehr, Industrie, Freizeit-
aktivitäten oder Nachbarschaft verursacht – kann erheblich
stören und unser individuelles mentales, physisches und so-
ziales Wohlbefinden beeinträchtigen (siehe Infobox 3.4 – 1).
Angesichts der Zunahme insbesondere verkehrsbedingter
Lärmquellen ist Lärm inzwischen zu einem Hauptthema der
umweltbezogenen Gesundheit in Europa avanciert (WHO
Europe, 2011). Im Zuge der Lärmaktionsplanung (genauer: der
Beurteilung der Pläne der sogenannten ersten Stufe) nach
EU-Umgebungslärmrichtlinie (2002/49/EG) werden derzeit
verstärkt Lösungsansätze diskutiert, auf welche Weise Lärm
gemindert werden kann. Dies ist einerseits aktiv möglich
durch Verminderung der Emission sowie Maßnahmen auf
dem Ausbreitungsweg oder aber passiv durch bauliche Schall -
3.4 STADTNATUR MINDERT LÄRM
KOORDINIERENDER AUTOR
THOMAS CLASSEN
WEITERER AUTOR UND WEITERE AUTORIN
MICHAEL JÄCKER-CÜPPERS, NATALIE RIEDEL
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, MARGIT BONACKER, SONJA GÄRTNER, MICHAELA PRITZER, MATTHIAS ROTHE, ELISABETH SCHWAIGER
SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
KERNAUSSAGEN
Lärmbelastungen sind allgegenwärtig in Städten und können betroffene Personen und Bevölkerungsgruppen erheblich
belasten.
Stadtnatur kann einen substanziellen Beitrag zur Lärmminderung leisten: direkt über lärmmindernde Effekte (u. a. durch
Absorption, Reflektion, Streuung und Abschirmung) und indirekt über lärmmoderierende Wirkungen (durch eine natürliche
Geräuschkulisse, audio-visuelle Abschirmung, Verkehrsvermeidung).
Elemente der Stadtnatur tragen zur Qualifizierung »ruhiger Gebiete« bei, wie sie nach EU-Umgebungslärmrichtlinie gefor-
dert werden.
Analysen zur Quantifizierung der Lärmminderung durch Stadtnatur und zu expliziten gesundheitlichen wie volkswirtschaft-
lichen Wirkungen stellen bislang die Ausnahme dar.
Lärmminderungsmaßnahmen (z. B. Lärmaktionspläne) sollten verstärkt Elemente der Stadtnatur einbeziehen und auch
danach beurteilt werden, inwieweit sie Maßnahmen zur Förderung von Stadtnatur integrieren.
INFOBOX 3.4 – 1
Wann wird aus Geräuschen Lärm?
Geräusche sind fester Bestandteil der menschlichen Umwelt.
Während unsere Ohren stetig alle Geräusche im Hörbereich
ungefiltert aufnehmen, erfolgt im Gehirn eine differen-
zierte Bewertung zwischen wichtig oder unwichtig, ange-
nehm, lästig oder gar bedrohlich. Geräusche werden somit
in dem Moment zu »Lärm«, wenn sie als ein unerwünschtes
Schall erlebnis interpretiert, d. h. sobald sie negativ belegt als
belästigend, störend oder ängstigend erlebt und empfun-
den werden. Hierbei spielen z. B. Gewöhnungseffekte, Ein-
stellungen zur Geräuschquelle und die aktuelle Geräusch-
empfindlichkeit von betroffenen Personen eine große Rolle.
Die Wahrnehmung von Schall als Lärm, laut Bundesimmis-
sionsschutzgesetz (BImSchG) als »schädliche Umweltein-
wirkung durch Geräusche« definiert, ist demnach kein allein
physikalisches Phänomen (Giering, 2010). Dennoch ist auch
bei Personen, die sich subjektiv wenig von Lärm betroffen
fühlen, bei objektiver Lärmbelastung eine körper liche Reak-
tion messbar.
82 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 83
Schweizer Franken (CHF) um, benannten dabei allerdings
auch vielfältige Grenzen der Bewertung.
Für die europäische Lärmschutzpolitik ist die Studie von
Delft et al. (2011) wichtig, weil auf ihr z. B. Kostenansätze
für die Monetarisierung der Lärmkomponente in der LKW-
Maut beruhen. In dieser Studie werden für den gewichte-
ten europäischen Ganztagespegel (LDEN) bis 70 dB Beläs-
tigungswirkungen sowie Schlafstörungen und darüber die
Gesundheitsfolgen monetarisiert. Der jeweilige Schadens-
zuwachs beträgt für Deutschland unter 70 dB 10 Euro/dB
pro Person und Jahr (vgl. mit der Empfehlung der EU-Wor -
king Group on health and socio-economic aspects (2003)
von 25 Euro/dB pro Haushalt und Jahr). Über 70 dB be-
trägt der Schadenszuwachs 16 Euro/dB pro Person und
Jahr. Mit diesen Ansätzen lässt sich dann auch der durch-
schnittliche oder fiktive Nutzen bzw. das Kosten-Nutzen-
Verhältnis von Lärmschutzmaßnahmen (z. B. durch geringere
Krankheitslast, höheres Miet- und Immobilienpreisniveau
sowie erhöhte Arbeitsproduktivität) ermitteln (Brüning
und Heidebrunn, 2009; Diekmann et al., 2010; Giering,
2010; Müller-Wenk und Hofstetter, 2003; Penn-Bressel, 2001).
Quantifizierungsansätze stehen oft im Zusammenhang mit
der Schätzung oder Evaluation der Wirksamkeit von Lärm-
aktionsplänen (siehe Anhang V der Umgebungslärmricht-
linie; vgl. Heinrichs et al., 2011). So errechneten Diekmann et
al. (2010) für den Lärmaktionsplan (LAP) Berlin, dass für eine
kurzfristige Entlastung um 1 dB durchschnittlich 13 Euro
pro anwohnende Person aufgewandt werden müssten.
Im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse wurde aufgrund
der zu erwartenden Lärmminderungseffekte eine volks-
wirtschaftliche Amortisation der kurzfristigen LAP-Maß-
nahmen innerhalb von zwei Jahren prognostiziert. Brüning
und Heidebrunn (2009) kamen für den LAP Norderstedt zu
vergleichbaren Ergebnissen. Müller-Wenk und Hofstetter
(2003) hingegen errechneten einen Mietpreisgradienten
von ca. 1 %/dB und setzten diesen mit der verminderten
Schlaf- und Aufenthaltsqualität bei höheren Lärmpegeln in
Beziehung. Hierdurch ergab sich z. B. bei Wegfall von lärm-
induzierten Schlafstörungen ein eingespartes Geldäquiva-
lent von 2.500 – 15.000 CHF jährlich.
Die Methode der Ermittlung von Zahlungsbereitschaften
der Bevölkerung für ruhige Erholungsflächen wurde ebenso
angewandt (vgl. u. a. Penn-Bressel, 2001); sie wird allerdings
auch stark im Hinblick auf methodische Grenzen sowie auf
die Schwierigkeit und ethische Vertretbarkeit der Moneta-
risierung eines Gemeinguts diskutiert (Istamto et al., 2014).
gefordert, findet dieser Aspekt Eingang in aktuelle Konzepte
zum Schutz und zur Schaffung ruhiger Gebiete im Rahmen
von städtischen Lärmminderungsplänen (z. B. in Berlin, Mün-
chen oder Braunschweig; Heinrichs et al., 2011). Genaue Krite-
rien für ruhige Gebiete fehlen indes (QUADMAP, 2015).
3.4.3 Wie lässt sich Lärmminderung
durch Stadtnatur quantifizieren?
Gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Wirkungen von
Lärmminderungsmaßnahmen sind mit verschiedenen An-
sätzen quantifiziert worden, allerdings fast durchweg nicht
unter Berücksichtigung von Stadtnatur.
Zum einen gibt es Studien, die zunächst die »umweltbe-
dingte Krankheitslast« (»environmental burden of disease«,
EBD) bzw. die eingebüßte Lebensqualität oder Lebenszeit
durch Umgebungslärm für einzelne Krankheiten berech-
nen. Sie unterscheiden dabei zumeist zwischen Straßen-,
Schienen- und Flugverkehrslärm. Im nächsten Schritt wird
modelliert, welche Reduktion der Krankheitslast (Gesund-
heitsgewinne oder Lebensqualitätsverbesserung) durch
verschiedene Lärmminderungsszenarien (z. B. Kappen von
Expositionsspitzen oder Absenkung der Gesamtexposition
um x dB) zu erwarten wäre (Claßen, 2013; vgl. WHO Europe,
2011). Bislang weisen solche Studien jedoch aufgrund da-
tentechnischer und methodischer Begrenzungen erhebli-
che Schwankungsbreiten in den EBD-Ergebnissen auf (siehe
Claßen, 2013), die sich ebenso in den Reduktionsszenarien
niederschlagen.
Zum anderen gibt es Studien, die eine ökonomische Be-
trachtung inklusive Monetarisierung leisten. Hierzu wird
berechnet, wie sich die verschiedenen Beeinträchtigun-
gen durch Lärm monetär bewerten lassen. Dazu müssen
die Dosis, d. h. die Geräuschbelastung der betroffenen Be-
völkerung oder der Freiflächen bestimmt sowie jeder Dosis
Kosten zugeordnet werden (Dosis-Kosten-Funktion, bspw.
auf der Basis von erfragten Zahlungsbereitschaften für
mehr Ruhe, Veränderungen von Immobilienpreisen durch
Geräuschbelastung oder Monetarisierung gesundheit-
licher Schäden usw.). Aktuell laufen Studien zur Monetari-
sierung von Belästigungen, Schlafstörungen und anderen
gesundheitlichen Folgen durch Geräuschbelastung. Einen
wissenschaftlichen Konsens über Dosis-Kosten-Funktio-
nen gibt es jedoch nicht. Zudem liegen bislang nur für
den Verkehrslärm einigermaßen abgesicherte Erkenntnisse
vor (u. a. Giering, 2010). So rechneten Müller-Wenk und
Hofstetter (2003) für die Schweiz ein Jahr mit lärmindu-
zierter Schlafstörung oder Kommunikationsstörung in
Bevölkerungsgruppen und zusätzlich deutliche Immobilien-
wertverluste; damit geht eine langfristige Veränderung der
Sozialstruktur einher (u. a. Kohlhuber et al., 2006). Schließlich
ist Lärm oftmals räumlich und sozial sehr ungleichmäßig ver-
teilt (Stichwort: Umweltungerechtigkeit). Insbesondere an
stark frequentierten Verkehrsstrecken bestehen Mehrfach-
belastungen für zumeist sozial schwächere Bevölkerungs-
gruppen (Kohlhuber et al., 2006; Riedel et al., 2011). Angesichts
einer gleichzeitigen Zunahme sozial bedingter gesundheit-
licher Ungleichheit ist diese Entwicklung äußerst kritisch
(vgl. Kapitel 4).
3.4.2 Wie kann Stadtnatur zur Lärmminderung
beitragen?
In den vergangenen Jahrzehnten ist kontrovers diskutiert
worden, inwieweit Stadtnatur (zumeist erfasst über urbane
Grünstrukturen) einen Beitrag zur Lärmminderung leisten
kann. Hierbei sind direkt lärmmindernde Effekte von lärm-
moderierenden Wirkungen zu unterscheiden.
Direkte Wirkungen
Stadtnaturflächen wie Stadtwälder oder Grünzüge können
im Schallausbreitungsraum zunächst einmal den Abstand
zwischen Lärmquelle und Immissionsort vergrößern. Zudem
wird gerade durch Blattflächen, Stämme und Geäst sowie
raue Bodenoberflächen der Schall absorbiert, reflektiert und
gestreut, wodurch Lärmpegel gemindert werden (vgl. Bucur,
2006). Eine solche Schallminderung durch Grünelemente
wird zunehmend wichtiger in Zeiten, in denen der moderne
Städtebau vermehrt durch »schallharte« Fassaden (Stahl,
Glas) gekennzeichnet ist. Praxisbeispiele sind:
sogenannte Rasengleise, bei denen der Gleiskörper von
Rasen oder anderer Vegetation eingefasst ist (vgl. Richt linie
ABBILDUNG 3.4 – 1 Lärmminderung und Lärmmoderation
durch Stadtnatur: Karatetraining im Bielefelder Bürgerpark in
unmittelbarer Nähe zu einer vielbefahrenen Hauptstraße.
(Foto: Thomas Claßen)
zur Berechnung der Schallimmissionen von Schienenwe-
gen; Schall 03). Hierdurch kann Lärm im Durchschnitt um
2 dB(A) (Schalldruckpegel für das menschliche Gehör in De-
zibel) gemindert werden; bei Bepflanzung mit Sukkulen-
ten ist die Minderung deutlicher geringer, bei Gleiseinde-
ckung mit hoch liegender Vegetationsebene aber auch bis
zu 5 dB(A) (Fürst, 1999).
Entsiegelte Flächen im Straßenraum oder begrünte Fassa-
den können einen Minderungsbeitrag von bis zu 3 dB(A) er-
bringen (EU-Projekt HOSANNA, »HOlistic and Sustainable
Abatement of Noise by optimized combinations of Natu-
ral and Artificial means«, http://www.greener-cities.eu/;
Veisten et al., 2012).
Zudem werden Abschirmungen durch Stadtnaturelemente
(Bäume und Sträucher etc., z. B. Straßenbegleitgrün) disku-
tiert, deren Wirksamkeit bezüglich der Pegelminderung al-
lerdings oftmals überschätzt wird (u. a. Yang et al., 2011).
Indirekte Wirkungen
Die lärmmoderierende Wirkung von Stadtnatur ist vielschich-
tig. Stadtnatur mit hoher (biologischer) Vielfalt bildet eine
als positiv bewertete Geräuschkulisse (»soundscape«), z. B.
durch Blätterrauschen, Vogelgezwitscher oder Wasserplät-
schern, die den störenden Umgebungslärm überlagert und
hierdurch die subjektiv empfundene Beeinträchtigung
durch Lärm mindert (Irvine et al., 2009; Gidlöf-Gunnarsson
und Öhrström, 2010; de Coensel et al., 2011; siehe Abbil-
dung 3.4 – 1). Dieser Effekt kann durch eine visuelle Ab-
schirmung verstärkt werden, z. B. durch Unterbrechen der
Sicht auf eine Lärmquelle.
Stadtnatur trägt durch die allgemeine Stressminderung
(vgl. Kapitel 4) auch zu einer Reduzierung verhaltensbezo-
genen Lärms in der Wohnumgebung bei, z. B. durch weniger
aggressive, rücksichtsvollere und einander respektierende
Nachbarschaften.
Stadtnatur kann auch einen Beitrag zur Verkehrsvermeidung
leisten: Einerseits können verdichtete Räume mit bestehen-
der grüner Infrastruktur als verkehrsärmere Siedlungsfor-
men aufgewertet werden, z. B. über bauliche Maßnahmen zur
Straßenraumverengung. Andererseits kann eine wohnungs-
nahe, zugängliche und mit einer angenehmen »natürlichen«
Geräuschkulisse ausgestattete Stadtnatur dazu führen, dass
Wegestrecken optimalerweise zu Fuß oder mit dem Fahrrad
bewältigt werden, sei es für Freizeitaktivitäten oder bspw.
für Besorgungen. Wie in der EU-Umgebungslärm richtlinie
84 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 85
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nur sehr überschlägig erfolgt, obgleich Stadtnaturelemente
die Effektivität der Lärmaktionsplanung etwa durch Qualifi-
zierung von ruhigen Gebieten gemäß der EU-Richtlinie ver-
bessern könnten (QUADMAP, 2015).
Ungeachtet der Limitationen quantitativer Ansätze können
wissenschaftlich fundierte qualitative Aussagen getroffen
werden, zumal inzwischen die Anzahl von Studien zu lärm-
mindernden und lärmmoderierenden Effekten von Stadt-
natur stetig zunimmt und die bestehenden Wirkkomplexe
immer besser beschrieben werden können.
Die genannten Quantifizierungsansätze fußen stets auf
einer Vielzahl von Annahmen sowie methodischen und da-
tentechnischen Unsicherheiten. Analysen explizit zur Lärm-
minderung durch Stadtnatur (oder biologische Vielfalt) und
möglichen gesundheitlichen wie volkswirtschaftlichen Wir-
kungen stellen bislang trotz verfügbarer Informationen zur
faktischen Pegelminderung die Ausnahme dar (vgl. Veisten et
al., 2012, mit Fokus auf begrünten Fassaden und Dächern; vgl.
Penn-Bressel, 2001, mit Fokus auf Lärmvermeidungs kosten
durch die Schaffung ruhiger Gebiete). Aus diesem Grund
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86 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKoSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT 87
Bodenfeuchte wieder ab. Eine Bodenversiegelung wirkt die-
sem abkühlenden Effekt entgegen und verstärkt die Über-
wärmung der Städte (siehe Kapitel 3.1).
Der höhere Oberfl ächenabfl uss in die Kanalisation und in
Gewässer durch verdichtete und versiegelte Böden führt
zu einer Störung des natürlichen Wasserkreislaufs. Damit
sind höhere Kosten für die Reinigung von Wasser sowie
Risiken bei Hochwasser verbunden. Kapitel 3.5.3 zeigt
anhand konkreter Beispiele den Wert von Flächen zur Ver-
sickerung von Niederschlagswasser auf.
Zudem wird mit der Versiegelung von Böden Lebensraum
für Pfl anzen und Tiere vernichtet.
Zusätzlich werden Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungs-
eigenschaften des Bodens beeinträchtigt und das Nut-
zungspotenzial von Boden als Grün- und Gartenfl äche, auch
für den Eigenanbau, beschränkt.
Die Ausführungen zeigen, warum urbane Schutzkonzepte
für Böden notwendig sind (vgl. Norra, 2007; Norra und
Stüben, 2003).
innerstädtische Freifl ächen zu entwickeln und dafür Flächen
außerhalb von Siedlungen nicht zu bebauen. Allerdings er-
geben sich auch innerhalb der Städte Nutzungskonfl ikte,
denn auch hier sind unversiegelte Böden die Grundlage wich-
tiger Ökosystemleistungen (siehe Abbildung 3.5 – 1, MA, 2005;
Naturkapital Deutschland – TEEB DE, 2012).
Ökosystemleistungen von Böden sind in Städten stark
durch Bauaktivitäten und Reststoffablagerungen gefährdet
(siehe Abbildung 3.5 – 2).
Voll- und teilversiegelte Böden sowie Böden aus technoge-
nen, d. h. von Menschen hergestellten Materialien, verlieren
viele ihrer potenziellen Ökosystemleistungen. Das betrifft
vor allem (1) das Stadtklima, (2) den Wasserkreislauf und (3)
die biologische Vielfalt.
Im Hinblick auf das Stadtklima sind Böden eine wesent-
liche Energieumsetzungsfl äche neben den Oberfl ächen
von Gewässern, der Vegetation und der Bebauung. Die
Böden nehmen die kurzwellige Sonnenstrahlung auf, er-
wärmen sich und geben dann die überschüssige Energie
in Form von Wärmestrahlung und durch Verdunstung von
terungs- und Aufbauprozesse und ist eine Basisleistung der
Natur, die in ihrer Komplexität technisch nicht ersetzt werden
kann (Infobox 3.5 – 1).
3.5.1 Ökosystemleistungen von Böden in urbanen
Gebieten
Der Verstädterungsprozess führte in Deutschland dazu, dass
heute rund 13,5 % der Fläche für Siedlungen und Verkehrs-
wege genutzt werden. Täglich werden derzeit rund 70 ha in
Sied lungs- und Verkehrsfl ächen umgewandelt (StBA, 2014;
vgl. Kapitel 1, Infobox 1 – 2). Dadurch werden Böden, die Tau-
sende von Jahren für ihre Entstehung benötigt haben, nach-
haltig ge- und zerstört. Um dem intensiven Verbrauch an Bo-
den entgegenzuwirken, wird gegenwärtig häufi g angestrebt,
Böden und Wasser, die Grundlagen des Lebens –
auch in Städten
Ohne Böden und Wasser ist terrestrisches Leben nicht mög-
lich. Böden ermöglichen Pfl anzen zu wurzeln, sichern deren
Nährstoffversorgung, bieten Tieren Lebensraum und spei-
chern Wasser. Wasser ist essenziell für alle Lebewesen und
ist Transportmedium für Nährstoffe. Zudem ist Wasser eine
notwendige Essenz für bodenbildende Prozesse, wie Verwit-
terung, Mineralisierung und Humusbildung. Böden sind da-
bei gegenüber der Atmosphäre (Luft) und der Lithosphäre
(Gestein) von sehr geringer Mächtigkeit: Sie reicht von eini-
gen Zentimetern bis zu wenigen Metern. Die Bildung von
Böden erfolgt am Übergang zwischen dem Untergrund aus
Gestein oder Sedimenten zur Atmosphäre durch Ver wit -
3.5 STADTNATUR SICHERT FUNKTIONSFÄHIGE BÖDEN UND GEWÄSSER
KOORDINIERENDER AUTOR
STEFAN NORRA
WEITERE AUTORINNEN UND AUTOREN
MIRIAM BRENCK, WOLFGANG BURGHARDT, STEFAN EMEIS, OLIVER GEBHARDT, CHRISTIAN HELLER,
CHRISTIAN KLINGENFUSS, BORIS LEHMANN, DIANA MÖLLER, MICHAEL SCHWARZE-RODRIAN, MANFRED TSCHÖPE,
GERD WESSOLEK, TOBIAS WIRSING
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, SONJA GÄRTNER, MICHAELA PRITZER, ELISABETH SCHWAIGER, BETTINA SCHWARZL,
KARIN ZAUNBERGER SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
KERNAUSSAGEN
Urbane Böden leisten durch die Reinigung von Niederschlags- und Oberfl ächenwasser einen wichtigen Beitrag zur Trink-
wasserversorgung und zum Grundwasserschutz. Offene Böden ermöglichen die Versickerung des Niederschlags und den
Rückhalt von Hochwasser und entlasten so das Kanalisationssystem.
Entsiegelung von Böden fördert die Biodiversität sowie eine Vielzahl von Ökosystemleistungen und trägt damit erheblich
zur Umweltentlastung und Klimaanpassung bei.
Humusbildung erhöht die Bodenqualität und Produktivität auch entsiegelter und technogener Böden. Sie leistet über die
Speicherung von CO2 einen Beitrag zum Klimaschutz.
Offene Wasserfl ächen in der Stadt sind bedeutende Ressourcen für Naturerfahrung, Erholung, Biodiversität sowie Klima-
schutz und -anpassung.
Die Reduzierung des Flächenverbrauchs sowie die Erhaltung funktionsfähiger Böden und Gewässer sind Kernelemente
städtischer Entwicklungsprogramme und sollten mit Nachdruck verfolgt werden.
ABBILDUNG 3.5 – 1 Natürliche Böden wie diese Braunerde (links) sind immer noch in Städten zu fi nden: Sie stellen wichtige
Ökosystem leistungen zur Verfügung und leisten einen Beitrag zur Biodiversität, wie hier auf dem Alten Flugplatz in Karlsruhe mit
einem geschützten Borst- und Silbergrasrasen (rechts). (Fotos: Stefan Norra)
88 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKoSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT 89
ABBILDUNG 3.5 – 2 Städtebau vernichtet natürlich gewachsene Böden und neue Böden bilden sich aus umgelager ten und
technogenen Materialien. Links: Bodenarbeiten für eine Kabelverlegung. Mitte: Boden unter einer Straße mit grauer Zementschicht.
Rechts: Schlackeschicht (schwarz) im Boden eines ehemaligen Rangierbahnhofs. (Fotos: aus Karlsruhe, Stefan Norra)
INFOBOX 3.5 – 1
Bodenbildende Prozesse: Basisleistung für weitere Ökosystemleistungen
Böden sind eine Mischung von anorganischem Material, orga-
nischer Substanz, lebenden Organismen, der wässrigen Boden-
lösung und der Bodenluft. In Städten gibt es natürliche Böden,
deren ursprünglicher Aufbau weitgehend erhalten ist, sowie
technische Böden, welche strukturell und stoffl ich nachhaltig
verändert wurden. Letztere sind durch Versiegelung, Boden-
auftrag bzw. -abtrag, Eintrag von Abfall, Schutt, Aschen, Schla-
cken oder Schlämmen, Durchmischung und Planierung sowie
Schadstoffeinträge gekennzeichnet (Arbeitskreis Stadtböden,
1989; Blume, 1993; Frielinghaus et al., 2010; Meuser, 1993).
Zudem ist oft Trümmerschutt des letzten Krieges Ausgangs-
material für eine Bodenbildung. Auch natürliche, häufi g aber
umgelagerte Substrate spielen in urbanen Böden eine Rolle.
Typische Stadtböden nehmen z. B. in Stuttgart einen Anteil
von 51,8 % der Stadtfl äche ein (Landeshauptstadt Stuttgart,
2014) . Im Stadtgebiet von Essen enthiel ten 71 % aller Böden Bei-
mengungen zivilis atorischen Ursprungs (Meuser, 1993). Aus na -
türlichen und technogenen Materialien entstehen Böden, die
als Basisleistung weitere Ökosystemleistungen ermög lichen.
Dazu gehören der Abbau organischer Schadstoffe, die Spei-
cherung toxischer chemischer Substanzen (z. B. Schwerme-
talle) und der Schutz des Grundwassers. Auch durch Auf-, Ab-
und Einlagerung von Stäuben wird in Städten Bodenbildung
initiiert. Ablagerungen von 1 – 2 mm Höhe können in einem
Jahr beobachtet werden (Burghardt, 2002; Sauer und Burg-
hardt, 2006). Nahezu alle städtischen Böden können von Pfl an-
zen bewachsen werden, wobei aufgrund ihrer Flachgründig-
keit extreme Böden für die Biodiversität eine hohe Bedeutung
aufweisen können (siehe Abbildung 3.5 – 3).
Ein wichtiger Faktor bei der Bodenbildung ist die Zeit. Inner-
halb weniger Jahre können sich erste Bodenmerkmale heraus-
bilden (Séré et al., 2010). Diese jungen Böden zeigen jedoch
gegenüber den mehrere hundert bis tausend Jahre alten natür-
lichen Böden häufi g Einschränkungen von Bodenfunktionen
auf und können die genannten Ökosystemleistungen oft nur
bedingt zur Verfügung stellen.
ABBILDUNG 3.5 – 3 Bodenbildung in den Fugen und am Fuß einer ehemaligen Friedhofsmauer aus Sandstein bietet Pfl anzen
neuen Lebensraum. Rechts: Bildung von Boden in Pfl asterritzen und Besiedlung durch ein Stiefmütterchen. (Fotos: aus Mannheim,
Stefan Norra)
ABBILDUNG 3.5 – 4 Die Humusbildung aus abgestorbenen
Pfl anzen und ihren Teilen unter Mitwirkung von Tieren, Pilzen
und Mikroorganismen ist eine Ökosystemleistung, die die Natur
kostenlos zur Verfügung stellt und die technologisch nicht
ersetzbar ist. (Foto: Manfred Tschöpe)
Mikroorgansimen abgestorbenes organisches Material ab
(Mineralisation). Aus nur teilweise abgebauten organischen
Resten formt sich über biochemische Prozesse der Humus
neu (Humifi zierung), welcher Nährstoffe für Pfl anzen bereit-
stellt und den Bodenwasserhaushalt positiv beeinfl ussen
kann (siehe Abbildung 3.5 – 4).
3.5.2 Bedeutung bodenbildender Prozesse
für Ökosystemleistungen
Entkalkung, Verbraunung, Verlehmung und Humusbildung
sind bedeutende Prozesse der Bodenbildung und Vorausset-
zungen für wichtige Ökosystemleistungen (siehe auch Info-
box 3.5 – 1).
Entkalkung: Regen mit pH-Werten um 5 führt zur Lösung und
Auswaschung von basischen Substraten wie Kalziumkarbonat
(CaCO3). Bei diesem Prozess werden auch für Pfl anzen wich-
tige Nährstoffe freigesetzt.
Verbraunung und Verlehmung: Ist kein Karbonat mehr im
Boden vorhanden, puffern Silikate in den Boden eingetra-
gene Säuren ab und weitere Nährstoffe werden pfl anzen-
verfügbar. Dabei werden Eisenoxide (Verbraunung) und Ton-
minerale (Verlehmung) gebildet. Gerade Tonminerale spielen
eine wichtige, positive Rolle für den Wasser- und Nährstoff-
haushalt von Böden sowie für die Bindung von potenziellen
Schadstoffen.
Humusbildung: Mikroorganismen, Pilze und Pfl anzen besie-
deln nahezu jeden Boden. Mikroorganismen und Pfl anzen-
wurzeln scheiden Flüssigkeiten aus, die helfen, das Ausgangs-
material zu zersetzen. Manche Mikroorganismen nutzen
Oxidationsprozesse wie bspw. die Eisenoxidation zur Energie-
gewinnung. Weiterhin bauen tierische Bodenlebewesen und
90 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKoSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT 91
Starkregenereignissen und sommerlicher Hitzeperioden zu-
nimmt (siehe auch Kapitel 3.1).
3.5.4 Entwicklung naturnaher Gewässer:
Chance für die Stadtentwicklung
Das Leben am Wasser ist so attraktiv wie nie zuvor. Viele
Städte wie London, Brisbane, Hamburg, Berlin aber auch
kleinere Städte wie Ludwigshafen, Bremerhaven, Münster,
Hamm und Hagen (MBV, 2010) entwickeln und etablieren
Konzepte des Wohnens und Lebens an Flüssen, Seen und Ha-
fenanlagen, nachdem sich die Industrie mehr und mehr von
diesen Flächen zurückzieht (siehe Abbildung 3.5 – 6). Zusätz-
lich zum außergewöhnlichen Wohnwert stellen Gewässer
vielfältige Ökosystemleistungen in Städten zur Verfügung.
Ökosystemleistungen urbaner Gewässer
Wasser ist als Trinkwasser essenziell für die Ernährung von
Lebewesen und ist Transportmedium für Nährstoffe; Ober-
fl ächengewässer und Grundwasser sind somit bedeutende
zu schützende Ressourcen (vgl. Kapitel 7.2).
Die Verdunstung von Wasser aus Oberfl ächengewässern
führt insbesondere an heißen Sommertagen zur Kühlung
der Umgebungstemperatur und damit zu einer verbesser-
ten gesundheitlichen Situation in überwärmten Siedlungs-
bereichen (vgl. Kapitel 3.1 und 4).
Nutzen durch dezentrales Regenwassermanagement
in der Freiraumgestaltung
Die Integration von dezentralem Regenwassermanage ment
in die Freiraumgestaltung ist ein gutes Beispiel für die
gleichzeitige Inwertsetzung von verschiedenen Ökosystem-
leistungen in der Stadt: So bieten die Flächen für Versicke-
rungsmulden in Siedlungen zugleich vielseitig nutzbare Grün -
räume, z. B. zum Spielen oder als Staudengarten (siehe
Ab bildung 3.5 – 5). Bedeutung gewinnen diese Maßnahmen
zudem im Zuge des Klimawandels, wenn die Häufi gkeit von
teilversiegelte Böden sparen somit Kosten, wohingegen jede
weitere Versiegelung zu Folgekosten führt.
Im dargestellten Berechnungsbeispiel handelt es sich um
die Vermeidung einer städtischen Gebühr durch die Bereit-
stellung einer vom Boden abhängigen Ökosystemleistung.
Andere Berechnungsverfahren sind prinzipiell auch möglich.
So könnten die Kosten für den Aufbau und den Unterhalt
der notwendigen Infrastruktur mit Kanalisation der Ober-
fl ächenabfl usswässer inklusive Reinigung berechnet werden.
Grüne Infrastruktur spart Kosten
Das Potenzial der Kosteneinsparung durch grüne Infrastruk-
tur wird auch im folgenden Beispiel deutlich: Für eine Wohn-
siedlung in Aachen wurden die Kosten und Nutzen analy siert,
die mit Dachbegrünungen und einem verringerten Ver-
siegelungsgrad von Hof- und Gartenfl ächen einhergehen
(BMVBS, 2013). Für einen 6,7 ha großen Bauabschnitt wurden
drei Szenarien mit unterschiedlichen Begrünungs- und Ver-
siegelungsgraden entwickelt (siehe Tabelle 3.5 – 1). Die ange-
setzten Kosten umfassen die Mehrkosten in Relation zum
Basisszenario (Investitionen sowie notwendige Re-Investi-
tionen und Unterhaltungskosten über einen Zeitraum von
50 Jahren). Die Nutzen der Szenarien 2 und 3 im Vergleich
zum Basisszenario bestehen in diversen Einsparungen: ge-
ringere Kosten für die erforderliche Infrastruktur zur Versi-
ckerung (kleinere Rückhaltebecken durch dezentrale Versi-
ckerung), niedrigere Niederschlagswassergebühren sowie
geringere Energiekosten.
Für eine Multi-Kriterien-Analyse (MKA) wurden neben den
monetären Kosten und Nutzen auch weitere Nutzenaspekte
in Form qualitativer Kriterien berücksichtigt: mikroklima-
tische Effekte, der ästhetische Mehrwert sowie gebündelt
positive Effekte für die Biodiversität und den Brandschutz.
Alle Bewertungskriterien der MKA wurden durch verschie-
dene Interessenvertreter gewichtet.
Die Analyse zeigt, dass sich Szenario 3 mit 70 % Dachbegrü-
nung und unversiegelten Hof- und Gartenfl ächen bereits
un ter Kosten-Nutzen-Abwägungen lohnt. Die Einbeziehung
weiterer positiver Effekte (hier: Zusatznutzen wie mikro-
kli matische Effekte, Brandschutz) bestärkt dieses Ergebnis.
Die Analyse in PRIMATE (Monte-Carlo-Simulation) ergab, dass
bei 10.000 Einzel-Multikriterien-Analysen Szenario 3 in ca.
9.200 Fällen am besten abschnitt (zur Methode siehe BMVBS,
2013, S. 62 ff.). Das heißt: Mit einer Wahrscheinlichkeit von
92 % ist Szenario 3 die geeignetste Alternative.
3.5.3 »Grünes« Regenwassermanagement lohnt
sich: Verminderte Kosten durch Versickerung
von Niederschlagswasser
Zur Grundwasserneubildung und zur Vermeidung von Ober-
fl ächenabfl uss von versiegelten Flächen sind offene, mit
Pfl anzen bewachsene oder nur teilweise versiegelte Boden-
fl ächen notwendig. Die Grundwasserneubildung ist für die
Trinkwasserversorgung wichtig und entscheidend für die Er-
haltung grundwasserabhängiger Ökosysteme. Der Oberfl ä-
chenabfl uss von versiegelten urbanen Flächen hingegen ist
erhöht und oft mit Schadstoffen belastet. Das führt zu Folge-
kosten für notwendige Kanalkapazitäten und weitere Infra-
strukturausgaben, z. B. bei der Reinigung. Häufi g kann die
technische Abwasserinfrastruktur nicht bei Starkregen alle
in kurzer Zeit auftreffenden Wassermengen aufnehmen und
ableiten. Durch Überschwemmung von Straßen und Grund-
stücken können dann erhebliche Schäden entstehen. Durch
die Förderung einer grünen Infrastruktur können solche Schä-
den reduziert und Kosten für den Ausbau technischer Infra-
struktur eingespart sowie in der Folge Niederschlagswasser-
gebühren für den Verbraucher verringert werden.
Niederschlagsabwassergebühren setzen Anreize
Bundesweit haben viele Städte Niederschlagsabwasser-
gebühren festgelegt, um einen Anreiz zu schaffen, weniger
Niederschlagswasser von versiegelten Flächen in die Kanali-
sation einzuleiten, sondern vielmehr die Versickerung auf den
Grundstücken selber zu fördern. Die Stadtwerke Karlsruhe
bspw. erhoben 5,06 € / 10 m2 im Jahr 2012. Die zu zahlende
Niederschlagsabwassergebühr berechnete sich nach folgen-
der Formel:
NAGtotal = A · C · NAGA
NAGtotal : gesamte, zu zahlende Niederschlagsabwasser-
gebühr (€)
A: Fläche (m2)
C: Abfl ussbeiwert zwischen 0 (unversiegelt)
und 1 (total versiegelt)
NAGA: Niederschlagsabwassergebühr pro Fläche (€/m2)
Für ausgewählte Stadtteile Karlsruhes ergeben sich bei
Berück sichtigung aller Flächen durchschnittliche Kosten für
versiegelte Flächen von rund 2.000 Euro/ha/Jahr, die bei
entsprechender Entsiegelung eingespart werden könnten.
Die noch nicht versiegelten Flächenanteile der gleichen Ge-
biete haben dabei einen durchschnittlichen Wert von rund
3.060 Euro/ha/Jahr, der im Falle ihrer Versiegelung ge-
zahlt werden müsste (Grönmeier et al., 2013). Offene oder
TABELLE 3.5 – 1 Bewertung von drei Begrünungsszenarien durch Kosten-Nutzen-Analyse und Multi-Kriterien-Analyse mit PRIMATE
(Probabilistic Multi-Attribute Evaluation). (Quelle: eigene Darstellung/Miriam Brenck, Oliver Gebhardt; Daten Fallbeispiel Aachen
Richterich Dell aus BMVBS, 2013)
Szenario Kostendifferenz zum
Basisszenario (€)
(50 Jahre, Diskontrate 3 %)
Nutzendifferenz zum
Basisszenario (€)
(50 Jahre, Diskontrate 3 %)
Zusatznutzen
(zwischen 1 = nicht vorteilhaft
und 5 = sehr vorteilhaft)
Szenario 1
(Basisszenario)
0 % Dachbegrünung,
25 % Versiegelung Innenhof,
50 % Versiegelung Gärten
––Mikroklima: 1
Ästhetik: 2
Weitere Zusatznutzen: 1
Szenario 2
30 % Dachbegrünung,
0 % Versiegelung Innenhof,
50 % Versiegelung Gärten
55.100 – 142.500 238.000 Mikroklima: 2
Ästhetik: 2
Weitere Zusatznutzen: 2
Szenario 3
70 % Dachbegrünung,
0 % Versiegelung Innenhof,
0 % Versiegelung Gärten
128.500 – 330.200 597.000 Mikroklima: 3
Ästhetik: 1
Weitere Zusatznutzen: 3
ABBILDUNG 3.5 – 5 Nutzung begrünter Flächen zur Versicke-
rung von Regenwasser in einem Neubaugebiet in Hamburg.
(Foto: Manfred Tschöpe)
92 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKoSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT 93
eingesetzt, um Strömungs- und Strukturvielfalt zu erzeugen.
Zudem werden – soweit möglich – die Uferbereiche abge-
fl acht, um ökologische Vernetzungen mit dem Umland und
die Zugänglichkeit für Menschen zu fördern.
Ein erklärtes Ziel naturnaher Gewässerentwicklung besteht
darin, dass sich die revitalisierten Gewässerabschnitte ei-
gendynamisch entwickeln sollen – durch die Strömungs-
kräfte des Wassers und durch Umlagerung transportierter
Sedimente. Damit wird ein natürlicher Prozess, die eigenstän-
dige Morphodynamik (Geländegestaltung) von Fließgewäs-
sern, als Ökosystemleistung genutzt. Hintergrund ist dabei
die Gewährleistung einer verbesserten Stabilisierung (Resis-
tenz) des Gewässerlaufes infolge einer höheren Anpassungs-
fähigkeit (Resilienz) gegenüber Störungen wie Starkregen-
ereignissen oder Hochwasser.
Die Gewässerunterhaltung bestimmt im Spannungsfeld
von Abfl usssicherung, Pfl ege und Entwicklung die Rahmen-
bedingungen für Ökosystemleistungen und Biodiversität ei-
nes Gewässers. Sie ist der Schlüssel, um einen guten ökolo-
gischen Zustand bzw. ein gutes ökologisches Potenzial zu
erreichen und zu erhalten. Gelungene Beispiele für die mög-
liche Balance aus Vorfl utsicherung und Biodiversität zeigt
Abbildung 3.5 – 8.
Klima- und Standort faktor sowie als Lebens- und Erlebnis-
raum eine große Chance: zur nachhaltigen Entwicklung in
urbanen Gebieten beizutragen und hiermit auch deren bio-
logische Vielfalt zu fördern.
Länderübergreifend erarbeitete Leitlinien für den nachhalti-
gen und ökologisch verträglichen Hochwasserschutz (LAWA,
1995) sowie die Forderungen der europäischen Wasserrah-
menrichtlinie (EU, 2000) verlangen auch für innerstädtische
Fließgewässer ein gutes ökologisches Potenzial bzw. einen
guten ökologischen Zustand bei gleichzeitiger Wahrung des
Hochwasserschutzes für die Anlieger. Dies führt seit dem ver-
gangenen Jahrzehnt vermehrt zu Gewässerrevitalisierungen
im innerstädtischen Raum.
Naturnahe Gewässerentwicklung und Renaturierung
Ausgehend von dem methodischen Ansatz der naturnahen
Gewässerentwicklung gilt es, im urbanen Raum verstärkt
die Aspekte »Hochwassersicherheit« sowie »Erlebnis- und
Erholungsraum« bei Revitalisierungen zu berücksichtigen
(Lehmann, 2005). In der Praxis folgt daraus, dass urbanen
Fließ gewässern ein Korridor zugewiesen wird, dessen Begren-
zungen nach wie vor aus Gründen des Hochwasserschutzes
technisch gesichert sind. Innerhalb des Korridors fi ndet dann
die eigentliche Gewässerrevitalisierung statt (Beispiel: Isar
in München). Dazu werden ingenieurbiologische Bauweisen
Umwelt eingebrachte Nährstoffe sowie durch seine Hoch-
wasserregulierungsleistung und die hohe Biodiversität eine
besondere Bedeutung zu.
Die Bedeutung von Ökosystemleistungen naturnaher Ge-
wässer für die Lebensqualität in urbanen Gebieten wird in
jüngerer Zeit zunehmend erkannt und hat auch zu spekta-
kulären Revitalisierungsprojekten geführt (Beispiel: Isar in
München; Düchs, 2014). Damit deutet sich eine Abkehr von
dem Trend früherer Zeiten ab, die Gefahren von Hoch- und
Abwasser und hygienische Probleme mit Begradigungen und
Kanalisation der Flüsse zu kontrollieren. Auch städtisches
Niederschlagswasser wurde bis in die 1970er Jahre als Ab-
wasser angesehen, das möglichst schadlos über Misch- und
Trennwasserkanalisation abzuführen ist. Aus diesen Gründen
kam es zu einer umfänglichen Verbauung, Kanalisierung und
Technisierung städtischer Gewässer, welche gegenwärtig zu-
nehmend in naturnahe Zustände zurückentwickelt werden.
Abbildung 3.5 – 7 gibt ein Beispiel für ein technisch ausgebau-
tes innerstädtisches Gewässer.
Gewässerentwicklung und -unterhaltung:
Chancen für Nachhaltigkeit
Gewässerentwicklung und -unterhaltung fungieren im Span-
nungsfeld zwischen Abfl usssicherung und Sicherstellung
ökologischer Funktionen. Dies betrifft fast alle offenen Ge-
wässer – vom kleinen Graben und See bis zum großen Fluss –
und berührt im umfassenden Sinne auch gesellschaftliche
Fragen im Hinblick auf die Erhaltung der Kulturlandschaft,
die Klimaentwicklung, insbesondere des regionalen Klein-
klimas, die Umweltqualität, den Fremdenverkehr und die
Standort- und Wirtschaftspolitik. Daher beinhaltet die
gegen wärtige Entwicklung der Gewässerunterhaltung von
der früheren Fokussierung auf die Abfl usssicherung hin
zur integrativen Betrachtung von Gewässern als regionaler
Wasserfl ächen sind zudem bedeutende Ressourcen für
Natur erfahrung und Erholung beim Spazierengehen, Sport-
treiben, Baden und Angeln und fördern damit die Lebens-
qualität in Städten. Darüber hinaus können durch die Eta-
blierung von Wohngebieten an Gewässerstandorten, die
zuvor industriell genutzt wurden, Grundstücke nachhaltig
aufgewertet werden (vgl. Kapitel 3.5.5 und 8.2.2).
Durch die Revitalisierung kanalisierter und begradigter
Flussläufe werden zudem wertvolle Rückhaltefl ächen
für den Hochwasserschutz geschaffen (vgl. Naturkapital
Deutschland – TEEB DE, 2016, Kapitel 8).
Auch die Beschiffbarkeit von Gewässern und die Nutzung
von Wasser als Prozesswasser in der Industrie ist letztlich ei
ne wirtschaftlich bedeutende Ökosystemleistung, die aller-
dings zu Nutzungskonfl ikten mit anderen gesellschaftlich
relevanten, oben bereits genannten Ökosystemleistungen
führen kann.
Die naturnahe Entwicklung von städtischen Gewässern
trägt schließlich auch zur Bewahrung biologischer Vielfalt
bei, sowohl in den Gewässern selbst als auch in den Über-
fl utungsbereichen der gewässerbegleitenden Auen.
Je nach Nutzung stehen verschiedene Ökosystemleistungen
der Gewässer im Vordergrund (siehe Abbildung 3.5 – 6): Im
Falle der Industrienutzung ist es primär die Bereitstellung
von Prozesswasser als Versorgungsleistung; zudem wird das
Gewässer als Verkehrsweg genutzt. Beim Wohnen am Was-
ser spielen v. a. kulturelle Ökosystemleistungen eine Rolle:
die ästhetische Landschaft und der Fluss als Erholungsraum.
Dem naturnahen Gewässer fällt insbesondere durch seinen
intakten Nährstoffkreislauf als Basisleistung und auch durch
seine jeweilige Aufnahmekapazität für vom Menschen in die
ABBILDUNG 3.5 – 6 Gegensatz industriell genutzter Fließgewässer gegenüber der Nutzung der Uferbereiche zu Siedlungszwecken
und naturnahem Gewässer. Links: Rhein bei Ludwigshafen, BASF; Mitte: Speyer; Rechts: Rheinaue bei Taubergießen. (Fotos: Stefan Norra)
ABBILDUNG 3.5 – 7 Technisch ausgebautes innerstädtisches Gewässer (Murg bei Gernsbach, Baden-Württemberg) mit exemplarischer
Kennzeichnung bestehender Nutzungen. (Eigene Darstellung/Boris Lehmann)
3
Verkehrswege
Kreuzungs-
bauwerke
Aus- und
Einleitung
Einbauten in
das Gewässer
Industrie und
Gewerbe
Besiedlung
Naherholung
und Freizeit
Wasserkraft-
nutzung
94 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 95
umfassen für den unmittelbaren Emscherumbau
41.554 Personen jahre, d. h. im Durchschnitt werden pro
Jahr insgesamt etwa 1.400 Arbeitsplätze gesichert bzw.
neu geschaf fen. Zusätzlich zu den direkten Wirkungen des
Emscher umbaus entstehen weitere Produktions- und Be-
schäftigungswirkungen durch die sektorale Vorleistungs-
verflechtung und die über zusätzliche Einkommen indu-
zierte Nachfrage nach Konsumgütern. Berücksichtigt man
diese indirekten Auswirkungen, ist für den Zeitraum von
1991 bis 2020 mit Produktionseffekten in Höhe von rund
11,9 Mrd. Euro und Beschäftigungseffekten im Umfang von
109.787 Personenjahren zu rechnen. Im Durchschnitt gehen
somit 3.700 neu entstandene bzw. gesicherte Arbeitsplätze
pro Jahr auf die direkten und indirekten Beschäftigungs-
wirkungen des Emscherumbaus zurück. Etwa 58 % dieser
Beschäftigungseffekte bzw. gut 2.100 Arbeitsplätze pro Jahr
entfallen auf Nordrhein-Westfalen. Der ökologische Umbau
des Emschersystems gilt somit inzwischen auch als ein wirt-
schaftlicher Erfolg.
Der Emscherumbau generiert zudem fiskalische Effekte
auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene sowie bei den
Sozial versicherungen. Das durch den Emscherausbau ge-
nerierte Steueraufkommen umfasst im o. g. Betrachtungs-
zeitraum insgesamt etwa 1,1 Mrd. Euro. Hinzu kommen ca.
580 Mio. Euro an Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen
zu den Sozialversicherungen (Barabas et al., 2013). Jüngere
Untersuchungen haben auch Effekte im Immobilien sektor
aufgezeigt: Eigentumswohnungen im Emscherumbau-
Gebiet konnten eher ihren Wert bewahren, wohingegen
in Vergleichsregionen die Preise für Eigentumswohnungen
sanken (Bauer et al., 2015).
Mit der Umgestaltung aller Flussläufe erfüllt die Emscher
künftig die Anforderungen der europäischen Wasserrah-
menrichtlinie und ermöglicht ein nachhaltiges Flussgebiets-
management. Die mannigfaltigen Ökosystemleistungen der
umgestalteten Gewässer sind explizite Planungs- und Ge-
staltungsziele. Die Bäche werden wieder zu belebten Bio-
topen mit regulativen Funktionen für den Wasserhaushalt.
Ihre Ufer sind betretbar, und die Betriebswege der Emscher-
genossenschaft bilden ein überörtliches, bachbegleitendes
öffentliches Wegesystem.
Die Standorte entlang der Emscher gelten städtebaulich
und wirtschaftlich zunehmend als attraktiv. Die neu gestal-
teten Ufer der Emscher zählen zusammen mit dem Emscher
Landschaftspark zu den ökologischen Erfolgsgeschichten
des Strukturwandels im Ruhrgebiet. Die Erfahrungen mit der
konsequenten Umsetzung der ökologischen Modernisierung
des gesamten Gewässersystems sind daher auch internatio-
nal von großem Interesse.
Angesichts der erheblichen Kosten im Milliardenbereich für
den ökologischen Umbau des Emschersystems (ca. 4,3 Milli-
arden) stellt sich die Frage nach dem volkswirtschaftlichen
Nutzen. Die Emschergenossenschaft hat das Rheinisch-West-
fälische Institut für Wirtschaftsforschung 2012 mit einer
Untersuchung der »Regionalwirtschaftlichen Effekte des
Emscherumbaus« beauftragt (Barabas et al., 2013). Sie kamen
zu den folgenden Einschätzungen:
Die Analysen zeigen, dass der Emscherumbau mit beträcht-
lichen regionalökonomischen Wirkungen verbunden ist: Die
Beschäftigungseffekte des Gesamtzeitraums von 1991 – 2020
hat zu erheb lichen regionalwirtschaftlichen Effekten geführt,
die die ursprünglichen Investitionen übersteigen.
Der komplette ökologische Umbau des Emschersystems
soll bis 2020 abgeschlossen werden und umfasst folgende
Komponenten:
Bau von dezentralen Kläranlagen für 3,6 Mio. Einwohner,
getrennte Führung der Abwässer in neuen unterirdischen
Abwasserkanälen durch den Bau eines 51 km langen Ab-
wasserkanals in bis zu 40 m Tiefe für die Emscher selbst
(AKE) und durch den Bau von 350 km Abwasserkanälen und
Regen behandlungsanlagen an den Nebenläufen,
ökologische Umgestaltung der Emscher und ihrer Neben-
gewässer, die nun Grundwasser, Regenwasser und Anteile
des Hochwassers aufnehmen.
Die Entwicklung einer gewundenen Fließrinne (Fotos in
der Abbildung 3.5 – 8 unten) sorgt für turbulente Niedrig- und
Mittelwasser-Abflüsse. Dies ermöglicht Substratsortierung,
Biodiversität und eine erheblich verbesserte biologische
Selbstreinigung (Tschöpe, 2006 und 2007). Die Diversität
der Ufer- und Bachbettmorphologie fördert die biologische
Vielfalt. Die Beispiele zeigen, wie die Revitalisierung von städ-
tischen Oberflächengewässern den Wert der urbanen Um-
welt steigert.
3.5.5 Ökologischer Umbau lohnt sich:
Beispiel Emscher im Ruhrgebiet
Als Folge des Steinkohlenbergbaus fungiert die Emscher mit
all ihren Nebenläufen seit über hundert Jahren als offenes
Abwasserleitungssystem im nördlichen Kern des Ruhr-
gebiets. Anfang der 1990er Jahre wurde der ökologische Um-
bau des gesamten Emschersystems beschlossen. Dafür
wurden über 4,5 Mrd. Euro bereitgestellt und Schritt für
Schritt investiert (Bauer et al., 2015). Die Revitalisierung dieses
Flusssystems ist ein zentraler ökologischer und wasser-
wirtschaftlicher Baustein der nachhaltigen Entwicklung und
ABBILDUNG 3.5 – 8 Beispiele zur Revitalisierung von Fließgewässern. Fotos oben zeigen die Situation vor und Fotos unten nach der
Maßnahme. Revitalisierung schafft turbulente Rinnen zur Entwicklung von Biodiversität und Fließgewässercharakter aus kanalartig
ausgebauten Gewässern. Beispiele aus Hamburg. (Fotos: Manfred Tschöpe)
ABBILDUNG 3.5 – 9 Umgestaltete Emscher in Dortmund. (Foto : Michael Schwarze-Rodrian)
96 STADTNATUR FÖRDERT GUT E LEBENSBEDINGUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 97
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LITERATUR
STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT 99
STADTNATUR FÖRDERT
DIE GESUNDHEIT
4
KERNAUSSAGEN
Natur in der Stadt wirkt sich auf die psychische und physische Gesundheit positiv aus. Sie führt dazu, dass die Wohnum-
gebung als angenehmer bewertet wird und die Wohn- und Lebenszufriedenheit sowie das Wohlbefinden steigen. Eine viel-
fältige Stadtnatur trägt dazu bei, Aufmerksamkeit, Konzentrationsvermögen und kognitive Leistungsfähigkeit von Stadt-
bewohnerinnen und Stadtbewohnern zu erhöhen und ihre Selbstkontrolle zu verbessern. Sie kann auch der Entstehung von
Aggressivität und Kriminalität entgegenwirken, die wahrgenommene Sicherheit verbessern und das Stressniveau senken.
Stadtgrün verfügt über ein hohes Potenzial, sozialräumlicher Polarisierung und sozialen Abstiegsprozessen von städtischen
Gebieten entgegenzuwirken.
Städtische Grünräume können dazu beitragen, gesundheitliche Risiken (z. B. als Folge von Lärm, Luftverschmutzung, klima-
tischen Extrema) zu verringern. Öffentliche Grünräume sind zudem Orte der Bewegung, Begegnung und Erholung für
unterschiedlichste Altersgruppen und haben damit gesundheitsförderliche Wirkungen. Natürliche und naturnahe urbane
Grünräume besitzen damit eine hohe Public-Health-Relevanz.
Um diese vielfältigen positiven Effekte zu erzielen, ist es entscheidend, dass der Stadtbevölkerung ausreichend Grün in ihrer
unmittelbaren Wohnumgebung zur Verfügung steht: in Form von Parks, städtischen Freiräumen und »Wildnis«, bewachse-
nen Baumscheiben oder »nur« als Blick ins Grüne aus dem Schul-, Arbeits-, Wohn- oder Krankenzimmer.
Urbane Grünräume sollten zur Ausschöpfung des gesundheitsförderlichen Potenzials definierte Qualitätskriterien erfüllen.
Dazu gehören Ästhetik und Attraktivität, aber auch Barrierefreiheit, Funktionalität des Grünraumes, Sicherheit sowie der
wohnortnahe Zugang zum Grünraum.
und städtischer (Um-)Welt gerecht zu werden. Verschiedene
Fachdisziplinen definieren es daher als eine gemeinsame Auf-
gabe, die Bedingungen zu erforschen, die Gesundheit ermög-
lichen und stabilisieren. »Umwelt und Gesundheit« sind hier
als untrennbares wissenschaftliches Themenpaar zu sehen.
Ein solches Gesundheitsverständnis führt zum Konzept der
Salutogenese (Gesundheitsförderung), in dem Wohlbefinden
als Schutzfaktor eine feste Größe ist. Im Fokus der Saluto-
genese stehen daher die Ursachen und Bedingungen für die
Herstellung und Erhaltung von Gesundheit – im Unterschied
zur medizinischen Pathogenese (Betrachtung der Krankheits-
entstehung). Als integrierendes Konzept kann die Salutoge-
nese damit die Bereiche »Umwelt« und »Gesundheit« im
Sinne einer ökologisch orientierten Gesundheitsförderung
miteinander verbinden (Fehr, 2001).
4.1 ZUM ZUSAMMENHANG ZWISCHEN
UMWELT UND GESUNDHEIT
Im vorliegenden Kapitel 4 geht es um Ansätze, die zu einem
integrativen Verständnis von »Umwelt und Gesundheit« füh-
ren. Unter dem Eindruck der Zunahme anthropogener (durch
Menschen bedingter) Umwelteinflüsse wurde in der jünge-
ren Vergangenheit immer wieder gefordert, die Auswirkun-
gen von Umwelteinflüssen auf die Gesundheit des Menschen
eingehender zu untersuchen. In diesem Zuge etablierte sich
die (human-)ökologische Perspektive als fester Bestandteil
eines systemisch-interaktiven Denkens. Im Sinne der ökolo-
gischen und humanökologischen Perspektive auf Gesund-
heit und Krankheit geht es dabei auch um einen Lücken-
schluss zwischen Individualgesundheit und Stadtsystem/
-forschung, um dem komplexen Verhältnis zwischen Mensch
KOORDINIERENDE AUTORIN
CLAUDIA HORNBERG
WEITERE AUTORINNEN UND AUTOREN
REINHARD BEYER, THOMAS CLASSEN, TOBIAS HERBST, MATHIAS HOFMANN,
JASMIN HONOLD, ELKE VAN DER MEER, SILKE WISSEL, HENRY WÜSTEMANN
MIT BEITRÄGEN VON
LEONIE FISCHER, INGO KOWARIK
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
MARTINA ARTMANN, NICOLE BAUER, CAROLIN BOSSMEYER, MARTINA EICK,
STEFAN KÖRNER, CHRISTIAN LÖWE, ARMIN LUDE, ELISABETH SCHWAIGER,
KARSTEN SCHWANKE, ANGELIKA ZAHRNT SOWIE WEITERE ANONYME
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
4.1 Zum Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesundheit 99
4.2 Psychische Wirkungen von Stadtnatur 101
4.2.1 Höhere Konzentration und Leistungsfähigkeit 101
4.2.2 Verbesserungen bei Impulskontrolle und Belohnungsaufschub 102
4.2.3 Größeres Sicherheitserleben und verbesserte Ausgeglichenheit 103
4.2.4 Reduktion von Kriminalität 103
4.2.5 Verbessertes Wohlbefinden am Wohnort und am Arbeitsplatz 103
4.2.6 Wahrnehmung und Bewertung urbaner Wildnisflächen 105
4.2.7 Wahrnehmung von Sauberkeit in der Großstadt 105
4.2.8 Reduktion von psychischem Stress 106
4.2.9 Reduktion psychischer Symptome und Erkrankungen 108
4.2.10 Schnellere Genesung 109
4.3 Physische Wirkungen von Stadtnatur 110
4.3.1 Zusammenhänge zwischen Stadtnatur und physischer Gesundheit 110
4.3.2 Direkte Wirkungen von Stadtnatur auf die physische Gesundheit 111
4.4 Ansätze zur Quantifizierung und ökonomischen Bewertung der gesundheitlichen Bedeutung von Stadtnatur 115
4.5 Schlussfolgerungen für eine gesundheitsförderliche Stadtentwicklung 117
Literatur 118
100 STADTNATUR FÖRDERT D IE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 101
physische Wirkungen (Kapitel 4.3) zum besseren Verständ-
nis unterschieden, obwohl diese vielfach ineinandergreifen.
Einem umfassenden Gesundheitsverständnis folgend, wären
ebenso Wirkungen auf das soziale Wohlbefinden zu nennen.
Diese werden in Kapitel 5 thematisiert.
4.2 PSYCHISCHE WIRKUNGEN
VON STADTNATUR
Natur leistet einen bedeutenden Beitrag zur psychischen
Gesundheit: Sie trägt wesentlich dazu bei, dass Menschen
psychisch leistungsfähig sind (und bleiben) und sich wohl-
fühlen. Auf die menschliche Psyche wirkt Natur auf verschie-
denen Ebenen und in ganz unterschiedlicher Weise. Folgende
Aspekte der Interaktion zwischen Stadtnatur und Menschen
spielen dabei sowohl einzeln als auch in Wechselwirkung eine
entscheidende Rolle:
Art der Exposition (z. B. Blick aus dem Fenster, Hören von
Vogelgezwitscher, Joggen im Park, Wohnen im Grünen,
Erinnerungen/Wissen)
Dauer der Exposition (z. B. Minuten, Stunden, Tage, Jahre)
beeinflusste psychologische Variable (z. B. Aufmerksamkeit,
Konzentrationsfähigkeit, Impulskontrolle, Aggression, sub-
jektiv wahrgenommener Stress, aktuelle Stimmung, Wohn-
und Lebenszufriedenheit)
Dazu liegen bereits zahlreiche empirische Befunde vor (Über-
blicke siehe Bratman et al., 2012; Russel et al., 2013). Einige
wesentliche Erkenntnisse werden in diesem Kapitel kurz vor-
gestellt. Für theoretische Ansätze zur Frage, warum Natur
aus psychologischer Sicht einen Beitrag zum Wohlbefinden
leisten kann, siehe Infobox 4 – 1.
4.2.1 Höhere Konzentration und Leistungsfähigkeit
Durch Natur, aber auch durch einzelne natürliche Elemente
lässt sich die Konzentrationsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit,
die Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte Aufgaben zu
richten, sehr effizient aufrechterhalten bzw. wiederher-
stellen (Frumkin, 2003; Hartig et al., 2003; Kaplan, 2001).
Menschen können sich besser konzentrieren, wenn sie der
Natur – dauer haft oder zeitlich begrenzt – ausgesetzt sind.
Dies trifft sowohl für den Aufenthalt in natürlichen Umge-
bungen (Berman et al., 2008), für Blicke aus dem Fenster der
Woh nung (Tennessen und Cimprich, 1995) als auch für das
Betrachten von Fotos natürlicher Umgebungen (Berto, 2005)
zu. Dies wurde nicht nur für gesunde Menschen gezeigt:
So können sich bspw. Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeits-
hier einer der Vorreiter, die Gesundheit und Krankheit in
Beziehung zu Natur und Umwelt setzte. Er machte u. a. darauf
aufmerksam, dass der Gesundheitszustand der Bevölke-
rung mit Klima, Jahreszeiten sowie Wasser- und Luftqualität
asso ziiert ist. Als eine mögliche Erklärung für die häufig lokal
begrenzten Ausbrüche bestimmter Krankheiten verwies er
in seinen Schriften auf die regionalen Unterschiede in den
Lebens umwelten und Lebensbedingungen der Menschen.
Orten mit wertvollen natürlichen Elementen und Eigenschaf-
ten wie Gewässern, hoher Luftreinheit und Bodenqualität
wurde – neben ihrer spirituellen Bedeutung – eine gesund-
heitsförderliche und bisweilen therapeutische Wirkung zu-
gesprochen (vgl. Gesler, 2003).
Das Wissen um die therapeutische und gesundheitsförder-
liche Bedeutung von Naturelementen und Naturphänome-
nen findet sich auch in der antiken Architektur und Planung
von Siedlungen und Städten wieder. Im Vordergrund stand
hier jedoch die Verminderung und Vermeidung potenziell
gesundheitsschädlicher Bedingungen im Kontext der Stadt-
hygiene. Folglich wurden bereits während der Blütezeit der
antiken Großreiche Gärten und Parks zur »Erbauung der Be-
völkerung« in den Städten angelegt (vgl. Ward Thompson,
2011). Jedoch erst im ausgehenden 19. Jahrhundert knüpfte
die Stadtplanung wieder an das alte Wissen um die Gesund-
heitsförderung durch Stadtgrün an und integrierte im Zuge
der großflächigen städtischen Erweiterungen wieder ver-
mehrt Parks und andere Grünräume mit natürlichen Land-
schaftselementen in den urbanen Raum. Dies geschah nicht
zuletzt vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass Frischluft-
zufuhr und Luftreinhaltung von den »grünen Lungen« in den
Städten wesentlich profitieren und Grünräume – inklusive
enthaltener Gewässerelemente (nachfolgend als Stadt natur
bezeichnet, vgl. Definition in Kapitel 1.2) – darüber hinaus
städtische Naherholungsgebiete darstellen (Frumkin, 2003;
Ward Thompson, 2011).
In den vergangenen Jahrzehnten sind die Erkenntnisse über
die gesundheitlichen und insbesondere gesundheitsför-
derlichen Wirkungen von Stadtnatur rasant angewachsen.
Sozialepidemiologische Modelle konnten zeigen, dass die
Lebensbedingungen und Lebensumwelten der Menschen
als zentrale psychosoziale Gesundheitsdeterminanten wir-
ken, die über komplexe Mechanismen und Wirkungspfade
Gesundheit, Wohlbefinden und Gesundheitsverhalten beein-
flussen. Stadtnatur hat also vielschichtige gesundheitliche
Wirkungen, sowohl auf psychisch-mentaler als auch auf
körperlicher Ebene. Nachfolgend werden diese dargestellt.
Hierbei werden psychische Wirkungen (Kapitel 4.2) und
umweltbezogene Gesundheitsforschung stellt sich damit
die Aufgabe, im Rahmen einschlägiger Datensammlungen
routine mäßig soziale Komponenten mit zu erheben sowie
die dargestellten Zusammenhänge anhand epidemiologi-
scher Studien weiter zu spezifizieren (Bolte et al., 2012), um
auf dieser Basis Handlungsempfehlungen zu formulieren.
Unter Bezugnahme auf den Grundgedanken der Salutoge-
nese darf sich Gesundheitsforschung im Bereich »Umwelt
und Gesundheit« allerdings nicht in der Aufdeckung von
Risiko faktoren und Fehlverhaltensweisen erschöpfen. Es
gilt vielmehr, die Suche nach umweltbezogenen Gesund-
heitsressourcen, die die Widerstandsfähigkeit der Menschen
gegenüber Belastungen stärken, aufzunehmen und zu inten-
sivieren. Gesundheit durch die Erschließung und Stärkung
salutogener Gesundheitspotenziale und Handlungsfähig-
keit zu erhalten, ist die zentrale Aufgabe »Ökologischer
Gesundheitsförderung«. Fehr (2001) zeigt mit dieser Zusam-
menführung von Ökologie und Gesundheitsförderung das
Erfordernis und die Möglichkeiten, »Gesundheitsförderung«
konzeptionell zu erweitern und in bereits bestehende Public-
Health-Ansätze zu integrieren.
Zum Verständnis des Konzepts der Gesundheitsförderung
unter salutogenetischen Gesichtspunkten und seiner Ab
-
grenzung gegenüber einem eher medizinisch orientierten
Begriff der Prävention im Sinne von Krankheitsvermeidung,
sind die Aktivitäten innerhalb der Weltgesundheitsorganisa-
tion (WHO) zu berücksichtigen. Bereits im Jahr 1986 hat die
WHO mit der »Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung«
detaillierte Vorschläge zur Entwicklung einer gesundheits-
fördernden sozialen und ökologischen Umwelt ausgearbeitet,
die den Menschen eine »gesunde« Lebensweise ermöglicht.
Im Rahmen eines umfassenden sozialökolo gischen Gesund-
heitsmodells wird Gesundheit selber zu einem Mittel, Men-
schen zu befähigen, ihr Leben aktiv zu gestalten und zu
beeinflussen, ihre Umwelt sowie ihren Lebensstil auf die ei-
genen Bedürfnisse und Wünsche hin auszurichten und sich
für nachhaltige gesundheitsbezogene Veränderungen ihrer
Lebensbedingungen einzusetzen. Hier ist bspw. der Einfluss ei-
ner gesundheitsförderlichen Gestaltung naturnaher Lebens-,
Erfahrungs- und Spielräume auf die Gesundheit sowie auf
den Erwerb von Lebenskompetenz und Handlungsfähigkeit
ein noch wenig untersuchtes Forschungsgebiet.
Bereits seit der Antike ist bekannt, dass die Gesundheit des
Menschen in einem engen Zusammenhang mit der jewei-
ligen Umwelt steht, in der er lebt und deren Einflüssen er
ausgesetzt ist. Hippokrates von Kos (460 – 377 v. Chr.) war
Das von dem israelischen Medizinsoziologen und Stress-
forscher Aaron Antonovsky entwickelte Konzept der Saluto-
genese gehört zu den einflussreichsten und bedeutendsten
integrierenden Gesundheitskonzepten (Antonovsky, 1997).
Antonovsky ist es zu verdanken, dass das lange Zeit vorherr-
schende Risikofaktorenmodell mit seinem Ursprung in ei-
ner medizinisch begründeten »Krankheitswissenschaft« ab
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend durch
soziale, ökologische, emotionale und kognitive Elemente im
Sinne eines »bio-psycho-sozialen« Gesundheitsverständnis-
ses ergänzt wurde. Das Konzept der Salutogenese stellt für
die umweltbezogene Gesundheitsforschung und die Praxis
der Gesundheitsförderung eine große Bereicherung dar, in-
dem es Abstand nimmt von der zentralen Orientierung auf
die pathogenen (d. h. die krankheitsverursachenden) Ele-
mente und Einflussfaktoren und stattdessen die der Gesund-
heit zuträglichen Ressourcen in den Vordergrund stellt.
In ihren Auswirkungen auf die Gesundheit interessieren vor-
rangig die komplexen Wechselwirkungen zwischen Bedin-
gungen in der gegenständlich-materiellen (z. B. Wohnum-
welt) und der anthropogen beeinflussten ökologischen
Umwelt (z. B. Luft- und Wasserverschmutzung) sowie ihre
Interaktion mit den individuellen Lebensstilen und Ver-
haltensmustern. So sind Gesundheitsrisiken, die ihren Ur-
sprung in »krankmachenden« Lebensstilen und schädigen-
den Verhaltensgewohnheiten haben, eng verknüpft mit
unterschiedlichen sozialen Lagen, die wiederum eine spezi-
fische Verteilung gesundheitsrelevanter Umweltressourcen
(z. B. Lufthygiene, Ernährung, Wohnbedingungen, Zugang zu
Stadtnatur) erkennen lassen (Bolte et al., 2012; Hornberg und
Pauli, 2011). An der Gruppe der Kinder und Jugendlichen zeigt
sich, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Umweltbe-
lastungen, ebenso wie das Gesundheitsverhalten, entlang ei-
nes »Schichtgradienten« variieren (Hornberg und Pauli, 2012).
Darüber hinaus existieren zahlreiche Hinweise darauf, dass
die Lebenssituationen im Wohnumfeld mit unterschiedlichen
umweltbedingten Schadstoffexpositionen, aber auch einem
unterschiedlichen Zugang zu gesundheitsförderlichen Grün-
räumen einhergehen (z. B. Bolte et al., 2012; Mielck, 2000).
Die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion um
»Environmental Justice« im Sinne von »Umweltgerechtigkeit«
(vgl. Kapitel 5), die in den USA bereits seit vielen Jahren etab-
liert ist, gewinnt auch in Deutschland zunehmend an Bedeu-
tung. Angesprochen ist hier die Verbindung zwischen sozial
und räumlich ungleicher Verteilung von Umweltrisiken/Um -
weltbelastungen und Umweltressourcen, die eine ungleiche
Verteilung von Gesundheitsrisiken nach sich ziehen. Für die
102 STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 103
In »grünen« Wohnumgebungen ist die Anzahl der gemel-
deten Kriminalitätsdelikte insgesamt geringer (Kuo und
Sullivan, 2001b). Die Form der Bäume und ihr Standort sind
jedoch zu beachten: Wenn Grundstücke dicht mit Gehölzen
bepflanzt sind, die die Sicht behindern, ist dort eine höhere
Kriminalitätsrate zu verzeichnen, als wenn sie mit älteren
oder wenigen jungen Bäumen bepflanzt sind (Donovan und
Prestemon, 2010). Auch wenn städtische Grünflächen Mög-
lichkeiten für kriminelle Handlungen bieten können (z. B. Dro-
genhandel), trifft dies gleichermaßen für andere städtische
Räume zu. Für den öffentlichen Raum gilt insgesamt, dass
mehr Vegetation sowohl mit einer verminderten wahrge-
nommenen Kriminalität als auch mit geringeren tatsächli-
chen Kriminalitätsraten einhergeht (Troy et al., 2012; Wolfe
und Mennis, 2012). Es kann angenommen werden, dass die
Reduktion von Kriminalität durch Vegetation über einige der
bereits genannten Faktoren vermittelt wird, insbesondere
über die Stärkung der Selbstkontrolle und der Fähigkeit zum
Belohnungsaufschub sowie die Reduktion von Aggressivität.
4.2.5 Verbessertes Wohlbefinden am Wohnort
und am Arbeitsplatz
Insgesamt erhöht Stadtnatur die Zufriedenheit mit der
Wohn umgebung (Bonaiuto et al., 1999). Da die Zufrieden-
heit mit der Wohnung und Wohnumgebung die Lebens-
zufriedenheit beeinflusst (Amérigo und Aragonés, 1997),
kann eine begrünte Wohnumgebung somit zum allgemei-
nen Wohlbefinden beitragen – insbesondere der Blick von
Gebäuden auf Vegetation, Gewässer oder andere Elemente
der Stadtnatur. Hinsichtlich solcher Auswirkungen am Wohn-
ort fanden amerikanische Studien positive Zusammenhänge
zwischen Aussagen zur Wohnzufriedenheit und einer gerin-
geren innerfamiliären Gewalt in Familien mit geringem
Sozialstatus (Kaplan, 2001; Kuo und Sullivan, 2001b). Unter-
suchungen aus den Niederlanden und England haben mög-
liche Effekte eines »Blicks ins Grüne« am Arbeitsplatz thema-
tisiert (Aries et al., 2010; Leather et al., 1998). Sie konnten u. a.
zeigen, dass der Blick vom Schreibtisch auf natürliche Umge-
bungen sowohl mit erhöhter Arbeitszufriedenheit als auch
mit einem besseren selbsteingeschätzten Wohlbefinden am
Arbeitsplatz einhergeht und bei hohem, wahrgenommenem
Arbeitsstress die Kündigungswahrscheinlichkeit verringert
(siehe Kapitel 8.2).
Aus theoretischer Sicht kann angenommen werden, dass
sich solche positiven Effekte zum einen durch das Wissen
um die Erfüllung wichtiger lebensraumbezogener Bedürf -
nisse ergeben. Zum anderen ermöglicht der »Blick ins
Grüne« möglicherweise eine kurzfristige Erholung und
Wohnungen erfolgte zufällig durch eine kommunale Woh-
nungsverwaltung, sodass Selbstselektionseffekte ausge-
schlossen waren. Darüber hinaus wurden in der Datenana-
lyse solche Faktoren, die die Ergebnisse möglicherweise
verfälschen könnten (z. B. der sozio-ökonomische Status
oder der ethnische Hintergrund), statistisch kontrolliert.
4.2.3 Größeres Sicherheitserleben und verbesserte
Ausgeglichenheit
Das Vorhandensein von Natur verbessert die wahrgenom-
mene und reale Sicherheit: Menschen mit »grünerer« Wohn-
umgebung haben weniger Angst und berichten von weniger
Unhöflichkeiten seitens ihrer Mitmenschen (Kuo und Sullivan,
2001a). Als eine wesentliche Einflussgröße für aggressives
Verhalten gilt die o. g. Impulskontrolle. Kuo und Sullivan
(2001a) fanden weniger aggressives Verhalten (insbesondere
häusliche Gewalt) bei Personen, die in Gebäuden mit grüner
Umgebung lebten, verglichen mit soziodemografisch ver-
gleichbaren Personen in Gebäuden, die abgesehen von der
Begrünung identisch waren.
Auch situationsbedingte Emotionen wie Ärger und Zorn
können zu aggressivem Verhalten führen. Kweon et al. (2007)
haben Versuchspersonen eine frustrierende Aufgabe vorge-
legt und dabei die Gestaltung des Arbeitsraums gezielt va-
riiert. Aufgaben, die mit Frustration verbunden sind, werden
oft als Problem wahrgenommen. Dadurch können nega-
tive Emotionen wie Ärger oder Zorn ausgelöst werden. Es
zeigte sich, dass Personen in einem Raum mit Bildern natür-
licher Umgebungen infolge der Aufgabenbearbeitung we-
niger zornig wurden als Personen in ansonsten identischen
Arbeitsräumen ohne Bilder oder mit Bildern abstrakter Kunst.
Diese Effekte wurden zwar in Experimenten nachgewiesen,
in denen Bilder von Natur genutzt wurden. Eine Meta analyse
konnte aber zeigen, dass sich menschliche Reaktionen auf
unterschiedliche Umwelten kaum von den Reaktionen auf
Fotos/Bilder oder Videosimulationen dieser Umwelten un-
terscheiden (Stamps, 2010). Diese Befunde haben also auch
unmittelbare Relevanz für die Gestaltung der lebendigen
Stadtnatur.
4.2.4 Reduktion von Kriminalität
In der bereits zitierten Studie von Matsuoka (2010) zeigte
sich auch, dass Schülerinnen und Schüler seltener kriminell
wurden, wenn sie aus ihren Klassen- oder Pausenräumen
mehr Umgebungsgrün sehen konnten. Diese Effekte waren
unabhängig von sozio-ökonomischem Status und ethnischer
Zugehörigkeit der Schüler, Anzahl der Schüler pro Schule und
Alter des Gebäudes.
wollen (unabhängig von sozio-ökonomischem Status, ethni-
scher Zugehörigkeit, Anzahl der Schüler pro Schule und Alter
des Gebäudes).
Ähnliche Effekte zeigten sich im Arbeitskontext. Menschen
fühlen sich nicht nur wohler, wenn sie bei der Arbeit Kon-
takt zu Natur haben (s. u.), sondern sind auch leistungsfähi-
ger: Büroangestellte, die mehr Pflanzen in ihrer direkten Ar-
beitsumgebung haben, sind produktiver und seltener krank
(Bringslimark et al., 2007). Die Angestellten sind weniger
müde, haben weniger Kopfschmerzen und weniger körper-
liche Beschwerden (Fjeld, 2000).
mit grüner Umgebung schnitten bei beiden Anforderungen
deutlich besser ab als Mädchen aus Häusern ohne Grün in
unmittelbarer Umgebung. Ein möglicher Grund dafür, dass
dieser Effekt nur bei Mädchen auftrat, könnte darin liegen,
dass Mädchen häufiger in ihrer unmittelbaren Wohnumge-
bung spielen, während Jungen beim Spielen im Freien einen
größeren Aktionsradius haben (Wohlwill und Heft, 1987).
Durch das Studiendesign war gesichert, dass die nachge-
wiesenen Effekte tatsächlich auf die Unterschiede in der Ver-
fügbarkeit einer grünen Umgebung zurückzuführen waren:
Die Studie fand innerhalb nur eines Wohnviertels statt, und
die Zuteilung der Bewohnerinnen und Bewohner zu den
Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) besser konzentrieren, nach -
dem sie in einer natürlichen – im Vergleich zu einer künst-
lichen – Umgebung gespielt haben oder spazieren gegangen
sind (Faber Taylor et al., 2001; Faber Taylor und Kuo, 2009).
Naturexposition verbessert die Konzentrationsfähigkeit
nicht nur kurzfristig, sondern hat auch mittel- und langfris-
tige Folgen: Matsuoka (2010) verglich die Leistungen von
Schülerinnen und Schülern in Abhängigkeit von ihrer Schul-
umgebung. Schüler, die aus Unterrichts- oder Pausenräumen
Bäume oder Sträucher sehen konnten, wiesen bessere Test-
ergebnisse und bessere Abschlussnoten auf, und sie gaben
häufiger an, nach der Schule eine Hochschule besuchen zu
4.2.2 Verbesserungen bei Impulskontrolle
und Belohnungsaufschub
Faber Taylor et al. (2002) untersuchten Kinder, deren Fami-
lien beim Einzug zufällig auf eines von zwölf baulich identi-
schen Hochhäusern aufgeteilt wurden. Diese Hochhäuser
unterschieden sich hinsichtlich des Angebots an Natur in der
unmittelbaren Umgebung. Mit psychologischen Tests wurde
geprüft, wie gut die Kinder unerwünschte impulsive Reakti-
onen auf bestimmte Reize unterdrücken und Belohnungen
aufschieben konnten: Sie sollten für eine bestimmte Zeit der
Versuchung widerstehen, Süßigkeiten zu essen, um danach
eine größere Portion zu erhalten. Mädchen aus Hochhäusern
INFOBOX 4 – 1
Warum tut Natur der menschlichen Psyche gut?
Evolutionäre Grundlagen:
Es gibt verschiedene Denkansätze zu dieser Frage, die sich
ergänzen (Kaplan, 2001):
(1) Natürliche Umgebungen können unsere Aufmerksamkeit
erhöhen und zur Reflektion über Themen, die uns beschäftigen,
anregen (Kaplan und Kaplan, 1989, 2011).
(2) Natürliche Umgebungen bieten vielfältige Ressourcen, die
für unsere Vorfahren überlebenswichtig waren. Es wird des-
halb vermutet, dass wir eine genetisch verankerte Tendenz
haben, auf (die Wahrnehmung von) Natur mit positiven Emo-
tionen zu reagieren. Natur trägt dazu bei, dass wir uns wohler
fühlen (Appleton, 1975; Orians und Heerwagen, 1992; Ulrich,
1983; Ulrich et al., 1991; Wilson, 1984, 1993).
Kognitionspsychologische Mechanismen:
Natürliche Umgebungen fördern die Aufmerksamkeit und die
Selbstkontrolle. Das Vermögen, die Aufmerksamkeit gezielt
auf bestimmte Inhalte zu lenken, sinkt im Verlauf einer psy-
chisch anstrengenden Tätigkeit. Es muss immer wieder herge-
stellt werden. In Bildungskontexten werden deshalb regelmäßig
Pausen eingelegt. Dieser Fähigkeit zur gerichteten Aufmerksam
-
keit liegt dieselbe kognitive Ressource zugrunde, die auch als Vo-
raussetzung für Selbstkontrolle gilt (Kaplan und Berman, 2010).
Selbstkontrolle ist dann besonders wichtig, wenn impulsives –
also spontanes, unbedachtes – Verhalten mittel- oder langfristig
negative Konsequenzen hat (z. B. ungewollte Schwangerschaf-
ten oder impulsive Diebstähle). Selbstkontrolle ist aber auch für
alltäglich wiederkehrende Verhaltensweisen nötig, z. B. wenn
jemand zugunsten einer langfristig besseren Gesundheit auf
wohlschmeckende, aber ungesunde Lebensmittel verzichtet.
104 STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 105
Wiederherstellung kognitiver Ressourcen, indem gedank-
lich ein längerer Aufenthalt im Grünen erinnert oder vor-
weg genommen wird.
INFOBOX 4 – 2
Beeinflusst Artenvielfalt die Wertschätzung der Stadtnatur? (Ingo Kowarik, Leonie Fischer, Jasmin Honold)
ABBILDUNG 4 – 1 Wertschätzung typischer städtischer Freiraumelemente in Berlin (Wiese in einem Park, spontan begrünte
Brache, Baumscheibe an einer Straße) in Abhängigkeit von ihrem Artenreichtum. Dargestellt sind Bewertungsergebnisse
für Bildvorlagen mit hoher und geringer Biodiversität (BD) bzw. fehlender Biodiversität bei der Straßenszene. Die Bilder zeigen
Varianten mit hoher bzw. fehlender biologischer Vielfalt. (Eigene Darstellung/Leonie Fischer, Ingo Kowarik)
Die Wertschätzung von Stadtnatur hängt von vielen Faktoren
ab, bspw. von der Gestaltung oder Pflege einer Grünfläche
oder dem Vorkommen offener oder dichter Vegetationsstruk-
turen (vgl. Kapitel 4.2.6). Auch wenn es deutliche Hinweise
darauf gibt, dass biologische Vielfalt die Wahrnehmung von
Stadtnatur positiv beeinflussen kann (Botzat et al., 2016), fehl-
ten bislang Untersuchungen, in denen die Rolle der Artenviel-
falt auf verschiedenen Grünflächentypen vergleichend unter-
sucht worden ist. Um diese Lücke zu schließen, wurde 2015 im
Rahmen des EU-Projektes »Green Surge« eine Feldstudie in
4
Hohe BD
Geringe BD
0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %
N = 1337
Park
Hohe BD
Geringe BD
0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %
N = 451
Brache
Hohe BD
Keine BD
0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %
N = 431
Straße
Wertschät zung des Bildmaterials: negativ neutral positiv
Mahd) und in der Klarheit der Wegeführung. Durch solche
Maßnahmen kann Akzeptanz für städtische Wildnisflächen
geschaffen werden, die dadurch auch Funktionen herkömm-
licher Grünflächen erfüllen und dabei ihre ökonomischen und
ökologischen Vorteile bewahren können, wie das Beispiel des
Südgeländes in Berlin zeigt (siehe Abbildung 4 – 2; Kowarik
et al., 2004).
4.2.7 Wahrnehmung von Sauberkeit
in der Großstadt
Kommunen und Stadtverwaltungen investieren erhebliche
personelle, materielle und damit finanzielle Ressourcen in
die Sauberkeit des öffentlichen Raums, also von Straßen,
Gehwegen, Parks oder Spielplätzen. Damit werden Merkmale
urbaner Lebensräume in ganz bestimmter Weise beeinflusst.
Beispielsweise definieren Reinigungsunternehmen Sauber-
keit in öffentlichen Räumen über bestimmte Kriterien, z. B.
kein herumliegender Müll, kein Hundekot, keine Graffiti,
keine zugewachsenen Flächen um Stadtbäume herum. Dabei
entsteht die Frage, ob solche Kriterienkataloge tatsächlich
das Sauberkeitsempfinden der Stadtbewohner und damit in
gewisser Weise auch ihr Wohlbefinden angemessen abbil-
den (van der Meer et al., 2008; van der Meer et al., 2010).
Dies berührt eine wichtige psychologische Frage: Die Wahr-
nehmung unserer Umwelt erzeugt ein internes Abbild dieser
Umwelt in unserem Gedächtnis. Dieses Abbild kann unter
Umständen erheblich von der objektiven Realität abwei-
chen. Dies ist ein in der Psychologie immer wieder bestätig-
ter Befund. Ziel vieler Untersuchungen ist es deshalb, diese
Abweichungen genauer zu untersuchen und ihren Ursachen
und Bedingungen auf den Grund zu gehen. Ein ähnliches
4.2.6 Wahrnehmung und Bewertung
urbaner Wildnisflächen
Für den Umgang mit Stadtnatur ist die Frage wichtig, in-
wiefern sich bestimmte Arten städtischer Natur hinsicht lich
ihrer Wirkungen auf das psychische Wohlbefinden unterschei -
den. Dabei ist es besonders interessant, ob durch aufwän-
dige Pflege unterhaltene Flächen ähnliche Wirkungen haben
wie wildnishafte Flächen, auf denen sich Stadtnatur ohne
Pflege entwickelt. Flächen urbaner Wildnis (siehe auch Kapi-
tel 6.3) sind im Vergleich zu Parks oft strukturell und biolo-
gisch vielfältiger. Aus diesem Grund sind sie aber auch sehr
detailreich und weisen wenig Ordnung auf; ihre visuelle
Komplexität ist deutlich höher, die Kontrollierbarkeit sinkt.
Das kann bei potenziellen Nutzerinnen und Nutzern als ko-
gnitive Überforderung wirken sowie Unsicherheit auslösen
und zu negativen Reaktionen führen, z. B. indem solche Flä-
chen als bedrohlich wahrgenommen werden. Bei übersicht-
lich gegliederten Flächen bestehen diese Probleme meist
nicht. Solche visuell stärker geordneten Flächen weisen teil-
weise auch eine geringere biologische Vielfalt auf (z. B. viele
Parks). Studien belegen jedoch, dass durch kleine Eingriffe
auch bei hohem Detailreichtum die wahrgenommene Kom-
plexität reduziert und die Kontrollierbarkeit erhöht werden
kann. Damit steigen die wahrgenommene Sicherheit, die
Nutzbarkeit und letztendlich die Präferenz für Wildnisflächen
(Hofmann, 2011; Hofmann et al., 2012; Hofmann und van der
Meer, 2012). Die untersuchten Gestaltungseingriffe bestan-
den im Offenhalten von Teilflächen (z. B. durch eine jährliche
fünf europäischen Städten durchgeführt. Dabei wurde nach
der Bewertung von Bildern gefragt, die vier typische Freirau-
melemente zeigen: einen Wald, eine Wiese in einem Park, eine
spontan begrünte Brachfläche sowie eine Baumscheibe an ei-
ner Straße. Von jedem Bild wurden Varianten mit geringer, mitt-
lerer und hoher Artenvielfalt bewertet; bei der Straßenszene
zusätzlich ein Bild mit vegetationsfreier Baumscheibe.
Erste Auswertungen zeigen (vgl. Abbildung 4 – 1): (1) Alle Frei-
raumtypen werden überwiegend positiv bewertet; (2) die Be-
fragten erkennen Unterschiede in der biologischen Vielfalt;
(3) Bilder mit höheren Artenzahlen werden häufiger positiv
bewertet als Vergleichsbilder mit geringeren Artenzahlen. Die
Abbildung 4 – 1 zeigt einige Ergebnisse aus Berlin. Parkwiesen
mit hoher biologischer Vielfalt werden klar bevorzugt,
übrigens auch von Menschen, die unter Heuschnupfen lei-
den. Brachen werden überwiegend positiv bewertet, wobei
der Artenreichtum keine große Rolle spielt. Überraschend ist
die Bewertung der Straßenszene. Die Variante mit der stark
gepflegten, vegetationsfreien Baumscheibe wird eindeu-
tig negativ bewertet, wogegen die Varianten mit »wilder«
Vegetation eine überwiegend positive Wertschätzung erfah-
ren. Ähnliche Ergebnisse zeichnen sich auch für die anderen
europäischen Städte ab. Insofern verweisen die Ergebnisse
der »Green Surge«-Studie auf Synergien zwischen verschie-
denen Zielen: der Entwicklung attraktiver urbaner Freiräume
und der Förderung biologischer Vielfalt in der Stadt.
106 STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 107
Verschmutzung und Störung des Wohlbefindens wahrge-
nommen werden. Das trifft insbesondere auf die Merkmale
herumliegender Müll, Hundekot und verschmutzte oder
überfüllte Papierkörbe zu. Bemerkenswert ist jedoch, dass
das Merkmal »zugewachsene Baumscheiben« entgegen der
Erwartung positiv bewertet wird (als Natur in der Stadt).
Diese Komponenten von Stadtnatur scheinen sogar kom-
pensatorischen Charakter zu besitzen: Beispielsweise wer-
den Bildvorlagen mit der Kombination »Müll/wild bewach-
sene Baumscheiben« positiver eingeschätzt als Bildvorlagen
mit dem Merkmal »Müll allein« (Gerlach et al., 2013).
Dieses Ergebnis zeigt, dass eine kleinflächige und von profes-
sionellen Stellen öfters als negativ bewertete »Begrünung«
einer Baumscheibe von der Bevölkerung mehrheitlich als
nicht störend, vielmehr sogar als angenehm und dem Wohl-
befinden zuträglich empfunden wird. Diese Erkenntnis wird
durch eine vergleichende Untersuchung zur Wertschätzung
von Stadtnatur klar gestützt (vgl. Infobox 4 – 2).
4.2.8 Reduktion von psychischem Stress
Negativer Stress entsteht, wenn sich Menschen mit her -
ausfordernden oder ungewollten Bedingungen konfron tiert
sehen, die ihre Bewältigungsmöglichkeiten überfordern. Er
kann sich u. a. in einer verschlechterten Stimmung oder in
einem erhöhten körperlichen Aktivierungszustand (z. B. er-
höhte Wachheit, erhöhter Blutdruck, Ausschüttung von
Stresshormonen) äußern.
deren simulierte Fahrt durch stark bebaute Umgebungen
führte. Da in solchen Labor-Experimenten die übrigen Wirk-
bedingungen konstant gehalten werden, sprechen diese Er-
gebnisse für einen kausalen Effekt von Natur auf das mensch-
liche Wohlbefinden.
Sind solche positiven Effekte von Stadtnatur auch länger-
fristig wirksam? Eine Berliner Studie hat den Zusammen-
hang zwischen dem Blick auf Vegetation aus der Wohnung
und dem Stresshormon Cortisol untersucht, das aus Kopf-
haarproben von Bewohnern der Berliner Innenstadt gewon-
nen wurde (Honold et al., 2015). Diejenigen Personen, die von
ihrer Wohnung auf eine ausgeprägte Vegetation blicken
konnten, hatten ein geringeres Stresshormon-Niveau als Per-
sonen, die eine weniger üppige Vegetation von der Wohnung
aus sahen – jedoch nur, wenn gleichzeitig eine hohe struktu-
relle Diversität der Vegetation vorlag. Ein großer Baum vor
dem Fenster führte zu keinem positiven Effekt, wohl aber der
Blick auf unterschiedliche Baumarten, Sträucher, Fassaden-
begrünung – wie in Abbildung 4 – 5 gezeigt.
In einer kleinen, aber hinsichtlich Alter und Sozialstatus
homogenen Stichprobe englischer Stadtbewohnerinnen und
Stadtbewohner wurde ein Zusammenhang zwischen der
Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und dem Grün-
flächenanteil in Wohnungsnähe gefunden. Dieser Effekt
war unabhängig vom körperlichen Aktivitätsniveau, so-
dass die Autoren das Ergebnis auf die Erholungswirkung des
Phänomen der Divergenz von objektiven und subjektiven Ge-
gebenheiten kann man auch bei dem hier ausgewählten Bei-
spiel »objektive Bedingungen für Sauberkeit in der Stadt« er-
warten. Subjektive Faktoren modifizieren die Wahrnehmung
und Bewertung objektiver Bedingungen ganz erheblich, und
damit vermutlich auch die Bewertung der objektiven Sauber-
keit und der Natur in der Stadt.
Dies lässt sich auch empirisch belegen. Im Rahmen eines
Versuchs wurde geprüft, ob Kriterien der Reinigungsunter-
nehmen zur Bewertung der Verschmutzung im öffentlichen
Raum (z. B. herumliegender Müll, Hundekot, Graffiti, ver-
schmutze oder überfüllte Papierkörbe, zugewachsene Flä-
chen an Stadtbäumen bzw. Baumscheiben) von Stadtbewoh-
nerinnen und -bewohnern tatsächlich wahrgenommen und
mit negativen Empfindungen verknüpft werden. Hierzu wur-
den Bildvorlagen von Straßenszenen ausgewählt, die diese
Merkmale in unterschiedlichem Grade aufwiesen. Abbil-
dung 4 – 3 und 4 – 4 zeigen zwei Beispiele solcher Bildvorlagen.
Diese Bildvorlagen wurden zahlreichen Stadtbewohnerinnen
und -bewohnern zur Beurteilung vorgelegt. Sie sollten z. B.
entscheiden, wie sauber sie die Szenerie empfinden und in-
wiefern dargestellte Merkmale als störend wahrgenommen
werden. Während der Abgabe des Urteils wurden zusätzlich
ihre Blickbewegungen erfasst.
Die Ergebnisse bestätigen, dass die objektiven Verstöße
gegen die Sauberkeit von den Versuchspersonen auch als
Studien aus Europa, Asien und Nordamerika legen nahe,
dass schon ein kurzfristiger Kontakt mit (Stadt-)Natur
Stress mildern kann. So verbessert sich die Stimmung und
das körperliche Stressniveau sinkt, wenn bestimmte Aktivitä-
ten (Gärtnern, Spazierengehen) in natürlichen Umgebungen
stattfinden, stärker als bei vergleichbaren Aktivitäten in
vegetations losen Außenräumen oder in Innenräumen (z. B.
van den Berg und Custers, 2011). Bei urbanen Parks scheint
eine hohe Vielfalt an Vegetation mehr zur wahrgenom-
menen Erholung beizutragen als etwa die Größe des Parks
(Fuller et al., 2007).
Erholungseffekte haben sich sogar bei indirektem Natur-
kontakt, nämlich dem Betrachten von Naturfotografien
und -videos, gezeigt. In einer Studie von Chang et al. (2008)
beurteilten Versuchsteilnehmende das Erholungspotenzial
verschiedener Naturszenen auf Bildern. Beim Betrachten
der Bilder wurden auch physiologische Kenngrößen gemes-
sen, mit denen die körperliche Erholung untersucht wird (z. B.
Blutdruck und Aktivierungen in verschiedenen Hirnarealen).
Diese stimmten mit der Beurteilung überein: Szenen, die als
besonders erholsam eingeschätzt wurden, riefen körperlich
die stärksten Erholungsreaktionen hervor.
In einer Untersuchung von Parsons et al. (1998) wiesen Ver-
suchsteilnehmende nach einer simulierten Autofahrt durch
natürliche Umgebungen bessere physiologische Erholungs-
werte auf und fühlten sich weniger gestresst als Personen,
ABBILDUNG 4 – 2 Städtische Wildnis kann mit minimalen Maßnahmen erschlossen werden. Das »Südgelände«, ein ehemaliger
Rangierbahnhof in Berlin, wurde nutzbar gemacht, indem klare Wege angelegt und Teilflächen offengehalten wurden. Der
überwiegende Wildnischarakter des Gebiets blieb dennoch erhalten. (Fotos: Mathias Hofmann, Ingo Kowarik)
ABBILDUNG 4 – 3 Straßenszene in Berlin-Adlershof mit
bewachsenen und verkrauteten Baumscheiben.
(Foto: Reinhard Beyer)
ABBILDUNG 4 – 4 Szenerie mit beschmierter und defekter
Bank, herumliegendem Abfall und Laub. (Foto: Reinhard Beyer)
108 STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 109
benötigten und eine kürzere Verweildauer im Krankenhaus
aufwiesen als Patienten mit Blick auf eine monotone Brand -
schutz mauer. Während in dieser Studie der Schweregrad der
Fälle nicht randomisiert war, wurde dieser Kritikpunkt in ei-
ner Untersuchungsserie mit Innenraumpflanzen in Kranken-
hauszimmern (Park, 2006) gezielt ausgeschlossen. Auch hier
konnten positive Effekte, etwa hinsichtlich der Medikamen-
teneinnahme, selbstbeurteiltem Wohlbefinden und Schmerz-
toleranz nachgewiesen werden. Eine kürzere Verweildauer
im Krankenhaus geht in Deutschland mit einer Kostenreduk-
tion von mehreren Hundert Euro pro Person und Tag einher
(STBA, 2012). Folglich sind die Begrünung der Umgebung von
Krankenhäusern und eine entsprechende Gestaltung von
Krankenzimmern (mit Bildern von Stadtnatur, einem »Blick
ins Grüne« und Innenraumpflanzen) empfehlenswert.
höchster gesundheitsökonomischer Relevanz: Psychische
Erkrankungen verursachen in Deutschland jährlich direkte
wirtschaftliche Kosten in Höhe von knapp 16 Mrd. €, bedingt
durch Arbeitsausfälle, und weitere 20 – 30 Mrd. € Kosten im
Gesundheitswesen (siehe StBA, 2009; psyGA, 2014).
4.2.10 Schnellere Genesung
Die im vorherigen Abschnitt erwähnten Feldstudien zeigen
Zusammenhänge auf, die Ergebnisse der experimentellen
Gesundheitsforschung stützen. Eine viel zitierte Studie von
Roger Ulrich (1984) legt nahe, dass die berichteten Befunde
tatsächlich auf Einflüsse der Stadtnatur zurückzuführen sind.
Ulrich (1984) untersuchte den Zusammenhang zwischen
gesundheitlicher Genesung nach einer Operation und dem
Ausblick aus dem Krankenzimmer. Er konnte zeigen, dass
Patienten in Krankenzimmern mit Blick auf eine mit Bäumen
begrünte Umgebung signifikant weniger Schmerzmittel
Zusammenhang zwischen der Begrünung der Wohnum-
gebung und psychischer Gesundheit nur in Familien mit ge-
ringerem sozio-ökonomischen Status nachweisen und fan-
den für Kinder von Müttern mit höherem sozio-ökonomischen
Status teils gegenteilige Befunde. Die Autoren vermuten,
dass die auf den Grünflächen tatsächlich verbrachte Zeit ent
-
scheidend ist. Familien mit niedrigerem sozio-ökonomischem
Status haben möglicherweise geringere Aktionsradien und
nutzen deshalb nahgelegene Flächen eher als Familien mit
höherem sozio-ökonomischem Status.
Der hohe pädagogische und ggf. therapeutische Nutzen, den
Naturkontakte insbesondere für Kinder aus schwierigen so-
zialen Verhältnissen haben, wird im Fallbeispiel »Familien in
Balance« in Infobox 4 – 3 deutlich.
Eine weitere niederländische Studie belegte, dass erwach-
sene Bewohnerinnen und Bewohner von Wohngebieten mit
Parks seltener angaben, an Depressions- und Angstzustän-
den, psychosomatischen Beschwerden oder anderen psychi-
schen Symptomen zu leiden als Personen, die in unbegrünten
Gebieten leben. Die Teilnehmenden dieser Studie berichte-
ten entsprechende Symptome seltener, wenn ihre Wohnge-
gend neben Parks auch eine üppige Vegetation im Straßen-
raum aufwies (van Dillen et al., 2011). Solche Studien sind von
Aufenthalts in begrünten Umgebungen zurückführten (Ward
Thompson et al., 2012). Stress gilt als Mit-Ursache der drei
für das Gesundheitswesen teuersten Erkrankungen: Herz-
Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Verdauungssys-
tems und psychische Erkrankungen. Diese haben im Jahr
2008 in Deutschland zusammen rund 100 Mrd. € Krankheits-
kosten verursacht (StBA, 2014). Damit sind die Leistungen der
Stadtnatur in diesem Zusammenhang auch von großer volks-
wirtschaftlicher Relevanz.
4.2.9 Reduktion psychischer Symptome
und Erkrankungen
Eine englische Studie dokumentiert, dass sich die Stimmung
von Menschen mit schlechter psychischer Gesundheit (u. a.
Depression) durch einen Aufenthalt in der Natur stärker ver-
bessert als die von Gesunden (Roe und Aspinall, 2011). Stu-
dien aus den Niederlanden zeigen zudem, dass erwachsene
Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner, die näher an ei-
nem Park leben, weniger häufig an unterschiedlichen psychi-
schen Erkrankungen leiden und stark herausfordernde
Lebens ereignisse besser bewältigen können als Personen, die
weniger mit Grünflächen versorgt sind. Das gilt auch dann,
wenn die Ergebnisse vom Einfluss des sozio-ökonomischen
Status »bereinigt« werden (Maas et al., 2006; Maas et al.,
2009a). Balseviciene et al. (2014) konnten bei Kindern den
ABBILDUNG 4 – 5 Ein »Blick ins Grüne« von der Wohnung wurde in unterschiedlichen Studien mit einer erhöhten Wohnzufriedenheit
und einem geringeren Stressniveau in Zusammenhang gebracht: Dies bezieht sich nicht nur auf den Blick auf Parks, sondern auch auf
divers begrünte Innenhöfe und Straßen. (Foto : Jasmin Honold)
INFOBOX 4 – 3
Therapeutische Wirkung von Gärten: Naturprojekt »Familien in Balance« in Gütersloh
Etwa 2,65 Mio. Kinder sind in Deutschland von einer Abhängig-
keitserkrankung eines oder beider Elternteile betroffen. Viele
von ihnen entwickeln im Laufe ihres Lebens eigene Suchter-
krankungen oder psychische Auffälligkeiten (Klein, 2005). Vor
diesem Hintergrund unterstützt das Naturprojekt »Familien
in Balance« (faba) Kinder aus betrof fenen Familien. Auf Initi-
ative des Ehepaares Renate und Rainer Bethlehem, das beruf-
lich in der Erwachsenenpsychiatrie arbeitet, werden seit 2007
jährlich acht Kinder im Alter zwischen acht und elf Jahren auf
einem 8.000 qm großen Streuobstwiesengelände pädago-
gisch begleitet. An zwölf Terminen im Gartenjahr, von März
bis Oktober, soll v. a. die Stressresistenz (Resilienz) der Kinder
gefördert werden.
Das private Gartengelände bietet hierfür ideale Bedingungen:
Die Kinder können viele Tier- und Pflanzenarten beobachten
und erkunden. Bäume und Sträucher liefern Arbeitsmaterial
und laden zum Klettern ein. Auf der Streuobstwiese wachsen
verschiedene Obstarten, Haselnuss- und Walnussbäume. Im
Nutzgarten werden Beerenobst und diverse Gemüsearten an-
gebaut. Auch Hühner, Bienenvölker und einige Schafe bieten
interessante Beobachtungs- und Beschäftigungsmöglichkei-
ten. Unterstützt von vier Personen mit therapeutischem Hin-
tergrund lernen die Kinder, kreativ mit Naturmaterialien um-
zugehen und Werkzeuge zu benutzen.
Das Ehepaar Bethlehem beschreibt die positive Wirkung des
Gartens wie folgt: »Die Kinder erleben im Alltag häufig ein
Höchstmaß an Krise und Unberechenbarkeit. Oft sind sie auf
sich alleine gestellt und müssen viel zu früh Verantwortung
für sich und andere übernehmen. Der Garten ist hingegen ver-
lässlich in seiner beständigen Form und fördert somit Erfah-
rungen von Kontinuität und Sicherheit, verändert sich aber
auch laufend und lädt hierdurch zum Ausprobieren und For-
schen ein. Das trägt zur inneren Stabilität der Kinder bei und
fördert die Selbstwirksamkeitsüberzeugung als Schutzfaktor
gegen Stress«.
Um die Teilnahme von Kindern am faba-Projekt zu fördern,
ist das Projekt in ein breites Netzwerk von Akteuren in den
Gütersloher Sozialräumen eingebunden. Mitarbeiter und Mit-
arbeiterinnen des Deutschen Kinderschutzbundes, dem Pro-
jektträger, beraten die Eltern und organisieren Anschluss-
angebote. Dank finanzieller Unterstützung durch die Stadt
Gütersloh sowie private Geldgeber ging das Projekt 2015 be-
reits in die neunte Runde.
Weitere Informationen unter www.faba-naturprojekt.de.
110 STADTNATUR FÖRDERT D IE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 111
Verfügbarkeit und Qualität von Grünräumen (Parks, Wäl-
der, Natur- und Erholungsräume) sowie Straßenbegleitgrün
anhand unterschiedlicher Qualitätskriterien (u. a. Erreich-
barkeit, Zustand, Variation, Natürlichkeit, Farbigkeit, Arran-
gement, Verschmutzung, Sicherheit, Gesamteindruck) un-
tersuchten und diese in Beziehung zur selbstbewerteten
Gesundheit der 1.641 Probandinnen und Probanden setz-
ten. Für alle drei der erfragten Gesundheitsindikatoren (u. a.
»aktuelle gesundheitliche Beschwerden«) zeigten sich posi-
tive Assoziationen mit der Qualität und Quantität von Grün-
räumen. Diese waren für den Landschaftsbestandteil Straßen -
begleitgrün besonders ausgeprägt.
Die hier skizzierten Studien sind in der Mehrheit Querschnitt-
studien, deren Aussagekraft, trotz der Kontrolle unterschied-
lichster möglicher Störfaktoren (Alter, Geschlecht, sozialer
Status usw.), im Hinblick auf die tatsächlichen Wirkmecha-
nismen begrenzt ist. Nur wenigen Studien ist es bislang
gelungen, einen direkten Zusammenhang zwischen dem
Aufenthalt in einer naturnahen grünen Umgebung und quan-
tifizierbaren gesundheitlichen Wirkungen nachzuweisen (vgl.
Bowler et al., 2010a; Lee und Maheswaran, 2011). Dies be-
trifft auch sogennante vermittelnde Faktoren wie soziale
Kontakte oder Bewegungsaktivitäten, die gesundheitsbeein-
flussende Wirkungen haben (vgl. Maas et al., 2008; Maas et
al., 2009a; Bowler et al., 2010a; de Vries et al., 2013).
4.3.2 Direkte Wirkungen von Stadtnatur
auf die physische Gesundheit
Stadtnatur reduziert Stress
Erste statistisch abgesicherte Hinweise auf direkte Wirkungen
von Naturelementen auf die physische Gesundheit finden sich
in den 1980er Jahren (Ulrich, 1984). Hartig et al. (2003) konn-
ten zeigen, dass mit einem Spaziergang in einer naturnahen
Umgebung die physischen Auswirkungen negativen Stresser-
lebens nachhaltiger reduziert werden konnten als dies durch
einen Spaziergang entlang einer stark befahrenen Straße oder
durch das Lesen eines Buches in einem geschlossenen Raum
möglich war. In der Gruppe der Spaziergängerinnen und Spa-
ziergänger, die sich in der naturnahen Landschaft bewegte,
wurde ein durchschnittlich deutlich erniedrigter diastolischer
Blutdruckwert als Indikator für ein reduziertes Stressniveau
festgestellt. Beim Spaziergang entlang der Straße sank der glei-
che Wert hingegen nur kurzfristig ab und erhöhte sich dann
wieder. Seither wurden zahlreiche vergleichbare Studien durch-
geführt, die die Ergebnisse von Hartig et al. (2003) stützen
(Bowler et al., 2010a; vgl. u. a. Park et al., 2007).
der Bevölkerung und den jeweiligen Grünanteilen. Die Sterb-
lichkeitsraten durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atem-
wegserkrankungen waren bei Männern negativ mit dem zur
Verfügung stehenden Grünanteil korreliert; die Sterblichkeit
war umso geringer, je größer der Grünanteil in den Wahl-
bezirken ausfiel. Diese Assoziation konnte für Frauen nicht
nachgewiesen werden.
Stadtnatur in der Wohnumgebung hat einen Einfluss
auf das Krankheitsspektrum bei Erwachsenen
und das Geburtsgewicht von Neugeborenen
Eine niederländische Untersuchung, in der das Vorkommen
von 24 Krankheitsbildern in Bezug zur Entfernung zu Grün-
räumen (landwirtschaftlich genutzte Flächen wurden hier
subsummiert) gesetzt wurde (Maas et al., 2009b), erbrachte
folgende Ergebnisse: Menschen im städtischen Umfeld, de-
ren Wohnort sich in größerer Entfernung zu Grünräumen be-
fand, litten zum Teil signifikant häufiger an Herzkreislauf-
und Atemwegserkrankungen, an Erkrankungen des
Haltungs- und Bewegungsapparats sowie an psychosoma-
tischen Erkrankungen als jene Personen, die in geringer räum-
licher Entfernung zu Grünräumen lebten. Besonders stark
ausgeprägt waren diese Unterschiede bei psychischen Er-
krankungen (depressiver Formenkreis, Angstzustände). Die
festgestellten Zusammenhänge schwächten sich zwar unter
Berücksichtigung des sozioökonomischen Status leicht ab,
konnten aber im Rahmen der Mehrebenenanalyse weiterhin
signifikant einen Teil der Varianz erklären.
Verschiedene Studien sind in den vergangenen Jahren der
Frage nachgegangen, ob ein Zusammenhang zwischen dem
Grünraumanteil in der Wohnumgebung (gemessen über den
vielfach verwendeten »Normalized Difference Vegetation
Index« (NDVI) – einer Maßzahl, die über Satellitenbilder be-
rechnet werden kann) und dem Geburtsgewicht von Neu-
geborenen, das einen Einfluss auf die Kindesentwicklung im
weiteren Lebensverlauf hat, besteht. Im Ergebnis zeigt sich
ein stärkerer Zusammenhang zwischen Grünraumanteil und
Geburtsgewicht nach Adjustierung für Luftverunreinigun-
gen, dem Abstand zu stark befahrenen Straßen, der Bevölke-
rungsdichte und dem Bildungsgrad (vgl. Dadvand et al., 2012;
Laurent et al., 2013; Markevych et al., 2014).
Sämtlichen der skizzierten Studien ist gemein, dass im Studien-
design allein die Quantität der Grünräume Berücksichtigung
fand, während qualitative Aspekte, also die Ausprägung von
Stadtnatur, vernachlässigt wurden. Einen neuen Weg haben
van Dillen et al. (2011) und de Vries et al. (2013) eingeschla-
gen, indem sie in 80 niederländischen Wohn quartieren die
4.3.1 Zusammenhänge zwischen Stadtnatur
und physischer Gesundheit
Zahlreiche Studien und Übersichtsarbeiten haben sich seit
der Jahrtausendwende mit dem Einfluss von Stadtnatur auf
Gesundheit und Wohlbefinden der Bevölkerung befasst. Ins-
gesamt dokumentieren die Ergebnisse einen Gesundheits-
gewinn im Zusammenhang mit der gezielten Nutzung von
naturnahen Grünräumen. Diese positiven Effekte zeigen sich
z. B. in einem verbesserten Allgemeinbefinden oder auch in
veränderten physiologischen Parametern (z. B. Blutdrucksen-
kung, vgl. u. a. Bedimo-Rung et al., 2005; Frank et al., 2004;
Frumkin 2003; Groenewegen et al., 2006; Maller et al., 2006).
Angesichts der häufigeren Diagnosestellung psychosoma-
tischer Erkrankungen stehen in jüngster Zeit städtische Grün-
räume als potenzielle Gesundheitsressource im Fokus der
Forschung. Die Ergebnisse werden nachfolgend vorgestellt.
Stadtnatur verbessert die Lebensqualität und erhöht die
Lebenserwartung bei Männern und Frauen unterschiedlich
Takano et al. (2002) fanden in einer viel beachteten Studie
aus Japan statistisch signifikante Hinweise darauf, dass eine
gute Versorgung mit und ein guter Zugang zu städtischen
Grünflächen positiv mit einer besseren Lebensqualität und
höheren Lebenserwartung korreliert sind. Einschränkend ist
allerdings zu bedenken, dass der soziale Status in dieser Stu-
die nicht berücksichtigt wurde. Dass die Ergebnisse jedoch
durchaus ernstzunehmen sind, zeigt eine neuere Untersu-
chung: Mitchell und Popham (2008) stellten auf der Ebene
der kleinsten statistischen Raumeinheiten Englands fest,
dass Haushalte mit Niedrigeinkommen besonders schlecht
mit naturnahen Grünräumen versorgt waren. Der gesund-
heitliche Allgemeinzustand, wie die physische Gesundheit
der Personen dieser Haushalte, war signifikant schlechter
als bei Menschen, die in Gebieten mit einer besseren Grün-
raumversorgung lebten. Abhängig von der Höhe des Einkom-
mens waren in besser ausgestatteten Gegenden die Erkran-
kungs- und Sterblichkeitsraten deutlich geringer. Anzumerken
ist hier, dass es sich um Korrelationen handelt und zahlrei-
che andere Variablen möglicherweise ebenfalls einen Ein-
fluss haben. So können sich Menschen mit einem höheren
Einkommen Wohnungen in grüneren Quartieren leisten;
gleichzeitig haben sie vielfach einen besseren Zugang zu me-
dizinischer Versorgung und üben möglicherweise gesund-
heitlich weniger belastende Berufe aus.
Richardson und Mitchell (2010) untersuchten in Großbritan-
nien in 6.432 Verwaltungseinheiten auf Grundlage der Wahl-
bezirke (»urban wards«) mögliche Assoziationen zwischen ge-
schlechtsspezifischen Unterschieden im Gesundheitsstatus
4.3 PHYSISCHE WIRKUNGEN VON STADTNATUR
Stadtnatur kann neben den in Kapitel 4.1 dargestellten Bei-
trägen zur psychischen Gesundheit einen bedeutenden Bei-
trag zur physischen Gesundheit der Menschen leisten. Da das
Forschungsfeld hierzu noch jung ist und es zu einigen publi-
zierten gesundheitlichen Wirkungen durchaus kontroverse
Einschätzungen gibt (siehe Übersichtsarbeiten von Bowler
et al., 2010a; Lee und Maheswaran, 2011), gilt es vor allem,
vorhandene offene Fragen zu identifizieren. Hierzu gehört
es u. a. auch zu quantifizieren, welche Rolle Stadtnatur im
Hinblick auf die Gesundheit im Vergleich zu anderen Lebens-
bedingungen hat.
Physische Gesundheit bezieht sich auf den aktuellen und
langfristigen Zustand der Anatomie und physiologischen Pro
-
zesse des individuellen menschlichen Körpers. Sie kann ge-
messen werden über Selbstauskünfte zum körperlichen Be-
finden sowie über die objektivierte, medizinisch gestützte
Erfassung von Parametern zum körperlichen Befinden.
Wie bereits in der Einleitung zu Kapitel 4 kurz angerissen,
gibt es zahlreiche Studien, die sich explizit mit gesundheit-
lichen Wirkungen von Stadtnaturelementen (z. B. Parks oder
Gewässer) auseinandersetzen. Ausreichend belegt ist, dass
städtische Grünflächen, aber auch innerstädtische Gewässer,
deutliche gesundheitsförderliche Effekte haben. Dies zeigen
Studien insbesondere aus England und den USA und zuneh-
mend auch aus Deutschland. So wirkt sich (Stadt-)Natur auf
folgende Art aus (vgl. u. a. Hartig et al., 2014):
direkt aufgrund von unmittelbaren Wechselwirkungen mit
Individuen, z. B. durch Bindung von Feinstaub, Lärmmin-
derung (vgl. Kapitel 3) oder durch Absenkung des Stress-
hormonpegels und Blutdrucks bei einem »Blick ins Grüne«
(vgl. Kapitel 4.2)
indirekt durch die Beeinflussung weiterer Umweltfaktoren,
z. B. Temperaturminderung durch Stadtgrün und Gewässer
in Hitzeperioden, aber auch Förderung der bodennahen
Ozonbildung durch pflanzliche Botenstoffe (vgl. Kapitel 3)
indirekt durch eine mögliche Beeinflussung des Verhaltens
von Individuen bis hin zu unterschiedlichen Bevölkerungs-
gruppen, z. B. indem physische Aktivität (Bewegung) geför-
dert wird
112 STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 113
Aus gesundheitswissenschaftlicher und medizinischer Sicht
wird einer regelmäßigen moderaten körperlichen Aktivität
durch Bewegung und Sport per se eine gesundheitsfördernde
Wirkung zugeschrieben (vgl. Rütten et al., 2005). Die positi-
ven Effekte zeigen sich über die gesamte Lebensspanne hin-
weg und sind für die unterschiedlichen Lebensphasen ent-
sprechend differenziert zu bewerten: So regt regelmäßige
Bewegung vor dem Einsetzen der Pubertät das Knochen-
wachstum und den Knochenaufbau an, was z. B. im späteren
Leben einen guten Schutz vor Osteoporose bieten kann (vgl.
Sardinha et al., 2008). In allen Lebensaltern, v. a. aber im mitt-
leren Lebensalter, trägt körperliche Aktivität u. a. zur Stär-
kung des Herz-Kreislauf- und des Immunsystems bei sowie
zur Prävention von Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ II,
Darmkrebs, Osteoporose und Rückenschmerzen. Bewegung
vermindert zudem im fortgeschrittenen Lebensalter das
Risiko eines Schlaganfalls (vgl. Rütten et al., 2005).
Da Grünräume einen zentralen Ort für Bewegungsaktivi-
täten in Städten darstellen, ist in den zurückliegenden Jahren
verstärkt erforscht worden, inwieweit urbane Grünräume
unterschiedliche Alters- und Lebensstilgruppen zu körper-
licher Aktivität anregen und inwieweit Grünräume gezielt
für körperliche Aktivitäten genutzt werden (u. a. Coombes et
al., 2010; Pikora et al., 2003). Frank et al. (2004) konnten für
Bielefeld zeigen, dass Parkanlagen und Grünzüge von 56 %
der Bevölkerung als alternative Verkehrswege genutzt wer-
den und dass für 71 % der Befragten »Bewegung« der Grund
dafür ist, Grünräume im städtischen Umfeld aufzusuchen.
In einem Review von de Vries et al. (2011) wurde die oben
genannte Frage eindeutig bejaht. So zeigten einige Studien,
dass Personen, die die Möglichkeit hatten, sich zu Fuß oder
mit dem Rad fortzubewegen, seltener Übergewicht und Adi-
positas aufwiesen und grüne Wege für ihre Nahmobilität
präferierten (de Vries et al., 2011; Giles-Corti et al., 2005). Wei-
tere Studien belegten, dass Erwachsene häufiger zu Fuß ge-
hen, wenn sie ihre Ziele (u. a. urbane Grünräume und Gewäs-
ser) fußläufig und damit unkompliziert und schnell erreichen
konnten (u. a. van Dyck et al., 2010). Dies gilt insbesondere
dann, wenn sich die Befragten durch weitere umweltbezo-
gene Stressoren (z. B. Verkehrslärm) im individuellen Wohl-
befinden eingeschränkt fühlten (vgl. Kapitel 3.4).
Während Stadtnatur in den skizzierten Studien v. a. in ihrer
Funktion als Kulisse für physische Aktivitäten untersucht
wurde, stellt sich die Frage nach möglichen additiven gesund-
heitlichen Effekten (de Vries et al., 2011). Vielversprechend
erscheint die genauere Untersuchung jener einzelnen Land -
schaftselemente/-charakteristika, die sich als besonders
Hitzeperiode im August 2003 die Sterblichkeitsrate in Alten-
und Pflegeheimen erheblich (Grewe und Pfaffenberger, 2011).
Daten aus dem Raum München zeigen dagegen in dieser Zeit
eine insgesamt niedrige Sterblichkeit, wobei diese geringere
Mortalität im Wesentlichen auf Kühlungseffekte (Isar und
Bahntrasse wirken als Frischluf tschneisen) zurückgeführt
wird (Kohlhuber und Fromme, 2010). In Frankreich wurden
im Sommer 2003 europaweit die meisten Sterbefälle in
Zusammenhang mit der Hitzewelle festgestellt (vgl. auch
Kapitel 3.1).
Insbesondere langanhaltende hohe Temperaturen (sog. Hitze -
wellen) bedeuten
ein erhebliches gesundheitliches Risiko für ältere Menschen
ab 65 Jahren (v. a. bei Alleinstehenden mit eingeschränkter
körperlicher oder psychischer Gesundheit),
eine Erhöhung der Gesundheitsrisiken bei bestimmten
Arbeitsbedingungen, wie anstrengenden körperlichen Tätig -
keiten im Freien (z. B. Arbeiten im Hoch- und Tiefbau; Straßen -
bauarbeiten) oder einem Mangel an ausreichender Belüf-
tung am Arbeitsplatz, sowie
abhängig von Faktoren wie Geschlecht oder sozioökonomi-
schem Status; z. T. unterschiedlich ausgeprägte Empfindlich-
keiten gegenüber Hitze; Studien zeigen bspw. eine stärkere
Betroffenheit von Frauen durch Hitzebelastungen (Hornberg
et al., 2013).
Stadtnatur trägt maßgeblich dazu bei, Hitzebelastungen zu
mindern (siehe Kapitel 3.1). Als gesundheitlich bedeutsame
klimaökologische Ausgleichsräume sind urbane Grün- und
Freiräume sowie Gewässer in mehrfacher Hinsicht wirksam:
Sie können erheblich dazu beitragen, die Temperatur an hei-
ßen Tagen zu senken (Bowler et al., 2010b; Makhelouf, 2009;
Völker et al., 2013). Völker et al. (2013) konnten zudem mit-
tels eines systematischen Reviews zeigen, dass die Kühlungs-
effekte durch Wasserflächen in städtischen Räumen an hei-
ßen Tagen um den Faktor 2,5 über den durchschnittlichen
Annahmen für Grünräume liegen.
Stadtnatur fördert Bewegung und Gesundheit
Der Zusammenhang zwischen Stadtnatur und körperlicher
Aktivität wird zunehmend erforscht. Nachfolgend erfolgt ein
kurzer Überblick über die aktuelle Studienlage (weiter-
gehende Informationen vgl. Reviews von de Vries et al., 2011;
Kaczynski und Henderson, 2007; Lee und Maheswaran, 2011).
suchungsort mit 72.000 Einwohnern in Finnland zwar auch
dicht bebaute Bereiche aufweist, insgesamt aber sehr weit-
läufig und von Grünräumen durchsetzt ist. Trotzdem belegt
diese Studie eindrucksvoll, wie zentral die gemeinsame Ab-
wägung von gesundheitlichen und naturschutzkonformen
Biodiversitätsaspekten unter Berücksichtigung von Wild-
pflanzen in Städten ist.
Zur Vermeidung von negativen Gesundheitseffekten sollten
zur Begrünung urbaner Räume bewusst Pflanzen ausgewählt
werden, die unter stadtklimatologischen und Naturschutz-
aspekten Vorzüge bieten, aber auch unter allergologischen
Gesichtspunkten als unproblematisch einzustufen sind
(Bergmann et al., 2012). Besonders zu berücksichtigen ist in
diesem Zusammenhang die Tatsache, dass eine relativ geringe
Anzahl von Pflanzenarten für etwa 90 % der durch Pollen
ausgelösten Allergien verantwortlich ist (Winkler et al., 2001).
Als ein gutes Beispiel kann die Birke dienen: Da sie geringe An-
sprüche an ihr Habitat stellt und optisch ansprechend ist, eig-
net sie sich gut als Stadtbaum und wurde daher bislang zahl-
reich angepflanzt (Bergmann et al., 2012). Die Freisetzung von
Pollen mit einem hohen allergenen Potenzial macht sie je-
doch zu einem der klinisch relevantesten Pollenproduzenten
in Deutschland. Derzeit sind in Deutschland mehr als ein Drit-
tel (38 %) aller Patienten von Allergieambulanzen (Burbach
et al., 2009) und bereits 10 % aller Kinder gegen Birkenpollen
sensibilisiert. Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und Erwach-
senen mit Allergien gegen Pollen ist in Deutschland in den
vergangenen Jahren weiter gestiegen. Statistisch gesehen
entwickeln etwa 20 % der deutschen Bevölkerung im Lauf
ihres Lebens eine Pollenallergie; das sind rund 15 Mio. Men-
schen (Ring et al., 2010). Dementsprechend sollte bei Gehölz-
pflanzungen in Städten auch Rücksicht auf Allergikerinnen
und Allergiker genommen werden, indem das Allergiepoten-
zial von Bäumen und Sträuchern beachtet wird (Bergmann
et al., 2012). Anstatt hochallergener Baumarten wie Birken
sollten möglichst Arten ausgewählt werden, die für Allergi-
ker ungefährlich sind. Dazu gehören Ahorn, Weißdorn, Rot-
dorn und Apfelbaum.
Stadtnatur reduziert Hitze und daraus resultierende
Gesundheitsschäden
Eines der vielen gesundheitsrelevanten Risiken des Klima-
wandels stellt die Belastung des menschlichen Organismus
durch extreme Hitze dar. Sehr heiße Tage belasten v. a. Per-
sonen mit Vorerkrankungen (wie Herz-Kreislauf- und Atem-
wegserkrankungen) sowie ältere Menschen, Kleinkinder und
immobile Menschen. Beispielsweise erhöhte sich in Hessen
(Frankfurt a. M.) und Baden-Württemberg während der
Auch Li et al. (2008) bestätigen die positiven Wirkungen
längerer Waldaufenthalte (sog. »forest bathing«) durch den
Abbau von Stresshormonen. Darüber hinaus konnten sie
immunologische Effekte durch die Aktivierung der zellulären
(die zelluläre Immunantwort beschreibt den Teil der adaptiven
Immunantwort, der durch zelltoxische T-Zellen vermittelt
wird) und humoralen Abwehr (als humorale Immunantwort
wird die Produktion von Antikörpern durch die B-Zellen be-
zeichnet) nachweisen (vgl. auch Bowler et al., 2010a).
Stadtnatur kann Herzkreislauf- und
Atemwegserkrankungen mindern
Bereiche mit Stadtnatur besitzen ein erhebliches Potenzial,
lufthygienische Immissionslagen und Lärm zu mindern – sie
fungieren damit als klimaökologische Ausgleichsräume (vgl.
Kapitel 3). Insbesondere in Ballungsräumen mit hohen ge-
sundheitsbelastenden Lärmpegeln, Schadstoffimmissionen
und ungünstigen klimatischen Bedingungen kann eine be-
lastungssenkende und gesundheitsförderliche Stadtnatur
(Makhelouf, 2009) von zentraler medizinischer und gesund-
heitswissenschaftlicher Bedeutung sein (Hornberg und Pauli,
2012), da sie über eine Expositionsminderung unterschied-
licher Umweltbelastungen (wie bspw. Feinstaub, Lärm)
die Krankheitslast von Atemwegserkrankungen und Herz-
Kreislauf-Erkrankungen verringern kann. Obwohl durch die
EU-Richt linie zur Feinstaubreduzierung das Feinstaubfilter-
potenzial von Pflanzen insbesondere im urbanen Raum wie-
der stärker in den Blickpunkt gerückt ist, bestehen weiter hin
Wissenslücken hinsichtlich der genauen Abschätzung der
Gesundheitsgewinne und der Reduzierung der Krankheits -
lasten bspw. bei Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen
durch die Filterleistung der Vegetation (vgl. Kapitel 3.3).
Stadtnatur und Allergien
Hanski et al. (2012) konnten einen signifikanten Zusammen-
hang zwischen steigender Biodiversität und sinkender
Allergiker zahl nachweisen. Sie untersuchten 118 zufällig aus-
gewählte Jugendliche, deren Wohnorten auf einer Fläche von
100 mal 150 km ein Maß für die vorhandene Biodiversität
zugeordnet wurde. Die Studie zeigte: Je geringer die umge-
bende Biodiversität (definiert über die Pflanzenvielfalt in
einem Radius von drei Kilometern) und umso städtischer der
Wohnort, desto wahrscheinlicher war das Auftreten von
allergischen Symptomen. Anzumerken ist, dass in dieser
Arbeit ein Urbanitätsindex nicht definiert ist, allerdings ein
Land-use-index genutzt wird, in dem flächenanteilig Wald,
Landwirtschaft, bebaute Fläche und Wasser verrechnet sind
(im Radius von drei Kilometern). Zudem deutet sich der Be-
zug auf ein städtisches Umfeld lediglich an, da der Unter -
114 STADTNATUR FÖRDERT D IE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 115
Gemessen wird die Lebens- bzw. Bereichszufriedenheit
üblicher weise auf einer sogenannten 11-Punkte-Likert-Skala,
wobei der Wert »0« bedeutet, dass die befragte Person ge-
genwärtig ganz und gar unzufrieden mit ihrem Leben ist. Der
Wert »10« hingegen repräsentiert in der Gegenüberstellung
eine vollkommene Lebenszufriedenheit. Im Rahmen dieser
SWB-Ansätze wird oftmals adressiert, eine ökonomische Be-
wertung der Gesundheitswirkung von urbanen Grünflächen
mittels der Grenzrate der Substitution (GRS, Marginal Rate
of Substitution – MRS) durchzuführen (Ambrey und Fleming,
2012; Bertram und Rehdanz, 2015; Krekel et al., 2015, 2016).
Dabei wird versucht, die Zahlungsbereitschaft (Willingness
to Pay – WTP) für eine Veränderung der Durchgrünung zu
ermitteln. Bezogen auf das städtische Grün gibt die GRS dabei
an, in welchem Verhältnis ein Individuum bereit ist, etwas
von dem einen Gut (Einkommen) aufzugeben, um mehr von
dem anderen Gut (urbanes Grün) zu erhalten. Um dieses Aus-
tauschverhältnis zu ermitteln, muss man den Einfluss des
Einkommens sowie des urbanen Grüns auf die Lebenszufrie-
denheit kennen und ins Verhältnis setzen. Da bei statisti-
schen Analysen zur Auswirkung des urbanen Grüns auf die
Lebenszufriedenheit auch der Einfluss von Variablen (wie das
individuelle Einkommen) kontrolliert wird, kann die GRS zu-
meist problemlos ermittelt werden. Die so ermittelte Zah-
lungsbereitschaft basiert also auf der Analyse des bereits er-
wähnten Austauschverhält nisses zweier Güter und nicht, wie
fälschlicherweise angenommen werden könnte, auf einer
Befragung bzw. Zahlungsbereitschaftsanalyse (Contingent
Valuation Method – CVM).
Untersuchungen zur Monetarisierung gesundheitlicher
Effekte durch urbane Grünflächen
Auf internationaler Ebene gibt es bereits eine Vielzahl von Stu-
dien, welche eine positive Gesundheitswirkung städtischer
Grünflächen auf u. a. die Reduktion von Stress und Depressi-
onen (Grahn & Stigsdotter, 2003; Swanwick et al., 2003), eine
Zunahme positiver Emotionen (Ulrich et al., 1991; Knecht
2004) sowie einen positiven Einfluss auf die physische Ge-
sundheit und Lebensdauer (De Vries et al, 2003; Maas et al,
2006) aufzeigen. In Deutschland gibt es bisher nur zwei Un-
tersuchungen zur Monetarisierung gesundheitlicher Effekte
durch urbane Grünflächen; die Untersuchung von Krekel
et al. (2015; 2016) stellt die bisher umfassendste Studie in
Deutschland dar.
Krekel et al. (2015) arbeiteten unter Verwendung der SOEP-
Befragungsdaten von 2000 bis 2012 und der Daten des Euro-
pean Urban Atlas von 2006 in 32 Großstädten mit mehr als
100.000 Einwohnern in Deutschland zur Monetarisierung
ermöglichen z. B. Kindern unmittelbare Naturerlebnisse und
die Aneignung von Natur über Spiel und Bewegung – eine
Möglichkeit, die in urbanen Räumen nicht mehr oft gegeben
ist und die eng mit dem Phänomen der Naturentfremdung
einhergeht (vgl. u. a. Gebhard, 2009). Eine Vielzahl empiri-
scher Studien belegt, dass das bewegungsintensive Naturer-
lebnis im Kindesalter eine wesentliche Komponente für die
Persönlichkeitsentwicklung ist (vgl. Gebhard, 2009) und aus
biopsychosozialer Perspektive zahlreiche positive Gesund-
heitseffekte hat (Raith und Lude, 2014; Sardinha et al., 2008).
Vor diesem Hintergrund kommt den Bereichen Naturerle-
ben, Naturerfahrung sowie Umweltbildung (siehe Kapitel 6)
und der Gesundheitsbildung eine besondere Bedeutung zu.
4.4 ANSÄTZE ZUR QUANTIFIZIERUNG
UND ÖKONOMISCHEN BEWERTUNG
DER GESUNDHEITLICHEN BEDEUTUNG
VON STADTNATUR
Die positiven Wirkungen von städtischen Naturräumen und
attraktiven Freiräumen auf die Gesundheit der Stadtbevöl-
kerung ist auch aufgrund ihrer hohen (ideellen) Bedeutung
als Erholungsräume aktuell ein wichtiges Thema der empiri-
schen Sozialforschung. In diesem Zusammenhang gewinnt
die ökonomische Betrachtung der gesundheitlichen Bedeu-
tung des Stadtgrüns immer mehr an Forschungsinteresse.
Subjektive Bewertungskriterien und objektive
Gesundheitsindikatoren sind die Basis zur Beurteilung
gesundheitlicher Wirkungen von Stadtgrün
Für eine quantitative Analyse und ökonomische Bewertung
der gesundheitlichen Bedeutung von Stadtnatur stellt sich
zunächst die Frage, welches empirische Maß oder welche Ein-
heit hierfür herangezogen werden kann. Als Maß zur Beur-
teilung der gesundheitsförderlichen Effekte von Stadtgrün
auf Menschen stehen subjektive Bewertungskriterien (u. a.
Selbsteinschätzung der mentalen und physischen Gesund-
heit) sowie objektive gesundheitsbezogene Indikatoren (u. a.
Sterbefälle, spezifische Symptome und Krankheitsbilder,
Häufigkeit der Arztbesuche) zur Verfügung. Neuere Studien
versuchen, mittels einer Messung der subjektiven Lebenszu-
friedenheit (»subjective well-being« SWB) die Wirkungen von
urbanem Grün auf das individuelle Wohlbefinden zu messen
(Bertram und Rehdanz, 2015; Krekel et al., 2015, 2016). Im Rah-
men dieser Ansätze wird üblicherweise sehr allgemein die
Lebenszufriedenheit abgefragt, was zumeist mit der Frage:
»Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig, alles in allem, mit Ihrem
Leben?« erfolgt. Darüber hinaus gibt es aber auch Untersu-
chungen, die sich auf die Messung spezifischer Lebensberei-
che, beispielsweise die Gesundheit, konzentrieren.
direkte Erreichbarkeit und Zugänglichkeit öffentlicher
Grünräume, möglichst ohne erforderliche PKW-Nutzung;
dies erfordert eine hohe Erschließungsqualität durch nutz-
bare, barrierefreie Bürgersteige, Fahrradwege, Zebrastrei-
fen, geringeres Verkehrsaufkommen und Erreichbarkeit mit
öffentlichen Personennahverkehrsmitteln (ÖPNV)
Gleichwertigkeit in der Verteilung der Grünräume und Ver-
netzung von Grünräumen über die Gesamtstadt
Möglichkeiten zur Aufnahme und Pflege von sozialen Kon-
takten, insbesondere für bestimmte Gruppen wie Familien
mit Kindern, Menschen mit Behinderungen, Migranten und
Ältere
Vermeidung von Angsträumen und Mobilitätsbarrieren, z. B.
durch das Beseitigen von potenziellen Verletzungsquellen,
Beleuchten von Wegen
ästhetisch ansprechende urbane Landschaft mit multi-
funktional genutzten öffentlichen Grünbereichen, die
vielfältige Schutz- und Nutzenfunktionen erfüllen und in
denen technisch-gebaute und naturbelassene Bereiche
in einem ausgewogenen Verhältnis vorhanden sind
Zudem sollten bei der Planung und Gestaltung urbaner Grün-
räume die verschiedenen Wahrnehmungs- und Aneignungs-
muster unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Bezug auf
Stadtnatur, ebenso wie sozialräumlich differenzierte Ansprü-
che in der Bevölkerung, berücksichtigt werden. So kann für
sozial benachteiligte Gebiete von einer mehrfachen gesund-
heitlichen Belastung ausgegangen werden, wenn soziale
Problemlagen mit Umweltbeeinträchtigungen und unzu-
reichender Ausstattung mit Grünräumen zusammentreffen
(Frumkin, 2003; Hornberg und Pauli, 2011; Hornberg und Pauli,
2012; Hornberg und Pauli, 2014; Maas et al., 2006; Mitchell
und Popham, 2008). Zu bedenken ist auch, dass Menschen
in sozial benachteiligten Lebenslagen und -räumen nicht nur
objektiv eingeschränkten Zugang zu naturnahen Räumen
haben, sondern dass sich diese Einschränkungen im Sinne
mangelnder gesellschaftlicher Teilhabechancen auch in ihrer
subjektiven Wahrnehmung widerspiegeln (vgl. Claßen et al.,
2012; Ellaway et al., 2005).
Allerdings sollten nicht allein die großflächigen städtischen
Grünräume im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, son-
dern auch kleinere Strukturen wie Privatgärten und kleinere
Brachflächen und Naturelemente, z. B. in Baulücken oder an
Baumscheiben. Solche kleinräumigen Landschaftselemente
förderlich für das Bewegungsverhalten und die Bewegungs-
frequenz erweisen. Exemplarisch zu nennen sind hier die ver
-
schiedenen Facetten des Spaziergangs im Wohnumfeld, der
Wochenendnaherholung oder der alltäglichen Nutzung von
sog. grünen und ggf. blauen Infrastrukturen (innerstädti-
sche Grünräume und Gewässer) für regelmäßige physische /
sportliche Aktivitäten wie Fahrradfahren, Joggen oder Nordic
Walking (vgl. Coombes et al., 2010; Frank et al., 2004; Giles-Corti
et al., 2005; Groenewegen et al., 2006; Maller et al., 2006;
Roemmich et al., 2006).
Einige Studien verglichen gesundheitliche Wirkungen durch
physische Aktivität in Innenräumen (Fitness-Studios) mit
denen physischer Aktivität mit Blick auf naturnahe Land -
schaften (Pretty et al., 2005) sowie in Grünräumen (Hug et
al., 2009). Ein zusätzlicher gesundheitsförderlicher Effekt
durch die Bewegungsaktivitäten im Freien konnte nicht be-
legt werden (vgl. de Vries et al., 2011). Allerdings spricht die
Forschungslage dafür, dass Natur und Landschaft in viel fäl -
tiger Hinsicht einen »Raum mit Aufforderungscharakter«
zur Motivationssteigerung für Bewegung und körperliche
Aktivität unterschiedlicher Altersgruppen darstellen und
entsprechend vielfältig genutzt werden (Heiler, 2011; Heiler
et al., 2014). Nach aktuellen Erkenntnissen haben Verfügbar -
keit und Aneignungsmöglichkeiten von Grün- und Freiräumen,
die unterschiedlichsten Nutzungsbedürf nissen verschiedener
Bevölkerungsgruppen entsprechen, eine sehr große Bedeu -
tung für körperliche Aktivitäten – insbesondere in Gebieten
mit hoher Bebauungs- und Wohndichte (Claßen et al., 2012;
Dannenberg et al., 2003; de Vries et al., 2011; Frank et al., 2004;
Pikora et al., 2003). Dies gilt umso mehr für Bevölkerungs -
gruppen, die aufgrund eingeschränkter Mobilität oftmals eng
an ihr Wohnumfeld gebunden sind, bspw. für Kinder, ältere
Menschen oder Menschen mit Behinderungen (vgl. Hornberg
und Pauli, 2012; Roemmich et al., 2006; Takano et al., 2002).
Schlussfolgerungen in Hinblick auf die Förderung
und Gestaltung von Stadtnatur
Die Feststellung, dass natürliche und naturnahe Räume
aktivitäts- und bewegungsfördernd wirken können, bietet
vielfältige Ansatzpunkte für Gesundheitsförderung und so-
zialraumbezogene Quartiersprävention (de Vries et al., 2011;
Heiler et al., 2014). Damit stellt sich die Frage, wie genau diese
Grünräume beschaffen sein sollten und welche Rahmen-
bedingungen und Strukturen sie aufweisen müssen, um das
gesundheitsförderliche Potenzial zu optimieren und auszu-
schöpfen. Folgende Kriterien wurden als besonders wichtig
herausgestellt (vgl. Bedimo-Rung et al., 2005; Claßen et al.,
2012; Dannenberg et al., 2003; Pikora et al., 2003):
116 STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 117
Bevölkerungsumfragen, die auf die Erhebung von persön-
lichen Bewertungsmaßstäben in Bezug auf (Stadt-)Natur
zielen, belegen, dass die Bedeutung von Grünräumen für ein
zufriedenes Leben von den Menschen überwiegend als relativ
hoch eingestuft wird (BMUB, 2014). Auch Analysen des allge-
meinen physischen und psychischen Gesundheitszustandes
von Menschen mit und ohne Zugang zu urbanen Grünräumen
können – unter Berücksichtigung soziodemografischer Merk-
male – als maßgebend für die gesundheitliche Relevanz her-
angezogen werden (Hornberg und Pauli, 2014).
Gesundheit ist inzwischen – auch vor dem Hintergrund des
soziodemografischen Wandels und des Klimawandels – ein
zunehmend wichtiges Thema der Stadtentwicklung. Die
Stadt- und Landschaftsplanung steht vor der Aufgabe, urbane
Grünräume als Teil gesundheitsfördernder Lebensumwelten
im Sinne einer nachhaltigen, gesundheitsförderlichen Kom-
munalentwicklung vorausschauend – unter dem Druck be-
stehender oder zukünftiger Wandlungsprozesse – zu erhal-
ten, zu fördern oder wiederherzustellen. Ein zentrales Ziel
sollte es dabei sein, Städte durch eine hohe urbane Lebens-
qualität gesundheitsförderlich zu gestalten. So kann es durch
die Verbesserung der Lebensverhältnisse zukünftig gelin-
gen, das individuelle Wohlbefinden sowie den Gesundheits-
zustand positiv zu beeinflussen und die damit verbundenen
individuellen und gesellschaftlichen Gesundheitsgewinne zu
steigern. Denn gleichzeitig reduzieren sich Krankheitslasten
und die damit verbundenen Krankheitskosten. Hierbei geht
es auch darum, gesundheitsrelevante Faktoren gleichberech-
tigt neben ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspek-
ten zu berücksichtigen (Rittel et al., 2014).
Unter der Prämisse, dass Verhaltensänderungen bestimmte
Voraussetzungen in den alltäglichen Lebensumwelten benö-
tigen, wird deutlich, dass vorsorgende und voraus schauende
präventive Intervention zuerst an den Bedingungen (Ver-
hältnissen) ansetzen muss, die die menschliche Gesund -
heit fördern können. Öffentliche Grünräume spielen dabei
u. a. als Orte der Bewegung, Naturerfahrung, Begegnung
und Erholung für unterschiedlichste Altersgruppen (Maller
et al., 2006; de Vries et al., 2011) eine herausragende Rolle.
Daher ist in erster Linie die kommunale Ebene in der Pflicht,
Stadtnatur – sowohl im gesamtstädtischen Kontext als auch
kleinräumig auf Stadtteil- und Wohnquartiersebene sowie
auf der individuellen Haushaltsebene – als wichtigen Bau-
stein für die Erhaltung und Förderung von Gesundheit zu
unterstützen. Damit ist eine Verantwor tung aller Politik-
bereiche (und nicht nur des Gesundheitssektors) im Sinne
der WHO-Maxime »Health in all policies« für die Schaffung
Bezug auf Wahrnehmungs- und mögliche Aneignungspro-
zesse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ergeben sich
sozial und räumlich dif ferenzier te Muster, die sich bislang je-
doch nur marginal in der Debatte um die Quantifizierung und
ökonomische Bewertung der gesundheitlichen Bedeutung
von Stadtnatur abbilden (Hornberg und Pauli, 2012).
Die wertsteigernde Wirkung von Grünflächen auf die Immo-
bilienpreise besitzt also durchaus auch eine gesundheitliche
Relevanz, da Menschen mit geringem Einkommen und niedri-
gem sozioökonomischen Status häufig in Stadtquartieren mit
wenigen Grünflächen leben und daher nicht von den gesund-
heitsförderlichen Effekten profitieren (Maas et al., 2009a,b).
Gesundheitswirkung städtischer Grünflächen: ein großes
Potenzial für zukünftige Forschungsaktivitäten
Auch wenn die hier vorgestellten Analysen einen wichtigen
Beitrag zum Verständnis der Gesundheitswirkung städti-
scher Grünflächen darstellen, so bleibt doch ein großes Po-
tenzial für zukünftige Forschungsaktivitäten. Insbesondere
die kausalen Zusammenhänge zwischen der Verfügbarkeit
von städtischen Grünflächen und dem individuellen Gesund-
heitsstatus sollten stärker in den Blick genommen werden.
Zudem sollte die Gesundheitswirkung spezifischer Qualitä-
ten von urbanen Grünflächen (Naturnähe, Pflegezustand,
Ausstattung etc.) im Mittelpunkt zukünftiger Forschungs-
aktivitäten stehen. Diesbezüglich bleibt auch festzustellen,
dass gerade in Deutschland die empirische Basis in diesem
Forschungsbereich der intensiven Diskussion zur Gesund-
heitswirkung von städtischen Grünflächen auf eher konzep-
tioneller Ebene (u. a. Claßen et al., 2012; Job-Hoben et al.,
2010) sowie bestehender Möglichkeiten zur Integration der
Gesundheitsförderung in die Landschaftsplanung (Heiland
et al., 2015) hinterherhinkt. Ohne aber konkret zu wissen, wel-
che Wirkungsbeziehungen zwischen der Qualität von Grün-
flächen und der menschlichen Gesundheit bestehen, wird es
zukünftig weiterhin schwierig bleiben, konkrete und verläss-
liche Empfehlungen für die Stadtplanung in diesem Bereich
auszusprechen.
4.5 SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR EINE
GESUNDHEITSFÖRDERLICHE
STADTENTWICKLUNG
Die positiven Wirkungen städtischer Grünräume auf die Ge-
sundheit des Menschen sind unbestritten und werden damit
zu einem immer wichtigeren Thema für Ärzte und Ärztinnen
sowie Gesundheitsdienste, Verantwortliche in Politik und
Verwaltung und nicht zuletzt für Landschafts-, Stadt- und
Raumplanerinnen und -planer.
auch eine Minderung von Versorgungs- und Energiekosten
(Endlicher et al., 2008; siehe Kapitel 3.1).
Urbanes Grün reduziert die durch Lärm verursachten
Krankheitskosten
Auch die verkehrsbedingte, zunehmende Lärmbelästigung
(siehe Kapitel 3. 4) in Städten ist Gegenstand zahlreicher Stu-
dien. Der Beitrag von urbanem Grün zur Lärmminderung, z. B.
durch Wand- und Dachbegrünungen, konnte mehrfach nach-
gewiesen werden (Veisten et al., 2012). Auch vor dem Hinter-
grund lärminduzierter Krankheitskosten werden darüber
hinaus zunehmend Berechnungsmodelle entwickelt, mit
denen die ökonomische Bedeutung der vegetationsbeding-
ten Lärmminderung (monetär) quantifiziert werden soll
(Veisten et al., 2012). Der Ansatz der Umweltökonomie, die
Natur als Umweltgut zu betrachten und eine Änderung
ihres Zustands (Verbesserung oder Verschlechterung) in einer
monetären Größe zu erfassen (Klein, 2002; Liebe, 2007), geht
zudem oft mit einem umwelt- und gesundheitspolitischen
Handlungsbedarf einher. Dieser wird durch die zunehmende
Umweltbelastung und durch die Zerstörung von Naturräu-
men sowie in Anbetracht knapper werdender Mittel der öf-
fentlichen Hand immer bedeutsamer (Liebe, 2007; Klein, 2002).
Die gesundheitsökonomische Bewertung zeigt vielfältige
Gesundheitsgewinne durch urbane Grünräume
Öffentliches Grün wird von den Kommunen aufgrund der
erforderlichen Pflegemaßnahmen häufig ausschließlich als
Kostenfaktor gesehen. Dabei sollte jedoch berücksichtigt
werden, dass urbanes Grün nicht nur die Ästhetik des Stadt-
bildes aufwerten kann, sondern auch wesentliche klima-
ökologische Funktionen besitzt und zur Lärmminderung
in Städten beiträgt. Zwar ist die ökonomische Bewertung
dieser Leistungen teilweise methodisch schwierig. Sie kann
aber deutlich machen, dass es sich auch für Städte und Kom-
munen lohnt, öffentliche Grünräume als nicht-handelbare
öffentliche Güter zu erhalten und zu entwickeln. Daher gilt
es, die Gesundheitsgewinne durch Stadtnatur möglichst kon-
kret mithilfe der oben genannten Ansätze zu quantifizieren.
Einschränkungen in der Teilhabe an Stadtgrün können
gesundheitliche Ungleichheiten nach sich ziehen
Neben den individuellen Effekten für das Wohlbefinden und
die Lebenszufriedenheit haben urbane Grünflächen auch
eine gesundheitsökonomische Bedeutung, wie die Studien
von Bertram und Rehdanz (2014) sowie Krekel et al. (2015,
2016) zeigen. Allerdings ist urbanes Grün ungleichmäßig über
die Städte verteilt und zudem von unterschiedlicher Größe,
Qualität, Zugänglich- und Nutzbarkeit. Insbesondere in
gesundheitlicher Effekte durch Grünräume mit dem Lebens-
zufriedenheitsansatz und dem Willingness-to-pay-Ansatz.
Sie konnten zeigen, dass der Grünraumanteil und die Erreich-
barkeit von Grünräumen mit dem individuellen Wohlbefinden
signifikant assoziiert sind, während der Brachflächenanteil
und die Erreichbarkeit von Brachflächen hingegen negativ as-
soziiert sind (insbesondere bezogen auf die Lebenszufrieden-
heit sowie die psychische und physische Gesundheit). Diese
Effekte sind noch stärker für die ältere Bevölkerung (z. B. im
Hinblick auf Diabetes, Schlafstörungen) und konsistent mit
den Ergebnissen der Berliner Altersstudie (BASE II) sowie den
Ergebnissen von Bertram und Rehdanz (2015). Letztere wer-
teten Selbstauskünfte zur Lebenszufriedenheit sowie die
Selbsteinschätzung der allgemeinen Gesundheit aus einer
Internetbefragung der Berliner Bevölkerung (Zahl der teil
-
nehmenden Befragten: 485) aus und führten eine multiple
Regressionsmodellierung durch, differenziert nach Grünraum -
anteil sowie Grünraumerreichbarkeit. Sie konnten zeigen:
Je geringer der Grünraumanteil sowie die Grünraumerreich-
barkeit waren, umso höher fiel die Bereitschaft der Befrag-
ten aus, Investitionen zu tätigen, um die Lebensqualität zu
steigern.
Die Investition in Stadtgrün hat eine
gesundheitsförderliche Wirkung und ist eine
wichtige Maßnahme der Klimaanpassung
Die Parameter Klima, Temperatur und Lärm stellen poten-
zielle Belastungsfaktoren für die Stadtbevölkerung dar, die
sich sowohl unmittelbar als auch längerfristig negativ auf
ihre Gesundheit auswirken können. Beispielsweise können
eine hohe Gebäudedichte und großflächige Versiegelungen
in heißen Sommern eine übermäßige, bis in die Nacht anhal-
tende Aufheizung der Luft bewirken; das stellt sich beson-
ders für vulnerable Personen (Menschen, die aufgrund ihrer
körperlichen Konstitution und psychischen Disposition,
Vorerkrankungen oder/und aufgrund ihrer psychosozialen
Lebens situation (z. B. Armut) als besonders anfällig für be-
stimmte Erkrankungen oder soziale Risiken gelten) als ge-
sundheitsbelastend dar. Neben den individuellen Gesund-
heitsfolgen und der erhöhten Krankheitslast, die mit direkten,
indirekten und intangiblen Gesundheitskosten verbunden
sind, entstehen auch energetische Folgekosten, z. B. durch
intensivierte Klimatisierungsmaßnahmen in Gebäuden (zu
den Ansätzen der Bewertung von Umweltkosten siehe Kapi-
tel 2.2). Neben Parks und anderen Grün flächen können
Straßen bäume während dieser Hitzeereignisse in der Stadt
zur Reduktion thermischer Belastung beitragen. Eine Inves-
tition in Stadtgrün bringt damit nicht nur gesundheitliche
Vorteile, sondern bewirkt im Sinne der Klimaanpassung
118 STADTNATUR FÖRDERT DIE GESUNDHEIT
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Nutzungskonkurrenzen sind dabei gezielt zu vermeiden, in-
dem Fahrrad- und Fußwege getrennt geführt werden. Um
eine ästhetisch ansprechende Gestaltung zu ermöglichen,
ist eine ausgewogene Mischung von technisch bebauten
und naturbelassenen Bereichen (sog. »land use mix«) hilf -
reich (Hornberg und Pauli, 2014).
Besonders Erfolg versprechend sind Planungen zur Entwick-
lung von Stadtnatur, wenn die Bewohnerinnen und Bewoh-
ner der jeweiligen Quartiere frühzeitig einbezogen werden
(Böhme et al., 2012). Interdisziplinäre Kooperationen und Stra-
tegien sowie gesundheitsförderliche Grün-Raum-Netzwerke
sind unter Berücksichtigung des Setting-Ansatzes (als eine
mögliche Strategie in der Umsetzung der Gesundheitsför-
derung, die an den alltäglichen Lebenswelten der Menschen
ansetzt und es ermöglicht, Individuum und umweltbezo-
gene Maßnahmen miteinander zu verbinden) erforderlich,
um gesundheitsförderliche Potenziale für die unterschied-
lichen Bevölkerungsgruppen in den jeweiligen Quartieren
zu erschließen. In diesem Zusammenhang ist die Strategie
einer »gesundheitsförderlichen Stadtentwicklung« richtungs-
weisend, die durch die sogenannten gesunden Städte in der
Europäischen Region der WHO verbindlich wurde.
Zusammenfassend birgt die frühzeitige Berücksichtigung ge-
sundheitlicher Belange in Planungsverfahren die Möglichkeit,
im Schulterschluss mit anderen Akteurinnen und Akteuren
die Quantität und Qualität städtischer Grünräume zu erhal-
ten und zu verbessern.
gesundheitsförderlicher Lebenswelten und folglich für die
Förderung gesünderer Lebensweisen gegeben.
Die wohnungsnahe Verfügbarkeit und eine direkte barriere-
freie Zugänglichkeit von Stadtgrün sind wichtige Eckpunkte
einer gesundheitsförderlichen Planung von Grün- und Frei-
räumen. Zudem sind alters-, geschlechter- und gruppendiffe-
renzierte Bedürfnisse und Bedarfe sowie sozioökonomisch
bedingte Verteilungsunterschiede (Zugänglichkeit, Erreich-
barkeit, Aneignungsmöglichkeit) und die daraus resultieren-
den gesundheitlichen Ungleichheiten stärker in den Blick zu
nehmen (Bowler et al., 2010a; Bowler et al., 2010b; de Vries
et al. 2011; Hornberg und Pauli, 2014; Mitchell und Popham,
2008). Darüber hinaus sind die für den anglo-amerikanischen
Raum definierten Qualitätskriterien wie Ästhetik, Funktio-
nalität, Sicherheit und Zugang (Pikora et al., 2003) durch er-
gänzende Kriterien zu erweitern. Sie leisten einen Beitrag
dazu, Stadtnatur hinsichtlich der Funktionalität als Sozial-
und Gesundheitsressource zu optimieren, da die Diversität
der potenziellen Nutzer unterschiedliche Ansprüche an Grün-
räume als Orte für soziale Begegnungen und Interaktionen
stellt. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels
sind bspw. Sicherheitsaspekte zentrale Qualitätskriterien.
Hier gilt es, Angsträume zu vermeiden und auch in den Däm-
merungs- und Nachtzeiten ausreichende Beleuchtung und
Überschaubarkeit im öffentlichen Raum sowie einen barri-
erefreien Zugang zu gewährleisten. Zielgruppenspezifische
Angebote (z. B. für Menschen mit Migrationsgeschichte,
Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Frauen, Men-
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STADTNATUR FÖRDERT SoZIA LEN ZUSAMMENHALT 127
STADTNATUR FÖRDERT
SOZIALEN ZUSAMMENHALT
5
geändertes Arbeits-, Freizeit- und Mobilitätsverhalten
demografischer Wandel
Klimawandel
Ausweitung gesellschaftlicher Risiken
Beim Übergang von der Industriegesellschaft zur Dienstleis-
tungsgesellschaft vollzieht sich ein grundlegender Wandel
der Funktionen, Bedeutungen und der Nutzung städtischer
Freiräume. Insbesondere neue Lebensstilgruppen haben sich
städtisches Grün als Bühne der Selbstdarstellung, als Ku-
lisse für Aktivitäten und als Orte sozialer Inszenierung er-
schlossen. Dabei ist auch ein grundsätzlicher Wandel in Be-
zug auf die lange Zeit gültigen Regeln im Freiraumverhalten
in Gang gekommen. Die in klassischen Grünflächen und Parks
angelegten sozialen Anordnungen und Standards entfal-
ten immer weniger verhaltensregulierende Kraft, insbeson-
dere neue Lebensstilgruppen sind immer weniger bereit, sich
entsprechend der tradierten Regeln auf Grünflächen zu ver-
halten (vgl. Tessin, 2011, S. 34). Statt wie gewohnt auf den
angelegten Wegen im Park spazieren zu gehen, möchten
diese lieber auf den Wiesen Sport treiben, spielen, Gemüse
anbauen oder Parties feiern. In der Literatur wird diesbezüg-
lich auch von einer »Demokratisierung des Stadtgrüns« ge-
sprochen (Tessin, 2011, S. 137) bzw. eine »Zersplitterung der
5.1 STADTNATUR UND GESELLSCHAFTLICHER
WANDEL
Dieses Kapitel behandelt zeitgenössische, und dabei v. a. die
gewandelten Formen der Interaktion von Mensch und Stadt-
natur. Im Fokus steht die Bedeutung von Stadtnatur als So-
zialraum (zur Definition von Stadtnatur siehe Kapitel 1.2, zur
Ambivalenz einer ökonomisierenden Betrachtung der Natur
siehe Kapitel 2.2 sowie Unmüßig, 2014). Die moderne Gesell-
schaft ist nur verstehbar vor dem Hintergrund eines bestän-
digen und zudem in den vergangenen Jahren hochgradig be-
schleunigten gesellschaftlichen Wandels. Deshalb geht es
hier schwerpunktmäßig um die gewandelten Formen der Ge-
staltung und Nutzung von Stadtnatur im Lichte erheblicher
gesellschaftlicher Veränderungen, die hier nur in wenigen
Stichworten genannt werden können. Dies sind:
Zuwanderung
Pluralisierung von Haushaltsformen und Lebensstilen
neue Formen der Demokratisierung
Individualisierung
Informalisierung
Erlebnis- und Unterhaltungsorientierung
KERNAUSSAGEN
Urbane Grünräume bieten zentrale Beiträge zur Umweltgerechtigkeit, weil sie Naturzugang für alle schaffen, Teilhabe
ermöglichen und als Begegnungsstätten für Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen fungieren.
Stadtgrün trägt zu einer produktiven Raumgestaltung in schrumpfenden Städten bei.
Städtische Grünräume sind wichtige Orte für die Suche nach Ruhe, Licht, Abkühlung und guter Luft.
Stadtnatur ermöglicht Naturerfahrung und -erlebnisse und trägt damit zur Sensibilisierung der Menschen für Natur bei.
Urbane Grünräume fungieren als Experimentierräume für Fragen nach dem »guten Leben« mit weniger Ressourcenverbrauch
und damit auch als Aushandlungsorte für umweltethisches Handeln.
Stadtgrün, z. B. in Form von Parks, ist Treffpunkt für Spiele, Sport und Bewegung und schafft damit für die Bewohner innen
und Bewohner Identifikation mit ihrer Stadt bzw. ihren Wohnquartieren.
Bei der Auswahl und Gestaltung von Grünanlagen in städtischen Gebieten ist auf gerechten Zugang für einen möglichst
breiten Bevölkerungskreis zu achten.
KOORDINIERENDE AUTORIN
CHRISTA MÜLLER
WEITERE AUTORINNEN UND AUTOREN
HEIKE BRÜCKNER, KRISTINA DIETRICH, ROBERT SPRETER,
KATHARINA RAUPACH, DIETER RINK, ALEXANDRA WEISS, PETER WERNER
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
MARTINA ARTMANN, JAN BARKMANN, MARTINA EICK, SONJA GÄRTNER,
RIEKE HANSEN, STEFAN KÖRNER, CHRISTIAN LÖWE, JANA RÜCKERT-JOHN,
ELISABETH SCHWAIGER SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN
UND GUTACHTER
5.1 Stadtnatur und gesellschaftlicher Wandel 127
5.2 Urban Gardening: Experimentierräume für postmaterielle
Wohlstandsmodelle 128
5.3 Inklusion durch Austausch: der Beitrag von interkulturellen Gärten 132
5.4 Soziale Leistungen der Kleingärten für die Lebensqualität
in der Stadt 134
5.5 Grünräume im Wohnumfeld: Fördern und Profitieren 136
5.6 Zur sozialen Bedeutung wohnortnaher Grünräume 139
5.7 Brachflächen als neue Gelegenheiten der Freiraumnutzung 140
5.8 In-Kulturnahme nach Rückbau: Bedeutung von urbanem
Grün für schrumpfende Städte 140
5.9 Wassernahe Flächen: Orte der Erholung 141
Literatur 143
128 STADTNATUR FÖRDERT SoZIALEN ZUSAMMENHA LT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 129
einzubeziehen und (3) sich von den neuen Nutzungsformen
anregen zu lassen.
Die Erfassung der soziokulturellen Leistungen urbanen Grüns
erfolgt in diesem Kapitel vornehmlich qualitativ. Ökosystem-
leistungen im sozialen Raum sind schwer messbar, denn an
der Schnittstelle von Kultur und Natur ist es äußerst schwie-
rig, zu quantifizieren: Stets wäre man gezwungen, komplexe
Zusammenhänge zu reduzieren. Nicht zuletzt, weil das Sozi-
ale uneindeutig und im steten Wandel begriffen ist, ist die
Beschreibung des Beobachteten und seine Verortung in ge-
sellschaftlichen Transformationsprozessen einer Quantifi
-
zierung vorzuziehen (zu den unterschiedlichen Ansätzen zur
Erfassung und Bewertung urbaner Ökosystemleistungen
siehe Kapitel 2.2).
5.2 URBAN GARDENING:
EXPERIMENTIERRÄUME FÜR
POSTMATERIELLE WOHLSTANDSMODELLE
Eine der augenscheinlichsten Verknüpfungen von Stadt natur
und Sozialem findet sich in den neuen urbanen Gemein
-
schaftsgärten. Es wäre eine Fehleinschätzung, wollte man
die »Früchte« des gemeinschaftlichen Gärtnerns in der Stadt
nur auf Gemüse reduzieren. Auch wenn das gesellschaft liche
Themenfeld »gesunde Ernährung und Bewegung« in allen
Nutzgärten eine Rolle spielt: Letztlich geht es in vielen die-
ser Gärten darum, innovative und eigenständige Beiträge für
eine nachhaltige Umgestaltung der westlichen Industrie-
gesellschaften und für eine ökologische und inklusive Stadt-
gesellschaft zu leisten. Dies bedeutet zugleich: Viele nach
ihren Motivationen befragte Akteure gaben an, zu einem
»guten Leben« auf der Grundlage eines erheblich geringeren
Verbrauchs von Ressourcen beitragen zu wollen – und dies
auf pragmatische und auffallend unideologische Art und
Weise (Müller, 2011).
Viele der urbanen Gemeinschaftsgärten des sich seit 2009
verbreitenden neuen Typs (siehe Infobox 5 – 1) sind aus ge-
brauchten und umgedeuteten Materialien wie Europaletten,
Containern oder wiederverwendeten Planen aufgebaut und
haben in der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits zahlreiche
Anregungen im Kontext einer nachhaltigen Umgestaltung
urbaner Räume gegeben: Mehr als 500 im Netzwerk urbaner
Gärten gelistete Projekte (Anstiftung, 2016a) kooperieren mit
lokalen Behörden bei der Gestaltung von inner städtischen
Grünräumen, bieten Freiräume für Menschen unterschiedli-
cher Herkünfte sowie Gelegenheit für Teilen, Tauschen und
handwerkliches Tun und ermöglichen der städtischen Bevöl-
kerung Naturbegegnung und Umwelt bildung.
Freiraumbedürfnisse« diagnostiziert, in der sich die zuneh-
mende Pluralisierung der Gesellschaft abbilde (Nohl, 1998,
S. 13). Frei- und Grünflächen sind Bestandteil der »Freizeit-
infrastruktur« der Städte geworden, sie fungieren als »andere
Erlebniswelten« (Kaspar, 2012, S. 261 ff.) und sind ein Faktor
für die Lebens qualität der Städte als Ganzes sowie in ihren
unterschiedlichen (Stadt-)Teilen.
Das Leben auf öffentlichen Plätzen und Straßen sowie auf
den Freiflächen hat sich auch in Deutschland innerhalb der
vergangenen beiden Dekaden über die traditionelle »Frei-
luftsaison« hinaus auf beinahe das ganze Jahr ausgedehnt
(Petrow, 2011, S. 812). Im Zusammenhang damit lässt sich eine
Verlagerung von Freizeitaktivitäten »nach draußen« – insbe-
sondere auch in städtische Freiräume – beobachten, in erster
Linie bei jungen Menschen in Metropolen und Großstädten
(Kirchhoff et al., 2012; Springer und Dören, 2016). Städtische
Grünflächen werden durch gruppenbezogene bzw. Gemein-
schaftsaktivitäten zum »öffentlichen Wohnzimmer« bzw.
»Partyraum im Grünen«. Damit sind sowohl Chancen als auch
Risiken verbunden: Möglichkeiten der stärkeren Einbezie-
hung der (neuen) Nutzerinnen und Nutzer in Gestaltung und
Pflege der urbanen Grünflächen versus zunehmender Nut-
zungsdruck und (neue) Nutzungskonflikte auf diesen Flächen.
Der parallel bzw. in Verbindung damit stattfindende Struk-
turwandel der Städte, die »Renaissance der Städte«, bietet
zugleich auch mehr Gelegenheiten und Entfaltungsmöglich-
keiten, denn der Übergang zur postindustriellen Stadt hat mit
den Konversionsprozessen von Industrie, Militär, Transport
und Gewerbe viele Flächen freigegeben (Petrow, 2011. S. 812).
Die Städte sind sich der Bedeutung von Frei- und Grünflächen
für eine Aufwertung von Stadtteilen, für die Erhaltung bzw.
Steigerung der Lebensqualität und für eine Verbesserung
der Standortqualität durchaus bewusst. Sie versuchen, dem
durch Anlage und Gestaltung neuer, attraktiver öffentlicher
Freiflächen Rechnung zu tragen. Dabei sind die Bedingun-
gen und Voraussetzungen in den Städten dafür sehr unter-
schiedlich: Während in schrumpfenden Städten z. T. zahl-
reichen neuen Frei- und Grünflächen kaum Nachfrage bzw.
(neue) Nutzungen gegenüberstehen, sehen sich wachsende
Städte mit zunehmendem Nutzungsdruck und konkurrieren-
den Flächen ansprüchen konfrontiert. In beiden Fällen werden
neue Lösungen gebraucht: neue Gestaltungen und Anordnun-
gen, neue Regulierungen und Nutzungsformen. Die Heraus-
forderung für eine nachhaltige Entwicklung besteht darin,
(1) die unterschiedlichen Ökosystemleistungen von Stadt-
natur zu erhalten bzw. zu entwickeln, (2) neue Akteursgrup-
pen in die Planung und Gestaltung zukunftsfähiger Städte
INFOBOX 5 – 1
Gemeinschaftlich gärtnern und »Essbare Stadt«
Die Idee der »Essbaren Stadt« findet zunehmend Verbreitung
und hat sich bereits in unterschiedlichen Städten etabliert. Sie
ist im Vergleich zu Gemeinschaftsgärten keine Bottom-up-,
sondern eine Top-down-Initiative, die erstmals von der Stadt-
verwaltung Andernach umgesetzt wurde (vgl. Kapitel 7.1). In
»Essbaren Städten« pflanzen die Gartenbauämter essbare
Pflanzen statt Zierpflanzen und fordern die Bewohnerinnen
und Bewohner zum Ernten auf: »Pflücken erlaubt« statt »Be-
treten verboten« heißt die Devise.
Was urbane Gemeinschaftsgärten zudem ermöglichen und
bieten:
qualitative Aufwertung von grünflächen- und begegnungs -
armen Quartieren
Bienenhaltung, Imkern, Hühnerhaltung, Selberbauen
offene Werkstatt unter freiem Himmel
Wertschätzung für die bäuerliche Landwirtschaft
Identifikation mit dem Quartier
Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung und Entwicklung
Lebensmittel-Eigenanbau, häufig orientiert am ökologischen
Anbau, und Sensibilisierung für gesunde Ernährung (vgl.
Kapitel 7.1)
freien und kostenlosen Zugang für alle (keine Eintrittsgelder)
Ort der Begegnung von Menschen unterschiedlicher Kulturen
und Milieus auf Augenhöhe
öffentliche Orte der Debatte über Stadtplanung und nach -
haltige Stadtentwicklung
Aushandlungsorte für umweltethisches Handeln im Sinne
einer Sensibilisierung für Lebensräume und für Lebensbe -
dingungen von Pflanzen und Tieren
informelle Möglichkeit zum Selbermachen ohne Vereins-
zugehörigkeit
Nachdem die Städte in der Nachkriegszeit »autogerecht« um-
gebaut waren, nahmen die Anbauflächen für Selbstversor-
gung nicht nur dort, sondern auch im ländlichen Raum kon-
tinuierlich ab (Müller, 1998). Landwirtschaft für die Region
oder gar für den eigenen Bedarf galt seit der Industrialisierung
der Landwirtschaft allenfalls als Überbleibsel überwunden
geglaubter Zeiten. Die subventionierten Produkte aus den
Discountern waren billig und entwerteten die Subsistenzar-
beit. Es »lohnte sich nicht mehr« im Garten zu arbeiten (ebd.).
Wenn heute mit kleinbäuerlichen Wirtschaftsweisen und
Alltagslogiken (Kreislaufwirtschaft, keine Orientierung am
Wachstum, gemeinschaftliche Ausrichtung) ausgerechnet in
den hippen Vierteln der Großstädte experimentiert wird (s. Info -
box 5 – 2), gibt dies Einblicke in unerwartete gesellschaftliche
Transformationsprozesse.
Die neuen urbanen Gärten wie Kiezgärten, Frauengärten,
Nachbarschaftsgärten, Gemeinschaftsdachgärten, Guerilla-
oder Generationengärten (vgl. Müller, 2011, S. 31 ff.) sind Orte,
die zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung »von unten«
(Bottom-up-Ansatz) ebenso beitragen (vgl. Abbildung 5 – 2)
wie zu einem Wissenstransfer unterschiedlichster urbaner
Akteure. Viele Projekte verstehen sich als Bildungsorte (vgl.
Halder et al., 2014). Zu allen Jahreszeiten finden Seminare
und Workshops statt zu Themen wie z. B.: Selbstver sorgung,
gesunde Ernährung, wesensgemäße Bienen- und Hühner-
haltung, Bodenbelebung, Pflanzenvermehrung, Anbau al-
ter Sorten und neue Anforderungen an einen städtischen
Naturschutz angesichts der wachsenden Zahl an Wildtieren
wie Füchsen in der Stadt.
Nicht zuletzt ältere Menschen und Menschen mit Migrations-
hintergrund sehen Pflanzen wachsen, die sie noch aus ihrer
Kindheit kennen und schaffen es so, eine Brücke zwischen
Herkunftsland und Ankunftsgesellschaft zu bauen. In vielen
Fällen wird die Nachbarschaft belebt: Häufig entstehen
um die Gärten herum Netzwerke der Kollaboration und
des Tauschens und Teilens. Die Menschen helfen sich nicht
nur beim Gärtnern, sondern vielleicht auch bei der Kinder-
betreuung.
130 STADTNATUR FÖRDERT SoZIALEN ZUSAMMENH ALT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 131
INFOBOX 5 – 2
Kampagne »Wachsen lassen«: Neubewertung öffentlicher Flächen für Stadtgrün im Stadtgebiet
Seit 2009 instruieren die weit über die deutschen Grenzen
hinaus bekannten Berliner Prinzessinnengärten auf einer
6.000 m2 großen Brachfläche am Berliner Moritzplatz ein
neues Bild von Urbanität (siehe Abbildung 5 – 1). Als im Som-
mer 2012 die Zukunft des Projekts aufgrund eines drohenden
Verkaufs der Fläche durch die Stadt plötzlich ungewiss war,
riefen die Gründer die Kampagne »Wachsen lassen!« ins Le-
ben. In kurzer Zeit kamen mehr als 30.000 Unterschriften aus
Kreuzberg, Berlin und der ganzen Welt zusammen, die dem
Garten eine neue Zukunft eröffneten. Der Berliner Senat und
das Abgeordnetenhaus erkannten die »Pilotfunktionen« des
Gartens an und stimmten einer Rückübertragung der Fläche
am Moritzplatz vom Berliner Liegenschaftsfonds an den Be -
zirk Friedrichshain-Kreuzberg zu. Dieses Umschwenken in
der Bewertung einer Fläche könnte Vorbildcharakter haben,
denn vor dem Hintergrund einer stadtweiten Diskussion über
den sonst üblichen Verkauf öffentlicher Grundstücke an den
Meistbietenden ging es den Initiatoren hier nicht allein um die
Sicherung ihres Gartens, sondern um die Ausweitung der städ-
tischen Freiräume für soziales und ökologisches Engagement.
ABBILDUNG 5 – 1 Vorher-Nachher-Aufnahmen. Links: Vermüllte Brache am Kreuzberger Moritzplatz. Rechts: Prinzessinnengarten
an gleicher Stelle. (Fotos: Marco Clausen)
Viele Gärten schließen Nutzungsvereinbarungen und Pacht-
verträge mit den Flächeneignern (in der überwiegenden
Zahl der Fälle sind dies Stadtverwaltungen) – häufig wer-
den jedoch nur Zwischennutzungen angeboten. Die vom
BMUB 2015 veröffentlichte Studie »Gemeinschaftsgärten
im Quartier. Handlungsleitfaden für Kommunen« emp-
fiehlt, Gemeinschaftsgärten integriert zu planen: »Da viele
der Gärten in Bottom-up-Prozessen entstehen, können von
kommunaler Seite häufig vor allem unterstützende Impulse,
Hilfestellungen und erleichternde Rahmenbedingungen bei-
getragen werden.« (BBMUB, 2015, S. 32).
Unterstützung von kommunaler Seite erleichtert das Engage-
ment der urbanen Aktivistinnen und Aktivisten beträchtlich.
Eine Initiative von verschiedenen Gemeinschaftsgärten und
der Forschungsgesellschaft anstiftung rief 2014 das Urban-
Gardening-Manifest »Die Stadt ist unser Garten« ins Leben,
das nach kurzer Zeit bereits von mehr als 150 Gartenprojekten
INFOBOX 5 – 3
Die Stadt ist unser Garten: Ein Manifest
»In vielen Städten entstehen seit einigen Jahren neue, gemein-
schaftliche Gartenformen. Diese urbanen Gemeinschaftsgär-
ten sind Experimentierräume für ein gutes Leben in der Stadt.
Gemeinsam verwandeln wir Stadtgärtner*innen Brachflächen
in Or te der Begegnung, gewinnen eigenes Saatgut, halten Bie -
nen zwischen und auf Hochhäusern, experimentieren mit ver-
schiedenen Formen der Kompostierung und üben uns darin,
das geerntete Gemüse haltbar zu machen.
Urbane Gemeinschaftsgärten sind:
Gemeingüter, die der zunehmenden Privatisierung und
Kommerzialisierung des öffentlichen Raums entgegenwirken.
Orte der kulturellen, sozialen und generationenübergreifen-
den Vielfalt und des nachbarschaftlichen Miteinanders.
Räume der Naturerfahrung, der Biodiversität, der Ernäh-
rungssouveränität und des Saatguterhalts.
Freiräume, die gemeinsam gestaltet, erhalten und gepflegt
werden und damit Orte, die Teilhabe ermöglichen. In ihnen
gedeiht eine kooperative Stadtgesellschaft.
Experimentierräume: Dort erfinden und gestalten wir, ver-
wenden wieder, reparieren und nutzen um.
Ökologische Alternativen für versiegelte Flächen, Brachen
und Abstandsgrün.
Brücken zwischen Stadt und bäuerlicher Landwirtschaft.
Gemeinschaftsgärten sensibilisieren für hochwertige Le bens -
mittel und für eine Landwirtschaft, die die Grenze und
den Eigenwert der Natur, globale Gerechtigkeit und faire
Pro duktionsbedingungen respektier t.
Orte der Umweltbildung, des gemeinsamen Lernens, des
Tauschens und Teilens.
Orte der Ruhe und der geschenkten Zeit.
Ein Beitrag für ein besseres Klima in der Stadt, für mehr
Lebensqualität und für Umweltgerechtigkeit.
Eine gelebte Alternative zu Vereinsamung sowie zu Gewalt
und Anonymität.
Summa summarum: Urbane Gärten sind Teil einer lebenswer-
ten, lebendigen und zukunftsfähigen Stadt. Ihre Bedeutung
wächst und ihre Zahl steigt kontinuierlich an. Gleichwohl ist
ihr rechtlicher Status nach wie vor prekär und ihr Fortbestand
häufig nicht gesichert. In vielen Kommunen zählt lediglich der
monetäre Wert der Fläche, nicht aber deren Bedeutung für
den Stadtraum und die Stadtgesellschaft.
Wir fordern Politik und Stadtplanung auf, die Bedeutung von
Gemeinschaftsgärten anzuerkennen, ihre Position zu stärken,
sie ins Bau- und Planungsrecht zu integrieren und einen Para-
digmenwechsel hin zu einer »gartengerechten« Stadt einzu-
leiten. So wie in der »autogerechten« Stadt alle das Recht auf
einen Parkplatz hatten, sollte in der gartengerechten Stadt al-
len ein fußläufiger Zugang zur Stadtnatur garantiert werden.«
(gekürzte Version des Urban-Gardening-Manifests von 2014,
Vollversion unter www.urbangardeningmanifest.de/)
ABBILDUNG 5 – 2 Wiederverwertung von Materialien in urbanen Gärten. (Foto : Inga Kerber; aus Baier et al., 2013)
132 STADTNATUR FÖRDERT SoZIALEN ZUSAMMENH ALT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 133
Interkulturelle Gärten sind besonders geeignete Räume für
die »Produktion« sozialer Anerkennung: Sie setzen nicht bei
den Defiziten, sondern bei den Kompetenzen der Beteilig-
ten an. Niemand kommt als unbeschriebenes Blatt in dieses
Land, alle bringen etwas mit – bspw. wertvolles lokales Wis-
sen, sei es in Sachen Bodenbearbeitung oder Lebensmittel-
zubereitung, sei es in kulturell adaptierten Formen der Kon-
fliktbewältigung oder auch in Form eines unentdeckten
Organisationstalents.
Dieses Wissen kann in einem Gemeinschaftsgarten erinnert,
neu verknüpft und im Sinnkontext der Einwanderungsgesell-
schaft mit deren relevanten Themenfeldern (z. B. Stadtöko-
logie) zum Einsatz kommen. Damit kann ein Lernfeld ent-
stehen, das über das Ernten von Gartenfrüchten oder die
Bearbeitung des Bodens weit hinausgeht. Interkulturelle Gär-
ten werden schnell zu produktiven Räumen im Stadtteil. Da
sie in der Regel nicht von unüberwindlichen Zugangssperren
umgeben sind, verlaufen die Übergänge von der Parzelle ins
Stadtviertel fließend. In vielen Gärten werden die Quartiere
entweder von Anfang an bewusst in den Aufbau des Gartens
einbezogen oder nach und nach erschlossen.
Sowohl der Garten als auch die Nachbarschaften können
voneinander profitieren, wenn der Austausch auf räumlicher
und institutioneller Ebene dazu führt, dass die Gärtnerinnen
und Gärtner mit und ohne Zuwanderungsgeschichte ihr Vier-
tel mit neuen Augen sehen – nämlich mit den Augen derje-
nigen, die mitgestalten (siehe Abbildung 5 – 4). Insofern ver-
ändern sich nicht nur die eigenen Parzellen, die umgegraben
und immer wieder neu bepflanzt werden, auch das Stadt-
viertel selbst verändert sich in der Wahrnehmung der Zuge-
wanderten. Hat etwa eine Gärtnerin erfolgreich an den Ver-
handlungen um einen Wasseranschluss teilgenommen, ein
Stadtteilfest mitorganisiert, Gäste bewirtet und diese durch
den Garten geführt, wird die nähere und weitere Umgebung
zum Beziehungsgeflecht und das Wiedererkennen der Stadt-
teilbewohner ermöglicht: Man trifft sich auf der Straße, man
grüßt sich, man wechselt ein paar Worte. Menschen, die wo-
möglich lange Zeit im engen Kosmos ethnischer Bezüge, in
Flüchtlingsunterkünften oder auch in der Isolation der Er-
werbslosigkeit verbracht haben, erlangen plötzlich im Vier-
tel Profil. Davon profitieren nicht nur die Einzelnen, sondern
auch das Ganze, denn die lebendige Stadtgesellschaft ist auf
produktive Beiträge aus allen Milieus angewiesen.
unterzeichnet wurde (siehe Infobox 5 – 3). Es verweist auf die
Bedeutung von Gemeinschaftsgärten für die Stadtgesell-
schaft und die Stadtökologie.
ABBILDUNG 5 – 3 Nachbarschaf tsgärten ZAK Neuperlach (Zusammen aktiv in Neuperlach, Verein für Gemeinwesenarbeit),
München. (Foto: Konrad Bucher)
5.3 INKLUSION DURCH AUSTAUSCH: DER
BEITRAG VON INTERKULTURELLEN GÄRTEN
Mit Interkulturellen Gärten entstand Mitte der 1990er Jahre
aus den migrantischen Lebenswelten heraus eine frühe Form
des Gemeinschaftsgärtnerns und ein höchst fruchtbarer
Ansatz, um auf gesellschaftliche Tendenzen zur Ausgrenzung
sozial produktiv und kreativ zu antworten (Müller, 2002). In-
terkulturelle Gärten gibt es heute in vielen Städten Deutsch-
lands und in anderen europäischen Ländern (vgl. Infobox 5 – 4
und Abbildung 5 – 3). In einem Interkulturellen Garten ver-
handeln Akteure aus vielen Herkunftsländern ihre Wirklich-
keit mit anderen täglich neu – das, was an geteilter Wirklich-
keit entsteht, muss erst einmal hergestellt werden. Dafür ist
das gemeinsame Gärtnern eine gute Basis. Aus der lebendi-
gen – und keineswegs immer konfliktfreien – Praxis ergeben
sich für viele weitere Schritte in die Mehrheitsgesellschaft.
Viele Migrantinnen und Migranten kommen aus großen
Städten, sie bringen im Vergleich zu denjenigen aus länd -
lichen Regionen eher wenige Erfahrungen in Gartenwirt-
schaft und Handwerk mit. So verkehrt sich manchmal das
Verhältnis zwischen einem Analphabeten und einer städti-
schen Akademikerin. Der Austausch vervielfältigt das vor-
handene Wissen. Ein Interkultureller Garten zeigt Auswege
aus dem »Ghetto des Andersseins« auf. Nach und nach kann
hier auch bürgerschaftliches Engagement von Zugewander-
ten Raum greifen.
INFOBOX 5 – 4
Interkulturelle Gärten
Die ersten Interkulturellen Gärten entstanden in den 1990er
Jahren während des Jugoslawienkriegs in Göttingen auf Ini-
tiative von bosnischen Flüchtlingsfrauen. Das Konzept ist bis
heute geblieben: Menschen mit und ohne Zuwanderungs-
geschichte und mit unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeit
bauen Kräuter, Obst und Gemüse an. Beim Tausch von Rezep-
ten und Saatgut, beim Abendessen aus dem selbstgebauten
Lehmofen und beim Verschenken von Ernteüberschüssen
geht es immer auch darum, Differenzen und Gemeinsam-
keiten auszudrücken, zu deuten und wertzuschätzen. Hier
stößt das aus den Herkunftsländern mitgebrachte Wissen
über Heilkräuteranbau, über Saatgutvermehrung oder über
die Zubereitung von Wildgemüse auf neue Resonanz und
kann z. B. für lokale Nachhaltigkeitsinitiativen fruchtbar ge-
macht werden.
Heute gibt es mehr als 200 Interkulturelle Gärten in Deutsch-
land – und die Formen haben sich ausdifferenziert: Nachdem
in den Anfangsjahren grundsätzlich individuelle Beete verge-
ben wurden, wird heute auch in Interkulturellen Gärten häu-
fig in Gemeinschaftsbeeten angebaut. Auch gründen zuneh-
mend jüngere Personen interkulturelle Gartenprojekte, um
mit Flüchtlingen und Migranten und Migrantinnen Kontak t
aufzunehmen. Sie gehen davon aus, dass die Aneignung des
öffentlichen Raums durch Migrantinnen und Migranten eine
nicht zu unterschätzende Praxis für eine urbane Kultur der
Gastfreundschaft ist (siehe auch Anstiftung, 2016b).
ABBILDUNG 5 – 4 Internationaler Stadtteilgarten in Hannover: ein Raum für Austausch und Mitgestaltung. (Foto: Cornelia Suhan)
134 STADTNATUR FÖRDERT SoZIA LEN ZUSAMMENHALT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 135
5
100
80
60
40
20
0
Ruhe
genießen
%
Erholung/
Stressabbau Obst und
Gemüse
anbauen
Zier-
gewächse
pflanzen
Freunde
treffen grillen/
feiern mit Kindern/
Enkeln
spielen
Teich/
Feuchtbiotop
anlegen
gelegentlich
übernachten Gewächs-
haus nutzen
95,3 93,3 92,2
83,5 81,2
75,7
59,2
33,7 26,3 23,9
BMVBS (2008) weist in einer Studie zudem darauf hin, dass
»jüngere (…) Kleingärtner den biologischen Anbau von Obst
und Gemüse häufiger als die langjährigen und in der Regel äl-
teren Pächter« (ebd., 4) betreiben und dadurch den Umgang
mit eingeschliffenen Gewohnheiten verändern.
Zunehmend hegen junge Familien den Wunsch nach ei-
nem Kleingarten in City- und Wohnungsnähe statt eines
Einfami lienhauses mit Gartenabschnitt am Stadtrand. Es
interes sierten sich neben Singles verstärkt Migrantinnen
und Migranten für die Erholung und den Anbau von Obst
und Gemüse auf der »eigenen« Kleingartenparzelle. Deutsch-
landweit gärtnern inzwischen etwa 300.000 Vereinsmit-
glieder mit Migrationshintergrund, Tendenz steigend (vgl.
BDG, 2006). Die Kleingärten eröffnen aufgrund ihres stabilen
Sozialgefüges die Räume für Maßnahmen zur Förderung
bürgerschaftlichen Engagements und zur Integration von
Migranten. Innerhalb der Vereine findet damit zugleich ein
wichtiger Prozess der gegenseitigen kulturellen Bereicherung
statt. Für die Zugewanderten liegt im verbindenden Gärt-
nern zugleich die Chance auf eine Neuverwurzelung in ihrer
Wahlheimat. Und Kleingärten haben ein großes Potenzial zur
Integration von Menschen. Hierbei ist die »starke Gemein-
schaftsorientierung im Kleingartenwesen« (BMVBS, 2008,
S. 5) bedeutsam, die dazu führt, dass über das Thema Gärt -
nern verschiedenste Bevölkerungsgruppen und -schichten
miteinander in Kontakt und in Austausch kommen.
Im Folgenden wird daher vorrangig auf die vielfältigen
kulturellen und sozialen Ökosystemleistungen der Klein-
gärten fokussiert. Infobox 5 – 5 veranschaulicht die Situation
in Deutschland in Zahlen.
Wer gärtnert in Kleingärten und warum?
Kleingärtner sind nicht gleich »Stadtgärtner«. Ein Grund hier-
für liegt im unterschiedlichen Regelungs-Charakter der
Gärten: So existiert für Kleingärten bspw. die Pflicht zur ent-
geltlichen Anpachtung einer Parzelle oder deren offiziellem
5.4 SOZIALE LEISTUNGEN DER KLEINGÄRTEN
FÜR DIE LEBENSQUALITÄT IN DER STADT
Deutschland ist das Land und die Wiege der Kleingärtner:
»Rund fünf Millionen Menschen sind in Deutschland in Klein-
gärten aktiv, haben darüber Zugang zur Natur und sind so-
zial in den Vereinen eingebunden« (BMVBS, 2012). Häufig tei-
len sich zwei Generationen einen Garten, sodass oftmals nur
ein oder zwei Pächter im Verein ver treten sind, aber wesent-
lich mehr Personen die einzelne Parzelle nutzen. Viele Klein-
gär tnerinnen und Kleingärtner betreuen ihren Garten ein bis
mehrmals pro Woche oder gar täglich. Kleingärten erfüllen
neben vielen weiteren unschätzbaren Funktionen für den
Stadtraum auch wichtige soziale Leistungen. Doch: Was sind
Kleingärten, wofür stehen sie? Definitionen finden sich im
Gesetz und in der Literatur. So definiert Rosol (2006) bspw.
Kleingärten als Parzellen innerhalb einer Kleingartenanlage,
für die eine eigenständige Kleingartenordnung als Regel-
werk zur Gestaltung und Bewirtschaftung existiert, wobei
dieses individuell gestaltbar und die Parzellen mit einem
privaten Verfügungsrecht ausgestattet sind.
Weitere Charakteristika einer Kleingartenanlage sind bspw.
eigens angelegte Zuwegungen und »Spielplätze, Vereinsgast-
stätten und Aufenthaltsbereiche, die im Gegensatz zur Par-
zelle zum Gemeinbedarf zählen« (ebd., S. 36). Entsprechend
gelten Kleingartenanlagen im Freiraumkategoriensystem der
Stadt- und Landschaftsplanung als »halböffentliche Grün-
flächen« (Meyer-Rebentisch, 2013, S. 135).
Kleingärten weisen zumindest regional einige Flächen-
relevanz auf, welche insbesondere vor dem Hintergrund von
Flächenkonkurrenzen mit anderen Nutzungen und als fester
Bestandteil von städtischen Grünsystemen zunehmend an
Bedeutung gewinnt. Kleingärten erfüllen vielfältige Funkti-
onen, die sich positiv auf die menschliche Gesundheit und
die Lebensqualität auswirken. Die soziale Bedeutung des
Kleingartenwesens hat sich neben der ökologischen und
wirtschaftlichen Komponente in der Vergangenheit deut-
lich bewiesen. Exemplarisch dazu Balder (2009, S. 9): Gerade
die »Vielfalt an kultivierten Pflanzen sowie ihr meist vita-
ler und gesunder Zustand bewirken, dass [Kleingärten] we-
sentlich zur Verbesserung der Lebensqualität urbaner Zent-
ren beitragen«. Ganz ähnlich sieht dies auch Lüdtke (2008),
der die positiven Effekte auf die Lebensqualität durch (ge-
meinschaftliches) Gärtnern bestätigt (ebd., S. 39 ff.). Dabei
ist der Wert der Kleingärten als Form wohnortnaher Grünflä-
chen insbesondere für die Mehrheit städtischer Familien mit
Kindern augenscheinlich, da sie zumeist in einer Mietwoh-
nung ohne eigenen Garten leben (Düsterdiek, 2013, S. 27).
An- und Verkauf. Daneben gibt es weitere, im Bundesklein-
gartengesetz (BKleinG) und den lokalen Vereinsordnungen
geregelte Rechte und Pflichten für Kleingärterinnen und
Kleingärtner. Die Mitwirkung im Kleingartenverein ist oft ein
gern gesehenes und ordnendes Element der Alltagsgestal-
tung. Allein in Sachsen hielten sich im Jahr 2004 über 50 %
der Befragten fast täglich und nahezu 45 % mehrmals in der
Woche in ihrem Kleingarten auf. Gesamtgesellschaftlich von
Bedeutung ist, dass sich in Kleingärten häufig langjährige ge-
nerationsübergreifende Gemeinschaften entwickeln. Von
1.385 in einer nordrhein-westfälischen Studie befragten Klein-
gärtnern gaben 69,9 % an, schon sechs Jahre oder länger ei-
nen Kleingarten angepachtet zu haben. Davon waren 11,6 %
sogar bereits mehr als 30 Jahre im Garten aktiv (MUNL NRW,
2009). Kleingärtnern ist somit gelebte Tradition.
Bis vor wenigen Jahren war ein relativ hoher Altersdurch-
schnitt in Kleingartensparten zu beobachten, wobei un-
terschiedliche sozio-kulturelle Gruppen in Kleingärten zu-
sammenkommen. »Mitten in der Stadt treffen Junge auf
Alte, Familien auf Singles, Professorinnen auf Handwerker«
(Friedrich und Krank, 2007, S. 118). Inzwischen ist die Über-
alterung eher regionsspezifisch bedeutsam als gesamtgesell-
schaftlich markant. Die inklusive Wirkung der Kleingärten
wird auch aus Abbildung 5 – 5 deutlich: Neben Stressabbau
und Erholung stehen das Treffen von Familie und Freunden
sowie gemeinsame Feste und Freizeit im Vordergrund. Das
INFOBOX 5 – 5
Kleingärten in Zahlen
Sie sind ein Beitrag für ein besseres Klima in der Stadt, für
mehr Lebensqualität und für Umweltgerechtigkeit.
1 Mio. Pächter sind unter dem Dach des Bundesverbandes
Deutscher Gartenfreunde e. V. (BDG, 2008; bei Mainczyk,
2010: 1,24 Mio. Pächter) organisiert.
Rund 5 Mio. Menschen, nämlich die Pächter und ihre Fami-
lie und Freunde, nutzen einen Kleingarten (BMVBS, 2012).
Rund 17 Mio. Hobbygärtnerinnen und -gärtner bewirtschaf-
ten rund 1,9 % der Bundesfläche in Haus- und Kleingärten
(BDG, 2008).
In einem der führenden Kleingartenverbände, dem Bundes-
verband Deutscher Kleingartenfreunde, waren 2008 mehr als
15.000 Kleingärtnervereine in 19 Landesverbänden auf einer
Fläche von mehr als 46.000 ha organisiert (BDG, 2008, S. 19).
Ein Beispiel: Die »Kleingarten-Stadt« Leipzig (Stadt Leipzig,
2016):
Einwohner: 523.719 (Stand: 2016);
Stadtfläche gesamt: 97,4 km2
278 Kleingartenanlagen mit über 39.000 Parzellen auf
ca. 1.240 ha Fläche
Die Kleingärten bilden somit mit rund 30 % einen bedeu-
tenden Bestandteil der grünen Lunge Leipzigs. Sie zählen
neben Parkanlagen und Waldflächen zu den wichtigsten
Naherholungsräumen.
ABBILDUNG 5 – 5 Wozu nutzen Sie Ihren Garten? Ergebnisse einer Befragung unter Kleingärtnern (Mehrfachnennungen möglich).
(Quelle: MUNL NRW, 2009)
136 STADTNATUR FÖRDERT SoZIA LEN ZUSAMMENHALT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 137
Haus- und Mietergärten sind das »grüne Wohnzimmer«,
in dem Menschen sich bei der Gestaltung und Nutzung
einbringen können.
In älteren Siedlungen sind wohnungsnahe Freiräume oft
auch Abbilder der Siedlungsgeschichte; sie zeigen, wie in
der Vergangenheit die Außenräume und Gärten gestaltet
waren und welche Beziehungen die Menschen zur Natur
hatten.
Grünräume im Wohnumfeld werden damit auch zu Image-
und Wettbewerbsfaktoren. Ihre Aufwertung kann somit
Katalysator für die städtebauliche Aufwertung und für die
Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts eines ge-
samten Stadtquartiers werden. Letzteres wird wiederum
in einem Evaluationsbericht zum Programm »Soziale Stadt«
belegt. Das Handlungsfeld Wohnumfeld inklusive der Grün-
räume ist eines von vier Handlungsfeldern, die besonders
häufig mit anderen Handlungsfeldern verknüpft sind und
somit eine Schlüsselrolle bei der Aufwertung von sozial be-
nachteiligten Stadtteilen übernehmen (NRW, 2008).
Grüne Wiese wird zum Stadtteilmittelpunkt
In Darmstadt-Kranichstein sind mit Fördermitteln des Pro-
gramms »Soziale Stadt« die Freiflächen neu gestaltet wor-
den. Zentraler Treffpunkt ist die Wiese am Brentanosee, die
zum Veranstaltungsort des jährlichen Stadtteilfests gewor-
den ist (siehe Abbildung 5 – 7). Der Name des Stadtteilfestes
»Bunte Wiese« trägt zum einen dem Zusammenleben unter-
schiedlicher sozialer Milieus im Stadtteil Rechnung und
zum anderen hebt er die Bedeutung dieser Freifläche als kul-
tureller Treffpunkt und Begegnungsort hervor.
Da durchschnittlich 17 % der deutschen Kleingartenmitglie-
der ohne Erwerbstätigkeit sind (Endlicher, 2012), ist die regel-
mäßige Arbeit im eigenen Kleingarten zugleich als sinnstif-
tendes Betätigungsfeld und preiswerte Urlaubsalternative
von hoher Bedeutung. Die Versorgung mit Obst und Gemüse
aus dem Eigenanbau steht dabei meist nicht im Vordergrund,
kann aber durchaus eine Rolle spielen (vgl. Kapitel 7.1).
5.5 GRÜNRÄUME IM WOHNUMFELD:
FÖRDERN UND PROFITIEREN
Grünräume im Wohnumfeld gelten als Außenraum einer
Siedlung oder eines Quartiers. Sie besitzen nicht nur eine
große Bedeutung für das Alltagsleben (Jirku, 2013), sie prägen
auch die allgemeine Wahrnehmung, wie »intakt« ein Quar-
tier ist. Gebiete, in denen gepflegte Grünräume vorherrschen,
werden als städtebaulich und sozial stabil eingeordnet. Da-
gegen werden Gebiete mit Grünflächen, die ungepflegt und
vernachlässigt wirken, als Quartiere mit sozialen Problemen
angesehen.
Dass diese Wahrnehmung mit der Realität korrespondiert,
zeigen bspw. die Quartiere des Städtebauförderprogramms
»Soziale Stadt«. In dieses Programm werden Quartiere auf-
genommen, die als wirtschaftlich, sozial und städtebaulich
benachteiligt gelten. Diese Stadtteile sind häufig durch ei-
nen Mangel an Grünflächen und durch Verwahrlosung der
TABELLE 5 – 1 Umsetzungsziele in Quartieren des Programms
»Soziale Stadt«. (Quelle: BMVBW, 2004)
Ziel Anteil Gebiete
in Prozent
1 Verbesserung Wohnumfeld 83
2 Verbesserung der
Wohn(ungs)qualität
78
3 Stärkung lokaler Ökonomie 61
4 Ausbau Beteiligungs-
möglichkeiten
57
5 Verbesserung Zusammen-
leben im Stadtteil
55
6 Stabilisierung Bevölkerungs-
und Sozialstruktur
50
INFOBOX 5 – 6
Grau raus – Grün rein! »100 Höfe«-Wettbewerb Pankow
Seit mehreren Jahren unterstützt der Berliner Bezirk Pankow
engagierte Bürgerinnen und Bürger bei der Begrünung ihres
Wohnumfeldes durch das Wettbewerbsverfahren »100 Höfe«.
Der Wettbewerb will Begrünungsmaßnahmen in Innenhöfen
fördern (siehe Abbildung 5 – 6).
Mit einer gezielten ökologischen Umwandlung trostloser,
nicht bebauter Flächen in grüne Freiräume werden Erholungs -
möglichkeiten und nachbarschaftliche Begegnungsstätten
geschaffen. »Die Auswirkungen für die unmittelbaren An-
wohner sind immens, nicht nur für die Gesundheit, sondern
auch für die Nachbarschaften, die durch die gemeinsame Ar-
beit entstehen und danach im einladend gestalteten Innen-
hof wachsen« (Kühne, T., Bezirksstadtrat von Pankow, 2012).
ABBILDUNG 5 – 6 Über 70 Höfe wie dieser sind mithilfe des »100 Höfe«-Wettbewerbs im Berliner Bezirk Pankow begrünt worden.
(Foto: Grüne Liga Berlin)
vorhandenen Grünanlagen gekennzeichnet. Die Verbesse-
rung des Wohnumfeldes ist in Programmgebieten der »So-
zialen Stadt« dementsprechend das am häufigsten genannte
Handlungsfeld (vgl. Tabelle 5 – 1; BMVBW, 2004). Auch die an-
deren Städtebauförderprogramme, vorrangig die Programme
»Stadtumbau Ost« und »Stadtumbau West«, zielen auf eine
Verbesserung der Grünflächen im Wohnumfeld ab (BMVBS,
2012). Die Evaluierungs- und Statusberichte zu den Städte-
bauprogrammen zeigen, dass im Wohnumfeld erhebliche
Aufwertungspotenziale bestehen.Für die Förderprogramme
»Stadtumbau Ost und West« sowie »Soziale Stadt« sind im
Jahr 2015 ungefähr 1 Mrd. € von Bund, Ländern und Kommu-
nen bereitgestellt worden. Eine solche Fördersumme löst
nach Schätzungen der Obersten Baubehörde im Bayerischen
Staatsministerium des Innern (2011) Investitionen in Höhe
von rund 8 Mrd. € aus. Welcher Anteil zur Verbesserung der
Grünräume eingesetzt wird, lässt sich jedoch nicht sagen.
Soziale Funktionen von Stadtgrün
Die folgenden Schlaglichter veranschaulichen wesentliche
soziale Funktionen von Grün im Wohnumfeld (HMWVL, 2012;
Jirku, 2013; Wendorf, 2011):
Für die Menschen in den Quartieren unterstützen Grün-
räume im Wohnumfeld die Möglichkeiten des sozialen
Miteinanders in der Nachbarschaft.
Grünräume im Wohnumfeld stellen wichtige visuelle Bezie-
hungsräume für die einzelnen Bewohnerinnen und Bewoh-
ner im Alltag beim Blick aus dem Fenster oder für Wege im
Quartier dar.
Sie sind Identifikationsfaktor, insbesondere, wenn die Be-
wohnerinnen und Bewohner das grüne Umfeld selbst mit-
gestalten können.
Aktionen zur Begrünung und Zusammenlegung von Innen-
höfen intensivieren gemeinschaftliches Engagement in vie-
len Städten; die neu gestalteten Höfe sind nicht nur grü-
ner, lebendiger, schöner und klimatisch günstiger, sondern
häufig auch Orte nachbarschaftlicher Begegnung und ge-
meinsamer Feste.
Begrünungen im Straßenraum schaffen neue Aufenthalts-
orte; Stühle und Tische werden auf den Bürgersteig gestellt
und zum Verweilen oder zum gemeinschaftlichen Zusam-
mensitzen genutzt.
138 STADTNATUR FÖRDERT S oZIAL EN ZUSAMMENHALT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 139
Kinder- und Jugendarbeit vieler Kommunen und das Quar-
tiersmanagement im Programm »Soziale Stadt« eine hervor-
gehobene soziale Bedeutung. Mit einem im Vergleich zu
mehr investiven Projekten relativ geringen Einsatz an Mit-
teln kann hier viel Positives bewirkt werden. Beispiele für sol-
che Projekte finden sich auf der Internetseite www.umwelt-
gerechtigkeit-kommunen.de der Deutschen Umwelthilfe (vgl.
auch DUH, 2011).
Im Rahmen einer nachhaltigen Stadtentwicklung bekommen
solche – auch präventiv wirkenden Projekte – eine besondere
Bedeutung (DUH, 2015). Dabei geht es im Wesentlichen um
die wenig beliebten Quartiere einer Stadt, die Defizite hin-
sichtlich Umweltbelastungen, Sozialgefüge und Freiräumen
aufweisen und in die man nur dann zieht, wenn man sich
kein »besseres« Viertel leisten kann. In diesen Quartieren gilt
es ganz besonders, in vorhandenen Grünräumen Keimzel-
len für ein neues soziales Miteinander zu schaffen. Kommu-
nen spielen dabei eine besondere Rolle: Sie sind oft selbst im
Grundbesitz von Flächen in diesen Quartieren. Und darüber
hinaus können sie als Vermittler zwischen örtlichen Eigentü-
merinnen und Eigentümern und aktiven Gruppen auftreten.
Ein Vorteil der kleinen Projekte vor Ort liegt in partizipativen
Herangehensweisen, gerade bei Bevölkerungsgruppen, die in
den üblichen Beteiligungsprozessen, z. B. bei kommunalen
Planungen, bislang eher unterrepräsentiert sind: z. B. Jugend-
liche oder Menschen in prekären Lebenssituationen. Die Ein-
übung partizipativen Handelns kann positive Auswirkungen
auch auf das Vereinsleben und weitere gemeinschaftliche
Aktivitäten im Stadtteil haben. Zudem wird die soziale Ver-
antwortung im Quartier für die Flächen, aber auch für das
soziale Miteinander gestärkt.
Eine offene Partizipationskultur kann das soziale Gefüge
einer Stadt verändern: Menschen, die sich zum Mitgestal-
ten ihres Wohnumfelds eingeladen und befähigt fühlen,
nehmen Mitmach- und Mitentscheidungsmöglichkeiten viel
selbstverständlicher in Anspruch und machen sich das Quar-
tier auch ganz anders zu eigen. So wird auch ein Beitrag zur
»Verfahrensgerechtigkeit« in der Stadt geleistet (Böhme,
2014). Gerade Kindern und Jugendlichen fehlt oft das Gefühl,
selbst etwas bewirken zu können. Wenn sie jedoch einmal
erfahren haben, dass ihre Bedürfnisse und Ideen von der Er-
wachsenenwelt ernstgenommen wurden und zu sichtbaren
Veränderungen geführt haben, entwickeln sie ein neues
Selbstverständnis für ihre Rolle in der Gesellschaft (siehe
auch Kapitel 9.3.3). Kinder- und Jugendbeteiligung ist in die-
sem Sinne folglich auch Bildung für demokratisches Handeln
INFOBOX 5 – 7
Der Münchner Marienhof: Freifläche mit Interessenkonflikt
Im Herzen Münchens, hinter dem neuen Rathaus, liegt der
ca. einen Hektar große stadteigene Marienhof (siehe Abbil-
dung 5 – 8). Vom Mittelalter bis zur Zerstörung im Zweiten
Weltkrieg war er bebaut. Seit die Kriegstrümmer weggeräumt
waren, gab es unzählige Wettbewerbe und Ideen zur Bebau-
ung, Nutzung und Gestaltung des mehr oder weniger provi-
sorisch hergerichteten Platzes.
Aufgrund von Bürgerprotesten nahm im Laufe der vergange-
nen Jahrzehnte trotz Engpässen im städtischen Haushalt die
Intensität der vorgeschlagenen Bebauungen oder kommerzi-
ellen Nutzungen ab. Bereits Ende der 1950er Jahre zahlte die
Stadt 200.000 DM Entschädigung an ein Bauträgerkonsor-
tium für vergeblichen Entwicklungsaufwand. Orientiert an
der Umgebung könnten auf dem Marienhof etwa 30.000 m2
Geschossfläche für Läden, Dienstleister oder Luxuslofts ge-
baut werden. Bei einem geschätzten Umsatz von knapp einer
halben Mrd. Euro nach Entwicklung einer solchen Bebauung,
könnte die Stadt einen Erlös von mindestens 150 Mio. € für den
Grundstücksverkauf realisieren. Doch München »leistet sich«
statt eines einmaligen Geldsegens eine schlichte Grünfläche.
Diese monotone Fläche wäre am Stadtrand ein städtebauli-
cher Mangel. Doch in der kommerzialisierten Innenstadt ist
das »Banale« das Besondere: eine Frei-Fläche. Der Marienhof
ist eine Frei-Fläche mit Vogelgezwitscher, mit Platz für Punks,
Touristen, Familien, Obdachlose und Geschäftsleute gleicher-
maßen; eine Inspirationsfläche für Ideen zwischen Kartoffel-
acker und Glaspalast – und eine Frei-Fläche zum Träumen. Das
ist es wert!
ABBILDUNG 5 – 8 Der Marienhof in München.
(Foto: Alexandra Weiß)
5.6 ZUR SOZIALEN BEDEUTUNG
WOHNORTNAHER GRÜNRÄUME
Besondere Bedeutung haben wohnortnahe Freiräume für Be-
völkerungsgruppen, die nur wenig mobil sind. Dazu gehören
ältere Menschen, Kinder und Jugendliche, die z. B. nicht über
ein Auto verfügen, und Menschen mit Behinderung,
die sich nur eingeschränkt fortbewegen können. Eine geringe
Mobilität korreliert häufig mit beschränkten finanziellen
Möglichkeiten. Alle wenig mobilen Gruppen haben spezifi-
sche Anforderungen an wohnortnahe Freiräume. Innerhalb
eines sozial funktionierenden Quartiers sind daher Freiräume
mit Aufenthaltsqualitäten notwendig, auf denen sich auch
unterschiedliche Altersgruppen begegnen können (DUH,
2014).
Hinzu kommt, dass diese Gruppen aus finanziellen Gründen
meist auch nicht über einen eigenen Garten verfügen. Damit
wird die soziale Bedeutung wohnortnaher Grünräume deut-
lich. Gerade finanziell schlechter gestellte Menschen sind
auf öffentliche oder teilöffentliche Grünräume angewie-
sen. Dazu kommt die Bedeutung der positiven Gesund-
heitsaspekte dieser Räume. Bewegung und frische Luft,
gepaart mit den positiven Reizen von Naturräumen für die
Sinne und das Gemüt des Einzelnen, haben vielfältige Auswir-
kungen auf Wohlbefinden und Gesundheit (siehe Kapitel 4)
und bieten Kindern Gelegenheiten zur Naturerfahrung. Kin-
der aus Großwohnsiedlungen haben häufig kaum die Mög-
lichkeit, Wälder oder andere Naturräume in der Umgebung
der Stadt kennenzulernen. Die eigene Siedlung ist daher oft
die einzige Gelegenheit, Tiere und Pflanzen zu erfahren und
Alternativen zu digitalen Beschäftigungen zu nutzen (siehe
Kapitel 6). Das Beispiel des Münchner Marienhofs zeigt, wie
eine Stadtverwaltung trotz konkurrierender Nutzungsan-
sprüche eine wohnungsnahe Grünfläche in der Innenstadt
erhalten hat (siehe Infobox 5 – 7).
Grünräume bieten Chancen der Partizipation
Naturnah gestaltete Räume in Wohngebieten bieten zahl-
reiche Möglichkeiten, Menschen an der Gestaltung zu betei-
ligen. Die soziale und gesundheitliche Bedeutung der Frei-
räume steigt immens, wenn die Freiräume betreten, genutzt
oder sogar mitgestaltet werden können. Die Intensität ist
bspw. viel höher für ein Kind, das regelmäßig an einem Grün-
projekt in Wohnortnähe aktiv beteiligt ist, als wenn es ledig-
lich die Möglichkeit hat, Räume zu betreten. Auch Spielplätze
oder Aufenthaltsräume für Jugendliche bekommen eine
höhere Qualität, wenn sie von ihren Nutzern miterdacht,
mitgestaltet und mitgepflegt werden. So haben Initiativen
für Mietergärten und Interkulturelle Gärten, Projekte der
ABBILDUNG 5 – 7 Stadtteilfest »Bunte Wiese« als Treffpunkt für Menschen verschiedener Milieus und Kulturen in Darmstadt.
(Abbildung und Foto: Stadtteil-Werkstatt Kranichstein)
140 STADTNATUR FÖRDERT SoZIALEN ZUSAMMENHA LT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 141
und Anstoß für bürgerschaftliches Engagement – ein Leben
lang (DUH, 2014).
5.7 BRACHFLÄCHEN ALS NEUE GELEGENHEITEN
DER FREIRAUMNUTZUNG
Ein prägnantes Beispiel für den Wandel in der Nutzung städ-
tischer Frei- und Grünflächen ist die Nutzung von Brach-
flächen. Innerstädtische Brachflächen hat es in deutschen
(Groß)Städten schon nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge
der Flächenbombardements gegeben. Sie wurden in den
1950er und 1960er Jahren als reine »Übergangsflächen« an-
gesehen, mit der Perspektive einer Wiederbebauung bzw.
Umnutzung. Mit diesen »Restflächen« bzw. »Niemandslän-
dern« wusste man damals wenig anzufangen; sie wurden
von spielenden Kindern oder Jugendlichen genutzt und eher
geduldet (vgl. Tessin, 2011, S. 135). Ökologinnen und Natur-
schützer erkannten in der Natur auf Brachen lange Zeit
keinen Wert, auch nicht für das Naturerleben der Stadtbe-
wohner (Hard, 2001, S. 259). Seit den 1970er Jahren sind im
Zuge des ökonomischen Strukturwandels bzw. der Deindus-
trialisierung zahlreiche neue und z. T. großflächige Brachen
entstanden – ein Prozess, der sich infolge von Schrumpfung
und Stadtumbau in vielen Städten fortsetzt. Dies bildet den
Kontext für einen allmählichen Wandel in der Haltung zu
Brachflächen und in der Nutzung von Brachflächen. Denn die
Nutzungsaufgabe war und ist häufig nicht mehr nur kurz-
fristig: Oft gibt es keinerlei Nachfrage.
Bereits in den 1970er Jahren waren Brachflächen in der
Bundes republik von der Ökologie- und Naturgartenbewe-
gung für die Naherholung und für das Naturerleben ent-
deckt worden (Tessin, 2011, S. 135 ff.). Brachflächen wurden
dabei für ganz unterschiedliche Nutzungen erschlossen: als
Abenteuer- und Bauspielplätze, als Orte für Partys und Gesel-
ligkeit, für künstlerische Aktivitäten oder das Gärtnern. Ge-
meinsam ist diesen Aktivitäten bzw. Nutzungen, dass sie ge-
meinschaftlich ausgeübt werden und integrierende Effekte,
etwa für Nachbarschaften haben. Es lässt sich eine Norma-
lisierung in der Nutzung von Brachen beobachten. Während
früher v. a. Kinder und Jugendliche sowie gesellschaftliche
Randgruppen (z. B. Subkulturen) Brachflächen genutzt ha-
ben, z. T. auch illegal, so ist dies inzwischen auch bei ande-
ren gesellschaftlichen Gruppen der Fall, z. B. bei den neuen
Mittelschichten. Das symbolisiert die soziale Aufwertung
und Akzeptanz der neuen Nutzungen von Brachflächen. In-
zwischen werden die Nutzer als »Raumpioniere« bezeich-
net, ihre Aktivitäten umgedeutet und aufgewertet zu krea-
tiver Aneignung bzw. experimentellem Handeln (Oswalt et
al., 2013, S. 11). Sie genießen inzwischen die Aufmerksamkeit
sowie als Anbauflächen für nachwachsende Rohstoffe oder
gesunde Lebensmittel direkt in der Stadt.
»Claiming 400 qm Dessau«:
In-Kulturnahme städtischer Brachflächen durch
Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner
Um einen Prozess der In-Kulturnahme von Rückbauflächen
in Gang zu bringen, hat die Stadt Dessau frühzeitig begon-
nen, Bewohner, Vereine und Unternehmen einzuladen, sich
an der Gestaltung dieser Landschaft aktiv zu beteiligen
(Brückner, 2008). In Referenz zur Goldgräberstimmung im
frühen Amerika wurden diese Flächen »Claims« genannt. Die
Akteure erhalten diese Fläche kostenlos; im Gegenzug über-
nehmen sie die Pflege und Gestaltung. Nach bestimmten
»Spielregeln« können sie hier einen eigenen Gestaltungsent-
wurf umsetzen, einen Garten anlegen, eine Art dreidimen-
sionale Visitenkarte für ihr Unternehmen gestalten oder aber
auch eine Wildnis- oder Sukzessionsfläche realisieren. Im
Ergebnis zeigen diese Räume vielfältige Perspektiven künfti-
ger städtischer Landschaft an der Schnittstelle von Gartenkul-
tur, Renaturierung und gemeinschaftlicher Landbewirtschaf-
tung auf.
Akteure verhandeln und gestalten Stadtlandschaft
Mit dem Anbau von Lebensmitteln in der Stadt und der
Schaffung sogenannter klimaproduktiver Räume kann der
Überschuss an Freiraum in schrumpfenden Städten produk-
tiv gemacht werden: für Strategien einer Nah- und Selbst-
versorgung, für lokalökonomische Prozesse im Sinne einer
gemeinwohl orientierten Wirtschaft und für gemeinschaft -
von Planung, Politik und Wissenschaft. Während die Nut-
zungen von Brachen früher entweder überhaupt nicht oder
lediglich informell geregelt waren, so lässt sich in den ver-
gangenen zehn Jahren eine Formalisierung und Institutio-
nalisierung beobachten. Die Nutzungen von Brachen haben
sich als »Zwischennutzung« im planerischen und öffentlichen
Sprachgebrauch etabliert und sind Gegenstand unterschied-
licher Regelungen geworden. So hat z. B. die Stadt Leipzig
die »Gestattungsvereinbarung« entwickelt, die u. a. die Art
und Dauer der Zwischennutzung regelt. Dies ermöglicht es,
temporäre Grün- bzw. Freiflächen zu schaffen, die unter-
schiedliche Vorteile für die Eigentümer, Nutzer sowie für die
jeweiligen Städte aufweisen. Zwischennutzungen wurden
somit durch die Planung anerkannt; sie werden aktiv in den
Städtebau, insbesondere den Stadtumbau einbezogen und
sind Teil der nationalen Stadtentwicklungspolitik geworden
(BBR, 2004; BMVBS und BBR, 2008).
Auch Stadtökologie und Naturschutz haben seit Ende der
1970er Jahre den Wert von Brachen erkannt, nicht nur für die
biologische Vielfalt, sondern auch für das Naturerleben und
die Umweltbildung der Menschen (vgl. Kapitel 6). Brachen er-
gänzen die klassischen Grünflächen um meist wohnortnahe
Flächen, die i. d. R. gemeinschaftlich bzw. in sozialen Gruppen
und aktiv in unterschiedlichen Formen angeeignet werden. In
der Freiraumsoziologie sind Brachen und zwischengenutzte
Flächen zu einer festen Kategorie geworden (Petrow, 2011,
S. 805). Sie sind paradigmatische Beispiele für das, was inzwi-
schen als »informeller Urbanismus« (Willinger, 2014) bezeich-
net wird (vgl. auch Baier et al., 2013; Krasny, 2012); ihnen wird
eine prominente Rolle für eine nachhaltige Stadtentwicklung
zuerkannt (Lorance Rall und Haase, 2011).
5.8 IN-KULTURNAHME NACH RÜCKBAU:
BEDEUTUNG VON URBANEM GRÜN
FÜR SCHRUMPFENDE STÄDTE
In schrumpfenden Städten haben wir es mit einem beson-
deren Phänomen zu tun. Was bisher ein Mangel war, ist plötz-
lich zuviel da: Landschaft und Freiraum. Einerseits sind es
Freiräume, die Gefahr laufen, wüst zu werden und damit der
Verwahrlosung anheimzufallen, bspw. wenn Geld für die
Pflege fehlt. Andererseits bergen solche Freiräume Potenzi-
ale einer neuen Stadtlandschaft in sich. Denn mit dem Zu-
viel an Freiraum entsteht ein tatsächlich freier Raum, in dem
plötzlich die Chance besteht, über qualitative Ziele städti-
scher Entwicklung neu nachzudenken: Verbesserung des
Stadtklimas durch Renaturierung sowie Wildnis- oder Ver-
nässungsbereiche und aktive Teilhabe durch In-Kulturnahme
städtischer Brachen als Nachbarschafts- und Stadtgärten
liche Lern prozesse. Der Raum verändert dabei seinen Charak-
ter. Er wird nicht über Nutzungen und Funktionen von oben,
also bspw. von Planern, Architekten oder Stadtverwaltungen,
programmiert, sondern vom Prozess der In-Kulturnahme
durch Akteure bestimmt. Damit geht ein Urbanitätsbegriff
einher, der sich weniger aus dem generiert, was Politik und
Verwaltung für die Stadt planen, sondern was Bürger in ihr
real machen (können). Es ist eine neue Form von Stadtland-
schaft, die aus dem konkreten Tun der Beteiligten erwächst
und ihren Wert aus den realen Gestaltungen von vielen ge-
winnt.
Das Prinzip des Claiming kann ein Modell dafür sein: Be-
setzen, Ausprobieren und durch künstlerisch-gestalterische
Interventionen Tatsachen zu schaffen, löst eine Bewegung
aus – auch für das Aushandeln und die Kommunikation künf-
tiger Ziele (Altrock, 2014). Was wollen wir in Zukunft mit
diesen neu gewonnenen Landschaftsräumen machen? Zum
Beispiel Entmagerung durch künstliche Steppenvegetation
oder Anreicherung durch natürliche Sukzession; Extensivie-
rung, um Pflegekosten zu sparen oder Bodenverbesserung,
um innerstädtische Landschaft in vielfältigster Weise wie-
der produktiv zu machen? Die Antwort bleibt künftigen Aus-
handlungsprozessen vorbehalten.
5.9 WASSERNAHE FLÄCHEN: ORTE DER
ERHOLUNG
Die innerstädtischen Flüsse, Seen und auch Meeresstrände
können wesentlich zur kulturellen Ökosystemleistung »Erho-
lung« beitragen. Suchen Menschen diese attraktiven Orte
ABBILDUNG 5 – 9 Erholung und Freizeitnutzung am Maschsee in Hannover im Sommer (August 2010) und Winter (Januar 2009) .
(Fotos: Katharina Raupach)
142 STADTNATUR FÖRDERT SoZIA LEN ZUSAMMENHALT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 143
und die innerstädtischen Erholungsmöglichkeiten deutlich
verbessert werden konnten. Die Renaturierung erfolgte von
Februar 2000 bis Juni 2011 und kostete 35 Mio. € (Landes-
hauptstadt München, 2011). Die hohe Beliebtheit des als
»Flaucher« bezeichneten Flussabschnitts im südlichen Innen-
stadtbereich von München wird an der Verdopplung der
Anzahl von Kunden eines nahe gelegenen Supermarktes in
einer Woche Mitte Juli 2013 im Vergleich zu einer Winterwo-
che widergespiegelt (12.200 vs. 5.500 Kunden; Dreher, 2013).
Ferner sind in zahlreichen Städten Uferpromenaden und
-wege beliebt zum Spaziergehen, Joggen, Skaten und für
weitere Freizeitaktivitäten. Auf dem Wasser kann Wasser-
sport (z. B. Boot fahren) und im Winter je nach Witterung
auch Schlittschuhlauf betrieben werden (Abbildung 5 – 9). Im
Ruhrgebiet hat der großräumige ökologische Umbau des Em-
scher-Systems nicht nur Erholungsmöglichkeiten gefördert,
sondern auch erhebliche regionalwirtschaftliche Effekte er-
bracht (siehe Kapitel 3.5.5).
Teilweise lassen sich werktägliche Naherholung und Tou-
rismus kombinieren: So gelten Flusslandschaften als die
»beliebtesten Landschaftsformen für Fahrradurlaube im
Inland«. Dabei durchquert z. B. der Elberadweg als meistbe-
fahrener und beliebtester deutscher Radfernweg 2013 u. a.
Dresden, Magdeburg, Hamburg und Cuxhaven (ADFC, 2014).
Spazieren gehen, Hund ausführen und das Genießen der
Natur gelten als besonders wichtige Formen der wasserna-
hen Erholung.
Insgesamt leisten gut erreichbare und attraktive wasserge-
prägte Naturräume einen wesentlichen Beitrag zur Erholung
der Stadtbevölkerung und somit zur langfristigen Erhaltung
ihrer psychischen und physischen Gesundheit.
auf, können sie neue Kontakte knüpfen oder bestehende
festigen und so den sozialen Zusammenhalt stärken. Diese
Erholungsfunktion kann jedoch eingeschränkt sein, wenn die
urbanen Gewässer sehr stark verbaut oder künstlich über-
formt sind.
Ein extremes Beispiel für stark verbaute Fließgewässer ist
Leipzig. Hier wurden in den 1950er und 1960er Jahren ei-
nige durch die Einleitung von Industrieabwässern stark
verschmutzte und entsprechend unangenehm riechende
Fließgewässer, wie z. B. der Pleißemühlgraben und der Elster-
mühlgraben, durch Überwölbung und Verrohrung komplett
aus dem Stadtbild verdrängt. Nach der Wiedervereinigung
und der folgenden Stilllegung der die Verschmutzung ver-
ursachenden Industrien in den 1990er Jahren hat sich die
Wasserqualität erheblich verbessert. Inzwischen arbeiten
Bürgerinitiativen, Stadtplaner, Umweltschützer und die
Politik an der Wiederfreilegung der Gewässer, um der Na-
tur und den Menschen diese Räume wiederzugeben (Stadt
Leipzig, 2007). Positive Effekte sind zu erwarten, da Ȋsthe-
tisch akzeptierte« Flüsse zur Entwicklung einer »emotio-
nalen Bindung« der Bürger an ihre Stadt beitragen können
(Nohl, 1998) und weil Umweltszenarien, die auch Wasser be-
inhalten, zu höheren wahrgenommenen Erholungseffekten
führen als Bereiche ohne Wasser. Entsprechend werden hö-
here Präferenzen für eine Umwelt, die Wasser beinhaltet,
gezeigt (White et al., 2010). Eine gute Erreichbarkeit und Zu-
gänglichkeit wirken sich positiv auf die häufige Nutzung aus.
Eine Möglichkeit der Erholungsnutzung besteht im Baden
und Schwimmen in naturnahen Gewässern, ggf. in Verbin-
dung mit dem Ruhen und Sonnen am Uferbereich. Die Isar
in München ist ein Beispiel dafür, wie durch die Renaturie-
rung zugleich die Lebensraumfunktion für Tiere und Pflanzen
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NATURERLEBEN,
NATURERFAHRUNG
UND UMWELTBILDUNG
IN DER STADT
6
Entfaltungsmöglichkeiten. So ist sie die Grundlage für indi-
viduelle freizeitsportliche Aktivitäten wie Joggen, Radfah-
ren, Inlineskaten, Frisbee und Fußball. Hinzu kommt eine
viel fältige Freizeitkultur wie z. B. Familienausflüge, Musiker-
Treffen, der Besuch von Biergärten und das gemeinsame
Feiern »im Grünen«. Stadtnatur bietet auch Rückzugsräume
mit zum Teil »privatem« Charakter: Orte zum Träumen und
Meditieren.
Von großer Bedeutung ist darüber hinaus das Erleben von Na-
tur in sehr unterschiedlichen Ausbildungsformen. So können
in größeren Parkanlagen oftmals Fließ- und Stillgewässer
mit ihrer charakteristischen Flora und Fauna erlebt werden,
es gibt vielfältige Naturbestandteile wie alte Bäume und
Wiesen und in manchen Parkanlagen sind sogar weidende
Schafe zu beobachten. Reichholf (2007) beschreibt sehr ein-
dringlich, welche Bedeutung v. a. dem Kontakt mit Tieren auf
den städtischen Freiflächen für das Naturerleben der Men-
schen in der Stadt zukommt.
Deutlich weniger Beachtung finden bisher die nicht oder
kaum gestalteten Grünräume. Lange wurde solcher »urba-
nen Wildnis« jeglicher Nutzen, Wert und Rechtsstatus abge-
sprochen – an sie sind keine hohen Erwartungen gerichtet
(Rink, 2005). Wenn überhaupt, dann wird als »echt« empfun-
dene Wildnis (z. B. Regenwald, Wüste, Hochgebirge; Bauer,
2005) als wertvoll und schützenswert betrachtet (Buijs et
al., 2008). Zahlreiche Untersuchungen belegen jedoch, dass
städtische Freiflächen mit spontaner Vegetationsentwick-
lung wichtige Leistungen für die Stadtbewohnerinnen und
-bewohner erbringen.
Orte der Naturerfahrung und Umweltbildung in der Stadt
In diesem Kapitel werden Städte als Orte thematisiert, an de-
nen Naturerfahrung, Naturerleben und Umweltbildung auch
im wohnungsnahen Umfeld möglich werden können – ein
Potenzial, dem in unserer urbanisierten Gesellschaft eine
elementare Bedeutung zukommt.
Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesell-
schaft hat mit dem Wandel der Flächennutzung, der drasti-
schen Reduzierung von Umweltbelastungen und der Renais-
sance der Städte neue Perspektiven eröffnet. Das gilt auch
für die gewandelten und gewachsenen Nutzungsansprüche
und Aktivitäten, die sich auf Stadtnatur (vgl. Kapitel 1.2) be-
ziehen. Wenn im Folgenden kulturelle Ökosystemleistungen
behandelt werden, so sind mit diesen ästhetische, Erholungs-
und Erlebnis- sowie Bildungs- und Informationsleistungen
verknüpft. Die übergreifende Frage ist, wie diese Leistungen
zugleich geschützt, entwickelt und genutzt werden können.
Natur in der Stadt wird als Ort des kulturellen, sozialen und
des Naturerlebnisses von den meisten Bewohnerinnen und
Bewohnern hoch geschätzt. Sie empfinden Natur inmitten
städtischer Bebauung als schön, als ästhetische Auflocke-
rung des täglichen Stadtbildes. Dabei werden die verschie-
denen Ausprägungen von Stadtnatur unterschiedlich wahr-
genommen:
Parks, Gärten und ähnliche intensiv gestaltete und ge-
pflegte grüne Orte in der Stadt stehen im Blickpunkt des
allgemeinen Interesses. Dies ist verständlich, denn die Viel-
falt städtischer Natur bietet eine Vielzahl an individuellen
KERNAUSSAGEN
Stadtnatur bietet Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen und zugleich Orte des kulturellen, sozialen und des Natur-
erlebnisses für die Stadtbewohnerinnen und -bewohner.
Naturerfahrungsräume, grüne Lernorte und urbane Wildnis sind wesentliche Elemente der Stadtnatur. Sie fördern die
gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, ihre Eigenverantwortung, Kreativität, Risikokompetenz und soziale
Kompetenz, sowie ihre sprachlichen, motorischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten.
Die Erhaltung entsprechender Flächen im nahen Wohnumfeld wirkt der weit verbreiteten Verhäuslichung von Kindern und
Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen, entgegen.
Die Bedeutung »wilder« Stadtnatur für Menschen in der Stadt wurde lange unterschätzt. Da eine zunehmende Verdichtung
vieler Städte die Ökosystemleistungen urbaner Wildnis und informeller Naturerfahrungsräume gefährdet, sind Maßnahmen
zur Sicherung entsprechender Flächen notwendig; formelle grüne Lernorte sollten in ihrer Vielfalt erhalten und gefördert werden.
KOORDINIERENDE AUTORIN
SONJA KNAPP
WEITERE AUTOREN
ANDREAS KEIL, PETER KEIL, KONRAD REIDL, DIETER RINK,
HANS-JOACHIM SCHEMEL
MIT BEITRÄGEN VON
ANJA BIERWIRTH, WANDA BORN, LARISSA DONGES,
BETTINA FOERSTER-BALDENIUS, MICHAEL GODAU, WILFRIED HOPPE,
KARIN ULBRICH
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, SONJA GÄRTNER, RIEKE HANSEN, STEFAN KÖRNER,
CHRISTIAN LÖWE, ARMIN LUDE, GABRIELE SONDEREGGGER
SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
6.1 Naturerfahrungsräume in der Stadt 148
6.1.1 Charakter und Funktionen städtischer Naturerfahrungsräume 148
6.1.2 Welche Erfahrungen können in Naturerfahrungsräumen
gemacht werden? 151
6.1.3 Wirkungsweise und Wert städtischer Naturerfahrungsräume 152
6 . 2 Grüne Lernorte in der Stadt 155
6 . 3 Urbane Wildnis 165
6.3.1 Industriebrachen: Hotspots urbaner Artenvielfalt 165
6.3.2 Industriebrachen: Orte der Umweltbildung 166
6.3.3 Industriebrachen: Orte der Integration für verschiedene Kulturen
und Milieus 166
Literatur 167
148 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 149
Studien zum Naturbewusstsein in Deutschland (z. B. BMU
und BfN, 2010; BMUB und BfN 2014) machen deutlich, dass
Natur in der Bevölkerung fast ausschließlich positiv besetzt ist,
wobei die Wertschätzung der Natur mit dem Alter und dem
Bildungsgrad zunimmt. Allerdings ist auch festzustellen, dass
immerhin 22 % der Befragten sich nicht für die Natur interes-
sieren (BMUB und BfN, 2014). Besorgnis erregt insbesondere
die Tatsache, dass das Naturbewusstsein bei jungen Men-
schen stark abnimmt: Wie der Jugendreport »Natur 2010«
der Universität Marburg zeigt, gerät die Natur bei der jun-
gen Generation immer mehr in Vergessenheit. Brämer (2010)
spricht in diesem Zusammenhang von einer bereits weit
vorangeschrittenen Naturentfremdung. Diese wird in erheb-
lichem Maße auf fehlende und weiter abnehmende Naturer-
fahrungen zurückgeführt.
Diese Entwicklung hat vielfältige Ursachen. Beispiele sind:
die zunehmende »Verhäuslichung« von Kindheit (vgl. Ka pi -
tel 6.2), eine Zunahme der organisierten Kindheit sowie
die zunehmende Nutzung von Internet, Social Media u. ä.
im Kinderalltag. So stieg z. B. unter den 6- bis 13-Jährigen
in Deutschland der Zugang zu herkömmlichen Handys und
Smartphones von 2012 bis 2013 um 31 % auf insgesamt 98 %
an (KIM-Studie, 2014). Diese Entwicklungen erfordern ein
Gegensteuern auf individueller Ebene aber auch Rahmenbe-
dingungen, die diese individuellen Bemühungen unterstüt-
zen. Der Zugang zu grünen Lernorten (vgl. Kapitel 6.2) und
zu offenen, nicht gestalteten Räumen, in denen Kinder und
Jugendliche spontan, kreativ, innovativ und frei Elementen
der Natur begegnen und diese in all ihren Facetten erfahren
können, ist dafür essenziell. Gerade in Städten mangelt es
oft an solchen Räumen (Blinkert, 1996).
Chancen für den Naturschutz
Der unmittelbare Kontakt mit der Natur, der im spontanen
und unbeaufsichtigten Spiel der Kinder zum Ausdruck
kommt, erfüllt wichtige emotionale, aber auch kognitive
Bedürfnisse heranwachsender Menschen (Blinkert, 1996;
Gebhard, 2003). Naturbestimmte Räume in Wohnungsnähe
bieten dafür geeignete Gelegenheiten (Reidl et al., 2005;
Schemel, 1998; Stopka und Rank, 2013). Die hohe Bedeutung
ergibt sich einerseits dadurch, dass die Gegenwart der Natur
und das Spiel in ihr für die Befriedigung der emotionalen, aber
auch der kognitiven Bedürfnisse heranwachsender Men-
schen relevant sind. Hinzu kommt ein zweiter Aspekt: Nur
wer Erfahrungen in und mit der Natur macht, kann auch eine
Beziehung zur Natur aufbauen. Die Kindheitsforschung zeigt
auf, dass positive Naturerfahrungen die Naturverbundenheit
und die Wertschätzung der Natur stärken (Bögeholz, 1999;
ist es wünschenswert, dass sich möglichst in jedem Stadt-
teil ein Naturerfahrungsraum befindet. Städtische Naturer-
fahrungsräume sind entweder Waldbereiche oder Brachflä-
chen, die sich in ihrem naturnahen Charakter von gestalteten
und intensiv gepflegten Grünflächen unterscheiden, oder sie
sind nach einer Extensivierung intensiv genutzter Flächen
(Acker, Grünland, Rasen) entstanden. Mindestens die Hälfte
ihrer Fläche entwickelt sich ohne menschliche Eingriffe zu
Gebüsch und Wald, die anderen Teilräume können durch
extensive Pflege offengehalten werden.
Ein Naturerfahrungsraum muss groß genug sein, damit Kin-
der die Naturprozesse und Naturphänomene ungestört erle-
ben können. Über eine hinreichende Distanz werden Einwir-
kungen von außen wie Lärm und auffällige Bauwerke so weit
in ihrer Wirkung abgeschwächt, dass bei den spielenden Kin-
dern das Gefühl entstehen kann, »in der Natur« zu sein, also
in Räumen, die sich eindeutig von den technisch überpräg-
ten Teilen der Stadt abheben.
Aus den bisherigen Erfahrungen lässt sich ableiten, dass sich
ältere Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren in Natur-
erfahrungsräumen unreglementiert und ohne pädagogi-
sche Anleitung aufhalten können, ohne da mit überfordert
oder unbeherrschbaren Risiken ausgesetzt zu sein (Reidl et
al., 2005; Schemel, 1998). Kleinere Kinder benötigen Auf-
sicht durch Erwachsene. Wenn eine bereits deutlich fort-
geschrittene Entfremdung älterer Kinder von Natur zu
beobachten ist, wird empfohlen, dass Erwachsene solchen
Lude, 2001; Schemel, 1998; Stopka und Rank, 2013). Auch Bü-
cher wie »Das letzte Kind im Wald« (Louv, 2011), »Mehr
Matsch. Kinder brauchen Natur« (Weber, 2011), »Wie Kinder
heute wachsen« (Renz-Polster und Hüther, 2013) oder »Start-
kapital Natur« (Raith und Lude, 2014) verweisen auf die po-
sitiven Wirkungen der Natur und auf die zunehmenden De-
fizite in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
infolge mangelnden Kontakts mit naturnahen Räumen.
Langjährige Erfahrungen im Naturschutz haben gezeigt, dass
sich der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht al-
lein mit administrativen Maßnahmen erreichen lässt. Lang-
fristig kann das nur gelingen, wenn mit dem Schutz der Na-
tur positive Erfahrungen verbunden werden. Engagement
für die Natur muss mit Freude und Erlebnis verknüpft sein.
Dieses Kapitel stellt die kulturellen Ökosystemleistungen
von städtischen Naturerfahrungsräumen (Kapitel 6.1), grü-
nen Lernorten (Kapitel 6.2) und urbaner Wildnis (Kapitel 6.3)
vor, mit einem besonderen Fokus auf ihre Bedeutung für die
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Als Bewegungs-
und Spielräume fördern sie die gesunde Entwicklung von Kin-
dern und Jugendlichen, ihre Eigenverantwortung, Kreativität,
Risiko kompetenz und soziale Kompetenz sowie ihre sprachli-
chen, motorischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten.
6.1 NATURERFAHRUNGSRÄUME IN DER STADT
6.1.1 Charakter und Funktionen
städtischer Naturerfahrungsräume
Nach dem Bundesnaturschutzgesetz § 1 (6) sind »Freiräume
im besiedelten und siedlungsnahen Bereich […] zu erhalten
und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße vorhanden
sind, neu zu schaffen.« In diesem Zusammenhang werden
u. a. »Naturerfahrungsräume« explizit genannt.
Ein städtischer Naturerfahrungsraum ist eine weitgehend
ihrer natürlichen Entwicklung überlassene »wilde« (unge-
staltete) Fläche im Wohnumfeld, die mindestens ein Hektar
groß ist und auf der Kinder und Jugendliche frei spielen kön-
nen – ohne pädagogische Betreuung und ohne Spielgeräte
(Schemel, 1998; Reidl et.al., 2005; Stopka und Rank, 2013). Die
weitgehend natürliche Entwicklung schließt zurückhaltende
gestalterische und pflegende Eingriffe nicht aus, wenn da-
durch das natürliche Erlebnispotenzial erhalten oder erhöht
wird. Das entscheidende Standortkriterium für Naturerfah-
rungsräume ist die Wohnungsnähe. Denn ein Naturerfah-
rungsraum kann seine Wirkung nur entfalten, wenn er für
das alltägliche Spiel älterer Kinder gefahrlos zu Fuß oder mit
dem Rad erreichbar ist – ohne elterliche Begleitung. Daher
Zu unterscheiden sind formelle und informelle Naturerfah-
rungsräume. Der größte Teil der Naturerfahrungsräume sind
informeller Art, werden also von Kindern und Jugendlichen
genutzt, ohne formell über die Bauleitplanung ausgewiesen
zu sein (vgl. Infobox 6 – 1). Formell festgesetzte Naturerfah-
rungsräume lassen sich leichter als die informellen Räume
gegen konkurrierende Nutzungsansprüche sichern (Arbeits-
kreis Städtische Naturerfahrungsräume, 2015).
Kindern die »Schwellen angst« nehmen und zum Spielen in
Naturerfahrungs räumen animieren (Arbeitskreis Städtische
Naturerfahrungsräume, 2015).
Damit Naturerfahrungsräume funktionieren, ist auf ihre
strukturelle Vielfalt zu achten: Der Wechsel von Gehölzstruk-
turen und offenen Wiesenflächen sowie bewegte Gelände-
formen – wenn möglich ergänzt durch Bäche oder Tümpel –
bieten Kindern attraktive Möglichkeiten, sich hier spielerisch
zu bewegen, Beobachtungen und Entdeckungen zu machen.
In Fällen einer monotonen Ausgangssituation sind gestalteri-
sche Maßnahmen notwendig (vgl. Infobox 6 – 2). Eine große
Wiese mit geringer struktureller Vielfalt ist als Spielraum
für Kinder wenig attraktiv. Geeignete Maßnahmen sind z. B.
die Pflanzung von Bäumen, die Aufschüttung von Hügeln
(»Naturspielbergen«) und die Anlage von Gewässern. Neben
den Flächen, deren Bewuchs sich selbst überlassen bleibt,
werden andere Teile des Naturerfahrungsraumes in größeren
INFOBOX 6 – 1
Städtischer Naturerfahrungsraum »Paradies« in Oppenheim, Rheinland-Pfalz
Der unter dem Namen »Paradies« im Jahr 1995 eingeweihte
Naturerfahrungsraum wurde schon vor seiner offiziellen Aus-
weisung von den Kindern der Umgebung genutzt. Als einige
Eltern erfuhren, dass die Brachfläche bebaut werden sollte,
schlossen sie sich zu einer Interessengemeinschaft zusammen
und forderten mit Erfolg die Erhaltung der Fläche in ihrem na-
turnahen Charakter. Das Anliegen der Interessengemeinschaft
war die Sicherung eines ausreichend großen Naturspielraums
in Wohnungsnähe, den Kinder problemlos in ihrer alltäglichen
Freizeit erreichen und wo sie frei spielen können – ohne Reg-
lementierung und ohne pädagogische Anleitung. Durch rege
Öffentlichkeitsarbeit konnte den Bewohnerinnen und Bewoh-
nern und dem Gemeinderat Oppenheims die Wichtigkeit des
Naturerfahrungsraumes verdeutlicht werden. 1993 erfolgte
die Ausweisung der Brachfläche als öffentliche Grünanlage
mit der Zweckbestimmung »Naturnaher Spielraum«. Dieser
wurde inzwischen mithilfe des städtischen Bauhofs und un-
ter maßgeblicher Mitwirkung der Eltern zu einem hügeligen
Gelände mit Felsengruppen, Lehm- und Sandbereichen ent-
wickelt und erfreut sich bei den Kindern der nahen Schule
und der angrenzenden Wohnbereiche großer Beliebtheit. Das
»Paradies« gilt heute als Naturerfahrungsraum mit überregi-
onalem Modellcharakter. Eine ausführliche Beschreibung der
Entwicklung und Betreuung dieses Naturerfahrungs raumes
findet sich bei Degünther (2008) in den BfN-Skripten 203
»Kinder und Natur in der Stadt«.
150 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 151
Was wollen Kinder und was tut ihnen auch gut?
(Vgl. Blinkert, 1996; Gebauer und Gebhard, 2005; Gebauer
und Hüther, 2003; Gebhard, 2003)
Kinder wollen einen Spielraum, dessen Charakter nicht von
technischer Monotonie, sondern von natürlicher Vielfalt
bestimmt wird (vgl. Infobox 6 – 3).
Kinder wollen im Spiel ihre Phantasie ausleben – in »ihren«
den Entdeckungsdrang anregenden Freiräumen (siehe Ab-
bildung 6 – 2).
Kinder wollen den Raum spielerisch mit eigenen Händen
(um-)gestalten (siehe Abbildung 6 – 3).
Kinder suchen unvorhergesehene Erlebnisse in Räumen,
in denen sie nach ihren eigenen Vorstellungen spielen kön-
nen – ohne Verbote und ohne pädagogische Anleitung.
Kinder mögen Risiken, an denen sie ihre Möglichkeiten und
Grenzen austesten und ihre Fertigkeiten weiterentwickeln
können. Sie lieben Herausforderungen, an denen sie ihre
Kraft und ihr Geschick erproben können und die ihnen
Erfolgserlebnisse versprechen (siehe Abbildung 6 – 4).
Diese Ansprüche können Räume mit möglichst »wilder«, un-
gestalteter Naturdynamik erfüllen. Dies ist jedoch nur mög-
lich, wenn die Kinder von ihren Eltern nicht daran gehindert
zeitlichen Abständen gemäht, damit der erlebnisreiche
Wechsel von bewaldeten und offenen Flächen erhalten
bleibt. Gestalterische und pflegende Maßnahmen können
nicht nur das Erlebnispotenzial des Raumes, sondern auch
die biologische Vielfalt erhöhen (Schemel und Wilke, 2008).
Mit Pflegemaßnahmen können zudem unerwünschte Ent-
wicklungen unterbunden werden, bspw. die Ausbreitung von
Brombeergebüschen.
Naturerfahrungsräume können auch für die Biodiversität
wichtig sein und bspw. gesetzlich geschützte Biotope ent-
halten oder in Schutzgebieten liegen. Daher wird von Natur-
schutzämtern im Einzelfall geprüft, ob das Spiel der Kinder
mit dem Schutzzweck vereinbar ist. So hat z. B. die zustän-
dige Untere Naturschutzbehörde erlaubt, dass in Stuttgart-
Bad Cannstatt das naturnahe Gelände »Obere Ziegelei« als
Naturerfahrungsraum genutzt wird, obwohl dieser Bereich
als öffentliche Grünfläche »für Arten- und Biotopschutz«
festgesetzt ist (Reidl et al., 2005).
INFOBOX 6 – 2
»Naturerlebnisraum am Bächle« in Vaihingen an der Enz, Baden-Württemberg
Die Idee zu diesem formellen städtischen Naturerfahrungs-
raum entstand im Mai 2001 in der Kindergruppe »Mäuse-
bande« der BUND-Ortsgruppe Vaihingen. Die Gruppe wollte
die Tatsache ändern, dass es in Vaihingen keinen siedlungsna-
hen Bach gab, der von den Kindern bespielt werden konnte
und leicht zu Fuß vom Wohngebiet aus erreichbar war. Ge-
meinsam mit der Lokalen Agenda 21 bildete sich die Projekt-
gruppe »Naturerlebnisraum am Bächle«.
Der städtische Naturerfahrungsraum entstand als ein Bürger-
projekt in sehr enger Abstimmung und guter Zusammenarbeit
mit der Stadtverwaltung. Die Stadt Vaihingen stellte die Flä-
chen zur Verfügung. Was sich nicht schon in kommunalem Ei-
gentum befand, wurde von der Stadt erworben, zum Teil im
Flächentausch mit den Eigentümern. Alle Flächen im Natur-
erlebnisraum sind nicht mehr in regulärer landwirtschaftli-
cher Nutzung.
Die Planung des Naturerfahrungsraumes übernahm die Projekt -
gruppe. Die Umsetzung und alles, was dafür notwendig war
(Baggerarbeiten zur Umgestaltung des Wassergrabens, Ge-
hölze, Saatgut, Sand etc.), wurden durch Spenden finanziert.
Vor der Umgestaltung dominierte auf der Fläche Ackernut-
zung – ohne Baum und Strauch. Durch den Acker führte ein
tief eingeschnittener in gerader Linie verlaufender Wassergra-
ben. Zentrale Aufgabe war dessen Umgestaltung zu einem für
Kinder gefahrlos bespielbaren und erlebnisreichen Bach. Dies
gelang mit der Anlage von Mäandern, einer kleinen Insel, meh-
reren Kletterhügeln und Sandbereichen. Eine Kombination aus
Gehölzpflanzungen zur Entwicklung eines Wäldchens, Ansaa-
ten und dem Zulassen spontaner Naturentwicklung rundete
die Initialgestaltung ab.
Diese Gestaltungsmaßnahmen gaben somit als »Initialzün-
dung« den Rahmen für die weitere Entwicklung des Natur-
erfahrungsraumes vor. Die differenzierte Pflege und das Spie-
len der Kinder sowie natürliche Entwicklungsprozesse sorgten
dafür, dass sich die Natur immer wieder veränderte und wei-
terentwickelte.
Die Stadt übernimmt größere Pflegeeinsätze mit Maschinen.
Kleinere Arbeiten werden von Bürgerinnen und Bürgern
durchgeführt, z. B. Sandflächen entkrauten, Müll einsammeln
oder Sträucher zurückschneiden. Ein Landwirt mäht die Flä-
chen bzw. mulcht die Pfade auf Rechnung der Stadt und
unter Anleitung der Projektgruppe. Ziel der Pflege ist die Er-
höhung des Strukturreichtums durch unterschiedliche Mahd-
zeitpunkte und durch das Zulassen von Sukzessionsflächen.
Das bei der Mahd anfallende Gras kann der Landwirt nutzen.
»Das Bächle« wird von unterschiedlichen Gruppen zu unter-
schiedlichen Zeiten gut besucht. Der Bach ist Hauptanzie-
hungspunkt für die Kinder, die oft mit Schaufeln kommen,
um Staudämme zu bauen oder das Bachbett umzugestalten
(siehe Abbildung 6 – 1). Das Gebiet dient sowohl als alltäglicher
Spielraum als auch als Ausflugsziel von Familien am Wochen-
ende. Schulkinder und Kindergartengruppen spielen und pick-
nicken hier. Ein Kindergarten veranstaltet alljährlich die Ferien-
aktion »Matschwochen«.
Um den Naturerfahrungsraum langfristig betreuen und weiter -
entwickeln zu können, wurde ein Förderverein gegründet, in
dem auch Kinder ihre Wünsche einbringen. Besonders hervor-
zuheben ist der Gewinn an biologischer Vielfalt auf einer zu-
vor monotonen Nutzfläche. Die ökologische Aufwertung geht
mit der Schaffung von Gelegenheiten für Kinder, in und an
einem naturnahen Bach zu spielen, Hand in Hand.
Weitere Informationen: http://www.vaihingen.de/d/3552
ABBILDUNG 6 – 1 Naturerfahrungsraum »Am Bächle« in
Vaihingen an der Enz: Boden, Wasser, Pflanzen und Tiere
werden mit allen Sinnen erfahren. (Foto: Bettina Marx) ABBILDUNG 6 – 2 Wilde Spielflächen lassen Kindern Raum für
freies Spiel – auch zum Austoben. (Foto: Hans-Joachim Schemel)
ABBILDUNG 6 – 3 Naturerfahrungsraum »Am Bächle« in
Vaihingen an der Enz: Die Natur zu »erforschen« ist extrem
spannend. (Foto: Bettina Marx)
6.1.2 Welche Erfahrungen können in
Naturerfahrungsräumen gemacht werden?
Geräte bzw. feste Spielregeln auf konventionellen Spiel- und
Sportplätzen geben Bewegungsabläufe vor, die durch stete
Wiederholung des Gleichen und entsprechende Eintönigkeit
gekennzeichnet sind. Charakteristisch für Naturerfahrungs-
räume sind dagegen unbestimmte Handlungsanreize und
die Gestaltbarkeit der Spielumgebung.
152 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG U ND UMwELTBIL DUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 153
Spielaktivitäten Das Erleben von Natur
… mit Boden
im Matsch herumwaten weiche nasse Erde spüren, das Zusammenwirken von Boden und Wasser
erleben: sehen, hören, riechen
aus Erde, Sand, Steinen etc. etwas formen,
im Boden graben
Eigenschaften des Bodens wie Geruch, Farbe, Formbarkeit, Durchlässigkeit
sinnlich erfahren, kreativ mit natürlichem Material umgehen
… mit Wasser
Wasser als Element erkunden, sich im Wasser
bewegen, waten
Wasser am Körper spüren (fühlen, riechen, hören, sehen, schmecken)
den Lauf des Wassers gestalten, umleiten das Verhalten des Wassers kreativ erfahren
im Wasser »Schiffchen« schwimmen lassen die Strömung und Tragfähigkeit des Wassers erleben
… mit Pflanzen
Pflanzen wahrnehmen (beobachten, riechen,
ihr Rascheln hören, sie mit Wurzeln ausgraben),
auch in größerem räumlichen Verbund erleben
Pflanzen und ihre Bestandteile entdecken, sinnlich genießen,
sich am Landschaftsbild erfreuen
Pflanzen sammeln, Blumen pflücken,
sich vor stachligen Pflanzen hüten
die Vielfalt von Pflanzenarten wahrnehmen: sehen, hören, riechen, tasten
Obst ernten und essen die Art und Reife der essbaren Früchte erkennen und ihren Geschmack
ausprobieren
sich in hohem Gras, zwischen den Hochstauden
oder im Gebüsch verstecken, ein Lager oder eine
Hütte bauen
sich zwischen Pflanzen geborgen fühlen, sich den Blicken anderer entziehen,
Pflanzen als Baumaterial ausprobieren und erfahren
Seile zwischen Bäume spannen Pflanzen als Verankerung benutzen und erleben,
Aktivitäten in der Schwebe genießen
… mit Tieren
Tiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachten Tiere in ihrem Lebensraum (zusammen mit Wasser, Boden, Luft, Pflanzen etc.)
kennenlernen, sich an ihnen erfreuen
Tiere behutsam fangen und wieder freilassen,
Brücken für Ameisen bauen
Tiere berühren und ihr Verhalten erleben
Übergreifende Aktivitäten im Gelände
mit dem Mountainbike fahren die Vielfalt der Geländeformen genießen
Fangen spielen die Unregelmäßigkeiten im Gelände nutzen
sich ausruhen, herumliegen, sich sonnen, in die
Wolken schauen
Geräusche aus der Natur, Stimmungen, Luft und Sonne in Ruhe
auf sich wirken lassen
Gegenstände herbeischleppen, etwas konstruieren künstliche und natürliche Elemente miteinander in Verbindung bringen
Rollenspiele (z. B. »Räuber und Gendarm«, »Vater,
Mutter, Kind«)
sich verstecken, überhängende Sträucher und Sitzgelegenheiten
als »Wohnung« nutzen
INFOBOX 6 – 3
Beispiele für Aktivitäten und Erlebnisse in städtischen Naturerfahrungsräumen
Kinder brauchen für ihre physisch und psychisch gesunde
Entwicklung Räume, die vielfältig und im Spiel veränderbar
sind (Gebhard, 2003). Weitgehend ungestaltete, naturnahe
Räume weisen diese Eigenschaften auf. Der amerikanische
Kindheitsforscher Hart (1982) hat herausgefunden, dass Kin-
der am liebsten auf Flächen spielen, »die von den Planern ge-
wissermaßen vergessen wurden.«
Schon Zinn (1980) hat beobachtet, dass sich Kinder mit ih-
rer Umwelt aktiv auseinandersetzen und diese umgestalten
wollen – nicht selten im Gegensatz zu den Vorstellungen der
Erwachsenen. Der kindliche Eigensinn in der Annäherung an
Naturphänomene werde auch darin deutlich, dass für die Kin-
der Dinge, Plätze und Nischen Bedeutungen erhalten, die für
Erwachsene belanglos sind. Es gehe dabei nicht um das, was
Erwachsene ästhetisch gutheißen, sondern um kindliche
»Aneignung« von Naturobjekten durch Handeln und Erleben.
Zinn weist auch darauf hin, dass in der sensiblen Altersphase,
in der Kinder für Natureindrücke besonders empfänglich sind,
ein Mangel an primären Naturerfahrungen wahrscheinlich
durch keine noch so stimulierende Ersatzwelt kompensiert
werden und später auch nicht aufgeholt werden kann. »Ein
Kind, das nur in der Kunstwelt menschlicher Zivilisation auf-
gewachsen ist, in der Welt der Technik und Maschinen, die
auf Knopfdruck jede beliebige Reaktion hervorbringen kön-
nen, wird leicht dazu neigen, die gesamte gesellschaftliche
Umwelt einschließlich der zwischenmenschlichen Beziehun-
gen für beliebig manipulierbar zu halten« (ebd.).
Auch Mitscherlich (1965) argumentiert, der junge Mensch
brauche »[…] seinesgleichen, nämlich Tiere, überhaupt Ele-
mentares, Wasser, Dreck, Gebüsche, Spielraum. Man kann ihn
auch ohne das alles aufwachsen lassen, mit Teppichen, Stoff-
tieren oder auf asphaltierten Straßen und Höfen. Er überlebt
es – doch man soll sich dann nicht wundern, wenn er später
bestimmte soziale Grundleistungen nie mehr erlernt, z. B.
ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Ort und Initiative. Um
Schwung zu haben, muss man sich von einem festen Ort ab-
stoßen können, ein Gefühl der Sicherheit erworben haben«
(Mitscherlich, 1965, S. 24 f.). Hier ist die Wertfrage angespro-
chen. Was ist für Kinder und Jugendliche – und dann auch im
Erwachsenenalter – von Bedeutung?
Wer sich niemals als Teil der Natur erlebt hat, dem wird nur
schwer verständlich zu machen sein, dass die Zerstörung von
Natur ihn selbst betrifft. Wer sich jedoch an gute Erlebnisse
in einer naturgeprägten Spielumgebung erinnern kann, der
wird eine im Gefühl verankerte Wertschätzung für Natur ent-
wickeln können (Bögeholz, 1999).
6.1.3 Wirkungsweise und Wert
städtischer Naturerfahrungsräume
Wie kann sich der spielerische Aufenthalt in der Natur auf
Kinder auswirken – sei es in einem informellen oder in einem
formell ausgewiesenen Naturerfahrungsraum? Die folgen-
den Beobachtungen machten Reidl et al. (2005) im Rahmen
einer interdisziplinären Studie in Stuttgart, Karlsruhe, Frei-
burg und Nürtingen. Dabei wurde zum Beispiel das Verhal-
ten von Kindern in Naturerfahrungsräumen und auf konven-
tionellen Spielplätzen miteinander verglichen.
Wirkungsweisen
Förderung einer gesunden Entwicklung: Freizeitbeschäf-
tigungen in der Wohnung mit Fernsehen und Computer-
spielen führen zu Bewegungsmangel, was der Gesundheit
abträglich ist. Naturerfahrungsräume motivieren mehr als
konventionelle Spielplätze ältere Kinder dazu, sich im Freien
zu bewegen.
Stärkung von Eigenverantwortung und sozialer Kompe-
tenz: Das natürliche Angebot der Naturerfahrungsräume
werden. Denn je mehr Eltern in ihrem Lebensstil bereits von
der Natur entfremdet sind, desto eher neigen sie dazu, ihre
Kinder davon abzuhalten, in naturnahen Räumen zu spielen.
So zeigte die EMNID-Umfrage »Kinder und ihr Kontakt zur
Natur« aus dem Jahr 2015, dass 49 % aller Kinder in Deutsch-
land laut Aussage ihrer Eltern noch nie auf einen Baum ge-
klettert sind – insbesondere in Städten.
Naturerfahrungsräume werden gelegentlich als Spielräume
abgelehnt, weil sie manchen Erwachsenen als »unordentlich«
und »unsauber« gelten. Andere Vorbehalte gründen oft auf
der Vorstellung, städtisches Grün müsse immer und über-
all intensiv nutzbar sein. Deswegen wird für Spielräume ein
häufig gemähter Rasen gefordert. Solche intensiv gestalte-
ten und genutzten Spielräume sind zwar auch wichtig, soll-
ten jedoch durch Spielräume mit naturnahem Charakter und
entsprechenden zusätzlichen Möglichkeiten für Spielaktivi-
täten ergänzt werden.
Ein Naturerfahrungsraum steckt voller Überraschungen, He-
rausforderungen und Abenteuer. Er bietet für Mädchen und
Jungen gleichermaßen zahlreiche Möglichkeiten, verschie-
dene Naturelemente zu erfahren (siehe Infobox 6 – 3). Wenn
Kinder ein solches Naturangebot häufig genug nutzen, prägt
es ihr Verhalten und ihre Entwicklung (zu gesundheitlichen
Wirkungen siehe Kapitel 4).
154 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 155
6
NATURSCHUTZZENTRUM
GRÜNE LERNORTE
informell
formell
BIOLOGISCHE STATION
WALDKINDERGARTEN
WALDSCHULE
SCHULGARTEN
WETTERSTATION
LERNBAUERNHOF
…
FELSEN
GEWÄSSER
WALD
WIESE
BAUERNHOF
PARK, GARTEN
(INDUSTRIE-)BRACHE
UNBEBAUTES GRUN DSTÜCK
…
Natur öffnen, wie dies in dem Gelsenkirchener Projekt »Wald-
wärts« geschieht (siehe Infobox 6 – 5), oder indem außer-
schulische Bildungseinrichtungen grüne Lernorte etablieren.
Dabei gibt es unterschiedliche grüne Lernorte: formell auf
Bildungsprozesse ausgerichtete grüne Lernorte und zahlrei-
che Elemente der Stadtnatur, die sich als informelle Lernorte
eignen (siehe Abbildung 6 – 5).
Grüne Lernorte sind wichtig, weil Kinder in urbanen Räumen
immer weniger Möglichkeiten zu Naturkontakt haben (siehe
Kapitel 6.1) und verstärkt Innenräume nutzen. Dies führt zu
Verhäuslichung, Verinselung, Institutionalisierung und Me-
diatisierung von Stadtkindheit. So sind die zeitlich durchge-
planten Tagesabläufe von Stadtkindern zunehmend durch
(Innen-)Rauminseln geprägt (siehe Abbildung 6 – 6). Zur Be-
wältigung der räumlichen Entfernungen zwischen diesen In-
seln werden überwiegend private oder öffentliche motori-
sierte Verkehrsmittel benutzt.
Die Kindheitsforschung zeigt, dass Naturkontakte für Kin-
der in Städten heute räumlich und zeitlich kaum noch eine
Rolle spielen. Das ist bedenklich, da zahlreiche positive Ef-
fekte von Naturkontakten bei Kindern nachgewiesen sind.
liegt ein wichtiger Grund für die Bedrohung vorhandener Na-
turerfahrungsräume und für die Schwierigkeit, Kommunal-
politiker dafür zu gewinnen, solche Räume neu zu schaffen.
In Städten mit hohem Verdichtungsdruck sind informelle
Naturerfahrungsräume, speziell Brachflächen, in besonders
hohem Maße bedroht durch Nutzungskonkurrenz. Sie sind
entsprechend knapp. Wo sie erhalten werden konnten, sind
sie unersetzlich. Wo es möglich ist, sind formelle Naturer-
fahrungsräume laut Bundesnaturschutzgesetz (vgl. Kapi-
tel 6.1.1) auszuweisen, um die Möglichkeiten des wohnungs-
nahen Spielens in der Natur dauerhaft zu sichern.
6.2 GRÜNE LERNORTE IN DER STADT
Viele Bildungsinstitutionen haben die in Kapitel 6.1 darge-
stellten Erkenntnisse über die Bedeutung von Naturerfah-
rung für Kinder und Jugendliche aufgegriffen und grüne Lern-
orte in ihr Programm aufgenommen. Denn Kinder nutzen
die Stadtnatur immer weniger selbständig und so liegt es
nahe, solche Nutzungen und damit verbundenes nachhalti-
ges Lernen durch die Etablierung außerschulischer grüner
Lernorte zu fördern. Dies kann erfolgen, indem Kitas und
Schulen sich für einen außerschulischen Unterricht in der
besonders im Kindesalter zu bestehen und im Erwachsenen-
alter abzunehmen; die Hirnforschung geht von »Entwick-
lungsfenstern« aus, die Lernprozesse im Kindesalter ermög-
lichen, sich im Lauf des Lebens aber »schließen« (Hennen et
al., 2007). In der Kindheit gesammelte Sinneseindrücke und
Erfahrungen sind demzufolge wesentlich für die Entwicklung
der Intelligenz, Kreativität und Verantwortlichkeit eines Men-
schen (Fink, 2011). Der Hirnforscher Hüther (2008) weist da-
rauf hin, dass Kinder in einem naturbelassenen Raum spie-
lend mit einer Vielzahl von sich stets wandelnden und aus
eigener Kraft verformbaren Dingen in Berührung kommen.
»Diese dem kindlichen Entdeckungsdrang angemessene Viel-
falt und Gestaltbarkeit der Spielumgebung wird vom Kind
lustvoll erlebt und fördert die Entwicklung des Gehirns in
dem Sinne, dass Eigenverantwortlichkeit und Kreativität ge-
stärkt werden. Ein Kind, das mit seinesgleichen in Naturräu-
men spielt, erwirbt somit Kompetenzen, die es für sein wei-
teres Leben dringend braucht« (ebd.; vgl. Kapitel 4 zu den
psychischen Wirkungen von Stadtnatur).
Die Kreativität, Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit, die
durch Naturerfahrungsräume geweckt und gefördert wer-
den, sind nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für un-
sere Volkswirtschaft von großem Wert. Dieser Wert lässt
sich allerdings weniger in Geldeinheiten messen als allge-
mein würdigen.
Die Bedeutung alltäglicher Naturerfahrung für die Entwick-
lung unserer Kinder und für die ganze Gesellschaft ist nicht so
leicht zu quantifizieren wie die wirtschaftliche Verwertbar-
keit städtischer Flächen z. B. für den Immobilienmarkt. Darin
regt Kinder zu Rollenspielen und sonstigen gemeinschaft -
lichen Formen des Naturerlebens an. Kinder, die im Spiel
selbst entscheiden, welche der natürlichen Erlebnis- und
Aktivitätsangebote sie auf welche Weise nutzen wollen, be-
gegnen Herausforderungen, deren Bewältigung ihre Selb-
ständigkeit und Eigenverantwortung fördert.
Förderung der Kreativität: Der spielerische Umgang mit
Naturmaterialien, die funktional nicht festgelegt sind, mit
lebenden Tieren und Pflanzen sowie mit Wasser und Boden
regt die Fantasie an. Entdeckungsfreude und Erfindungs-
reichtum werden in der Natur geweckt und ermöglichen
die Entwicklung von Kreativität.
Erhöhung der Risikokompetenz: Die im Vergleich zu Gerä-
ten und gestalteten Spielplätzen überraschenden und we-
niger berechenbaren Bestandteile und Prozesse in Naturer-
fahrungsräumen stärken die Achtsamkeit der Kinder und
ihre Fähigkeit zur Selbsteinschätzung. Bei ihrer Bewegung
im »Spielraum Natur« – etwa beim Klettern auf Bäume
(siehe Abbildung 6 – 4) – stellen sich Kinder gewissen Her-
ausforderungen und lernen, ihre Kräfte und ihre Geschick-
lichkeit abzuschätzen. Durch den spielerischen Umgang mit
unsicheren Situationen erhöht sich die Kompetenz der Kin-
der, mit altersgemäßen Risiken gefahrlos umzugehen. Nur
»versteckte«, vom Kind nicht beherrschbare Gefahrenquel-
len sind in einem Naturerfahrungsraum zu vermeiden.
Zum Wert städtischer Naturerfahrungsräume
Unser Gehirn wird durch unsere Wahrnehmungen, unser Tun
und Nicht-Tun geprägt. Diese »neuronale Plastizität« scheint
ABBILDUNG 6 – 4 Naturerfahrungsraum Nürtingen-Rossdorf: Natur vor der Haustür bietet Abenteuer und intensive Natur erlebnisse.
(Foto: Hans-Joachim Schemel)
ABBILDUNG 6 – 5 Beispiele für formelle und informelle grüne Lernorte innerhalb und außerhalb von Städten.
(Quelle: eigene Darstellung/Andreas Keil)
156 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 157
Als Begründung wird z. B. genannt, dass das freie Spiel im
Wald ein großes Maß an Kooperation und Kommunikation
verlangt (Röhner, 2013).
Untersuchungen in Norwegen und Großbritannien (z. B.
Fjørthoft, 2001; O’Brien und Murray, 2007) zeigen, dass Kin-
der, die regelmäßig über einen längeren Zeitraum in den
Wald gingen, bei sportmotorischen Tests bessere moto-
rische Fortschritte machten als Kinder, die nicht im Wald
waren. Erfahrungen aus der Waldschule Zehlendorf in Berlin
führen zu dem Schluss, dass der spielerische Aufenthalt im
Wald auch die Bewegungsfreude körperlich stark beeinträch-
tigter Kinder fördern kann (siehe Infobox 6 – 4). Bezüglich des
psychischen Wohlbefindens ist nachgewiesen, dass Kinder
sich in einem natürlichen Umfeld mental regenerieren. Ins-
besondere in den USA zeigten mehrere Untersuchungen (z. B.
Kuo und Faber Taylor, 2004) eine Abschwächung der Auf-
merksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und
allgemein einen Abbau von Stress durch Naturaufenthalte.
In den USA wurde auch nachgewiesen, dass sich die kind-
liche Aneignung von natürlichen Umgebungen positiv auf
die kognitive Entwicklung von Kindern auswirkt. Dies wird
mit den vielfältigen Angebotsstrukturen der Natur begrün-
det, die die Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Konzent-
rationsfähigkeit der Kinder fördern (siehe Kapitel 4). Schließ-
lich wird in der Fachliteratur betont, dass durch gemeinsame
kindliche Erlebnisse in der Natur das Selbstkonzept von Kin-
dern sowie deren soziale Kompetenzen gefördert werden.
ABBILDUNG 6 – 6 Inselmodell der kindlichen Lebensräume. (verändert nach Zeiher, 1983)
INFOBOX 6 – 4
Walderlebnistag in der Waldschule Zehlendorf, Berlin (Bettina Foerster-Baldenius)
An einem Herbsttag besuchte die 6. Klasse der Biesalski-Schule,
ein Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt »körperlich-
motorische Entwicklung« und »Lernen«, die Waldschule Zeh-
lendorf in Berlin. Die zwölf Kinder mit unterschiedlichen kör-
perlichen Beeinträchtigungen (zwei Rollstuhlfahrer) sowie
Lernbeeinträchtigungen und Sprachbarrieren freuten sich sehr
auf den Waldtag. »Der Wald und seine Bewohner« war zuvor
lange Thema im naturwissenschaftlichen Unterricht, und die
Kinder gaben zu Beginn begeistert ihr vorhandenes Wissen
preis. Draußen im Wald, unter riesigen Buchen und abseits der
Waldwege, waren sie mit großer Entdeckungsfreude auf Tier-
spurensuche. Mit sanftem Ameisenschritt näherten sie sich
einem Ameisenhügel, um die Ameisen zu beobachten. Die
Bewegungsübung, sanftes langsames Auftreten, wurde wei-
ter zum Anpirschen an einen Fuchsbau genutzt.
Dieser Herbsttag ist einer von zahlreichen Walderlebnistagen
an der Waldschule Zehlendorf. An solchen Tagen können Groß-
stadtkinder den Wald erfahren und positive Erlebnisse mit der
Natur verbinden (siehe Abbildung 6 – 7). Zugleich zielen die
Wald erlebnistage darauf ab, die Motorik der Kinder zu fördern
und ihnen Wissen zu Themen rund um Wald, Forstwirtschaft
und Wildtiere zu vermitteln. Im Schnitt finden vier Walderlebnis -
tage pro Woche statt. Vonseiten der Waldschule werden die
Walderlebnistage von ein bis zwei Waldpädagoginnen betreut,
häufig mit Unterstützung durch Absolventen des Freiwilligen
Ökologischen Jahres. Sie stimmen sich eng mit den begleiten-
den Lehrkräften ab, bei denen die Aufsichtspflicht liegt.
Das vielfältig strukturierte unebene Gelände der Waldschule
bietet Kindern mannigfaltige Möglichkeiten und Herausfor-
derungen einer differenzierten Körperwahrnehmung und Be-
wegung. Eine besondere Rolle spielt dabei die bewegungsrei-
che Freispielphase im offenen Gelände mit Hügeln und einer
Schlucht zum Klettern und Herunterrutschen. Die Motivation
der Kinder, sich diesen spannenden Ort selbst zu erobern und
seine Bewohner hautnah erleben zu können, vermittelt ihnen
neue Erfahrungen.
So wollten die Kinder der Biesalski-Schule, die in ihrem All-
tag auf einen Rollstuhl angewiesen sind, trotz Schwierigkei-
ten selbst laufen und das bis zum Ende des Waldtages. In der
Feedbackrunde sagten beide Kinder mit Rollstuhl, dass das
Schönste im Wald das Laufen war. Die begleitenden Sonder-
pädagogen sprachen von enormer Anstrengungsbereitschaft
und Ausdauer dieser Kinder während des Waldtages. Sie führ-
ten dies eindeutig auf das Erlebnis Wald zurück, da die Kin-
der diese Anstrengungsbereitschaft in so hohem Maße sonst
nicht zeigten.
ABBILDUNG 6 – 7 Laubschlacht während eines Walderlebnis-
tages: Auch so können Kinder positive Erlebnisse mit Natur
assoziieren. (Foto: Waldschule Zehlendorf)
Ergänzend zu den grünen Lernorten für Kinder und Jugend-
liche sind grüne Lernorte für Erwachsene bedeutsam, da
sie wichtige Multiplikatoren sein können. Mehrere deut-
sche Hochschulen bieten ihren Studierenden Lernorte an, in
denen sie selbst Wissen über die Natur und zugleich pädago-
gische Fähigkeiten zur Vermittlung ihres Wissens sammeln
können. Beispiele für solche grünen Lernorte für Erwachsene
sind Lerngärten (siehe Infobox 6 – 6) und biologische Lehr-
und Forschungsstationen (siehe Infobox 6 – 7) an Fachhoch-
schulen und Universitäten.
6
Spielplätze
Kinder- und
Jugendtreffs
Verwandte
Freunde
Vereine
Ganztagsschule
Kurse
Mensa
WOHNINSEL
Zahlreiche Beispiele zeigen, dass außerschulisches Lernen
in der Natur eine originale Begegnung mit der Wirklichkeit
bedeutet (siehe Infoboxen 6.4 bis 6.10). Bei diesen Begeg-
nungen eignen sich Kinder und Jugendliche die naturge-
prägte Umgebung an und bearbeiten einen praxisnahen
Lerngegen stand. Insbesondere in formellen grünen Lernor-
ten sollen Kinder und Jugendliche im Sinne einer Bildung für
nachhaltige Entwicklung Kompetenzen im Hinblick auf die
Gestaltung ihrer Umwelt erwerben. Dies geschieht z. B. auf
158 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 159
INFOBOX 6 – 5
Waldwärts: Waldpädagogisches Netzwerkkonzept mit Bezügen zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (Michael Godau)
INFOBOX 6.6
Lernen, um zu lehren: Ökologischer Lerngarten für Studierende der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (Anja Bierwirth)
Wie das gesamte Ruhrgebiet durchläuft Gelsenkirchen seit
Jahrzehnten einen massiven wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Umstrukturierungsprozess. Dabei sind durch De-
industrialisierung großflächige urban geprägte Naturland-
schaften inmitten der Städte entstanden, die ein vielfältiges
Muster aus Brachen, Halden und Industriewäldern aufweisen
und auch seltenen und bedrohten Arten Lebensräume bie-
ten. Auf Dauer sind solche Flächen nur zu erhalten, wenn die
Quartiersbewohnerinnen und -bewohner diese oftmals ver-
borgenen Räume kennen- und wertschätzen lernen. Rhein elbe,
eine Industriewaldfläche im Gelsenkirchener Süden gelegen,
ist eine solche Fläche. Hier konnte sich Natur nach Aufgabe
des Zechen- und Kokereibetriebs Rheinelbe vor über 70 Jah-
ren entwickeln. Eine urban geprägte Wildnis entstand mit ei-
nem strukturreichen Mosaik aus Wald-, Gebüsch- und Rude-
ralflächen, durchzogen von Kleingewässern.
Industriewaldfläche Rheinelbe als außerschulischer Lernort
Bereits 2001 startete die Kindertagesstätte Leithestraße, un-
terstützt und begleitet durch den Landesbetrieb Wald und
Holz NRW, ihr waldpädagogisches Bottom-up-Projekt »Der
Wald ist voller Wörter« (Godau, 2010). Hierbei lernen Kinder
den Industriewald Rheinelbe als Lern- und Wohlfühlort zu
nutzen. Pro Monat verbringen sie eine Woche im Wald. Sie
schützen ihren Ort, machen andere auf Fehlverhalten auf-
merksam und wirken in ihren Familien als Multiplikatorinnen
und Multiplikatoren eines neuen Umweltschutzgedankens.
Bisher war mit dem Wechsel von der Kindertagesstätte zur
Grundschule die Möglichkeit des regelmäßigen Waldbesuchs
außerhalb der eigenen Freizeit fast gänzlich verloren gegan-
gen. Entwicklungsstränge konnten nicht weiter verfolgt wer-
den. Dies wird mit dem Projekt »Waldwärts« verändert, in
dem der Wald als außerschulischer Lernort in den Schulunter-
richt integriert wird.
Im Rahmen eines Netzwerkes von inzwischen über einem
Dutzend Kooperationspartnern wurde »Waldwärts« 2010
unter Federführung der Stadt Gelsenkirchen ins Leben geru-
fen. Beteiligt sind neben dem städtischen Eigenbetrieb Ge-
Kita, der Kita Leithestraße, der Glückauf-Grundschule, der
Pfefferackerschule und der Gesamtschule Ückendorf auch
die Agenda 21-Arbeitskreise, das Netzwerk Natur, das Minis-
terium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und
Schulgärten bieten durch die Einbindung in den schulischen
Alltag eine naheliegende Möglichkeit, Kinder und Jugendli-
che Natur unmittelbar erfahren zu lassen. In diesem Sinne hat
das Institut für Biologie und Schulgartenentwicklung der Pä-
dagogischen Hochschule Karlsruhe einen Lerngarten für Stu-
dierende der Elementarpädagogik sowie des Primar- und Se-
kundarstufenlehramts eingerichtet.
Auf rund 9.000 m2 werden eine Vielzahl Nutz- und Zierpflan -
zen sowie verschiedenste Elemente eines Schulgartens von
Studierenden und Lehrenden gemeinsam betreut. Hierzu ge-
hören Arbeits- und Lernmaterialien sowie ein Unterrichtsplatz
im Freien. Die Pflanzenanlagen werden durch Elemente zur
sinnlichen Erfahrung ergänzt, z. B. einen Barfußpfad und einen
Sinnesgarten. Neben teilversiegelten und naturnah kultivierten
Bereichen gibt es auch »Wildnis«-, Biotop- und Sukzessions-
flächen.
Die gärtnerisch-gestalterische Arbeit wird mit biologischen,
pädagogischen und fächerübergreifenden Inhalten verknüpft.
Die Arbeit im Lerngarten ist durch Wahl- und Pflichtkurse fest
in die beteiligten Studiengänge integriert, sodass rund 120 Stu-
dierende pro Jahr beteiligt sind.
Das »Schulgartenjahr« beginnt üblicherweise Ende Januar mit
einer Begehung des Gartens und geht über die Vorlesungs-
zeit des Sommersemesters hinaus. Die Studierenden sollen
die Schulgartenarbeit so über eine ganze Vegetationsperiode
kennenlernen. Dabei wird jedes Gartenjahr eine neue Gruppe
von Studierenden aktiv, die die Arbeit der Vorjahresgruppe
weiterführt.
Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, der Lan-
desbetrieb Wald und Holz NRW, die Bergische Universität
Wuppertal und ein Medienbüro. »Waldwärts« entwickelt und
verstetigt Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) beispiel-
haft nach dem Motto »BNE vom Kindergarten bis zum Abitur!«.
Bildungsbrüche sollen so vermieden werden und Kindern aus
allen Bevölkerungsschichten der Stadt – im Besonderen auch
Migrantenkindern – sollen waldpädagogische Lern- und Ent-
wicklungsprozesse ermöglicht werden.
Ziele und Erfolge
Inzwischen nehmen rund 400 Kinder – wobei der Migranten-
anteil bei über 60 % liegt – im Alter von 2 – 14 Jahren am Pro-
jekt »Waldwärts« teil. Dieses findet an regelmäßigen Wald-
tagen aller Klassenstufen statt und gibt den Kindern Zeit und
Raum für eigenverantwortliches Handeln. Konzentration, So-
zialkompetenz und verschiedenste Sinneserfahrungen werden
durch den Waldaufenthalt intensiv gefördert. Alle Unterrichts-
fächer können integriert werden, und erst in den höheren
Klassen spielen klassische Lernziele eine tragende Rolle. In den
Kitas, im Primarbereich und in den unteren Klassen der Sekun-
darstufe 1 (bis Klasse 9) sind das freie Spiel und der weitest-
gehend ungeplante Waldaufenthalt entscheidend: Die Lern-
einheiten beschränken sich auf wenige Vorgaben; die Kinder
lernen vielmehr durch eigenständiges Entdecken, Erforschen
und Erleben. Sie finden eine ganz individuelle Balance
zwischen Lernen, Entspannen und Kommunizieren. Dabei er-
klettern sie Bäume, schauen fasziniert einer Krabbenspinne
zu, die einen Schmetterling frisst, rutschen Steilabhänge hin-
unter (siehe Abbildung 6 – 8), lauschen den Rufen der Kreuz-
kröte, probieren Gundermann und Walderdbeere oder legen
sich zum Träumen in eine Astgabel.
Unter wissenschaftlicher Begleitung der Bergischen Univer-
sität Wuppertal (als interdisziplinäres Projekt der Disziplinen
Sozialgeografie, Sportwissenschaf ten und Pädagogik der frü-
hen Kindheit) werden neben der Untersuchung der motori-
schen Entwicklung in Zukunft auch Aspekte des psychischen
Wohlbefindens, der Sozialkompetenz und der kognitiven Ent-
wicklung betrachtet. In den folgenden Jahren stehen zudem
ein stetiger Qualifizierungsprozess aller Netzwerkpartner so-
wie die Ausweitung auf weitere Standorte an.
Ein wichtiges Ziel des Projekts ist die Einführung der Teilneh-
menden in theoretische und praktische Grundlagen der Schul-
gartenarbeit. Damit bietet es nicht nur eine solide fachliche
Basis für die spätere eigene Arbeit in Schule oder Kindergar-
ten; viele Studierende begeistern sich für die Gartenarbeit und
geben diese Begeisterung später an ihre Schülerinnen und
Schüler weiter.
Ein weiteres wesentliches Ziel ist die Förderung von Schulgär-
ten. Dementsprechend werden außer den Kursen im hoch-
schuleigenen Garten verschiedene Praxisprojekte zur Kon-
zeption und Realisierung von Schulgärten durchgeführt, u. a.
in Landes- und Bundeswettbewerben. Darüber hinaus ist
das Institut in verschiedene Netzwerke und Partnerschaften
eingebunden, etwa die »Bundesarbeitsgemeinschaft Schul-
gärten e. V.« (BAGS) und das »Netzwerk zum Schutz gefähr-
deter Wildpflanzen in besonderer Verantwortung Deutsch-
lands« (WIPs-De). Auch andere Hochschulen haben die Idee
eines Lerngartens umgesetzt – bspw. die Universität Würz-
burg und die Fachhochschule Erfurt.
Aus dem Projekt heraus wird seit Jahren die Entwicklung und
Wirkung von Schulgärten forschend begleitet. Dabei geht
es darum, den Bestand von Schulgärten in Baden-Württem-
berg wiederholt zu erheben und die Wirkung von Schulgar-
tenerfahrung auf die Wahrnehmung von Natur und das Wis-
sen um Biodiversität bei Kindern zu untersuchen (z. B. Lehnert
und Köhler, 2005). So war bspw. festzustellen, dass Kinder mit
Schulgartenerfahrung mehr über Biodiversität wissen als Kin-
der ohne Schulgartenerfahrung.
ABBILDUNG 6 – 8 Waldrutsche im Industriewald Rheinelbe.
(Foto: Michael Godau)
160 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTB ILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 161
INFOBOX 6 – 7
Studieren an Bord: Ökologische Rheinstation der Universität Köln (Anja Bierwirth)
INFOBOX 6 – 8
Lernbauernhof Ingenhammshof in Duisburg (Andreas Keil, Wilfried Hoppe)
Die Ökologische Rheinstation des Zoologischen Instituts der
Universität Köln (http://rheinstation.uni-koeln.de/rheinsta-
tion0.html) wurde auf einem ehemaligen Rheinschiff einge-
richtet, das heute südlich der Kölner Innenstadt am linken
Rheinufer liegt. Sie dient der gewässerbiologischen Forschung
und Lehre. Als einer der größten Flüsse Mitteleuropas ist der
Rhein Lebensraum für Fische, Muscheln, Kleintiere, Plankton
und Einzeller.
Die Rheinstation bietet Wissenschaftlerinnen und Studieren-
den die Möglichkeit, Organismen unter nahezu realen Lebens-
bedingungen zu erforschen und Veränderungen im Ökosys-
tem Rhein zeitnah wahrzunehmen. In den Fließwasserlaboren
an Bord, in die Wasser direkt aus dem Rhein gepumpt wird,
können kleinste Tiere mit Videokamera und Mikroskop beob-
achtet werden. Für die Beprobung des Wassers und des Sedi -
Schüler und Schülerinnen der Gesamtschule Meiderich nutzen
den im stark industriell überformten Duisburger Norden gele-
genen Ingenhammshof seit 1995 als Lernbauernhof. Der Ingen-
hammshof ist ein Relikt einer bäuerlichen Landwirtschaft, die
die Kulturlandschaft der Region vor der Urbanisierung und In-
dustrialisierung prägte. Insbesondere die Gesamtschule Mei-
derich und die Arbeiterwohlfahrt Duisburg, aber auch Eltern,
Stadtteilbewohnerinnen und Stadtteilbewohner sind seit Jah-
ren sehr aktiv in das Projekt eingebunden. Das Projekt Lernbau-
ernhof Ingenhammshof verfolgt als Hauptziel die Vermittlung
einer Bildung für nachhaltige Entwicklung durch die Zusam-
menführung der Nachhaltigkeitsdimensionen an einem au-
ßerschulischen Lernort. Auf dem Hof werden z. B. folgende
Themen im lokalen und globalen Kontext bearbeitet:
Ökologische Dimension: ökologische Landwirtschaft, Er-
nährung und »ökologischer Fußabdruck«, Landschafts- und
Bodenschutz
ments stehen Versuchsanlagen zur Verfügung. Schwerpunkte
der Forschung und Lehre sind u. a. die Biofilm-Forschung, die
die Ausbreitung von Bakterien auf Oberflächen untersucht,
und die Klimafolgenforschung im Hinblick auf invasive Arten.
Studierende der Universität Köln können hier vor Ort theore-
tisch und praktisch arbeiten und mehr über die Biodiversität
und Ökologie des Rheins erfahren. Lehramtsstudierende ler-
nen die faszinierende Unterwasserwelt kennen und erhalten
das Handwerkszeug, um ihr Wissen und ihre Begeisterung an
Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Mit Unterstützung
durch Gymnasien und Gesamtschulen der Region als Koopera-
tionspartner werden schulpraktische Lehrveranstaltungen an
verschiedenen außerschulischen Bildungsstätten in Köln und
Umgebung durchgeführt. Darüber hinaus bietet die Rhein-
station Führungen für Biologielehrkräfte und Schulklassen an.
Soziale Dimension: Integration durch Handlungsorien-
tier ung, »soziales Lernen« im Kontext von Nachhaltigkeits-
erziehung vor Ort
Ökonomische Dimension: Produktion von nachwachsenden
Rohstoffen, (Bio-)Landwirtschaft, Bedeutung von Regio-
nalen Produkten, Produktketten
Darüber hinaus ist das Erleben des Hofalltags (mit Tätigkei-
ten wie Stall ausmisten oder Hoftiere füttern) wichtig. So ha-
ben inzwischen zahlreiche Schülergenerationen der Gesamt-
schule Meiderich, aber auch mehrere Tausend Schülerinnen
und Schüler der Region das Angebot des Ingenhammshofs ge-
nutzt. Die Meidericher Gesamtschüler lernen und arbeiten ein
ganzes Schuljahr lang als Schulklasse im 14-Tage-Rhythmus je-
weils einen Tag auf dem Hof, haben also kontinuierlich Kon-
takt zur Natur und ihrer Entwicklung. Andere Schulen können
einen einmaligen »Hoftag« auf dem Ingenhammshof buchen.
Die positiven Effekte des Aufenthalts und Lernens in grünen
Lernorten sind im Folgenden aufgelistet (Biologische Station
Westliches Ruhrgebiet, unveröffentlicht):
Förderung naturwissenschaftlicher (Fach-)Kompetenzen
Artenkenntnis
Kenntnisse im Bereich des praktischen Naturschutzes
Erlernen von wissenschaftlichem, analytischem und ziel-
orientiertem Denken und Arbeiten durch Anwendung von
Methoden, Dokumentation und Darstellung
interdisziplinäres Wissen, Systemwissen (bspw. vermittelt
das Bodenklassenzimmer in Mülheim an der Ruhr Schü-
lerinnen und Schülern die zahlreichen Bedeutungen von
Boden für das tägliche Leben; siehe Infobox 6 – 9)
Bezug zu schulischen Unterrichtsinhalten
Förderung sozialer Kompetenzen
Teamfähigkeit durch kooperative Arbeit
soziale Integration lernschwacher oder verhaltensauf-
fälliger Schüler durch stärkere Fokussierung auf nicht-kog-
nitive Fähigkeiten als im Schulunterricht üblich
Bereitschaft, sich in die Mitmenschen und in andere Lebe-
wesen einzufühlen
Gestaltungs- und Planungskompetenz
Eigenverantwortung und Selbstständigkeit
Förderung motorischer Fähigkeiten
Bewegung im Gelände (z. B. bei der Erfassung der Flora und
Fauna)
handwerkliche Geschicklichkeit (praktische Naturschutz-
arbeit, z. B. Biotoppflege)
Förderung sprachlicher Fähigkeiten
Kommunikation durch Teamarbeit
Erweiterung des Wortschatzes durch Fachbegriffe und da-
mit Verringerung sprachlicher Defizite z. B. bei Schülerinnen
und Schülern mit Migrationshintergrund
exakte und treffende Formulierung von Beobachtungen
und Arbeitsergebnissen
Dieses Kapitel hat die Vielfalt grüner Lernorte veran-
schaulicht (zu Industriebrachen als grüne Lernorte siehe
Kapitel 6.3.2). Insgesamt werden die Angebote vieler Wald-
schulen, Naturschutzzentren, biologischer Stationen, Schul-
gärten, Lernbauernhöfe oder Lehrpfade sehr stark nachge-
fragt. Das lieg t wesentlich daran, dass die unterschiedlichen
Projekte spezifisch auf die (Natur-)Ausstattung des Lernorts
und auf die Bedürfnisse ihrer Nutzerinnen und Nutzer aus-
gerichtet sind und somit immer bestimmten Zielen folgen:
z. B. Integration, Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwick-
lung, Lernen mit neuen Medien (siehe Infobox 6 – 10) oder
die Vermittlung von Wertschätzung für gesunde Lebens-
mittel (siehe Infobox 6 – 11).
dem Lernbauernhof Ingenhammshof in Duisburg, auf dem
Jugendliche die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltig-
keit kennenlernen (siehe Infobox 6 – 8).
162 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 163
INFOBOX 6 – 9
Bodenklassenzimmer in Mülheim an der Ruhr
INFOBOX 6 – 10
Grünes Lernen digital: mit Geocaching und Lernsoftware in die Natur (Larissa Donges, Karin Ulbrich)
Die Biologische Station Westliches Ruhrgebiet führt in Ko-
operation mit der Stadt Mülheim an der Ruhr seit 2009 ein
Boden klassenzimmer für Schulklassen ab der 2. Jahrgangs-
stufe in Mülheim an der Ruhr durch. Damit sollen Kindern
und Jugendlichen unterschiedliche Bodenfunktionen und die
Bedeutung des Bodens für Pflanzen, Tiere und Menschen ver-
deutlicht werden. Die Themen werden von den Teilnehmen-
den selbstständig erforscht und erarbeitet.
Das Bodenklassenzimmer nutzt Konzepte für verschiedene
Altersgruppen, die bei halbtägigen Exkursionen in Mülheimer
Waldgebieten zum Tragen kommen. Das Bodenklassenzimmer
im Witthausbusch richtet sich an Schülerinnen und Schüler der
2. – 6. Jahrgangsstufe. Die Kinder betrachten dort unterschied-
liche Facetten des Bodens und erfassen seine Bedeutung für
Flora, Fauna und den Menschen (siehe Abbildung 6 – 9). Un-
ter anderem werden Bodentiere gesucht, es wird Boden mit
allen Sinnen bestimmt sowie die Entstehung von Boden the-
matisiert. Darüber wird das Naturerlebnis Wald vermittelt, das
für viele Kinder im strukturschwachen westlichen Ruhrgebiet
eine neue Erfahrung ist. Die Exkursion endet mit einer Schiff-
fahrt über die Ruhr zum Wasserbahnhof in der Mülheimer
Innenstadt.
Das Bodenklassenzimmer im Speldorfer Wald richtet sich an Ju-
gendliche der Sekundarstufe II. In Kleingruppen werden Boden,
Geologie und Bodenchemie und deren Bedeutung für Fauna,
Flora, Mensch und Umwelt untersucht. Die Schüler bringen
die Vegetation des Waldes mit Bodeneigenschaften in Verbin-
dung, erforschen Bodentiere im Hinblick auf ihre ökologischen
Eigenschaften und untersuchen chemische und physikalische
Eigenschaften des Waldbodens anhand von Bodenproben.
Ziel des Bodenklassenzimmers ist es, Kinder und Jugendliche
für das häufig vernachlässigte Thema Boden zu sensibilisieren.
»Mit einem GPS- Gerät durch die Natur laufen und mich zu be-
stimmten Koordinaten lenken lassen? Wofür soll das denn gut
sein? Da kann ich doch auch eine normale Wanderung ma-
chen und sehe wahrscheinlich viel mehr von meiner Umge-
bung« (Donges, 2012, S. 19). Das waren die Gedanken von La-
rissa Donges bevor sie es selbst probierte: Geocaching – eine
Schnitzeljagd, bei der das Ziel mit geografischen Koordina-
ten benannt und mithilfe eines tragbaren Navigationsgerätes
(GPS) gesucht wird. Sie ließ sich davon begeistern und koor-
dinierte am Ende sogar mit weiteren Aktiven der Jugendver-
bände des BUND und der DLRG das Projekt »WASsERLEBNIS«
(www.wasserlebnis.de).
Das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanzierte
und von der UNESCO als Dekadeprojekt zur Bildung für nach-
haltige Entwicklung ausgezeichnete Projekt verknüpfte prak-
tische Kenntnisse zu GPS und Geocaching mit Naturerleben,
Abenteuer und Umweltbildung rund um das Element Was-
ser. Beim »Bluecaching« verfolgen die Geocacher Bildungs-
routen in der (Stadt-)Natur auf der Suche nach einem Schatz
(»cache«) (siehe Abbildung 6 – 10). Dabei erfahren sie spie-
lerisch, welche Pflanzen und Tiere im und am Wasser leben,
wieviel Wasser ein Mensch täglich verbraucht, welchen Belas-
tungen Gewässer in der Stadt ausgesetzt sind und welche
Folgen das eigene Handeln für den Lebensraum Wasser hat.
Mit der Ausbildung zahlreicher (jugendlicher) Multiplikato-
rinnen und durch die Einbindung in die Verbandsarbeit von
BUND und DLRG besteht »Bluecaching« über die Projektlauf-
zeit von »WASsERLEBNIS« hinaus (Donges, 2012). Die Ausbil-
dung von Multiplikatoren soll auch dafür sorgen, dass Geo-
caching naturschutzkonform erfolgt – so sollten z. B. solche
Geocaching-Aktivitäten vermieden werden, die Vogelbruten
stören. Zu anderen Konzepten des mobilen Lernens in der Um-
weltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung siehe
Lude et al. (2013).
Auch virtuelle Exkursionen können Interesse an realen Er-
kundungen in der Natur wecken. Das zeigt der Einsatz der als
Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichneten
Lernsoftware PRONAS (PROjektionen der Natur für Schulen;
www.ufz.de/pronas-lernsoftware) in der Ökoschule Franzig-
mark bei Halle (Saale). Mit dem frei zugänglichen Internet-
programm werden Ergebnisse der Biodiversitätsforschung
Für viele is t Bod en lediglich der Grund, auf dem wir stehen und
laufen können. Die enorme Bedeutung des Bodens (vgl. Kapi-
tel 3.5) für das tägliche Leben durch seinen Einfluss auf Wasser-
haushalt, Biodiversität, Klima, Nahrungsgewinnung, Freizeit-
nutzung usw. ist vielen Kindern nicht bewusst. Die weiterhin
bestehende Problematik der Neuinanspruchnahme von Flä-
chen für Siedlungs- und Verkehrszwecke (vgl. Kap. 1.2) sowie
die Bedeutung der voranschreitenden Klimaveränderung in
Hinblick auf den Boden sollen in diesem Kontext vermittelt
werden. Mithilfe der spielerischen Herangehensweise und der
Möglichkeit eigener Naturerlebnisse sollen diese Inhalte nach-
haltig verankert werden.
an Schülerinnen und Schüler von 12 – 19 Jahren vermittelt
(Ulbrich et al., 2013). In der Ökoschule Franzigmark gelangen
diese mit wenigen Schritten vom Computer zur Natur (und
umgekehrt). So können sie auf dem Bienenlehrpfad Wild-
bienen beobachten und in PRONAS ihr Wissen über die Rote
Mauerbiene (eine Art, die häufig in städtischen Anlagen und
Gärten zu beobachten ist) vertiefen. Szenarien ermöglichen
zudem einen Blick in die Zukunft: PRONAS zeigt, wie sich die
geografische Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten in Eu-
ropa voraussichtlich verändern wird, wenn sich das Klima ver-
ändert. Der Einsatz von Lernsoftware sollte immer durch reale
Naturerfahrung ergänzt werden, denn Begeisterung für die
Natur wächst am besten durch direktes Erleben. Die Erfah-
rungen der Ökoschule Franzigmark zeigen, dass mit computer-
gestützten Angeboten auch solche Zielgruppen zur verstärk-
ten Wahrnehmung der Natur angeregt werden, die sich sonst
kaum dafür interessieren. Einen Überblick über die Bandbreite
digitaler Lernwelten, von Lernsoftware, die auf klassisches Ler-
nen ausgerichtet ist, bis hin zu Lernspielen, bieten Schneider
und Wittenbröker (2010).
ABBILDUNG 6 – 9 Auch Boden kann mit unterschiedlichen
Sinnen erlebt werden. Das Anfassen ist für viele Kinder schon
eine Überwindung. (Foto: Corinne Buch)
ABBILDUNG 6 – 10 Geocaching verbindet praktische
Kennt nisse zu GPS mit Naturerleben, Naturerfahrung und
Umwelt bildung. (Foto: Martin Malkmus)
164 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 165
INFOBOX 6 – 11
Die GemüseAckerdemie: Ackern schafft Wissen (Wanda Born)
Nur wenige Kinder und Jugendliche wissen, wo ihre Lebens-
mittel wirklich herkommen. Noch weniger haben schon ein mal
selbst Gemüse angebaut. Die Konsequenz ist eine sinkende
Wertschätzung für Nahrungsmittel und eine ungesunde Er-
nährung. Dies macht sich u. a. dadurch bemerkbar, dass in
Deutschland inzwischen über 30 % der Lebensmittel wegge-
worfen werden und Diabetes und Übergewicht kontinuierlich
zunehmen (Ackerdemia, 2014; siehe auch Kapitel 7.1).
Vor diesem Hintergrund wurde 2013 von der gemeinnützi-
gen Organisation Ackerdemia e. V. das Bildungsprogramm
»Ge müse -Ackerdemie« ins Leben gerufen. Das Ziel des Pro-
gramms besteht darin, das Bewusstsein und die Wertschät-
zung für gesunde Lebensmittel und deren Produktion in der
Gesellschaft, v. a. aber bei Kindern zu stärken. Dafür wer-
den auf einer schulnahen, mindestens 150 m2-großen Fläche
gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern im Zeitraum von
April bis Oktober unterschiedliche Gemüsesorten unter fach-
licher Anleitung angebaut. In Städten wie Berlin wer den hier-
für Teile des Schulgeländes umgewidmet oder entsiegelt,
um eine kleine Ackerfläche zu schaffen. Die Kinder ernten
das produzierte Gemüse und verarbeiten bzw. verkosten es
zu Hause. Aktuell arbeiten Schulen in Brandenburg, Berlin,
Nordrhein-Westfalen und Niedersachen mit der Initiative zu-
sammen und entwickeln dabei individuelle Bildungsangebote,
die in das bestehende Lehrangebot der jeweiligen Schule in-
tegriert werden. Erste Ergebnisse eines kontinuierlichen
Monitorings der Arbeit veranschaulichen ein großes Poten-
zial für nachhaltige Verhaltens- und Bewusstseinsänderungen:
Viele Kinder ernähren sich bereits nach einem Jahr Pilotphase
»gesünder, bewegen sich mehr, bauen intergenerationelle
Sozialkompetenzen auf, erlangen mehr Selbstbewusstsein
und haben ein messbares Bewusstsein für die Themen Land-
wirtschaft und Ernährung entwickelt« (Ackerdemia, 2014, S. 1).
ABBILDUNG 6 – 11 UND 6 – 12 Im Schulgarten der Nürtigen-Grundschule Berlin Kreuzberg. (Foto: Ackerdemia e. V.)
6.3 URBANE WILDNIS
»Wildnis« gilt gemeinhin als ursprüngliche, vom Menschen
unbeeinflusste Natur. Im urbanen Raum dagegen ist Natur
stark von Menschen beeinflusst – Stadt und Wildnis erschei-
nen als Gegensatz. Nichtsdestotrotz gibt es in Städten viele
Flächen, die zwar durch Menschen verändert wurden und
nicht mehr als ursprünglich betrachtet werden können, die
aber kaum oder keine aktuellen Nutzungen aufweisen. Auf
solchen Flächen kann Natur sich selbstständig entwickeln –
es entsteht urbane Wildnis. Kowarik (2015, S. 472) versteht
unter urbaner Wildnis »Lebensräume [in Städten], deren
Strukturen und Elemente
überwiegend durch natürlich ablaufende ökosystemare Pro-
zesse einschließlich der Einwanderung und des Aussterbens
einheimischer und nichteinheimischer Arten geprägt sind,
wobei diese Prozesse durch Einflüsse aus benachbarten
Stadtgebieten modifiziert werden können (z. B. Stoffein-
träge, veränderter Wasserhaushalt, Ausbreitung von Neo-
biota),
aber nicht wesentlich durch aktuelle Nutzungen geprägt
sind.«
Markante Beispiele für urbane Wildnis sind Brachflächen.
Im Gegensatz zu geplanten und gestalteten Parkanlagen,
Gärten und Abstandsgrün beginnt auf ungestalteten und
ungenutzten Flächen eine spontane Besiedlung durch wilde
Pflanzen und Tierarten, die meistens gut an den urbanen
Lebensraum angepasst sind.
6.3.1 Industriebrachen: Hotspots urbaner
Artenvielfalt
Nach dem Brachfallen einer Industriefläche erobern Tiere und
Pflanzen nach und nach die ungestörten konkurrenzfreien
Rohböden – junge Böden, die kaum verwittert und weitge-
hend frei von Vegetation sind (vgl. Kapitel 3.5 zu urbanen
Böden). Aufgrund ihres häufig extremen Nährstoff- und
Wasserhaushalts (z. B. starke Trockenheit oder Nässe, Nähr-
stoffarmut) stellen Industriebrachen Standorte für hoch spe-
zialisierte Tier- und Pflanzenarten dar, die in der heutigen
Kulturlandschaft selten geworden sind. Zusätzlich zählen
Industriebrachen zu den Biotopen mit der größten Standort-
vielfalt im Hinblick auf anthropogene Substrate, Boden-
verdichtung, Nährstoffversorgung, Wasser- und Wärmespei-
cherung und Entwicklungsphasen (Sukzession). Da hieran
jeweils unter schiedliche Arten angepasst sind, zählen Indus-
triebrachen zu den artenreichsten urbanen Lebensräumen
(vgl. Rebele und Dettmar, 1996; Keil et al., 2013) und sind auch
als Refugium für seltene und gefährdete Tier- und Pflanzen-
arten schützenswert.
Als Bestandteil der urbanen Landschaft können Brachflä-
chen mit ihren Freiraumfunktionen die Lebensqualität von
Menschen erhöhen: Die Flächen bieten Möglichkeiten natur-
verträglicher Naherholung im direkten Umfeld zum Wohnort
und stärken zugleich das gesellschaftliche Naturbewusstsein.
Die Wertschätzung der hier entstandenen »wilden« Natur ist
grundsätzlich sehr positiv (vgl. Infobox 4 – 2). Urbane Brachen
eignen sich auch sehr gut für Umweltbildungsmaßnahmen.
So entstehen Synergieeffekte zwischen Naturschutz, natur-
verträglicher Erholung und Umweltbildung. Natur erlebnis
und Naturerfahrung können mit Maßnahmen der Besucher-
lenkung und Kommunikation sinnvoll verbunden werden
(Keil et al., 2013).
Die meisten Industriebrachen sind allerdings planungsrecht-
lich nicht als Freiräume gesichert. Sie sind im Flächennut-
zungsplan weiterhin als Gewerbe- oder Industriefläche aus-
gewiesen und können jederzeit wieder einer gewerblichen
Nutzung zugeführt werden (vgl. Kapitel 9 zu planerischen
Ansätzen). In vielen urbanen Räumen Deutschlands ist dies
aufgrund einer gebremsten wirtschaftlichen Entwicklung
zwar nicht immer zu erwarten. Nichtsdestotrotz kann es
ohne Sicherung dazu kommen, dass Brachen z. B. als Materi-
allager genutzt oder randliche Teile der Flächen für angren-
zende Wohnbebauung oder Kleingewerbe mitgenutzt wer-
den. Bei Entscheidungen über Flächennutzungen ist es daher
notwendig, die wichtigen Ökosystemleistungen von Brach-
flächen zu würdigen und dann auch Brachen als Freiräume
zu sichern (Brosch et al., 2014).
Im Ruhrgebiet (heute auch Metropole Ruhr genannt), dem
größten Ballungsraum Deutschlands, sind durch den Struk-
turwandel der vergangenen Jahrzehnte Industriebrachen mit
einer Gesamtfläche von über 10.000 ha entstanden (Keil et
al., 2013). Die besonderen Lebensbedingungen dieser urban-
industriellen Standorte führten zu einer hohen Artenviel-
falt, die für die Lebensqualität der hier lebenden Menschen
bedeutsam ist. So ermöglichen Brachflächen oft den einzi-
gen erfahrbaren Kontakt der Menschen mit »spontaner Na-
tur« und sind damit wichtige Orte der Umweltbildung (siehe
Kapitel 6.3.2).
Im Ruhrgebiet ist es gelungen, das (industrie-)kulturelle Erbe
identitätsstiftend und als Alleinstellungsmerkmal der Re-
gion zu bewahren und weiterzuentwickeln. Herausragende
166 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 167
neben den klassischen Themen »Artenvielfalt« und »Öko-
systeme« auf Brachflächen insbesondere auch Themen wie
»dynamische Prozesse in der Natur« (z. B. Sukzession, Ent-
wicklung der Vegetation von der Erstbesiedlung der Wuchs-
orte über verschiedene Stadien zum Wald), »Anpassung«
(besondere Lebensformen- und weisen) sowie das Thema
»Evolution« (z. B. wie Hybridisierung zur Artentstehung führt)
leicht zu veranschaulichen (Buch & Keil 2013). Die langjäh-
rige industrielle Nutzung der Flächen ist weiterhin sichtbar
und verdeutlicht, wie die Natur sich Räume zurückerobert.
Die Industriebrachen sind oft durch ein Wegesystem er-
schlossen und nahe an Schulen, Kindergärten und anderen
Bildungseinrichtungen sowie dem eigenen Wohnort gele-
gen. Menschen empfinden es häufig als faszinierend, wie sich
»die Natur die Flächen zurückerobert« (Buch und Keil, 2013).
Ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet ist die Umweltbildungs -
arbeit der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet und
des Regionalverbandes Ruhr, die auf Industriebrachen neben
naturkundlichen Exkursionen für Erwachsene, Fortbildun-
gen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (siehe Abbil -
dung 6.14) und Fachtagungen auch Tage der Artenvielfalt
für Schulklassen sowie wöchentliche außerschulische Unter-
richtseinheiten mit angrenzenden Schulen durchführen.
6.3.3 Industriebrachen: Orte der Integration
für verschiedene Kulturen und Milieus
Da im Umfeld brachgefallener Industrieanlagen häufig viele
Menschen mit Migrationshintergrund leben, sind Industrie-
brachen auch bedeutsam für das interkulturelle Zusammen-
leben und für die Verflechtung unterschiedlicher Milieus in
den sie umgebenden Stadtquartieren (vgl. Kapitel 5 zum
Thema Stadtnatur und sozialer Zusammenhalt). Zur Wahr-
nehmung und Nutzung von Stadtnatur durch türkische
Migrantinnen und Migranten ergab eine Untersuchung in
Gelsenkirchen und Dortmund Folgendes (Hohn et al., 2006):
Projekte sind die Zeche Zollverein in Essen und der Land-
schaftspark Duisburg Nord mit ihrer Industrienatur. Die
Integration industrieller Brachflächen in die grüne Infrastruk-
tur des Ruhrgebietes ist ganz wesentlich durch die Interna-
tionale Bau ausstellung Emscher Park (IBA 1989 – 1999) be-
fördert worden (siehe Kapitel 8.2.3). In den vergangenen
Jahren ist zunehmend erkannt worden, dass Industriebra-
chen bedeutsam für Naturerfahrung, Naturerforschung und
Naturschutz sind (Keil et al., 2013). Besonders wichtig sind
dabei Offenlandbrachen, die ein gezieltes Management er-
fordern, um ihre besonderen Eigenschaften zu bewahren
(Keil et al., 2007).
6.3.2 Industriebrachen: Orte der Umweltbildung
Wie zu Beginn des Kapitels 6 dargelegt, mangelt es beson-
ders in Innenstädten an naturnahen Flächen, auf denen Kin-
der und Jugendliche sich ungestört aufhalten, spielen, toben
oder Tiere und Pflanzen beobachten können. Dafür bieten
sich die urbanen Brachflächen geradezu an (siehe Abbil -
dung 6.13): In vielen deutschen Ballungsräumen (z. B. im Ruhr-
gebiet, in Berlin oder Leipzig) existieren Industriebrachen
häufig in unmittelbarer Nachbarschaft von Wohngebieten.
Solche Brachflächen werden von Bürgerinnen und Bürgern
in vielfacher Hinsicht, insbesondere für Freizeitaktivitäten
und Naherholung, genutzt. Dies kommt auch einem Bedürf-
nis an Umweltbildung entgegen. Laut der Studie »Natur-
bewusstsein 2009« (BMU und BfN, 2010) wollen 70 % der
Deutschen mehr über die heimische Natur wissen und eine
breite Mehrheit befürwortet den Schutz von Wildnis zuguns-
ten von Pflanzen und Tieren (BMU und BfN, 2014; vgl. auch
Box 6.12 zur Akzeptanz von Wildtieren in der Stadt). Dabei
eignen sich Industriebrachen aus zahlreichen Gründen her-
vorragend für Umweltbildung und bringen zahlreiche didak-
tische Vorteile mit sich. Aufgrund ihrer Standortvielfalt und
Biodiversität sind sehr viele ökologische, biologische und geo-
grafische Sachverhalte hier vermittelbar. Augenfällig sind
ABBILDUNG 6 – 13 In urbaner Wildnis können Kinder ihren
Entdeckungsdrang ausleben. (Foto: Hans-Joachim Schemel)
ABBILDUNG 6 – 14 Multiplikatorenausbildung zum Thema
Industrienatur im Landschaftspark Duisburg-Nord. (Foto: Peter Keil)
INFOBOX 6 – 12
Wildtiere in der Stadt erleben
Zahlreiche Wildtiere werden von Stadtbewohnerinnen und
-be wohnern geschätzt. Diese Wertschätzung zeigt sich in
vielerlei Hinsicht und illustriert, dass Wildtiere in der Stadt
zur Lebens qualität beitragen können:
In der »Stunde der Gartenvögel« des Naturschutzbundes
(NABU) zählten im Jahr 2013 46.000 Bürgerinnen und
Bürger insgesamt 1.175.763 Vögel in 31.685 Gärten. Zwar
umfasst die Aktion Stadt und Land, doch gerade Städte
sind mit ihrer großen Zahl an Gärten, Parks und Balkonen
gute Beobachtungsorte.
Citizen-Science-Projekte (vgl. Kapitel 9.3.4) kommen dem
Interesse von Bürgern an Wildtieren in der Stadt ent gegen.
Das Projekt »Berliner Wildschweine« des Leibniz-Instituts
für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) ruft dazu auf, Wild-
schweinbeobachtungen in Berlin zu melden. Wildschweine
sorgen in Berlin immer wieder für Konflikte mit der Bevöl-
kerung und ihre Zahl wächst. Ebenso können die Bewohner
Vorkommen von Igeln melden. Die Meldungen tragen dazu
bei, Ursachen für die Gefährdung von Igeln zu erfassen und
den Schutz der Igel zu verbessern. Solche Beobachtungen
können in Internetportalen eintragen werden (z. B. http://
naturgucker.de, http://www.portal-beee.de, https://www.
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LITERATUR
Der auf alten Industriebrachen entstandene Wald (urbane
Wildnis) wird als Aufwertung des Quartiers bewertet. Die
Befragungen ergaben z. B. für den Industriewald Rheinelbe
(siehe Infobox 6 – 5), dass die Fläche oft aufgesucht und als
Teil des lokalen Grünsystems genutzt wird. Es zeigt sich aber
auch, dass die Zugewanderten Stadtparks und Kleingärten
bevorzugen. Sie favorisieren gestaltete Natur, insbesondere
Parkanlagen und Naturflächen mit Wasserspendern, Brun-
nen und Bänken. Da mit dem Lebensraum Stadt häufig
negative Aspekte wie Lärm und Dreck assoziiert werden, wer-
den auch urbane Naturausprägungen schlechter bewertet
als Natur im Allgemeinen. Gleichwohl konnte in abschließen-
den Workshops aber auch die Bedeutung von Stadtnatur für
die Qualitätssteigerung von problembelasteten Stadt-
quartieren erarbeitet werden (Güles et al., 2007).
Dies zeigt auch das Beispiel des Consol-Parks, der in Gelsen-
kirchen-Bismarck auf dem Gelände der alten Zeche Consoli-
dation mit Beteiligung der deutschen und nicht-deutschen
Bevölkerung geplant und umgesetzt wurde und der keine
urbane Wildnis mehr darstellt. Der neue Quartierspark ver-
bindet bislang getrennte Teilräume der Stadt und ist mit
Ruhebereichen, Rasenflächen und Trendsportbereichen aus-
gestattet. Diese Teilflächen entsprechen den Ansprüchen
der türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten an
Stadtnatur (Hohn et al., 2006), denn sie nutzen diese v. a.
zum Spazieren gehen, Freunde treffen, Sport treiben, Gril-
len und – wenn möglich – auch als Garten zum Anbau von
Obst und Gemüse.
Insgesamt erweitern Stadtnaturflächen die Möglichkeiten
der Naturerfahrung für Erwachsene, Jugendliche und Kin-
der mit und ohne Migrationshintergrund. Wie das Beispiel
der türkischstämmigen Zugewanderten zeigt, wird urbane
Wildnis als Freiraumtyp zwar nicht bevorzugt, aber pragma-
tisch in das Wohnumfeld eingebunden.
168 NATURERLEBEN, NATURERFAHRUNG UND UMwELTBILDUNG IN DER STADT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 169
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STADTNATUR VERSoRGT 171
7.3 Ökosystemleistungen des Stadtwaldes: Auf dem Weg zu einem integrierten Waldmanagement 185
7.3.1 Ökosystemleistungen des Stadtwaldes 186
7.3.2 Integriertes Waldmanagement durch Kennzahlen zur Steuerung 188
7.3.3 Bewertung von Ökosystemleistungen für ein integriertes Waldmanagement 190
Literatur 191
STADTNATUR
VERSORGT
7
KERNAUSSAGEN
Urbane Landwir tschaft ist kein ländliches Relikt, sondern integraler Bestandteil städtischen Lebens. Der Wert urbaner Land-
wirtschaft liegt nicht nur in der Produktion von Kalorien, sondern auch in ihrer Kraft, lebendige, inspirierte und nachhaltige
Stadträume zu erzeugen.
Landwirtschaft und Gartenbau in der Stadt und ihrem direkten Umfeld spielen für eine nachhaltige Gesundheitsförderung
eine wichtige Rolle. Das direkte Erleben der Landwirtschaft weckt und stärkt das Bewusstsein für Vielfalt, Qualität, saisonale
Verfügbarkeit und Herkunft von Lebensmitteln. Dies ist insbesondere zur Förderung einer gesunden Ernährung wichtig –
und hat im Hinblick auf die Vermeidung von Gesundheitskosten durch ernährungsbedingte Erkrankungen auch wirtschaft-
liche Bedeutung.
Trinkwasser zur Versorgung der städtischen Bevölkerung kann nur selten direkt im Stadtgebiet gewonnen werden. Wo dies
möglich ist, leistet Stadtnatur wichtige Beiträge zur Verbesserung der Wasserverfügbarkeit und Rohwasserqualität, welche
sich auf die Trinkwasserqualität auswirkt.
Häufig muss auf Wasserressourcen des Umlandes bzw. von Stadtrandgebieten zurückgegriffen werden. Hierbei erweisen
sich Kooperationen zwischen Wasserversorgern und Landnutzern für eine gewässerschutzoptimierte Landbewirtschaftung
als kosteneffektive Maßnahme zur Sicherung der Trinkwasserqualität.
Stadtwälder tragen mit ihren diversen Ökosystemleistungen maßgeblich zur Lebensqualität der Menschen bei. Sie bieten
Raum für Erholung, Sport, sozialen Austausch und Umweltbildung und sie erfüllen wichtige regulierende Leistungen wie die
Speicherung von Kohlenstoff, Klimaregulation und die Reinigung von Wasser und Luft.
Die Versorgungsleistungen des Waldes leisten einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Förderung anderer Leistungen.
So können über die Holzwirtschaft Deckungsbeiträge für die Bereitstellung der stark nachgefragten kulturellen Ökosystem-
leistungen erwirtschaftet werden.
Voraussetzung für die Förderung der verschiedenen Ökosystemleistungen ist eine integrative Managementstrategie für
Stadtwälder. Ökosystemleistungen durch Kennzahlen sichtbar zu machen und zu bewerten, hilft dabei, Management-
Optionen zu diskutieren sowie Strategien zur Lösung von Nutzungskonflikten und Instrumente für eine Honorierung/Finan-
zierung aller Ökosystemleistungen zu entwickeln.
KOORDINIERENDE AUTORIN
MIRIAM BRENCK
WEITERE AUTORINNEN UND AUTOREN
FRANK LOHRBERG, KATHARINA RAUPACH, CHRISTIAN TIMM,
UTA BERGHÖFER, NICOLE HEINZ, KNUT STURM, LUTZ WITTICH
MIT BEITRÄGEN VON
JENS BURGSCHWEIGER, LUTZ KOSACK, KLAUS MÖLLER, INA SÄUMEL
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, KATRIN BOHN, CLAUDIA CASTELL-EXNER,
SONJA GÄRTNER, TILL HOPF, HARTMUT KENNEWEG, CHRISTIAN LÖWE,
JANA RÜCKERT-JOHN, ELISABETH SCHWAIGER, BETTINA SCHWARZL,
GABRIELE SONDEREGGER, MARKUS ZIEGELER SOWIE WEITERE ANONYME
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
7.1 Nahrungsmittel vor der Haustür 172
7.1.1 Zum Wert urbaner Landwirtschaft 172
7.1.2 Selbst gesät, gepflanzt, geerntet: Nahrung aus dem eigenen Garten 175
7.2 Sauberes Wasser aus dem Untergrund 179
7.2.1 Bedeutung von Regulierungsleistungen für die
Trinkwasserversorgung 183
7.2.2 Ansätze zur Bewertung der Trinkwasserversorgung 183
7.2.3 Kooperationen von Wasserversorgern und Landnutzern zur
Erhaltung von Ökosystemleistungen 185
172 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 173
heute verstärkt – deren Gesundheits-, Genuss- und Sozial-
wert. Einfach gesprochen: Der Verbraucher möchte nicht
nur billig satt werden, sondern gesunde, schmackhafte und
umweltfreundlich produzierte Lebensmittel erhalten und
das nicht anonym, sondern vom Bauern, den er kennt. Man
ordert Gemüsekisten oder legt gleich selbst mit Hand an,
radelt zum Hofladen, pflückt Erdbeeren und Schnittblumen
oder mietet dort eine Krautgartenparzelle (vgl. Infobox 7 – 1).
Leistungen agrarischer Stadtnatur für Kommunen
In der kommunalen Planung sind die Leistungen agrarischer
Stadtnatur für Kommunen noch unzulänglich berücksich -
tigt – wie generell der Beitrag der urbanen Landwirtschaft
für eine nachhaltige Stadtentwicklung unterschätzt wird
(Lohrberg, 2001). Was kann die städtische Landwirtschaft
dazu beitragen, was naturnähere Flächen wie Wälder oder
Parks nicht in gleichem Maße können?
Diese Frage muss gestellt werden, da agrarische Fläche
nicht nur durch Bebauung minimiert wird, sondern auch
durch Aufforstungen oder Umwandlung in Erholungsflä-
chen. So dienten bspw. nur 40 % der im Ruhrgebiet von
1994 – 2010 umgewandelten landwirtschaftlichen Flächen
dem Zweck der Siedlungs- und Verkehrsflächenentwicklung.
Versorgungsleistungen agrarischer Stadtnatur
für Bürgerinnen und Bürger
Die oben genannten Zahlen legen nahe, dass die Hamburger
Bevölkerung viel Obst und Gemüse aus unmittelbarer Nähe
bezieht. Gleichwohl fehlen hierzu statistische Angaben, da
die Vertriebswege stark von Betrieb zu Betrieb variieren. Von
18 im Jahr 2011 befragten ökologisch produzierenden Ham-
burger Betrieben vermarkteten nur zwei direkt; die meisten
Betriebe erzeugten hingegen für den Großhandel, also auch
für einen überregionalen Markt (Universität Hamburg, 2011).
Aus direkter räumlicher Nähe lässt sich folglich nicht auf ei-
nen hohen Nahversorgungsgrad der Bevölkerung schließen.
Für einzelne landwirtschaf tliche Betriebe ergibt sich aber ein
hoher Absatzanteil in der Nahversorgung und damit eine
große Wertschöpfung. Während im ländlichen Schleswig-
Holstein nur 16 % der Landwirte eine Direktvermarktung
nutzen, sind dies in Hamburg 54 % (Statistisches Amt für
Hamburg und Schleswig-Holstein, 2011).
Dieser Unterschied erklärt sich mit von Blanckenburgs (1986)
Wertdifferenzierung agrarischer Produkte, wonach der städ-
tische Kunde nicht nur den Tausch-, Gebrauchs- und Nähr-
wert von Agrarprodukten nachfragt, sondern auch – und
7.1 NAHRUNGSMITTEL VOR DER HAUSTÜR
7.1.1 Zum Wert urbaner Landwirtschaft
Welche Versorgungsleistungen kann die »urbane Landwirt-
schaft« erbringen? Bevor diese Frage beantwortet werden
kann, ist zunächst der Begriff zu definieren. Mit Blick auf den
internationalen Sprachgebrauch schlagen Lohrberg und
Timpe (2011) vor, »urbane Agrikultur« als Überbegriff zu ver-
wenden. Diese teilt sich in urbane Landwirtschaft (»urban
farming«) und urbanes Gärtnern (»urban gardening«) auf.
Der Begriff der »urbanen Agrikultur« ist im Deutschen zwar
kaum geläufig, aber deutlich besser als »urbane Landwirt-
schaft« geeignet, um einen umfassenden Zugang zur agra-
rischen Produktion in der Stadt zu gewinnen. Diese wur -
zelt – gerade in jüngeren Erscheinungen wie denen des
»Gemeinschaftsgartens« (»community garden«) – nicht nur
in (land-)wirtschaftlichen Motiven, sondern versteht sich im-
mer auch als (agri-)kulturelle Initiative.
Abbildung 7 – 1 zeigt die Zweigliederung urbaner Agrikultur:
Die urbane Landwirtschaft beschreibt Aktivitäten auf dem
Maßstab des Ackers. Sie erfasst professionelle Akteure wie
landwirtschaftliche oder gartenbauliche Betriebe, die durch
die Suburbanisierung nicht selten inmitten von Stadtregio-
nen liegen (Lohrberg, 2000). Das urbane Gärtnern zielt hin-
gegen auf den Maßstab des Gartens: kleinere Flächen im Ge-
webe der Stadt, auf denen auch nicht-professionelle Akteure
tätig sind und wo die landwirtschaftliche Produktion als Ve-
hikel für andere sozial-ökologische Funktionen verwendet
wird (siehe auch Kapitel 5).
Wie grenzt sich die urbane Landwirtschaft von der Landwirt-
schaft im ländlichen Raum ab? Zum einen ist eine räumliche
Nähe gegeben: Produziert wird in der Stadt oder ihren Rand-
gebieten. Zum anderen verändert sich die Landwirtschaft
durch den Einfluss der Stadt: Flächenkonkurrenz, Flächen-
entzug und Umweltbelastungen, aber auch neue Märkte
wirken auf die Betriebe ein. Viele Betriebe passen sich an,
indem sie die Produktion in Richtung Gartenbau, Feldge-
müse oder Dienstleistungen für Erholung und Kultur umstel-
len. Auf diesem Wege entsteht eine urbane Landwirtschaft,
die sich deutlich von ihrem ländlichen Pendant unterschei-
det. So liegt der Anteil der Fläche mit Gemüse- und Obstan-
bau an der Gesamtagrarfläche im Bundesdurchschnitt bei
2 %, in Hamburg aber mit 20 % zehnmal so hoch (Statistisches
Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, 2011).
Welchen Beitrag leistet die Stadtnatur zur Versorgung
von Menschen in der Stadt?
Als Versorgungsleistungen werden Güter und Rohstoffe
bezeichnet, die von der Natur bzw. auf der Basis ihrer Leis-
tungen durch menschliches Zutun erzeugt werden. Dazu
gehören Obst, Gemüse, Getreide, Pilze, Holz, Fasern, Ener -
gie rohstoffe und sauberes Wasser (zur Einordnung der
Versorgungs leistungen als eine Kategorie von Ökosystem
-
leistungen siehe Kapitel 2.1).
Eine grundlegende Bedingung für Gesundheit ist eine ausrei-
chende und gesunde Ernährung (WHO Europa, 1986). Dazu
können auch die Produkte der Natur in der Stadt und ihrem
direkten Umfeld einen wichtigen Beitrag leisten. Die Verant-
wortung der Städte für eine Versorgung mit Lebensmitteln,
deren Qualität und Herkunft und deren Bedeutung für die
Gesundheitsförderung der Menschen werden zunehmend
thematisiert (vgl. Huang et al., 2015; Steel, 2009; Stierand,
2014; Viljoen, 2005). Die Menschen in der Stadt sind in erster
Linie Verbraucher von Nahrung und Rohstoffen und damit in
hohem Maße abhängig von den Ökosystemleistungen länd-
licher Räume. Dass auch Stadtnatur einen Beitrag zur Ver-
sorgung leisten kann, soll im Folgenden aufgezeigt werden.
Landwirtschaftlich genutzte Flächen in und nahe der Stadt
sind wichtige Bestandteile städtischen Lebens. Durch die
Erzeugung von Lebensmitteln im direkten Lebensumfeld
der Menschen sind diese Flächen auch Raum für Umwelt-
bildung, Naturerfahrung und Erholung. Gärten bieten im
Umfeld der begrenzten Wohnräume der Stadt Möglichkei-
ten für Subsistenzwirtschaft und eine selbstbestimmte und
eigenverantwortliche Ernährung. Ein erster Abschnitt dieses
Kapitels befasst sich daher mit den Versorgungsleistungen
urbaner Landwirtschaft und urbaner Gärten (vgl. Kapitel 7.1).
Kooperationen zwischen städtischen Akteuren und Land-
nutzern im ländlichen Raum fördern die Erhaltung von
Öko systemleistungen und Biodiversität und lohnen sich
wirtschaftlich, wie das Beispiel der Förderung gewässer-
schutzoptimierter Landbewirtschaftung durch kommunale
Wasserversorger zeigt. Diese Aspekte werden in Kapitel 7.2
vorgestellt.
Insbesondere in den Wäldern in und nahe der Stadt gibt es
eine große Nachfrage nach kulturellen Ökosystemleistungen
wie Erholung, Sport und Umweltbildung. Ein integriertes Wald-
management hilft, neben den Versorgungsleistungen der
Holzwirtschaft auch die weiteren Ökosystemleistungen des
Stadtwalds angemessen zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 7.3).
ABBILDUNG 7 – 1 Formen urbaner Agrikultur. (Quelle: aktualisiert nach Lohrberg und Timpe, 2011)
7.1
URBANE AGRIKULTUR
PROJEKTBEISPIELE
Landwir tschaftspark Belvedere,
Köln
Landschaftspark Mechtenberg,
Gelsenkirchen
Kronsberg,
Hannover
URBANE LANDWIRTSCHAFT
professionell
marktorientiert
spezialisiert
verbrauchernah
anpassungsfähig
flächenbezogen
ökologische Qualitäten
ästhetische Qualitäten
pädagogische und soziale
Dienstleistungen
PROJEKTBEISPIELE
Prinzessinnengär ten,
Berlin
Ehrenfeld, was isst Du?,
Köln
Kleingartenanlage Rehberge,
Berlin
URBANES GÄRTNERN
bürgerschaftlich
»subsistenzorientiert«:
für den Eigenverbrauch
lebensqualitätsorientiert
ortsbezogen
Quartiers- oder Nachbar-
schaftsbezug
soziale Qualitäten
ästhetische Qualitäten
174 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 175
7.1.2 Selbst gesät, gepflanzt, geerntet:
Nahrung aus dem eigenen Garten
Lebendige Schul- und Gemeinschaftsgärten, traditionelle
Kleingartenanlagen, versteckte Balkon- und Dachgärten,
öffentliche Gemüsebeete in der Innenstadt: Städtische
60 % der Verluste wurden hingegen durch die Ausweitung
von Erholungs-, Wald- und Wasserflächen verursacht (LWK
NRW, 2013). Offensichtlich haben Agrarflächen auch in den
Umwelt- und Grünflächenämtern eine schwache Lobby.
Ein differenzierter Blick zeigt jedoch, dass sie wertvoll für die
Stadtentwicklung und für den Erhalt der biologischen Viel-
falt sein können.
So produzieren Ackerflächen relativ viel Kaltluft und tragen
damit stärker als Waldflächen zur Abkühlung von Städten
und zur Verringerung von Hitzestress bei (Ministerium für
Infrastruktur BW, 2012). Agrarflächen können zudem zur Bio-
diversität beitragen, insbesondere im Rahmen eines umwelt-
schonenden und auf Lokalsorten aufbauenden ökologischen
Landbaus. Gleichzeitig stellen solche Flächen wichtige Erho-
lungs- und Bildungsräume dar. Projekte wie der Landwirt-
schaftspark Belvedere verdeutlichen allerdings, dass eine
reine Unterschutzstellung der Flächen nicht ausreicht. Viel-
mehr bedarf es einer landschaftsarchitektonischen Gestal-
tung, um aus banalen Agrarflächen inspirierende Erholungs-
areale zu machen (siehe Infobox 7 – 2.).
Schließlich rechnet sich die landwirtschaftliche Nutzung
von Freiräumen auch für den städtischen Haushalt: Für die
Kommunen fallen bspw. bei der Pflege von Wiesen in Grün-
zügen jährliche Kosten von 10.000 – 20.000 Euro/ha an. Wird
die Wiese hingegen von einem landwirtschaftlichen Betrieb
(z. B. Reiterhof) unterhalten, entfallen diese Kosten. Ist die
Fläche im Eigentum der Stadt, kann zudem Pacht einge-
nommen werden. Durch »Ernte statt Pflege« können somit
Kosten gespart, aber auch neue Wertschöpfungen durch
Arbeitsplätze in Produktion und Vermarktung in Gang ge-
setzt werden.
Über diese Leistungen hinaus wird auch die Möglichkeit an Be-
deutung gewinnen, mit der urbanen Landwirtschaft wieder
stärker auf den Energie- und Stoffwechsel der Stadt einzuwir-
ken. Pilotprojekte wie das »Waldlabor Köln« (siehe Infobox 7 – 3)
zeigen, dass Agrarnutzungen durchaus als »grüne Infra struktur«
der Städte entwickelt werden können. Die urbane Landwirt-
schaft hat das Potenzial – wie einst im Wörlitzer Gartenreich –
das Schöne und das Nützliche auf innovative Weise mitein-
ander zu verbinden.
INFOBOX 7 – 1
Ackerparzellen zur Selbsternte: Krautgärten
INFOBOX 7 – 2
Landwirtschaftspark Belvedere in Köln
INFOBOX 7 – 3
Waldlabor Köln: Energie ernten vor der Haustür
Zur urbanen Landwirtschaft tragen professionelle Akteure
wie Landwirte oder Gartenbauer wesentlich bei. Sie richten
ihre Produktion auf den städtischen Markt aus und reagieren
schnell auf neue Trends und Bedürfnisse. So bieten immer
mehr Landwirte Krautgärten an, auf denen sie nur die Ein-
saat verschiedener Gemüsesorten vornehmen, die Pflege und
Beerntung dann aber auf Basis eines jährlichen Pachtvertrags
städtischen Kunden überlassen. Beide Seiten profitieren: Die
Landwir te erzielen Pachteinnahmen (Beispiel »Gartenglück«
(2015) in Köln: 320 € für eine 100 m2-Parzelle, 170 € für 50 m2)
und verlagern das Risiko von Ernteschäden. Die Kunden gewin
-
nen die Möglichkeit, ohne größere Vorkenntnisse und ohne
langfristige Bindung Lebensmittel selbst anzubauen und
zu ernten. Internetfirmen wie »Meine Ernte« unterstützen
die Landwirte bei der Kundenansprache und Geschäftsab-
wicklung.
Der Landwirtschaftspark Belvedere sichert ein mehrere hun-
dert Hektar großes landwirtschaftliches Areal im äußeren
Grüngürtel der Stadt Köln. Die Stadt als Eigentümerin der
Fläche verzichtete auf die Anlage klassischer, unterhaltungs-
aufwendiger Grünanlagen und setzte stattdessen die agrari-
sche Nutzung in Szene – was im Übrigen auch dem Wunsch
beteiligter Bürger entsprach, die die Offenheit und Großzü-
gigkeit des Landschaftsraums als besondere Qualität heraus-
gestellt hatten. Ein neuer Rundweg schafft nun guten Zu-
gang für viele: vom Landwirt bis hin zum Rollstuhlfahrer. Vier
Aussichtspunkte inszenieren charakteristische Blicke auf die
Agrar flur und angebaute Kulturen. Ein Schaugarten informiert
über die 3.000-jährige landwirtschaftliche Kultur in diesem
Börde-Raum.
Die Stadt Köln hat 2010 unter dem Titel »Waldlabor Köln«
auf einem 10 ha großen Acker einen »Energiewald« ange-
legt. Hier soll erprobt werden, wie auch im urbanen Raum
Biomasse erzeugt werden kann (www.koeln-waldlabor.de).
Schnellwüchsige Weiden, Pappeln und Paulownien wachsen
hier in wenigen Jahren zu meterhohen Kurzumtriebsplanta-
gen auf und werden dann geerntet und zu Hackschnitzeln
verarbeitet; nach der Ernte treiben die Gehölze aus dem Wur-
zelstock wieder aus – ein Vorgang, der mehrfach wiederholt
wird. Schon bei der ersten Ernte im Winter 2014 wurd e so viel
Holz geerntet, dass damit mehr als 200 Vierpersonenhaus-
halte für ein Jahr mit Heizenergie versorgt werden konnten.
Befragungen der lokalen Bevölkerung (Matros und Lohrberg,
2016) haben ergeben, dass der »Eingriff« in den Energiewald
im Moment der Ernte zwar kritisiert wurde, aber nach dem
Wiederaufwachsen der Gehölze (sechs Monate später) die
Zustimmung zum Energiewald sogar höher war als vor der
Beerntung.
ABBILDUNG 7 – 2 Krautgarten auf einem Bauernhof in Aachen.
(Foto: Axel Timpe)
ABBILDUNG 7 – 3 Blick vom Aussichtsturm über den Landwir t-
schaftspark Belvedere. (Foto: Axel Timpe)
Gärten sind vielseitig und ihre Entwicklung stößt seit einigen
Jahren auf verstärktes Interesse.
Projekte wie die Prinzessinnengärten in Berlin (siehe Info -
box 5 – 2) oder die »Essbare Stadt« Andernach (siehe Info-
box 7 – 4) sind bundesweit bekannt und locken über die Stadt-
grenzen hinaus Besucher an. Zu den Effekten für den Stadt-
tourismus vgl. auch Kapitel 8.2.2. Vor allem in großen Städten
wächst die Zahl der Gemeinschaftsgärten. Im Februar 2016
waren es 489 Gärten (siehe laufend aktualisierte Karte der
Gemeinschaftsgärten in Deutschland; Anstiftung & Ertomis,
2015; vgl. auch Kapitel 5). Eine Erhebung der genutzten Flä-
che der Gemeinschaftsgärten liegt bislang nicht vor – und
ist aufgrund der großen Dynamik schwierig, auch bedingt
durch relativ kurzfristig wechselnde Standorte im Rahmen
von Zwischennutzungen.
Hingegen ist die Gesamtfläche der Kleingärten in Deutsch-
land als fester Bestandteil städtischen Grüns seit Jahren
nahezu konstant: Mit mehr als 46.000 ha entspricht sie
etwa einem Anteil von 0,25 % der landwirtschaftlichen Nutz-
fläche (BDG, 2014). Angenommen, dass die Empfehlung des
Bundes kleingartengesetzes, ein Drittel der Kleingarten fläche
als Nutzgarten zu pflegen, im Durchschnitt umgesetzt wird,
176 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 177
Ökologischer Gartenbau in der Stadt?
Ein naturschonender Anbau von Nahrungsmitteln hat für
Kleingärtnerinnen und Kleingärtner an Bedeutung zugenom-
men – insbesondere in Kleinstädten, wo das Angebot an
Bioprodukten im Handel geringer ist (BMVBS, 2008, S. 60).
Trotzdem gibt es weiterhin großen Handlungsbedarf, über
die Vorteile und Kriterien ökologischen Gartenbaus zu infor-
mieren und Gewohnheiten zu verändern. Das wachsende
Umweltbewusstsein der Gärtnerinnen schlägt sich häufig
noch nicht in einer veränderten Bewirtschaftungspraxis
nieder. Der Einsatz chemischen Düngers in Kleingärten hat
(zwischen 1998 und 2008, Zeitpunkt der Untersuchung) wie-
der zugenommen: 48 % aller Befragten verwenden solchen
Dünger. 22 % der Gärtner nutzen auch chemische Schäd-
lingsbekämpfung. Jüngere Menschen, die ihren Garten seit
Die Verzehrstudie des LUA NRW (2001) beziffert den Grad
der Selbstversorgung der Gärtner im Rhein-Ruhr-Gebiet mit
knapp 48 % bei Gemüse und 54 % bei Obst (ohne Südfrüchte).
Die Befragten selbst schätzten ihren Selbstversorgungsgrad
mit etwa 34 % bei Gemüse und 26 % bei Obst deutlich gerin-
ger ein (LUA NRW, 2001, S. 85 ff.).
Motiv für die Selbstversorgung kann neben dem Wunsch
nach einer eigenverantwortlichen, selbstbestimmten Ernäh-
rung auch die Entlastung der Haushaltskasse sein (Neu und
Nikolic, 2014). Im Vordergrund steht neben der Freude am
Gärtnern und dem Tätigsein in der Natur der Wunsch nach
mehr Wohlbefinden durch Subsistenzwirtschaft. »Selbst
produziertes Obst und Gemüse ernten zu können, vermittelt
Gefühle von Autonomie und Reichtum« (Baier, 2010, S. 248).
angebaut werden, lässt sich schwer schätzen. Zu den Erträgen
des urbanen Gärtnerns in Deutschland liegen bislang keine
belastbaren Daten vor.
Welche Rolle spielt die Ernte in urbanen Gärten
für die (Selbst-)Versorgung?
Die Menschen nutzten Kleingartenanlagen traditionell zur
Selbstversorgung, weil frische Produkte teuer und schwer
erhält lich waren. In Zeiten wirtschaftlicher Krise, z. B. in den
Nachkriegsjahren sowie in der ehemaligen DDR, waren Gärten
essenziell für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Selbstver-
sorgung. Neu und Nikolic (2014) identifizierten sechs Typen
heutiger Selbstversorger, denen eines gemein ist: Das Gärt-
nern ist Ausdruck eines Lebensgefühls und nicht aus der Not
oder Versorgungsengpässen geboren. Ein Teil der Gärtnerin-
nen und Gärtner strebt aber durchaus die Selbstversorgung an.
ergibt das eine Fläche von gut 15.300 ha für den Anbau von
Nahrungsmitteln. Eine Studie zu Anbau und Verzehr in Klein-
gärten im Rhein-Ruhr-Gebiet (LUA NRW, 2001) bestätigt
diese Annahme: Die mittlere Parzellengröße umfasste hier
368 m
2
, wovon mit 123 m
2
gut ein Drit tel zum Anbau von Obst
und Gemüse genutzt wurde (ohne Obstbäume auf Wiesen).
Eine Studie zu Kleingärten des Rhein-Ruhr-Gebiets (LUA NRW,
2001) ermittelte Erntemengen pro Parzelle von etwa 100 kg
Gemüse und 70 kg Obst – mit bis zu 29 Gemüsearten und
17 Obstarten pro Parzelle (zur Sortenvielfalt in urbanen Gär-
ten siehe auch Infobox 7 – 5). Hochgerechnet auf die Fläche
im Bundesgebiet ergibt dies Ernteerträge aus deutschen
Kleingärten von mehr als 212.600 t Obst und Gemüse pro
Jahr. Wieviele Nahrungsmittel darüber hinaus in Haus- und
Gemein schaftsgärten, auf Dächern, Terrassen und Balkonen
INFOBOX 7 – 4
Pflücken erlaubt – Die Essbare Stadt Andernach (Lutz Kosack)
INFOBOX 7 – 5
Vielfältige Ernte aus Stadtgärten
Die Stadt Andernach schlägt mit der »Essbaren Stadt« einen
neuen Weg der Grünraumplanung ein. Zentral ist dabei die
Anpflanzung von Gemüse und Obst in öffentlichen Beeten,
die nicht nur allen zugänglich sind, sondern auch von jedem
beerntet werden können.
Neben der attraktiven Gestaltung der Grünflächen sollen
diese im Sinne der Multifunktionalität ökologische, ökono -
mische und auch ästhetische Funktionen gleichermaßen unter-
stützen. Neben Tomaten wachsen auf insgesamt etwa ei nem
Hektar Fläche weitere Gemüsesor ten, Obstsorten und Küchen-
kräuter. Statt »Betreten verboten« heißt es nun »Pflücken
erlaubt« – ein neuer Wahrnehmungsraum entsteht. Ziel ist
es dabei auch, den Stadtbewohnern auf kleineren Flächen die
Artenvielfalt zu demonstrieren und Biodiversität im wahrsten
Sinne des Wortes »begreifbar« zu machen: Hier wird Biodiver-
sität erlebbar, kann geschmeckt und gefühlt werden. Dabei
gilt es im Konzept der »Essbaren Stadt«, die Stadt als »Lebens«-
Mittelpunkt wieder mit »Lebens«-Mitteln erlebbar zu machen.
Auch durch die Umwandlung intensiv gepflegter Grünflächen
in Wildblumenwiesen und durch den Anbau von mehrjähri-
gen Stauden konnte die Stadt Aufwand und Kosten der Grün-
pflege reduzieren. Die Pflege der Beete der »Essbaren Stadt«
übernehmen langzeitarbeitslose Bürgerinnen und Bürgern.
Die sozialen Aspekte dieses Projektes zeigen sich in einem
In Gärten finden viele Sorten Platz, die aus den (Super-)
Märkten verdrängt wurden. Eine Erhebung der Artenviel -
falt in deut schen Kleingärten ermittelte an 83 Kartierungs-
standorten insgesamt mehr als 2.000 Arten bzw. Sorten von
Kultur pflanzen (BDG, 2008). Mit 114 Gemüsearten, 80 Arznei-
und Gewürz pflanzen und 59 Obstarten handelt es sich bei
mehr als 12 % der in Kleingärten kultivierten Pflanzen arten
um essbare Nutzpflanzen (siehe Tabelle 7 – 1). Belastbare Er
-
hebungen von Vergleichsdaten aus Haus- und Gemeinschafts-
gärten in Deutschland liegen bislang nicht vor. Ein Vergleich
mit dem eingeschränkten Angebot an Kulturpflanzen im
Supermarkt zeigt, dass städtische Gärten einen großen Beitrag
ABBILDUNG 7 – 4 »Pflücken erlaubt!« in der »Essbaren Stadt«
Andernach. (Foto: Stadtverwaltung Andernach)
TABELLE 7 – 1 Vergleich der Sortenvielfalt in Kleingärten, Produktionsgartenbau und Landwirtschaft. (Quelle: nach BDG, 2008)
hohen Maß an Identifikation der Beteiligten mit einer solchen
sinnstiftenden Arbeit und manifestieren sich auch in einer
überdurchschnittlich hohen Vermittlung dieser Menschen in
den ersten Arbeitsmarkt. Die hohe mediale Präsenz des mit
verschie denen Preisen ausgezeichneten Projekts der »Essbaren
Stadt« hat zu mehr als 300 Anfragen von Städten und Gemein-
den hinsichtlich dessen Übertragbarkeit geführt. Städte wie
Minden, Waldkirch und Haar sind nun auch auf dem Weg zur
»Essbaren Stadt«.
zur Erhaltung der biologischen Vielfalt von Nutzpflanzen leis-
ten können. Abhängig ist diese Wirkung von der individuellen
Gestaltung des Gartens und der Auswahl angebauter Arten
und Sorten, die über das recht homogene Angebot der Bau-
und Gartenmärkte hinausgehen. Auch alte Nutzpflanzen-
sorten sind verfügbar: Sie lassen sich über Initiativen wie z. B.
den Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutz pflanzen
in Brandenburg, VERN e. V., beziehen. Der Gemeinschafts-
garten Annalinde in Leipzig erhielt im Jahr 2014 für seinen
Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt die Auszeichnung
als Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt (IFZS, 2015).
Sortenanzahl Kleingärten Produktionsgartenbau Landwirtschaft
Obstbau 59 30 25
(Ackerbaupflanzen,
wie Getreide- und
Hackfruchtarten)
Gemüsebau 114 35
Arznei- und Gewürz-
pflanzenbau
80 80
Zierpflanzenbau 1.813 2.000 – 3.000
178 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 179
nichts nützlicher ist als Wasser, dass aber dennoch in der Re-
gel für Diamanten, die einen geringeren Gebrauchswert ha-
ben, viel mehr gezahlt wird. Insbesondere bei einer sehr gu-
ten Wasserversorgung, wie sie in Deutschland vorliegt, lässt
sich der Gebrauchswert dieses Gutes nicht an seinem Tausch-
wert erkennen (vgl. Stiglitz und Walsh, 2010). Zu Werten,
Tauschwerten und Nutzwerten sowie zum Konzept des öko-
nomischen Gesamtwerts siehe auch Naturkapital Deutsch-
land – TEEB DE (2012, S. 52 f.).
Trinkwasserversorgung in Deutschland:
Daseinsvorsorge durch die Kommunen
In Deutschland erfolgt die Rohwassergewinnung zur Trink-
wasserversorgung zu etwa zwei Dritteln aus Grundwasser
(siehe Abbildung 7 – 7). Dabei kommt den Wasserversorgern
bereits die Wasserreinigungswirkung des Untergrundes zu-
gute (vgl. hierzu auch Kapitel 3.5). Generell geht der Wasser-
gebrauch in Deutschland zurück. So sank die Wasserabgabe
Umfelder und Einflüsse einbeziehen: Elternhaus, Schule,
Arbeitsumfeld, Freizeitgestaltung, Fernsehkonsum etc.
(Lobstein et al., 2015). Das gemeinsame Pflanzen, Ernten
und Verarbeiten von Nahrung in Schul- und Gemeinschafts-
gärten ist ein wichtiger Baustein, um Kindern ein reflektier-
tes Konsumverhalten nahezubringen (Hawkes et al., 2015,
S. 4; Parmer, 2009; vgl. Abbildung 7 – 5). Die Ausführungen zu
maximal zehn Jahren bewir tschaften, zeigen einen deutlich
bewussteren Umgang mit künstlichem Dünger (39 %) als
ältere (mehr als 50 %) (BMVBS, 2008, S. 60).
Schadstoffbelastet ist jedoch häufig auch die Ernte aus Stadt-
gärten, in denen auf synthetische Pflanzenschutzmittel und
Mineraldünger verzichtet wird (vgl. Infobox 7 – 6). Um bes-
sere Anbaubedingungen für Pflanzen zu schaffen, werden
auf vielen Brachflächen – und zunehmend auch in Kleingär-
ten – Hochbeete genutzt (BMVBS, 2008, S. 62).
Auch die Verwendung torffreier Blumen- und Gartenerde auf
der Basis von Kompost, Rindenhumus und Holzfasern ist ein
wichtiges Element naturschonenden Gartenbaus und wird
durch das Standardsortiment der Bau- und Gartenmärkte bis-
lang nur bedingt bedient (BUND, 2015; zu den Auswirkungen
des Torfabbaus siehe LU, 2009; Naturkapital Deutschland –
TEEB DE, 2014, S. 38 ff.).
Urbane Agrikultur als wichtiges Element
der Gesundheitsförderung
Transportwege und damit Energieverbrauch und CO2-Emis-
sionen zu verringern, wird häufig als Vorteil lokaler Produk-
tion gesehen. Allerdings wird bislang nur ein sehr geringer
Anteil des Bedarfs durch Anbau im privaten Bereich und
die professionelle urbane Landwirtschaft gedeckt (vgl. auch
Stierand, 2012). Auch steht das Auffangen von Versorgungs-
lücken nur in Einzelfällen als Motiv für das Gärtnern an erster
Stelle.
Der Wert lokaler Agrikultur liegt vielmehr in ihrem Potenzial,
als »Lernort« zur Gesundheitsförderung beizutragen: Durch
den ansteigenden Konsum überall schnell verfüg barer indus-
triell hergestellter Lebensmittel gerät das Wissen und Be-
wusstsein über die Zubereitung und den Anbau natürlicher
Nahrungsmittel in den Hintergrund (Lobstein et al., 2015).
Viele gravierende gesundheitliche Probleme, sogenannte
»Zivilisationskrankheiten«, werden auf falsche Ernährungs-
gewohnheiten und zu wenig Bewegung zurückgeführt. Der
Konsum energiereicher aber nährstoffarmer Produkte aus
dem Supermarkt führt zu Übergewicht und erhöht das Risiko
chronischer Erkrankungen; internationale Studien warnen
vor einer Adipositas-Epidemie unter Kindern und Jugend-
lichen (Lobstein et al., 2015). Rund 46 % der Frauen und 60 %
der Männer in Deutschland gelten als übergewichtig oder
fettleibig (RKI, 2014).
Die Förderung einer gesunden Ernährung muss im direkten
Lebensumfeld der Menschen stattfinden und verschiedene
INFOBOX 7 – 6
Schadstoffbelastungen in Stadtgärten: Wie gesund ist
Stadtgemüse? (Ina Säumel)
Produktive Gärtnerinnen und Gärtner treffen in Städten
auf hohe und lokal sehr variable Schadstoffbelastungen.
We sent liche Ursachen dafür sind der Anbau auf kontami-
nierten Böden, die Nutzung von kontaminiertem Wasser
zur Bewässerung und der verkehrs- und industriebedingte
Schadstoffeintrag aus der Luft.
So überschreiten 52 % der in einer Berliner Studie analysier-
ten Gemüseproben die EU-Grenzwerte für Blei und schnei-
den oftmals schlechter ab als Vergleichsproben aus dem
Supermarkt (Säumel et al., 2012). Im Gegensatz zum Stadt-
gemüse werden die EU-Grenzwerte für Blei in Stadtobst nur
vereinzelt überschritten. Hier sind die Blei- und Cadmium-
konzentrationen vergleichbar oder deutlich geringer als in
Obstproben aus dem Supermarkt (von Hoffen und Säumel,
2014). Urbane Lebensräume beherbergen auch eine große
Vielfalt essbarer Wildpilze (Schlecht und Säumel, 2015). Über
60 % der in Berlin beprobten Wildpilze überschreiten aller-
dings die EU-Grenzwerte für Cadmium und Blei.
Eine größere Distanz zu verkehrsbelasteten Straßen und
dichte Vegetationsbestände und Barrieren zwischen Straße
und Beet reduzieren die Schadstoffbelastung deutlich
(Säumel et al., 2012). Ein geschickter Pflanzplan entlang des
Gradienten Garten – Straße (z. B. Straße mit üppiger Straßen-
begleitvegetation – Schutzhecke mit biodiversitätsfreundli-
chen Gehölzen – Schnittblumen als Element des produk tiven
Stadtgartens – Obstgehölze – Obststräucher – Frucht gemüse
und Wurzelgemüse – Blattgemüse und Kräuter – Abstand
zur Hauswand, wenn bleihaltige Farben genutzt wurden)
kann sowohl ästhetisch und biodiversitätsfreundlich als
auch lufthygienisch wirken. Bei der Verwendung von Garten-
substraten in Hochbeeten sollten zertifizierte Produkte ein-
gesetzt werden.
INFOBOX 7 – 7
Mehr Bienen in der Stadt!
Während manche Imkerei auf dem Land Nachwuchssorgen hat,
findet das Imkern in der Großstadt in den vergangenen Jah-
ren immer mehr Anhänger. Die Zahl der Bienenvölker und Im-
ker in Deutschland ist seit den 1950er Jahren rapide gesunken:
Bis 2009 erreichte die Zahl der Bienenvölker einen Tiefststand
von nur noch einem Drittel der ursprünglichen 2 Mio. Seit
2009 zeichnet sich nun wieder eine positive Tendenz ab. Diese
spiegelt sich auch in den Mitgliederzahlen des Deutschen Im-
kerbundes wider, die insbesondere in den Landesverbänden
Berlin und Hamburg seit 2008 deutlich und im Vergleich zu
anderen Landesverbänden überdurchschnittlich wachsen.
So stiegen die Mitgliederzahlen in Berlin von 2012 bis 2013
um mehr als 12 %, im Bundesdurchschnitt dagegen nur um
4 % (DIB, 2014).
Die Bedingungen der Stadt sind für Imker günstig: Die Bie-
nen profitieren vom sehr guten und vielfältigen Nahrungsan-
gebot. Im Gegensatz zu den häufig durch Monokulturen ge-
prägten ländlichen Regionen finden Bienen in der Stadt eine
hohe Blütenvielfalt und damit von Frühjahr bis Herbst Nah-
rung. Auch sind die Pflanzen in der Stadt weniger durch Pes-
tizide belastet (zu den Stressoren für Bienen vgl. Goulson et
al., 2015). Die Bestäubungsleistung der Bienen wiederum för-
dert die Erträge urbaner Gärten. Problematisch ist jedoch die
mögliche Verdrängung von Wildbienen durch Honigbienen
aufgrund von Nahrungskonkurrenz.
Wie produktiv die Stadtbiene im Vergleich zur Landbiene ist,
lässt sich schwer sagen, da die Honigerträge nur auf Ebene
der Landesverbände erhoben werden und hier nicht nach
Stadt- und Landbienen differenziert wird. Den Honighunger
der Deutschen können sie auch gemeinsam nicht stillen: Pro
Kopf und Jahr werden etwa 1 – 1,2 kg Honig verzehrt. Nur etwa
20 % dieses Bedarfs werden durch heimische Bienen gedeckt
(DIB, 2014).
Die Bedeutung des Imkerns in der Stadt liegt insbesondere
darin, dass es ein Bewusstsein für die Natur und ihre Prozesse
schafft, für unsere Abhängigkeit von der Bestäubungsleistung
der Insekten und von den vielfältigen Ökosystemen. Initiativen
wie »Berlin summt« (siehe auch Kapitel 9) fördern ein solches
Bewusstsein. Auf dem Weg, dem Bienensterben durch Ver-
änderungen in der Landwirtschaft zu begegnen, ist dies ein
kleiner, aber wichtiger Schritt. Für mehr Informationen zu Be-
stäubungsleistungen von Wild- und Honigbienen sowie An-
sätzen zur Erhaltung der Habitate und Nahrungsquellen für
Wildbienen siehe Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2016,
Kapitel 5).
Gesundheitskosten in Kapitel 2.2.2 und Kapitel 4 legen nahe,
dass Bildung und Naturerfahrung in diesem Bereich, der so-
wohl Umwelt als auch Gesundheit betrifft, große wirtschaft
-
liche Relevanz haben.
7.2 SAUBERES WASSER AUS DEM UNTERGRUND
Wasser ist eine lebensnotwendige Ressource. Die Verfügbar-
keit sauberen Trinkwassers hat einen direkten Einfluss auf
Gesundheit und Wohlbefinden von Menschen. Sie ist u. a. ab-
hängig von den Ökosystemleistungen der Grundwasserneu-
bildung und der Wasserreinigungswirkung des Untergrun-
des. Beide Aspekte spielen nicht nur in der Stadt, sondern
auch im versorgenden Umland eine große Rolle.
Der hohe Beitrag des Wassers für das menschliche Wohlbe-
finden spiegelt sich nicht unbedingt in dessen monetärer
Wertschätzung wider. In seinem „Diamanten-Wasser-Para-
doxon“ zeigte Adam Smith schon vor 200 Jahren auf, dass
180 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 181
der öffentlichen Wasserversorgungsunternehmen an Haus-
halte und Kleingewerbe seit 1991 von 144 l auf durchschnitt-
lich 122 l je Einwohner und Tag im Jahr 2013 (BDEW, 2015).
Hauptgründe dafür sehen Kahlenborn und Kraemer (1999)
im technischen Fortschritt und in gestiegenen Wasser- und
Abwassergebühren. Als weiterer Grund gilt das zunehmende
Umweltbewusstsein der Verbraucher (UBA, 2014b, S. 16).
Verantwortlich für die Wasserversorgung im Sinne der Da-
seinsvorsorge sind in Deutschland die Kommunen. Dabei
gab es bundesweit im Jahr 2010 etwa 6.000 Wasserversor-
gungsunternehmen (StBA, 2013b). Davon gelten 2.300 Unter-
nehmen als »groß«, da sie mehr als 1000 m³ Wasser pro Tag
ausgeben bzw. mehr als 5.000 Personen versorgen (UBA,
2013, S. 16, 24).
In einigen Städten, etwa in Berlin (vgl. Infobox 7 – 8), Bielefeld
oder in der kleineren Stadt Niederkassel, kann ausreichend
Wasser im Stadtgebiet selbst gewonnen werden. Bielefeld
verfügt zudem durch seine besondere Lage am Teutoburger
Wald, der sich durch die Stadt erstreckt, über eine günstige
Möglichkeit der Wasserverteilung in die Haushalte. Die Ge-
winnung erfolgt hier aus oberflächennahen Brunnen (mit
20 – 50 m Tiefe), aus Brunnen am Teutoburger Wald (100 m
Tiefe) und aus Brunnen mit einer Tiefe von bis zu 450 m
INFOBOX 7 – 8
Trinkwasserversorgung in Berlin
(Jens Burgschweiger, Klaus Möller)
Berlin ist die einzige Metropole Europas, deren Trinkwasser-
versorgung aus dem eigenen Stadtgebiet und aus dem unmit-
telbar angrenzenden Umland erfolgt (siehe Abbildung 7 – 6).
Dies funktioniert in Berlin aus zwei Gründen:
(1) Die städtischen Fließgewässer Spree und Havel sind rück-
gestaut; der Wasserstand wird mit winterlichen und som-
merlichen Stauzielen reguliert.
(2) Die Grundwasserentnahme erfolgt aus den Oberflächen-
wasserkörpern zu ca. 60 % als Uferfiltrat und ca. 10 % als
künstliche Grundwasseranreicherung sowie zu ca. 30 %
aus landseitig aus Niederschlägen gebildetem Dargebot.
Das »Berliner Wasser« wird nach der Gewinnung ausschließ-
lich naturnah – d. h. mit den von der Natur abgeschauten
Prozessen Oxidation und Filtration – aufbereitet. Berücksich-
tigt man, dass die Stadt in das Gewässersystem, das indirekt
der Trinkwassergewinnung dient, gleichzeitig ihr gereinigtes
Abwasser und zum Teil auch Mischwasserableitungen nach
Regenfällen einleitet, wird deutlich, welche Empfindlichkeit
vorliegt und welche Anstrengungen unternommen werden
müssen, um die Qualität des Grund- und Oberflächen wassers
zu sichern.
Durch den Rückgang des Wassergebrauchs von ca. 370 Mio. m3/
Jahr (1989) auf ca. 200 Mio. m3/Jahr (2013) hat sich der Druck
auf die Trinkwasserressourcen und damit die Empfindlich-
keit des Wasserversorgungssystems verringert. Die rückläu-
fige Grundwasserförderung der Berliner Wasserwerke und
der Industriebetriebe führte gleichzeitig zu einem Wiederan-
stieg des Grundwassers und zu Vernässungen bei Gebäuden,
die nicht fachgerecht gegen Grundwasser abgedichtet sind
(SenStadtUm Berlin, 2014).
Aktuell steigt der Trinkwasserbedarf wieder leicht an. Im Jahr
2015 lag er bei 210 Mio. m³/a. Aufgrund allgemeiner Wasser-
spar anstrengungen und des wirtschaftlichen Umbruchs in
Berlin wird der zukünftige Trinkwasserbedarf auch bei an-
steigender Bevölkerungsentwicklung jedoch nicht wieder
die alten Maximalwerte erreichen. Nach Prognosen aus dem
Jahr 2008 liegt der zu erwartende Maximalwert im Jahr 2040
bei 229 Mio. m3/Jahr (Möller und Burgschweiger, 2008). Da
das starke Bevölkerungswachstum Berlins in den letzten drei
Jahren voraussichtlich wei ter anhält, is t jedoch eine Anpassung
dieser Wasser bedarfsprognose erforderlich.
Für die Sicherung der Trinkwassergewinnung ist daher
Folgendes notwendig:
die Abwasserreinigung auf höchstem Niveau halten und
weiterentwickeln
die Güte der Zuflüsse von Spree und Havel auf einem Niveau
halten, das der Wasserrahmenrichtlinie entspricht, und
einen Mindestzufluss gewährleisten
das Grundwasser vor neuen Belastungen und Altlasten
schützen
die Grundwasseranreicherung nur mit (aufbereitetem) nähr-
stoffarmem Wasser durchführen
die Gebiete mit landseitigem Grundwasseranstrom (zum
großen Teil Wald) so entwickeln, dass auch unter Aspekten
des Klimawandels dieser Ressourcenteil stabil bleibt
ABBILDUNG 7 – 6 Lage der Wasserwerke und Klärwerke der Berliner Wasserbetriebe. (Quelle: Berliner Wasserbetriebe, 2011)
ABBILDUNG 7 – 5 Möhrenernte im Garten eines Schul- und
Umweltzentrums in Berlin-Wedding. (Foto: Claudia Lenkereit)
182 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 183
Verfügung steht. Grundwässer in Gebieten mit geringerer
landwirtschaftlicher Nutzungsintensität, wie z. B. in Gebieten
mit Ökolandbau oder ohne landwirtschaftliche Nutzung wie
Waldgebiete, sind deutlich geringer durch Nitrat belastet
(UBA, 2011, S. 21).
Auch der Anteil weiterer anthropogener Spurenstoffe wie
perflourierte Tenside (PFT) oder Humanarzneimittel im
Wasserkreislauf kann durch technische Verfahren zuneh-
mend ermittelt bzw. quantifiziert werden. Dabei fällt der
Nachweis in den Oberflächengewässern deutlich höher aus
als in Grundwässern. Die Aufbereitung von Oberflächenge-
wässern ist gegenüber der Grundwassernutzung anfälliger
gegenüber anthropogenen Störungen (DWA, 2010; MKULNV,
2014). Zudem nimmt der Eintrag anthropogener Spuren-
stoffe in die Umwelt weiter zu (MKULNV, 2014).
Generell sind sowohl die technischen Möglichkeiten der
Klärwerke als auch die natürlichen Reinigungsleistungen
des Bodens begrenzt (UBA, 2013, S. 9; vgl. hierzu auch Ka-
pitel 3.5). Wenn durch menschlichen Eingriff Schadstoffe in
die Gewässer gelangen, die aufgrund ihrer Art, Menge oder
Beschaf fenheit nicht durch die natürliche Selbstreinigungs-
fähigkeit entfernt werden können, sind aufwendige und
kostenintensive Aufbereitungsverfahren für das Trinkwasser
erforderlich. Diese fallen oft in den Kommunen an, in denen
die Wasserwerke liegen. In erster Linie gilt deshalb der Schutz
der Rohwasserressource, welcher neben der bestmöglichen
Aufbereitung der Abwässer primär durch die strikte Einhal-
tung der Auflagen für die Wasserschutzzonen (DVGW, 2008),
auch in urbanen Räumen wie in Berlin, erfolgt. Die Anwen-
dung der Water-Safety-Plan-Konzepte, welche in Anlehnung
an die bereits bestehenden Multi-Barriere-Prinzipien durch
die Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelt wurden,
setzt diesen Schutz zunehmend in den Fokus (WHO, 2008).
7.2.2 Ansätze zur Bewertung
der Trinkwasserversorgung
Für »Wasserdienstleistungen« laut Wasserrahmenrichtlinie
(WRRL, 2000, Art. 9) ist generell der Grundsatz der Kosten-
deckung zu berücksichtigen. Möglichst soll der jeweilige
Verursacher (z. B. einer Wasserverschmutzung) für die hier-
durch entstehenden Kosten aufkommen (Verursacherprin-
zip). Außerdem sollen in den Kosten auch die umwelt- und
ressourcenbezogenen Kosten der Wassernutzung Berück-
sichtigung finden. So soll die Wassergebührenpolitik dazu
beitragen, dass die Wasserressourcen effizient genutzt
werden (WRRL, 2000, Artikel 9: Deckung der Kosten der
Wasser dienstleistungen). Ein Beispiel einer Übernutzung von
INFOBOX 7 – 9
Wasserversorgung aus dem Umland: Landeswasserversorgung Baden-Württemberg
Die Landeswasserversorgung Baden-Württemberg gewinnt
Rohwasser zur Trinkwasserversorgung aus verschiedenen
Quellen: durch Brunnen gewonnenes Grundwasser aus dem
Donauried nördlich von Ulm und aus Burgberg, Quellwasser
aus der Buchbrunnenquelle bei Dischingen sowie Flusswas-
ser aus der Donau.
Das Trinkwasser legt einen weiten Weg bis zum Verbraucher
zurück. So ist es vom Wasserwerk Langenau über die Schwä-
bische Alb bis nach Stuttgart ungefähr einen Tag unterwegs.
Etwa die Hälfte des Wasserbedarfs in Stuttgart wird über
diese Versorgung gedeckt; die andere Hälfte stammt aus dem
Bodensee, der als zusätzliche Rohwasserquelle dient. Das ca.
790 km lange Leitungsnetz und die 33 Wasserbehälter der Lan-
deswasserversorgung müssen laufend überprüft und gewar-
tet werden. Auch die hygienisch-mikrobiologische Wasserqua-
lität ist zu überwachen. Der Wassertransport wird über große
Pumpen ermöglicht und ist mit erheblichem Energieaufwand
verbunden (Zweckverband Landeswasserversorgung, 2014).
Des Weiteren besteht bei einer Fernwasserversorgung die er-
höhte Gefahr der Verkeimung des Wassers (Kahlenborn und
Kraemer, 1999, S. 78 ff.).
7.2.1 Bedeutung von Regulierungsleistungen
für die Trinkwasserversorgung
Gesetzliche Grundlagen zum Gewässerschutz
Reglementiert ist der Gewässerschutz im Rahmen der
Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL, Richtlinie
2000/60/EG). Diese Richtlinie untersagt eine Verschlechte-
rung des Wasserzustandes – sowohl mengenmäßig als auch
chemisch. Ferner wird im EU-Recht in der Richtlinie 98/83/
EG festgelegt, welche Mindestanforderungen »Wasser für
den menschlichen Gebrauch« zu erfüllen hat. In dieser Richt-
linie ist definiert, dass die »Qualitätsnormen für Trinkwas-
ser« durch geeignete Gewässerschutzmaßnahmen oder Auf-
bereitungsmaßnahmen erreicht werden sollen. Die nationale
Umsetzung dieser EU-Richtlinien erfolgt in Deutschland
durch das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) zum Schutz der Ge-
wässer und der Ressource Wasser durch nachhaltige Bewirt-
schaftung und die Trinkwasserverordnung, die die »Qualität
von Wasser für den menschlichen Gebrauch« reglementiert
(TrinkwV, 2001).
Ökosystemleistungen zur Trinkwassergewinnung
Die Rohwassergewinnung zur Trinkwasseraufbereitung
ist von zwei Ökosystemleistungen abhängig: (1) von der
Grundwasserneubildung im Zuge des Wasserkreislaufs als
Basisleistung und (2) von der natürlichen Wasserreinigungs-
wirkung des Untergrunds als Regulationsleistung. In Ab hän -
gigkeit von der Verweildauer im Boden ist die Reinigungs-
wirkung mehr oder weniger stark ausgeprägt. Das Rohwasser
aus der Uferfiltratgewinnung (in Deutschland ca. 8 %; siehe
Abbildung 7 – 6) hat im Vergleich zu den »tieferen Grund-
wassern« (ca. 61 %; siehe Abbildung 7 – 6) eine kürzere Ver-
weildauer im Boden und ist somit kürzere Zeit vor oberfläch-
lichen Einflüssen geschützt.
Gewässerbelastung durch anthropogene Einträge
Die natürlichen Prozesse der Selbstreinigung und Grund-
wasserbildung zeigen eine hohe Anfälligkeit gegenüber
Umwelteinflüssen. Hierbei spielen neben den mikrobiellen
Belastungen aus der Umwelt auch anthropogene Einträge,
z. B. aus der Landwirtschaft, eine große Rolle. So zeigen laut
Umweltbundesamt ca. 50 % aller Grundwasser-Messstellen
in Deutschland erhöhte Nitratkonzentrationen, welche auf
eine übermäßige Düngung zurückzuführen sind (UBA, 2014a).
Die Trinkwasserverordnung schreibt einen Nitratgrenzwert
von 50 mg/l vor. Durch landwirtschaftliche Nutzung mit in-
tensiver Düngung wird dieser Grenzwert an ca. 15 % der Mess-
stellen überschritten, sodass das Grundwasser zur Trinkwas-
sergewinnung ohne entsprechende Aufbereitung nicht zur
7.6
Flusswasser
1,0 %
Grundwasser
61,1 %
Quellwasser
8,5 %
Uferfiltrat
7,8 %
Angereichertes
Grundwasser
9,2 %
See- und
Talsperrenwasser
12,4 %
ABBILDUNG 7 – 7 Öffentliche Wassergewinnung nach
Quellen in Deutschland 2010. (Quelle: StBA, 2013a)
(Stadtwerke Bielefeld GmbH, 2014). Hier ist die Unabhäng-
igkeit von Uferfiltrat hervorzuheben, da die Grundwasser-
bildung ausschließlich durch Niederschlagswasser erfolgt.
Die Wasser schutzgebiete sind bewaldete Stadtgebiete in
Randlage. Niederkassel (in Nordrhein-Westfalen) deckt den
Bedarf der gesamten Stadtbevölkerung (ca. 39.700 Ein-
wohner; Stadt Niederkassel, 2016) aus drei Brunnen, die
ober flächennahes Grundwasser fördern, das ausschließ-
lich durch Niederschlagswasser gebildet wird (Stadtwerke
Niederkassel, 2015).
Die meisten Kommunen sind allerdings von einer Wasser-
versorgung aus dem Umland abhängig. Einige beziehen das
Wasser über weitere Strecken per Fernwasserversorgung.
Den Aufwand einer Fernwasserversorgung veranschaulicht
das Beispiel aus Baden-Württemberg (siehe Infobox 7 – 9).
184 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 185
Im Fuhrberger Feld bei Hannover wird eine solche gewäs-
serschutzoptimier te Landwirtschaft durch einen reduzier-
ten Einsatz von Düngemitteln erreicht, während die Land-
wirte im Mangfalltal bei München nach den Prinzipien der
ökologischen Landwirtschaft wirtschaften. In beiden Städ-
ten bestehen die Kooperationen zwischen Wasserversor-
gern und Landwirtschaft bereits seit über 15 Jahren. Auf
diese Weise sparen die Wasserversorger Kosten für die Rei-
nigung und Aufbereitung, und gleichzeitig ist die Versor-
gung mit Trinkwasser in guter Qualität langfristig sicherge-
stellt (Escobar und Holländer, 2009; weitere Informationen
finden sich u. a. auf den Internetseiten der jeweiligen Stadt-
werke). Durch diese Kooperationen kann einer Gefährdung
der Versorgungsgebiete durch die Einträge von Düngemit-
teln entgegengewirkt werden – sowohl zum Schutz der loka-
len Ressourcen als auch der weiter entfernt gelegenen städ-
tischen Wasserversorgungsgebiete.
In München z. B. erhalten die Landwirte eine »Umstel-
lungsbeihilfe« von 310 €/ha/Jahr als Honorierung ihres
Beitrags zum Gewässerschutz sowie als Ausgleich für Er-
tragsminderungen. Dieses Förderprogramm geht mit rund
0,5 c t/m3 Trinkwasser in die Kalkulation des Wasserpreises
ein. Da auf diese Weise eine kostenintensivere Wasserauf-
bereitung vermieden werden konnte, können die Stadtwerke
München einen im deutschen Durchschnitt vergleichs weise
geringen Wasserpreis von 1,58 €/m3 Wasser (Stand 2014)
gewährleisten (Stadtwerke München, 2014).
Ein weiteres Beispiel dieser Payments for Ecosystem Services
von Wasserversorgern an Landwirte aus dem Leipziger
Umland ist im Bericht »Naturkapital Deutschland – TEEB
DE: Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen« dargestellt
(Naturkapital Deutschland – TEEB DE, 2016, Kapitel 5). Dort
wird darauf verwiesen, dass die Kostenersparnis bei Zahlun-
gen an die Landwirte etwa ein Siebtel im Vergleich zu einer
nachträglichen technischen Reinigung des Wassers beträgt.
7.3 ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN DES
STADTWALDES: AUF DEM WEG ZU EINEM
INTEGRIERTEN WALDMANAGEMENT
Wälder stellen uns vielfältige Ökosystemleistungen zur Ver-
fügung. Im Stadtwald spielen insbesondere kulturelle Leis-
tungen eine Rolle – der Wald wird als Raum für Erholung,
Sport und Bildung genutzt. Für die Forstverwaltungen der
Kommunen und Länder bringt dies die Herausforderung mit
sich, verschiedenen Nutzerinteressen gerecht zu werden. Die
Holzernte als Versorgungsleistung erfüllt dabei eine wich-
tige Funktion, denn die Erlöse der Holzwirtschaft können
Ersatzkostenmethode vorgenommen. Dabei wird »derjenige
Geldbetrag ermittelt, der aufzuwenden ist, wenn eine be-
stimmte Ökosystemleistung durch andere, zumeist techni-
sche Lösungen ersetzt werden muss oder soll« (Grossmann
et al., 2010, S. 44).
Born et al. (2012) stellen die monetäre Bewertung des Nähr-
stoffrückhaltes am Beispiel der Aue dar. Es werden drei Sze-
narien zur Nährstoffreduktion in Gewässern miteinander
verglichen: (1) die Verminderung von Nährstoffeinträgen
durch Kläranlagen, (2) die Umsetzung landwirtschaf tlicher
Strategien zur Reduzierung von Nährstoffeinträgen und
(3) die technische Nitratentfernung im Rahmen der Trink-
wasseraufbereitung. Als kostengünstigste Variante und ge-
eignetes Substitut ermitteln die Autorinnen und Autoren
die Vermeidung von Nitrateinträgen durch die Landwirt-
schaft (2), die z. B. durch reduzierte Düngung erfolgen kann.
Sie geben als Grenzvermeidungskosten, d. h. als Kosten, die
für die Vermeidung eines weiteren Kilogramms Stickstoff
notwendig wären, 6,00 €/kg Stickstoff an (Born et al., 2012;
Mewes, 2006). Für den Schutz des »Naturkapitals Wasser«
bedeutet dies, dass eine Reduktion der Nitrateinträge die
wirksamste und effizienteste Maß nah me ist.
7.2.3 Kooperationen von Wasserversorgern
und Landnutzern zur Erhaltung
von Ökosystemleistungen
Die zuletzt aufgeführte Ersatzkostenmethode deutet
zugleich auf Ansätze für die Inwertsetzung von Wasser-
ressourcen hin: Eine kostengünstige Lösung für die Stadt und
das Umland kann durch die Umsetzung einer gewässerschutz-
optimierten Landwirtschaft unter der Anwendung soge-
nannter »Payments for Ecosystem Services« (PES, d. h. Zah-
lungen für Ökosystemleistungen) entstehen.
Um den Gewässerschutz in den Gebieten der Wassergewin-
nung zu fördern und damit die Kosten für die technische
Aufbereitung des Wassers zu reduzieren, gibt es in einigen
Städten Kooperationen der lokalen Wasserversorger mit den
Landnutzern aus dem Umland. So zahlen z. B. in Hannover,
Leipzig, München und anderen Städten die Wasserversor-
ger den Landnutzern Geld, damit diese über die gesetzlichen
Anforderungen hinausgehend so wirtschaften, dass eine
gute Wasserqualität erhalten bleibt. Oftmals lassen sich im
Zuge einer solchen extensiven Bewirtschaftung auch über
den Trinkwasserschutz hinaus zusätzliche Vorteile für den
Natur- und Artenschutz realisieren.
Kosten der Wasserpreise berücksichtigt werden. Dies ge-
schieht jedoch im Allgemeinen aus Gründen der schwierigen
Erfassbarkeit und unzureichenden verursachergerechten
Anlastung nicht.
Von einer Entstehung hoher Ressourcenkosten, die durch
die Trinkwasserversorgung in Deutschland verursacht wer-
den (Gewinnung des Trink- und Brauchwassers, Zuführung
zu den Wasserwerken), ist hingegen im Allgemeinen nicht
auszugehen, da Deutschland ein wasserreiches Land ist.
Dies wird durch das BMU (2008, S. 6) folgendermaßen be-
legt: »Ein Vergleich mit dem weltweiten Durchschnitt zeigt,
dass Deutschland reich an Süßwasser ist. Für die 82,5 Mio. Ein-
wohner Deutschlands stehen rein rechnerisch ungefähr 2.278
m3 Wasser pro Kopf und Jahr oder 6.241 Liter Wasser pro Kopf
und Tag zur Verfügung.« Hinzu kommt, dass die Ressource
Wasser sich aufgrund des an anderer Stelle dargestellten
Wasserkreislaufs permanent erneuert.
Als ein Indiz dafür, dass in Deutschland kein Problem einer
Wasserverknappung aufgrund der Trinkwassernutzung be-
steht, kann die Bewertung des mengenmäßigen Zustands
des Grundwassers gemäß Wasserrahmenrichtlinie angese-
hen werden (BMU und UBA, 2013, S. 12 ff.). Hier heißt es:
»Insgesamt gibt es in Deutschland nur wenige Grundwas-
serkörper, die Wassermengenprobleme aufweisen. Von den
insgesamt ca. 1.000 Grundwasserkörpern verfehlten 2010
lediglich 38 (4 %) den ›guten mengenmäßigen Zustand‹.«
Probleme mit der Menge des Grundwasserkörpers werden
allenfalls im Zusammenhang mit Bergbauaktivitäten und
dem Abbau von Salzvorkommen gesehen. Ein Grund für
den guten mengenmäßigen Zustand ist, dass man aus ver-
gangenen Fehlern, die zu Grundwasserspiegelabsenkungen
geführt hatten, gelernt hat. Heute betreiben die meisten
Wasserwerke Infiltrationsanlagen, mit denen sie witterungs-
bedingte Schwankungen der Grundwasserstände ausglei-
chen können (BMU, 2008, S. 23).
Weitere Ansätze zur Bewertung der Ökosystemleistungen
der Trinkwasserbereitstellung
Üblicherweise erfolgt eine Bewertung von Wassernut zungen
auf Basis vermiedener Schäden. Die Nutzeneinbußen einer
verschlechterten Wasserqualität (erfasst als Kompensations-
forderung) oder der Nutzenzugewinn einer verbesserten
Wasserqualität (erfasst als Zahlungsbereitschaft) sind die zu
erfassenden Größen. Weil eine Erfassung von Zahlungs-
bereitschaften sehr schwierig ist, wird bisweilen – als Hilfs-
größe – eine Bewertung der Regulationsleistung der natür-
lichen Wasserreinigungswirkung unter Zuhilfenahme der
Grund wasser ressourcen im hessischen Ried ist im Bericht
»Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Ökosystemleistungen
in ländlichen Räumen« dargestellt (Naturkapital Deutsch-
land – TEEB DE, 2016, Kapitel 8).
Welche Kosten enthalten Wasserpreise?
Das Umweltbundesamt gibt an, dass Wasserpreise »sämt-
liche Kosten der Wassergewinnung, Aufbereitung, Speiche-
rung und Verteilung, ferner Aufwendungen für Investitionen
in die Substanzerhaltung und in den Gewässerschutz« ent-
halten sollen (UBA, 2013, S. 80). Sie setzen sich in der Regel
aus dem verbrauchsabhängigen Kubikmeterpreis und einer
monatlichen Grundgebühr für die Erhaltung der Versor-
gungsinfrastruktur zusammen. Damit sind im Wesentlichen
die betriebswirtschaftlichen Kosten der Wassernutzung
abgegolten. Teilweise ist in den Kubikmeterpreisen für Trink-
wasser auch das länderspezifisch erhobene Wasserentnah-
meentgelt enthalten. Bei der Kostenbemessung kommt es
dabei insbesondere darauf an, inwieweit bei den betriebli-
chen Kosten auch kalkulatorische Kosten für das eingesetzte
Eigenkapital oder kalkulatorische Wagniskosten angesetzt
werden (Gawel, 1995). Eine weitere Frage ist z. B., ob die
Kostenansätze auf Basis von Herstellungskosten oder Wie-
derbeschaffungskosten erfolgen. In Deutschland wurden im
Jahr 2011 im Rahmen der öffentlichen Wasserversorgung
5,2 Mrd. m3 Wasser ausgegeben. Der durchschnittliche Kubik-
meterpreis lag 2007 bei 1,60 € (min. 1,19 € – max. 2,29 €),
während die monatliche Grundgebühr durchschnittlich
5,13 € betrug (BMU, 2011; UBA, 2013, S. 82).
Berücksichtigung volkswirtschaftlicher Kosten
Inwieweit die volkswirtschaftlichen Kosten oder Umwelt-
und Ressourcenkosten ausreichend Berücksichtigung fin -
den, ist derzeit umstritten (vgl. hierzu Gawel, 2012). Für eine
volkswirtschaftliche Sicht sind in jedem Fall nicht nur die
durch Wasserentnahme und Wiederzufuhr des aufbereite-
ten Wassers entstandenen betriebswirtschaftlichen Kosten
und ggfs. die Wasserentnahmegebühr zu berücksichtigen.
Volkswirtschaftliche Kosten entstehen vielmehr daraus, dass
das aus den Kläranlagen oder den industriellen Direktein-
leitern in den Naturkreislauf zurückgeführte Abwasser (zum
Teil in erheblichem Maße) mit Reststoffen wie Mikroverun-
reinigungen (z. B. Pharmaka oder Kosmetikrückstände, aber
auch andere Verschmutzungen wie ausgewaschenes Nitrat
aus der Landwirtschaft) belastet oder erwärmt ist. Hierdurch
kann es u. a. zu nachteiligen Auswirkungen auf Wasserlebe-
wesen oder zu einer Überversorgung mit Nährstoffen wie
Nitrat (Eutrophierung) kommen. Diese Umwelt- und Ressour-
cenkosten sollen nach EU-WRRL in den ansatzfähigen
186 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 187
des Waldes mit einem durchschnittlichen Anreiseweg von
11,5 km. 80 % der Befragten gaben an, den Wald einem
städtischen Park vorzuziehen. Sie wollen im Grunewald
Wildnis erleben, die Schönheit der Natur genießen sowie
Ruhe und Entspannung finden (Müller, 2015).
Managementansprüche an den Stadtwald:
Unterstützung durch das Ökosystemleistungskonzept
Die intensive Nutzung der kulturellen Ökosystemleistungen
in Stadtwäldern stellt das Waldmanagement – insbesondere
in Großstädten und Ballungsräumen – vor große Herausfor-
derungen: Zum einen können Konflikte zwischen Besuche-
rinnen und Besuchern entstehen, insbesondere bei hoher
Besucherdichte und einer großen Bandbreite unterschied-
licher Nutzungen (z. B. Erholung, Sport, Naturerleben, Bil-
dung, Jagd, Holzernte). Zum anderen ist ein großer Aufwand
(3) In Stadtwäldern sind insbesondere die kulturellen Leis-
tungen von Bedeutung. Wälder im Stadtgebiet tragen als
nahegelegene Ruhe-, Erholungs- und Freizeitorte erheb-
lich zur Gesundheitsvorsorge der Menschen bei. Sie bieten
frische Luft, Raum für Bewegung und Stressregulierung
(Abraham et al., 2010; BUWAL, 2005; Frank et al., 2004;
Hagenbuch et al., 2011; NUA, 2008). Große Teile des vor-
liegenden Berichts (siehe Kapitel 4, 5 und 6) widmen sich
diesen kulturellen Ökosystemleistungen im Hinblick auf
ihre Effekte für Gesundheit und soziales Miteinander als
wesentliche Faktoren für die Lebensqualität in Städten.
Dem Stadtwald fällt hier eine besondere Rolle zu: als Ort,
um Natur und Ruhe zu genießen. Das zeigte auch eine
Umfrage zum Besucherverhalten im Berliner Grunewald:
Befragt wurden etwa 1.400 Besucherinnen und Besucher
Rodgau in Hessen beispielsweise erwir tschaftet seit 2008
Gewinne mit ihrem ca. 2.000 ha großen Stadtwald. Dies
lässt sich größtenteils auf die Erlöse aus dem Holzverkauf
von knapp einer halben Million Euro jährlich zurückführen
(Stadt Rodgau, 2015).
Weitere Versorgungsleistungen des Waldes liegen in der
Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln wie Pilzen, Kräutern,
Früchten und Wild. Die Erträge sind mengenmäßig eher
zu vernachlässigen. In einigen Betrieben im ländlichen
Raum können die Jagdpachterlöse aber durchaus die Ein-
nahmen aus dem Holzverkauf übersteigen.
Im Stadtwald zeigt sich bei der Nutzung dieser Versor-
gungsleistungen eine starke Überschneidung mit den kul-
turellen Ökosystemleistungen. Hier steht die Freude an
der Nutzung im Vordergrund. Wie die lokalen Produkte
des Stadtwaldes zur Identifikation der Bürgerinnen mit
ihrem Stadtwald beitragen, veranschaulicht das Beispiel
der Berliner Forsten (siehe Infobox 7 – 10). Die Ökosystem-
leistungen des Waldes zur Trinkwassergewinnung werden
in Kapitel 7.2 ausführlicher betrachtet.
(2) Ferner erfüllt der Stadtwald wichtige Regulierungs-
leistungen (siehe Kapitel 3 sowie Naturkapital Deutsch-
land – TEEB DE, 2016, Kapitel 6). Die Waldvegetation sorgt
für Schatten und damit kühlere Luft sowie – über eine
hohe Verdunstung – für eine hohe Luftfeuchtigkeit. Durch
den Luftaustausch kommt dies auch den nicht-bewalde-
ten Flächen in der Umgebung zugute. Gerade im Sommer
leistet der Stadtwald damit einen wertvollen Beitrag zu
einem verbesserten Mikroklima. Zusätzlich reinigen die
Bäume die Luft, indem sie Schadstoffe, v. a. Feinstaub,
aus der Luft filtern; das ist insbesondere in Ballungsge-
bieten von Bedeutung. Ebenso übernimmt der Wald eine
wasserreinigende Funktion, sodass Wasser aus Wald-
quellen in der Regel ohne kostspielige Wiederaufberei-
tungsmaßnahmen als Trinkwasser genutzt werden kann.
Durch den Wasserspeicher der Waldböden können Schä-
den durch Starkregen und Hochwasser verringert wer-
den. Gerade Wälder in Flussauen erfüllen eine wichtige
Funktion im Hochwasserschutz – auch für die Städte.
Außerdem schützt die Waldvegetation vor Bodenerosion
und Lärm und erspart den Kommunen somit technische
Sicherungs- oder Lärmschutzmaßnahmen. Letztlich
tragen kommunale Wälder durch die Kohlenstoffbindung
der Bäume auch zum globalen Klimaschutz bei (Natur-
kapital Deutschland – TEEB DE, 2015, S. 148 ff.).
einen Beitrag zur Finanzierung der Infrastruktur leisten,
die für die Inanspruchnahme vieler kultureller Ökosystem-
leistungen notwendig ist.
Dieses Kapitel zeigt auf, wie das Sichtbarmachen und die
Analyse der diversen Ökosystemleistungen des Waldes –
auch ihres ökonomischen Wertes – helfen können, ein inte-
griertes Waldmanagement zu fördern, das den verschiede-
nen Nutzungsansprüchen gerecht wird.
7.3.1 Ökosystemleistungen des Stadtwaldes
Öffentliche und private Wälder
Für das Management der Stadtwälder sind zumeist die kom-
munalen Forstverwaltungen zuständig. Der Wald im Stadt-
gebiet kann Eigentum öffentlicher Körperschaften sein (Land,
Bund, Kommunen, Gemeinden, Stiftungen) oder privaten Ei-
gentümern gehören. Etwa ein Fünftel des Waldes in Deutsch-
land (ca. 2,2 Mio. von insgesamt 11,4 Mio. ha Waldfläche) sind
als Körperschaftswald Eigentum von Städten, Gemeinden,
Universitäten und öffentlichen Stiftungen – überwiegend
ist dies der Kommunalwald (BMEL, 2014, S. 10).
Die Eigentumsverhältnisse sind deshalb bedeutsam, weil
bei Wald der öffentlichen Hand in besonderer Weise auch
dessen Ausrichtung auf ein öffentliches Interesse gefordert
wird – mit entsprechenden Zielsetzungen wie Gemeinwohl-
orientierung, Naturerlebnis, Erholung usw. Stärker als beim
Privatwald, bei dem in der Regel die Ertragserwartungen aus
dem Verkauf von Holz im Vordergrund stehen, müssen beim
öffentlichen Wald auch andere gesellschaftliche Zielsetzun-
gen im Waldmanagement berücksichtigt werden.
Vielfalt der Ökosystemleistungen des Stadtwalds
Im Folgenden werden die Ökosystemleistungen des Wal -
des – (1) Versorgungsleistungen, (2) Regulierungsleistungen
und (3) kulturelle Leistungen – kurz vorgestellt.
(1) Die Versorgungsleistung des Waldes liegt vor allem in der
Holzproduktion. 2013 beliefen sich die Gewinne aus der
Forstwirtschaft im Körperschaftswald auf durchschnitt-
lich ca. 125 € (ohne Subventionen 99 €) pro Hektar Holz-
bodenfläche (bei Betrieben mit mehr als 200 ha Holz-
bodenfläche, BMEL, 2013, S.7). Der Großteil der Einnahmen
ging dabei auf die Erträge aus der Holzproduktion zu-
rück. Nach 2009 stieg die Nachfrage nach Holz deutlich
an und brachte damit auch den Körperschaften höhere
Reinerträge aus der Holzwirtschaft – wenn auch die Stei-
gerung weniger stark ausfiel als im Privatwald. Die Stadt
INFOBOX 7 – 10
»Schätze« aus dem eigenen Stadtwald: Waldprodukte in Berlin
Ballungsräume eignen sich besonders für regionale Vermark-
tungskonzepte. In Berlin arbeitet der Verein »Arbeitsgemein-
schaft Berliner Holz e. V.« an der Vermarktung des nach Forest
Stewardship Council (FSC) und Naturland zertifizierten Holzes
aus dem Berliner Wald. Die Produktionskette vom Baum bis
zum fertigen Produkt (Möbel) soll in der Region möglichst
geschlossen sein und sichtbar gemacht werden. Neben der
Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region sollen durch das
»Berliner Holz« eine Identifikation mit dem »eigenen« Wald
und ein besseres Verständnis für die nicht immer unstrittige
Nutzung von Bäumen als Rohstoff erreicht werden.
Teile der Bevölkerung wollen nicht nur fertige Erzeugnisse
konsumieren, sondern selbst Produkte des lokalen Waldes
ernten. Es steht dabei nicht der Erwerb im Vordergrund, son-
dern vielmehr das Ereignis selbst. Das zeigen zwei Beispiele der
Berliner Forsten: Weihnachtsbäume und Wildfleisch.
Das »Selbstschlagen« des Weihnachtsbaumes wird immer be-
liebter. Hier geht es nicht allein um die Versorgung mit einem
Baum: Vielmehr nehmen sich Familien oder Freunde gemein-
sam Zeit, zu einem besonderen Ort zu fahren, den Baum ge-
meinsam auszusuchen und zu schlagen; abgerundet wird die-
ser Ausflug mit Stockbrot und Glühwein am Lagerfeuer. Die
Berliner Forsten sehen diesen Trend positiv, da hier ein direk-
ter Kontakt zu den Menschen entsteht und die Bevölkerung
den Wert ihres Waldes erfahren kann. Die Baumart (hier Kiefer)
und eine bestimmte Qualität der Bäume sind dabei weniger
von Bedeutung. Im Vordergrund stehen die eigene Suche und
die gemeinsame Entscheidung für einen Baum. Der Bedarf an
Weihnachtsbäumen zum Selberschlagen kann derzeit in Berlin
noch nicht gedeckt werden, sodass auch Angebote im weite-
ren Umfeld Berlins entstehen. Auch vor dem Berliner Abgeord-
netenhaus steht ein Weihnachtsbaum aus dem Berliner Wald.
In Teilen des Berliner Stadtwalds wird Wild gejagt. Obwohl die
Jagd gesellschaftlich stark umstritten ist, strömen tausende
Kaufinteressierte zu den Adventsmärkten der Berliner Forst-
ämter, um Wildfleisch zu kaufen. Dies liegt sicher auch an dem
besonderen Ambiente der Forstämter im Wald – insbesondere
zur Weihnachtszeit. Die Kunden sind über die Jagd informiert
und schätzen das Vertrauen in die Herkunft der Ware. Für die
Verwaltung ist dies ein wichtiges Signal, die Vermarktung re-
gional und sichtbar in Zusammenarbeit mit Expertinnen und
Experten (Fleischereibetrieben) zu organisieren und die bis-
herigen anonymen Vermarktungswege über den Großhandel
zu überdenken. Hier stehen weniger die Einnahmen aus dem
Verkauf im Vordergrund. Es geht vielmehr um die Förderung
der Wertschätzung regionaler Produkte und der Identifikation
der Bevölkerung mit dem eigenen Wald (Wiehle und Franusch,
2006, 2008 und 2014).
188 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 189
die Pflege und Bewirtschaftung unter Ausnutzung aller
biologischen Rationalisierungsmöglichkeiten so natur- und
menschenschonend wie möglich durchzuführen
die Waldökosysteme als naturnahen dynamischen Lebens-
raum möglichst aller Tier- und Pflanzenarten der heimi-
schen Wälder und deren abiotische Grundlagen zu sichern
den Wald als Erholungsraum für die Bevölkerung zur Ver-
fügung zu stellen« (Hansestadt Lübeck, in Vorbereitung)
Zur Messbarkeit der formulierten Ziele wurden folgende
Kriterien definiert:
NRW besser berücksichtigen zu können, stellte sich die
» Arbeitsgemeinschaft Großstadtwald« in einem Workshop
aller beteiligten Forstämter folgende Fragen: (a) »Welche
Ökosystemleistungen des Stadtwaldes sind zentral?«, (b)
»Wer sind die Nutzer?« und (c) »Wo gibt es Konflikte?«. Die
Erörterung führte zu sechs zentralen Ökosystemleistungen:
(1) Erholung, (2) Wasserversorgung, (3) Klimaregulierung,
(4) Holz, (5) Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie (6) Ge-
sundheit (Aicher und Berghöfer, 2013, S. 62). Auf dieser Grund-
lage können im nächsten Schritt geeignete Kennzahlen
erarbeitet werden, um die Ökosystemleistungen der Stadt -
wälder abzubilden. Diese Kennzahlen sollten klar, gut kom-
munizierbar, einfach zu erfassen und überschaubar sein.
Aicher und Berghöfer (2013) haben am Beispiel »Erholung«
exemplarisch erarbeitet, wie solche Kennzahlen aussehen
könnten (siehe Tabelle 7 – 2).
Stadtwald Lübeck:
Kennzahlen zur Steuerung des Waldmanagements
Wie die Integration dieser Kennzahlen in das Waldmanage-
mentkonzept aussehen kann, zeigt das Lübecker Beispiel
(siehe Tabelle 7 – 3). Im Management des Stadtwalds Lübeck
werden unter Verfolgung der Richtlinien naturnaher Wald-
wirtschaft sowohl die Gewinnziele der Holzwirtschaft als
auch weitere Ziele, wie eine erhöhte Kohlenstoffspeiche-
rung oder die Durchführung von Waldbildungsangeboten,
über messbare Kennzahlen definiert.
Seit 1990 wird im Lübecker Stadtwald ein mit der Bevölke-
rung entwickeltes waldbauliches Konzept umgesetzt und
weiterentwickelt. Zunächst wurden allgemeine Ziele verein-
bart, die die Grundlage für die mittelfristige Forstplanung
und die jährliche Zielvereinbarung mit dem zuständigen
Sena tor der Hansestadt bilden:
»Als wesentliche Eckpfosten der langfristigen Zielsetzung der
Waldwirtschaft sind die Erhaltung, Vermehrung, Entwick-
lung und Nutzung multifunktionaler, naturnaher dynami-
scher Waldökosysteme anzusehen. Dies bedeutet:
möglichst alle Waldfunktionen auf jeder Fläche zur Ver-
fügung zu stellen und nur in Ausnahmefällen zugunsten
einer Funktion eine Prioritätensetzung vorzunehmen
insbesondere die Entwicklung und Erzeugung des nach-
wachsenden Rohstoffes Holz in möglichst großer Sorti-
mentsvielfalt zu sichern und unter strenger Beachtung des
ökonomischen Prinzips zu nutzen (Suffizienz)
fehlen jedoch geeignete Kennzahlen zur ökologischen und
sozialen Nachhaltigkeit, welche
die verschiedenen Ökosystemleistungen der Stadtwälder
angemessen erfassen,
die Arbeitsleistung der Förster im Hinblick auf diese Öko-
systemleistungen sichtbar und bewertbar machen und
eine adäquate Kommunikation mit Waldnutzern und poli-
tischen Entscheidungsträgern ermöglichen.
Zielgrößen für verschiedene Ökosystemleistungen zu defi-
nieren, ist daher eine zentrale Aufgabe. So können neben
der Erwirtschaftung von Gewinnen aus der Holzwirtschaft wei-
tere wichtige Ziele der städtischen Waldbewirtschaftung be-
rücksichtigt und damit die Steuerung des Waldmanagements
optimiert werden (Schaich, 2013). Die folgenden Beispiele
der Wälder in Nordrhein-Westfalen und Lübeck zeigen mög-
liche Vorgehensweisen zur Implementation von Kennzahlen
zur Berücksichtigung verschiedener Ökosystemleistungen im
Waldmanagement auf.
Stadtwald Nordrhein-Westfalen:
Erarbeitung von Kennzahlen für Ökosystemleistungen
Um die verschiedenen Ökosystemleistungen und die damit ver-
bundenen Nutzungen im Waldmanagement des Stadtwalds
bei der Anlage und Pflege der Infrastruktur für verschiedene
Nutzungen notwendig. Häufig äußern Besucherinnen und
Besucher den Wunsch nach weiterer Ausstattung wie Wege-
beschilderung, Informationstafeln, Bänke, Mülleimer und Toi-
letten (Haase und Larondelle, 2015). Das Waldmanagement
muss auch gewährleisten, dass dabei rechtliche Anforderun-
gen (z. B. Ausführungsstandards, Verkehrssicherheit) erfüllt
werden.
Die Forstverwaltungen der Kommunen sehen sich der Her-
ausforderung gegenüber, neben den Ertragszielen der Holz-
ernte auch die Ziele des Naturschutzes zu verfolgen und ei-
nen Raum für Erholung, Sport und Bildung bereitzustellen.
Die Pflege der Wegenetze und die Errichtung und Erhaltung
der Erholungsinfrastruktur bringen erhebliche Kosten mit
sich, welche von den Kommunen getragen werden müssen.
Die finanziellen Ressourcen zur angemessenen Bereitstel-
lung der kulturellen Leistungen der Stadtwälder sind jedoch
häufig unzureichend (Volz, 2011).
7.3.2 Integriertes Waldmanagement
durch Kennzahlen zur Steuerung
Das Ökosystemleistungskonzept kann dabei helfen, den
verschiedenen Anforderungen an das Waldmanagement
gerecht zu werden. Bisher werden die Leistungen der Stadt-
wälder und der Erfolg einer Forstverwaltung v. a. über die Ge -
winne der Holzwirtschaft gemessen. Vielen Forstämtern
Ökosystemleistungen Produktgruppe/
Nutzenkategorie
Beitrag der Forstwirtschaft Mögliche Kennzahlen
Erholung (Bewegung) Spazierengehen
Joggen
Walken
Wandern
Radfahren
Hunde ausführen
Mögliche Konflikte zwischen:
Hunde ausführen – Joggen/
Walken – Radfahren
Verkehrssicherung
Unterhaltung der
Wege flächen
Unterhaltung der
I n f r a s t r u k t u r
Besucherlenkung
Konfliktmoderation,
Beschwerdebearbeitung,
Bürger anfragen beant worten
Kontrolle der Regel -
ein haltung
angepasste Arbeitsver fahren
bei der verbliebenen Holz-
wirtschaft (Terminierung,
Maschineneinsatz etc.)
Erreichbarkeit des Waldes
in Gehminuten
Anzahl der Waldparkplätze
ÖPNV-Haltestellen
Aufenthaltsdauer und
Häufigkeit der Besuche
Ausgewiesene Jogging-
strecken/(Nordic) Walking-
Strecken (km)
TABELLE 7 – 2 Überblick über Ökosystemleistung, forstwirtschaf tliche Leistungen und mögliche Kennzahlen am Beispiel der
Erholung. (Quelle: leicht verändert nach Aicher und Berghöfer, 2013)
Kriterien der Zielvereinbarung für das
Waldmanagement im Stadtwald Lübeck
1 Bewirtschaftung des Waldes
(Holzwerbung, Wildmanagement, Waldpflege,
sonstige Waldnutzung)
1a) Zertifizierung (FSC, Naturland) durch Einhaltung
des Konzepts der Naturnahen Waldnutzung
1b) Der Kernbereich der Waldwirtschaf t muss einen
Überschuss erzielen (€ /ha Holzboden)
1c) Vorratsaufbau als Beitrag zur CO2-Reduzierung/zum
Klimaschutz (Vorratsfestmeter /ha)
1d) Wildmanagement: Die Schäden durch Wildverbiss
dürfen die Verjüngung der heimischen Baumarten
nicht wesentlich beeinträchtigen
2 Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen
(Infrastruktur für Erholung, Waldpädagogik,
Naturschutz und Landschaftspflege)
2a) 2 x Kontrolle aller Waldaußenränder auf
Ver kehrsgefährdung und Beseitigung aller festge-
stellten Gefahren (Dienstanweisung der Verkehrssi-
cherung)
2b) Durchführung von waldpädagogischen Führungen
(75 pro Jahr)
2c) Einhaltung von Betreuungsstandards in den
Schutzgebieten gemäß Schutzgebietsverordnung
2d) Volle Zuständigkeit für Schutzgebiete
3 Dienstleistungen
(Aufträge Dritter, Holzhof)
3) Jeder einzelne Auftrag sollte gewinnbringend, min-
destens jedoch kostendeckend realisiert werden
TABELLE 7 – 3 Kriterien der Zielvereinbarung
für das Wald management im Stadtwald Lübeck.
(Quelle: Hansestadt Lübeck, i. V.)
190 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 191
einfließen lassen zu können (Asche et al., 2015; siehe Info-
box 7 – 11).
Die Erfassung der verschiedenen Ökosystem leistungen
von Stadtwäldern über Kennzahlen kann dazu beitra-
gen, Manage mentoptionen zu diskutieren, neue Konflikt-
lösungsstrategien sowie Instrumente für eine Honorierung/
Finanzierung dieser Leistungen zu entwickeln. Sie führt zu
einer Sichtbarkeit des vielfältigen Nutzens der Stadtwäl-
der in der öffentlichen Diskussion und kann so das Bewusst-
sein von Politik, Wirtschaft und Bevölkerung für den Wert
der Wälder stärken. Dies ist die Grundlage dafür, dass ihr
Wert in privaten sowie politischen Entscheidungen Berück-
sichtigung findet. So wird den anfallenden Kosten für die
Waldpflege ein konkreter Nutzen – insbesondere durch
die zahlreichen Regulierungs- und kulturellen Leistungen –
gegenübergestellt, was angesichts knapper Kommunalbud-
gets eine wichtige Rechtfertigung gegen Kürzungen sein kann.
In diesem Kontext kann auch eine monetäre Bewertung der
verschiedenen Ökosystemleistungen hilfreich sein. Sie sollte
jedoch immer in Bezug auf ihre Grenzen diskutiert und ihre
Ergebnisse als Näherungswerte verstanden werden.
Diese allgemeine Zielsetzung bedarf der Konkretisierung
auf verschiedenen zeitlichen und räumlichen Ebenen.
Hierzu ist die mittelfristige Forstplanung ein wesentliches
Steuerungselement.
7.3.3 Bewertung von Ökosystemleistungen
für ein integriertes Waldmanagement
Auch die Betrachtung monetärer Bewertungen von Öko-
systemleistungen kann für das Waldmanagement hilfreich
sein. Die Verwendung einer vergleichbaren Werteinheit er-
möglicht unter Umständen eine bessere Berücksichtigung
der Multifunktionalität des Waldes. Wenn aufgezeigt werden
kann, welch hohen – auch monetären – Wert der Wald durch
seine diversen Leistungen aufweist, wird seine Wirtschaft-
lichkeit nicht auf die Erträge aus der Holzwirtschaft reduziert.
Für einige Wälder in Deutschland wurden bereits Versuche
unternommen, die lokalen Ökosystemleistungen in ihrem
monetären Wert zu erfassen. Für die Wälder im Gebiet der
Stadt Hagen erfolgte im Jahr 2014 im Auftrag des Wirt-
schaftsbetriebs Hagen (Fachbereich Grün) eine Bewertung
der Ökosystemleistungen. Ziel war es, diese Werte in die
Weiterentwicklung eines integrierten Waldmanagements
INFOBOX 7 – 11
Stadtwald Hagen: Versuch einer monetären Bewertung von Waldleistungen
Die Stadt Hagen mit 187.000 Einwohnerinnen liegt am süd-
östlichen Rand des Ruhrgebietes. Knapp 42 % der Stadtfläche
sind Waldfläche (6.900 ha von insgesamt 16.000 ha). Damit
liegt Hagen als waldreichste Großstadt in Nordrhein-West-
falen deutlich über dem Landesdurchschnitt von 27 % Wald-
fläche. Die Wälder bestehen aus 37 % Laubwäldern, 41 % Nadel -
wäldern und 22 % Mischwäldern. Hoheitlich werden die Wald-
flächen im Stadtgebiet, die sich auf verschiedene Eigentümer
aufteilen, durch das Regionalforstamt Ruhrgebiet betreut.
25 % der Fläche gehören der Stadt Hagen.
Um auch die über die Holzernte hinausgehenden Ökosystem-
leistungen in ihrer Bedeutung sichtbar zu machen, schlüsselt
die Studie des Wirtschaftsbetriebs Hagen die diversen Öko-
systemleistungen des Waldes auf und ermittelt eine Annähe-
rung an ihren volkswir tschaftlichen Nutzen. Insgesamt ergibt
sich ein Wert aller Waldleistungen von ca. 23 Mio. Euro/Jahr.
Das entspricht einem Wert von etwa 3.300 Euro/ha/Jahr
ABBILDUNG 7 – 8 Stadt Hagen: Volkswirtschaftlicher Wert der Ökosystemleistungen des Waldes im Stadtgebiet. Anteile in Prozent
am Gesamtwert von 23 Mio. Euro pro Jahr. Waldfläche 6.900 Hektar. (Quelle: eigene Abbildung/Miriam Brenck nach Asche et al., 2015)
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LITERATUR
7.8
1,7 %
1,1 %
0,7 %
0,5 %
0,3 %
Windruhe und Luf treinigung
Luf ttemperatur und
Luf tbefeuchtung
Erholung und
Gesundheit
Holznutzung
Lärmschutz
Erosionsschutz
Wasserhaushalt und
Wasseraufbereitung
Klimaschutz global
Wald- und Immobilienwert
Landschafts-, Natur- und
Artenschutz
46,7 %
17,8 %
16,2 %
8,5 %
6,4 %
(Asche et al., 2015). Deutlich werden die Größenverhältnisse
der verschiedenen Ökosystemleistungen bei der Betrachtung
ihres Anteils am Gesamtwert (siehe Abbildung 7 – 8): Der Er-
lös der Holzernte liegt bei etwa einem Zehntel des Wertes al-
ler Leistungen. Der größte Anteil der Wertschöpfung liegt mit
etwa 47 % und ca. 10,8 Mio. Euro bei den regulierenden Leistun-
gen der »Wind ruhe und Luftreinigung«. An zweiter Stelle fol-
gen mit ca. 18 % »Lufttemperatur und Luftbefeuchtung«. Die
Wertschöpfung für »Erholung und Gesundheit« macht mit ca.
16 % den drittgrößten Anteil aus.
Die Ergebnisse dieser Studie werden als Diskussionsgrundlage
eingeordnet. Die Ansätze der monetären Bewertung und ihre
Datengrundlage sind nachzulesen in Asche et al. (2015). Ziel
der Studie ist es, mit diesen Informationen ein Waldmanage-
ment zu fördern, das auch die immateriellen Waldleistungen
integriert.
192 STADTNATUR VERSoRGT
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 193
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STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR 197
STADTNATUR ALS
STANDORTFAKTOR
8
Bauweise und Baugestaltung, die Größe, Ausstattung und
Qualität, de[n] bauliche[n] Zustand, die energetischen Eigen-
schaften, das Baujahr und die Restnutzungsdauer« (§ 6 Abs. 5
ImmoWertV) bei bebauten Grundstücken. Das Mietrecht nennt
analog für Wohnungen die Wohnwertmerkmale »Art, Größe,
Ausstattung, Beschaffenheit und Lage« (§ 558 Abs. 2 BGB).
Der Faktor »Lage« setzt sich aus verschiedenen Aspekten
zusammen: Zu unterscheiden sind dabei Infrastruktur und
Erreichbarkeit (Versorgung und Verkehrsanbindung), sied-
lungs- und sozialstrukturbezogene Umweltvariablen, Um-
welteinflüsse (v. a. Lärm) sowie grünflächenbezogene Vari-
ablen (siehe Tabelle 8.1 – 1). Diese Einflussfaktoren werden
von individuellen Nachfragern nach Immobilien durchaus
unterschiedlich bewertet. Studierende werden im Allgemei-
nen Zentralität und Erreichbarkeit höher bewerten, Fami-
lien das grüne Umfeld. In der Summe der Bewertungen aller
Preisbildende Faktoren bei Immobilien
Der Wert aller deutschen Gebäude (Nettoanlagevermögen,
d. h. Korrektur der Wiederbeschaffungskosten um Abschrei-
bungen) beträgt 7,4 Billionen Euro. Rechnet man die ge-
schätzten Grundstückswerte der Siedlungs- und Verkehrs-
flächen hinzu, so ergeben sich 10,1 Billionen Euro. Gebäude
und bauliche Infrastruktur machen damit 84 % des deut-
schen Bruttoanlagevermögens aus (Voigtländer et al., 2013).
Die Preise von Immobilien werden durch eine Vielzahl von
Faktoren beeinflusst (siehe Kapitel 2.2.2). Die Immobilien-
wer termittlungsverordnung (ImmoWertV) nennt in § 6 neben
rechtlichen Aspekten (planungsrechtlicher Status, wert-
beeinflussende Rechte und abgabenrechtlicher Status) die
Lage sowie zahlreiche strukturelle Eigenschaften der ein-
zelnen Immobilien: bspw. die Grundstücksgröße, die Boden -
beschaffenheit der Grundstücke sowie »die Gebäudeart, die
8.1 STADTGRÜN UND IMMOBILIENWERTE
KOORDINIERENDER AUTOR
HENRY WÜSTEMANN
WEITERE AUTOREN
JENS KOLBE, CHRISTIAN VON MALOTTKI, MARTIN VACHÉ
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
FABIAN DOSCH, SONJA GÄRTNER SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
KERNAUSSAGEN
Der Markt für private und gewerbliche Immobilien stellt in Deutschland einen bedeutenden Wirtschaftszweig dar. Die Preise
von Immobilien und Grundstücken werden durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt.
Die wenigen bisher in Deutschland durchgeführten Studien, aber auch einige Mietspiegel, zeigen, dass auch die Lage zu
städti schen Grünflächen einen Einfluss auf die Preise von Immobilien hat. Deren Kapitalisierung fällt aber wesentlich gerin-
ger aus als die vieler struktureller Faktoren (Alter der Immobilie, Größe etc.). Für die Stadt Köln würde bspw. eine Verringe-
rung der Distanz zur nächstgelegenen Grünfläche um 100 Meter zu einem durchschnittlichen Anstieg des Kaufpreises von
Immobilien um 594 € führen. Würde man die Durchgrünung in einem 500 m-Umkreis um die Immobilie um 1 % erhöhen,
hätte dies mittlere Preisanstiege um 156 € zur Folge.
Neben der eigentlichen Bedeutung städtischer Grünflächen als öf fentliches Gut wird deutlich, dass sich die Leis tungen
öffentlicher Grünflächen meist in privaten Grundstücken kapitalisieren. Bei Neuentwicklungen von Baugebieten können
über das bauplanungsrechtliche Instrumentarium deshalb auch der Flächenerwerb und die Anlage von Grünflächen auf
die Erwerber des Nettobaulands umgelegt werden. Im Bestand sollte die Instandhaltung der Grünflächen über die Grund-
steuer abgedeckt sein. Diese ist jedoch seit Jahren überarbeitungsbedürftig.
Dieses Kapitel befasst sich mit der Bedeutung von Stadtnatur als Standortfaktor.
Unter anderem hat die Lage zu städtischen Grünflächen einen Einfluss auf die
Preise von Immobilien (Kapitel 8.1). Unternehmen können bei naturnah gestalte-
ten Firmenarealen von niedrigeren Pflege-/Unterhaltungskosten profitieren; zu-
gleich trägt Stadtnatur im Arbeitsumfeld zu gesünderen und produktiveren Arbeits-
bedingungen bei (Kapitel 8.2.1). Stadtnatur kann schließlich auch die touristische
Attraktivität einer Stadt erhöhen und sich somit als Wettbewerbsvorteil auf kom-
munaler Ebene erweisen (Kapitel 8.2.2). Das Beispiel des Emscher Landschaftsparks
verdeutlicht, wie eine Metropolregion durch grüne Infrastrukturen aufgewertet
werden kann (Kapitel 8.2.3).
8.1 Stadtgrün und Immobilienwerte 197
Literatur 202
8.2 Natur und Wirtschaft 203
8.2.1 Stadtnatur und Wirtschaft 203
8.2.2 Stadtnatur und ihre Bedeutung für den Tourismus 209
8.2.3 Grüne Infrastruktur qualifiziert Metropolregionen:
Beispiel Emscher Landschaftspark 211
Literatur 214
198 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 199
Nachfrager und Anbieter entstehen die Marktpreise. Der Ein-
fluss einzelner Einflussfaktoren kann im Zeitverlauf schwan-
ken: Beispielsweise führt der aktuelle Anstieg der Studieren-
denzahlen zu einem Preisanstieg v. a. in zentralen Lagen. Alle
Lageeffekte zusammen spiegeln sich schließlich in der Bo-
denrichtwertkarte der örtlichen Gutachterausschüsse oder
in den Lagekategorien von Mietspiegeln wider. Eine isolierte
Betrachtung des Preiseffekts von Grünflächen findet hier in
der Regel nicht statt.
Die bisherigen Ausführungen in diesem Bericht haben bereits
gezeigt, dass von städtischen Grünflächen eine Vielzahl von
Ökosystemleistungen ausgehen kann. Viele dieser Ökosys-
temleistungen haben auch einen unmittelbaren Nutzen für
den Menschen. So dienen bspw. öffentliche Grünflächen der
Erholung. Da sie also eine Bedeutung für unsere individuelle
Nutzenfunktion spielen, kann davon ausgegangen werden,
dass sich dieser Nutzen auch in höheren Immobilien- und
Grundstückspreisen widerspiegelt. Darauf wird im Folgen-
den näher eingegangen.
Grünflächen und Immobilienpreise
In der deutschen Wissenschaftslandschaft sind empirische
Studien zu den Preiseinflüssen auf Immobilien deutlich we-
niger vertreten als bspw. in englischsprachigen Ländern (u. a.
Acharya und Bennett, 2001; Bolitzer und Netusil, 2000;
Kitchen und Hendon, 1967; Lutzenhiser und Netusil, 2001).
Dabei sind die Fragestellungen nahezu identisch. Allerdings
ist die deutsche Wertermittlungspraxis durch große Beurtei-
lungsspielräume für Sachverständige, univariate Verfahren
oder die Tendenz zur Arbeit mit Einzel- und Vergleichsfällen
(vgl. z. B. § 558a, Abs. 2 BGB oder den sogenannten Tabellen-
mietspiegel) geprägt. Beim Erstellen von Regressionsmiet-
spiegeln (Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete) lie-
gen zwar sowohl Daten als auch wissenschaftlich qualifizierte
Auswertungen vor, deren Erkenntnisse werden jedoch vor
dem Hintergrund der Anwendung in mietrechtlichen Aus-
einandersetzungen selten publiziert.
Die verschiedenen Merkmale von Immobilien stehen in
vielfältiger Beziehung zueinander. Beispielsweise können
Stadtviertel mit gutem Zugang zu attraktiven Grünflächen
gleichzeitig durch hochpreisige Baustrukturen (z. B. Villen)
mit privaten Grünflächen geprägt sein, deren Bewohner-
schaft durch den gehobenen sozialen Status attraktiv für
Zuzügler ist und deren Gebäude eine gehobene Ausstattung
aufweisen. Die Aufgabe der Modellierung besteht hier darin,
beide Effekte zu beschreiben.
Bei Lagevariablen, die das Umfeld beschreiben, besteht die
Herausforderung darin, dass sie ihrerseits wiederum ein Bün-
del an Eigenschaften beinhalten. Dabei können sich die Preis -
einflüsse der allgemeinen Lagevariablen einerseits (insbe-
sondere der Zentralität) und der grünflächenbezogenen
Vari ablen andererseits durchaus gegenseitig aufheben. Zen-
trale Lagen mit schlechter Grünversorgung sind dann ähn-
lich teuer wie periphere Lagen im Grünen. Auch hier besteht
die Aufgabe der Modellierung darin, beide Effekte getrennt
zu erfassen. Nur wenn die Preiseinflussfaktoren jenseits der
Qualität der gebäude- und lagebezogenen Grünflächen gut
kontrolliert werden, sind korrekte Preiseinflüsse zu ermitteln.
Darüber hinaus können sich urbane Grünflächen in der
Umgebung von Immobilien bezüglich ihrer Qualitäten wie
Entfernung, Größe, Sichtbarkeit, Zugänglichkeit und Ausstat-
tung wesentlich voneinander unterscheiden. Hier sind die
Teileigenschaften innerhalb des Preiseinflussfaktors »Grün-
flächen« entweder zu bündeln oder einzeln empirisch nach-
zuweisen. All diese methodischen Ansatzpunkte zeigen, dass
die isolierte Untersuchung einzelner Preiseinflüsse metho-
disch anspruchsvoll ist und je nach Herangehensweise zu
durchaus unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.
Trotz dieser methodischen Herausforderungen gelang es,
eine Kapitalisierung von Grünflächen in Immobilien- bzw.
Grundstückspreisen in ersten Studien nachzuweisen
( Gruehn, 2010; Kolbe und Wüstemann, 2014: siehe Infobox
8.1 – 1; Promann, 2012). Einzelne Mietspiegel bilden nicht nur
aggregierte Lagekategorien ab, sondern ermöglichen auch
explizit Mietzuschläge für Grünflächen in der Umgebung (vgl.
Stadt Freiburg, 2011). Insgesamt zeigt sich in allen Studien,
dass Grünflächen ein Einflussfaktor von vielen sind und im
Verhältnis zu anderen Faktoren einen eher geringen Einfluss
auf den Wert von Immobilien haben. Dieser relativ geringe
Einfluss gewinnt jedoch an Bedeutung, wenn man sich den
eingangs zitierten hohen Wert des deutschen Immobilien-
anlagevermögens insgesamt vergegenwärtigt.
TABELLE 8.1 – 1 Beispiele für preisbildende Faktoren bei Immobilien. (Quelle: eigene Darstellung/Henry Wüstemann)
Variablen
Intrinsische (strukturelle/
gebäude- bzw. grundstücks-
bezogene) Variablen
Allgemeine strukturelle Variablen Nach Mietrecht (§ 558 BGB): Art, Größe,
Ausstattung, Beschaffenheit und
Lage nach Wertermittlungs recht
(§ 6 ImmoWertV): baurechtlicher Status,
Rechte und Belastungen, abgaben-
rechtlicher Status, bei Grundstücken
Nutzung, Größe und Bodenbeschaffen-
heit, bei Gebäuden Gebäudeart,
die Bauweise und Baugestaltung, die
Größe, Ausstattung und Qualität,
der bauliche Zustand, die energetischen
Eigenschaften, das Baujahr und die
Restnutzungsdauer
Grünflächenbezogene Variablen
(privates Grün)
Größe, Qualität
Extrinsische (lagebezogene)
Variablen
Allgemeine Lagevariablen Infrastruktur und Erreichbarkeit
(Versorgung und Verkehrsanbindung),
Siedlungs- und sozialstrukturbezogene
Umfeldvariablen, Umwelteinflüsse
(Lärm, Luftqualität)
Grünflächenbezogene Variablen
(öffentliches oder privates Grün
im Umfeld)
Distanz, Größe, Qualität, Sichtbarkeit
INFOBOX 8.1 – 1
Städtische Grünflächen und ihr Einfluss auf Immobilienpreise: Beispiel Köln
Um den Einfluss des städtischen Grüns auf die Immobilien-
preise noch besser zu verstehen, wurde im Rahmen eines vom
Bundesamt für Naturschutz (BfN) finanzierten Forschungs-
vorhabens der Einfluss der Flächennutzung in Städten auf die
Kaufpreise von Immobilien analysiert. Dazu erfolgte erstmals
eine Verschneidung georeferenzierter Daten zur Flächennut-
zung für die Stadt Köln mit Daten der Kaufpreissammlung
des Gutachterausschusses für Grundstückswerte (Kolbe und
Wüstemann, 2014, siehe Abbildung 8.1 – 1). Die Untersuchung
des Einflusses von Stadtnatur auf die Immobilienpreise er-
folgte anhand von zwei Fragestellungen: Übt die Entfernung
zur nächstgelegenen Grünfläche einen Einfluss auf die Preise
von Immobilien und Grundstücken aus? Haben Grünflächen-
anteile in zuvor definierten Radien einen Einfluss?
Die Ergebnisse zeigen prinzipiell eine Kapitalisierung von Grün -
flächen in Immobilienpreisen. Ein positiver Einfluss der Flä-
chennutzung auf die Immobilienpreise geht von städtischen
Parkanlagen und von Wasserflächen aus. So würde bspw. in
Köln eine Verringerung der Distanz der Wohnung zur nächst-
gelegenen Parkfläche um 100 m mit einer Erhöhung des durch-
schnittlichen Immobilienpreises (156.401 €) von 594 € ein-
hergehen. Dabei sind 0,38 % des Immobilienpreises auf den
Einfluss von städtischen Parks zurückzuführen. Eine Verringe-
rung der Distanz zur nächstgelegenen Wasserfläche um 100 m
wäre mit einer Erhöhung des Immobilienpreises von 344 €
(0,22 %) verbunden. Ein negativer Einfluss hingegen geht von
Landwirtschafts- und Brachflächen aus. Hier würde eine Ver-
ringerung der Distanz um 100 m zu Preisabschlägen von 970 €
(0,62 %) bzw. 672 € (0,43 %) führen.
Abbildung 8.1 – 2 veranschaulicht beispielhaf t diese Wir -
kungen verschiedener Einflussfaktoren auf die Preisbildung:
Nimmt die Größe einer Immobilie um 1 m2 zu, dann führt dies
zu einem Preisanstieg von 3.926 € (2,51 %). Eine Erhöhung der
Parkfläche in einem Radius von 500 m um 1 % erhöht den Preis
der Immobilie um 156 € (0,1 %) (bei Waldflächen um 219 €, bei
Wasser flächen um 250 €). Eine Erhöhung des Brach- und
200 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 201
Die Ergebnisse zur Kapitalisierung städtischer Grün flächen
werfen auch die Frage nach den stadtökonomischen Konse-
quenzen eines nachgewiesenen Preiseinflusses von Grünflä-
chen auf. Zumindest die Leistungen öffentlicher Grünflächen
kapitalisieren sich dabei in Grundstücken, die sich meist in
privater Hand befinden. Bei Neuentwicklungen von Bauge-
bieten können über das bauplanungsrechtliche Instrumen-
tarium deshalb auch der Flächenerwerb und die Anlage von
Grünflächen auf die Erwerber des Nettobaulands umgelegt
werden. Im Bestand sollte die Instandhaltung der Grünflä-
chen über die Grundsteuer abgedeckt sein. Diese ist jedoch
seit Jahren überarbeitungsbedürftig.
Auch legen die Ergebnisse zur Kapitalisierung von Grün-
flächen in Immobilienpreisen den Schluss nahe, dass Men-
schen mit geringerem Einkommen einen schlechteren Zugang
zu urbanem Grün haben, da ja Immobilien in unmittelbarer
Nähe zu Grünflächen zumeist teurer sind. Dies wird in der
Literatur unter dem Aspekt Umweltgerechtigkeit (»environ-
mental justice«) diskutiert (Maschewsky, 2001; Schröder-
Bäck, 2012, vgl. auch Kapitel 5). Erste Forschungsergebnisse
in diesem Bereich bestätigen diese Annahme (Kabisch und
Haase, 2014). Signifikant negative Ergebnisse für den Zusam-
menhang zwischen Sozialstruktur und der Nähe zu Grün-
flächen zeigt Lutz (2013) anhand der Daten des Frankfurter
Mietspiegels. Allerdings ist das Wissen in diesem Kontext
noch sehr lückenhaft, auch weil aussagekräftige Indikatoren
zum Zugang zu städtischem Grün und ein diesbezüg liches
Monitoring in Deutschland bisher fehlen.
Preis bildung aber wesentlich geringer ist als der Einfluss vie-
ler struktureller Faktoren (z. B. Größe der Immobilie). Innerhalb
der lagerelevanten Faktoren spielt das städtische Grün eine
geringere Rolle als bspw. der Stadtbezirk. In Anbetracht der
durchschnittlichen Immobilienpreise von Wohnungen in Köln
(ca. 156.401 €) sowie der hohen Anzahl der Transaktionen in
den vergangenen 15 Jahren (mehrere hunderttausend Trans-
aktionen) ergibt sich jedoch ein enormes Umsatzvolumen auf
dem Immobilienmarkt: So kommt auch einem vergleichsweise
geringen Einflussfaktor eine beachtliche ökonomische Bedeu-
tung zu.
Landwirt schaftsflächenanteils in einem Radius von 500 m
um die Immobilie würde hingegen deren Preis um 2.283 €
(– 1,46 %) bzw. 282 € (– 0,18 %) verringern.
Somit liegen die hier vorgestellten Ergebnisse im Bereich derer
vergleichbarer Analysen zur Wertschätzung von städtischem
Grün mittels hedonischer Preismethode für die Städte Berlin,
Castellón (Spanien) und Salo (Finnland) (Morancho, 2003;
Tyrvainen und Miettinen, 2000; Wüstemann und Kolbe, 2016).
Diese Untersuchungen zeigen deutlich, dass Grünflächen
in Immo bilienpreisen kapitalisiert sind, der Einfluss auf die
ABBILDUNG 8.1 – 2 Beispiele für Einflussfaktoren auf die Preisbildung von Immobilien im Stadtgebiet Köln unterschieden nach
strukturellen (Größe und Alter der Immobilie) und landnutzungsbezogenen Faktoren (Parkflächen, Wasserflächen, Waldflächen,
Brachflächen und Landwirtschaf tsflächen). (Quelle: eigene Darstellung und Berechnung/Henry Wüstemann)
8
Stärke des Einflusses preisbildender Faktoren in %
Größe Alter Park Wasser Wald
Brache
Landwirtschaft
2,51 %
– 0,21 % 0,1 % 0,16 % 0,14 % – 1,46 % – 0,18 %
Strukturelle Variablen Landnutzung im Umkreis von 500 m
um die Immobilie
ABBILDUNG 8.1 – 1 Flächennutzung und Immobilientrans aktionen für das Stadtgebiet Köln.
(Quelle: eigene Darstellung/Henry Wüstemann nach European Environment Agency, 2011; Gutachterausschuss für Grundstücks-
werte, 2012)
202 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
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2008; siehe auch Kapitel 4).
Viele Unternehmen haben erkannt, dass »weiche« Stand-
ortfaktoren für das Entwicklungspotenzial des Unterneh-
mens wichtig sind. Die Ansprüche von Mitarbeitern und
Kunden, der Ruf des Unternehmens und damit sein Wert
hängen heute mehr als früher von der Standortwahl ab. Na-
turnahe Standorte können mehrfach positiv auf das Unter-
nehmen zurückwirken. Fehlt Naturnähe als Standortfaktor,
kann sich dieses Fehlen negativ auf die Unternehmensent-
wicklung auswirken (Coley et al., 1997; Dijkstra et al., 2006;
Largo-Wight et al., 2011; Scherer, 2012; Wolf, 2003).
Naturnah zu gestalten und zu pflegen bedeutet Entwick
-
lungsspielräume für Tiere und Pflanzen auf Flächen im Um-
feld von Unternehmen zu schaffen. Hierzu können viele
8.2.1 Stadtnatur und Wirtschaft
Unternehmen nehmen Naturschutzauflagen (v. a., wenn es
sich um den Schutz einzelner Arten handelt) wegen der
damit verbundenen Kosten und Einschränkungen oft als Be-
lastung wahr. Dabei ist erlebbare Natur wertvoll, gerade auch
für Unternehmen, die in Städten angesiedelt sind.
Natur im Blick, Wasserplätschern, Vogelgezwitscher und
Blätterrauschen – Natur unmittelbar zu erfahren, wirkt sich
auf Menschen auch beim Arbeiten positiv aus. Der Blick ins
Grüne kann Kreativität und Motivation der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter steigern.
Natur stellt wesentliche Erholungsfunktionen für Menschen
zur Verfügung. Sie steigert so die Zufriedenheit und erhält die
Leistungsfähigkeit. Studien haben ergeben: Menschen, die
einen unmittelbaren Zugang zu Natur haben, arbeiten lang-
fristig besser, sind aufmerksamer und fitter (u. a. Abraham
8.2 NATUR UND WIRTSCHAFT
KOORDINIERENDE AUTORIN UND KOORDINIERENDER AUTOR
FRAUKE FISCHER, HEINRICH SCHNEIDER
WEITERE AUTORINNEN UND AUTOREN
KERSTIN FRÖHLE, SONJA KNAPP, RETO LOCHER, KONRAD REIDL, DIETER RINK, MICHAEL SCHWARZE-RODRIAN
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
FABIAN DOSCH, MARCO FRITZ, PETER GAFFERT, SONJA GÄRTNER, STEFAN HÖRMANN, GABRIELE SONDEREGGER
SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
KERNAUSSAGEN
Die Umgebungsnatur erhöht die Attraktivität des Unternehmensstandorts.
Natur in unmittelbarer Umgebung zum Arbeitsplatz erhält und steigert die Leistungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern.
Städte konkurrieren als Reiseziele miteinander; herausragende Ausprägungen von Stadtnatur sind ein Wettbewerbsvorteil
in dieser Konkurrenz.
Engagement für die Erhaltung und Förderung von Biodiversität und Ökosystemleistungen erhöht die Attraktivität einer Stadt
für Touristen.
Kooperation zwischen kommunalen Entscheidungsträgern und Unternehmen kann Stadtnatur befördern, was sich sowohl
für die Unternehmen als auch für die Stadtbevölkerung und die Stadt als Ganze positiv auswirken kann.
204 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 205
Ele mente beitragen, z. B. Regenwasserbiotope, Kräuterspi-
ralen, Trockenbiotope, Verwendung einheimischer Pflanzen,
Dachbegrünung, Magerwiesen, Feldgehölze, Steinriegel, Nist -
hilfen für Insekten, Hochstamm-Obstbäume, Totholzhaufen,
insektenfreundliche Blühwiesen, Trockensteinmauern und
Vogelschutzsträucher. Ergänzende Informationen zu diesen
Möglichkeiten bieten die Publikation »Moderne Unterneh-
men im Einklang mit der Natur« der staatlichen Naturschutz-
verwaltung Baden-Württemberg (LUBW, 2013) und die Studie
»The Economics of Biophilia« (Terrapin Bright Green, 2014).
Der Standortfaktor »Grün« spielt auch bei der Jobsuche eine
immer größere Rolle. Großstädte wie München, Frankfurt
oder Hamburg punkten nicht nur mit einem großen Kul-
tur- und Dienstleistungsangebot, sondern auch mit groß-
flächigem städtischen Grün und der räumlichen Nähe zu
attraktiven Naherholungsgebieten und Naturräumen. Eine
Untersuchung der Universität St. Gallen zur Bodenseeregion
hat gezeigt, dass Natur als »weicher« Faktor gerade in sub-
urbanen und peri-urbanen Gebieten ausschlaggebend für die
Standortwahl sein kann, besonders wenn andere (harte) Fak-
toren von Alternativstandorten ähnlich sind. So kann ein na-
turnahes Umfeld (z. B. von Wohngebieten) mittelfristig sogar
wirtschaftliche Entwicklungseffekte erzielen (Scherer, 2012).
Unternehmen können auf die Gestaltung städtischen Grüns
und die Erhaltung städtischer Ökosysteme Einfluss nehmen.
Daneben bieten sich auf den unternehmenseigenen Flächen
vielfältige Möglichkeiten der naturnahen Gestaltung. Immer
mehr Unternehmen erkennen, dass sie durch biodiversitäts-
fördernde Maßnahmen an ihren Gebäuden und auf ihrem
Gelände nicht nur Gutes für Flora und Fauna tun, sondern ihr
Unternehmen für ihr Personal und für Kunden attraktiver
machen. Auch neue Gewerbegebiete können von Anfang
an mit dem Ziel ausgewiesen werden, nicht nur die beste-
hende Biodiversität zu erhalten, sondern diese sogar noch
zu erhöhen. So hat z. B. die Stadt Bordesholm in Schleswig-
Holstein das ökologische Gewerbegebiet Eiderhöhe ausge-
wiesen und bewirbt dieses nun als ein »Gewerbegebiet mit
Aufenthaltsqualität« explizit für die Zielgruppe innovativer
und nachhaltiger Unternehmen (Bordesholm, 2016). Die
angelegten Kriterien sind: landschaftsgerechte Einbindung
des Baugebietes und der Gebäude, intensive Begrünung
des Baugebietes und der Bauten, umweltverträgliche Bau-
stoffwahl, geschlossene Wasser-, Energie- und Stoffkreis-
läufe, Minderung von betrieblichen Emissionen wie Lärm
und Schadstof fe und architektonisch ansprechende Gestal-
tung der Gebäude unter Berücksichtigung energetischer und
klimatischer Gesichtspunkte.
Grünes Engagement fördert die Unternehmensreputation
und kann zudem häufig zur Einsparung von Kosten beitra-
gen. Dazu gehören zum Beispiel die naturnahe Gestaltung
von Außengeländen, die Klimatisierung von Gebäuden durch
Dach- und Fassadenbegrünung, die Anlage von Magerrasen
und Blühwiesen auf Brachen, der Bau von Trockenmauern,
Totholzplätzen und Insektenhotels, die Entsiegelung von ver-
siegelten Flächen oder die Anlage natürlicher Wasserbecken
zur Filtration von Abwasser.
Die durch das BMUB und das BfN geförderte Initiative
»Unter nehmen Biologische Vielfalt 2020« bietet Anleitungen,
Ideen und Beispiele, wie sich Unternehmen für biologische
Vielfalt engagieren können (http://www.biologischeviel-
falt.de/ubi_plattform.html2). Interessierte Unternehmen
können auch Informationen der Europäischen »Business &
Biodiversity«-Kampagne (European Business & Biodiversity
Campaign, EBBC; www.business-biodiversity.eu) und der
Initiative »Biodiversity in Good Company« (www.business-
and-biodiversity.de) nutzen. In der Unternehmensbroschüre
von Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2013) werden darü-
ber hinaus Herausforderungen für Unternehmen, den Wert
des Naturkapitals in ihrem Wirtschaften zu berücksichtigen,
herausgestellt und Anregungen zum Handeln gegeben.
Leistungen von Stadtnatur für Unternehmen
Ein Engagement für Natur, bedrohte Arten oder vielfältige
Lebensräume wird von Akteuren der Privatwirtschaft häu-
fig kritisch beäugt. Das kann daran liegen, dass Naturkom-
ponenten in Planungsverfahren in Zusammenhang mit Bau-
maßnahmen und Entwicklungsvorhaben zu berücksichtigen
sind, z. B. bei der Umweltprüfung und der Anwendung der
Eingriffsregelung. Naturthemen werden daher in Wirtschafts -
kreisen häufig noch mit Entwicklungshemmnissen und zu-
sätzlichen Kosten verbunden. Der Blick auf das Gesamtbild
zeigt aber, dass Unternehmen von der Natur stark profitie-
ren können, da vielfältige Ökosystemleistungen mit betriebs-
wirtschaftlichen Vorteilen verbunden sind. Dies gilt auch für
Firmengelände in Städten und für deren Umfeld (vgl. Ab-
bildung 8.2 – 1).
Erholungswert und kulturelle Leistungen
Der Erholungswert von Natur ist allgemein bekannt und
wird von vielen wertgeschätzt. Sich im Grünen aufzuhalten,
erleben viele Menschen als sehr wohltuend und entspan-
nend. Diese stressreduzierende Wirkung von Grün kann auch
in unmittelbarer Umgebung des Arbeitsplatzes erzielt wer-
den, bspw. durch den Blick aus dem Fenster auf ein begrün-
tes Umfeld (siehe Kapitel 4). Insgesamt steigern kulturelle
Erholungswert auf Firmengeländen steigern
Mit der Förderung naturnaher Strukturen auf Firmengelän-
den werden Erholungsfunktionen »in-house« etabliert und
verbessern im buchstäblichen Sinne des Wortes das Arbeits-
klima. Richtungweisend sind in dieser Hinsicht die erfolgrei-
chen Aktivitäten der Schweizer »Stiftung Natur & Wirtschaft«
(siehe Infobox 8.2 – 1).
Attraktivität verbessern
Der Gesamteindruck einer naturnah gestalteten Arbeits-
stätte kann beim Betreten einer Firma zu positiver Wert-
schätzung führen; Kunden schätzen den Wert eines Unter-
nehmens oder Produktes höher ein, wenn das Geschäfts -
umfeld naturnah gestaltet ist. In einer Studie, die v. a. die
Wirkung von städtischem Baumbestand anhand von Bil -
dern prüfte, bewerteten potenzielle Kunden die Produkt- und
Servicequalität um 30 % bzw. 15 % höher, wenn die Stadt-
viertel, in denen die Geschäfte lagen, begrünt waren. Zudem
waren Versuchspersonen – hypothetisch – bereit, 35 – 50 %
höhere Preise für Produkte aus grüneren Vierteln zu zahlen
(Wolf, 2003).
Ökosystemleistungen menschliches Wohlbefinden. Der Auf-
enthalt in und oft schon der Blick auf Natur wirkten sich bei
darauf getesteten Probanden stressmindernd und blutdruck-
senkend aus. Pausen im firmeneigenen Garten oder auf der
naturnahen Wiese sind erholsamer als in funktionaler Um-
gebung (u. a. Abraham et al., 2007; Cackowski und Nasar,
2003). Natur fördert nachweislich die Konzentrationsfähig-
keit, steigert die Reaktionsfähigkeit, senkt die Fehlerrate bei
Arbeiten am Computer und wirkt sich somit positiv auf die
Arbeitsleistung und Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern aus. Auch der Krankenstand des Personals sinkt,
weil sich Natur unmittelbar positiv auf eine Reihe von Ge-
sundheitsparametern auswirkt (siehe im Detail Kapitel 4).
Auch wenn eine direkte Zuordnung solcher Effekte auf die
Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schwie-
rig ist, lässt sich der Wert arbeitsplatznaher Ökosystem-
leistungen für die Gesundheitsförderung indirekt bemessen,
etwa durch die Verminderung von Kosten, die mit einem
hohen Krankenstand verbunden sind (zum Gesundheitskosten -
ansatz siehe Kapitel 2.2.2, Infobox 2.2 – 2 sowie Kapitel 4.4).
ABBILDUNG 8.2 – 1 Naturnahe Gestaltung des Umfelds der Credit Suisse in Zürich (Uetlihof) mit Dach- und Fassadenbegrünung,
Blumenwiesen und naturnahen Aufenthaltsbereichen im Jahr 2004. (Fotos: Ingo Kowarik)
206 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 207
monat lichen Pflege bedürfen. Die jährlichen Unterhaltungs-
kosten für eine Wiese betragen nur 0,39 € pro Quadratme-
ter, verglichen mit 0,65 € für Gebrauchsrasen (incl. Rasengit-
tersteine), 1,79 € für wassergebundene Beläge, 2,60 € für
Strauchpflanzungen und Bodendecker und 15 € für Rosen-
pflanzungen (GALK AK Organisation und Betriebswirtschaf t,
2012; siehe auch Tabelle 8.2 – 1).
Sie bietet Unternehmen bei der Planung und Realisierung
von naturnahen Betriebsgeländen Hilfestellung. Im Pro-
jekt werden Mitgliedsbetriebe der Wirtschaftskammer
Oberösterreich durch geförderte Beratung und Informa-
tionsgespräche unterstützt und Maßnahmenkonzepte
entwickelt. Unter dem Motto »Freiwilligkeit statt Zwang«
sollen Win-win-Situationen für Gewerbegebiete und
Naturschutz erreicht werden. In der Pilotphase fand ein
erster Versuch mit fünf Betrieben aus unterschiedlichen
Branchen statt, um Erkenntnisse bezüglich der naturnahen
Gestaltung von Betriebsflächen zu gewinnen. Das Ergeb-
nis ist eine ausführliche Info-Mappe mit Beschreibungen
Kosten sparen
Die Anlage und Unterhaltung naturnaher Firmenareale
kann kostengünstiger sein als die versiegelter Flächen oder
intensiv gepflegter Bereiche wie Blumenrabatten oder Ra-
sen. So müssen Blumenwiesen, die zugleich als Bienenwei-
den dienen, nur ein- oder zweimal im Jahr gemäht werden,
wohingegen kurzgehaltene Rasenflächen mindestens einer
Win-win-Situationen realisieren
Verschiedene Initiativen haben es sich zum Ziel gesetzt,
natur nah gestaltete Unternehmensflächen umzusetzen und
weitere Unternehmen dafür zu gewinnen. Es folgen einige
Beispiele: (1) »Natur in Betrieb« in Oberösterreich, (2) Bio-
sphärenreservat Schwäbische Alb und (3) das Projekt »Natur-
nahe Gestaltung von Firmengeländen« der Heinz-Sielmann-
Stiftung, der Bodensee-Stiftung und des Global Nature Funds.
(1) »Natur in Betrieb« ist eine Gemeinschaftsinitiative der
Wirtschaftskammer Oberösterreich und der Naturschutz-
abteilung des Landes Oberösterreich aus dem Jahr 2002.
INFOBOX 8.2 – 1
Schweizer »Stiftung Natur & Wirtschaft«: Mehr Natur auf Industrie- und Gewerbeflächen
Hervorgegangen ist die schweizerische »Stiftung Natur &
Wirtschaft« (www.naturundwirtschaf t.ch) aus dem Europä-
ischen Naturschutzjahr 1995. Die Stiftungsgründer haben da-
mals erkannt, dass das flächenmäßig größte Naturpotenzial
im Siedlungsgebiet in den Industrie- und Gewerbezonen liegt.
Deshalb schufen sie ein Qualitätslabel, mit dem Betriebe aus-
gezeichnet werden, die sich für eine naturnahe Betriebsum-
gebung engagieren. Die Auszeichnung erfolgt auf Antrag der
Firma und wird nach einem nachvollziehbaren Bewertungs
-
verfahren erteilt. Inzwischen haben sich mehr als 300 Firmen
und Institutionen in der Schweiz um dieses Label bemüht und
die Auszeichnung erhalten. Dadurch ist eine Naturfläche von
insgesamt mehr als 2.500 Hektar auf Firmenflächen entstan-
den. Mit wenigen Ausnahmen liegen diese Flächen nicht in
Randregionen, sondern mitten im dicht besiedelten Schweizer
Mittelland zwischen Genf und Zürich.
Ein Viertel der ausgezeichneten Betriebe sind Kieswerke. Mit
dem Erhalt des Qualitätslabels verpflichten sie sich zu einem
ökologischen Management innerhalb ihres Werks. Damit wird
eine hohe Artenvielfalt, v. a. bei Amphibien sowie bei Ruderal-
pflanzen, gewährleistet. Ein jährliches Monitoring sorgt für
die Qualitätssicherung. Ein weiteres Fünftel der ausgezeich -
neten Institutionen kommt aus dem Gesundheitsbereich.
Allgemeine und psychiatrische Kliniken oder Rehabilitations-
zentren beispielsweise haben erkannt, dass Naturnähe
wesentlich zum Heilungsverlauf ihrer Patienten beiträgt und
dass somit Gesundheitskosten reduziert werden können. Die
übrigen Firmen und Institutionen decken verschiedenste
Industriezweige, Dienstleistungsbetriebe und auch Public-
Private-Partnerships ab.
Seit ihrer Gründung verzeichnet die »Stiftung Natur & Wirt-
schaft« ein stetiges Wachstum. In Zukunft sollen auch große
Wohnsiedlungen für ihr Engagement bei der naturnahen Ge-
staltung des Umfeldes das Qualitätslabel erwerben können.
Finanziert wird die Stiftung durch Beiträge des Schweizer
Bundes sowie zweier Wirtschaftsverbände (Kies- und Gas-
industrie). Hinzu kommen Jahresbeiträge der ausgezeichne-
ten Firmen und Sponsorengelder. Die »Stiftung Natur & Wirt-
schaft« ist eine Erfolgsgeschichte. Inzwischen wird der Ansatz
auch in anderen Ländern wie Japan, Frankreich, Niederlande
und auch Deutschland aufgegriffen (Stiftung Natur & Wirt-
schaft, 2014).
Zwölf Unternehmen im Biosphärengebiet Schwäbische Alb
oder im nahen Umfeld haben sich im ersten Jahr an dem
Projekt beteiligt und bei der Entwicklung konkreter Maß-
nahmenvorschläge mitgemacht. Zu unterschiedlichen
räumlichen Voraussetzungen sind für jedes Unternehmen
individuelle Vorschläge entstanden, die unterschiedliche
räumliche Gegebenheiten und Bedürfnisse berücksichti-
gen und auch zum jeweiligen Image des Unternehmens
passen. Dass sich eine solche Erhaltung bzw. Schaffung
von Lebensräumen auch finanziell lohnen kann, haben die
Projektträger anhand von konkreten Beispielen aufgezeigt.
Die Ergebnisse bestätigen die oben genannten Berechnun-
gen aus Oberösterreich (vgl. Tabelle 8.2 – 1): Mit dem Unter-
halt einer Wiese anstelle eines Rasens können auf zehn
Jahre betrachtet etwa 1.680 €/1 00 m2 Fläche ein gespart
werden. Vergleichbar sieht es bei geschnittenen Hecken
und einer grünen »Grenze« mit Wildsträuchern aus: Über
zehn Jahre hinweg muss hier das Unternehmen pro lau-
fendem Meter Wildhecke rund 150 € weniger aufbringen.
Aufgrund des Erfolges im ersten Jahr werden Folgeprojekte
aufgelegt, um möglichst viele Betriebe im Biosphärenge-
biet für eine naturnähere Gestaltung ihrer Außenanlagen
zu gewinnen (Amt der Oö. Landesregierung, 2013).
(3) Im Projekt »Naturnahe Gestaltung von Firmengeländen«
der Heinz-Sielmann-Stiftung, der Bodensee-Stiftung und
des Global Nature Funds haben einige Unternehmen ihre
Firmengelände nach naturnahen Kriterien umgestaltet. Ein
Beispiel: »Bodan – Großhandel für Naturkost« ist seit 1987
mit der Biobranche gewachsen und heute ein mittelstän-
discher Betrieb mit 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern und über 50 Mio. € Jahresumsatz. Bodan war schnell
für die Idee einer naturnahen Gestaltung von Firmen-
geländen zu gewinnen und entschied sich für die Ansaat
einer artenreichen Magerwiese. Das Saatgut wurde auf
naturnahen Spenderflächen mit vergleichbaren Standort-
bedingungen in nächster Nähe geerntet. Das Verfahren
sichert dadurch den Erhalt der genetischen Vielfalt inner-
halb der Arten, weil regional angepasste Genotypen wei-
ter verbreitet werden.
Corporate Social Responsibility stärken
Stadtnatur kann von Unternehmen auch indirekt im Zuge
ihrer Corporate-Social-Responsibility-Anstrengungen, also
der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, geför -
dert werden. Gemeinsame Arbeitseinsätze zur Umsetzung
von Naturschutzmaßnahmen auf geeigneten Flächen kön-
nen das Teambuilding stärken und zu Freiwilligeneinsätzen
der Belegschaft führen.
möglicher Maßnahmen zur naturnahen Umgestaltung
von Firmengeländen inklusive Rechenbeispielen, die die
Einsparungen durch naturnahe Gewerbeflächen verdeut-
lichen (siehe Tabelle 8.2 – 1): In zehn Jahren können bei
einer naturnahen Magerwiese 1.680 € eingespart werden –
das sind beinahe 50 % der Kosten, die für Rasen aufge-
bracht werden müssen (Land Oberösterreich, 2006).
(2) Wie Unternehmen im Biosphärengebiet »Schwäbische
Alb« ihre Betriebsgelände naturnäher gestalten können
und welche Vorteile sich daraus ergeben, zeigt ein Projekt
der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-
Geislingen in Zusammenarbeit mit dem Biosphärenge-
biet Schwäbische Alb auf. Im Fokus steht dabei neben
den ökologischen Vorteilen auch der finanzielle Gewinn
für die Unternehmen. Ziel ist es, auf Unternehmens-
geländen Naturschutzmaßnahmen durchzuführen, die
zugleich eine Aufwertung der Flächen für den Menschen
darstellen. Denn bunte Blumenwiesen für Schmetter-
linge, begrünte Hauswände mit Nistmöglichkeiten für
Vögel oder Trockenmauern für Eidechsen erhöhen auch
für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Besucherinnen
und Besucher die Attraktivität des Firmengeländes und
damit auch des Arbeitsplatzes.
TABELLE 8.2 – 1 Kostenvergleich der Anlage und Pflege von
intensiv gepflegtem Rasen und naturnaher Magerwiese.
Annahmen: Humusierung, Feinplanie und Ansaatarbeiten,
Saatgut liefern und einbringen, Mäharbeiten und Entsorgung
des Schnittgutes. (Quelle: Amt der Oö. Landesregierung, 2013)
Vegetationstyp
Kosten in €/100 m2
Rasen Magerwiese
Anlage 1.200 1.280
Pflege 1. Jahr 240 80
Pflege ab 2. Jahr 1.900 320
Gesamtkosten 10 Jahre 3.340 1.680
208 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 209
Luft filtern und Lärm mindern
Begrünte Flächen an und auf Gebäuden tragen durch ihre
Filterwirkung direkt zur Luftreinigung bei und erhöhen den
Schallschutz. Dies ist mit vielfältigen positiven Auswirkun-
gen auf die Gesundheit verbunden, die auch direkt den Men-
schen an den Unternehmensstandorten zugute kommen.
Diese Ökosystemleistungen verbessern das unmittelbare
Ambiente am Arbeitsplatz und tragen zum Wohlbefinden
bei (siehe auch Kapitel 3.3 und 3.4).
Wasserverbrauch reduzieren
Durch eine geeignete Anlage von naturnahen Flächen kön-
nen schwach verunreinigtes Brauchwasser des Unterneh-
mens und abfließendes Regenwasser so aufbereitet werden,
dass eine kostenpflichtige Entsorgung über die Kanalisation
entfallen und das Wasser wiederverwendet oder versickern
kann. Anlagen zum Regenwassermanagement oder eine
Pflanzenkläranlage können ästhetisch ansprechend gestal-
tet werden und zum Erholungswert des Standorts beitragen.
Geringerer Wasserverbrauch und die Verminderung der Ab-
wassermenge lassen sich quantitativ bemessen und kön-
nen Kosten senken. Wenn für die Versiegelung von Flächen
Niederschlagswasserentgelte zu entrichten sind, sinken ent-
sprechend die Kosten durch die Entsiegelung von Arealen,
die dann Niederschlag versickern lassen (siehe Kapitel 3.5).
Wenn bei solchen Maßnahmen ästhetische und artenreiche
Lebensräume entstehen, werden die Flächen auch optisch
und ökologisch aufgewertet – mit entsprechenden oben
beschriebenen positiven Wirkungen auf das Wohlbefinden
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Lebensräume schaffen
Als der Konzern Kärcher seine Firmenzentrale plante, waren
die Anforderungen hoch: Der Innenhof sollte nach ökologi-
schen Kriterien gestaltet werden, regionale Besonderheiten
aufgreifen, repräsentativ sein und den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern gefallen. Herausgekommen ist eine Anlage des
Firmenareals, die ökologisch und ästhetisch hochwertige
»Verwerfungslinien« kopiert, wie sie in typischen geologi-
schen Formationen zu finden sind. Natursteine, die schonend
aus lokalen Steinbrüchen geholt wurden, um darauf wach-
sende Pflanzen nicht zu zerstören, Totholzstrukturen und ein
Gewässer in der Mitte ergänzen das Areal. Der Innenhof
wurde schnell von heimischen Tier- und Pflanzenarten be-
siedelt und belebt. Kärcher hat damit eine attraktive »grüne«
Visitenkarte geschaffen und einen Ort, an dem die Arbeits-
kräfte gerne verweilen (Alfred Kärcher GmbH, 2015, persön-
liche Mitteilung; vgl. auch Abbildung 8.2 – 2).
Die Einbindung des Personals bei der naturnahen Gestaltung
von Firmenarealen erhöht deren Identifikation mit dem
Gelände und dem Arbeitgeber. Dies fördert die Zufrieden-
heit mit dem Unternehmen und dem Arbeitsplatz (Schra-
der, 2013).
Das Unternehmen Kneissler Brüniertechnik aus dem Deggen-
hausertal in der Nähe des Bodensees (Baden-Württemberg)
ist schon lange für den betrieblichen Umweltschutz enga-
giert und seit 1997 EMAS-zertifiziert. In der Belegschaft be-
steht eine Affinität zur Natur, die auch die naturnahe Gestal-
tung des firmeneigenen Geländes begünstigt hat. Dabei
wurden bspw. Forsythien durch bienenfreundliche Pflanzen
ersetzt und eine Magerwiese angelegt. Zusätzlich nahmen
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an regelmäßigen, diese
Maßnahmen begleitenden Fortbildungen teil.
Klimaregulierung und Wetterschutz
Die Begrünung von Dach- und Fassadenflächen schafft nicht
nur neue Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten, sondern
wirkt sich auch positiv auf das Mikroklima in Gebäuden aus.
Durch die temporäre Speicherung von Niederschlägen und
die Abgabe der Feuchtigkeit durch eine langsame Verduns -
tung stabilisiert sich das Gebäudeklima (vgl. Kapitel 3.2.3).
Zudem wirken die Pflanzen als Wetterschutz, insbesondere
als Hitzeschutz im Sommer. Durch diesen Kühleffekt in der
heißen Jahreszeit sinken die Kosten für die Klimatisierung
von Gebäuden (Akbari, 2002). Dach- und Fassadenbegrünun-
gen können sich als sinnvolle Investition erweisen, wenn die
baulichen Bedingungen gegeben sind. Weil Dachbegrünun-
gen Dachabdichtungen vor direkten Witterungseinflüssen
und starken Temperaturschwankungen schützen, erhöhen sie
die Lebensdauer des Daches und tragen so zu verringerten
Instandhaltungskosten und einer Steigerung der Ressourcen-
effizienz bei. Begrünte Fassaden senken Instandhaltungs-
kosten, etwa durch das selten notwendige Streichen der
Außenwände. Dabei sind die Investitions- und Pflegekosten
der Dach- und Fassadenbegrünung in die Gesamtrechnung
einzubeziehen.
Die Beschattung von Freiflächen durch Bäume lädt im Som-
mer zum Verweilen in Pausen ein und schützt Fahrzeuge auf
Parkplätzen vor Sonneneinstrahlung. Zusätzlich steigert die
Begrünung von Fassaden und Dächern die Reputation des
Unternehmens, weil sie mit einer verantwortungsvollen Bau-
kultur in Verbindung gebracht wird.
ABBILDUNG 8.2 – 2 Naturnaher Garten im Innenhof des Unternehmenssitzes der Alfred Kärcher GmbH, Winnenden.
(Foto: Alfred Kärcher GmbH)
darstellen. Das gilt bspw. regelmäßig für Städte, die eine Bun-
desgartenschau ausrichten. Auch die Auszeichnung »Grüne
Hauptstadt Europas«, die Hamburg 2001 und Essen 2017
gewannen, erhöht die Anziehungskraft für Touristen. Auch
das grüne Viertel Vauban in Freiburg ist ein Besuchermag-
net (Heiseonline, 2010).
Grundsätzlich konkurrieren Großstädte als Reiseziele mit-
einander. Die Autorinnen und Autoren des im Jahr 2012 er-
schienen Global Report on City Tourism weisen daher auch
explizit darauf hin, dass Destinationen, die mit einem viel-
fältigen Angebot aufwarten können, Zielen mit einem eher
eingeschränkten Portfolio touristischer Attraktionen über-
legen sind. Städte, die über interessante und diverse Natur-
räume verfügen, haben so ein zusätzliches bzw. erweitertes
Angebot, das sie als Reiseziel aufwertet.
Ein Beispiel bietet der Emscher Landschaftspark, der der
Metropole Ruhr zu einer großflächigen grünen Infrastruk-
tur verhilft (siehe Kapitel 8.2.3) und immer beliebter wird.
»Die Freizeitak tivitäten, touristische Angebote und Tagesaus -
flüge sowie die Bekanntheit und die Nutzung der Freizeit-
angebote im Emscher Landschaftspark im Zeitraum von
2009 bis 2014 haben deutlich zugenommen. Die Bewer-
tung der Angebote durch die Besucher fällt mit der Durch-
schnittsschulnote von 1,9 exzellent aus« (Regionalverband
Ruhr, 2016).
Auch wenn Naturerlebnisse für klassische Städtereisen in der
Regel nicht zu den primären Gründen für die Auswahl einer
Stadt als Reiseziel zählen, sind für die Attraktivität einer Stadt
8.2.2 Stadtnatur und ihre Bedeutung
für den Tourismus
In globaler Hinsicht ist der Reise- und Tourismussektor von
großer wirtschaftlicher Bedeutung: Im Jahr 2013 hatte er
mit etwa 7 Billionen USD einen Anteil am globalen Brutto-
sozialprodukt von ca. 9,5 % (WTTC, 2014). Über die kommen-
den zehn Jahre rechnen die Experten des WTTC zusammen
mit den Analysten von Oxford Economics mit einer jährli-
chen Steigerungsrate von ca. 4 % in diesem Segment. Dabei
machen Städtereisen einen Anteil von über 40 % aus, der mit
5 bis 6 % jährlicher Steigerungsrate überproportional wächst
(Roland Berger, 2015).
Für Städte kann Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor
sein. So haben geschätzte 54,3 Mio. Touristen in New York
City im Jahr 2013 insgesamt 38,8 Mrd. USD vor Ort ausgege-
ben, dadurch Gehälter in der Größenordnung von 20,6 Mrd.
USD bezahlt, 348.200 Jobs geschaffen, New York Steuerein-
nahmen in Höhe von 9,7 Mrd. USD beschert und so für jeden
Haushalt in der Stadt Steuererleichterungen in Höhe von
1.640 USD generiert (New York City, 2013).
Städte werden nicht nur von Berufstätigen im Rahmen von
Dienstreisen besucht, sondern ziehen auch Freizeittouris-
ten an. Die Gründe für solche touristischen Städtereisen sind
vielfältig: Städte können mit ihrem großen kulturellen An-
gebot, ihrer beeindruckenden Architektur, den vielfältigen
Einkaufsmöglichkeiten und/oder ihrer historischen Bedeu-
tung punkten. Für die Besucher einer Stadt sind aber auch
attraktive städtische Naturräume von Bedeutung und kön-
nen für Tagesausflügler sogar den eigentlichen Reisegrund
210 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 211
in Zukunft für Touristen wichtiger werden (UNWTO, 2012).
Insofern ist es folgerichtig, dass Städte »grünen Themen« in
ihrer Außendarstellung immer mehr Platz einräumen, etwa
indem sie sich um den Green Capital Award (Auszeichnung
mit dem Titel Umwelthauptstadt Europas) bemühen und
diese Auszeichnung dann als Werbebotschaft nutzen.
Großstädte schöpfen aus ihren Naturräumen nachhaltig
Werte. So wird nahezu jeder Besucher New Yorks den Cen-
tral Park aufsuchen (der Park hat jährlich über 50 Mio. Gäste;
Greenward Group, 2016). In München wird fast jeder Gast
den Englischen Garten besuchen und zumindest im Som-
mer die Isarauen. In Berlin ist der Tiergarten Besucherma-
gnet. Im Frankfurter Raum lockt der Regionalpark Rhein-
Main mit seinem Grüngürtel Tagesausflügler wie andere
Besucher der Stadt an (Regionalpark, 2016; Stadt Frankfurt,
2016). Ohne solche grünen Oasen wären diese Großstädte
weniger attraktiv, was sich sowohl in der Anzahl der Gäste
insgesamt als auch in deren Verweildauer in der Stadt nie-
derschlagen würde.
Eine zunehmende Anzahl von Städten wirbt auf ihren Besu-
cherinformationsseiten gezielt mit »grünen Aspekten«. So hat
die Stadt Stockholm auf ihrer Informationsseite für Touristen
vier Unterseiten: »Kultur«, »Essen & Trinken«, »Shopping« und
eben »Natur« (VisitSweden, 2016). Auch die Stadt Helsinki
hat eine eigene Internetseite, welche die natürliche Schön-
heit in der unmittelbaren Umgebung der Stadt bewirbt und
zu Ausflügen anregt (Stadt Helsinki, 2016). Einen Schritt wei-
ter geht Minneapolis, das auf seiner Besucherseite ganz auf
grünes Stadtimage setzt. Die dargestellten Themen reichen
von Informationen zur Anlage von Gründächern und Regen-
gärten bis hin zu Restaurants, die Bioprodukte aus der Region
verarbeiten und entsprechende Gerichte anbieten (Stadt
Minneapolis, 2016). Auf ihrer Homepage wirbt die Stadt
Toronto damit, weltweit führend beim Schutz von städtischer
Biodiversität zu sein (Stadt Toronto, 2016)
Die kleinere Stadt Andernach ist inzwischen durch das viel-
fach ausgezeichnete Projekt »Andernach. Essbare Stadt« in-
ternational bekannt geworden (siehe auch Kapitel 7.1 und
Infobox 7 – 4).
Viele Grünflächen haben auch ohne Zutun von Marketing-
experten und Tourismusmanagern Berühmtheit erlangt und
sind auf Reiseplänen von Touristen zu finden. Hierzu gehö-
ren besondere Projekte wie das Tempelhofer Feld (vgl. Ab-
bildung 8.2 – 3) und die Prinzessinnengärten in Berlin (siehe
Kapitel 5, Infobox 5 – 2).
bei Touristen auch Aspekte im Zusammenhang mit Stadt-
natur von Bedeutung. Das beliebteste städtische Reiseziel in-
ternationaler Gäste in Deutschland ist Berlin mit 28,69 Mio.
touristischen Übernachtungen im Jahr 2013 (Statista, 2013).
Über ein Fünftel der Gäste (23 %) besucht dabei auch »Natur -
attraktionen« (Berlin Tourismus & Kongress GmbH, 2012).
Ein Blick über den Atlantik zeigt, dass auch Wildtiere in der Stadt
als Tourismusmagnete taugen: Im texanischen Austin zieht
die mit 1,5 Mio. Tieren weltweit größte urbane Fledermaus-
population zahlreiche Besucher an. Auf dem »Bat Festival«,
über Postkarten, T-Shirts und andere Marketingobjekte, sor-
gen die Tiere für finanzielle Gewinne – und halten nebenbei
die Zahl der Mücken in der Stadt gering (Süddeutsche Zei-
tung, 23.08.2012). Damit hat Austin ein erstaunliches und fas-
zinierendes Alleinstellungsmerkmal – in kleinerem Umfang
ist die Beobachtung von Fledermäusen jedoch in vielen Städ
-
ten möglich: Der Arbeitskreis Fledermäuse Sachsen-Anhalt
e. V. bspw. bietet bei der Langen Nacht der Wissenschaften
in Halle (Saale) regelmäßig Exkursionen an, bei denen Fleder-
mäuse aus der Nähe beobachtet werden können.
Dabei sind die Grenzen zu den Interessen anderer Nutzer
der Stadtnatur natürlich fließend. Stadtnatur zieht Touristen
und Unternehmen auf der Suche nach einem attraktiven Ge-
schäftsstandort gleichermaßen an (siehe auch Kapitel 8.2.1).
Sogenannte grüne Inseln wirken sich nicht nur positiv auf
die Gesundheit von Städtern und Arbeitskräften dort behei-
mateter Unternehmen aus, sondern sind auch willkommene
Abwechslung und Orte der Erholung im Laufe einer anstren-
genden Sightseeing-Tour. Touristenhotels werden genau wie
Wohnungen oder Büros durch ein grünes Umfeld aufgewer-
tet und sind so für Übernachtungsgäste attraktiver.
Leistungen der Stadtnatur für den Tourismus
Grundsätzlich gilt, dass Stadtnatur für Reisende all jene Öko-
systemleistungen anbietet, die auch von den Stadtbewoh-
nerinnen und -bewohnern genutzt und geschätzt werden.
Der Unterschied zwischen Gästen und Bewohnern einer
Stadt besteht zunächst nur in der Nutzungsdauer dieser Leis-
tungen.
Bis heute liegen aber keine wissenschaftlichen Analysen dazu
vor, welchen Anteil Natur, Biodiversität oder bestimmte Öko-
systemleistungen bei der Auswahl des Reiseziels bei einem
Stadtbesuch haben.
Die Welttourismusorganisation (World Tourism Organiza-
tion) geht davon aus, dass Natur(-schutz)-Aspekte in Städten
Bauausstellung Emscher Park (IBA 1989 – 1999). Das Potenzial
für die Neuinterpretation der Industrie- und Stadtlandschaft
wuchs aus der zunehmenden Zahl brachfallender Flächen
und Güterbahntrassen sowie dem notwendig werdenden
ökologischen Umbau des Emschersystems. Die Flächen des
Emscher Landschaftsparks waren schon da – ihr Potenzial
wurde aber zuvor nicht im regionalen und ökologischen Kon-
text erkannt, denn viele industrielle Brachflächen weisen oft
eine hohe biologische Vielfalt auf (siehe Kapitel 6.3.1).
Mit dem Emscher Landschaftspark als verbindendem Leit-
projekt »Nummer eins« der Internationalen Bauausstellung
begann ein in Europa einmaliger Qualifizierungsprozess,
der bis heute anhält. Hunderte realisierte Einzelprojekte
(vgl. Abbildungen 8.2 – 4 und 8.2 – 5) und ein ganzes System
der Rad- und Wanderwege bilden heute eine leistungsfä-
hige grüne Infrastruktur (siehe Infobox 8.2 – 2). Leitidee des
Emscher Landschaftsparks ist es, die verschiedensten städ-
tischen Freiräume und Landschaften aktiv miteinander zu
verbinden und jede von ihnen individuell zu entwickeln und
aufzuwerten.
8.2.3 Grüne Infrastruktur qualifiziert
Metropolregionen: Beispiel Emscher
Landschaftspark
Das Beispiel des Emscher Landschaftsparks veranschaulicht,
wie die Entwicklung eines neuen regionalen Grünflächensys-
tems durch Aktivieren und Vernetzen vieler postindustriel-
ler Brachflächen die Attraktivität der gesamten Metropole
Ruhr gesteigert hat. Mit dem Emscher Landschaftspark nutzt
das Ruhrgebiet den wirtschaftlichen Strukturwandel für den
Aufbau einer regionalen grünen Infrastruktur. Ökosystem-
leistungen werden dabei auf allen Ebenen genutzt. Völlig
neue Bilder und Angebote der urbanen Naturbegegnung
wurden entwickelt und gehören heute zu den Allein-
stellungsmerkmalen einer sich nachhaltig wandelnden
Metropole.
Mit dem Emscher Landschaftspark wird auf einer Fläche von
457 km2 zwischen 20 Städten ein regionales Parksystem im
Kern des Ruhrgebiets aufgebaut. Rund 2,5 Mio. Einwohner
wohnen in dessen Einzugsbereich. Die Umsetzung dieses
Landschaftsparks startete im Rahmen der Internationalen
ABBILDUNG 8.2 – 3 Tempelhofer Feld in Berlin: Identifikationsort der Berliner und Berlinerinnen, Tourismusmagnet, Biodiversitäts-
hotspot und Raum für neue soziale Aktivitäten. (Fotos: Ingo Kowarik)
212 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 213
Feuchtgebiete und Halden. Auf aufgelassenen Industrie-
standorten wurde die »Wildnis in der Stadt« entdeckt, mit
der »Route der Industrienatur« vernetzt und mit der Projekt-
familie »Industriewald Ruhr« neuartig bewirtschaftet.
Der Umbau des Emscher Landschaftsparks ist auf 30 Jahre an -
gelegt und wird durch den ökologischen Umbau der Emscher
und ihrer Nebenflüsse ergänzt. Am Beispiel des Emscher-
umbaus wird deutlich, dass die damit verbundenen Milliarden -
investitionen zu positiven regionalökonomischen Effekten
führen (siehe Kapitel 3.5.5).
Fazit: Mit dem Emscher Landschaftspark wird ein umwelt-
politisches Ziel umgesetzt, das bereits 1991 seinem ersten
Förderprogramm, dem »Ökologieprogramm im Emscher-
Lippe-Raum« (ÖPEL) als Untertitel diente: »Natur für die
Menschen«.
Der Emscher Landschaftspark wurde von Beginn an als ko-
operatives Gesamtsystem ausgelegt, dessen ökologische,
soziale und kulturelle Bedeutung mit jeder Investition, mit
jedem fertiggestellten Biotopverbund, Parkelement und
Wegeabschnitt wächst. Zugleich wachsen auch die Be-
triebsaufgaben zur Pflege und Erhaltung dieser neuen grü-
nen Infrastruktur. Die Dezentralität hat sich bewährt und
zeigt sich in der Vielzahl kommunaler Einzelprojekte im
Emscher Landschaftspark. Viele ehemaliger Kohle- und Stahl-
standorte sind seit 1990 zu neuartigen Parkanlagen gewan-
delt, ehemalige Berghalden sind zu Landmarken geworden
und ein funktionsfähiges Netz umgebauter Industriebahn-
trassen vervollständigt die regionale Parkinfrastruktur.
Viele Flächen des Emscher Landschaftsparks dienen der
Biotopverbindung sowie dem Landschafts- und Natur-
schutz. Hierzu zählen z. B. alle Bachtäler, Bergsenkungsseen,
ABBILDUNG 8.2 – 4 Ausbau des Kanal- und Wegesystems im Emscher Landschaftspark: Westpark Bochum.
(Foto: Michael Schwarze-Rodrian)
ABBILDUNG 8.2 – 5 Wanderwege und Begrünung schaffen eine Parkanlage im früheren Industriegebiet: RheinPark, Duisburg.
(Foto: Michael Schwarze-Rodrian)
INFOBOX 8.2 – 2
Rad- und Wanderwege auf alten Gleisen: Umweltfreundliche Mobilität im Ruhrgebiet
Die systematische Umnutzung bestehender industrieller Infra -
strukturen zu einer neuen grünen Infrastruktur zählt zu den
Besonderheiten des Emscher Landschaftsparks. Dabei veran-
schaulicht die Etablierung eines überregionalen Systems von
Rad- und Wanderwegen auf alten Bahntrassen, wie mit grüner
Infrastruktur erfolgreich umweltfreundliche Mobilität und Er-
holung in urbanen Gebieten gefördert werden kann.
Fast alle Bergwerke und Stahlwerke hatten seit Mitte des
19. Jahrhunderts eine eigene Eisenbahn(gesellschaf t) mit ei-
genen Bahntrassen, die den Betrieb mit den Häfen und Kanä-
len und mit dem neuen nationalen Schienensystem verband.
Die Trassen dienten ausschließlich dem Güterverkehr, führten
nicht durch Bahnhöfe und wurden allein als technische Infra-
struktur betrieben. Das Gesamtnetz dieser Industriebahntras-
sen beläuft sich im Ruhrgebiet auf mehrere hunder t Kilometer.
Mit dem industriellen Strukturwandel verloren die Bahngleise
kontinuierlich ihre Bedeutung. Die meisten von ihnen fielen
brach, wuchsen zu und gerieten in Vergessenheit.
Die Machbarkeitsstudie für den Emscher Landschaftspark
legte 1989 den strategischen Grundstein für ein umfassen-
des Rad- und Wanderwegesystem auf diesen alten Trassen.
Das operative Motto lautete: »from rail to trail« (vgl. Abbil-
dung 8.2 – 6). Kontinuierlich wurden und werden alle brach-
gefallenen oder noch freiwerdenden Bahntrassen zu Rad- und
Wanderwegen umgebaut. 700 km misst das aktuelle Rad-
weges ystem des Ruhrgebie ts. Umgewandel te Bahntrassen, in-
standgesetzte Brücken, eine ganze Serie neuer Fußgängerbrü-
cken, flussbegleitende Wege, Kanaluferwege, ein regionales
Radwanderwegesystem auf Wald- und Landwirtschaftswe-
gen im Verbund mit innerstädtischen Radwegen bieten eine
neue Grundlage für eine nachhaltige Mobilität der Menschen.
Die alten Trassen fördern auch den urbanen Biotopverbund:
Ihre z. T. mehr als 10 m hohen Dämme sind oft beidseitig mit
Gehölzen bestanden, die teilweise gepflanzt worden waren
oder spontan aufgewachsen sind. Der Rad- und Wanderweg e -
ausbau erfolgt daher behutsam und in enger Abstimmung
mit den unteren Naturschutzbehörden. Die Hochlage er-
laubt den Wanderern und Radfahrern einen einmaligen Blick
über die angrenzende Stadtlandschaft und bietet durch den
kontinuierlichen Wechsel der Vegetation sowohl offene und
sonnige als auch kühle und schattige Passagen. In der Regel
bildet der alte Bahnschotter den Unterbau für den neuen Rad-
weg und erlaubt damit die Reduzierung des Eingriffs in die
umgebende Vegetation. Vorhandene Eisenbahnbrücken wer-
den erhalten und saniert, fehlende Brückenbauwerke durch
neue Fußgängerbrücken ersetzt.
Die Menschen im Ruhrgebiet nutzen das Radwegesystem des
Emscher Landschaftsparks intensiv – zu allen Jahreszeiten und
zu allen Tageszeiten. Leihfahrradsysteme, Radstationen und
ein umfangreiches Informationsangebot unterstützen die Be-
gegnung mit der Stadtnatur. Diese Erlebnisse sind nachhal-
tig: Regelmäßige Nutzerbefragungen zeigen eine wachsende
Nachfrage und eine zunehmende Wertschätzung der sich ent-
wickelnden Stadtlandschaft.
ABBILDUNG 8.2 – 6 Von der Güterbahn zum Radweg,
Zollverein Park Essen. (Foto: Michael Schwarze-Rodrian)
214 STADTNATUR ALS STANDoRTFAKToR
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WEGE ZUR UMSETZUNG –
INTEGRATION VON
ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
IN ENTSCHEIDUNGEN
DER STADTENTWICKLUNG
9
Wie aber kann man diese Leistungen auf Dauer sichern oder
sogar verbessern und ausbauen? Wie kann gewährleistet
werden, dass Stadtnatur nicht schleichend verschwindet und
dennoch eine städtebauliche Entwicklung möglich bleibt?
Wie sind Ökosystemleistungen und die hierfür erforderli
-
chen Flächen in wachsenden Städten sicherzustellen und
wie lassen sich Brachflächen in urbanen Räumen mit rück-
läufiger Bevölkerung nutzen, um Ökosystemleistungen zu
fördern? Auch hierzu finden sich in den bisherigen Kapi-
teln bereits erste Hinweise – etwa im Kontext der Bewälti-
gung von Auswirkungen des Klimawandels (vgl. Kapitel 3.1),
der Gewässerrenaturierung und damit der Reduktion von
Wie die vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, erfüllt
Stadtnatur mit einer Vielzahl naturnaher und durch Menschen
geprägter Lebensräume wichtige Ökosystemleistungen, die
den Stadtbewohnerinnen und -bewohnern auf vielfache
Weise zugutekommen: Stadtnatur hat kühlende Wirkung
und reduziert dadurch Hitzestress, trägt durch die Speiche-
rung von Treibhausgasen zum Klimaschutz bei, verbessert
die Luftqualität, hält Wasser nach starken Regenfällen zu-
rück und vermindert dadurch Hochwasser, ermöglicht Natur-
erlebnis sowie -erfahrung und fördert sozialen Zusammen-
halt, soziale Integration und dadurch nicht zuletzt auch die
menschliche Gesundheit.
KERNAUSSAGEN
Das Konzept der Ökosystemleistungen bietet eine Vielzahl inhaltlicher Anknüpfungspunkte zu etablierten Ansätzen der
Stadtentwicklung und den Instrumenten der Stadtplanung, des Stadtnaturschutzes sowie der Landschafts- und Freiraum-
planung. Solche Anknüpfungspunkte sollten genutzt werden, um die Chancen dieses Konzepts für eine verstärkte Berück-
sichtigung des Werts städtischen Grüns in raumrelevanten Entscheidungen zu nutzen, entsprechende Maßnahmen zu
initiieren und damit zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beizutragen.
Um dies zu erreichen, sind unterschiedliche Aktivitäten erforderlich: Information, Kommunikation und Beteiligung von Bür-
gerinnen und Bürgern, Thematisierung von Ökosystemleistungen in bestehenden formellen und informellen Planungsinst-
rumenten sowie Nutzung geeigneter ökonomischer Anreize zur Berücksichtigung von Ökosystemleistungen in Deutschland.
Der Ökosystemleistungsansatz kann ein Mittel darstellen, um die Bedeutung von Stadtnatur sowie ihrer Erhaltung und Ent-
wicklung für die Menschen in der Stadt deutlicher zu kommunizieren, als dies bisher in der Planungspraxis der Fall ist. Der
Wert von Ökosystemleistungen kann dabei mit verschiedenen Methoden dargestellt werden, zu denen qualitativ oder quan-
titativ beschreibende ebenso wie monetäre Berechnungen gehören.
Der Ökosystemleistungsansatz kann vorhandene planerische Ansätze ergänzen und unterstützen, aber nicht ersetzen. Wie
Informationen über Ökosystemleistungen systematisch für bestehende Instrumente der Planung genutzt werden können
und welche methodischen und instrumentellen Fragen dabei zu lösen sind, ist bisher noch weitgehend offen; hier besteht
erheblicher Forschungsbedarf.
In Erweiterung des bestehenden Instrumentariums können mit neuartigen Steuerungsinstrumenten ökonomische Anreize
gesetzt werden, die zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Ökosystemleistungen in Deutschland beitragen können,
u. a. durch die Verringerung der Flächeninanspruchnahme durch Siedlungs- und Verkehrsflächen.
KOORDINIERENDER AUTOR
STEFAN HEILAND
WEITERE AUTORINNEN UND AUTOREN
MIRIAM BRENCK, ERIK GAWEL, TOBIAS HERBST, CORINNA HÖLZER, IRENE RING,
STEFANIE RÖSSLER, CHRISTOPH SCHRÖTER-SCHLAACK, MARTIN SONDERMANN,
WOLFGANG WENDE, PETER WERNER
MIT BEITRÄGEN VON
ROBERT BARTZ, FRAUKE FISCHER, INGO KOWARIK, JOHANNA SIEGER,
TORSTEN WILKE, SILKE WISSEL
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
JAN BARKMANN, MARTINA EICK, MARCO FRITZ, SONJA GÄRTNER,
RIEKE HANSEN, STEFAN PAULEIT, MICHAELA PRITZER, GUDRUN SCHÜTZE,
GABRIELE SONDEREGGER SOWIE WEITERE ANONYME GUTACHTERINNEN
UND GUTACHTER
9.1 Leitbilder erstellen, Orientierung bieten 218
9.2 Kommunizieren und Informieren 221
9.2.1 Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern: Information,
Identifikation, Initiative 223
9.2.2 Kommunikation im Rahmen der Prozesse von Stadtentwicklung
und Planung 224
9.3 Beteiligen, Mobilisieren und Mitgestalten 228
9.3.1 Einführung 228
9.3.2 Bürgerbeteiligung optimal regeln 228
9.3.3 Bürger mobilisieren 230
9.3.4 Bürgerbeteiligung und Wissensgewinn durch Citizen Science 232
9.4 Steuern und Entscheiden durch Planung 235
9.4.1 Formelle planerische Instrumente 236
9.4.2 Informelle planerische Konzepte und Instrumente 245
9.5 Ökonomische Fehlanreize vermeiden, positive Anreize setzen 251
9.5.1 Fehlanreize vermeiden: Den Flächenverbrauch eindämmen 251
9.5.2 Positive ökonomische Anreize und Finanzierungsmöglichkeiten für Stadtnatur 252
Literatur 261
218 wEGE ZUR UMSE TZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICK LUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 219
aus, um zu verbindlichen Entscheidungen auf gesamtstädti-
scher Ebene zu gelangen. Hierfür ist Planung als Instrument
der Entscheidungsfindung und Steuerung räumlicher Pro
-
zesse (Kapitel 9.4) unabdingbar. Allerdings spielen auch in-
nerhalb der Planungsprozesse Kommunikation und Bürger-
beteiligung eine wichtige Rolle, um Akzeptanz zu erzielen.
Wenn es um die Umsetzung – oder das Unterlassen – kon-
kreter Maßnahmen geht, erweisen sich neben rechtlichen
Rahmenbedingungen finanzielle Argumente häufig als ent-
scheidend. Daher bedürfen Erhaltung und Entwicklung von
Ökosystemleistungen ökonomischer Instrumente und finan-
zieller Unterstützung (Kapitel 9.5).
Das Konzept der Ökosystemleistungen ist relativ jung und
wird in Deutschland erst seit einigen Jahren zunehmend dis-
kutiert, v. a. in wissenschaftlichen Kreisen. Obwohl inhalt-
lich vielfache Überschneidungen und Anknüpfungspunkte
zu bestehenden Planungsansätzen gegeben sind, spielt das
Konzept, zumindest begrifflich, in den Prozessen des Stadt-
naturschutzes, der Landschafts- und Freiraumplanung und
der Stadtplanung bisher keine Rolle. Deshalb ist es nur aus-
nahmsweise möglich, auf »Best-practice«-Beispiele und Er-
fahrungen zu verweisen, die sich explizit auf das Konzept
der Ökosystemleistungen beziehen. Dennoch können auch
Praxis beispiele, in deren Rahmen ähnliche Begriffe und Kon-
zepte verwendet werden, veranschaulichen, wie die Bedeu-
tung urbaner Ökosystemleistungen kommuniziert und in
Planungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse inte-
griert sowie mithilfe ökonomischer Anreize umgesetzt wer-
den können. Ob und wie sich dies auf konkrete andere Fälle
in der Praxis anwenden und für diese nutzbar machen lässt,
ist vor dem Hintergrund der jeweils ortsspezifischen Situa-
tion und Möglichkeiten zu klären. Im Folgenden werden hier-
für Anregungen gegeben und Potenziale skizziert.
9.1 LEITBILDER ERSTELLEN, ORIENTIERUNG
BIETEN
Leitbilder transportieren Vorstellungen zur Stadt der Zukunft.
Die Vision einer »grünen« Stadt steht dabei häufig auch
für das Bild einer Stadt, in der Stadtgrün eine wichtige Rolle
spielt. Die stärkere Berücksichtigung der vielfältigen Öko-
system leistungen, die von Stadtgrün in Stadtentwicklungs-
prozessen ausgehen, bedarf übergeordneter ausgehandelter
Leitlinien.
Seit den ersten Bildern von »Idealstädten« in der Antike, über
die »Gartenstadt« bis hin zur »Nachhaltigen Europäischen
Stadt« dienen Leitbilder dazu, auf Veränderungen in den so-
zialen, natürlichen und gebauten Umwelten zu reagieren
Hochwassergefahren (vgl. Kapitel 3.5) oder zu Möglichkei-
ten der Nutzung von Brachflächen (vgl. Kapitel 5.7 und 6.3).
Im vorliegenden Kapitel versuchen wir, in systematischer
Weise weitere Antworten auf diese Fragen zu geben und auf-
zuzeigen, wie der Ökosystemleistungsansatz in die kommu-
nale Praxis einfließen könnte – oder heute bereits einfließt.
Dabei können im Rahmen dieses Berichts nicht alle relevan-
ten Punkte angesprochen werden: So wäre weiter zu fra-
gen, (1) welche institutionellen oder administrativen Struk-
turen auf unterschiedlichen administrativen und politischen
Ebenen verändert oder geschaffen werden müssen, um
eine dauerhafte Implementierung des Ökosystemleistungs -
ansatzes in der städtischen Praxis zu gewährleisen, (2) ob
und falls ja wie dies durch Standardsetzung oder rechtliche
Verankerung gestützt werden könnte und (3) wie die erfor-
derlichen Ressourcen hierfür gesichert werden können. Auf
Fragen wie diese kann an dieser Stelle lediglich hingewiesen
werden. Auch lässt es der Rahmen des Kapitels nicht zu, alle
formellen oder gar informellen Planungsinstrumente umfas-
send und systematisch zu untersuchen.
Wir gehen davon aus, dass eine breite gesellschaftliche Be-
wusstwerdung der Bedeutung von Stadtnatur sowie der In-
wertsetzung von Ökosystemleistungen, und insbesondere
die daraus resultierenden Entscheidungen und Umsetzungs-
maßnahmen, einer ebenso breiten gesellschaftlichen Dis-
kussion und Beteiligung bedürfen, wenngleich erfahrungs-
gemäß nur ein Teil der Bevölkerung für solche Themen offen
ist. Dennoch müssen möglichst viele Menschen »mitgenom-
men«, d. h. möglichst frühzeitig informiert und/oder betei-
ligt werden. Doch dies allein reicht nicht – planerische Aus -
sagen und ökonomische Anreize sind für politische Entschei -
dungen und die Umsetzung konkreter Maßnahmen ebenso
erforderlich.
Entsprechend dieser Überlegungen unterscheiden wir zwi-
schen mehreren Schritten oder »Bausteinen«, die in den
Kapiteln 9.1 – 9.5 dargestellt und diskutiert werden. Zunächst
befasst sich Kapitel 9.1 mit der Rolle von Leitbildern und
darin enthaltenen Zielen, die nötig sind, um überhaupt sinn-
voll aktiv werden zu können. Über solche Leitbilder und die
Bedeutung von Ökosystemleistungen muss die Bevölkerung
zumindest informiert werden. Im besseren Falle sollte sie je-
doch frühzeitig in Entscheidungsfindungen einbezogen wer-
den. Kommunizieren und Informieren (Kapitel 9.2) sind da-
her unverzichtbarer Bestandteil von Verfahren, durch die sich
Bürgerinnen und Bürger an der Entwicklung ihrer Stadt betei-
ligen können (Kapitel 9.3). Dies allein reicht allerdings nicht
INFOBOX 9 – 1
Landschaftsplan Dresden Entwurf Stand Juni 2014: Strategisches Leitbild »Kompakte Stadt im ökologischen Netz«
»Die kompakte Stadt im ökologischen Netz« – an diesem Leit-
bild orientiert sich der Entwurf des Landschaftsplans der Lan-
deshauptstadt Dresden. Kompakte Siedlungsbereiche sind in
ein Netz miteinander verbundener Grünflächen eingebettet,
das vielfältige Ökosystemleistungen erfüllt (vgl. Abbildung 9 – 1).
Mit diesem Leitbild wird zum einen auf diese Herausforderun-
gen reagiert: Ressourcenverknappung, Flächensparen, demo-
grafischer Wandel und Klimaschutz. Zum anderen wird eine
hohe Umwelt- und Lebensqualität durch die Sicherung der na-
türlichen Ressourcen im Sinne der Erhaltung, Ausweitung und
Vernetzung von Grünflächen angestrebt.
Die Zellenstruktur, bestehend aus dicht besiedelten Flächen,
greift die historisch gewachsene Stadtstruktur mit den ein-
zelnen Stadtteilzentren und die jüngere städtebauliche Ent
-
wicklung auf. Die Zellen des kompakten Stadtraums kommen
für eine maßvolle weitere Verdichtung baulicher Strukturen
in ausgewählten Teilbereichen, insbesondere der Innenstadt,
infrage.
Die Netzstruktur, bestehend aus Grün- und Freiflächen, soll ein
breites Spektrum stadtökologisch bedeutsamer Umweltfunk-
tionen und Ökosystemleistungen (z. B. Frischluftver sorgung,
Hochwasserschutz) und den Biotopverbund bündeln und si-
chern sowie die Gliederung der Stadt fördern. Gleichzeitig
werden die prägenden Stadt- und Landschaftsbilder und viel-
fältige Erholungsmöglichkeiten für die Menschen gesichert
sowie das Lebensraumangebot für Pflanzen und Tiere verbes-
sert. Das bestehende Tal- und Gewässersystem bestimmt die
Struktur dieses Netzes in besonderer Weise (Landeshaupt-
stadt Dresden, 2012).
ABBILDUNG 9 – 1 Strategisches Leitbild des Landschaftsplanentwurfs der Stadt Dresden »Kompakte Stadt im ökologischen
Net z«. (Quelle: Landschaftsplan Entwurf Stand Juni 2014; Landeshauptstadt Dresden 2014, nach Landschaftsarchitekt PAUL)
9.1
LEGENDE
Netzstruktur
Wert- und Funktionsräume
Große kompl exe Wert- und Funktionsräume
Funktionskorridore und Grünverbund
Komplexe Transfer- und Funk tionskorridore
Spezielle Funktionskorridore
Ergänzungskorrid ore als situationsbezogener
Grünverbund
Netzknoten
Große Ne tzknoten
Zellenstruktur
Zellen des kompakten Stad traumes
Altstadtkern
Innenstadt
Stadtzell en mit hoher Bevölkerungskonzen tration
Weitere Zell en des kompakten Stadtraums
Flexible Stadtzellen
Zellen in Über gangsbereichen und
peripheren Räumen
Ländlich geprägte Zellen, dörfliche O rtskerne
Ländlich ge prägte Zellen
Dörfliche Ortskerne ( generalisiert)
Hintergrunddarstellung
Elbe, Stillgewäss er, Fließgewässer 1. Ordnung
Autobahn
Stadtgrenze
220 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEM LEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 221
Ökosystemleistungskonzept die Multifunktionalität des
Grüns (und Blaus) in der Stadt aufgeschlüsselt werden: Ein-
zelne Leistungen und ihre Nutzen für die in der Stadt leben-
den Menschen werden sichtbar. Durch einen Fokus auf
Ökosystemleistungen werden insbesondere Wirkzusammen-
hänge zwischen Stadtnatur und dem Wohlbefinden der in
der Stadt lebenden Menschen aufgezeigt, die oftmals nicht
ausreichend bedacht werden. Mittels der eingenommenen
ökonomischen Perspektive (siehe Infobox 1 – 1) kann (1) auf
die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von
Stadtnatur hingewiesen und können (2) Synergien und Kon-
flikte systematisch erörtert werden.
(1) Gespräche und Aushandlungen über Naturschutz – sei es
in Beratungs- und Entscheidungsgremien innerhalb der
Stadtverwaltung, in Bürgerdialogen etc. – können beför-
dert werden, indem die »Black Box Natur« geöffnet wird
und folgende Fragen beantwortet werden: Welche Leis-
tungen der Natur nehmen wir in Anspruch? Welche Be-
deutung haben sie für die Lebensqualität der Bürgerin-
nen und Bürger? Welchen Wer t bringen sie mit sich für die
(wirtschaftliche) Entwicklung der Stadt? Wie können wir
die Bereitstellung dieser Leistungen im Sinne einer nach-
haltigen Stadtentwicklung erhalten und fördern?
(2) Über die Erfassung und Bewertung städtischer Ökosys-
temleistungen können auch Synergien und Trade-offs
zwischen verschiedenen Nutzungs- und Gestaltungs-
alternativen aufgedeckt werden. Hier liegt eine besonders
wertvolle Chance, eine kooperative Planung und Stadt
-
entwicklung voranzubringen. Insbesondere das Erkennen
von Synergien fördert die Kooperation zwischen verschie-
denen Akteuren und Interessengruppen (BMVBS, 2013,
S. 99; Brake, 2010; TEEB, 2010). Im Falle unterschiedlicher
Ziele und Nutzungsinteressen ermöglicht das Ökosys-
temleistungskonzept konstruktive Auseinandersetzungen
über verschiedene Nutzungs- und Gestaltungsmöglich-
keiten. Diese Informationen können Eingang in öffentli-
che Diskussionen und Planungsprozesse finden sowie in
private und unternehmerische Konsum- und Investitions-
entscheidungen einfließen. So lassen sich z. B. im Rahmen
der spezifischen Ausgestaltung einer Bauplanung wich-
tige Ökosystemleistungen mitberücksichtigen – wie etwa
durch die Erhaltung alten Baumbestandes, durch die In-
tegration von Gründächern, durch unversiegelte Flächen-
anteile, Bepflanzungen etc.
außerhalb formalisierter Verfahren entwickelt werden und
daher mehr Spielraum für die Entwicklung kreativer Ideen
bieten.
Als Handlungsgrundlage: Leitbilder können in der Planungs-
praxis als eine gemeinsame Referenz der planenden Verwal-
tungen für konkrete Entscheidungen im Rahmen der Bau-
leit- und Landschaftsplanung sowie weiterer kommunaler
Entscheidungen dienen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Leitbilder ein
zentraler Baustein zur Integration der sozio-ökonomischen
Bedeutung von Ökosystemleistungen in die Stadtplanung
und -entwicklung sein können, wenn sie
als Teil eines gemeinsamen, fortlaufenden Anpassungs-
und Lernprozesses verstanden werden,
Ökosystemleistungen auf verschiedenen Maßstabsebenen
berücksichtigen,
gezielt die Verknüpfung zu anderen Themenfeldern her-
stellen und
in Planungs- und Entscheidungsprozessen als eine zentrale
Arbeitsgrundlage verwendet werden.
9.2 KOMMUNIZIEREN UND INFORMIEREN
Die wichtige Rolle von Kommunikation für die Förderung
von Stadtnatur wurde einleitend zu diesem Kapitel thema-
tisiert. Eine gezielte Weitergabe von Informationen sowie
Austausch und Diskussion zwischen den verschiedenen städ-
tischen Akteuren und Interessengruppen sind unerlässlich
im Prozess der Entwicklung und Ausgestaltung von Instru-
menten für eine Stadtentwicklung, die die Natur stärker ein-
bezieht. Wie das Konzept der Ökosystemleistungen und der
TEEB-Ansatz als »Werkzeug« helfen können, wird in diesem
Abschnitt betrachtet.
Das Ökosystemleistungskonzept
als Kommunikationswerkzeug
Der TEEB-Ansatz hat das Ziel, die Leistungen der Natur
sichtbar zu machen, ihre Werte offenzulegen und damit eine
erweiterte Informationsgrundlage für Entscheidungen
zu schaffen (siehe dazu Kapitel 1.1, Kapitel 2 sowie Natur-
kapital Deutschland – TEEB DE, 2012). Dieser Ansatz ist in ers-
ter Linie ein Ansatz der Kommunikation. Um den Wert der
Natur zu verstehen und Naturschutz mit greifbaren Argu-
menten zu bestärken, kann mit dem zugrunde liegenden
Europäischen Stadt« (vgl. Leipzig Charta, 2007; Toledo
Declaration, 2010) spielt die ökologische Stadterneuerung
eine große Rolle. Sie setzt u. a. auf: nachhaltigen Verkehr,
kurze Distanzen, optimierte Stoffkreisläufe, Flächen -
recycling, Schutz natürlicher Ressourcen, Verbindung von
Grünräumen und Begrünung von Städten. In aktuell disku-
tierten Konzepten wie dem der »Eco-Cities«, von einzelnen
Städten bereits verwendeten Leitbildern wie dem der
» Grünen Stadt« oder der »Kompakten Stadt im ökologischen
Netz« (vgl. Infobox 9 – 1) und Labels wie »European Green
Capital« kommt dem Stadtgrün und seinen Ökosystem-
leistungen eine zentrale Rolle zu.
Zur Bedeutung von Leitbildern für die Berücksichtigung
von Ökosystemleistungen
Um Leitbilder zu entwickeln und umzusetzen, bedarf es
(1) einer Erfassung, Analyse und Bewertung der Ausgangs-
situation sowie
(2) einer Diskussion über die Ziele der Stadtentwicklung, an
der neben allen relevanten Verwaltungsressorts und der
Kommunalpolitik auch zivilgesellschaftliche Akteure be-
teiligt sind. Nur so ist ein gemeinsamer Lernprozess mög-
lich, der die Bedeutung von Ökosystemleistungen für die
Stadtentwicklung deutlich werden lässt. Dies erhöht zu-
gleich die Chancen, dass das Leitbild von Bürgerinnen,
Politik und Verwaltung akzeptiert wird und als Orientie-
rungspunkt für Entscheidungen legitimiert ist. Für die spä-
tere Umsetzung der formulierten Ziele und Maßnahmen,
v. a. über formelle Planungsinstrumente (wie Flächennut-
zungs- und Bebauungspläne), ist das von zentraler Bedeu-
tung (Levin-Keitel und Sondermann, 2014).
Leitbilder können auf unterschiedliche Art und Weise dazu
beitragen, das Konzept der Ökosystemleistungen in die
Stadtentwicklung zu integrieren (Levin-Keitel und Sonder-
mann, 2014):
Als dynamischer Lernprozess: Durch die ressortübergrei-
fende Erstellung von Leitbildern unter Beteiligung mög-
lichst vieler relevanter Akteure kann Wissen über die Belange,
Nutzen und Handlungsmöglichkeiten der Stadtentwicklung
und die Bedeutung von Ökosystemleistungen gebündelt
und es können gemeinsame Lernprozesse vollzogen werden.
Als Integrationsinstrument: Die Entwicklung von Leit bildern
ist ein wichtiger Schritt für die planerische Inte gration
von Ökosystemleistungen in die Stadtentwicklung, da sie
und Städte an neue Rahmenbedingungen und Vorstellun-
gen anzupassen (Kuder, 2008). In diesem Sinne können sie
als ein Steuerungsinstrument zur nachhaltigen Entwicklung
lebenswerter Städte verstanden werden (Levin-Keitel und
Sondermann, 2014). Leitbilder können sowohl inhaltliche
(z. B. »Nachhaltigkeit«) als auch räumliche Idealvorstellun-
gen (z. B. »Kompakte Stadt«) beinhalten und sich auf ganz
unterschiedliche Maßstabsebenen beziehen (Knieling, 2006).
Sie enthalten »strategische Entwicklungsziele sowie räum-
liche Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien und damit Kri-
terien für die angestrebte Entwicklung« (Levin-Keitel und
Sondermann, 2014).
Die Verständigung über ein Leitbild für die Entwicklung ei-
ner Stadt kann dabei helfen, gemeinsame und von allen re-
levanten Akteuren getragene Visionen und Orientierungen
zu entwickeln, Interessen zu koordinieren, zu Umsetzungs-
aktivitäten zu motivieren und das kollektive Lernen zu för-
dern (Becker, 2010; Levin-Keitel und Sondermann, 2014). Vor
diesem Hintergrund können und sollten auch Ziele zur Erhal-
tung und Förderung von Ökosystemleistungen Gegenstand
solcher Leitbilder sein. Die Stärke des Ökosystemleistungs-
ansatzes besteht dabei v. a. in seinem integrierenden Cha-
rakter: Die Betrachtung von Ökosystemleistungen verbindet
ökologische Belange mit dem sozialen und wirtschaftlichen
Nutzen für die Gesellschaft. Sie trägt somit zum Verständ-
nis der komplexen Wechselbeziehungen dieser unterschied-
lichen Sphären und zur Abwägung von Belangen in Leitbild-
prozessen bei.
Stadtgrün: Wichtiges Element in Leitbildern
der Stadtentwicklung
Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Öko-
systemleistungen städtischer Grünflächen für die Bevölke-
rung in Leitbildern der Stadtentwicklung gewürdigt, ohne
sie explizit als solche zu benennen. Dies gilt bspw. für die
»Gartenstadt« oder die »gegliederte und aufgelockerte
Stadt«. Beide Leitbilder setzen – neben Vorstellungen zum
Umgang mit Grundeigentum und der sozialen Struktur der
Städte – auf die funktionsräumliche Gliederung und durch
grüne Freiräume aufgelockerte Stadtstrukturen, die die Sied-
lungen mit der umgebenden Landschaft verbinden (Fürst et
al., 1999). Das Leitbild der »gegliederten und aufgelockerten
Stadt« wurde beim Wiederaufbau von Innenstädten (z. B.
Hannover und Dresden) und v. a. in zahlreichen frühen Groß-
wohnsiedlungen realisiert, bevor es durch das Leitbild der
»Urbanität durch Dichte« abgelöst wurde. Diese Leitbilder
beeinflussen die städtischen Freiraumstrukturen bis heute.
Auch in der Debatte um das Leitbild der »Nachhaltigen
222 wEGE ZUR UMSE TZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 223
Besonders wichtige Akteure in der Frage um die Erhaltung,
Schaffung und Nutzung von Naturräumen sind die Mitarbei-
ter und Entscheidungsträgerinnen in den verschiedenen Sek-
toren der Kommunalverwaltung. Die Verantwortung für die
Förderung und Pflege des städtischen Grünraums tragen in
den Kommunen in der Regel die Grünflächenämter, soweit
diese als eigenständige Behörden vorhanden sind. Mit ei-
ner Betonung der gesellschaftlichen Bedeutung von Stadt-
natur sollen zum einen diejenigen erreicht werden, die im
Rahmen ihrer Arbeit nach Möglichkeiten suchen, Grünflä-
chen als Gestaltungselemente zu fördern und die vielfältigen
Ökosystem leistungen zu stärken. Zum anderen sollen aber
auch ausdrücklich diejenigen Akteure und Sektoren einbezo-
gen und erreicht werden, bei denen die Förderung von Grün
nicht als oberstes Ziel auf der Agenda steht, da auch ihre
Entscheidungen direkt oder indirekt städtische Ökosystem-
leistungen betreffen: Verantwortliche in Wirtschaftsförde-
rung, Verkehrs- und Bauplanung, Gesundheit und Bildung etc.
sollen durch Informationen zur Relevanz städtischen Grüns
in ihrem Aufgabengebiet insbesondere Synergien zwischen
ihren jeweiligen Zielen und der Förderung von Stadtnatur
erkennen (zu Erfahrungen aus der Kommunikation zur kom-
munalen Klimaanpassung vgl. auch BMVBS, 2013, S. 69 ff.).
Effektive Bewusstseinsbildung
über Kommunikationsnetzwerke
Der Austausch zwischen den verschiedenen Interessen-
vertretern und Gruppen kann dazu beitragen, neue Kommu-
nikationsnetzwerke zu etablieren, die es zum Ziel haben, den
Nutzen von Stadtnatur in die verschiedenen Bereiche der
Stadtentwicklung und des städtischen Lebens hineinzutra-
gen. In der Praxis wird dies häufig durch engagierte Akteure
angeregt, geprägt und vorangetrieben, die als Multiplika-
toren wirken. Der Begriff der »Ökosystemleistungen« muss
dabei nicht explizit eine Rolle spielen, um den Bewusstseins-
prozess hin zur Anerkennung und Berücksichtigung der Leis-
tungen der Natur voranzutreiben.
Vom (informellen) Austausch über professionelle Öffent-
lichkeitsarbeit und Standor tmarketing bis hin zur Integra-
tion in formale Strategie- und Planungsprozesse der Stadt-
verwaltung spielen verschiedene Kommunikationsprozesse
eine Rolle.
9.2.1 Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern:
Information, Identifikation, Initiative
Kommunikation ist die Voraussetzung dafür, Interesse und
Teilhabe der Menschen an der Gestaltung ihrer Stadt zu
wecken und zu fördern. Dies umfasst sowohl die Motivation
zur Eigeninitiative als auch zur Beteiligung an Partizipa-
tionsprozessen im Zuge formeller Planungsvorhaben (siehe
Kapitel 9.3).
Durch Informationsvermittlung und die Förderung des Aus-
tausches über Vielfalt und Nutzen der Natur kann die Identi-
fikation mit dem eigenen Viertel oder der Stadt unterstützt,
die Akzeptanz von Veränderungen verbessert oder die eigene
Initiative zur Aufwertung von Gärten, Straßen oder des eige-
nen Viertels bereichert werden. Kommunikation kann dazu
anregen, sich im eigenen Umfeld auszutauschen und Verän-
derungsprozesse anzustoßen, z. B. mit Nachbarn, Freundin-
nen und Bekannten, in Zusammenarbeit mit Erziehern und
Lehrerinnen, mit Ansprechpartnern für Gesundheitsvorsorge,
mit lokalen Vereinen usw. (vgl. auch Arbter et al., 2005, S. 48).
Auch private Entscheidungen über Einkaufsgewohnheiten,
Mobilitätsverhalten, Gesundheitsvorsorge und Freizeitge-
staltung lassen sich durch ein verändertes Bewusstsein über
die Wirkzusammenhänge der Natur im Lebensumfeld ver-
ändern. Informationen – insbesondere aus den Erfahrun-
gen anderer – bieten Anregungen, das eigene Verhalten zu
überdenken und auch im Sinne künftiger Generationen ggf.
durch Verhaltensänderungen die Natur zu schützen. Um die
Botschaft zu vermitteln, dass dies keinen Verzicht bedeu-
tet, sondern in vielen Bereichen Mehrwerte liegen – für die
Gemeinschaft und für die eigene Lebensqualität –, ist insbe-
sondere die Kommunikation guter Beispiele wirksam.
Die Kommunikation mit Bürgerinnen erfolgt zumeist über
die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt auf Initiative der Grünflä-
chen- und Naturschutzverantwortlichen sowie über lokale
Naturschutzorganisationen und Bürgerinitiativen. Neben der
klassischen Kommunikation über Internet, Broschüren und
Flyer werden in Zusammenarbeit mit Partnern aus NGOs,
Vereinen und Wissenschaft Exkursionen und Veranstaltun-
gen zur Umweltbildung angeboten: um Stadtwald, Kleingar-
tenanlagen, Gemeinschaftsgärten und Stadtviertel kennen-
zulernen, um Pflanzen des Straßenbegleitgrüns und die Bio-
diversität in der Stadt zu entdecken. Beispiele aus Leipzig
und Frankfurt zeigen, wie diese Kommunikation aussehen
kann (vgl. Infoboxen 9 – 2 und 9 – 3).
Um Veränderungen anzuregen, die Natur in der Stadt ver-
stärkt zu berücksichtigen und bewusst die Verbindung von
Natur und Lebensqualität zu nutzen, ist eine Erweiterung
der Kommunikationsnetzwerke durch die Beteiligung von
Akteuren aus anderen Bereichen, insbesondere Gesundheit,
Bildung und Mobilität, wichtig.
die Öffnung von Perspektiven für eine kooperative nach-
haltige Stadtentwicklung durch die Identifikation von
Synergien und Trade-offs für verschiedene Nutzergruppen
als Grundlage, um unterschiedliche Gestaltungsoptionen
zu entwerfen und zu diskutieren
die Motivation zur Nutzung der Erkenntnisse in Entschei-
dungen zur Stadtentwicklung
Kommunizieren – wer mit wem? Akteure und Adressaten
im urbanen Raum
Als Adressaten und gleichermaßen auch Akteure der Kom-
munikation über die Bedeutung von Stadtgrün lassen sich
verschiedene städtische Akteure bzw. Akteursgruppen iden-
tifizieren (siehe auch Abbildung 9 – 2).
Wesentliche Elemente der Kommunikation sind:
das Sichtbarmachen der gesellschaftlichen und wirtschaft-
lichen Bedeutung der Natur
die gezielte Informationsbeschaffung und Aufbereitung
(Identifizieren und Anerkennen sowie Erfassen und Bewer-
ten von Ökosystemleistungen)
eine mögliche Beteiligung der Bevölkerung an der Identi-
fizierung, Erfassung und Kommunikation der Werte der
Ökosystemleistungen im direkten Lebensumfeld
die Anregung einer wechselseitigen und direkten Kommu-
nikation zwischen den verschiedenen Akteuren der Stadt-
gesellschaft mit dem Ziel der Schaffung informeller wie
formeller Kommunikationsnetzwerke
ABBILDUNG 9 – 2 Den Wert von Ökosystemleistungen in der Stadt kommunizieren: Adressaten und Akteure.
(Quelle : eigene Darstellung/Miriam Brenck)
9.2
ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN IN DER STADT UND IHR WERT
VERANT WORTLICHE IN
POLITIK UND VERWALTUNG:
Wirtschaftsförderung,
Gesundheit, Bildung,
Verkehr, Planung, Grün etc.
UNTERNEHMEN UND GRÜNDER
KINDERGÄRTEN, SCHULEN,
BILDUNGSEINRICHTUNGEN
INTERESSENGRUPPEN IN
ENTSCHEIDUNGS- UND
PLANUNGSPROZESSEN:
Verbände, Anwohner etc.
GÄSTE UND TOURISTEN
INVESTORINNEN
NGOs, VEREINE
BÜRGERINNEN
…UND WEITERE
224 wEGE ZUR UM SET ZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 225
Wert der Ökosystemleistungen die Argumentation für eine
strategische Grünförderung als Element der Stadtentwick-
lung stärken (siehe Infobox 9 – 2).
Planungsprozesse und Entscheidungsunterstützung
Elementare Kommunikationsschnittstellen bestehen zudem
in den formalen Prozessen der Planung. Informationen über
Ökosystemleistungen und ihre Werte sollten in Planungs-
prozesse Eingang finden, um die Entscheidungsgrundlage zu
erweitern. Sie motivieren zur Kommunikation verschiedener
Stakeholder untereinander. Wie bereits beschrieben, eröff-
net die strukturierte Darstellung der Ökosystemleistungen
und ihres – auch ökonomisch relevanten – Nutzens den Aus-
tausch über unterschiedliche Prioritäten. Die permanente
Wertschöpfung durch Stadtnatur wird offengelegt und lässt
Trade-offs bei Nutzungsalternativen deutlich werden (siehe
auch Kapitel 9.4).
Ein weiterer Ansatzpunkt zur Integration dieser Informati-
onen ist die Implementation von Entscheidungsunterstüt-
zungsverfahren in Entscheidungsprozessen, z. B. zur Gestal-
tung von Bebauungsplänen, zur Bewertung von Entwürfen
oder zur Auswahl konkreter Handlungsalternativen – etwa
bei der Wahl von Klimaanpassungsmaßnahmen (siehe z. B.
Fallbeispiel Aachen in Kapitel 3.5.3). Hier bieten sich multi-
kriterielle Verfahren an, für die sich die Bewertungskriterien,
Skalen und die Priorisierung der Kriterien durch Stakeholder
je nach Zusammenhang definieren lassen. So können die viel-
fältigen Nutzen der Ökosystemleistungen in der Entschei-
dung ebenso berücksichtigt werden wie fiskalische Nutzen
und Kosten der Handlungsalternativen (z. B. Gewerbesteu-
ereinnahmen). Auch diese Prozesse sind durch die Kommu-
nikation zwischen den Akteuren geprägt. Das Aufzeigen
erweiterter Kosten und Nutzen im Rahmen einer Multikrite-
rienanalyse kann zur Konsensfindung bei unterschiedlichen
Nutzungsinteressen beitragen.
Kommunikation der Werte urbaner Ökosystemleistungen
als Querschnittsaufgabe
Die Information und Kommunikation über den Wert urba-
ner Ökosystemleistungen innerhalb der Stadtverwaltung so-
wie mit Akteurinnen außerhalb zu steuern und städtische
Entscheidungsprozesse konsequent zu begleiten, ist eine
zentrale Aufgabe bei der Umsetzung einer nachhaltigen
Stadtentwicklung. Es wäre denkbar, für diese Querschnitts-
aufgabe einen »Stadtentwicklungsmanager« oder eine
» Managerin für naturbasierte Lösungen« zu benennen.
9.2.2 Kommunikation im Rahmen der Prozesse
von Stadtentwicklung und Planung
Leitbilder und Stadtentwicklungskonzepte
Zur Vereinbarung von Zielsetzungen für die Stadtentwick-
lung auf übergeordneter Ebene sind Instrumente wie Leit-
bilder (Kapitel 9.1) und Stadtentwicklungskonzepte (Kapitel
9.4.2) geeignet. Leitbilder können eine Orientierung für die
Ausgestaltung der Politiken in den verschiedenen Verwal-
tungsbereichen geben. Über die Einbindung von Ökosystem-
leistungen in die Zielformulierung eines Leitbildes werden
der bereichsübergreifende Austausch und ein gemeinsamer
Lernprozess der Akteure befördert. Der Prozess der Erar-
beitung ist hier – sowie auch bei Stadtentwicklungskon-
zepten – ebenso wichtig wie das Ergebnis.
Im Prozess werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in
den Zielsetzungen aufgedeckt und diskutiert und bereichs-
übergreifende Koalitionen können entstehen. Die Integra-
tion der Informationen über Ökosystemleistungen in diese
Arbeit kann den Austausch von Argumenten und die Dis-
kussion über gemeinsame Ziele befördern. Sie hilft, den Ist-
Zustand und Ziele zu strukturieren und Kriterien zur Zielstel-
lung zu formulieren ebenso wie Kriterien für die Auswahl
und Gestaltung von Maßnahmen. Ein Beispiel sind Klimaan-
passungsmaßnahmen: Hier können naturbasierte Lösungen
durch weitere Ökosystemleistungen deutliche Mehrwerte
bringen (vgl. Kapitel 3).
Ein Beispiel für ein Stadtentwicklungskonzept, in welchem
Ökosystemleistungen in die Zielkriterien integriert wurden,
sind die im Juli 2015 vom Stadtrat verabschiedeten »Zukunfts-
leitlinien für Augsburg« als »orientierende Grundlage für die
nachhaltige Entwicklung Augsburgs« (Stadt Augsburg, 2015).
Die Website augsburg-entwickeln.de gibt darüber hinaus
Einblicke in die Prozesse der Konzepterarbeitung.
Freiraum- und Grünflächenstrategien
So wie ein Stadtentwicklungskonzept auf übergreifender
Ebene angelegt ist, können bereichsbezogene Entwicklungs-
konzepte wie Freiraum- oder Grünflächenstrategien als Kom-
munikationsinstrumente wirken. Auch hier ist die Diskussion
über den Ist-Zustand, Zielsetzungen und mögliche Maßnah-
men Teil des Kommunikationsprozesses. Anhand der Betrach-
tung von Ökosystemleistungen können sowohl der Ist-Zu-
stand beschrieben und der Handlungsbedarf identifiziert als
auch Kriterien zur Zielformulierung entwickelt werden (siehe
auch Beispiel der Stadt Dortmund, Kapitel 9.4.2). Das Beispiel
der Leipziger Freiraumstrategie zeigt, wie Informationen zum
INFOBOX 9 – 2
Stadt Leipzig: Kommunikation städtischer Ökosystemleistungen und ihrer Bedeutung (Torsten Wilke)
Die Stadt Leipzig, Amt für Stadtgrün und Gewässer, nutzt das
Konzept der Ökosystemleistungen, um über die Funktionen
des Stadtgrüns und der Stadtnatur sowie über die Bedeutung
einer gezielten Grünentwicklung und die Zielsetzungen ent-
sprechender Projekte zu informieren.
Im Projekt »Lebendige Luppe – Attraktive Auenlandschaft als
Leipziger Lebensader«, das im Rahmen des Bundesprogramms
»Biologische Vielfalt« vom Bundesamt für Naturschutz mit
Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit sowie durch den Naturschutzfonds
der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt gefördert
wird, spielt die Kommunikation der Ökosystemleistungen
eine wichtige Rolle (NABU Landesverband Sachsen, 2015).
Neben der Revitalisierung alter Wasserläufe liegt ein Schwer-
punkt des Projekts auf der Vermittlung der Bedeutung der
Aue für Mensch und Natur. Die Ökosystemleistungen einer
intakten Aue, wie Luftreinigung und Kaltluftproduktion, die
Bindung von Kohlen dioxid oder die Bereitstellung von Räu-
men zur Erholung und aktiven Freizeitgestaltung, werden auf
unter schiedliche Weise vermittelt.
ABBILDUNG 9 – 3 Projektkar te und Logo »Lebendige Luppe« als Beispiel für die Kommunikation wesentlicher Ökosystem -
leistungen einer Aue in der Stadt. (Quelle: NABU Landesverband Sachsen e. V.)
226 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGR ATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 227
die gemeinsam mit der Stadt Ideen für eine bauliche Ent-
wicklung der Stadt unter Berücksichtigung urbaner Öko-
systemleistungen entwerfen und auch innovative Bau-
projekte anstoßen.
Gäste und Touristen,
die sich durch lebendige grüne Städte angezogen fühlen,
die erleben, wie wertvoll die Natur im direkten Lebensum-
feld ist,
die das Stadtleben bereichern und den Tourismussektor
stärken.
Die Kommunikation über Stadtnatur kann sich zu einem
Kern element des städtischen Standortmarketings entwi-
ckeln. Vielzitierte Beispiele sind hier die Prinzessinnen gärten
in Berlin, die »Essbare Stadt« Andernach, das Ruhrgebiet mit
dem Emscher Landschaftspark oder die Stadt München mit
dem Englischen Garten und der Renaturierung der Isar. Die
Attraktivität einer Stadt als Wirtschaftsstandort und Lebens-
raum kann durch die Darstellung der vielfältigen Naturleis-
tungen und ihres Wertes über diverse Kommunikations-
mittel, wie z. B. Stadt-Websites, Stadtmarketingbroschüren
und Touristeninformationen, gestärkt werden (siehe auch
Kapitel 8.2).
Kommunikation nach außen: Standortmarketing
Stadtnatur ist ein wesentlicher Standortfaktor und damit für
die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt höchst relevant
(vgl. auch Kapitel 8). Die Kommunikation des Werts städti-
scher Ökosystemleistungen sollte sich demnach auch an Un-
ternehmerinnen und Unternehmensgründer, Investorinnen
und Touristen richten. Diese Adressaten sind ihrerseits wich-
tige Kommunikationsakteure:
Unternehmerinnen,
die die Attraktivität einer grünen Stadt als Standort und
den daraus resultierenden Mehrwert erkennen, um z. B.
Mitarbeiter zu gewinnen,
die sich des Wertes der Ökosystemleistungen bewusst
sind, Ressourcen nachhaltig nutzen und ihre Unternehmens-
prozesse, Flächen und Gebäude entsprechend gestalten,
die darüber hinaus auch die Argumente einer grünen Stadt-
entwicklung unterstützen und diese Entwicklung vor Ort
fördern.
Investoren,
die die wertsteigernde Wirkung von Stadtgrün erkennen
und aus diesem Grund Stadtnatur erhalten,
Im Projekt entwickelte Umweltbildungsunterlagen bringen
Schülern den Ansatz der Ökosystemleistungen und der Wert-
schätzung von Natur am Beispiel der Leipziger Auenlandschaft
nahe. Im Rahmen verschiedener Aktionen kommunizieren die
Projektpartner (Stadt Leipzig, Stadt Schkeuditz, NABU Landes-
verband Sachsen, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung –
UFZ, Universität Leipzig) unter Federführung des NABU die
historischen Veränderungen an der Luppe mit ihren Auswir-
kungen auf die Aue und den Nutzen für Natur und Mensch.
Sie bieten regelmäßige Veranstaltungen für Kinder, Schüler,
Familien und alle interessierten Bürgerinnen zur kostenlosen
Teilnahme an. Beispiele sind: Fahrradexkursionen, Informati-
onsveranstaltungen und Diskussionsforen. Auf der Projekt-
website (http://www.lebendige-luppe.de/) sind umfassende
Informationen über die geplanten baulichen Maßnahmen zur
Renaturierung der Luppe und die Ökosystemleistungen des
Auenwaldes ansprechend aufbereitet sowie Unterlagen zur
Umweltbildung abrufbar (siehe auch Abbildung 9 – 3). Ein loka-
les Informationsbüro ist direkter Ansprechpartner für Fragen.
In der Freiraumstrategie »Lebendig grüne Stadt am Wasser«
(Amt für Stadtgrün und Gewässer der Stadt Leipzig, in Vor-
bereitung) wird der Ökosystemleistungsansatz genutzt, um
aufzuzeigen, welche vielfältigen Leistungen »Grün und Blau«
in der Stadt erbringen. Dazu werden in einem ersten Teil Ent-
wicklungsziele für unterschiedliche, grün- und gewässerge-
prägte Freiraumkategorien (Parks, Grünanlagen, Wald, Klein-
gärten etc.) auf der Grundlage ihrer speziellen Funktionen und
Nutzungsmöglichkeiten definiert. Im zweiten Teil werden der-
artige Ziele auch zu sogenannten übergreifenden Handlungs-
feldern entwickelt. Vor allem hier kommt der Ökosystemleis-
tungsansatz zum Tragen, weil die Bedeutung und der »Wert«
von Stadtgrün und Gewässern für die Menschen, für Klima
und Umwelt und auch als Wirtschaftsfaktor thematisiert wer-
den. Der abschließende Teil dieser Strategie widmet sich dem
zielgerichteten Management, um diese Werte zu sichern und
zu entwickeln. Auch die Relevanz des bürgerschaftlichen En-
gagements für die Förderung der Stadtnatur wird dabei ver-
deutlicht.
INFOBOX 9 – 3
BioFrankfurt – Das Netzwerk für Biodiversität e. V. (Frauke Fischer, Johanna Sieger)
Die 2004 als Netzwerk gegründete Initiative »BioFrankfurt –
Das Netzwerk für Biodiversität e. V.« ist seit 2014 ein Verein
und besteht derzeit aus 14 Institutionen. Neben der Vernet-
zung verschiedener Forschungseinrichtungen und -arbei-
ten ist eines der Hauptziele des Vereins, die »herausragende
Bedeutung von Biodiversität und ihrer Erhaltung stärker in
das Bewusstsein von Medien und Öffentlichkeit zu rücken«
(BioFrankfurt, 2015). Arbeitsschwerpunkt ist dabei die Stadt
Frankfurt am Main. Die biologische Vielfalt der Region und
deren Bedeutung sind ein wiederkehrendes Thema im breit
gefächerten Bildungs- und Schulungsangebot des Vereins. So
fördert er nicht nur den Austausch zwischen Interessenver-
tretern, sondern fordert insbesondere die Stadtbewohner zur
Partizipation auf. Aus den vielen Aktivitäten des Vereins seien
hier zwei beispielhaft aufgeführt, die Bürgerinnen und Bürger
im Besonderen ansprechen.
(1) Während der seit 2007 jährlich stattfindenden Aktions-
woche »Biologische Vielfalt erleben« werden Veranstaltun-
gen rund um das Thema Biodiversität in Frankfurt und dem
Rhein-Main-Gebiet angeboten. Der Verein fasst die Veran-
staltungen der verschiedenen Partner in einem interaktiven
Stadtplan zusammen. Das gesamte Programm lässt sich über
die Website der Initiative BioFrankfurt abrufen. Die so entste-
hende Vernetzung der Akteure trägt dazu bei, Bürgerinnen für
das Thema Biodiversität und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren.
(2) In einer 2009 durchgeführten Plakataktion machte der
Verein die Bürger an prominenten Stellen, wie Litfaßsäulen
in U-Bahnhöfen, auf humorvolle Weise auf die regionale Bio-
diversität aufmerksam. Hierzu wurden wissenschaftliche Er-
gebnisse aus der Rhein-Main-Region in Plakatform aufgear-
beitet und die Bedeutung von Vielfalt für die Lebensqualität
in der Stadt »plakativ« aufgezeigt. Während diese Plakate als
Blickfänger dienten, wurden die Thematik und Hintergrundin-
formationen in Filmen, Presseartikeln, Vorträgen und geführ-
ten Touren interessierten Bürgerinnen vermittelt. Die Inno-
vation dieser Aktion lag in der Gestaltung der Plakate: Diese
zeigten neben tatsächlich existierenden Tierarten wie der Ha-
selmaus auch Arten wie den »Knallfrosch« und die »Lakritz-
schnecke« (vgl. Abbildung 9 – 4). Diese Wortspiele weckten
die Neugierde der Betrachter und verstärkten den Zulauf der
Veranstaltungen. Die Plakate sind auf der Website des Vereins
(www.biofrankfurt.de) abrufbar.
ABBILDUNG 9 – 4 Motive aus der Plakatkampagne zur Biodiversität im Rhein-Main-Gebiet. (Quelle: BioFrankfurt, 2015)
228 wEGE ZUR UMSE TZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICK LUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 229
sammeln alle Beteiligten wie Behörden, Vereine, Unter-
nehmen etc. im Vorfeld einer Planung gemeinsam die
wichtigsten Fakten und formulieren Fragestellungen,
die geklärt werden sollen.
(2) Das anthropozentrische Ökosystemleistungskonzept
und eine ökonomische Perspektive bieten einen guten
kommunikativen Hebel:
(2a) Stehen Frischluftleistung, sauberes Wasser als Ressource
oder die Bestäubungsleistung durch Bienen auf dem
Spiel und ganz konkret auf der Tagesordnung von Be-
teiligungsprozessen, lockt dieser nutzenorientierte er-
weiterte Blick auf grüne Infrastruktur auch Gruppen
von Menschen an, die weniger naturinteressiert sind.
Es geht sozusagen ums Eingemachte, um unser Ge-
meinwohl. Der TEEB-Ansatz bietet auch im Rahmen
von Bürgerbeteiligung die Chance, neue Argumente
geltend zu machen und in Entscheidungsprozesse ein-
zubringen. Der Blick auf das große Ganze, auf Biotop-
verbundsysteme und das Zusammenwirken ökologisch
wertvoller Trittsteine innerhalb der Stadtlandschaft,
könnte Diskussionen um lokale Vorhaben im Städte-
bau entspannen. Solange die ökologische Leistung für
den Stadtbezirk (z. B. Frischluftschneise) nicht gefähr -
det wird, könnten bspw. Einzelprojekte befürwortet wer-
den, die bei ausschließlichem Fokus auf den Einzelbaum,
den Straßenverlauf etc. sonst auf Ablehnung stoßen
könnten.
(2b) Studien zeigen, dass der direkte Nutzen für die Gesell-
schaft am einfachsten über die sog. kulturellen Öko-
systemleistungen wie Naturerfahrung, Natursport, Er-
holung usw. zu kommunizieren ist (Albert et al., 2015,
S. 107 – 116).
(2c) Lohnend erscheint die gemeinsame Auswahl von Gut-
achterinnen und Gutachtern, von denen zumindest
einige ein klares Verständnis für das Einbeziehen von
Ökosystemleistungen in den Prozess mitbringen. Auch
die gemeinsame Festlegung von Methodik, Annahmen
und Fragen zu Beginn der Planungsprozesse können
spätere Auseinandersetzungen zwischen Gutachtern
verhindern. Um diese Aufgaben zu meistern, ist Unter-
stützung innerhalb der Planungsinstitution notwendig.
Dies gilt für die Kommunikations- und Moderationsleis-
tung und auch für die wissenschaftlich fundierte Exper-
tise, die für das Einbeziehen von Ökosystemleistungen
erforderlich ist.
Wasserflächen, Wald, Grünstreifen etc.). Die Erwartung, dass
Bürgerbeteiligung diesen ständigen Zielkonflikt demokra-
tisch zu lösen vermag, knüpft sich an immer anspruchsvol-
lere Beteiligungsverfahren, die v. a. frühzeitig, kontinuierlich
und umfassend erfolgen müssen.
Entscheidungen, die das Gemeinwohl betreffen – und hierzu
zählt die Förderung von (oder umgekehrt der Verzicht auf)
Ökosystemleistungen wie Frischluftschneisen, gesundes
Trinkwasser, Erholungsräume oder gesunde Böden – sollten
niemals als »Alibi-Beteiligung« betrieben werden. Häufig
lautet die Frage von Kommunalverwaltungen und Bauher-
ren in Planungsprozessen von (Groß-)Projekten: Wie kön-
nen wir das Vorhaben mit möglichst wenigen Konflikten
zügig planen und umsetzen? Das Ziel von Bürgerbeteiligung
sollte sich jedoch nicht in der Herstellung rechtlicher Pla-
nungssicherheit erschöpfen, v. a. wenn es um Gemeinwohl-
fragen geht. Ohne ausreichende Akzeptanz in der Bevölke-
rung sind viele Vorhaben letztlich nur schwer umsetzbar und
verursachen erhöhte Kosten.
Hauptfunktionen der Bürgerbeteiligung sind daher:
Information
Konsultation und Dialog
gemeinsame Lösungsfindung
Bürgerbeteiligung beeinflusst dabei Entscheidungen mit;
letztlich verbleiben diese aber bei den Behörden oder Un-
ternehmen. Dies unterscheidet den Prozess der Bürgerbetei-
ligung von Instrumenten der direkten Demokratie wie Bür-
gerentscheiden.
Wie also kann die Bevölkerung bei Prozessen der Stadtent-
wicklung sowie der Flächennutzung und -gestaltung ein-
bezogen werden, um wichtige Ökosystemleistungen zu
erhalten bzw. zu fördern? Wie ist der Prozess der Bürgerbe-
teiligung zu diesem Zweck zu gestalten?
(1) Zuerst muss das Erkennen und Betrachten derjenigen Leis-
tungen, die uns verschiedene Bestandteile der Stadtnatur
zur Verfügung stellen, geübt werden. Um ein gemeinsa-
mes Problemverständnis für die möglichen Konsequen-
zen der geplanten Vorhaben zu entwickeln und sachliche
Diskussionen zu fördern, sind eine systematische, gemein-
same Faktenklärung (»Joint Fact Finding«) und ein koope-
ratives Vorgehen sinnvoll (Susskind et al., 1999). Hierbei
(z. B. über das Ob einer Planung) schon gefallen sind, wel-
che Einflussmöglichkeiten noch bestehen und wie mit
den Interessen und Meinungen der Beteiligten umgegan-
gen wird – auch wenn sich diese widersprechen.
Beteiligung sollte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt
ansetzen, um Interessen und Konflikte von vornherein iden-
tifizieren sowie berücksichtigen bzw. lösen zu können.
Gerade bei umstrittenen Planungen sollte ein Beteiligungs-
verfahren nicht durch die planende Behörde, sondern durch
unabhängige und glaubwürdige, professionelle Dritte
moderiert werden.
Selbstverständlich ist vor dem Hintergrund knapper kommu-
naler Haushalte sowie begrenzter Personal- und Zeitkapazi-
täten der Verwaltung immer abzuwägen, in welcher Form
und in welchem Umfang eine Bürgerbeteiligung, die über
das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgeht, tatsächlich
erforderlich und möglich ist. Dies kann nur einzelfall bezogen
entschieden werden.
Neben formellen Verfahren wie Ausschüssen, Bürgerbe-
gehren und Bürgerentscheiden, aber auch den gesetzlich
vorgeschriebenen Beteiligungen zur Landschafts- und Bau-
leitplanung werden zunehmend informelle Verfahren ge-
nutzt, um mit Runden Tischen, Zukunftswerkstätten oder
Bürgergipfeln die Kompetenzen und den Willen der Bürge-
rinnen und Bürger in Planungen einzubringen. Dabei sollen
in einem fairen und neutralen Rahmen Interessierte darin
bestärkt werden, ihre eigenen Sichtweisen auszudrücken
und selbstständig, aber gemeinsam mit anderen, Lösungen
für wichtige öffentliche Herausforderungen zu entwickeln.
Das Erfahren von Selbstwirksamkeit, wie es Harald Wel-
zer im Buch »Selbst denken« (2013) beschreibt, ist heute ein
wichtiger Baustein, wenn es um die Förderung der biologi-
schen Vielfalt geht.
Damit sind nur einige wenige zentrale Punkte und Mög-
lichkeiten der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern
angesprochen (für weitergehende Informationen siehe u. a.
Bischoff et al., 2005; Ley und Weitz, 2003; Meunier, 2006;
SenStadtUm, 2012a).
9.3.2 Bürgerbeteiligung optimal regeln
In fast allen Städten wächst der Nutzungsdruck auf die graue
Infrastruktur (Straßen, Wohn- und Büroflächen etc.) bestän-
dig. Ihr Ausbau erhöht wiederum den Nutzungsdruck auf die
verbleibende grüne Infrastruktur (Parks, Alleen, Kleingärten,
9.3 BETEILIGEN, MOBILISIEREN
UND MITGESTALTEN
9.3.1 Einführung
»Beteiligung« ist in aller Munde und fast zum Schlüssel und
Zauberwort für gelingende Planungsverfahren geworden.
Dass Planungen ohne ernst gemeinte, frühzeitige, umfas-
sende und professionell gestaltete Beteiligung leicht schei-
tern oder zumindest verzögert werden können oder gar zu
massiven Auseinandersetzungen führen können, haben nicht
zuletzt die Beispiele Stuttgart 21 und das Flughafengelände
Berlin-Tempelhof gezeigt. Ohne Beteiligung geht es also (in
der Regel) nicht – gerade dann nicht, wenn das Planungs-
ergebnis mit erheblichen Konsequenzen für die Betroffenen
verbunden ist oder wenn sie sich an der Umsetzung aktiv be-
teiligen sollen. Beteiligungsverfahren erhöhen die Chancen,
eine sachgerechte, für alle akzeptable Lösung zu finden und
die Planung durch das »Expertenwissen« der Bürgerinnen
und Bürger zu verbessern. Sie bieten jedoch keine Garantie
hierfür. Denn auch in gut durchgeführten Beteiligungspro-
zessen können Meinungs- und Interessenunterschiede ver-
bleiben, die sich nicht auflösen lassen und letztlich durch die
gewählten politischen Entscheidungsträger entschieden
werden müssen. Oder bestimmte Gruppen wollen oder kön-
nen sich nicht beteiligen und melden sich erst zu Wort, wenn
der Bagger im wahrsten Sinne des Wortes bereits vor der
Haustür steht und es für Einwände und einen Konsens zu
spät ist. Auch können und dürfen nicht alle Entscheidungen
und damit die Verantwortung an die Bürgerinnen und Bür-
ger delegiert werden. Selbst in solchen Fällen sollten aber de-
ren Interessen im Planungsprozess soweit möglich berück-
sichtigt werden.
Damit Beteiligungsprozesse zum Ziel führen, sind verschie-
dene Punkte oder Regeln zu beachten (Bischoff et al., 2005;
Ley und Weitz, 2003; SenStadtUm, 2012a). Hierzu gehören:
Wesentliche Gruppen dürfen von der Beteiligung nicht
ausgegrenzt werden – auch nicht unbeabsichtigt, etwa in-
dem über Medien informiert wird, die diese Gruppen nicht
nutzen oder indem Meinungsäußerungen nur vor einem
großen Publikum möglich sind o. ä.
Schwer verständliche Sprache muss vermieden werden
und Fach- oder Fremdwörter müssen erläutert werden
(z. B. Begriffe wie Ökosystemleistungen oder Biodiversität).
Der Umfang der Beteiligung muss von vornherein deutlich
gemacht werden: Es muss klar sein, welche Entscheidungen
230 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUN G
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 231
(2) Mittel und Wege, die Selbstwirksamkeit entfalten
Motto: »Du kannst das! Dein Tun bewirkt Gutes.«
Citizen Science-Projekte legen Vertrauen in die Kompetenz
der Bürgerinnen und Bürger (siehe Kapitel 9.3.4).
Gemeinsame Pflanzaktionen im öffentlichen Raum machen
Spaß und Erfolge erlebbar.
Simulationen von angestrebten Landschaftsveränderun-
gen und städtebaulichen Maßnahmen visualisieren das an-
gestrebte Ziel und halten die Akteure »auf Kurs«.
Beispiele sind:
(a) Citizen-Science-Projekt »www.apfelbluetenaktion.de«
des Südwestrundfunks (SWR) und
(b) Pflanzaktion: 13.000 Frühjahrsblüher durch 180 Studie-
rende für die Studentenaue der Freien Universität Berlin
von »Berlin summt!«.
(3) Mittel und Wege, die Engagement würdigen
und Mut machen
Motto: »Danke – Du bist ein Vorbild für andere!«
Preisverleihungen und Ehrungen machen Engagement
öffentlich sichtbar und würdigen Vorbilder. Sie stimulie-
ren zum Nachahmen.
Wettbewerbsprämierungen (Gartenwettbewerbe, Stadt-
teilwettbewerbe, Wettbewerbe zwischen Kommunen oder
innerhalb der Mitarbeiterschaft) stärken den Prämierten
öffentlich den Rücken und lassen andere nachfolgen.
Schirmherren und Botschafter (re)präsentieren durch ihre
gesellschaftliche Bedeutung den Wert eines Vorhabens. Die
Akteure erkennen die Würdigung ihres Engagements durch
die regelmäßige Anwesenheit ihrer Fürsprecher vor Ort, ihr
gezeigtes Interesse am Thema (z. B. durch gut vorbereitete
und herzlich vorgetragene Laudationes) sowie die Aneig-
nung von Basiswissen rund um das Thema.
Beispiele sind:
(a) Wettbewerb »Biologische Vielfalt für Kommunen« der
Deutschen Umwelthilfe,
(b) Deutscher Engagementpreis des Bundesverbands Deut-
scher Stiftungen,
(c) Ideenwettbewerb »Sport bewegt – Biologische Vielfalt
erle ben« des Deutschen Olympischen Sportbundes,
oder ortsansässige Unternehmerinnen und Unternehmer
für die Anliegen des Naturschutzes zu mobilisieren.
Das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern zur Erhaltung
von Ökosystemleistungen in ihrer Stadt kann gefördert wer-
den durch: Mutmacher, öffentliche Fürsprecher, Integrations-
figuren, Lern- und Austauschplattformen, Netzwerkbetreiber,
Finanzierungshilfen (zu denen zunehmend das Crowdfun-
ding gehört) und nicht zuletzt eine positive, wertschätzende
Darstellung in den Medien. Folgende »Mittel und Wege« kön-
nen die Mobilisierung der Bürger positiv beeinflussen:
(1) Mittel und Wege, die Identität stiften
Motto: »Es ist Deine Stadt. Es ist Dein Lebensraum. Gestalte
ihn mit.«
Ein sympathisches, Aufmerksamkeit erweckendes, stadt-
(teil)spezifisches, ggf. auf eine Ökosystemleistung fokussier -
endes Logo hilft, unterschiedliche Akteure auf ein gemein-
sames Ziel einzuschwingen.
Konkrete Aufrufe, humorvolle Slogans oder ein besonde-
res Motto mit direktem Bezug zu relevanten Ökosystem-
leistungen laden Akteure ein und zeigen erste konkrete
Gestaltungsmöglichkeiten auf.
Der Fokus auf bestimmte Stadtteile, Parks, repräsentative
Gebäude oder eine örtlich bedrohte Tier- oder Pflanzenart
kann motivieren, sich für die Sache zu engagieren.
Identitätsstiftende Wirkung können auch charismatische,
glaubwürdige Persönlichkeiten entfalten (neben Projektin
-
itiatoren können dies Bürgermeister, Prominente, Künstler,
Lehrer, Pfarrer o. ä. sein). Sie stehen hinter dem Vorhaben,
machen Mut und treiben voran; sie inspirieren Menschen
weniger mit ihrem Fachwissen als vielmehr durch ihre posi-
tive Art. Ihre regelmäßige Anwesenheit während des Vorha
-
bens ist wichtig – am besten persönlich, jedoch auch wirk-
sam durch Online-Blogs o. ä.
Beispiele sind:
(a) Initiative »Andernach, die essbare Stadt« (vgl. Kapitel 7.1.1,
Infobox 7 – 4),
(b) Onlineplattform »Mundraub – Entdecke deine Umgebung
neu« und
(c) Initiative »Deutschland summt! Wir tun was für Bienen«
(vgl. Infobox 9 – 4).
erarbeitet. Damit wird ein besserer Dialog zwischen den
Bürgerinnen und Bürgern, Vorhabensträgern und Behör-
den gefördert. Seit 2013 gibt es damit bundesweit erstma-
lig ein geregeltes »Scharnier« zwischen Vorschlägen aus der
Bürgerschaft und den Entscheidungen der Behörden. Sollten
Bürgervorschläge nicht verwirklicht werden können, ist dies
durch die Verwaltung öffentlich zu begründen. Gerade in der
Landschaftsplanung und bei vielen Bauvorhaben eröffnet
diese Regelung gute Chancen, um vonseiten der Bürger oder
Organisationen wissenschaftliche Studien, Monitoring-Er-
gebnisse oder Entwicklungsszenarien unter Einbeziehung
von Ökosystemleistungen in die Verfahren einzubringen.
9.3.3 Bürger mobilisieren
Neben Bürgerbeteiligungsverfahren gibt es viele weitere
Möglichkeiten, mit denen die Kompetenzen, der Wille und
die Schaffenskraft der Bürgerinnen und Bürger für das
Gemeinwohl ihrer Kommune genutzt werden können. Dies
gelang in Bezug auf Grünräume bisher v. a. dann, wenn der
direkte Vorteil durch Naturerleben, Natursport u. ä. von den
Bürgerinnen und Bürgern vor Ort erkannt wurde. Mit zuneh-
mendem Naturbewusstsein und der Offenheit für »Wildnis«
(siehe Kapitel 6) engagieren sich inzwischen vermehrt auch
Sozialeinrichtungen, Kulturvereine, politische Vereinigungen,
Wissenschaftler und freie Bürgergruppierungen bei der öko-
logisch ausgerichteten Gestaltung ihrer Stadt(teile). Derzeit
versammelt u. a. die »urban gardening«-Bewegung unter-
schiedlichste Menschen, um im Rahmen von Selbsternte-
gärten, interkulturellen Nachbarschafts- oder Gemein-
schaftsgärten mit der eigenen Hände Arbeit etwas zu
verändern (siehe Kapitel 5). Gerade hier kann der TEEB-An-
satz auf offene Ohren stoßen, wenn es z. B. um die konkrete
Erläuterung von Ökosystemleistungen der Bienen im
Gartenbau geht oder wenn für Biotopverbundsysteme aus
Hecken und Grünanlagen mit heimischen Wildpflanzen
geworben wird.
»Mittel und Wege« zur Mobilisierung
von bürgerschaftlichem Engagement
Eine emotionalisierende und visuell gut aufbereitete, be-
gleitende Öffentlichkeitsarbeit ist grundsätzlich wichtig, um
Menschen für den Naturschutz zu begeistern (siehe Ka -
pitel 9.2). Da wir uns in einer Mediengesellschaft bewegen,
sind dabei Kommunikationsmittel nötig, die die jeweils an-
gesprochene »Zielgruppe« regelmäßig nutzt. Eine unbüro-
kratische Unterstützung des ehrenamtlichen Bürgerein-
satzes ist zentral. Beispielsweise könnten repräsentative
Gärten und Gebäude für Erlebnis- und Bildungsveran-
staltungen geöffnet werden, um eine breite Bürgerschaft
(3) Es gilt, aus guten wie schwierigen Erfahrungen zu ler-
nen und »lernende Organisationen« aufzubauen: Be-
teiligungsexpertise kann durch regelmäßigen internen
Austausch erworben und weitergegeben werden. Das
Land NRW richtete vor einigen Jahren die Geschäftsstelle
»Dialog schafft Zukunft« ein, die als neutrale und überpar-
teiliche Dienstleistungsagentur unterschiedliche Beteili-
gungsprozesse unterstützt und dabei auf die gemeinsame
Faktenklärung setzt (www.dialog-schafft-zukunft.de).
Auch Leitfäden zum Thema Bürgerbeteiligung dienen der
Weitergabe solcher Erfahrungen. Sie bestehen auf Bun-
desebene und auf kommunaler Ebene (z. B. Regensburg,
Mannheim, Freiburg). Als erstes Bundesland hat Baden-
Württemberg mit dem »Netzwerk Bürgerbeteiligung«
kommunale Leitlinien zur Bürgerbeteiligung zusammen-
gestellt (www.netzwerk-buergerbeteiligung.de).
(4) Beteiligungsverfahren mit dem Ziel der Ideengenerierung
sind sinnvoll, wenn die Kommune innerhalb des gesetz-
ten Rahmens große Freiheitsgrade bei der Entwicklung
einer Fläche besitzt und wenn die Planung noch nicht
sehr stark konkretisiert worden ist. Zielgruppe der Betei-
ligung sollte ein möglichst breiter Querschnitt der Bevöl-
kerung sein, der langfristig mit den z.B. über einen News-
letter des Netzwerkes zur Diskussion stehenden Flächen
in Berührung kommt. Schwer erreichbare Zielgruppen
können durch die Zusammenarbeit mit Multiplikatoren
(z. B. Schulen) und unter Einsatz von Anreizen (z. B. Auf-
wandsentschädigungen) gewonnen werden. Als Beteili-
gungsformate sind insbesondere diejenigen geeignet, die
kreatives Brainstor ming mit dem Abgleich planerischer
Möglichkeiten sinnvoll übereinbringen: bspw. Zukunfts-
werkstätten oder Charette verfahren. Auch Onlinetools
bieten große Potenziale zum Generieren von Ideen und
Hinweisen (vgl. den Einsatz im Rahmen der Lärmaktions-
planung in Köln oder eine geplante Onlinebefragung zur
Flächenentwicklung in Solingen).
(5) Eine besondere Herausforderung bei lang laufenden Pla-
nungen ist es, die Ergebnisse der Beteiligung ständig prä-
sent zu halten, damit die Legitimität der Planung auch
Jahre später noch Bestand hat. Dazu müssen Beteiligungs-
prozess und Planungsvorhaben in der Außenkommuni-
kation beständig im Zusammenhang genannt werden
(Spieker, 2014).
Baden-Württemberg hat in diesem Sinne eine »Verwal-
tungsvorschrift zur Intensivierung der Öffentlichkeitsbetei-
ligung« und einen »Leitfaden für eine neue Planungskultur«
232 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGR ATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 233
(d) Auszeichnung »Deutscher Naturschutzpreis« des Bundes-
amts für Naturschutz und
(e) Wettbewerbe »Schulhofdschungel« und »Sportplatz-
dschungel« der Grünen Liga.
(4) Mittel und Wege, die das Lernen von anderen
unterstützen
Motto: „Kann ich mal durch Deine Brille schauen?“
Mitmachforen, Austauschforen (online, offline)
Kreativ-Workshops zwischen Wissenschaft und Praxis
interaktive Online-Lernmedien (Spiele, Quiz etc.)
Projekt-Transfer im Rahmen von BarCamps (häufig auch
als »Unkonferenz« bezeichnet) o. ä.
Beispiele sind:
(a) Online-Austauschforum »Netzwerk Forum für Biodiver-
sitätsforschung Deutschland« (NeFo),
(b) Dialogforen online/offline zur Berliner Biodiversitäts-
strategie,
(c) Gute Projektansätze multiplizieren – Austausch quer zu
Themen und Disziplinen »Open Transfer Camp«,
(d) Vor-Ort-Erfahrungsaustausch »Offene Gartenpforte« und
(e) Offline-Austauschforum »Deutscher Naturschutztag«.
(5) Mittel und Wege, die Gemeinsinn und Gemeinwohl
stärken
Motto: »Einer für alle – alle für einen. Gemeinsam schaffen
wir mehr.«
Gemeinschaftsaktionen wie Flashmobs, Demonstrationen
oder Feste fördern das »Wir-Gefühl« mit wenig Zeitaufwand
und helfen, langfristig neue Mitstreiter zu gewinnen.
Langfristig angelegte Stadtteil-Initiativen, die ganz kon-
krete Fähigkeiten der Bürgerinnen und Bürger zum Einsatz
bringen, ermöglichen die ständige Integration neuer Mit-
streiter. So kann eine »Community« wachsen und Synergien
hervorbringen.
Kooperations- und Kontaktbörsen fördern den Austausch
quer zu Disziplinen, Branchen, gesellschaftlichen Gruppen.
Beteiligungsverfahren mit gemeinsamer Faktenklärung
(Joint-Fact-Finding-Methode) fördern die gegenseitige Wert-
schätzung aller Akteure.
Die Gründung von Bündnissen über Vereinsgrenzen hinweg
hilft, sich der gemeinsamen Ziele wegen zu vereinen – ohne
Bürokratie.
Beispiele sind:
(a) Sport-Event »Wildkatzenlauf« des BUND,
(b) Vogelzählung »Stunde der Gartenvögel« des NABU,
(c) Aktionsbündnis »Agrarwende Berlin-Brandenburg« und
(d) Bündnis »Kommunen für biologische Vielfalt«.
9.3.4 Bürgerbeteiligung und Wissensgewinn
durch Citizen Science
»Citizen Science«, zu Deutsch »Bürgerwissenschaft«, hat in
den vergangenen Jahren rasant an Bedeutung gewonnen, v. a.
im Umwelt- und Naturschutz. Hierfür gaben neben der zu-
nehmenden Forderung nach Bürgerbeteiligung die Entwick-
lung neuer Kommunikationstechnologien (Smartphones,
Tablets) und deren Nutzungsmöglichkeiten entscheidende
Impulse.
Citizen Science stellt keine klar abgegrenzte Form von Wis-
senschaftsbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern dar,
sondern existiert in unterschiedlichen Ausprägungen (vgl.
Infobox 9 – 5).
(1) Die institutionalisierte Wissenschaft bietet Bürgerinnen
und Bürgern Informationen an. Sie erhalten vielfältige
und zum Teil interaktive Informationen über Natur, biolo-
gische Vielfalt und Ökosystemleistungen (siehe auch Ka-
pitel 6.2 und 9.2). Informationen, etwa zum Vorkommen
von Pflanzen- und Tierarten oder Lärmdaten von Flug-
zeugen, die gerade über einen fliegen, können zu Hause
am PC oder im Gelände mithilfe von Smartphones und
Tablets bezogen werden. Hier nehmen die Bürgerinnen
und Bürger eine ausschließlich rezeptive (empfangende)
Funktion ein.
(2) Bürgerinnen und Bürger können selbst aktiv Beiträge zur
wissenschaftlichen Erkenntnis leisten, insbesondere in-
dem sie bei Datensammlungen und deren wissenschaft-
licher Auswertung mitarbeiten.
(3) Citizen Science wird als integrierter Bestandteil der
Wissensgesellschaft gesehen, jedoch mit einer eigen-
ständigen Funktion. Dies geschieht entweder in Form
von kritischer Wissenschaft, indem bspw. über die Er-
stellung von Gegengutachten die Ergebnisse offizieller
bzw. beauftragter Gutachten hinterfragt werden, oder
in Form eines mehr oder weniger gleichwertigen Wissen-
INFOBOX 9 – 4
Initiative »Deutschland summt! Mit der Biene als Botschafterin zu mehr StadtNatur«
Bienen eignen sich hervorragend, um zu zeigen, dass wir als
Menschen von biologischer Vielfalt und funktionsfähigen
Ökosystemen sowie den von ihnen erbrachten Ökosystem-
leistungen abhängen. Der Umgang mit Bienen schafft ei-
nen sinnlichen und anschaulichen Zugang dazu. Die Initiative
»Deutschland summt!« mit ihren Städteinitiativen wie »Ber-
lin summt!« inspiriert viele Menschen durch die »Faszination
Honigbiene«. Über das bessere Verständnis für das drittwich-
tigste Nutztier in Deutschland lässt sich so auch die Bedeu-
tung der Wildbienen und deren bedrohter Lebensräume ver-
mitteln. »Deutschland summt!« holt die Menschen dort ab,
wo sie stehen: im urbanen Raum, als (Honig)Konsumenten,
als effektive Nutzer von Online-Medien, als Menschen mit
naturfernem Alltag aber mit Sehnsucht nach Natur und po-
sitiven Erlebnissen.
Eine stilisierte Zeichnung einer Biene, die sich die Berliner
Stadtfarben Rot und Weiß übergestreift hat, dient als Eyecat-
cher und Identifikationsobjekt für die Vor-Ort-Initiative »Ber-
lin summt!«. Die Biene erobert als Maskottchen die Herzen
und wirbt als sympathische Botschafterin für mehr biologi-
sche Vielfalt. »Berlin summt!« lädt die Menschen ein, mitzu-
summen (Slogan: »Summen Sie mit?«), anstatt zu appellieren.
Es wird zwar der Rückgang der Bienen thematisiert, gleichzei-
tig inspiriert und mobilisiert die Initiative aber durch ihre posi-
tive Strahlkraft die unterschiedlichsten Menschen. Dieser An-
satz resultiert aus der Erfahrung, dass negative Nachrichten
eher abschreckend als stimulierend wirken.
Das konzertierte Aufstellen von Honigbienenvölkern auf
repräsentativen Dächern der Hauptstadt ab dem Jahr 2011
diente dem Zweck, Führungskräfte aus unterschiedlichen ge-
sellschaftlichen Gruppen für die Wichtigkeit biologischer Viel-
falt zu interessieren. Die Ökosystemleistungen der Bestäuber
waren dabei Dreh- und Angelpunkt. Die Führungspersönlich-
keiten lernten, dass Biene nicht gleich Honigbiene ist und auch
Letztere mehr kann als Honig zu produzieren. Alle Hausherren
legten mit dem öffentlichen Aufstellen der Bienenstöcke auf
ihren Häusern den Grundstein für ihr weiteres Engagement
und ihre Multiplikatorenfunktion hinein in ihr »Klientel«. Der
Berliner Dom steht dabei stellvertretend für »Kirche« und Be-
wahrung der Schöpfung, das Abgeordnetenhaus für »Politik«
und Volksvertretung, die Staatsoper für »Kultur« usw.
Den Medienberichten folgten Interessenbekundungen von
Imkern, Gärtnern, Kulturschaffenden, Wissenschaftlern und
anderen Gruppierungen. In Berlin stieg das Interesse am
Thema »Bienen« rapide an, was sich statistisch u. a. am Zu-
wachs der Jungimker von 2012 auf 2013 um 15 % festmacht.
Als Mobilisierungsmaßnahmen dienen der Initiative v. a. Gar-
tenwettbewerbe, Wanderausstellungen mit Gewinnspielen,
ein Bienenkoffer als Umweltbildungswerkzeug sowie Infor-
mations- und Diskussionsformate (Bienentalk). Weitere Kom-
munikationsmittel werden ständig neu und weiterentwickelt,
wie z. B. ein Benefizkonzert rund um das Thema »Bienen«. In-
zwischen engagieren sich Bienenfreunde aus zwölf Städten
im Rahmen von »Deutschland summt!«; weitere werden fol-
gen. Die Initiative »Deutschland summt!« wurde von exter-
nen Jurys bewertet und u. a. Bundessieger bei der Initiative
»Deutsch land – Land der Ideen« 2013 /14. Sie ist ein Projekt im
Rahmen der UN-Dekade zur biologischen Vielfalt und wurde
2014 mit dem Berliner Naturschutzpreis ausgezeichnet. Infor-
mationen gibt es unter: www.deutschland-summt.de.
schaftspartners, der mit der institutionalisierten Wissen-
schaft eng zusammenarbeitet (Craglia und Granell, 2014;
Finke, 2014).
Die Chancen von Citizen Science werden im Folgenden am
Beispiel möglicher Beiträge von Bürgerinnen und Bürgern
zu wissenschaftlicher Erkenntnis veranschaulicht, konkret
am Beispiel des Monitorings von Ökosystemleistungen und
Biodiversität:
234 wEGE ZUR UMSE TZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 235
Bürgerinnen und Bürgern gute Hilfestellungen, z. B. Bestim-
mungshilfen oder Schulungsmaterial, zur Verfügung gestellt
werden (Dawson et al., 2012; Sheppard und Terveen, 2011).
9.4 STEUERN UND ENTSCHEIDEN
DURCH PLANUNG
Die Diskussion über den Wert städtischer Ökosysteme und
ihrer Leistungen, die Information hierüber sowie die Beteili-
gung von Bürgerinnen und Bürgern sind ohne Zweifel wich-
tig. Allerdings gewährleistet dies alleine noch nicht, dass
Stadtnatur und ihre Ökosystemleistungen angemessen in
Entscheidungen zur Stadtentwicklung berücksichtigt wer
-
den. Um die Chancen hierfür zu erhöhen, ist die Integration
dieses Wissens in räumliche (formelle und informelle) Pla-
nungs- und Entscheidungsprozesse und -instrumente uner-
lässlich. Wie sich diese Instrumente in die Stadtentwicklung
einordnen, zeigt überblicksartig Abbildung 9 – 5.
Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich zunächst
auf die Landschaftsplanung, da diese als querschnittsorien-
tierte Fachplanung des Naturschutzes (von Haaren, 2004) –
im Gegensatz zu vielen Instrumenten der Umweltprüfung –
(a) gleichzeitig flächendeckend ist, (b) für ihre Erstellung kei-
ner Planung oder Projekte Dritter bedarf und (c) einen breiten
Kanon an Themen umfasst. Zudem sind (d) ihre Inhalte durch
andere Planungen zu berücksichtigen; für die Umweltprü-
fungen stellt sie – sofern sie aktuell ist – eine wichtige Daten-
und Bewer tungsgrundlage dar. Daher liegt es nahe, zunächst
zu untersuchen, ob und wie das Konzept der Ökosystem-
leistungen in die Landschaftsplanung integriert werden kann.
In den meisten Bundesländern werden die Inhalte der Land-
schaftsplanung aber erst behörden- bzw. allgemeinverbind-
lich, wenn sie in den Flächennutzungsplan bzw. den Bebau-
ungsplan integriert sind. Daher spielt auch die aus diesen
beiden Planarten bestehende Bauleitplanung eine wichtige
Rolle und bedarf einer genaueren Betrachtung. Ergänzend
werden Möglichkeiten, das Ökosystemleistungskonzept in
die Luftreinhalteplanung sowie in die Freiraumentwicklung
im Rahmen der Stadterneuerung einzubringen, erörtert. Da-
rüber hinaus nimmt die Bedeutung sogenannter informeller
Instrumente in der Stadtentwicklung zu, die nicht rechtlich
vorgeschrieben sind und daher sowohl inhaltlich als auch
verfahrensbezogen sehr flexibel auf bestehende Chancen
und Herausforderungen – auch im Zusammenhang mit Öko-
systemleistungen – reagieren können.
Die Möglichkeiten der Nutzung mobiler Informations- und
Kommunikationsgeräte sind bei Weitem noch nicht aus-
geschöpft. So werden derzeit in dem Projekt »BioDiv2Go«
nach dem Vorbild des Geocachings Geogames entwickelt,
die Menschen animieren, Orte aufzusuchen und »Funde«
zu dokumentieren. Neugier und Entdeckungsfreude wer-
den dabei genutzt, um auf spielerische Weise über biologi-
sche Vielfalt und Ökosystemleistungen zu informieren und
ein Bewusstsein für deren Bedeutung zu wecken. Mit der
Weiterentwicklung von Bild- und Tonerkennungssystemen
ist zu erwarten, dass die Geräte gut unterscheidbare Arten
oder Naturstrukturen künftig automatisch erkennen kön-
nen, wie dies für Sternbilder bereits der Fall ist. Ein Vogel
oder Tagfalter braucht dann nur fotografiert zu werden und
die App identifiziert die Art automatisch. Gleiches gilt für
Vogelstimmen: Das Smartphone wird einfach dort hinge -
halten, wo ein Vogel singt, und der Nutzer erfährt sofort, um
welche Art es sich handelt.
Mit solchen Methoden könnten zukünftig einige Arten leicht
identifiziert werden und entsprechende Daten, über GPS mit
Lagedaten verknüpft, unkompliziert in eine Datenbank ein-
gegeben werden. Das Berliner Museum für Naturkunde hat
vor kurzem Projekte gestartet, bei denen dies systematisch
genutzt werden soll (taz.de, 2014).
Bereits heute ermöglicht eine spezielle Software das auto-
matische Sammeln bestimmter Umweltdaten, wie z. B. Lärm,
indem Smartphone oder Tablet einfach eingeschaltet bleiben
und im Abstand von einigen Sekunden die entsprechenden
Daten an eine zentrale Stelle liefern. Ein Projekt der Techni-
schen Universität Darmstadt hat gezeigt, dass mithilfe sol-
cher »Lärmmess-Spaziergänge« Daten in erheblicher Menge
und Qualität zur Ermittlung der örtlichen Lärmbelastungen
erhoben werden können. Entsprechendes lässt sich mithilfe
spezieller Datenlogger auch für andere Umweltparameter
durchführen, wie z. B. Temperatur, Schadstoffbelastung der
Luft oder Gewässerqualität. Diese können wiederum mit Da-
ten zur Grünausstattung einer Stadt verknüpft werden. Somit
lassen sich Daten über Ökosystemleistungen, z. B. zur Tem-
peraturreduzierung durch Grünräume im Sommer, systema -
tisch und umfassend erheben – und das im Rahmen der Alltags -
aktivitäten der städtischen Bewohnerinnen und Bewohner.
Evaluationen von Citizen-Science-Projekten zeigen, dass
hochwertige Ergebnisse erzielt werden können, wenn die
Anforderungen an die Bestandsaufnahmen einfach und klar
sind, wenn Experten oder Expertensysteme die eingehenden
Daten auf Plausibilität prüfen und wenn den mitwirkenden
Dachverbands der Avifaunisten (DDA, www.dda-web.de)
oder das Tagfaltermonitoring des Umweltforschungszent-
rums Leipzig-Halle (UFZ, http://www.ufz.de/tagfalter-mo
-
nitoring/index.php?de=11064). Weitere Beispiele für Inter
-
netplattformen und mobile Informationsangebote siehe
Infobox 9 – 5.
Durch das Internet und mobile Kommunikationsgeräte er-
geben sich ganz neue Perspektiven und Dimensionen der
Daten -sammlungen durch Bürgerinnen und Bürger, um Öko-
systemleistungen und biologische Vielfalt zu dokumentieren
(Werner und Hacke, 2012). Am »Cornell Lab of Ornithology«
in den USA sind mehr als 200.000 Menschen als »Citizen Sci-
ence Participants« beteiligt, 12 Mio. amerikanische Bürge-
rinnen und Bürger greifen auf dessen Internetangebote zu.
Ähnliche, allerdings deutlich kleinere Beispiele in Deutsch-
land sind das bundesweite Vogelmonitoring des Deutschen
INFOBOX 9 – 5
Beispiele für Citizen-Science-Projekte
Internet
Die »Open Air Laboratories« (OPAL, http://www.opalex-
plorenature.org) in Großbritannien und das »Cornell Lab of
Ornithology« (http://www.birds.cornell.edu) sind besonders
erfolgreiche Internetplattformen von Citizen Science. Sie bie-
ten vielfältige Angebote, die von Information und Bildungs-
angeboten über Bestimmungshilfen für verschiedene Tier-
und Pflanzenarten bis hin zur Mitwirkung an Erhebungen
reichen. Dabei werden auch Wechselwirkungen zwischen bio-
logischer Vielfalt, Grünräumen und anderen Umweltparame-
tern, wie etwa der Luft- und Gewässergüte, an vielen Punkten
sichtbar. Ein besonders gutes Beispiel stellt die Erhebung des
Gesundheitszustands von Bäumen durch OPAL dar. Diese Er-
hebung ist besonders auf den Zustand von Stadtbäumen aus-
gerichtet. In einfachen Schritten erklärt und mithilfe leicht
realisierbarer Standards können die Erhebungen unter Anlei-
tung von Lehrerinnen und Lehrern sogar von Grundschulkin-
dern durchgeführt werden (http://www.opalexplorenature.
org/news/classroom-new-curriculum-guides-scotland). Mit-
hilfe spezieller Programme, wie iSpot »identify wildlife online«
von OPAL, können Laien und Expertinnen, Bürger und Wissen-
schaftler darüber hinaus Daten austauschen.
Viele der frühen Citizen-Science-Projekte untersuchten die
Belastung von Gewässern. Daher gibt es hierzu vielfältige
lokale und regionale Angebote. So laufen unter dem Begriff
»River Watch« global zahlreiche Projekte. In Projekten wie
dem »Thames River Watch«-Projekt werden Bürgerinnen und
Bürger, Schulklassen und Initiativen über die Website http://
www.thames21.org.uk/project/thames-river-watch/ angelei-
tet, Daten zur Wasserqualität, zum Abfallaufkommen und zu
Vorkommen invasiver Arten zu sammeln und zu melden. Im
»Illinois River Watch«-Projekt können sich Freiwillige zu Citi-
zen Scientists zertifizieren lassen. Diese sind dann berechtigt,
Informationen über das Internet in die Datenbank des Staates
Illinois einzuspeisen (http://www.ngrrec.org/).
Mobile Informationsangebote
Der elektronische Freilandführer für Smartphones »Leaf
Snap« in New York (http://leafsnap.com/) identifiziert durch
das Fotografieren der Blätter die wichtigsten Baumarten der
Stadt und stellt Informationen über diese bereit. Es ist mög-
lich, diese Daten mit Angaben zu ökologischen Leistungen
von Grünflächen und einzelner Arten zu verknüpfen. Weitere
mobile Bestimmungshilfen, die quasi den Feldführer in Buch-
form ersetzen, gibt es inzwischen für verschiedenste Tiergrup-
pen und Pflanzen, v. a. für Vögel. Beispiele sind iBird (www.
ibird.com), der NABU-Vogelführer (http://www.nabu.de/
naturerleben/onlinevogelfuehrer/11280.html) oder Birds PRO
HD (http://naturemobile.org/wordpress/projects/apps/).
Dabei werden nicht nur optische, sondern auch akustische Be-
stimmungshilfen angeboten. Die jeweiligen Beobachtungs-
daten können dann in Datenbanken eingespielt werden.
»Loss of the Night« ist eine App der Firma Cosalux GmbH aus
Deutschland, um Lichtverschmutzung bspw. in Städten zu
messen. Diese App wird weltweit vertrieben. Die Ergebnisse
der einzelnen Messungen werden in eine globale Datenbank
eingespeist. Mithilfe dieser Daten sollen Auswirkungen von
Lichtverschmutzungen u. a. auf die menschliche Gesundheit
analysiert werden (vgl. Malykhina, 2013).
236 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 237
Schreiber, 1999; BfN, 2012; von Haaren, 2004; Heiland, 2010).
Hierduch bestehen zahlreiche inhaltliche Überschneidungen
und mögliche Anknüpfungspunkte zwischen der Landschafts-
planung und dem Konzept der Ökosystemleistungen. Diese
Anknüpfungspunkte zu ermitteln und zu nutzen, könnte
dazu beitragen, (1) den Wert von Natur und Landschaft für
die Menschen in formellen Planungsprozessen und -ergeb-
nissen deutlich zu machen sowie (2) diesen Wert in Entschei-
dungen über die künftige räumliche Entwicklung stärker als
bisher zu berücksichtigen.
Bislang liegen allerdings keine systematischen praktischen
Erfahrungen vor, wie dies konkret umgesetzt werden könnte.
Das Konzept der Ökosystemleistungen hat bislang keinen
Eingang in die Landschaftsplanung und in konkrete Land-
schaftspläne gefunden; zu einer der wenigen Ausnahmen
siehe Beispiel 2 am Ende dieses Abschnitts. Daher haben die
folgenden Ausführungen »explorativen« Charakter; sie sol-
len in erster Linie Chancen und Möglichkeiten der Nutzung
des Ökosystemleistungsansatzes für die Landschaftsplanung
ausloten, ohne dabei mögliche Risiken und (noch) beste-
hende Schwierigkeiten zu verschweigen, zu deren Bewälti-
gung sowohl Forschung als auch praktische Erprobung erfor-
derlich sind. Bei diesen Schwierigkeiten handelt es sich um
konzeptionelle Fragen (diese betreffen das Konzept bzw.
verschiedene Konzepte der Ökosystemleistungen, ihre Klar-
heit, Eindeutigkeit und Vermittelbarkeit),
methodisch-instrumentelle Fragen (v. a. nach der Vereinbar-
keit inhaltlicher und methodischer Unterschiede zwischen
Landschaftsplanung und Ökosystemleistungsansatz),
begrenzte Ressourcen (Datengrundlagen, ökonomische
Kompetenzen der für die Landschaftsplanung verantwort-
lichen Akteure sowie finanzielle, zeitliche und personelle
Ressourcen der Stadtverwaltungen),
Gefahren kontraproduktiver Wirkungen, die insbesondere
bei einer Verengung der Argumentation auf den monetä-
ren Wert von Ökosystemleistungen entstehen können.
Umfassendere Ausführungen zu diesen Punkten und An-
sätzen ihrer Bewältigung finden sich in Heiland et al. (2015).
Trotz dieser Einschränkungen sollten die Chancen genutzt
werden, die der Ökosystemleistungsansatz der Landschafts-
planung – und dem beiden gemeinsamen Ziel der Erhal-
tung von »Naturkapital« – im städtischen Raum bietet. Diese
Die Landschaftsplanung
stellt den Naturschutzbehörden einen Handlungs- und Ent-
scheidungsrahmen zur Verfügung,
kann wichtige Bewertungsgrundlagen für Umweltprü-
fungs- und Folgenbewältigungsinstrumente (SUP, UVP,
Eingriffsregelung) liefern und
ihre Inhalte sind in allen raumwirksamen Planungen und
Verwaltungsverfahren, insbesondere der Bauleitplanung
(Flächennutzungsplan, Bebauungsplan) zu berücksichti-
gen und sollen diese aus naturschutzfachlicher Perspek-
tive qualifizieren.
Für den städtischen Raum sind insbesondere der kommu-
nale Landschaf tsplan (mit Bezug zum Flächennutzungsplan)
sowie der Grünordnungsplan (mit Bezug zum Bebauungs-
plan) von Bedeutung, wobei Letzterer eine Kommune nicht
flächendeckend umfasst, sondern in der Regel nur im Rah-
men der Bauleitplanung für (Neu-)Baugebiete erstellt wird.
Aufgrund ihres umfassenden räumlichen und inhaltlichen
Bezugs, ihrer Bedeutung für andere Planungsinstrumente
sowie des hier besonders interessierenden städtischen Kon-
texts konzentrieren wir uns in diesem Abschnit t auf die kom-
munale Landschaftsplanung. Damit sollen Möglichkeiten
und Nutzen der Thematisierung von Ökosystemleistungen
im Kontext anderer naturschutz- und umweltrechtlicher Ins-
trumente keineswegs infrage gestellt werden; diese wurden
ausführlicher im Bericht »Ökosystemleistungen in ländlichen
Räumen: Grundlagen für menschliches Wohlergehen und
wirtschaftliche Entwicklung« (Naturkapital Deutschland –
TEEB DE, 2016a, Kapitel 12) diskutiert.
Landschaftsplanung und Ökosystemleistungen
Bereits heute stellen die Landschaftsplanung bzw. konkrete
Landschaftspläne umfangreiche Informationen und Bewer-
tungen zur Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaus-
haltes und der Landschaft zur Verfügung, die die Naturgüter
Boden, Wasser, Klima, Luft, die biologische Vielfalt sowie
Landschaften und deren Erholungseignung betreffen. Land-
schaftspläne identifizieren naturschutzinterne Konflikte (z. B.
zwischen Artenschutz und Erholung) sowie solche zwischen
Naturschutzinteressen und anderen Landnutzungen; und sie
konkretisieren die im Bundesnaturschutzgesetz festgeleg-
ten Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege für
den jeweiligen Planungsraum. Schließlich formulieren sie
Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele (vgl. u. a. Bastian und
grad auf bis zu vier räumlich-administrativen Ebenen erstellt:
auf Landesebene (Landschaftsprogramm), regionaler Ebene
(Landschaftsrahmenplan), kommunaler Ebene (Landschafts-
plan) und für Teilflächen einer Gemeinde (Grünordnungs-
plan). Im Detail gibt es Unterschiede zwischen den Bundes-
ländern, z. B. beschränkt sich die kommunale Landschafts-
planung in Nordrhein-Westfalen auf den nicht im Zusam-
menhang bebauten Bereich einer Kommune.
Obwohl die Landschaftsplanung in den meisten Bundes-
ländern nicht unmittelbar rechtsverbindlich ist, kann sie Wir-
kung auf mehreren Wegen entfalten.
9.4.1 Formelle planerische Instrumente
Landschaftsplanung
Die Landschaftsplanung ist das einzige formelle Instrument
des Naturschutzes und der raumbezogenen Umwelt vorsorge,
das (1) eine eigenständige »pro-aktive« Planung des Natur-
schutzes erlaubt und nicht ausschließlich auf Planungen oder
Projekte Dritter reagiert, (2) den jeweiligen Planungsraum
flächendeckend behandelt und (3) Bestands- und Zielaussa-
gen zu allen Naturgütern (biologische Vielfalt, Boden, Was-
ser, Klima, Luft, Landschaft) und zur landschaftsgebundenen
Erholung trifft. Je nach Bundesland wird die Landschafts-
planung in unterschiedlichem Maßstab und Detaillierungs -
ABBILDUNG 9 – 5 Formelle und informelle Instrumente im Rahmen der Stadtentwicklung. Der Stadtentwicklung stehen
ver schiedene Instrumente der Stadtplanung und diverser Fachplanungen zur Verfügung. Insbesondere die Landschaftsplanung als
querschnittsorientierte Fachplanung sowie die Umweltprüfung sind eng mit den Instrumenten der Bauleitplanung verknüpft.
(Quelle: eigene Darstellung/Stefanie Rößler; Definitionen nach ARL 2005)
9.5
STADTENTWICKLUNG = unterschiedliche Prozesse der Veränderung der Stadtstruktur, u. a. der
Flächennutzung als räumliche Ausprägung bspw. sozioökonomischer Wandelprozesse
STADTPLANUNG = vorausschauende Lenkung
der räumlichen Entwicklung einer Stadt,
dazu gehören auch Grünräume
Der Stadtplanung stehen verschiedene
Instrumente zur Verfügung, u. a.:
Formelle Instrumente der Bauleitplanung
Flächennutzungsplan
Bebauungsplan
Formelle Instrumente des
Besonderen Städtebaurechts
Sanierung und Entwicklung
Stadtumbau
Informelle Instrumente
(z. B. Stadtentwicklungskonzepte)
FACHPLANUNG, V. A. UMWELTPLANUNG
Der Fachplanung stehen verschiedene
Instrumente zur Anwendung im
Siedlungsbereich zur Verfügung, u. a.:
Landschaftsplanung als Instrument des
Naturschutzes und der Landschaf tspflege
im besiedelten Bereich
Landschaf tsplan
Grünordnungsplan (einige Bundesländer)
Umweltprüfung
Weitere Umweltplanungen
(z. B. Luftreinhalteplan)
Informelle Instrumente
(z. B. Freiraumentwicklungskonzepte)
238 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUN G
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 239
ist dabei allerdings, dass bei den beiden erstgenannten
Methoden lediglich die Kosten ermittelt werden können,
die i. d. R. nicht mit dem Nutzen übereinstimmen, um den
es dem Ökosystemleistungsansatz in besonderer Weise
geht. Diese Möglichkeiten veranschaulichen somit Ansatz-
punkte zur Monetarisierung von Ökosystemleistungen in der
Landschaftsplanung, ohne bereits unmittelbar anwendbare
methodische »Handlungsanleitungen« zu bieten.
Gerade hinsichtlich der Monetarisierung von Ökosystem-
leistungen und deren Anwendung in der Landschafts pla -
nung besteht daher eine Reihe offener Fragen. Es wäre schon
viel erreicht, wenn es gelänge, bereits qualitativ und mit
physisch-räumlich quantitativen Aussagen den Wert von
Ökosystemleistungen und damit von Teilen der Stadtnatur
in das Bewusstsein zu rücken und Entscheidungsprozesse zu
unterstützen. Wie dies möglich ist, zeigen die beiden folgen-
den Beispiele zu menschlicher Gesundheit (als Ergebnis des
Zusammenwirkens vieler Ökosystemleistungen) sowie zur
Regulationsleistung »Kohlenstoffspeicherung«.
Beispiel 1: »Menschliche Gesundheit«
in der Landschaftsplanung
Verschiedene Ökosystemleistungen können wesentlich zur
sozialen, psychischen und physischen Gesundheit des Men-
schen beitragen (vgl. Kapitel 4). Bisher werden solche Leis-
tungen jedoch kaum in der Landschaftsplanung thematisiert,
obwohl dies häufig sehr naheläge (vgl. Rittel et al., 2014).
Denn Erhaltung und Verbesserung des Zustands von Boden,
Wasser, Luft, der biologischen Vielfalt sowie des Orts- und
Landschaftsbildes sind nicht nur Selbstzweck, sondern wich-
tige Voraussetzung für Gesundheitsschutz und Gesundheits-
förderung. Somit können viele Ziele und Maßnahmen der
Landschaftsplanung als Fachplanung des Naturschutzes zu-
gleich positive Auswirkungen auf die menschliche Gesund-
heit haben.
Dies gilt für die landschaftsbezogene Erholung, aber auch
für den Schutz des Bodens (gesunde, schadstofffreie Nah-
rungsmittel) und des Grundwassers (Qualität des Trinkwas-
sers) oder für die Bewertung des Landschaftsbildes, wodurch
ästhetische – und damit gesundheitsrelevante – Potenziale
und Wirkungen von Räumen thematisiert werden. Auch Flä-
chen mit hohem Artenreichtum sind förderlich für die psychi-
sche Gesundheit und charakteristische, naturraumtypische
Biotope und Arten bieten ein Potenzial zur Identitätsstif-
tung mit dem Wohnort. Schließlich sind gerade die Parks
und Grün flächen einer Stadt oft wichtige Stätten für Bewe-
gung, Kommunikation und die Pflege sozialer Beziehungen.
Tonnen pro Jahr und Flächeneinheit, die Temperaturminde-
rung durch städtisches Grün in Grad Celsius, die Reduzierung
von Hochwasserpegeln durch Überschwemmungs flächen
in Zentimeter oder die Nutzerfrequentierung von Parks und
Grünverbindungen in Besucherzahlen pro Jahr. Hier stößt
man jedoch bereits an die Grenzen der Machbarkeit, insbe-
sondere der Datenerheb- bzw. -verfügbarkeit.
Die Monetarisierung auf Basis einer physisch-räumlichen
Quantifizierung ist die am weitesten gehende und aufwen-
digste Möglichkeit, Ökosystemleistungen in der Landschafts-
planung zu behandeln. Sie dürfte vermutlich nur in geringem
Umfang sowohl fachlich sinnvoll als auch methodisch und
vom Aufwand her umsetzbar sein, wenngleich sie keines-
wegs von vornherein auszuschließen ist und bei spezifischen
Fragestellungen – falls machbar – sinnvoll und hilfreich sein
kann. Ein Beispiel ist der Vergleich zwischen Kosten und Nut-
zen des Trinkwasserschutzes durch extensive Landnutzung
einerseits und technischer Trinkwasseraufbereitung anderer-
seits (siehe dazu auch Naturkapital Deutschland – TEEB DE,
2016b). Dieses Beispiel zeigt, dass eine Monetarisierung ins-
besondere beim Vergleich verschiedener Maßnahmenopti-
onen angebracht ist, eine generelle Berechnung des finanzi-
ellen Wertes des gesamten »Naturkapitals« einer Stadt aber
aus unterschiedlichsten Gründen keinen Sinn macht – denn
Trinkwasser als lebensnotwendige Ressource kann in seiner
Summe keinem ökonomischen Kalkül unterworfen werden.
Sofern beabsichtigt ist, eine bestimmte Ökosystemleistung
in Geldwerten auszudrücken, ist daher vorab zu prüfen, (1)
welchen Aufwand dies erfordert, (2) ob es fachlich von Land-
schaftsplanern geleistet werden kann und inwiefern Ökono-
men hinzugezogen werden sollten, (3) wie valide das Ergeb-
nis ist, (4) ob eine solche Monetarisierung tatsächlich zu einer
besseren Entscheidungsfindung beiträgt sowie (5) inwiefern
dies den Stellenwert von Natur und Landschaft gegenüber
anderen gesellschaftlichen Interessen stärkt.
Für die Landschaftsplanung stellt die monetäre Bewertung
von Ökosystemleistungen inhaltlich, methodisch und verfah-
rensbezogen Neuland dar. Erfahrungen bestehen jedoch in
anderen Bereichen, z. B. im Kontext von Landschaftspflege-
programmen (Grunewald und Syrbe, 2013), durch den Her-
stellungskostenansatz im Rahmen der Eingriffsregelung
(Köppel et al., 2004; Jessel und Tobias, 2002; vgl. Grünwald
und Wende, 2013, für ein Beispiel im Kontext des Erosions-
schutzes sowie Mathey et al., 2011, für ein Beispiel im Kon-
text der Temperaturregulierung in Städten) oder durch Zah-
lungsbereitschaftsanalysen (vgl. u. a. Bertram et al., 2015;
Grossmann et al., 2010; Meyerhoff et al., 2010). Zu beachten
Argumente und Bewertungen sinnvoll ergänzen, ohne die In-
halte und Methoden der Landschaftsplanung grundsätzlich
zu verändern (Heiland et al., 2015).
Die Landschaftsplanung könnte diesen Ansatz auf dreierlei
Weise implementieren: (1) durch qualitative Aussagen, (2)
durch quantitative Aussagen zu physischen Leistungen von
Ökosystemen bzw. des Naturhaushalts sowie (3) durch Mone-
tarisierung dieser Leistungen. Bisher finden sich in der Land-
schaftsplanung vielfach qualitative Aussagen (Heiland et
al., 2015). In deutlich geringerem Maße trifft sie quantitative
Aussagen, so etwa im Zusammenhang mit Flächengrößen
oder Artenzahlen. Ökosystemleistungen werden explizit bis-
lang nicht erwähnt; monetäre Bewertungen finden sich nur
äußerst selten (vgl. Albert et al., 2012; Grünwald und Wende,
2013). Dies ist nicht negativ zu beurteilen, allerdings wird der
Nutzen, den Mensch und Gesellschaft aus biologischer Viel-
falt, Stadtgrün oder Ökosystemen sowie insbesondere deren
Erhaltung und Entwicklung ziehen können, in vielen Land-
schaftsplänen bisher nur implizit deutlich und kaum explizit
dargelegt. Damit ist für Entscheidungsträgerinnen und Ent-
scheidungsträger i. d. R. nicht leicht ersichtlich, welche gesell-
schaftliche und damit »politisch vermittelbare« Bedeutung
Ökosystemen und ihren Leistungen zukommt.
Dies wäre vielfach bereits durch qualitative Aussagen relativ
einfach möglich: Schutz fruchtbarer Böden vor Schadstoff-
belastung und Erosion sichert eine dauerhafte Nahrungs-
mittelproduktion und gewährleistet sauberes Trinkwas-
ser; unbebaute sowie »naturnahe« Freiflächen ermöglichen
Naherholung; Grünverbindungen fördern den nicht motori-
sierten Individualverkehr und tragen dadurch zur Reduktion
von Luftbelastung und zu Gesundheit durch Bewegung bei;
Straßenbäume spenden Schatten und mildern Temperatur-
spitzen durch Verdunstungskälte; viele Formen von »Grün«
verbessern das Stadtbild ästhetisch. Allein die Erwähnung
solcher Zusammenhänge geht bereits vielfach über die heu-
tige Praxis der Landschaftsplanung hinaus und könnte zu-
mindest deutlich machen, dass es dieser nicht in erster Linie
oder gar ausschließlich um Lebensraum für Tiere und Pflan-
zen, sondern auch um den Lebensraum von Menschen geht.
Dies könnte die Akzeptanz der Landschaftsplanung mögli-
cherweise steigern und ist ohne großen zusätzlichen Auf-
wand umsetzbar (für eine umfassende Auflistung solcher
Argumente vgl. Rittel et al., 2014, S. 85 ff.).
Darüber hinausgehend ist es in der Regel hilfreich – in vielen
Fällen auch erforderlich – qualitative Aussagen durch quanti-
tative Daten zu untersetzen, z. B. durch den Bodenabtrag in
Chancen liegen insbesondere darin, das bisherige »Argu-
mentationsrepertoire« des (Stadt-)Naturschutzes und der
Landschaftsplanung zu erweitern um Aspekte, die deutli-
cher als bisher Wert und Nutzen der Erhaltung oder Neu-
schaf fung von »Natur« für die Stadtbewohnerinnen und -be -
wohner verdeutlichen. Dies kann qualitativ durch die Beto-
nung der Bedeutung und des Nutzens von Stadtnatur für die
Menschen oder auch monetär erfolgen, sofern dieser Nutzen
in Geldeinheiten ausgedrückt werden kann. Wenngleich dies
theoretisch bereits jetzt und ohne jeden Bezug auf Ökosys-
temleistungen (bzw. den Begriff) möglich ist, ist es in konkre
-
ten Landschaftsplänen bisher doch kaum der Fall, wie etwa
Rittel et al. (2014) am Beispiel des Themenfelds Gesundheit
zeigen. Diese Einschätzung wird exemplarisch belegt durch
eine entsprechende Auswertung des Landschaftsplans der
Stadt Freiburg (Heiland et al., 2015), auch wenn diese nicht
repräsentativ ist.
Wie kann nun eine Berücksichtigung oder gar Integration
von Ökosystemleistungen in der kommunalen Landschafts-
planung konkret aussehen? Aufgrund der Geschichte der
Landschaftsplanung, ihres heterogenen, aber doch einge-
spielten Methodenrepertoires, ihres rechtlichen Rahmens
sowie konzeptioneller Unterschiede zum Ökosystemleis-
tungsansatz ist es wenig aussichtsreich, die Landschafts-
planung zu einer »Ökosystemleistungsplanung« entwickeln
zu wollen, die systematisch alle Ökosystemleistungen bear-
beitet. Vielmehr erscheint es sinnvoll, machbar und realis-
tisch, Landschaftspläne durch »Add-ons« oder »Ökosystem-
leistungsmodule« zu ergänzen, wo es möglich, erforderlich
oder hilfreich ist und der Plan dadurch inhaltlich qualifiziert
und durch zusätzliche entscheidungsrelevante Argumente
ergänzt werden kann. Dies kann sich – je nach den örtlichen
Erfordernissen und Möglichkeiten – auf ganz unterschied-
liche Themen bzw. Ökosystemleistungen beziehen, ohne
dass damit der Anspruch einer umfassenden und systema-
tischen Behandlung aller denkbaren Ökosystemleistungen
verbunden ist: Wasserrückhaltung und Hochwasserschutz,
Reduzierung des städtischen Hitzeinsel-Effekts zum Schutz
der menschlichen Gesundheit, Klimaschutz durch Speiche-
rung von Treibhausgasen, Ermöglichen von Naturerleben
und Erholung in Städten u. a. m. Zwei Beispiele (menschli-
che Gesundheit, Kohlenstoffspeicherung), die zeigen, wie
dies konkret erfolgen kann, finden sich am Ende dieses Ab-
schnitts. Solche »Add-ons« wären ein pragmatischer, relativ
leicht umsetzbarer, problem- und zielorientierter Ansatz, der
an die jeweiligen lokalen Möglichkeiten (Daten, Ressourcen)
und Erfordernisse (Problemlagen) anzupassen ist. So würde
die Thematisierung von Ökosystemleistungen herkömmliche
240 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGR ATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 241
9.6
Treibhausgas-Freisetzung
(Tonnen CO2-Äquivalente
pro Hekt ar und Jahr)*:
Siedlungs-, Gewerbe- und
Verkehrsflächen
Acker auf entwässer tem
Niedermoorboden
Intensivgrünland auf
entwässertem
Niedermoorboden
Forst auf ent wässertem
Niedermoorboden
Extensivgrünland auf
entwässertem
Niedermoorboden
Acker und sonstige Flächen mit
intensiver Bodenbearb eitung
auf Mineralbo den
Naturnahe Niedermoor e,
Röhrichte, Bruchwälder, Nasswiesen
+ 296,7
+ 43,3
+ 20,6
+ 17,4
+ 16,2
+ 2,6
+ 0,4
Treibhausgas-Bindung
(Tonnen CO2-Äquivalente
pro Hekt ar und Jahr)*:
Grünland, Ruderal-
und Grünflächen auf
Mineralboden
Wald und waldähnliche
Flächen auf Mineralboden
* Durchschnittswer te
Kartengrundlage : Topographische
Karten 1: 25.000: 2029, 2030, 2031 ,
2129, 2130, 2131, 2229 , 2230.
Copyright: Landesvermessungsamt
Schleswig-H olstein 2007
- 2,2
- 8,5
Leistung« (Stadt Lübeck, 2013, S. 39). Auch wenn der Plan
damit lediglich einen weiteren Handlungsbedarf formuliert,
den er selbst nicht einlösen kann, so macht er damit doch
als einer der ersten Landschaftspläne in Deutschland einen
wichtigen Schritt auf dem Weg zur Integration des Themas
Ökosystemleistungen in die Landschaftsplanung.
Auch wenn entsprechende Aussagen im thematischen Land-
schaftsplan selbst nicht formuliert sind, enthält dieser Plan
ein Kapitel »Regionale Wirtschaft und Ökosystemleistun-
gen«, an dessen Ende es heißt: »Die Berechnung der Öko-
systemleistungen für Lübeck sollte umgehend begonnen
werden, sie kann jedoch im Rahmen der Landschaftsplanung
nicht erbracht werden und wäre eine eigene gutachterliche
Möglichkeiten, Gesundheit in der Landschaftsplanung zu
thematisieren (Rittel et al., 2014).
Beispiel 2: Kohlenstoffspeicherung als Thema
des Landschaftsplans der Stadt Lübeck
Durch die Landschaftsplanung können Flächen mit beson-
derer Speicher- oder Senkenfunktion für Treibhausgase er-
mittelt, bewertet und dargestellt werden, um den Beitrag
von Ökosystemen zum Klimaschutz aufzuzeigen, zu erhal-
ten und ggf. zu verbessern. Der Entwurf des »Thematischen
Landschaftsplans Klimawandel in Lübeck. Vorsorge- und An-
passungsmaßnahmen für die Landnutzungen« (Hansestadt
Lübeck, 2013) zeigt vorbildhaft, wie dies erfolgen kann: Der
Plan enthält eine kartografisch dargestellte Bewertung der
Klimawirksamkeit aller Flächen der Stadt Lübeck (siehe Ab-
bildung 9 – 6) und stellt somit dar, welche Flächen Treibhaus-
gase speichern und fixieren, und welche Flächen Treibhaus-
gase freisetzen. Zugrunde gelegt wurden dabei Werte zur
CO2-Senkenkapazität verschiedener Ökosysteme bzw. Land-
nutzungstypen, die in einem vom Bundesamt für Natur-
schutz geförderten Forschungsvorhaben ermittelt worden
waren (von Haaren et al., 2010). Wenngleich diese Werte er-
hebliche Spannen aufweisen, erlaubt dieses Vorgehen doch
eine erste Abschätzung der positiven und negativen Klima-
wirksamkeit von Flächen, die mit geringem Aufwand zu er-
mitteln ist. Die Hansestadt Lübeck leitete daraus Maßnah-
men zum Klimaschutz im Rahmen der Landnutzung ab, z. B.
Verzicht auf Bebauung in Niederungen, Renaturierung de
-
gradierter Moore und Feuchtgebiete, Neuentwicklung von
Wald, Erhaltung von Grünland oder Aufgabe von Ackerbau
in Senken mit schweren, undurchlässigen Böden. Das durch
diese Maßnahmen erzielbare Treibhausgas-Einsparpotenzial
wurde ebenfalls berechnet und in einer Karte flächenbezo-
gen dargestellt (siehe Abbildung 9 – 7). Zudem stellte die
Stadt einen Vergleich der Kosten unterschiedlicher Maßnah-
men zur Reduktion von CO2-Emissionen an. Dabei zeigte sich:
Die vegetations- und flächenbezogenen Maßnahmen schnei-
den besonders gut ab.
Dem thematischen Landschaftsplan ging ein »Fachkonzept
zur Anpassung der Landnutzungen an den Klimawandel in
Lübeck« (2009) voraus, das eine Monetarisierung der Öko-
systemleistung »CO2-Bindung« vornahm, indem es CO2-Bin-
dung und Emissionshandel in Beziehung setzte: »Bei dem
derzeitigen Preis von ungefähr 15 € pro Tonne CO2-Emission
(Stand Mai 2009) entsprechen die in Lübeck vorhandenen ca.
2.200 ha naturnahen Wälder einer Bindung von ca. 90.000 t
CO2 pro Jahr, was im Emissionsrechtehandel einem Wert
von 1,4 Mio. € entspricht« (Hansestadt Lübeck, 2009, S. 4).
Nach Rittel et al. (2014) bestehen drei Möglichkeiten unter-
schiedlicher inhaltlicher und methodischer Intensität und
Reichweite, um Gesundheitsaspekte systematisch in die
kommunale Landschaftsplanung zu integrieren und damit
die gesundheitsrelevanten Leistungen städtischer Grün-
räume und Ökosystemen deutlich zu machen.
(1) Gesundheit als Schutzgut der Strategischen Umweltprü-
fung der Landschaftsplanung: Sofern für die Landschafts-
planung eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchzu-
führen ist, sind die positiven und negativen Auswirkungen
der Ziele und Maßnahmen des Plans auf die Gesundheit
darzulegen. Damit werden negative gesundheitliche Wir-
kungen nach Möglichkeit vermieden; positive Effekte der
Landschaftsplanung für die Gesundheit können aufge-
zeigt werden.
(2) Gesundheit als Begründungszusammenhang landschafts-
planerischer Ziele: Diese Möglichkeit ähnelt der ersten, ist
jedoch auch ohne die Pflicht zu einer SUP möglich. Es geht
darum, die zwar vorhandenen, aber bislang nicht expli-
zit benannten positiven Wirkungen von Zielen und Maß-
nahmen der Landschaftsplanung auf die menschliche
Gesundheit darzulegen.
(3) Gesundheit als eigenständiges »Schutzgut« der Land-
schaftsplanung: Hier werden gesundheitliche Aspekte
nicht nur geprüft oder als weiteres Argument für natur-
schutzfachliche Ziele verwendet, sondern es werden da-
rüber hinausgehend originäre Ziele und Maßnahmen zur
Gesundheitsförderung entwickelt.
Es ist der Entscheidung der jeweiligen Kommune überlassen,
ob sie einen über die SUP hinausgehenden Ansatz verfolgen
will. Als sinnvoll erscheint dies, wenn in einer Kommune be-
sondere Gesundheitsbelastungen auftreten; wenn sich auf-
grund der Alterung der Gesellschaft sowie aufgrund des
Klimawandels künftig bestimmte Krankheitsbilder und Ge-
sundheitsbelastungen verstärken werden; wenn gesundheit-
liche Fragen in der Bevölkerung intensiv diskutiert werden
oder wenn die Kommune als Kur- oder Badeort in besonde-
rer Weise vom Tourismus abhängig ist. Grundvoraussetzung
ist immer, dass die entsprechenden Faktoren durch Ziele
und Maßnahmen der Landschaftsplanung beeinflusst wer-
den können.
Einen Überblick zu gesundheitlichen Wirkungen von Stadtna-
tur gibt Kapitel 4. Der Endbericht des Forschungsvorhabens
»Grün, natürlich, gesund. Die Potenziale multifunktionaler
städtischer Räume« veranschaulicht darüber hinausgehende
ABBILDUNG 9 – 6 Thematischer Landschaftsplan Lübeck, Entwurf: Treibhausgaswirksamkeit der aktuellen Landnutzungen.
(Quelle: Hansestadt Lübeck, 2013)
242 wEGE ZUR UMSE TZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 243
(1) Nach § 1(5) BauGB sollen die Bauleitpläne dazu beitragen,
eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürli-
chen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln,
den Klimaschutz und die Klimaanpassung zu fördern so-
wie das Orts- und Landschaftsbild zu erhalten und zu ent-
wickeln. Dies verdeutlicht, dass die Bauleitplanung ganz
explizit die Aufgabe hat, Umweltbelange zu berücksichti-
gen. Diese Umweltbelange könnten, zumindest teilweise,
auch in Form von Ökosystemleistungen dargestellt wer-
den. Praktische Erfahrungen bzw. konzeptionelle Überle-
gungen, wie dies konkret geschehen könnte, existieren
bislang allerdings nicht.
(2) In den meisten Bundesländern erhalten die Aussagen
der Landschaftsplanung erst dann Behörden- bzw. Rechts-
verbindlichkeit, wenn und sofern sie in den Raumord-
nungs- bzw. Bauleitplan der jeweiligen räumlichen Ebene
integriert werden. Dabei werden die Belange des Natur-
schutzes bzw. der Landschaftsplanung mit anderen raum-
relevanten Belangen abgewogen. Der kommunale Land-
schaftsplan ist in den Flächennutzungsplan zu integrieren,
der Grünordnungsplan in den Bebauungsplan. Nicht ab-
wägbar sind lediglich Belange des Artenschutzes und von
Natura 2000 (FFH- und Vogelschutzgebiete) sowie die
nachrichtlich zu übernehmenden Schutzgebiete nach
Naturschutzrecht.
(3) Unter anderem um den in § 1(5) BauGB genannten Anfor-
derungen gerecht zu werden, unterliegen Bauleitpläne –
zumindest die Flächennutzungspläne – i. d. R. der Pflicht
zur Umweltprüfung (Ausnahmen bestehen allerdings für
vereinfachte Verfahren nach § 13 BauGB sowie für Bebau-
ungspläne der Innenentwicklung nach § 13a BauGB). Hier-
bei werden die potenziellen positiven und negativen Aus-
wirkungen des Plans auf Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser,
Luft, Klima, Landschaft und biologische Vielfalt, Kultur-
und Sachgüter sowie auf den Menschen und seine Ge-
sundheit sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen
Schutzgütern ermittelt und bewertet. Auch dies könnte
sich auf konkrete Ökosystemleistungen beziehen. Da
diese jedoch nicht exakt den eben genannten gesetzlich
vorgeschriebenen Schutzgütern entsprechen bzw. sich
diesen nicht eindeutig zuordnen lassen, bedarf es auch
hier noch weitergehender wissenschaftlicher Erforschung
und praktischer Erprobung.
(4) In den Bauleitplänen können Grünflächen verschiedener
Nutzungskategorien und Flächen für Maßnahmen zum
Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur
Bebauungspläne nur für Teilflächen der Kommune (vgl. u. a.
Schmidt-Eichstädt, 2010). Die Bauleitplanung ist damit das
zentrale Instrument der Stadtplanung zur Steuerung (1) der
gesamtstädtischen Flächennutzungs- und damit auch Frei-
raumstruktur und (2) der Gestaltung von Neubauprojekten
auf teilstädtischer Ebene.
Die hohe Bedeutung der Bauleitplanung für die Erhaltung
und Entwicklung von Natur und Landschaft, biologischer
Vielfalt und damit von Ökosystemleistungen ergibt sich v. a.
aus folgenden Gründen:
ABBILDUNG 9 – 7 Thematischer Landschaftsplan Lübeck, Entwurf: Treibhausgas-Einsparpotenzial der empfohlenen Maßnahmen.
(Quelle: Hansestadt Lübeck, 2013)
9.7
Vermeidung von
Treibhausgas-Freisetzung
Naturnahen Wald auf Mineralboden
erhalten bzw. naturfernen Wald
renaturieren (Umwandlung zu
Bauland verhindern)
Extensivgrünland auf entwässertem
Niedermoorboden erhalten
(Nutzungs intensivierung zu Acker
verhindern)
Naturnahe Moore, Röhrichte und
Bruchwälder, Nass- und Feuchtgrün-
land auf Niedermoorb oden erhalten
(Nutzungsänder ung zu Bauland /Acker
verhindern)
*Durchschnittswerte
Kartengrundlage : Topographische Karte n 1:25.000:
2029,
2030,2031, 2129, 2130 , 2131, 2229, 2230.
Copyright: Landesvermessungsamt Schleswig-
Holstein 2007
11,1
27,1
42,9
- 27,1
- 17,0
- 15,8
- 11,1
- 4,4
Treibhausgas-Bindung
Acker auf Niedermoor boden zu Extensiv-
grünland entwickeln
Wald auf Niedermoorb oden zu Bruchwald
renaturieren (wiedervernässen )
Extensivgrünland auf entwässertem
Niedermoorb oden zu naturnahem Moor,
Röhricht, Bruchwald oder Nass grünlan d
renaturieren (wiedervernässen )
Acker zu naturnahem Wald entwickeln
Intensivgrünland auf entwässertem
Nie dermoorboden zu extensivem
Grünland entw ickeln
und Landschaft dargestellt (§ 5, Nr. 2 BauGB) bzw. festge-
setzt (§ 9, Nr. 1 BauGB) werden. In Bebauungsplänen kön-
nen ergänzend dazu für einzelne Flächen oder bauliche
Anlagen Anpflanzungen festgesetzt werden. Mit der An-
wendung dieser Darstellungs- bzw. Festsetzungskatego-
rien können die Belange von Natur und Landschaft, bio-
logischer Vielfalt und Ökosystemleistungen im Sinne der
Flächensicherung im Zuge der Stadtentwicklung abgesi-
chert und in die Gestaltung neuer Baugebiete integriert
werden. Darüber hinaus sind die Darstellungs- bzw. Fest-
setzungskataloge nicht abschließend (Hinzen und Bun-
zel, 2000). Das heißt, grundsätzlich ist es möglich, unter
Berücksichtigung der Aufgaben des Flächennutzungs-
plans und der für den Bebauungsplan geregelten Fest-
setzungsmöglichkeiten, weitere Darstellungskategorien
zu entwickeln und anzuwenden. So könnte künftig stär-
ker die Möglichkeit genutzt werden, auch über die Integ-
ration der Landschaftsplanung hinaus die räumlichen Vo-
raussetzungen zur Erbringung von Ökosystemleistungen
in der Bauleitplanung zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund bestehen verschiedene Möglich-
keiten, Ökosystemleistungen auch in der Bauleitplanung zu
thematisieren. Als Beispiel hierfür findet sich in Kapitel 3.5.3
der Bebauungsplan einer Wohnsiedlung in Aachen, der Mög-
lichkeiten zur Reduzierung des Oberflächenabflusses durch
Grünflächen aufzeigt, ein weiteres ist in Infobox 9 – 6 be-
schrieben.
Luftreinhalteplanung
Neben den Instrumenten der Bauleitplanung und der Land-
schaftsplanung können auch Instrumente weiterer umwelt-
bezogener Fachplanungen zum Einsatz kommen, um Öko -
system leistungen in der Stadtentwicklung stärker zu berück-
sichtigen.
In Luftreinhalteplänen nach § 47 BImSchG werden langfris-
tige Maßnahmen zur dauerhaften Verhinderung von unzu-
lässigen Luftverunreinigungen festgelegt. Zur Einhaltung
von Immissionsgrenzwerten kann auch städtische Vegeta-
tion beitragen, da sie in der Lage ist, Luftschadstoffe zu bin-
den, damit aus der Luft zu filtern und hierdurch die Luftqua-
lität zu verbessern (vgl. hierzu Kapitel 3.3). So werden bspw.
im Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt Dresden (2011)
qualitative Maßnahmen zum Schutz und zur Ausweitung des
Stadtgrüns vorgesehen: In Verbindung mit der Landschafts-
und Bauleitplanung sollen Kaltluftentstehungsflächen und
Luftleitbahnen gesichert sowie der Anteil von »Grün« in
der Stadt erhöht werden. Hierfür werden folgende konkrete
Bauleitplanung
Die Bauleitplanung ist im Baugesetzbuch (BauGB) geregelt.
Sie hat die Aufgabe, die bauliche und sonstige Nutzung der
Flächen einer Gemeinde vorzubereiten und zu leiten. Damit
werden durch die Bauleitplanung auch Grünflächen im Sied-
lungsbereich verortet und gesichert. Bauleitpläne sind der
behördenverbindliche Flächennutzungsplan (vorbereitender
Bauleitplan) und der allgemeinverbindliche Bebauungsplan
(verbindlicher Bauleitplan). Der Flächennutzungsplan wird
für das gesamte Stadt- bzw. Gemeindegebiet aufgestellt (ein-
schließlich der nicht besiedelten Flächen, Ausnahme NRW),
244 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGR ATIo N VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENT wICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 245
und damit verbunden für den Schutz von Biodiversität und
Ökosystemleistungen.
Die Vielfalt der von der Stadtnatur ausgehenden Ökosystem-
leistungen, und dabei insbesondere der kulturellen Leistun-
gen, lässt sich mit den vorhandenen formellen Planungsan-
sätzen zur Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes
nur unzureichend adressieren. Der Vorteil informeller An-
sätze und Instrumente liegt in ihrer grundsätzlich offenen
Agenda und damit der Möglichkeit einer passgenauen in-
haltlichen und prozessbezogenen Ausrichtung auf spezifi-
sche Belange, wie z. B. auf die Integration von Ökosystemleis-
tungen in stadtplanerische Entscheidungen. Wenngleich aus
solchen informellen Ansätzen keine verbindliche Steuerungs-
wirkung und Umsetzung hervorgeht, so kann ein freiwilliger,
aber in Verwaltung, Stadtpolitik und Bürgerschaft breit ver-
ankerter Ansatz zu einer hohen Wertschätzung und strate-
gischen Bedeutung der jeweiligen Belange in Diskussionen
und Entscheidungen zur Stadtentwicklung beitragen. Hier-
bei ist es entscheidend, dass die Inhalte unter breiter Betei-
ligung aller relevanten Akteure entwickelt werden und sich
deren Belange in den Inhalten widerspiegeln, damit sie sich
mit dem Ergebnis identifizieren können und sich zur Umset-
zung gewissermaßen verpflichten (Levin-Keitel und Sonder-
mann, 2014).
Zur Ergänzung der formellen Planwerke der Bauleitplanung
und als Voraussetzung für einen abgestimmten Einsatz von
Städtebaufördermitteln spielen integrierte Stadtentwick-
lungskonzepte oder städtebauliche Entwicklungskonzepte
eine zunehmend wichtige Rolle für die Stadtplanung. As-
pekte der Grün- und Freiraumentwicklung werden häufig
thematisiert und mit eigenen Fachkonzepten untersetzt (Blä-
ser et al., 2012; Franke und Strauss, 2010). Zudem werden klas-
sische freiraumplanerische Ansätze, wie Grüne Ringe und
Netze heute wieder verstärkt unter dem Schlagwort grüner
Infrastruktur aufgegriffen. Dabei geht es darum, Ökosys-
temleistungen in ihren räumlichen Strukturen und in ihrem
Versorgungscharakter für die menschliche Gesundheit zu
verstehen und entsprechend planerisch zu erhalten bzw. wei-
terzuentwickeln (vgl. Tzoulas et al., 2007). Derartige Konzepte
sollten künftig noch stärker zur integrierten Betrachtung der
Förderung von Ökosystemleistungen genutzt werden.
Stadtökologische Belange können durchaus auch Inhalt von
Planwerken und Strategien mit vorrangig anders gelagerter
thematischer Ausrichtung sein. Klimaanpassungskonzepte
bspw. enthalten häufig eine Vielzahl von Maßnahmen zur
Stärkung des Stadtgrüns (siehe Infobox 9 – 7).
Gestaltung des Orts- und Landschaftsbilds verbessert und
den Erfordernissen des Denkmalschutzes Rechnung getra-
gen wird.« In dieser Auflistung werden zahlreiche Bezüge zu
Ökosystemleistungen deutlich. Indem die Ökosystemleistun-
gen in ihrer Bedeutung für das Wohlbefinden der Stadtbe-
völkerung ins Bewusstsein gerückt werden, wird die hohe Be-
deutung grüner Freiräume für die Umsetzung der Ziele von
Sanierung, Entwicklung und Umbau im städtebaulichen Be-
stand offensichtlich.
Entsprechend sollte die Begrünung und damit die Förde-
rung von Ökosystemleistungen in bestehenden Stadtge-
bieten im Rahmen der Stadterneuerung unterstützt werden.
Mit den Instrumenten der städtebaulichen Sanierung und
des Stadtumbaus (besonderes Städtebaurecht nach § 136 ff.
und § 171a ff. BauGB) können grünplanerische Maßnahmen
auch in Bestandsquartieren umgesetzt werden (Rößler und
Albrecht, 2015). Damit können Gelder aus den unterschiedli-
chen Städtebauförderprogrammen des Bundes und der Län-
der für kommunale Baumpflanzungen, Entsiegelungsmaßna-
men oder die Anlage von Stadtteilparks genutzt und damit
biologische Vielfalt gefördert und Ökosystemleistungen er-
halten oder verbessert werden. Insbesondere im Rahmen
des Stadtumbaus können durch Rückbau entstandene Frei-
flächen dauerhaft oder zeitweilig als Grünflächen genutzt
Maßnahmen benannt: Begrünung verdichteter Stadtgebiete
inklusive Bauwerksbegrünung, Erhaltung und Ausweitung
des Straßenbaumbestandes sowie Entsiegelung und Begrü-
nung von Hinterhöfen (Mathey et al., 2011).
Freiraumentwicklung im Rahmen der Stadterneuerung
Stadtentwicklung in Deutschland findet v. a. im städtebauli-
chen Bestand statt. Dessen Sanierung, Entwicklung und Um-
bau im Rahmen der Stadterneuerung stellt damit ein zentra -
les Handlungsfeld für die Berücksichtigung von Ökosystem -
leistungen im Rahmen von Stadtentwicklungsprozessen dar
(BfN, 2015). Die Entwicklung des städtebaulichen Bestandes
ist v. a. im Rahmen des Besonderen Städtebaurechts des Bau-
gesetzbuches geregelt. Nach BauGB § 136, Abs. 4, dienen
städtebauliche Sanierungsmaßnahmen dem Wohl der Allge-
meinheit. »Sie sollen dazu beitragen, dass (1) die bauliche
Struktur in allen Teilen des Bundesgebiets nach den allge-
meinen Anforderungen an den Klimaschutz und die Klima-
anpassung sowie nach den sozialen, hygienischen, wirt-
schaftlichen und kulturellen Erfordernissen entwickelt wird,
[…] (3) die Siedlungsstruktur den Erfordernissen des Umwelt-
schutzes, den Anforderungen an gesunde Lebens- und Ar-
beitsbedingungen der Bevölkerung und der Bevölkerungs-
entwicklung entspricht oder (4) die vorhandenen Ortsteile
erhalten, erneuert und fortentwickelt werden, die
INFOBOX 9 – 6
Berücksichtigung von Stadtklimazielen in der Bauleit- und Grünplanung: Beispiel Neuss (Silke Wissel, Tobias Herbst)
(gekürzt und geringfügig verändert; aus: Bündnis »Kommunen für biologische Vielfalt e. V.«, BfN und DUH)
1988 begann die Stadt Neuss mit Stadtklimauntersuchungen
und der Erstellung eines Stadtklimakatasters. Mithilfe ver-
schiedenster Messungen wurden lokale Windsysteme ermit-
telt, städtische Wärmeinseln abgegrenzt sowie Kaltluftent-
stehungsgebiete und Ventilationsschneisen identifiziert. Die
Ergebnisse sind in eine Klimafunktionskarte eingeflossen und
wurden in geografische Informationssysteme eingespeist. Es
entstanden Planungshinweiskarten, die sowohl bei der Aus-
weisung von Siedlungsflächen als auch bei der Grünplanung
zur Anwendung kommen.
Beispielhaft hierfür ist die Umgestaltung des Rennbahnpark-
geländes nahe der Neusser Innenstadt. Die 39 ha große Grün-
fläche wurde 2008/2009 für Freizeit, sportliche Aktivitäten
und kulturelle Veranstaltungen geöf fnet, durch die Neuanlage
von Feucht- und Trockenbiotopen, extensiven Mähwiesen und
einzelnen gliedernden Hochstaudenfluren ökologisch aufge-
wertet und in ihrer Funktion als Frischluftschneise und Kalt-
luftproduktionsfläche gesichert. Die bisherigen Nutzungen
ließen sich erhalten und durch die Neuansiedlung dienstleis-
tungs- und forschungsorientierter Unternehmen ergänzen.
Das erfolgte auf der Basis eines Bebauungsplans. Bei der Ge-
samtplanung kam dem klimatischen Ausgleich eine zentrale
Bedeutung zu. Aus diesem Grund achtete die Stadt bei den
landschaftsbaulichen Maßnahmen sowie der neuen Bebau-
ung darauf, dass die abkühlende Wirkung der Fläche sowie
die Frischluftzufuhr der Innenstadt erhalten blieben. Entstan-
den ist eine multifunktionale Fläche: Lebensraum für viele
Tier- und Pflanzenarten, Möglichkeiten für Sport, Spiel und
Entspannung, Gewerbeflächen sowie eine innerstädtische
Kaltluftproduktionsfläche als Bestandteil eines Frischluft-
korridors.
werden (Rößler, 2010). Seit dem Jahr 2015 werden Maßnah-
men zur Umsetzung von Grün- und Freiräumen explizit als
förderungsfähig in den Programmen der Städtebauförde-
rung benannt (BMUB, 2015). Wenngleich damit nicht dezidiert
Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität bzw. der Öko-
systemleistungen angesprochen werden, so können entspre-
chende Maßnahmen durchaus im Rahmen dieser Programme
umgesetzt werden. So wurde bspw. im Rahmen der Förder-
kulisse »Soziale Stadt« in der Großwohnsiedlung Dresden-
Prohlis das Projekt »Kleinbiotope« umgesetzt. Initiiert durch
einen lokalen Umweltbildungsträger, das Umweltzentrum
Dresden e. V., wurden Brachflächen im Wohngebiet gemein-
sam mit Anwohnern zu Kleinbiotopen umgestaltet. So konn-
ten vielfältige Lebensräume und Strukturreichtum in einer
sonst recht gleichförmigen Freiraumstruktur entwickelt wer-
den. Gleichzeitig wird Naturerleben, Umweltwissen und so-
ziale Integration im Stadtteil gefördert (Umweltzentrum
Dresden, 2015).
Die öffentlichen Investitionen im Rahmen von Förderpro-
grammen des Bundes und der Länder für öffentliche Frei-
räume und Stadtgrün lohnen sich. Die Aufwertung von be-
nachteiligten Stadtquar tieren mit Stadtgrün und die damit
erbrachten Ökosystemleistungen können private Investiti-
onen in den Wohnungsbestand und Neubau anregen, die
i. d. R. um ein Vielfaches höher liegen als der öffentliche Mit-
teleinsatz. So werden die Anstoßeffekte für private Investi-
tionen aus allen Maßnahmen im Rahmen der Städtebauför-
derprogramme mit einem durchschnittlichen Multiplikator
von ca. 7 angegeben. Das heißt durch Bündelungs- und An-
stoßeffekte werden je eingesetztem Euro von Bund und
Land ca. 7 € aus öffentlicher und privater Hand in einem
Fördergebiet investiert (BMVBS, 2011). Die Entwicklung von
Stadtgrün hat abhängig vom konkreten Programm und den
jeweiligen Konzepten für die Fördergebiete Anteil an diesen
Folgeinvestitionen.
9.4.2 Informelle planerische Konzepte
und Instrumente
Warum informelle Instrumente?
In Ergänzung oder auch zur Vorbereitung formeller Planun-
gen (Bauleit- und Landschaftsplanung) können informelle
Planungsansätze (z. B. Grünflächenentwicklungskonzepte,
Kommunale Biodiversitätsstrategien) dazu dienen, spezifi-
sche Herausforderungen kooperativ und ressortübergrei-
fend zu bearbeiten, die sich im »Korsett« formeller Instru-
mente nur schwer in geeigneter Weise bearbeiten lassen.
Dies gilt auch für Freiraumplanung und Stadtnaturschutz
246 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGR ATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICK LUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 247
INFOBOX 9 – 7
Zusammenwirken formeller und informeller Instrumente zur Freiraumentwicklung: Stadt Dortmund
INFOBOX 9 – 8
Informelle Instrumente im Rahmen des Stadtumbaus Ost: Von der Brache zum lebendigen Stadtteilpark (Lene-Voigt-Park)
im Leipziger Osten (Miriam Brenck, Torsten Wilke)
Die Grundlage der Dortmunder Freiraumentwicklung auf
gesamtstädtischer Ebene bilden ein Freiraumentwicklungs-
programm und ein Radial-Konzentrisches Freiraummodell,
welches die angestrebte Freiraumstruktur abbildet (Stadt
Dortmund, 1984; Stadt Dortmund / Umweltamt, 1998). Inner-
halb dieses strategischen Rahmens wurden mehrere planeri-
sche Instrumente erarbeitet, die jeweils verschiedene räumli-
che und inhaltliche Schwerpunkte abdecken. Hervorzuheben
ist dabei der Umweltplan (Stadt Dortmund / Umweltamt,
2002), welcher die ökologischen Belange (Boden, Wasser,
Klima, Pflanzen, Tiere und Landschaft) erfasst, bewertet und
in Texten und Karten die ökologische Bedeutung städtischer
Flächen und deren Nutzbarkeiten darstellt. Er dient als um-
weltplanerisches Informations- und Planungsinstrument. Der
gesamtstädtische Umweltplan wird mit den sog. »Stadtgrün-
Plänen« um gesellschaftliche Anforderungen an die grünen
Freiräume im Siedlungsbereich ergänzt. Die »StadtgrünPläne«
wurden auf Ebene der Stadtbezirke erarbeitet und stellen An-
gebot und Nachfrage von Grünflächen qualitativ gegenüber,
was u. a. anhand von Sozialindikatoren sowie der Qualität und
Im Rahmen der Stadtentwicklung Leipzig Ost wurde zwischen
1999 und 2004 auf der Brachfläche des »Eilenburger Bahn-
hofs« im Stadtteil Reudnitz ein Stadtteilpark entwickelt. Ziel
war die Aufwertung der angrenzenden Quartiere, die durch
hohen Leerstand und eine schwierige wirtschaftliche und so-
ziale Lage gekennzeichnet sind, sowie die weitere Verdichtung
und Verbindung der Grünflächen im Leipziger Osten (Stadt
Leipzig, 2003). Heute ist der Lene-Voigt-Park ein eindrucks-
volles Beispiel dafür, wie durch gezielte Gestaltung einer be-
stehenden Freifläche die Entwicklung eines Stadtquartiers
positiv beeinflusst werden kann. Neben der Erhaltung der Flä-
che als wichtige Freiluftschneise stehen hier insbesondere
die kulturellen Ökosystemleistungen im Vordergrund, die
das Viertel für die Anwohnerinnen und Anwohner attraktiver
machen. Der Wohnungsleerstand konnte in diesem Quartier
deutlich verringert werden.
Der 1874 errichtete »Eilenburger Bahnhof« lag seit 1942 wei-
testgehend brach und wurde in den Jahren nach 1960 stück-
weise rückgebaut. 1997 erfolgte der Beschluss, die Fläche zum
Stadtteilpark umzugestalten. Nach dem Erwerb des Grund-
stückes durch die Stadt wurde gemeinsam mit Architektin-
nen und Bürgern das Konzept des Lene-Voigt-Parks entwickelt
und abschnittsweise umgesetzt. Schon vor der Fertigstellung
wurde der Park im Jahr 2002 für sein besonderes Konzept un-
ter Einbindung der Bürgerinnen und Bürger mit dem Europä-
ischen Preis für Landschaftsarchitektur ausgezeichnet (Stadt
Leipzig, 2015).
Eine Besonderheit des Grünareals ist seine lineare Struktur, be-
dingt durch die Bahntrasse, die sich vom Stadtzentrum in Rich-
tung Osten erstreckte. Querverbindungen führen in die an-
liegenden Straßen und öffnen den Raum, der als Bahntrasse
bisher die angrenzenden Straßenzüge separierte. Heute stellt
der Park eine beliebte Verbindungsachse zwischen den Quar-
tieren dar.
Die Befragung von Bürgerinnen und Bürgern nach ihren Nut-
zungswünschen hat zu einer Anlage aneinandergereihter
Parzellen unterschiedlicher Gestaltung geführt: Beachvolley-
ballplatz, Kletterwand, Bolzplatz, Tischtennisplat ten, verschie-
dene Kinderspielplätze, ein Hundeauslaufplatz auf der einen
Nutzbarkeit der Einzelflächen erfolgt (Stadt Dortmund/
Regiebetrieb Stadtgrün, 2004). Die Umsetzung dieser infor-
mellen Instrumente erfolgt entweder direkt über die formel-
len Instrumente der Landschafts- und Bauleitplanung oder
indirekt über Integrierte Stadtbezirksentwicklungskonzepte
(siehe Abbildung 9 – 8). Letztere haben in der Dortmunder Pla-
nungspraxis einen hohen Stellenwert, da dort alle informellen
Teilplanungen auf Ebene der Stadtbezirke in einem zentralen
Konzept integriert werden (Stadt Dortmund/Stadtplanungs-
und Bauordnungsamt, 2008). Kennzeichnend für Dortmund
ist dabei, dass die zuständigen Verwaltungsstellen (Stadt-
planungs- und Bauordnungsamt, Umweltamt und Tiefbau-
amt) eng zusammenarbeiten, was die spätere Implementie-
rung der informellen Konzepte erleichtert (Bläser et al., 2012).
Die Stadtbezirkskonzepte integrieren somit alle räumlichen
Belange auf einer kleinmaßstäblichen und damit detaillier-
ten Ebene. Mit diesem Instrument ist es möglich, abstrakte
Konzepte (wie das Freiraummodell) räumlich und inhaltlich zu
konkretisieren, also bspw. das gesamtstädtische Grünsystem
bis in einzelne Wohngebiete hinein zu ergänzen.
und Patenschaftsparzellen auf der anderen Seite umgeben
eine freie Rasenfläche.
Der Lene-Voigt-Park hat sich in den vergangenen Jahren mit
wachsender Dynamik zu einem belebten Treffpunkt ent-
wickelt. Initiativen aus den anliegenden Vierteln füllen den
Raum mit Leben. Es finden zahlreiche Veranstaltungen statt,
wie Kunst- und Flohmärkte, Konzerte und Kinderfeste, die
auch Bürgerinnen und Bürger aus anderen Stadtteilen in den
Osten bringen. Nach einem Fahrradkaffeeverkauf folgten 2014
und 2015 die Eröffnungen von Cafés in direkter Nachbarschaft
zum Park.
Beim ersten Sonnenstrahl ist der Park bunt bevölkert – ein
Or t des Zusammenseins : Spor t, Spiel und Erholung führ ten zur
Belebung dieser ehemaligen Brachfläche und zu einer spür-
bar positiven Entwicklung der anliegenden Straßenzüge. Im
»Integrierten Stadtteilentwicklungskonzept Leipziger Osten«
wird das »Lene-Voigt-Quartier« mit seiner positiven Entwick-
lung im Vergleich mit den anderen Quartieren hervorgehoben
(Stadt Leipzig, 2013a, S. 114 f., 118 f.). Es wird mit vergleichsweise
geringem Leerstand (unter 10 %), mittlerem Mietniveau und
dem Zuzug junger Anwohnerinnen und Anwohner als »Quar-
tier ohne besonderen Interventionsbedarf« kategorisiert: »An-
gebot und Nachfrage an Wohnraum stellen im Lene-Voigt-
Quartier ein stabiles Verhältnis dar. Auch zukünftig ist von
einer sich selbst tragenden Entwicklung auszugehen« (Stadt
Leipzig, 2013a, S. 119).
Die Stadtviertel im Osten sind immer noch durch besonde-
ren Entwicklungsbedarf gekennzeichnet: hoher Sanierungs-
bedarf, großer Leerstand an Wohn- und Geschäftsräumen,
wenig örtlicher Handel, hohe Erwerbslosenquote und sozi-
ale Konfliktfelder (Stadt Leipzig, 2013b). Die positiven Impulse
des Lene-Voigt-Parks und seines Umfelds sollen genutzt wer-
den, um auch die anliegenden Wohnquartiere zu stärken. Ge-
plante Maßnahmen sind dafür insbesondere der verbesserte
Anschluss durch einen Ausbau der Radwege und Querungs-
möglichkeiten für Radfahrer und Fußgänger sowie die Förde-
rung einer privaten Entwicklung des Lokschuppens, der sich
sehr gut für eine gastronomische oder kulturelle Nutzung
anbieten würde.
ABBILDUNG 9 – 8 Planungsinstrumente der Dortmunder Freiraumentwicklung. (Quelle: eigene Darstellung/Martin Sondermann)
9.8
Flächen-
nutzungs-
plan
Bebauungs-
pläne
Formelle
Instrumente
Gesamtplanung
Informelles
Instrument
Gesamtplanung
Landschaftsplan
Formelles Instrument
Fachplanung
Radial-
Konzentrisches
Freiraummodell
(Freiraumstruk turen)
Informelle Instrumente
Fachplanung
StadtgrünPläne
(Soziale Belange)
Umweltplan
(Ökologis che Belange)
Integrierte
Stadtbezirks-
entwicklungs-
konzepte
(Alle Belange )
248 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGR ATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 249
damit von kommunalen Biodiversitätsstrategien. Umfang-
reiche Hinweise zur Erstellung von Biodiversitätsstrategien
sowie bereits vorhandene Beispiele finden sich in der Bro-
schüre »Kommunale Biodiversitätsstrategien. Ein Werkstatt-
bericht« des Bündnisses »Kommunen für biologische Vielfalt«
(www.kommbio.de/service/download/). Das Beispiel der
Stadt Hannover in Infobox 9 – 9 ist dieser Broschüre ent-
nommen und hier in gekürzter Form abgedruckt. Die Berli-
ner Biodiversitätsstrategie zeigt weitere Möglichkeiten auf
(siehe Infobox 9 – 10).
Schutz von Stadtnatur mehr ist als nur das, sondern ganz un-
mittelbar die konkrete Lebenswelt der Bürgerinnen und Bür-
ger betrifft. Wer bspw. die Renaturierung städtischer Fließ-
gewässer und deren Uferzonen nicht nur als Maßnahme
zur Förderung einzelner Tier- und Pflanzenarten, sondern
auch als Maßnahme des Hochwasserschutzes und somit
des Schutzes von Eigenheimen und städtischer Infrastruk-
tur begreift, dem bieten sich zusätzliche Anreize, sich für die
Erhaltung naturnaher Ökosysteme einzusetzen. Auch The-
men wie Gesundheit, Stadtklima, Naturerfahrung, Ästhetik
oder Möglichkeiten zwischenmenschlicher Begegnung auf
innerstädtischen Freiflächen sind mögliche Aspekte und/
oder Legitimationen für den städtischen Naturschutz und
thematischen Reichweite, langfristiger Zeithorizonte und
der Pluralität zu berücksichtigender Interessen bringt sie
allerdings auch nicht zu unterschätzende Herausforderun-
gen mit sich. Es gilt daher, alle relevanten Akteure frühzei-
tig mit ins Boot zu holen, um in enger Abstimmung eine De-
finition der Ausgangsbedingungen vorzunehmen und Ziele
und Handlungsalternativen zu formulieren. Im Vorfeld fest-
gelegte Zeithorizonte sowie der Fokus auf die Realisierung
der angedachten Ideen sollten dabei stets im Auge behalten
werden. Als Erfolg versprechend hat sich zudem der Ansatz
erwiesen, noch vor der Verabschiedung einer Strategie mit
der Umsetzung einzelner konkreter Naturschutzmaßnahmen
zu beginnen. Auf diese Weise können sich bis zur Verabschie-
dung aktive Netzwerke zu unterschiedlichen Themen entwi-
ckeln, welche die entstehende Biodiversitätsstrategie mit Le-
ben füllen und ihr die für eine erfolgreiche Umset zung nötige
Akzeptanz verleihen.
Die Verabschiedung einer kommunalen Biodiversitätsstra-
tegie ist die eine, deren tatsächliche Umsetzung jedoch eine
andere Sache. Da das Handeln verschiedener Akteure durch
Zielvorgaben und Handlungsanweisungen nicht vollumfäng-
lich steuerbar ist, kommt es im Rahmen der Umsetzung im-
mer wieder zu zum Teil erheblichen Abweichungen. Gerade
Strategiepapiere, die weniger auf einzelne Maßnahmen als
vielmehr auf eine grundsätzliche Ausrichtung des kommu-
nalen Naturschutzhandelns abzielen, bieten großen Hand-
lungsspielraum. Mit der Umsetzung konkreter Maßnahmen
können bereits abgeschlossene Diskussionen mit ungeahn-
ter Intensität neu aufbrechen und Akteure, die sich erst durch
das Schaffen »konkreter Fakten« angesprochen fühlen, erst-
mals in Erscheinung treten. Die Eigendynamik dieser Phase
birgt jedoch nicht nur die Gefahr, dass Planungen verzö-
gert oder schlimmstenfalls sogar vereitelt werden. Sie bietet
auch die Chance einer permanenten Anpassung der gefun-
denen Zielsetzungen an gegebene Realitäten und damit auf
eine höhere Wirksamkeit und Akzeptanz durch die beteilig-
ten Akteure.
Die Bedeutung der Biodiversität – auch für die Menschen –
sollte bei allen Schritten der Erarbeitung und Umsetzung ei-
ner Biodiversitätsstrategie immer mitgedacht und entspre-
chend vermittelt werden. Dies kann eine nicht unerhebliche
inhaltliche und sprachliche »Übersetzungsarbeit« erfordern,
wobei den Ökosystemleistungen eine wichtige Bedeutung
zukommt: Sie veranschaulichen den gesellschaftlichen Nut-
zen, der mit Maßnahmen zur Entwicklung und Erhaltung
von städtischen Grünflächen, Ökosystemen und biologischer
Vielfalt verbunden sein kann. Sie machen deutlich, dass der
Kommunale Biodiversitätsstrategien
Kommunale Biodiversitätsstrategien können als systemati-
sche Erfassung, Darstellung und Abstimmung vergangener
und zukünftiger Naturschutzaktivitäten unter den gegebe-
nen rechtlichen, ökonomischen, planerischen und ökologi-
schen Ausgangsbedingungen verstanden werden. Sie be-
schreiben den Ist-Zustand der biologischen Vielfalt in einer
Kommune, machen – soweit möglich – konkrete Zeitvorga-
ben für die Zielerreichung und benennen die zu beteiligen-
den Akteure. Sie bieten damit die Grundlage einer systema-
tischen Erfolgskontrolle sowie eine in die Zukunft gerichtete
Gesamtschau der kommunalen Aktivitäten zum Schutz und
zur Entwicklung der biologischen Vielfalt. All diese und einige
der weiter unten genannten Funktionen (»Klammer« für Na-
turschutz, Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses)
kann auch ein kommunaler Landschaftsplan wahrnehmen.
Biodiversitätsstrategien ergänzen diesen und andere beste-
hende Planungsinstrumente jedoch insofern, als sie nicht
zwingend flächendeckende Aussagen zu allen Naturgütern
treffen müssen, flexibler auf Chancen und Probleme reagie-
ren und Maßnahmen bereits deutlich konkreter formulieren
können. Damit dienen sie der Verwaltung als ein auf Freiwil-
ligkeit basierendes Arbeitsprogramm sowie den Bürgern, Ver-
bänden und den Kommunalpolitikerinnen und -politikern als
Informationsgrundlage.
Biodiversitätsstrategien können zudem als »Klammer« für
den Naturschutz in der Kommune dienen, die nicht nur die
Vielzahl der Themen und Maßnahmen, sondern auch die
Vielzahl der Akteure verbindet. Ihr Wert liegt v. a. im Prozess
ihrer gemeinsamen Erarbeitung und Umsetzung. Den Kom-
munen bietet sich hierbei die Möglichkeit, mit ihren Bürge-
rinnen, lokalen Naturschutzverbänden und weiteren Akteu-
ren ein gemeinsames Verständnis des Naturschutzes in der
Gemeinde zu entwickeln. Wem es gelingt, im Rahmen eines
gesellschaftlichen Diskurses einen Konsens über Leitlinien
zum Schutz und zur Nutzung der biologischen Vielfalt zu
erzielen, kann auch für die Umsetzung konkreter Maßnah-
men auf die Unterstützung der Bevölkerung hoffen. Biodi-
versitätsstrategien ersetzen damit nicht die fachliche De-
tailarbeit klassischer Planungsinstrumente. Sie stellen diese
vielmehr in einen gemeinsamen Handlungs- und Interpreta-
tionszusammenhang, der auch Bürgern den Zugang und das
Verständnis für den Naturschutz ermöglicht und ihnen Mög-
lichkeiten aufzeigt, sich daran zu beteiligen.
Die Phase der Initiierung über die Erarbeitung bis hin zur Ver-
abschiedung einer Biodiversitätsstrategie ist in diesem Zu-
sammenhang entscheidend für deren Erfolg. Angesichts der
INFOBOX 9 – 9
Biodiversitätsstrategie der Landeshauptstadt Hannover: Vielfalt nach Plan
Hannover gehörte zu den ersten Kommunen in Deutschland,
welche mit einer Biodiversitätsstrategie eine systematische
und umfassende Gesamtschau ihrer Naturschutzaktivitäten
und -ziele verabschiedet haben. Heute gilt das Biodiversitäts-
programm »Mehr Natur in der Stadt« als bundesweites Vor-
zeigeprojekt. Überzeugend sind dabei nicht nur die Inhalte
selbst, sondern auch ihre systematische Aufarbeitung und
ansprechende Darstellung, durch die der Spagat zwischen
Arbeitsprogramm der Verwaltung und Informationsgrund-
lage für Verbände, Bürger und Kommunalpolitikerinnen ge-
meistert wurde.
Bei der Programmerarbeitung wurden zunächst alle Ideen und
Visionen gesammelt, die die Beteiligten mit dem Thema Bio-
diversität verbanden. Dabei bildeten sich zwei Schwerpunkte
heraus, die schließlich die zentralen Handlungsfelder der Stra-
tegie definierten: Das erste Handlungsfeld umfasst direkte
Maßnahmen zur Verbesserung der Biodiversität, wie bspw.
Hilfsprogramme für Tier- und Pflanzenarten oder Konzepte
für die Bewirtschaftung und Entwicklung der städtischen
Wälder und Landschaftsräume. Das zweite Handlungsfeld
»Menschen für die Natur begeistern« beinhaltet Maßnahmen
der Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit, die indirekt zur
Erhaltung und Verbesserung der biologischen Vielfalt beitra-
gen. Hier geht es darum, das Interesse möglichst vieler Men-
schen für das Thema zu wecken und ihnen direkte Begegnun-
gen mit Tieren und Pflanzen sowie deren Lebensräumen zu
erm öglichen. Ziel ist es, damit die Menschen für die Natur »vor
ihrer Haustür« zu begeistern.
Für beide Handlungsfelder wurden allgemeine Leitbilder for-
muliert und bereits vorhandene Projekte und Handlungs-
ansätze analysiert. So konnten notwendige neue und weiter-
führende Handlungsschritte ermittelt und Verknüpfungen
zwischen bereits laufenden Aktivitäten entwickelt werden,
durch die neue Qualitäten entstehen können.
Praktische Beispiele vermitteln den Leserinnen und Lesern der
Biodiversitätsstrategie zudem ein Bild davon, wie Ziele kon-
kret erreicht werden sollen. Einzelne Maßnahmen, wie der be-
reits erfolgte Bau eines Amphibienleitsystems oder geplante
Patenschaften für Kleingewässer, werden so bspw. zu Bau-
steinen eines Artenhilfsprogramms für Amphibien, bei des-
sen Erarbeitung, Umsetzung und Weiterentwicklung die Stadt
Hannover auf die Zusammenarbeit mit der Unteren Natur-
schutzbehörde und dem ehrenamtlichen Naturschutz setzt.
Das Amphibienschutzprogramm soll zusammen mit weite-
ren Programmen, bspw. für Vögel und Pflanzenarten, die bis-
her eher punktuellen Artenschutzmaßnahmen ergänzen und
damit Kontinuität und eine Systematisierung bestehender An-
sätze gewährleisten. Gleichzeitig werden, z. B. im Rahmen von
Patenschaften für Kleingewässer, Bürgerinnen und Bürger in
die Pflege und Entwicklung von Grünflächen eingebunden.
Speziell für Kinder und Jugendliche sollen sich damit Ange-
bote zur Naturerfahrung und -beobachtung im unmittelbaren
Lebensumfeld eröffnen.
250 wEGE ZUR UMSE TZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 251
Entente Florale Europe, Auszeichnung als »European Green
Capital«). Indikatorensysteme können auch dem Vergleich
und dem Monitoring verschiedener Aspekte dienen. Mit dem
City-Biodiversity-Index (»Singapore-Index«) liegt ein global
anwendbares Indikatorensystem vor, das der Einschätzung
der Situation der biologischen Vielfalt in Städten dient (Chan
et al., 2014)
9.5 ÖKONOMISCHE FEHLANREIZE VERMEIDEN,
POSITIVE ANREIZE SETZEN
Wie kann urbanes Naturkapital mittels ökonomischer In-
strumente geschützt oder aufgewertet werden, damit die
zahlreichen Ökosystemleistungen »in Wert gesetzt« werden?
In vielen kommunalen Entscheidungssituationen wirken der
Anlage oder Erhaltung von Grünflächen finanzielle Anreize
geradezu entgegen: So könnten diese Flächen für andere,
fiskalisch rentablere Zwecke genutzt werden, wie die Aus-
weisung als Bauland für Wohn- und Gewerbeansiedlungen,
oder aber die Kosten des Unterhalts der Grünflächen können
oder sollen aufgrund anderer kommunaler Investitions- und
Unterhaltsaufgaben nicht (länger) aufgebracht werden. Die-
ser Abschnitt zeigt Anknüpfungspunkte auf, die zur Siche-
rung und zum Ausbau städtischer Natur beitragen können:
Wie können einerseits kontraproduktive ökonomische An-
reize verringert und andererseits positive Anreize entwickelt
sowie Finanzierungsquellen für die Neuanlage, Aufwertung
und dauerhafte Pflege von Stadtnatur und Ökosystem-
leistungen erschlossen werden?
9.5.1 Fehlanreize vermeiden:
Den Flächenverbrauch eindämmen
Die beständige Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrs-
flächen in Deutschland, insbesondere zu Lasten stadtnaher
Agrar- und Freiflächen, wird u. a. auch von der Ausgestaltung
der kommunalen Einnahmen befördert (Schröter-Schlaack,
2013, S. 136 ff.). Obwohl die gesellschaftliche Wertschätzung
für Grün- und Freiflächen innerhalb der Städte und im sied-
lungsnahen Umland erheblich ist (siehe Kapitel 8.1), fehlen
Instrumente, die auf den mit einer Flächeninanspruchnahme
für Siedlung und Verkehr verbundenen Verlust von Öko-
systemleistungen hinweisen oder aber deren Bereitstellung
über die Sicherung von Grün- und Freiflächen honorieren.
Hingegen existieren für die kommunalen Entscheidungs-
trägerinnen und Entscheidungsträger zahlreiche fiskalische
Anreize, die den »Verbrauch« von Frei- und Grünflächen för-
dern: Baulandausweisungen beeinflussen die kommunalen
Einnahmen über die Erhöhung des Grund- und Gewerbesteu
-
eraufkommens; die Erhöhung der Einkommensteuer, die an-
teilig den Gemeinden zufällt; die Möglichkeit, Gebühren und
Ökosystemleistungen »im Wettbewerb«
Städte, Stadtquartiere und Immobilienstandorte stehen
zunehmend im Wettbewerb um Einwohner, qualifizierte
Arbeitskräfte und Investoren. Dabei werden die grüne Infra-
struktur und die damit verbundenen Ökosystemleistungen
als zentraler Faktor erkannt (Husquarna, 2012). Global wie
lokal gibt es einen Trend zur Anwendung von Bewertungs-
systemen und zur Vergabe von Labels insbesondere im The-
menfeld der Nachhaltigkeit (Joss, 2011), aber auch speziell
hinsichtlich der Biodiversität oder des Stadtgrüns. Die Band-
breite von Indizes, Indikatorensystemen und vergebenen
Marken ist dabei ebenso groß wie die der Ak teure, die sie ent-
wickeln und anwenden. Im Bereich der Zertifizierung von
Gebäuden und – hier besonders von Bedeutung – Stadtquar-
tieren gibt es weltweit zahlreiche Systeme (z. B. BREEAM
Communities; LEED for Neighborhood Development, LEED
ND). Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
(DGNB) hat ebenfalls ein System entwickelt, um die Nach-
haltigkeit städtischer Neubauquartiere zu bewerten und zu
zertifizieren (DGNB, 2012).
Ökosystemleistungen spielen dabei v. a. für die Bewertung
der ökologischen und sozio-kulturellen Qualität eine Rolle. Es
werden Aspekte wie die Artenvielfalt, das Mikroklima, die Flä-
cheninanspruchnahme, der Gewässer- und Bodenschutz und
das Freiraumangebot analysiert und bewertet. Diese Fakto-
ren gehen mit gleicher Gewichtung wie bspw. die Nahver-
kehrsanbindung oder die Energieversorgung in die Bewer-
tung ein. Die vergebenen Gold-, Silber oder Bronzezertifikate
dienen vorrangig natürlich der Vermarktung und dem Wett-
bewerb der Standorte. Aber darüber hinaus werden Investo-
rinnenen, Eigentümerinnen und Nutzer über die verschiede-
nen Belange nachhaltiger Stadtentwicklung informiert und
für sie sensibilisiert sowie Anreize für die Berücksichtigung
von Ökosystemleistungen gesetzt.
Die verschiedenen Ansätze haben – abhängig von ihren
Machern und Zielen – unterschiedliche Potenziale, lokale
Gegebenheiten zu beschreiben und Ziele zu formulieren. In-
ternational anwendbare Systeme ermöglichen es bspw., ein
globales Bild der urbanen Biodiversität oder der urbanen
Freiraumsituation zu erhalten. Für die Formulierung und die
Überprüfung spezifischer Ziele einzelner Städte bedarf es
Systeme, die im Hinblick auf Indikatoren und Richtwerte in-
dividuell anpassbar sind und ein lokales Monitoring erlauben.
Wettbewerbe und Städterankings zielen häufig auf The-
men wie die biologische Vielfalt oder die Grünflächensitu-
ation ab (z. B. Wettbewerb Bundeshauptstadt Biodiversität,
INFOBOX 9 – 10
Biodiversitätsstrategie des Landes Berlin (Ingo Kowarik, Robert Bartz)
Die »Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt« (SenStadtUm,
2012b) zeigt, wie der Ökosystemleistungsansatz helfen kann,
Ziele der Erhaltung und Förderung biologischer Vielfalt stärker
in der Stadtgesellschaft zu verankern.
In einem mehrjährigen Beteiligungsprozess wurden vier
Themenfelder und 38 dazugehörige Ziele identifiziert (vgl.
Abbildung 9 – 9). Die Themen decken einerseits traditio-
nelle Aufgaben des Naturschutzes ab (»Arten- und Lebens-
räume«, »Genetische Vielfalt«). Zum anderen verbinden
sie Naturschutz ziele mit typisch urbanen Flächennutzun-
gen (»Urbane Vielfalt«) und gesellschaftlichen Bereichen
(» Gesellschaft«), in denen zumeist Akteure außerhalb des tra-
ditionellen Naturschutzes Verantwortung tragen (z. B. Klein-
gärtner, Wirtschaftsvertreter).
Wesentliche Stufen des Beteiligungsprozesses in der Entwurfs -
und Implementierungsphase der Strategie waren in den Jah-
ren 2009 – 2015:
Entwurf zu Themenfeldern und Zielen, erarbeitet in Koope-
ration zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
und der TU Berlin unter Beteiligung der Bezirke; Rückkopp-
lung innerhalb der Senatsverwaltung
Diskussion der Überarbeitung mit anderen Senatsver wal -
tungen (z. B. Schule, Wirtschaft), Verbänden (z. B. Wirtschaft,
Gartenbau, Naturschutz), Wissenschaftseinrichtungen,
Kirchen
Beschluss der überarbeiteten Fassung durch den Senat von
Berlin (2012)
Beginn der Implementierungsphase mit 15 Fachgesprächen
und zwei Konferenzen
Insgesamt wurden während des Beteiligungsprozesses etwa
1.400 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eingebunden.
Bei der Auswahl und Begründung von Zielen sowie bei der
Diskussion möglicher Umsetzungsansätze wurde der Zusam-
menhang zwischen biologischer Vielfalt und Lebensqualität
in Berlin besonders hervorgehoben. Dies ist auf eine äußerst
positive Resonanz gestoßen – auch bei Akteuren außerhalb
des engeren Naturschutzbereichs. Der Ökosystemleistungs-
ansatz hat dabei geholfen, die vielfältigen Leistungen der bio-
logischen Vielfalt für Menschen in der Stadt nachvollziehbar
zu machen und viele Akteure für die Erhaltung und Förderung
biologischer Vielfalt in Berlin zu begeistern. Dies ist ein erster
Erfolg des mehrjährigen Beteiligungsprozesses. Ob sich wei-
tere Erfolge auch auf der Umsetzungsebene zeigen, darüber
wird dem Berliner Senat im dreijährigen Abstand berichtet.
ABBILDUNG 9 – 9 Themenfelder der Berliner Strategie zur biologischen Vielfalt. (Quelle: leicht verändert nach SenStadtUm, 2012)
9.9
Arten un d Lebensräume
Artenvi elfalt und Verantwortung
für besonde re Arten
Gebietsfremde Ar ten
FFH -Lebensräume
Besonder s geschützte Biotope
Biotopverbund
Durc hgängigkeit von
Gewässern
Genetisc he Vielfalt
Regi onale Vielfalt
Erhalt ung durch Nutzung
Geb ietseigene Pflanzen
Gen technisch veränderte P flanzen
Urbane Vie lfalt
Typisch urb ane Arten
Urb ane Wildnisentwicklung
Urb ane Gärten
Grünflächen
Private Freiflächen
Bio logische Vielfalt auf
Firmengeländen
Nat urnahe Gewässer
Röhricht
Grundwasser
Moore
L andwirtschaft
Waldty pen
Waldzus tand und
-bewirtschaftung
Straß enbäume
und Straßen begleitgrün
Urb ane Offenlandschaf ten
Gesellschaft
Ö ffentliches Bau- und
Beschaffungswesen
Rech tliche Regelungen
und Planungsgrundlagen
Umweltbildung
Fo rschung
Naturerleben
Engagem ent der Wirtschaf t
Glo bale Verantwortung
Ge sellschaftliches Engage ment
Berliner
Strategie zur
bilogischen
Vielfalt
252 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUN G
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 253
u. a. Köck et al., 2007). Auch wird deutlich gemacht, dass
eine Verschärfung der ordnungs- und planungsrechtlichen
Steuerung der Flächeninanspruchnahme zur Erreichung des
30-Hektar-Ziels vermutlich zu hohen Anpassungskosten
der Kommunen führen würde: Um eine kostenminimale
Aufteilung der notwendigen Einsparungen zukünftiger
Flächen ausweisung sicherzustellen, wäre eine aufwendige
Abschätzung der Unterschiede zwischen den Kommunen
bei der Siedlungsflächennachfrage und den vorhandenen
Innenentwicklungspotenzialen notwendig (u. a. Cichorowski,
2011). Nur so könnte sichergestellt werden, dass dort die
Ausweisung von Siedlungsflächen unterbunden wird, wo
dies die geringsten Folgekosten durch unterlassene Sied-
lungsentwicklung verursacht, da z. B. auf brach liegende
Flächen im Innenbereich ausgewichen werden kann. Eine
solche Abschätzung wäre enorm daten-, kosten- und zeit-
aufwändig und müsste überdies laufend durchgeführt und
in ein entsprechendes Planwerk umgesetzt werden. Daher
wurde vorgeschlagen, eine Flexibilisierung der Erreichung
des 30-Hektar-Ziels über die Etablierung eines Systems
handelbarer Flächenausweisungsrechte zu gewährleisten
(siehe u. a. Bizer et al., 2011).
In einem solchen System wären Flächenausweisungen für
Siedlungszwecke im Rahmen der kommunalen Bauleitpla-
nung nur dann zulässig, wenn die Gemeinden neben den
planungsrechtlichen Anforderungen auch die Pflicht zur Vor-
lage von Flächenausweisungsrechten im Umfang der erst-
mals für Siedlungszwecke gewidmeten Fläche erfüllen. Um
verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen und die
Akzeptanz bei den Kommunen zu fördern, wird überwie-
gend vorgeschlagen, diese Ausweisungsrechte im Rahmen
des 30-Hektar-Ziels kostenlos an die Gemeinden auszuge-
ben. Kernstück des Systems wäre ein anschließender Handel
der Ausweisungsrechte zwischen den Kommunen. Gemein-
den mit hohem Siedlungsdruck könnten Ausweisungsrechte
von jenen Kommunen erwerben, die mit geringerer Flächen-
nachfrage konfrontiert sind oder über genügend Reserven im
Bestand verfügen. Sowohl für die Erstverteilung der Auswei-
sungsrechte als auch für die Grenzen, die einer Handelbar-
keit von Ausweisungsrechten zwischen Gemeinden zu setzen
wären (z. B. zwischen verschiedenen Regionen, Ländern,
Zentralitätsstufen, Siedlungszwecken), wurden verschiedene
Optionen vorgeschlagen (siehe u. a. Henger et al., 2010; Bizer
et al., 2011). Ein langfristig angelegtes Planspiel soll derzeit
diese und weitere umsetzungsrelevante Fragen nach dem
Aufwand für und der Akzeptanz unter kommunalen Ent-
scheidungsträgern beantworten (Melzer und Blecken, 2013).
(Perner und Thöne, 2005; Ring, 2008a). Deutschland kann
hier von Portugal lernen, das als erstes Land in der EU bereits
Natura-2000- und weitere, nationale Schutzgebiete als Indi-
kator in den Kommunalen Finanzausgleich integriert hat, so-
dass Kommunen mit höherem Schutzgebietsanteil entspre-
chend höhere Zuweisungen bekommen (Ring und Mewes,
2013; Santos et al., 2012). Neben diesen neueren Ansätzen
gibt es bereits konkrete Programme und Instrumente von öf-
fentlicher und privater Seite, Stadtnatur oder bestimmte
Ökosystemleistungen zu fördern. Dazu gehören Förderpro-
gramme der öffentlichen Hand, Zahlungen für Ökosystem-
leistungen, aber auch die Reform kommunaler Gebühren und
Abgaben, um Ökosystemleistungen von Stadtgrün besser in
den Blick zu nehmen.
Das Flächensparziel endlich ernst nehmen:
Durch handelbare Ausweisungsrechte Anreize
für flächenschonende Siedlungsentwicklung setzen
Im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hat
sich Deutschland das Ziel gesetzt, die tägliche Flächeninan-
spruchnahme bis zum Jahr 2020 von derzeit über 70 ha (siehe
Kapitel 1.2) auf dann nur noch 30 ha zu reduzieren (Bundes-
regierung, 2002). Mit dieser Verringerung des Siedlungs- und
Verkehrsflächenwachstums wird nicht nur angestrebt, die
Folgewirkungen der Siedlungsentwicklung für die Natur (z. B.
Verlust oder Zerschneidung von Lebensräumen) abzumildern,
sondern auch den – zu Lasten der kommunalen Haushalte
stattfindenden – Wettbewerb um Einwohnerzuzug und Ge-
werbeansiedlungen zu stoppen. Die Flächenausweisung im
Rahmen der kommunalen Bauleitplanung steht dabei im
Zentrum, da mehr als 90 % der Flächeninanspruchnahme auf
kommunale Planungen zurückzuführen sind (UBA, 2003).
Doch wie soll diese weitgehende Reduzierung der Flächen-
inanspruchnahme gelingen? Klar scheint, dass eine bloße
Strategie des Abwartens unzureichend ist: Wie Henger et al.
(2010) zeigen, wird weder der sich zukünftig verstärkende
demografische Wandel automatisch zu einer Verminderung
des Wachstums der Siedlungs- und Verkehrsflächen führen,
noch können die unterschiedlichen wirtschaftlichen Wachs-
tumsdynamiken und damit auch die Nachfrage nach neuen
Siedlungsflächen zwischen verschiedenen Regionen ausge-
glichen werden.
Die relative Wirkungslosigkeit des bestehenden Planungs-
und Ordnungsrechts zur Reduzierung der Flächeninan-
spruchnahme gegenüber den starken Anreizen, die auf die
Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger bei
Ausweisungsentscheidungen im Rahmen der kommunalen
Bauleitplanung wirken, ist häufig geäußert worden (siehe
Beispiele sind eine Grundsteuerreform zur Aktivierung der-
zeit brachliegender Baulandflächen oder die Abschaffung
der Pendlerpauschale, deren Änderungen auf Bundes- oder
Landes ebene zu beschließen wären. Aber auch auf kom-
munaler Ebene bestehen Handlungsoptionen, flächen-
schonende Siedlungsentwicklung und Gewerbeansiedlung
voranzutreiben und damit Ökosystemleistungen unbebau-
ter Flächen zu sichern, wie die Idee einer gemeinsamen
Gewerbeflächenvermarktung zeigt (Infobox 9 – 11).
Beiträge zu erheben sowie langfristig über Multiplikator-
effekte, wie ein attraktives Arbeitsplatzangebot durch die
Erweiterung bestehender oder Ansiedlung neuer Unterneh-
men und den Zuzug neuer Einwohner (Perner, 2006, S. 17).
Auch die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs
läuft auf eine relative Bevorzugung urbaner Räume hinaus,
die aufgrund ihrer Einwohnerzahl und ihrer sozialen und kul-
turellen Bedeutung überdurchschnittliche Zuweisungen er-
halten. Dagegen werden sog. ökologische öffentliche Aufga-
ben des Umwelt- und insbesondere des Naturschutzes (zur
Definition siehe Ring, 2001) im kommunalen Finanzausgleich
noch nicht ausreichend berücksichtigt (Ring, 2001, 2008a).
Die Finanzierungsquellen Steuereinnahmen, Einnahmen aus
Beiträgen und Gebühren und Zuweisungen aus dem kom-
munalen Finanzausgleich bzw. Zuweisungen des Bundes um-
fassen im Bundesdurchschnitt gut 95 % der laufenden kom-
munalen Einnahmen (StBA, 2009). Damit üben diese
Instrumente über ihre Ausgestaltung und Indikatoren eine
starke Anreizwirkung auf Kommunen aus.
Der Abbau ökologisch kontraproduktiver Anreize liegt über-
wiegend nicht in der Hand kommunaler Entscheidungsträger.
INFOBOX 9 – 11
Interkommunale Gewerbeflächenvermarktung
Die Konkurrenz um die Ansiedlung von Unternehmen und
damit um die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen
führt oft zu einer übermäßigen Flächenangebotsplanung,
bei der Kommunen zusätzliche Gewerbeflächen ausweisen
und Standorte erschließen, obwohl kein unmittelbarer Be-
darf an neuen Flächen besteht (das sog. Baulandparadoxon,
siehe Davy, 1996). Diese Praxis ist nicht nur ein wesentlicher
Treiber der Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Ver-
kehrszwecke; sie befördert auch den Verlust freier und natur-
nah genutzter Flächen und der durch sie bereitgestellten
Ökosystemleistungen, wie z. B. (siedlungsnahe) Versorgungs-
leistungen und Erholungsmöglichkeiten oder mikroklimati -
sche Regulierungsleistungen. Darüber hinaus belastet die
großzügige Flächenausweisung durch Investitions- und Un-
terhaltungskosten auch langfristig die kommunalen Budgets
und führt zu einer kostenaufwendigen regionalen Siedlungs-
struktur (siehe u. a. Schiller et al., 2009). Um dieser Fehlent-
wicklung vorzubeugen, wurde u. a. das Konzept des Gewerbe-
flächenpools entwickelt, das eine gemeinsame Vermarktung
regionaler Gewerbeflächen ermöglicht.
Die Grundidee eines regionalen Gewerbeflächenpools ist ein-
fach: Die Kommunen bringen ihre Gewerbeflächen in einen
Pool ein; je nach Wertigkeit der Flächen ergibt sich der Anteil
jeder Kommune am Pool. Die eingebrachten Gewerbeflächen
werden gemeinsam über eine Agentur vermarktet und die
eingenommene Gewerbesteuer entsprechend der Poolanteile
auf geteilt (Maier, 2014) . Auf diese Weise lassen sich kleinräum-
liche Preiskonkurrenzen unter den Gemeinden vermeiden
und eine Ausschöpfung der bereits ausgewiesenen Gewerbe-
flächen befördern. Zudem kann vorgesehen werden, dass sich
Kommunen (z. B. in topografisch ungünstiger Lage) auch ohne
eigene Fläche beteiligen können, indem sie eine finanzielle
Einlage in den Pool tätigen. Sie partizipieren dann am wirt-
schaftlichen Erfolg des Gewerbeflächenpools, ohne auf land-
schaftlich empfindliche Flächen zurückgreifen zu müssen
(Gust et al., 2011). Derzeit befinden sich mehrere regionale
Gewerbeflächenpools in der Erprobungsphase, u. a. im Regi
-
onalverband Neckar-Alb (siehe Gust et al., 2011; Renn et al.,
2004) und im Wirtschaftsband A9 – Fränkische Schweiz (siehe
Maier, 2014).
9.5.2 Positive ökonomische Anreize und
Finanzierungsmöglichkeiten für Stadtnatur
Neben dem Abbau kontraproduktiv wirkender Anreize sind
auch Ansätze in der Diskussion, die kommunale Biodiver sität
und die Bereitstellung von urbanen Ökosystemleistungen
zu fördern. Ein Vorschlag ist, die kommunale Flächenauswei-
sung über ein System handelbarer Ausweisungsrechte zu be-
grenzen und auf diesem Wege finanzielle Anreize für eine
flächenschonende Siedlungsentwicklung zu setzen (Bizer
et al., 2011). Für den kommunalen Finanzausgleich ist für
Deutschland bzw. einzelne Bundesländer die Integration öko-
logischer Indikatoren vorgeschlagen und modelliert worden
254 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 255
Prozentuale Veränderungen
der Schlüsselzuweisungen
1 ha Schutzgebietsfläche = 1 Einwohner
Fläche in die Berechnung ein. Vergleichbar mit dem Umgang
mit allgemeinen Flächenindikatoren in Bundesländern wie
Brandenburg und Sachsen-Anhalt wird nun ein Hektar »nor-
mierter Schutzgebietsfläche« einer bestimmten Einwohner-
anzahl äquivalent gesetzt. Abbildung 9 – 10 veranschaulicht
die relativen Veränderungen der Schlüsselzuweisungen an die
sächsischen Städte und Gemeinden, zu denen es käme, wenn
neben den Einwohner- und Schülerzahlen auch Schutzge-
biete im Finanzbedarf berücksichtigt würden und ein Hektar
(normierter) Schutzgebietsfläche einem Einwohner ent-
spräche (Ring und Mewes, 2013).
die Gemeinde- bzw. Stadtgrenzen hinausreichen. Er basiert
auf der normierten überschneidungsfreien Schutzgebiets -
fläche innerhalb der Gemeinde- bzw. Stadtgrenzen. Dazu
wurden die Gemeindegrenzen mit den verschiedenen Schutz-
gebietskategorien nach dem Sächsischen Naturschutz gesetz
(Nationalpark, Natura-2000-Gebiet, Naturschutzgebiet,
Biosphärenreservat, Naturpark und Landschaftsschutzgebiet)
verschnitten. Die Schutzgebiete wurden nach deren Bedeu-
tung für den Naturschutz und den damit verbundenen Land-
nutzungseinschränkungen gewichtet (Ring, 2008a). So geht
z. B. ein Hektar Nationalparkfläche mit 100 % seiner Fläche,
ein Hek tar Landschaftsschutzgebiet aber nur mit 30 % seiner
Bedarfsindikatoren erfasst. Der kommunale Finanz ausgleich
sollte deshalb zusätzlich ökologische Indikatoren bei der Be-
rechnung von Zuweisungen berücksichtigen, welche die Be-
reitstellung ökologischer öffentlicher Güter und Leistungen
abbilden (Ring, 2002). Im Gegensatz zu den Zahlungen für
Ökosystemleistungen, die in erster Linie auf private Akteure
zielen, setzt ein um ökologische Indikatoren ergänzter Finanz-
ausgleich ökonomische Anreize für öffentliche Akteure.
Internationale Erfahrungen mit einem ökologischen kommu-
nalen Finanzausgleich bestehen v. a. in Brasilien und Portugal
(Ring und Mewes, 2013):
(1) In Brasilien wurden ökologische Indikatoren seit Anfang
der 1990er Jahre in der Mehrzahl der 26 Bundesstaaten in
der jeweiligen Landesfinanzverfassung für die Rückvertei-
lung der auf Landesebene aufkommensstärksten Mehr-
wertsteuer (ICMS Ecológico) an die Kommunen verankert
(May et al., 2002; Ring, 2008b). Schutzgebiete für den Bio-
diversitätsschutz stellen inzwischen den Basisindikator in
16 Bundesstaaten dar (Droste et al., 2015), ergänzt durch
weitere ökologische Indikatoren je nach Bundesstaat.
(2) In Europa ist Portugal der erste EU-Mitgliedstaat, der mit
seinem novellierten Kommunalfinanzierungsgesetz von
2007 Natura-2000-Gebiete sowie weitere nach nationa-
len Standards ausgewiesene Schutzgebiete als Indika-
toren für Finanzzuweisungen von der nationalen an die
kommunale Ebene eingeführt hat (Santos et al., 2012).
So können Städte und Gemeinden mit Schutzgebieten
auch im Rahmen des Finanzausgleichs mit Zuweisungen
rechnen, denn auch der Naturschutz stellt einen Kosten-
faktor für das Gemeindebudget dar, der zudem oft unter-
finanziert ist.
Wie könnte ein ökologischer kommunaler Finanzausgleich
in Deutschland aussehen? Ring (2008a) hat für den sächsi-
schen kommunalen Finanzausgleich unterschiedliche Varian
-
ten vorgeschlagen, Naturschutz als Indikator zu berücksich-
tigen. Diese Varianten wurden für Sachsen modelliert und
mithilfe Geografischer Informationssysteme (GIS) räumlich
explizit in ihren Auswirkungen veranschaulicht. Die Ergeb-
nisse basieren auf den Verwaltungsgrenzen von 2002 und
den zu dieser Zeit relevanten Daten für die Berechnung von
Finanzbedarf (Hauptansatz Einwohner, Nebenansatz Schüler-
zahlen) und Finanzkraft (eigene Gemeindeeinnahmen). In
der hier vorgestellten Variante wird der Finanzbedarf um
einen sog. Naturschutzansatz erweitert, der die lokalen
ökologischen Leistungen repräsentiert, deren Nutzen über
Ein Politikmix aus Planung und handelbaren Ausweisungs-
rechten besäße drei wichtige Vorteile (siehe u. a. Schröter-
Schlaack, 2013):
(1) Das 30-Hektar-Ziel würde treffsicher erreicht werden und
die in räumlicher Hinsicht wirkungsvolle planungsrecht-
liche Steuerung der Siedlungsentwicklung um ein quan-
titativ effektives Instrument ergänzt.
(2) Den Gemeinden verbliebe durch die Handelbarkeit der
Ausweisungsrechte ein großer Spielraum zur Verwirk-
lichung ihrer eigenen Entwicklungspläne – auch über die
ihnen anfangs zugeteilte Menge an Ausweisungsrech-
ten hinaus. Allerdings würde die Notwendigkeit des Zu-
kaufs das Augenmerk der kommunalen Entscheidungs-
träger noch stärker auf eine realistische Einschätzung des
Flächenbedarfs und eine möglichst flächenschonende
Umsetzung des Entwicklungsprojektes lenken.
(3) Durch die Möglichkeit, nicht benötigte Ausweisungs-
rechte zu veräußern, würden Anreize für eine Nutzung
bestehender Innenentwicklungspotenziale, Nachverdich-
tung im Siedlungsbestand oder aber Revitalisierung von
Brachflächen gesetz t. Der Verzicht auf Flächenausweisun-
gen und damit der Schutz siedlungsnaher Freiräume wäre
somit nicht mehr nur Kostenfaktor oder Wettbewerbs-
nachteil, sondern würde auch finanzielle Mittel für einen
Umbau des Siedlungsbestandes generieren.
Neue Anreize im kommunalen Finanzausgleich setzen
Der kommunale Finanzausgleich dient der Verteilung und
Zuweisung öffentlicher Einnahmen zwischen der Landes-
ebene und den kommunalen Gebietskörperschaften (kreis-
freie Städte, Landkreise, kreisangehörige Gemeinden). Für die
Berechnung der Zuweisungen wird der Finanzbedarf einer
Gebietskörperschaft ihrer Finanzkraft, d. h. ihren eigenen
Einnahmen, gegenübergestellt. Durch die Verwendung des
Einwohnerindikators als abstrakten Bedarfsindikator für die
Bereitstellung öffentlicher Güter und Leistungen profitieren
heute v. a. einwohnerstarke Gebietskörperschaften vom
Finanzausgleich. Dies macht insofern Sinn, weil zahlreiche
öffentliche Leistungen für die Bewohner der jeweiligen Ge-
bietskörperschaft erbracht werden (Ring und Mewes, 2013).
Allerdings erfüllen auch Schutzgebiete und naturnahe Räume
wichtige Funktionen, sei es für den Schutz der biologischen
Vielfalt oder die Bereitstellung von Ökosystem leistungen
für das menschliche Wohlergehen. Doch diese Leistun-
gen werden nicht über herkömmliche sozio-ökonomische
ABBILDUNG 9 – 10 Prozentuale Veränderungen der Schlüsselzuweisungen im Sächsischen Kommunalen Finanzausgleich von 2002,
wenn Schutzgebiete im Finanzbedarf der Gemeinden und Städte berücksichtigt würden und 1 ha überschneidungsfreier, normierter
Schutzgebietsfläche einem Einwohner entspräche. (Quelle: Ring, 2008a)
bis < -50
bis < -25
bis < 0
bis < 25
bis < 50
bis < 100
bis < 200
bis < 500
-100
-50
-25
0
25
50
100
200
256 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICKLUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 257
wenn nicht der wichtigste Bestandteil der Finanzierung
bleiben. Hierunter fallen z. B. die EU-kofinanzierten Agrar-
umwelt- und Naturschutzprogramme oder aber diverse
Förderprogramme des Bundes und der Länder. Für Kom-
munen interessant bzw. relevant sind solche Programme,
bei denen Städte selbst antragsberechtigt sind, oder für
die sie selbst erste Anlaufstelle für private Antragsbe-
rechtigte sind. Städte und Gemeinden können aber auch
selbst als Geldgeber für die Erhaltung wichtiger Ökosys-
temleistungen fungieren. Allerdings sind kommunale Mit-
tel als freiwillige Aufgabe in Zeiten knapper Kassen als ers-
tes von Kürzungen bedroht (BMU, 2004). Darüber hinaus
stehen bei vielen dieser öffentlich finanzierten Förderpro-
gramme klar abgrenzbare Ökosystemleistungen weniger
oder nicht im Vordergrund; oft werden Maßnahmen oder
Projekte zur Förderung bestimmter Aspekte von Stadtna-
tur unterstützt.
Durch die Überschaubarkeit vor Ort bietet sich in Städten ein
Miteinander öffentlicher und privater Akteure an, um Stadt-
natur und Ökosystemleistungen zu fördern. Tabelle 9 – 1 gibt
einen Überblick über eine Auswahl öffentlicher Förderpro-
gramme und Möglichkeiten der Finanzierung von Stadtnatur
auf EU-, Bundes- und Länderebene, die sich u. a. an Kommu-
nen, Unternehmen oder auch öffentlich-private Partner-
schaften als Antragsteller richten. Das Bundesamt für Natur-
schutz hat auf seiner Webseite umfangreiche Informationen
zur Förderung von Naturschutzmaßnahmen zusammenge-
stellt (BfN, 2015). Daneben gibt die Förderdatenbank des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie einen umfassen-
den Überblick über weitere Förderprogramme des Bundes,
der Länder und der Europäischen Union (BMWI, 2015). Hierin
enthalten ist auch eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten
aus den Bundesländern, mit denen sich Naturschutzmaß-
nahmen finanzieren lassen. Die für Naturschutz relevanten
EU-Programme für regionale (EFRE) und ländliche Entwick-
lung (ELER), der Sozialfonds (ESF) und der Fischereifonds
(EMFF) sowie die Bund-Länder-Programme für Agrarstruk-
tur und Küstenschutz (GAK) sowie regionale Wirtschafts-
struktur (GRW) sind dabei nicht direkt nutzbar, sondern
nur über die Länderprogramme, die mit ihnen ko-finanziert
werden (BfN, 2015).
Kommunale Abgaben und Gebühren
Soweit Städte oder kommunale Unternehmen Leistungen
für bestimmte Nutzergruppen erbringen, können diese Leis-
tungen über entsprechende Gebühren-, Beitrags- und Ent-
geltmodelle finanziert werden. Insofern sind kommunale Ab-
gabenordnungen und Tarifmodelle künftig auch im Hinblick
Zahlungen für Ökosystemleistungen und weitere
Finanzierungsmöglichkeiten von Stadtnatur
Zahlungen für Ökosystemleistungen sind in den letzten Jahren
welt weit unter dem Begriff Payments for Ecosystem Services
(PES) bekannt geworden. Gundimeda und Wätzold (2013) ha-
ben dieses Thema besonders für lokale und regionale Ent-
scheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aufberei-
tet. Ziel des Instrumentes ist es, ökonomische Anreize für den
Schutz der Biodiversität und die Bereitstellung von Ökosys-
temleistungen zu schaffen, wobei v. a. Opportunitäts- und
Managementkosten derjenigen ausgeglichen werden, die
entsprechende Leistungen über das ordnungsrechtlich vor-
geschriebene Maß hinaus bereitstellen (Ring und Mewes,
2013). Lokale Entscheidungsträger und Behörden können sol-
che Programme (mit-)initiieren und dabei eine Schlüsselrolle
bei Design, Implementation, Vollzug und Mittelbeschaffung
einnehmen (Gundimeda und Wätzold, 2013). Es lassen sich
zwei Grundformen unterscheiden:
(1) Bei privaten nutzerfinanzierten Programmen werden
private Interessen vertreten, und die Zahlung er-
folgt üblicher weise durch Unternehmen oder Nicht-
regierungsorganisationen. Dabei kann es sich durch-
aus um öffent liche Unternehmen wie z. B. städtische
Wasserversorgungs unternehmen handeln. Um gleich-
bleibend gutes Trinkwasser zu gewährleisten (und somit
auch Kosten für die Wasseraufbereitung zu sparen), kaufen
z. B. die Stadtwerke München (SWM) im Mangfalltal, dem
Einzugsgebiet der Wassergewinnung, Flächen auf und ver-
pachten sie an Landwirte, um sie unter strengsten Auf-
lagen ökologisch bewirtschaften zu lassen. Um möglichst
viele Landwirte im ganzen Wassereinzugs gebiet zu gewin-
nen, erhalten diese auch finanzielle Förder mittel von den
SWM (Grüne Liga, 2007). Auch die Kommunalen Wasser-
werke Leipzig (KWL) GmbH fördern gewässerschützende
Bewirtschaftungsmaßnahmen der Landwirtschaft zur
Reduzierung der Trinkwasseraufbereitungskosten. Auf
eigenen Flächen wird ein wasserschutzoptimierter öko-
logischer Landbau betrieben. Auf weiteren Flächen wer-
den den Landwirten Aufwendungen im Zusammenhang
mit der Verminderung des Nährstoffaustragspotenzials
ausgeglichen (Naturkapital Deutschland – TEEB DE, 2015).
(2) Schließlich gibt es die weitaus häufiger verbreiteten
öffentlich finanzierten Programme, bei denen der Staat
als »Käufer« im Interesse der Öffentlichkeit auftritt. Auf-
grund des öffentlichen Gutscharakters von Stadtnatur
und der Bereitstellung nicht vermarktbarer Ökosystem-
leistungen werden staatliche Mittel immer ein wichtiger,
Programm Geldgeber Beschreibung Link
EU
Fazilität für
Naturkapital
(NCFF)
Europäische
Investmentbank
(EIB) und
EU-Kommission
(LIFE)
Die NCFF trägt zum Erreichen der Ziele des LIFE-Programms bei, insbe-
sondere in den Bereichen Natur und Biodiversität sowie Anpassung
an den Klimawandel. Geförderte Projekte sollen die Erhaltung, Wieder-
herstellung, Bewirtschaftung und Stärkung des Naturkapitals fördern,
was sich positiv auf die Biodiversität und die Anpassung an den Klima-
wandel auswirken kann. Dies beinhaltet ökosystemorientierte Lösungen
für Probleme im Zusammenhang mit Böden, Forstwirtschaft, Landwirt-
schaft sowie Wasser- und Abfallwirtschaft. Mögliche Vorhaben:
Grüne Infrastruktur (z. B. Dach- und Fassadenbegrünung, ökosystem-
orientierte Anlagen zur Regenwassersammlung/Wasserwiederver-
wendung, Hochwasser- und Erosionsschutz);
Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen (z. B. Programme zum
Schutz und zur Verbesserung der Forstwirtschaft und der Biodiversität
sowie zur Verringerung der Wasser- oder Bodenverschmutzung);
Ausgleich für Biodiversitätsschäden oder/und Kompensationsmaßnah-
men über die gesetzlichen Anforderungen hinaus (z. B. Ausgleichspools
für geplante Maßnahmen an den betreffenden Standorten oder er-
satzweise an anderen Standorten) ;
Unternehmen, die Biodiversität und Anpassung an den Klimawandel
fördern (z. B. nachhaltige Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Aqua-
kultur, Ökotourismus) .
http://www.eib.
org/products/
blending/ncff/
index.htm?lang=
de%20%28DE%29
Unterstützung
der Stadt -
ent wicklung
(JESSICA)
Europäische
Investmentbank
(EIB)
Integrierte und nachhaltige Stadterneuerungsvorhaben werden im
Rahmen von JESSICA (Joint European Support for Sustainable Investment
in City Areas – Gemeinsame europäische Unterstützung für Investi-
tionen zur nachhaltigen Stadtentwicklung) unterstützt.
Beispiele: urbane Infrastruktur, d. h. Verkehr, Wasser/Abwasser, Energie;
Kulturerbe bzw. Kulturstätten für Tourismus oder sonstige nachhaltige
Nutzungsformen; Sanierung brachliegender Flächen, einschließlich
Räumung und Dekontaminierung.
http://www.eib.
org/products/
blending/jessica/
index.htm?lang=
de
Interreg Europe Europäischer
Fonds für
Regionale
Entwicklung
(EFRE)
Interreg Europe hilft Regionen, praktische Antworten auf regionale
Herausforderungen zu finden, wie z. B. die Entwicklung und Integration
grüner Infrastruktur. Regionale Akteure stehen in der Verantwortung,
Ökosysteme und empfindliche Landschaften zu schützen und den
Verlust biologischer Vielfalt auf ihrem Gebiet zu vermeiden bzw. die
(weitere) Verschlechterung der natürlichen Lebensgrundlagen aufzu-
halten. Der Schutz und die nachhaltige Nutzung von Biodiversität und
natürlichen Ressourcen stärkt eine nachhaltige Regionalentwicklung
auf der Basis der Erhaltung von Ökosystemleistungen.
http://www.
interregeurope.
eu/policy-lear
ning-platform/
environment-
and-resource-ef-
ficiency/
URBACT
Programm
Europäischer
Fonds für
Regionale
Entwicklung
(EFRE) mit
nationaler
und lokaler
Ko-Finanzierung
URBACT ist ein Programm der europäischen territorialen Zusammen-
arbeit mit dem Ziel, eine nachhaltige, integrierte Stadtentwicklung
in Städten in ganz Europa zu fördern. Das Programm hilft Städten, prag-
matische Lösungen zu entwickeln, die innovativ und nachhaltig sind
und wirtschaftliche, soziale und ökologische Stadtthemen integrieren.
http://urbact.eu/
our-funding
TABELLE 9 – 1 Förderprogramme und Möglichkeiten der Finanzierung von Stadtnatur. (Quelle: eigene Darstellung)
258 wEGE ZUR UMSE TZUNG – INTEGRATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICK LUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 259
sowie gestiegener rechtlicher Anforderungen an den
Gewässer schutz zu einem Trend der dezentralen Versicke-
rung von Regenwasser (Geyler et al., 2014). Anreize dazu
werden auch durch die zunehmende Verbreitung von sepa-
raten Niederschlagswassergebühren gesetzt, die die bebaute
und befestigte Fläche (anstelle des früher üblichen
Frischwasserbezuges) zur Bemessungsgrundlage machen
(Queitsch, 2006). Hier entstehen durch die verstärkte
Schaffung bzw. Erhaltung unversiegelter Freiflächen Syner-
gien mit der Erbringung städtischer Ökosystemleistungen.
auf die Berücksichtigung relevanter Ökosystemleistungen zu
untersuchen. Finanzierungsprobleme kann es bei der lang-
fristigen Sicherung wichtiger Grünflächen, etwa bei der
Erhaltung von Stadtfriedhöfen geben, wenn aufgrund des
veränderten Nutzungsverhaltens nicht mehr kostendeckend
gewirtschaftet werden kann, weil bislang verwendete
Gebührenmodelle nicht mehr ausreichend Einnahmen er-
wirtschaften (siehe Infobox 9 – 12). Im Bereich der Regen-
wasserbewirtschaftung führen dagegen die hohen Kosten
konventioneller, zentraler Systeme angesichts veränderter
siedlungsstruktureller und klimatischer Rahmenbedingungen
Programm Geldgeber Beschreibung Link
Bund
Bundesprogramm
Biologische
Vielfalt
BfN, BMUB Gefördert werden Vorhaben, denen im Rahmen der Nationalen Strategie
zur Biologischen Vielfalt eine gesamtstaatlich repräsentative Bedeutung
zukommt oder die diese Strategie in besonders beispielhafter und
maßstabsetzender Weise umsetzen. Das Programm soll die Kooperation
unterschiedlicher Akteure bei der Umsetzung der Ziele der Nationalen
Strategie fördern (antragsberechtigt sind z. B. gemeinnützige Organi-
sationen, Verbände, Stiftungen, kommunale Gebietskörperschaften,
Zweckverbände, Privatpersonen).
http://www.
biologischevielfalt.
de/bundespro
gramm_ueber-
blick.html
Erprobungs- und
Entwicklungs -
vorhaben
BfN, BMUB Die Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben (E+E-Vorhaben) sollen zur
Erhaltung der biologischen Vielfalt beitragen. Von besonderer Bedeu-
tung sind dabei Projekte, die Schutz- und Nutzungsaspekte zusammen-
führen. Förderschwerpunkte und beispielhafte Lösungsansätze erstre-
cken sich u. a. auf die ökologische Stadterneuerung.
https://www.bfn.
de/0202_eue.html
Forschungs-
initiative Zukunft
Bau
Bundesinstitut
für Bau-, Stadt-
und Raum-
forschung (BBSR),
BMUB
Die Forschungsinitiative »Zukunft Bau« des BMUB hat das Ziel, die Wett-
bewerbsfähigkeit des deutschen Bauwesens im europäischen Binnen-
markt zu stärken und bestehende Defizite insbesondere im Bereich tech-
nischer, baukultureller und organisatorischer Innovationen zu beseitigen.
»Nachhaltiges Bauen« gehört zu den geförderten Themenkomplexen,
unter Berücksichtigung der Verbesserung der Aufenthaltsqualität durch
Begrünungskonzepte und deren Bewirtschaftung sowie der Verbesse-
rung der Biodiversität.
http://www.bbsr.
bund.de/BBSR/
DE/FP/ZB/
zukunftbau_node.
html
Allgemeine
Ressor t-
forschung,
Bereich Stadt-
entwicklung
Bundesinstitut
für Bau-, Stadt-
und Raum-
forschung (BBSR),
BMUB
Die Projekte dienen der Unterstützung der Raumordnungs-, Wohnungs-
und Städtebaupolitik des Bundes. Ziel dieser Projekte ist es, aktuelle
Fragen der Raumordnung, der Stadtentwicklung sowie des Bau- und
Wohnungswesens zu untersuchen, politischen Handlungsbedarf zu
klären und wissenschaftlich fundierte Grundlagen für die Fortentwick-
lung der Instrumente und Maßnahmen der Politik bereitzustellen.
Darunter fallen auch Themen der nachhaltigen Stadtentwicklung, der
grünen Infrastruktur in Städten oder z. B. urbane Gärten im Quartier.
http://www.bbsr.
bund.de/BBSR/
DE/FP/ReFo/
allgemeineresort
forschung_node.
html
Länder
Städtebau-
förderung in
Baden-
Württemberg
Baden-
Württemberg,
Ministerium
für Finanzen und
Wirtschaft
Der aktuelle Förderschwerpunkt für die Programme der Städtebau-
förderung in Baden-Württemberg ist u. a. die ganzheitliche ökologische
Erneuerung mit den vordringlichen Handlungsfeldern Energieeffizienz
im Altbaubestand, Verbesserung des Stadtklimas, Reduzierung von Lärm
und Abgasen und Aktivierung der Naturkreisläufe in den festgelegten
Gebieten.
http://mfw.baden-
wuerttemberg.de/
de/mensch-wirt
schaft/arbeiten-
und-leben/staedte
baufoerderung/
foerderschwer
punkte-und-
programme/
Integrierte Stadt-
entwicklung (ISE)
in Sachsen
Sächsische
Aufbaubank in
Verbindung
mit EFRE
In benachteiligten Städten und Stadtquartieren können investive und
nicht investive Maßnahmen gefördert werden, die zur Verringerung
des CO2-Ausstoßes beitragen (Handlungsfeld Energieeffizienz) oder dem
Erhalt und Schutz der Umwelt sowie der Ressourceneffizienz (Hand-
lungsfeld Umwelt) dienen.
http://www.sab.
sachsen.de/de/
p_is/detailfp_
is_73536.jsp?m=
19933
Alleen in
Nordrhein-
Westfalen
Ministerium für
Klimaschutz,
Umwelt, Land-
wirtschaft, Natur-
und Verbraucher-
schutz des Landes
Nordrhein-
Westfalen
Die Neuanlage von Baumalleen in der freien Landschaft sowie die Ergän-
zungspflanzung und Wiederherstellung von Baumalleen in Innenstädten
und in der freien Landschaft entlang von Kreis- und Gemeindestraßen,
Wirtschaftswegen und Rad- und Wanderwegen werden vom Land Nord-
rhein-Westfalen mit Fördermitteln unterstützt.
https://www.
umwelt.nrw.de/
natur-wald/
natur/foerder
programme/
alleen/
INFOBOX 9 – 12
Friedhofsflächen unter Kostendruck
Friedhofseinrichtungen erbringen auch zahlreiche öffentliche
Leistungen (Gawel, 2010a), darunter wichtige unterstützende,
regulative und kulturelle Ökosystemleistungen für Siedlungs-
räume: So leisten Friedhöfe als Lebensräume für die Pflan-
zen- und Tierwelt einen wichtigen Beitrag zum städtischen
Naturschutz (Reidl und Schmidt, 1989). Sie lockern den be-
bauten städtischen Raum durch nicht versiegelte Grünflächen
auf, tragen zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung bei
und verbessern das Stadtklima (Gawel, 2010a). Auch begüns-
tigen sie den Immissionsschutz durch Lärmreduktion und
Luftreinhaltung. Je nach Ausstattung, Flächenstruktur oder
historischer Bedeutung werden Friedhöfe zudem von Touris-
ten, Erholungssuchenden oder einfach Wegenetznutzern in
Anspruch genommen. Im Kern erfüllen sie schließlich kultu-
relle Leistungen, denn sie sind Orte der gelebten Friedhofs-
kultur einer Gesellschaft – durch Beisetzungen, Trauerarbeit
und Grabpflege.
Seit Längerem ist ein klarer Trend zur rückläufigen Kapazi-
tätsauslastung von Friedhöfen zu beobachten (Nohl und
Richter, 2001; Morgenroth, 2009). Eine sprunghaft steigende
Nachfrage nach günstigen, pflegefreien und zugleich platz-
sparenden Urnengräbern sowie nach Baumbestattungen auf
neuartigen Waldfriedhöfen, nachlassende soziale Verbind-
lichkeit traditioneller Formen der Bestattungskultur (Benkel,
2012), aber auch steigende Lebenserwartung und Abwande-
rungsverluste in einzelnen Regionen (Rückgang der Bestat-
tungsfälle) lassen zunehmend Friedhofsfläche ungenutzt. Die
traditionellen, flächenzehrenden Erdgräber sind auf dem Rück-
zug; mit ihnen schrumpft die für Friedhofsanlagen erforder-
liche Fläche. Da Freiflächen (nicht belegte Grabflächen) nur
bedingt in die Gebührenkalkulation einfließen dürfen ( Gawel,
2010b, 2016), drohen den kommunalen Haushalten die Ein-
nahmen für die Friedhofsbewirtschaftung wegzubrechen;
schrumpfende Fallzahlen und die Nachfrage nach günsti-
gen Grabarten verschärf t die Einnahmenproblematik noch.
Ohne hin darf auch das sog. »öffentliche Interesse« an Fried-
hofsflächen (Allgemeinleistungen wie Parkflächen, Seen/
Teiche, touristischer Mehrwert) nicht in die Nutzergebühren
eingerechnet werden, sondern muss von den Kommunen
getragen werden (Gawel, 2011b). Daher drücken sich die All-
gemeinleistungen der Friedhöfe als naturnahe Flächen gerade
nicht in ihren Einnahmen aus (Gawel, 2010a). Auf diese Weise
wird nicht nur immer weniger Fläche benötigt, die den Nut-
zern in Rechnung gestellt werden kann, sondern die Friedhöfe
kämpfen zunehmend mit strukturellen Defiziten, die selbst
durch Gebührenerhöhungen nicht aufgefangen werden könn-
ten. So entsteht erheblicher Druck in Richtung Verkleinerung
und Umwidmung der Friedhofsflächen, und Umnutzungen
hochwertiger Grünflächen erscheinen zunehmend als Aus-
weg, um die weitgehend fixen Kosten für die Kommunen zu
verringern (Venne, 2010; Venne und Schuster, 2008).
Zumindest teilweise lässt sich das Problem aber über die Ge-
bührenkalkulation lösen (Gawel, 2011a, 2016): Denn zahlreiche
Probleme der Friedhofsbewirtschaftung, die verändertem Be-
stattungsverhalten zugeschrieben werden (Tendenz zu Urnen,
Fallzahlenschwund, Unterauslastung), gehen auch auf kalku-
latorische und gebührenpolitische (Fehl-) Entscheidungen der
Träger selbst zurück. Hier dominiert traditionell ein Gebühren-
modell, das auf die in Anspruch genommene Friedhofsfläche
setzt und so z. T. massive Anreize zu »platzsparendem« und
260 wEGE ZUR UMSETZUNG – INTEGR ATIoN VoN ÖKoSYSTEMLEISTUNGEN IN ENTSCHEIDUNGEN DER STADTENTwICK LUNG
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 261
ABBILDUNG 9 – 11 Stadtfriedhöfe leisten einen wichtigen Beitrag zum städtischen Naturschutz und erbringen vielfältige
Ökosystemleistungen. (Foto: Irene Ring)
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denken eingesetzt. Das sog. »Kölner Modell« steht als be-
sonders prominentes und vieldiskutiertes Beispiel für diese
Entwicklung (Hanselmann, 2001): Hier werden nur noch
Teile der Kosten nach Grabflächen verteilt, während andere
flächen unabhängig zugewiesen werden. Viele andere Modelle
sind denkbar (Gawel, 2011a, 2016). Allen Versuchen gemein-
sam ist die Zurückdrängung des Einflusses der Grabfläche als
Gebührenparameter. Im Ergebnis steht eine Nivellierung der
bisher stark aufgespreizten Gebührensätze zwischen »raum-
greifenden« und »platzsparenden« Grabtypen. Dies trägt zur
Stabilisierung der Nachfrage nach größeren Grabformen bei,
was notwendig ist, um vorhandene Flächen halten zu kön-
nen. Es sorgt für eine stärkere Auslastung der Anlagen, verbes-
sert die Kostendeckung und stützt zudem die Friedhofskultur
sowie die von Friedhofsflächen ausgehenden Ökosystem-
leistungen.
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FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 269
FAZIT UND
HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
10 sein können. Aus einer ökonomischen Perspektive betrach-
tet bewirkt Stadtnatur mit ihren Leistungen für die Lebens-
qualität und Attraktivität urbaner Gebiete jedoch positive
volkswirtschaftliche Effekte.
Der Bericht fasst den derzeitigen Kenntnisstand zu Leis-
tungen der Stadtnatur und ihrer gesellschaftlichen Bedeu-
tung vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen zu-
sammen. Das Verständnis solcher Zusammenhänge ist eine
wichtige Voraussetzung dafür, die mit Ökosystemleistungen
verbundenen Chancen für eine soziale und ökologisch nach-
haltige Stadtentwicklung erkennen und bei Entscheidun-
gen zur Stadtentwicklung und zum Einsatz öffentlicher und
privater Ressourcen berücksichtigen zu können (vgl. Abbil-
dung 10 – 1).
In diesem Kapitel werden die Berichtsinhalte zu zentralen
Botschaften verdichtet und darauf aufbauend wesentliche
Schlussfolgerungen abgeleitet – ohne dabei die Gesamtheit
aller Ergebnisse abbilden zu können. Insofern sei nachdrück-
lich auf die einzelnen Berichtskapitel verwiesen.
1. Kapitel 10.1 gibt im Rahmen einer Zusammenfassung
einen kurzen Überblick über die gesellschaftliche Relevanz
einzelner urbaner Ökosystemleistungen und stellt deren
Beiträge zur Bewältigung wesentlicher Herausforderun-
gen der Stadtentwicklung heraus.
2. Anschließend thematisiert Kapitel 10.2 Chancen und Her-
ausforderungen, die sich aus der Multifunktionalität von
Stadtnatur ergeben und für integrative Ansätze bei der
Berücksichtigung von Ökosystemleistungen aller Flächen-
nutzungstypen innerhalb urbaner Gebiete sprechen.
3. Schließlich identifiziert Kapitel 10.3 strategische Ansatz-
punkte für eine stärkere Berücksichtigung urbaner Öko-
systemleistungen bei Planungen und Entscheidungen im
Sinne einer sozial und ökologisch nachhaltigen Stadtent-
wicklung.
4. In Kapitel 10.4 wird ein kurzes Fazit gezogen.
Das anhaltende Wachstum vieler Städte belegt, wie attrak-
tiv urbane Gebiete als Orte des Lebens, Arbeitens und Wirt-
schaftens sind. Zunehmende Bevölkerungszahlen und bau-
liche Verdichtung sowie der gesellschaftliche Wandel führen
dabei zu erheblichen Herausforderungen im Hinblick auf das
Ziel, eine hohe Lebensqualität in Städten zu gewährleisten.
Steigende Umweltbelastungen, z. B. durch Feinstaub, Lärm
oder Hitzewellen, gefährden die Lebensqualität und führen
zu individuellen Beeinträchtigungen und zunehmenden
volkswirtschaftlichen Kosten, bspw. im Gesundheitsbereich.
Auch öffentliche Haushalte werden belastet, etwa durch hö-
here Vermeidungskosten. Der Klimawandel wird die Situa-
tion absehbar verschärfen. Standorte, Stadtquartiere oder
ganze Städte können für die hier lebenden Menschen und
Unternehmen an Attraktivität verlieren – auch in Konkurrenz
zu anderen Standorten. Benachteiligte Bevölkerungsgrup-
pen sind schon heute häufig besonders stark von Umwelt-
belastungen betroffen, was zur Frage nach Umweltgerech-
tigkeit führt. Zudem führt der dynamische Wandel in der
Stadtgesellschaft im Zusammenhang mit demographischen
Veränderungen, neuen Lebensstilen und der Zuwanderung
unterschiedlicher Gruppen, auch aus anderen Ländern, zu
erheblichen sozialen Herausforderungen – und damit auch
zu unterschiedlichen Erwartungen an die Leistungen der
Stadtnatur.
Das zentrale Ziel dieses Berichts ist es aufzuzeigen, wie Stadt-
natur auf vielfältige Weise zu einer nachhaltigen, sozial und
ökologisch verträglichen Stadtentwicklung und damit zu
erfolgreichen und attraktiven Städten beitragen kann. Die
gesellschaftliche Bedeutung der Stadtnatur wird mit Hilfe
des Ökosystemleistungsansatzes veranschaulicht, der mit
dem Millennium Ecosystem Assessment sowie dem TEEB-
Ansatz weltweit Anwendung gefunden hat (vgl. Kapitel 1.1,
Infobox 1 – 1). Stadtnatur ist dabei ein Oberbegriff, der die
vielfältigen naturnahen Gebiete und Gewässer sowie die
kulturell geprägten Bestandteile des Stadtgrüns auf priva-
ten und öffent lichen Flächen zusammenfasst (vgl. Kapitel
1.2). Stadt natur ist auch die Grundlage dessen, was heute pla-
nerisch als grüne Infrastruktur angesprochen wird: ein Netz-
werk von Grün- und Freiflächen, das zur Lebensqualität und
Daseinsvorsorge in Städten beiträgt.
In vielen Städten nehmen Flächenkonkurrenzen zu. Ökono-
mische Vorteile einer weiteren Verdichtung werden oft bilan-
ziert, ohne jedoch die gesellschaftlichen Nachteile und volks-
wirtschaftlichen Kosten einzurechnen, die mit dem Verlust
von Freiräumen und deren Ökosystemleistungen verbunden
KOORDINIERENDER AUTOR
INGO KOWARIK
WEITERE AUTORIN UND AUTOREN
ROBERT BARTZ, MIRIAM BRENCK, BERND HANSJÜRGENS
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
ANONYME GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
10.1 Ökosystemleistungen erhöhen die Lebensqualität und Attraktivität
von Städten 271
10.1.1 Gesundes Leben in der Stadt 271
10.1.2 Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken 272
10.1.3 Kinder und Jugendliche Natur erleben lassen 273
10.1.4 Lebensmittel anbauen – mehr als Nahrung 273
10.1.5 Stadtnatur als Standortfaktor 274
10.2 Multifunktionalität von Stadtnatur: Chancen und Herausforderungen 275
10.2.1 Multifunktionalität von Ökosystemleistungen nutzen 275
10.2.2 Doppelte Innenentwicklung: Stadtentwicklung
ökologisch qualifizieren 277
10.2.3 Ökosystemleistungen und biologische Vielfalt 278
10.3 Ökosystemleistungen in kommunale Entscheidungen integrieren
und Handlungen anstoßen: Ansatzpunkte und Instrumente 279
10.3.1 Informationen liefern und in Entscheidungen integrieren 280
10.3.2 Neue Allianzen schaffen und Zusammenarbeit stärken 281
10.3.3 Ökosystemleistungen stärker in der Stadtentwicklung
berücksichtigen 283
10.3.4 Ökonomische Anreize setzen 284
10.4 Fazit 285
Literatur 285
270 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 271
ABBILDUNG 10 – 1 Stadtnatur, urbane Ökosystemleistungen und ihre gesellschaftliche Bedeutung im Kontext wesentlicher
Herausforderungen, Entscheidungen und Handlungen in der Stadtgesellschaft. Um die Leistungen von Stadtnatur angemessen zu
sichern und zu fördern, bedarf es entsprechender Aktivitäten in Form von Strategien, Instrumenten und Maßnahmen. Es bestehen jedoch
auch Rückwirkungen dieser Aktivitäten auf die Herausforderungen, die Ökosystemleistungen und ihre gesellschaftliche Bedeutung.
(Quelle : eigene Darstellung)
Gesundheitliche Belastungen mindern nicht nur die indivi-
duelle Lebensqualität, sondern ziehen auch erhebliche
Kosten im Gesundheitswesen
nach sich. Allein die durch
Luftverschmutzung verursachten volkswirtschaftlichen Kos-
ten bewegen sich Schätzungen zufolge EU-weit zwischen
330 und 940 Mrd. € jährlich und entsprechen damit 3 bis
9 % des Bruttoinlandsprodukts der EU (EEA, 2010, 2013; vgl.
Kapitel 3, Infobox 3.3 – 1).
Insbesondere über ihre regulierenden Ökosystemleistungen
hilft Stadtnatur, die geschilderten Belastungen zu min-
dern. So binden Bäume und andere Vegetationselemente
Feinstaub und andere Luftschadstoffe und mindern über
Beschattung und Verdunstungskühle die Hitzebelastung. Ve-
getation an Straßen kann bspw. die Feinstaubkonzentratio-
nen um bis zu 15 % verringern (Kuypers et al., 2007). Gewäs-
ser, Wälder und Parks sind sogenannte Kühleinseln, die nachts
die Wärmebelastung in angrenzenden Stadtquartieren deut-
lich vermindern. Selbst kleinere Grünflächen können die Tem-
peratur im Vergleich zur bebauten Umgebung bereits um 3
bis 4 Grad senken (Bruse, 2003). Stadtnatur kann zudem eine
positive Geräuschkulisse erzeugen und so Lärm erträg licher
machen (Gidlöf-Gunnarson und Ohrström, 2010). Solche
Ökosystemleistungen fördern die Gesundheit und Lebens-
qualität von Menschen in der Stadt, verringern dadurch
Kosten im Gesundheitswesen und fördern die Anpassung
an den Klima wandel.
Unversiegelte Böden leisten wesentliche Beiträge zur Rück-
haltung von Schadstoffen und der Versickerung von Nieder-
schlagswasser. Dadurch werden die Kosten der Wasserreini-
gung vermindert und die Kanalisationssysteme entlastet (vgl.
Kapitel 3.5.3). Die erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung
dieser Ökosystemleistungen wird im Zuge des Klimawandels
zunehmen, da das Risiko von Starkregen und darauf folgen-
den Überschwemmungen steigt.
Stadtnatur vermindert nicht nur Umweltbelastungen, son-
dern begünstigt auch unmittelbar die physische und psy-
chische Gesundheit der Menschen. Bereits der Blickkontakt
zu Naturelementen ist mit positiven Wirkungen verbunden.
So werden Patienten in Krankenzimmern schneller gesund,
wenn sie in eine begrünte Umgebung blicken können (Ulrich,
1984). Naturnahe und gestaltete Freiräume bieten Anreize
für körperliche Aktivitäten, die eine gesundheitsfördernde
Wirkung haben, z. B. über eine Stärkung des Herz-Kreislauf-
Systems und des Immunsystems (Bowler et al., 2010; de
Vries et al., 2013). Epidemiologische Studien haben mehr-
fach belegt, dass mit zunehmender Entfernung von grünen
10.1 ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN ERHÖHEN
DIE LEBENSQUALITÄT UND ATTRAKTIVITÄT
VON STÄDTEN
Stadtnatur in ihren vielfältigen Erscheinungsformen fördert
die Attraktivität von Städten als Orte des Lebens, Arbeitens
und Wirtschaftens. In diesem Kapitel werden wesentliche
Ökosystemleistungen veranschaulicht, die helfen
Umweltbelastungen zu vermindern,
menschliche Gesundheit zu fördern,
sozialen Zusammenhalt zu stärken,
Kontakte zur Natur zu bewahren und
die Attraktivität von Standorten zu erhöhen.
10.1.1 Gesundes Leben in der Stadt
Zahlreiche Umweltbelastungen konnten während der letz-
ten Jahrzehnte deutlich reduziert werden. Dennoch sind auch
heute noch Städte im Vergleich zum Umland oft stärker
belastet durch Überwärmung, hohe Konzentrationen von
Feinstaub und anderen Luftschadstoffen sowie durch Lärm.
Solche Belastungsfaktoren führen einzeln – und besonders
im Zusammenwirken – zu erheblichen gesundheitlichen Be-
einträchtigungen und zu erhöhten Erkrankungs- und Sterb-
lichkeitsraten. In Berlin hängen bspw. 4 bis 5 % aller Sterbe-
fälle mit Hitzebelastung zusammen (Scherer et al., 2013). Aus
der Überschreitung von Grenzwerten resultiert für Kommu-
nen zudem ein unmittelbarer Handlungsbedarf (z. B. im Fall
der Überschreitung EU-weit gültiger Grenzwerte zur Fein-
staubbelastung, vgl. Kapitel 3.3).
Der Klimawandel hat bereits zu erhöhten Belastungen ge-
führt. Diese werden sich in Zukunft erheblich verstärken.
Hitzewellen werden künftig noch häufiger auftreten, inten-
siver ausfallen und länger andauern (IPCC, 2013). Die städ-
tischen Wärmeinseln dehnen sich aus, sodass zukünftig
mehr Menschen direkt von Überwärmung und Hitzewellen
betrof fen sein werden. Dies ist insbesondere für ältere Men-
schen und für Menschen mit Herz-Kreislauf- und Atemwegs-
erkrankungen ein wachsendes Gesundheitsrisiko. Aufgrund
des demografischen Wandels mit einer zunehmend altern-
den Gesellschaft ist dies von großer Relevanz. Umwelt- und
Gesundheitsrisiken nehmen auch infolge der häufiger auf-
tretenden starken Niederschläge zu.
10.1
Lebensqualität, Gesundheitsförderung, Umweltgerechtigkeit,
sozialer Zusammenhalt, attraktive Städte und Standorte,
Anpassung an den Klimawandel
Herausforderungen
Ökosystemleistungen
Gesellschaftliche Bedeutung
Weniger Hitzestress
Naturerfahrung
Saubere Luft
Wirtschaftlich attraktive Standorte
Erholung
Weniger Gesundheitskosten
Soziale Interaktionen
Bauliche Verdichtung
Klimawandel
Umweltbelastungen
Standort konkurrenzen
Fehlende Umweltgerechtigkeit
Soziale Segregation
Naturentfremdung
Verlust an Biodiversität
Strategien, Instrumente, Entscheidungen,
Handlungen zur
Förderung von Ökosystemleistungen
Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung
Bewältigung wesentlicher Herausforderungen
272 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 273
zulassen. Zum anderen ist oft eine Betreuung gefragt, die Zu-
gänge zur Natur fördert oder überhaupt erst möglich macht.
Grüne Lernorte tragen mit einem breiten Spektrum von
Ansätzen erheblich zum Naturerleben und zur Umweltbil-
dung bei und fördern damit die Entwicklung der Heranwach-
senden. Viele solcher Einrichtungen arbeiten erfolgreich im
naturnahen Umfeld von Städten. Dazu gehören vor allem
Waldschulen und andere Walderfahrungsprojekte, aber auch
Projekte mit landwirtschaftlichem Bezug (z. B. Lernbauern-
hof Ingenhammshof in Duisburg, vgl. Kapitel 6, Infobox 6 – 8).
Urbane Wildnis, die sich oft auf Brachflächen entwickelt,
bietet hervorragende Möglichkeiten des Naturerlebens, ins-
besondere wenn die Flächen im Wohnumfeld liegen. Ein
innovatives Beispiel ist die ehemalige Zeche Rheinelbe im
Stadtgebiet von Gelsenkirchen. Von den Kindern, die hier
an dem Projekt »Waldwärts« (vgl. Kapitel 6, Infobox 6 – 5)
teilnehmen, haben über 60 % einen Migrationshintergrund.
Eine neue, im Bundesnaturschutzgesetz vorgesehene Flä-
chenkategorie sind Naturerfahrungsräume. Diese wer-
den unmittelbar im städtischen Wohnumfeld eingerich-
tet und ergänzen das traditionelle Angebot an Spielplätzen.
Damit soll Kindern und Jugendlichen das Naturerleben
gezielt an den Orten ermöglicht werden, an denen be-
sondere Defizite bestehen. Die Hauptidee dabei ist, dass
Kinder sich im eigenständigen Spiel mit Naturelemen-
ten auseinandersetzen und so Freiräume nutzen, die auf
konventionellen Spielplätzen oder in Grünanlagen nicht
bestehen. Erfolgreiche Beispiele wie »Das Paradies« in
Oppenheim oder Naturerlebnisräume in Baden-Würt-
temberg (vgl. Kapitel 6) zeigen, dass wichtige Fragen (z. B.
Haftung, Betreuung) geklärt werden können und Kinder
diese Räume mit Begeisterung nutzen.
10.1.4 Lebensmittel anbauen – mehr als Nahrung
Stadterweiterungen und bauliche Verdichtung erfolgen oft
auf Kosten von Landwirtschafts- oder Gartenbauflächen.
Diese Flächen können jedoch für die Stadtgesellschaft eine
Bedeutung erlangen, die weit über die Versorgung mit Le-
bensmitteln hinausreicht und häufig unterschätzt wird.
Mangelndes Wissen über die Herkunft von Lebensmitteln
und der zunehmende Konsum von industriell gefertigten
Speisen begünstigen Übergewicht bei Kindern, Jugendlichen
und Erwachsenen. Ernährungsbedingte Krankheiten wie
Diabetes oder Übergewicht ziehen erhebliche Kosten für
das Gesundheitswesen nach sich. In Deutschland muss-
ten bspw. im Jahr 2008 ca. 8,7 Mrd. € zur Behandlung von
kulturellen und politischen Austausch bieten. Dies gilt auch für
Migranten und für Menschen, die sich aus der Gemeinschaft
zurückgezogen haben oder keiner regelmäßigen Beschäfti-
gung nachgehen. So kann mit Gartenprojekten ein Gemein-
schaftsgefühl gestärkt werden, das auch zur Identifikation
mit dem Quartier oder der Stadt beiträgt. Erfolgreiche Bei-
spiele sind, neben vielen anderen, der Internationale Stadtteil-
garten Hannover und die Prinzessinnengärten in Berlin, die
als zukunftsweisender Beitrag zu einer nachhaltigen sozialen
Stadtentwicklung auch weit über Berlin und Deutschland
hinaus Aufmerksamkeit erlangt haben.
In schrumpfenden Städten entsteht oftmals ein Überange-
bot an Freiräumen. Beispiele wie das »Claiming« in Dessau,
bei dem Freiraum-Parzellen für individuelle Nutzungen zur
Verfügung gestellt werden (vgl. Kapitel 5.8), veranschau-
lichen innovative Wege einer neuen In-Kulturnahme brach
gefallener Flächen durch die Stadtgesellschaft. Hier wer-
den verschiedene Perspektiven miteinander verbunden,
vom Anbau von Lebensmitteln bis zur Wildnisentwicklung
( Brückner, 2008). Neue Formen der Beteiligung und des Ge-
staltens fördern Engagement und Identifikation mit dem
Stadt quartier und der gesamten Stadt.
10.1.3 Kinder und Jugendliche Natur erleben lassen
Die Naturentfremdung von Kindern und Jugendlichen nimmt
zu. Dies bedeutet Risiken für ihre gesunde körperliche und
psychische Entwicklung. Ergebnisse der Kindheitsforschung
verweisen bereits heute auf Defizite bei motorischen, kog-
nitiven und sozialen Fähigkeiten (Gebhard, 2009; Kahn und
Kellert, 2002; vgl. Kapitel 6). Damit sind individuelle Ein-
schränkungen und Folgeerkrankungen und in Folge dessen
auch erhebliche Kosten im Gesundheitswesen verbunden.
Dagegen fördern freies Bewegen und Spielen im naturnahen
Umfeld und die Interaktion mit Naturelementen (Wasser,
Boden, Pflanzen, Tiere) eine gesunde Entwicklung von Kindern
und Jugendlichen. Auch ihre Eigenverantwortung, Kreativität,
Risikokompetenz und soziale Kompetenz sowie ihre sprach-
lichen, motorischen und naturwissenschaftlichen Fähig-
keiten werden dadurch begünstigt.
Da der Zugang zu Natur für viele Kinder und Jugendliche
heute nicht mehr selbstverständlich ist, bestehen zwei
Heraus forderungen: Zum einen wächst der Bedarf an Flä-
chen, die möglichst im Wohnumfeld besondere Anreize und
Möglichkeiten für entsprechende Aktivitäten bieten. Hierzu
eignen sich grüne Flächen, die wenig oder gar nicht gestal-
tet sind und Interaktionen von Kindern und Jugendlichen
verschiedensten Akteuren des Gesundheitswesens bereits
Anlass geben, sich für die Erhaltung und Förderung von Stadt-
natur einzusetzen. Von mehr als 180 Projektpartnern wurden
bis heute etwa 40.000 Bäume gepflanzt (Centre for Sustai-
nable Health Care, 2016).
Die urbane Infrastruktur auch im Hinblick auf gesundheits-
fördernde Qualitäten zu optimieren und dabei neue Allian-
zen zwischen Stadtentwicklung und dem Gesundheitssektor
zu erschließen, ist daher wesentlich für eine nachhaltige
Stadtentwicklung.
10.1.2 Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken
Die städtische Bevölkerung ist hinsichtlich ihrer Herkunft,
kultureller Hintergründe und sozialer Milieus sehr heterogen.
Demografischer Wandel, neue Lebensstile, ein stärker indi-
vidualisiertes Verhalten sowie die aktuelle Zuwanderung füh-
ren zu neuen Anforderungen an die Stadtnatur als sozialen
Raum. Der skizzierte Wandel ist mit gesellschaftlichen Kon-
flikten verbunden, die durch prekäre Arbeits- und Wohnbe-
dingungen und Tendenzen der Gentrifizierung in manchen
Stadtquartieren noch verstärkt werden. Damit nimmt die
Herausforderung zu, den Zusammenhalt einer heterogenen,
sich stark verändernden Gemeinschaft zu stärken. Die Inte-
gration von Menschen mit Migrationshintergrund und die
Inklusion von Menschen mit chronischen Krankheiten und
Behinderungen sind dabei wichtige Aufgaben.
Insbesondere in wachsenden Städten steigt der Bedarf an
urbanen Freiräumen als Orte, die eine individuelle Freizeit-
gestaltung ermöglichen, aber darüber hinaus auch Be-
gegnung, Austausch und interkulturelle Vielfalt fördern.
Öffentliche Freiräume wie Parks, Gewässerränder, Gemein-
schaftsgärten, Naturerfahrungsräume u. v. a. sind frei und
ohne Kosten zugänglich und bieten damit zentrale Beiträge
zur Umweltgerechtigkeit. Hier – und auch in vielen halb-
öffentlichen Freiräumen im Wohnumfeld – können Menschen
individuell oder zusammen Freizeit verbringen, ohne etwas
konsumieren zu müssen. Auch traditionelle Kleingärten, die
von rund fünf Millionen Menschen in Deutschland genutzt
werden, haben bedeutende soziale Funktionen und tragen
zur Integration bei (BDG, 2006).
Gemeinschaftsgärten wie Nachbarschafts- oder Interkultu-
relle Gärten, die häufig aus der Initiative von Anwohnerin-
nen entstehen, sind Experimentierräume für neue Formen
des Lebens in der Stadt, die oft soziale und ökologische
Ziele verbinden. Sie sind inklusive Orte des Miteinanders,
die Raum zum Gestalten, Handwerken sowie für kreativen,
Räumen in der Stadt das Risiko zu erkranken steigt und die
Lebenserwartung sinkt (Maas et al., 2009; Richardson und
Mitchell, 2010). Naturkontakt hilft darüber hinaus, Stress,
Aggressionen oder auch Ängste abzubauen und fördert die
Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. So traten nach einer
amerikanischen Studie weniger soziale Konflikte in einer
Wohnsiedlung auf, wenn die Wohnungen auf ein grünes Um-
feld ausgerichtet waren (Kuo und Sullivan, 2001). Kinder mit
ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung)
können sich bspw. nach dem Spielen oder Spazierengehen
in einer natürlichen Umgebung besser konzentrieren (Faber
Taylor und Kuo, 2009).
Nach einer aktuellen Studie in 32 deutschen Großstädten
besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem
individuellen Wohlbefinden der dort lebenden Menschen,
der Erreichbarkeit von Grünräumen und dem Grünraum-
anteil (Krekel et al., 2016). Auch Bertram und Rehdanz (2015)
konnten zeigen, dass die Befragten zunehmend bereit waren,
mit Investitionen die Lebensqualität zu steigern, je geringer
der Anteil an Grünräumen und deren Erreichbarkeit waren.
Die Möglichkeit, Freiflächen im Wohn- oder Arbeitsumfeld
aufsuchen zu können, fördert allgemein die Gesundheit und
auch soziale Beziehungen (Maas et al., 2009). Eine gleich-
mäßige Verteilung von Freiflächen im Stadtbereich wirkt
sich dabei positiv auf die Umweltgerechtigkeit in der Stadt
aus. Benachteiligte Bevölkerungsgruppen sind häufiger Um-
weltbelastungen ausgesetzt und haben weniger Zugang zur
Stadtnatur und den mit ihr verbundenen ausgleichenden
Ökosystemleistungen – mit nachteiligen Folgen für die Ge-
sundheit (Hornberg und Pauli, 2012).
Insgesamt gesehen haben die positiven Gesundheitsef -
fekte von Stadtnatur eine enorme volkswirtschaftliche Be -
deutung, da ohne sie wesentlich höhere Kosten im Gesund-
heitssektor entstünden. Allein die drei für das Gesundheits-
wesen teuersten Erkrankungen – Herz-Kreislauf-Erkrankun-
gen, Erkrankungen des Verdauungssystems und psychische
Erkrankungen – haben in Deutschland im Jahr 2008 etwa
100 Mrd. € Krankheitskosten verursacht (StBA, 2014). Stress
gilt als Mit-Ursache insbesondere für Herz-Kreislauf- und
psychische Erkrankungen. Die Leistungen von Stadtnatur
zur Stressreduzierung sind somit auch von großer volkswirt-
schaftlicher Relevanz. Zwar steht eine umfassende ökonomi-
sche Bilanzierung solcher Effekte noch aus, das Beispiel des
»Centre for Sustainable Health Care« aus Großbritannien
zeigt aber, dass bisher vorliegende Erkenntnisse hinsicht-
lich der gesundheitsfördernden Wirkungen von Stadtnatur
274 FAZIT UN D HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 275
mögliche Synergien zwischen der Förderung städtischer
Lebensqualität und biologischer Vielfalt in urbanen Ge-
bieten.
10.2.1 Multifunktionalität von Ökosystemleistungen
nutzen
Ein wesentlicher Vorteil des TEEB-Ansatzes besteht darin,
Leistungen der Stadtnatur und ihrer Kompartimente für ver-
schiedene Akteurinnen der Stadtgesellschaft sichtbar zu ma-
chen. Dies betrifft Menschen, die unmittelbar von diesen
Leistungen in ihren Arbeits- und Lebensbereichen profitie-
ren, ebenso wie Verantwortliche in Politik und Verwaltung,
die für bestimmte Bereiche zuständig sind.
Ökosystemleistungen können dabei einzeln bestimmt oder
in Bezug zueinander gesetzt werden. Abbildung 10 – 2 ver-
anschaulicht dies am Beispiel von Stadtbäumen. In einer
monofunktionalen Betrachtung werden unmittelbare Be-
züge zwischen einer bestimmten Ökosystemleistung und
einem bestimmten gesellschaftlichen Interesse aufgezeigt.
So besteht eine direkte Verbindung zwischen den Leistun-
gen von Stadtbäumen und der kommunalen Wasserwirt-
schaft, da aufgrund der Zurückhaltung von Regenwasser
(Retentions funktion) das Kanalisationssystem entlastet wird
und geringere Kosten für die Anpassung an den Klimawandel
anfallen. Die Chancen monofunktionaler Betrachtungen von
Ökosystemleistungen liegen in der Schärfung der Sicht auf
einzelne Probleme und mögliche Lösungen. In Kopenhagen
fiel die Entscheidung zugunsten erheblicher Investitionen
in Begrünung und weitere Maßnahmen zur Stärkung der
Retentionsfunktion von Freiräumen (z. B. auch entlang von
Straßen), weil naturbasierte Lösungen volkswirtschaftlich
günstiger sind als Investitionen in rein technische Lösungen
des Hochwasserschutzes (vgl. Grönmeier et al., 2013). Natur -
basierte Lösungen systematisch mit anderen Lösungen zu
vergleichen, ist daher im Sinne eines effizienten Mittel-
einsatzes aus betriebswirtschaftlicher wie aus volkswirt-
schaftlicher Sicht sinnvoll (zu entsprechenden Ansätzen vgl.
Kapitel 10.3).
Allerdings erbringen die Bestandteile der Stadtnatur in
der Regel verschiedene Ökosystemleistungen, die densel-
ben oder auch anderen gesellschaftlichen Bereichen zugute -
kommen können. Auch negative Effekte (Disservices) können
auftreten (vgl. Abb. 10.2). Mit einer Beachtung der Multi-
funktionalität von Ökosystemleistungen kann sicherge-
stelltwerden, dass sich positiv verstärkende Beziehungen
zwischen verschiedenen Ökosystemleistungen (Synergien) –
ebenso wie Trade-offs zwischen positiven und negativen
gestalteten Arbeitsumfelds auf die Gesundheit, Motivation
und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten den Unternehmen
zugute. Derartige Wirkungen sind bislang meist für Parks
festgestellt worden. Eine jüngere Studie hat jedoch gezeigt,
dass auch Blicke auf ein grünes Dach im Vergleich zu einem
grauen Dach besser die Aufmerksamkeit der Probanden wie-
derherstellen – dies verweist auf positive Wirkungen für
Beschäftigte in höheren Gebäuden (Lee et al., 2015).
Eine bessere Versorgung mit Stadtgrün wirkt sich auch auf
die Immobilienpreise aus. Für Köln wurde gezeigt, dass der
wertsteigernde Effekt der Nähe zu einem Stadtpark zwar im
Vergleich zur Wirkung anderer Faktoren (z. B. Größe, Alter
der Immobilien) deutlich niedriger ist (Kolbe und Wüste-
mann, 2014 ; vgl. Kapitel 8.1, Infobox 8.1 – 1). Angesichts der
hohen Anzahl an Immobilientransaktionen führen jedoch
auch diese geringen Effekte insgesamt zu einer nennens-
werten Wertsteigerung.
All diese Beispiele zeigen: Stadtnatur ist von erheblicher
gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Sie leistet Beiträge zur
Gesundheit, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, für die
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, für die Versor-
gung mit Nahrungsmitteln und als Standortfaktor. Auch
wenn es nicht für alle genannten Bereiche quantitative
Studien gibt, die diese gesamtwirtschaftliche Bedeutung
widerspiegeln, wird deutlich: Die positiven volkswirtschaft-
lichen Effekte von Stadtnatur sind immens!
10.2 MULTIFUNKTIONALITÄT VON STADTNATUR:
CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN
Der Bericht belegt mit vielen Beispielen, dass verschiedene
Elemente der Stadtnatur wie Wälder, Parks, Gärten, Gewässer,
Böden oder Straßenbäume ein breites Spektrum unterschied-
licher Ökosystemleistungen erbringen. In diesem Kapitel wer-
den Chancen und Herausforderungen der Verbindung unter-
schiedlicher Perspektiven herausgestellt. Dabei geht es um
Chancen, die mit unterschiedlichen Zugängen zur Berück-
sichtigung von Ökosystemleistungen bei Planungen und
Entscheidungen im Sinne einer sozial und ökologisch nach-
haltigen Stadtentwicklung verbunden sind (Multifunktio-
nalität),
die Frage, wie Ökosystemleistungen vor dem Hintergrund
zunehmender Flächenkonkurrenzen im Rahmen einer dop-
pelten Innenentwicklung gefördert werden können, und
Büroangebot oder Nähe zu Absatzmärkten. Werden verschie-
dene Standorte in dieser Hinsicht gleich bewertet, können
»weiche« Faktoren ausschlaggebend sein. Hierzu gehören –
neben der allgemeinen Attraktivität von Städten – auch ihre
Umweltqualität, der Freizeitwert und ein attraktives Um -
feld für das Leben und Arbeiten. Gerade für die Anwerbung
hochqualifizierter Arbeitskräfte gewinnt dieser Aspekt an
Bedeutung.
In der Förderung von Stadtnatur liegt für Kommunen somit
auch die Chance, ihre Attraktivität als Unternehmensstand-
ort zu erhöhen. Ein Mehrwert ergibt sich zudem, wenn Stadt-
natur zu einer Marke wird und dadurch das positive Image
einer Stadt fördert. Dies erfolgt bspw. durch die Prämie-
rung in Wettbewerben wie »Bundeshauptstadt der Biodiver-
sität«. Bedeutende Grünflächen, die in Zeiten knapper Kassen
oft vornehmlich als Verursacher von Kosten gesehen wer-
den, können wesentlich zu einer positiven Außenwirkung
von Städten beitragen. Dies gilt für historische Anlagen wie
die Potsdamer Schlossgärten ebenso wie für neue Projekte,
z. B. den Landschaftspark Duisburg-Nord, das Tempelhofer
Feld in Berlin und die Isar nach ihrer Renaturierung in der
Münchener Innenstadt, die allesamt Besuchermagneten sind.
Der ökologische Umbau der Emscher und ihrer Zuflüsse im
Ruhrgebiet veranschaulicht, dass der Einsatz erheblicher
finanzieller Mittel zur Revitalisierung eines Flusssystems
mitsamt des Aufbaus neuer Klärwerke (ca. 4,5 Mrd. €) zu
beträchtlichen regionalökonomischen Wirkungen geführt
hat (vgl. Kapitel 3.5.5). So ist für den Zeitraum von 1991 bis
2020 mit Produktionseffekten in Höhe von rund 11,9 Mrd. €
und mit Beschäftigungseffekten im Umfang von etwa
109.790 Personenjahren zu rechnen. Zusätzlich werden ge-
stiegene Steuereinnahmen (ca. 1,1 Mrd. €) sowie erhöhte
Beiträge zu den Sozialversicherungen (ca. 580 Mio. €) veran-
schlagt (Barabas et al., 2013).
Auch für Unternehmen lohnt es sich, Stadtnatur zu fördern,
etwa durch eine naturnahe Gestaltung von Firmengeländen.
Dadurch können direkt Kosten bei der Unterhaltung gespart
werden. Auf zehn Jahre gerechnet belaufen sich die Kosten
für die Anlage und Pflege einer Magerwiese auf ca. 1,68 €
pro Quadratmeter und Jahr. Sie liegen damit deutlich unter
den Kosten, die im gleichen Zeitraum für die Anlage und
Pflege eines konventionellen Rasens aufzuwenden sind (etwa
3,34 €/qm; Land Oberösterreich, 2006; vgl. Kapitel 8.2.1).
Mit der Umwandlung befestigter Flächen zu grünen Versicke-
rungsflächen können Niederschlagswasserentgelte gespart
werden. Ebenso kommen mögliche positive Effekte eines grün
Übergewicht und damit verbundenen Krankheiten auf-
gebracht werden. Hinzu kamen weitere ca. 8,1 Mrd. € in-
direkte Kosten, die überwiegend aus krankheitsbeding-
ten Arbeitsausfällen resultierten (vgl. Lehnert et al., 2015).
Landwirtschaft und Gartenbau in urbanen Gebieten spielen
für eine nachhaltige Gesundheitsförderung eine wichtige
Rolle. Hier finden Menschen aus der Stadt einen direkten
Zugang zu regionalen Nahrungsmitteln und können Erfah-
rungen mit der Produktion dieser Lebensmittel gewinnen.
Hierdurch steigt das Bewusstsein für regionale Produkte
und für eine gesunde Ernährung. Stadtnahe Landwirtschaft
profitiert durch höhere regionale Vermarktungsanteile und
den Direktabsatz hochwertiger Produkte. Das Bildungspro-
jekt »GemüseAckerdemie« der Initiative »Ackerdemia« ist ein
hervorragendes Beispiel dafür, wie Kenntnisse von Kindern
und Jugendlichen über Natur, Nahrungsmittel und Gesund-
heit in Zusammenarbeit mit Schulen gezielt gefördert wer-
den können (Ackerdemia, 2014; vgl. Kapitel 6, Infobox 6 – 11).
Für einige Haushalte ist eine anteilige Selbstversorgung
mit Nahrungsmitteln auch von wirtschaftlicher Bedeutung.
Hierzu sind erfolgreiche Betriebsmodelle etabliert worden,
bei denen bspw. Landwirte Ackerzellen verpachten und Ge-
müse zum späteren Selbsternten ansäen (Beispiel »Garten-
glück« in Köln, vgl. Kapitel 7, Infobox 7 – 1). Für Kleingartenanla-
gen im Rhein-Ruhr-Gebiet wird der Grad der Selbstversorgung
mit Obst und Gemüse (ohne Südfrüchte) auf etwa 50 %
geschätzt. Die Freude am Gärtnern und das Arbeiten in der
Natur stehen dabei jedoch im Vordergrund.
Neue Wege der Integration von Nahrungsmittelanbau in
Stadtlandschaften beschreitet die »Essbare Stadt Andernach«
(vgl. Infobox 7 – 4). Ein von städtischer Seite initiierter Obst-
und Gemüsebau auf einigen öffentlichen Grünflächen mit
aktiver Beteiligung der Bevölkerung beim Anbau und der
Ernte hat einen weithin beachteten Trend gesetzt. Das Bei-
spiel zeigt, wie mit landwirtschaftlichen Praktiken auf öffent-
lichen Freiflächen nicht nur produziert werden kann, sondern
auch positive soziale Effekte zu erzielen sind. So fanden lang-
zeitarbeitslose Menschen neue Aufgaben, die der Gemein-
schaft zugutekommen, und die Identifikation der Bewohne-
rinnen mit ihrer Stadt wurde gefördert.
10.1.5 Stadtnatur als Standortfaktor
Kommunen, Unternehmen, aber auch Bürgerinnen stehen
miteinander im Wettbewerb um Steuereinnahmen, Produk-
tionsstandorte, Arbeitsplätze und attraktive Wohnorte. Un-
ternehmen treffen Standortentscheidungen nicht nur nach
»harten« Standortfaktoren wie Verkehrsanbindung, Flächen- /
276 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 277
Stadtentwicklung zu berücksichtigen und auch im Rahmen
entsprechender Programme zu fördern, liegt im gesellschaft-
lichen Interesse, unterstützt notwendige Anpassungen an
den Klimawandel und führt zu erheblichen positiven volks -
wirtschaftlichen Effekten (Beispiel Gesundheitssektor). Eine
wesentliche Schlussfolgerung besteht also darin, die Innen-
entwicklung von Städten im Sinne des Konzepts der doppel-
ten Innenentwicklung unter Anwendung des TEEB-Ansatzes
weiter zu qualifizieren, d. h. Freiraumstrukturen gleichzeitig
mit baulichen Strukturen zu entwickeln.
Das System öffentlicher, halböffentlicher und privater Frei-
räume trägt über vielfältige regulierende, kulturelle und ver-
sorgende Ökosystemleistungen erheblich zur Daseinsvor-
sorge, Lebensqualität und Umweltgerechtigkeit in der Stadt
bei. Es dient daher, neben individuellen und gruppenspezifi-
schen Interessen, auch dem Gemeinwohl. Das Konzept der
Grünen Infrastruktur bringt diese gemeinwohlorientierten
Leistungen auf den Punkt. Doppelte Innenentwicklung heißt
daher, neben einer baulichen Verdichtung auch die wesentli-
chen Funktionen urbaner Freiräume als Teile der grünen Inf-
rastruktur anzuerkennen und diese mit Hilfe eines strategi-
schen Planungsansatzes auszubauen und in ihren Funktionen
zu stärken. Hierb ei sind Synergien aus einer Kombination ver-
schiedener strategischer Ansätze zu gewinnen:
(1) Grünes Freiraumnetz erhalten und ergänzen. Mit der
zunehmenden baulichen Verdichtung urbaner Gebiete
nimmt auch die Nachfrage nach Ökosystemleistungen
der Stadtnatur zu, insbesondere in Quartieren, die bereits
jetzt schlecht mit Grünflächen versorgt sind. Vor diesem
Hintergrund liegt es nahe, die Multifunktionalität beste-
hender Freiflächen anzuerkennen und Freiflächen, die
einem starken Entwicklungsdruck unterliegen, nicht nur
als potenzielle Bauflächen zu betrachten, sondern sie
auch im Hinblick auf ihre möglichen oder bereits wirksa-
men Ökosystemleistungen innerhalb der grünen Infra-
struktur zu würdigen. Dies betrifft vor allem Landwirt-
schaftsflächen, Brachen, Kleingärten und zunehmend
auch Friedhöfe. Häufig steht dem Ausbau der grünen
Infrastruktur das Argument steigender Unterhaltungs-
kosten gegenüber. Aus der ökonomischen Perspektive
des TEEB-Ansatzes (vgl. Kapitel 1.1, Infobox 1 – 1) betrach-
tet, sind grüne Freiräume jedoch nicht nur Kostenträger,
sondern auch Leistungserbringer, die ein »grünes Sach-
vermögen« – das Naturkapital – bilden; zu Ansatzpunk-
ten, dieses Naturkapital besser bei Haushaltsentschei-
dungen der Städte und Gemeinden in Wert zu setzen,
vgl. Kapitel 10.3.
So erwächst die große Bedeutung urbaner Wälder, Landwirt-
schaftsflächen und Gärten aus dem Zusammenwirken sozi-
aler, ökologischer und produktiver Funktionen.
Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass verschiedene Grup-
pen der Stadtgesellschaft unterschiedliche, teilweise wider-
sprüchliche Erwartungen an die Leistungen der Stadtnatur
haben können. So entstehen Nutzungskonflikte, wenn Men-
schen dieselbe Freifläche für verschiedene Aktivitäten nut-
zen möchten, die nicht miteinander vereinbar sind. Positive
Effekte der Aufwertung von Freiräumen für einige Gruppen
können mit nachteiligen Effekten für andere verbunden sein
(»grüne Gentrifizierung«; Gould und Lewis, 2012).
Die Anerkennung der Multifunktionalität von Ökosystem-
leistungen ist daher ein wichtiger Schritt zu einer sozial und
ökologisch nachhaltigen Stadtentwicklung. Hierfür bieten
sich integrierte Ansätze an, die zweierlei für den jeweiligen
Bezugsraum (z. B. ein Stadtviertel, eine Grünfläche, ein Be-
bauungsgebiet) zusammenbringen: das relevante Spektrum
von Ökosystemleistungen (»Angebotsseite«) und das Spek-
trum der dort bestehenden gesellschaftlichen Bedürfnisse
(»Nachfrageseite«). Derartige Ansätze können in formalen
Planungsinstrumenten (z. B. Landschaftsplänen) ebenso wie
in informellen Ansätzen (z. B. projektbezogenen Beteiligungs-
verfahren) gestärkt werden.
Eine wesentliche Herausforderung besteht in der Verbindung
natur- und sozialwissenschaftlicher Methoden, um verschie-
dene Ökosystemleistungen qualitativ oder quantitativ be-
werten zu können. Eine Monetarisierung kann hierbei hilf-
reich sein, ist aber nach dem jetzigen Forschungsstand nur
in begrenztem Umfang für urbane Ökosystemleistungen
verfügbar – und auch nicht grundsätzlich besser geeignet
als andere Ansätze. Zur Unterstützung von Entscheidungen
können bestehende informelle und formelle Instrumente der
Stadtplanung und der Landschaftsplanung genutzt werden.
Darüber hinaus werden in Kapitel 10.3 einige neue strategi-
sche Ansatzpunkte identifiziert.
10.2.2 Doppelte Innenentwicklung:
Stadtentwicklung ökologisch qualifizieren
Das Ziel, eine Ausweitung von Siedlungs- und Verkehrs-
flächen in das Umland zu begrenzen und stattdessen die
Innenentwicklung von Städten zu fördern, führt oft zu star-
kem Druck auf noch vorhandene Freiflächen in den Städten.
Eine Kernbotschaft aus der ökonomischen Perspektive dieses
Berichts ist: Ökosystemleistungen, die Stadtnatur auf öffent-
lichen wie privaten Flächen erbringen kann, verstärkt bei der
gesellschaftlicher Bereiche erfordert, auch über die Zustän-
digkeiten von Verwaltungen hinaus. Das Ausmaß und der
Wert von regulierenden Ökosystemleistungen (z. B. Vermin-
derung von Hitzestress) sind nach jetzigem Forschungsstand
zumeist einfacher zu bestimmen, als dies bei kulturellen Öko-
systemleistungen möglich ist (z. B. soziale Funktionen). Kultu-
relle Ökosystemleistungen sind in Städten jedoch zumindest
genauso bedeutsam wie regulierende Ökosystemleistun-
gen und auch häufig mit Produktionsfunktionen verbunden.
Effekten – bei Entscheidungen erkannt und berücksichtigt
werden. So kann bspw. die hohe volkswirtschaftliche Be-
deutung von Stadtbäumen sichtbar gemacht und bei der
Finanzierung von Pflanzaktionen berücksichtigt werden.
Dies wäre ein erheblicher Fortschritt, weil bislang häufig
das Argument der Folgekosten die Bereitschaft hemmt, Stra-
ßenbäume zu pflanzen. Hiermit sind allerdings Herausforde-
rungen verbunden, da eine multifunktionale Betrachtung
die Verbindung verschiedener Bewertungsmethoden und
ABBILDUNG 10 – 2 Mono- und Multifunktionalität urbaner Ökosystemleistungen am Beispiel von Stadtbäumen. Einzelne
Ökosystemleistungen können monofunktional im Hinblick auf ihren Nutzen und Wert für bestimmte gesellschaftliche Bereiche
beurteilt werden (Bezüge innerhalb einzelner Zeilen). In multifunktionaler Betrachtung werden auch Synergien zwischen
verschiedenen Ökosystemleistungen sowie Trade-of fs zwischen positiven und negativen Effekten (Disservices) berücksichtigt
(Bezüge zwischen bzw. innerhalb von Spalten). Die genannten Beispiele sind nicht abschließend. (Quelle: eigene Darstellung)
10.2
+ Ökosystemleistung /
– Disservice
+ Nutzen /
– Schaden
+ positiver Wert /
– negativer Wert
Betroffene
gesellschaftliche
Bereiche
+
Zurückhaltung von
Niederschlagswasser
+
geringere Belastung
des Kanalisations-
systems
+
weniger Investitions-
und Unterhaltungs-
aufwand
kommunale
Wasserwirtschaft
–
Beeinträchtigung
baulicher Strukturen
durch Wurzelwachstum
–
Schäden am
Kanalisationssystem
–
höherer Unterhaltungs-
aufwand
kommunale
Wasserwirtschaft
+
Temperaturminderung
durch Beschattung und
Verdunstung
+
verminderter Hitze-
stress für Menschen
+
höhere Lebensqualität,
weniger Erkrankungen
Anwohnerschaft
vulnerable Gruppen
Gesundheitssektor
–
geringere Durchlüftung
bei dichter Pflanzung
in engen Straßen
–
Wärmestau,
erhöhte Schadstoff-
konzentration
–
weniger Lebensqualität,
mehr Erkrankungen
Anwohnerschaft
vulnerable Gruppen
Gesundheitssektor
+
Prägung des
Ortsbildes
+
besseres Image
+
attraktivere Wohn- und
Gewerbestandorte
Anwohnerschaft
Gewerbetreibende
Grundeigentümer
+
Strukturierung von
Aufenthaltsbereichen
+
soziale Räume für
Begegnung, Freizeit,
Erholung
+
höheres Wohlbefinden,
sozialer Zusammenhalt
Anwohnerschaft
Stadtgesellschaft
Multifunktionale Betrachtung
Monofunktionale Betrachtung
278 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 279
unzureichend berücksichtigt. Viele Entscheidungen führen
daher zu einem Verlust von Stadtnatur. In stark wachsenden
Kommunen ergibt sich dies aus dem besonderen Druck, dem
frei werdende Flächen unterliegen. Oft werden sie für die
Ausweisung von Siedlungs- und Verkehrsflächen genutzt,
aber nicht als Räume des Stadtgrüns und für die Erhaltung
von Ökosystemleistungen. Da kommunale Haushalte von
Einnahme(anteile)n aus der Einkommen-, Gewerbe- und
Grundsteuer abhängig sind, und auch die kommunalen
Finanz zuweisungen der jeweiligen Bundesländer an ihre
Kommunen stark von der Ansiedlung privater Haushalte und
Unternehmen in den Städten und Gemeinden abhängen,
werden Flächen zur Bebauung oder Unternehmensansied-
lung freigegeben. Finanzschwache Kommunen haben zudem
große Probleme, ihre grüne Infrastruktur angesichts steigen-
der Kosten zu erhalten, wobei die Ausgaben für Grünanlagen
und Stadtnatur in den letzten Jahren im Durchschnitt sogar
gesunken sind (BMUB, 2015a).
Der vorliegende Bericht zeigt demgegenüber: Stadtnatur
erbringt zahlreiche Leistungen für Menschen – für ihre Ge-
sundheit, für sozialen Zusammenhalt und die Förderung
von Jugendlichen und Kindern, für die Versorgung mit Nah-
rungsmitteln und als Standortfaktor. Es wird darüber hinaus
gezeigt, dass insbesondere die Multifunktionalität dieser Leis-
tungen bedeutsam ist und es gilt, die Bündel an Ökosystem -
leistungen zu optimieren. Wie aber kann man dies erreichen?
Welche Strategien, Instrumente, Maßnahmen und Hand-
lungsansätze gibt es dazu, welche sind geeignet und welche
vorrangig zu verfolgen? An dieser Stelle sollen unter Bezug-
nahme auf den vorliegenden Bericht insgesamt sowie insbe-
sondere auf Kapitel 9 vier Anknüpfungspunkte hervorgeho-
ben werden (siehe auch Abbildung 10 – 3):
1. Informationen über Natur und Ökosystemleistungen in
der Stadt liefern,
2. die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren und Berei-
chen innerhalb einer Kommune sowie zwischen Kommu-
nen und anderen Gebietskörperschaftsebenen stärken,
3. die Stadtnatur in integrativen Planungsansätzen berück-
sichtigen sowie
4. ökonomische Anreize setzen.
Grundlage für das breite Spektrum der urbanen Ökosystem-
leistungen bildet. Allerdings besteht zwischen Ökosystem-
leistungen und Artenreichtum oder dem Vorkommen
seltener und gefährdeter Arten kein zwingender linearer Zu -
sammenhang. Auch ein Vegetationsbestand mit nur einer
Art kann wichtige Ökosystemleistungen erbringen. Wesent-
lich ist es zunächst, dass entsprechende Freiflächen bewahrt
oder neu geschaffen werden. Jedoch zeigen aktuelle For-
schungsergebnisse, dass Menschen in der Stadt durchaus
Unterschiede im Artenreichtum der Stadtnatur wahrnehmen
und höhere biologische Vielfalt mit einer Steigerung von Öko-
systemleistungen verbunden sein kann (z. B. Botzat et al.,
2016; Cook-Patton und Bauerle, 2012; Fuller et al., 2007). Auch
wenn hier noch erhebliche Forschungsdefizite bestehen, un-
terstützt der Bericht die Schlussfolgerung: Es lohnt sich, bio-
logische Vielfalt in Städten zu erhalten und zu fördern.
Der Bericht veranschaulicht zudem, dass das gesamte Spek-
trum der Stadtnatur zu Ökosystemleistungen beiträgt: na-
turnahe ebenso wie kulturell geprägte Ökosysteme, ein-
heimische ebenso wie nichteinheimische Organismen.
Artenvielfalt und insbesondere auch eine hohe genetische
Vielfalt kann das Ausmaß aktueller Ökosystemleistungen
steigern. Sie kann im Sinne der »Insurance hypothesis«
(Baumgärtner, 2007) zudem erheblich zur Anpassung an
den Klimawandel beitragen. Mit zunehmender Vielfalt stei-
gen die Chancen, dass Arten oder Genotypen vorhanden sind,
die an zukünftige Veränderungen angepasst sind und auch
unter zukünfti gen Bedingungen die Bereitstellung von Öko-
systemleistungen gewährleisten.
Biologische Vielfalt in allen Bestandteilen der Stadtnatur so
weit wie möglich zu erhalten und zu fördern, ist daher auch
ein Beitrag zu einer nachhaltigen ökologischen Stadtent-
wicklung. Insofern ist es sinnvoll, bei der Erhaltung, Schaf-
fung und Qualifizierung von Grün- und Freiraumstrukturen
in der Stadt Ökosystemleistungen und biologische Vielfalt
gleichermaßen zu fördern und entsprechende stadtplaneri-
sche Ziele im Hinblick auf biologische Vielfalt zu qualifizieren.
10.3 ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN IN KOMMUNALE
ENTSCHEIDUNGEN INTEGRIEREN
UND HANDLUNGEN ANSTOSSEN:
ANSATZPUNKTE UND INSTRUMENTE
Den Ausgangspunkt für eine stärkere Berücksichtigung
von Stadtnatur in politischen Entscheidungen bilden die in
Kapitel 1 dieses Berichts dargelegten Herausforderungen:
Zahlreiche Leistungen der Natur sind unsichtbar, sie werden
von Entscheidungsträgerinnen bisher nicht oder nur
Effekten, wie das Beispiel des ökologischen Umbaus des
Emscher-Gewässersystems im Ruhrgebiet veranschau-
licht.
(5) Ökosystemleistungen bei Bauvorhaben fördern. Öko-
systemleistungen bei öffentlichen oder privaten Bauvor-
haben zu fördern, kann zu erhöhten Investitionskosten
führen, etwa zu Mehrkosten durch die Anlage von Grün-
dächern. Mit dem TEEB-Ansatz lassen sich jedoch multi-
funktionale Ökosystemleistungen sichtbar machen, aus
denen positive Gesamteffekte für Investorinnen oder die
öffentliche Hand abzuleiten sind. Insofern hat eine öko-
logische Qualifizierung von Bauvorhaben – und bestehen-
der Bebauung – zwei wesentliche Vorteile: Sie kann nega-
tive Auswirkungen, die mit einer Verdichtung verbunden
sind, vermindern und zu positiven sozialen, ökonomi-
schen und ökologischen Effekten führen. Eine Dachbe
-
grünung erzielt bspw. positive klimatische Effekte, kann
die Effizienz von Photovoltaik-Anlagen steigern, vermin-
dert Unterhaltungskosten für Dächer, reduziert Nieder-
schlagsgebühren durch zurückgehaltenes Regenwasser
und kann Wohn- und Arbeitsorte aufwerten, womit po-
sitive gesundheitliche Effekte verbunden sind und zudem
gute Arbeitsbedingungen gefördert werden. Ökosystem-
leistungen über die Bebauungsplanung zu sichern und
durch andere Instrumente zu fördern (z. B. Gründachpro-
gramm in Hamburg), ist daher ein wesentlicher Beitrag
zur doppelten Innenentwicklung.
10.2.3 Ökosystemleistungen und biologische Vielfalt
Biologische Vielfalt in Städten zu erhalten, ist eine gesetz-
liche Aufgabe, die auch ohne Bezugnahme auf die viel fältigen
Ökosystemleistungen der Stadtnatur besteht und z. B. durch
das europäische Artenschutzrecht begründet ist. Dieser
Bericht verweist jedoch auf bedeutende Syner gien zwischen
zwei Zielen: (a) die Lebensqualität und Attraktivität von Städ-
ten durch die Stärkung von Ökosystem leistungen zu erhö-
hen und (b) biologische Vielfalt in Städten zu bewahren und
zu fördern. Insofern kann der TEEB-Ansatz auch einschlägi-
gen Naturschutzzielen zusätzlich Geltung verschaffen.
Urbane Biodiversitätsstrategien, die von einigen Kommunen
erarbeitet worden sind, enthalten hierzu wesentliche Ansatz-
punkte (vgl. Kapitel 9.4.2, Infobox 9 – 10).
Biologische Vielfalt umfasst die Ebenen der genetischen
Vielfalt, der Artenvielfalt und der Ökosystem- oder Lebens-
raumvielfalt. Sie wird in diesem Bericht nicht als eigene Öko-
systemleistung angesprochen, da sie zusammen mit vielen
Naturprozessen (z. B. Bodenbildung, Wasserkreislauf) die
(2) Grünes Freiraumnetz aufwerten. Urbane Freiräume
werden von verschiedenen kommunalen und privat-
wirtschaftlichen Trägern unterhalten und gepflegt. Dies
sind gesellschaftlich bedeutsame Investitionen in das Na
-
turkapital. Sie können zu einer Aufwertung von Freiräu-
men führen, wenn Unterhaltungsmaßnahmen unter Be-
teiligung von Anwohnerinnen und anderen Gruppen in
Hinblick auf diejenigen Ökosystemleistungen optimiert
werden, die vor Ort besonders nachgefragt sind. Die
Multifunktionalität der Stadtnatur bietet hierzu große
Chancen, bringt aber auch die Herausforderung mit sich,
verschiedene Kompetenzen und gesellschaftliche Akteure
zusammenzuführen, z. B. aus den Bereichen Gesundheit
und Soziales, Umweltschutz, grüne Baukultur und Natur-
schutz.
(3) Handlungsfähigkeit sichern. In vielen kommunalen Ver-
waltungen ist der Personalbestand in den für urbane
Freiflächen zuständigen Abteilungen in den letzten Jahr-
zehnten stark abgebaut worden, sodass der Sachverstän-
digenrat für Umweltfragen schon 2007 vor einer Über-
lastung dieser Bereiche gewarnt hat (SRU, 2007). Hier
deutlich gegenzusteuern bedeutet eine aussichtsreiche
Investition in die Zukunft, da mit einer gezielten Förde-
rung von Ökosystemleistungen im Rahmen der grünen
Infrastruktur durch das Zusammenführen verschiedener
Akteure erhebliche Synergien im Sinne einer sozial, öko-
nomisch und ökologisch nachhaltigen Stadtentwicklung
zu erzielen sind. Für die Finanzierung können Instrumente
wie der kommunale Finanzausgleich und handelbare Aus-
weisungsrechte genutzt werden (vgl. Kapitel 10.3.4).
(4) Grüne und graue Infrastruktur zusammen entwickeln.
Eine technische (»graue«) Infrastruktur ist unverzichtbar
für die Daseinsvorsorge in urbanen Gebieten. Jedoch ver-
anschaulicht dieser Bericht, dass mit einem Zusammen-
denken von grüner und grauer Infrastruktur im Sinne von
»Hybridlösungen« erhebliche positive Mehrfachwirkun-
gen zu erreichen sind. Dies setzt eine verstärkte Zusam-
menarbeit verschiedener Akteure voraus, die für graue
und grüne Infrastruktur zuständig sind. So können mit
einer Förderung von Ökosystemleistungen Umweltbelas-
tungen in Straßenräumen vermindert oder soziale Funk-
tionen gestärkt werden. Wesentliche Ansätze bestehen
auch in der Siedlungswasserwirtschaft, in der naturba-
sierte Lösungen zu Synergien und zu positiven ökono-
mischen Effekten führen. Dies reicht von eingesparten
Gebühren durch Regenwasserversickerung auf Grund-
stücken bis hin zu erheblichen regionalwirtschaftlichen
280 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 281
10.3
Berichtssysteme
über urbane
Ökosystemleistungen
bereitstellen
Leistungen der
Natur im kommunalen
Haushaltswesen
darstellen
Innerhalb der
Kommunen
( intrakommunale
Zusammenarbeit der
städtischen Ämter)
Zwischen Kommunen
(interkommunale
Zusammenarbeit)
Zwischen Kommunen
und anderen Gebiets-
körperschaftsebenen
oder Privaten
Landschaftsplanung
Stadtplanung
Bauleitplanung
Stadt- und Freiraum-
entwicklungskonzepte
Preislösungen
(z. B. kommunale
Gebühren)
Mengenlösungen
(z. B. handelbare
Flächenausweisungs-
rechte)
Ökologischer
kommunaler
Finanzausgleich
ANKNÜPFUNGSPUNKTE UND
POLITIKINSTRUMENTE ZUR FÖRDERUNG
URBANER ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
Ökonomische
Anreize setzen
Ökosystemleistungen in
Stadtentwicklung und
Planung berücksichtigen
Zusammenarbeit
stärken, neue
Allianzen schaffen
Informationen über
urbane Ökosystem-
leistungen liefern
berücksichtigt. Hier sind neue Wege der Entscheidungs-
findung und -abstimmung zu gehen: Es geht insbesondere
darum, die positiven Wirkungen von Stadtnatur für die Ziel-
erreichung der verschiedenen Sektoren sichtbar zu machen,
Synergien zu identifizieren und gemeinsam Maßnahmen zu
entwickeln. Der Stadtplanung kommt hierbei eine übergrei-
fende Bedeutung zu.
Ein Beispiel für ein umfassendes Stadtentwicklungskonzept,
in welchem Ökosystemleistungen in die Zielkriterien städti-
scher Planung integriert wurden, stellen die im Juli 2015 vom
Augsburger Stadtrat verabschiedeten »Zukunftsleitlinien für
Augsburg« als »orientierende Grundlage für die nachhaltige
Entwicklung Augsburgs« dar (Stadt Augsburg, 2015). Diese
Zukunftsleitlinien sind das Ergebnis eines nahezu zwanzig-
jährigen intensiven Nachhaltigkeitsprozesses in Augsburg.
Hier kommt die übergreifende Planungsperspektive von An-
sätzen zur Stärkung von Stadtnatur, die im Sinne einer Quer-
schnittsaufgabe andere Sektoren, Verwaltungen und Ämter
der Stadt Augsburg einbezieht, sehr gut zum Tragen. Ein
entscheidender Aspekt ist dabei, einzelne Zielsetzungen so
zu formulieren, dass ihre Erreichung für verschiedene Berei-
che vorteilhaft ist und damit übergreifende Interessen be-
dient werden.
Eine solche Zusammenarbeit innerhalb der Kommunen ist
deshalb wichtig, weil sich aufgrund enger Finanzbudgets
häufig das Problem ergibt, dass zu wenig Mittel für die Förde-
rung von Natur in der Stadt zur Verfügung stehen. Die Finan-
zierung der vorgeschriebenen kommunalen Pflichtaufgaben
steht bei der Budgetplanung an erster Stelle, während die
Finanzierung von Natur als freiwillige Selbstverwaltungs-
aufgabe in jeder Kommune nach freiem Ermessen gemäß
den politischen Prioritäten ausgestaltet werden kann. Sie
konkurriert mit der Förderung anderer frei gestaltbarer Auf-
gabenfelder wie Kultur, Sport usw. Der vorliegende Bericht
zeigt auf, dass die Investition in Stadtnatur zugleich Daseins-
vorsorge bedeutet: Grünförderung bedeutet Gesundheitsför-
derung, Förderung der Integration und Teilhabe sowie des
sozialen Zusammenhalts, Förderung von Bildung und nicht zu-
letzt die Förderung einer Stadt als Wirtschaftsstandort. Grün-
flächen und Gewässer in der Stadt tragen in erheblichem
Maße zur Steigerung der Lebensqualität und damit auch zur
wirtschaftlichen Entwicklung bei. Die Anlage und Pflege von
Grünflächen sowie die Aufwertung bestehender Flächen leis-
ten hier einen wesentlichen Beitrag. Wenngleich eine Defi-
nition von Stadtnatur als kommunale Pflichtaufgabe wohl
ausscheidet, dürfte das Sichtbarmachen dieser Vorteile das
Gewicht der Förderung von Stadtnatur unter den freiwilligen
darstellen. In ihnen sind bedeutende öffentliche Investi-
tionen gebunden, außerdem sind sie Gegenstand perma-
nenter Investitionen in Form von Pflege-, Erhaltungs- und
Gestaltungsmaßnahmen. Diese Informationen sind vor allem
als interne Entscheidungsgrundlage wichtig, da sich Kommu-
nen stark an der Erhaltung ihres Kapitalbestandes orientie-
ren – und so auch die Sicherung des Naturkapitalbestandes
Berücksichtigung findet (BMUB, 2015a).
10.3.2 Neue Allianzen schaffen
und Zusammenarbeit stärken
Ein strategischer Ansatzpunkt zur Erhaltung und Entwick-
lung von Stadtnatur und damit verbundener Ökosystem-
leistungen liegt in einer stärkeren Zusammenarbeit aller be-
teiligten Akteure. Dies betrifft sowohl die Sektoren innerhalb
einer Kommune als auch die übergreifende Abstimmung zwi-
schen Kommunen und anderen Ebenen von Gebietskörper-
schaften sowie mit privaten Akteuren.
Innerhalb der Städte und Gemeinden kommt es insbeson-
dere darauf an, die verschiedenen Sektoren miteinander zu
vernetzen, die Vorteile aus der grünen Infrastruktur ziehen,
wie die Bereiche Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Jugend
und Familie, Soziales, Migration und Integration, Klimaschutz
und Klimaanpassung sowie Wirtschaftsförderung.
Um dies an einigen kurzen Beispielen zu illustrieren: Der vor-
liegende Bericht verdeutlicht, dass Stadtnatur die Gesund-
heit fördert. Positive Wirkungen entfalten sich darüber hin-
aus für den sozialen Zusammenhalt und die Steigerung der
Lebensqualität in städtischen Quartieren. Besonders wichtig
sind die Effekte für die gesunde Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund sollten die zuständi-
gen Stellen innerhalb einer Kommune – also die verantwort-
lichen Ämter für Stadtgrün, aber z. B. auch die Gesundheits-,
Jugend- und Familien- sowie Sozialämter usw. – im Grunde
ein starkes gemeinsames Interesse daran haben, Stadtnatur
zu fördern und den Zugang zu dieser für möglichst viele Be-
völkerungsgruppen zu erleichtern. Allzu oft aber werden die
Ziele der einzelnen Ämter und Abteilungen innerhalb der
Kommunen als miteinander um knappe öffentliche Haus-
haltsmittel konkurrierend verstanden. Übergreifende gemein-
same Planungen können hier einen Beitrag dazu leisten,
Synergieeffekte zu erkennen, um gemeinsame Ziele zu de-
finieren und entsprechende Maßnahmen zusammen auf
den Weg zu bringen. Obwohl die Zusammenhänge zwi-
schen Stadtnatur und Lebensqualität und Gesundheit im
Grundsatz erkannt sind, werden sie in vielen kommuna-
len Entscheidungsprozessen nicht oder nur unzureichend
Inwertsetzung von Ökosystemleistungen wichtige Anhalts-
punkte für kommunale Akteure liefern.
Aus Sicht der Gesellschaft ist es wichtig, dass das Naturkapi-
tal in den Haushaltsentscheidungen der Städte und Gemein-
den deutlicher sichtbar wird. Ein Ansatz hierzu kann darin
bestehen, die bisherige kameralistische Haushaltsführung,
die nur Einnahmen- und Ausgabenflüsse der Städte und
Gemeinden erfasst, durch die doppische Buchführung zu er-
gänzen (Hilgers und Burth, 2011; Güse et al., 2010). Bei dem
Verfahren der Doppik werden die Grün- und Freiräume als
Vermögenswerte bewertet, entsprechend dem kaufmän-
nischen Rechnungswesen in die kommunale Bilanz einge-
stellt und dann fortlaufend auch mit den Ausgaben, zum Bei-
spiel für Kontroll- und Pflegemaßnahmen, bilanziert. Ob eine
Kommune also infolge mangelnder Grünpflege einen Wer-
teverzehr betreibt oder in grüne Stadtentwicklung inves tiert
und ihr Naturkapital aufwertet – der Wert der grünen Infra-
struktur kann mit der Grünen Doppik für die Kommunal-
politik sichtbar gemacht werden (BMUB, 2015a). Die Grüne
Doppik macht auf diese Weise anders als die einfache Buch-
führung deutlich, dass städtische Grünflächen einen Wert
10.3.1 Informationen liefern und in Entscheidungen
integrieren
Eine wesentliche Grundlage für die stärkere Berücksichtigung
von städtischer Natur in Entscheidungen sind Informatio -
nen über die mannigfaltigen Leistungen der Natur, wie sie
in diesem Bericht vorgelegt werden. Bisher werden Informa-
tionen über die Leistungen von Stadtnatur zwar vereinzelt
aufbereitet, aber sie werden nicht umfassend und systema-
tisch erfasst. Der Wunsch nach einer Erfassung und Bewer-
tung lokaler Ökosystemleistungen wird vermehrt geäußert,
doch oft fehlen dazu in den Kommunen die erforderlichen
Haushaltsmittel. So bleibt es meist bei vereinzelten und un-
systematischen Erhebungen von Ökosystemleistungen und
ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung. Zu bedenken ist
dabei stets, dass quantitative oder gar monetäre Bewertun-
gen von Ökosystemleistungen immer nur einen Näherungs-
wert darstellen können. Zudem ist jede Bewertung abhängig
von lokalen Gegebenheiten und der Einschätzung verschie-
dener Interessengruppen, sodass ihre Übertragbarkeit ein-
geschränkt ist. Es gibt keine allgemeingültigen Bewertungen
urbaner Ökosystemleistungen. Dennoch können die in die-
sem Bericht aufgezeigten Beispiele der Erfassung und
ABBILDUNG 10 – 3 Instrumentelle Anknüpfungspunkte zur Förderung urbaner Ökosystemleistungen. (Quelle: eigene Darstellung)
282 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 283
Perspektive, d. h. entsprechender Initiativen, Geduld und
auch Unterstützung. Der Stadtplanung – im Verbund mit der
städtischen Landschaftsplanung – kommt dabei aufgrund
ihres langfristigen und systematischen Charakters eine über-
greifende Rolle zu. Eine wesentliche Unterstützung können
auch finanzielle Maßnahmen liefern. Auf beides soll im Fol-
genden eingegangen werden.
10.3.3 Ökosystemleistungen stärker in der
Stadtentwicklung berücksichtigen
Für die räumliche Entwicklung von Städten spielt die Stadt-
planung eine wesentliche Rolle. Wenn im Sinne einer doppel-
ten Innenentwicklung nicht nur bauliche, sondern auch Frei-
raumstrukturen qualifiziert werden sollen (siehe Kapitel
10.2.2), ist allerdings ein enges Zusammenwirken zwischen
Stadtplanung und Landschafts- und Freiraumplanung not-
wendig. Letztere verfügt über ein breites Instrumentarium
sowie umfassende Kenntnisse zur Entwicklung von grüner
Infrastruktur, der damit verbundenen Ökosystemleistungen
und somit letztlich der Bewahrung und Qualifikation von Stadt-
natur in Hinblick auf soziale und ökologische Ziel setzungen.
In der städtischen Landschaftsplanung werden neben Natur-
schutzaspekten im engeren Sinne (z. B. Artenschutz) bereits
heute Leistungen der Natur für die Menschen bewertet
und dargestellt (z. B. Programmpläne für Naturhaushalt und
Umweltschutz sowie für Erholung und Freiraumnutzung im
Berliner Landschaftsprogramm). Allerdings werden entspre-
chende Aussagen in politischen bzw. Verwaltungsentschei-
dungen häufig als »rein ökologische Belange« betrachtet
und daher vernachlässigt und »weggewogen«, obwohl es im
Kern um die Lebensqualität der Menschen geht. Hier kann
der TEEB-Ansatz helfen, die gesellschaftliche Bedeutung von
Stadtnatur über eine qualitative oder quantitative Bewer-
tung von Ökosystemleistungen stärker sichtbar zu machen.
Jedoch ist bislang weitgehend offen, wie dies im Rahmen
des bestehenden Planungsinstrumentariums erfolgen kann.
Angesichts der Überlegungen dieses Berichts sollte aber sicher -
gestellt werden, dass das städtische Grün in der Planung eine
starke Rolle einnimmt und nicht gegen andere Inter essen
»weggewogen« wird. Im Rahmen konkreter Planungsent-
scheidungen können dazu z. B. multikriterielle Verfahren ein-
gesetzt werden, die neben monetär darstellbaren Kosten und
Nutzen von Gestaltungsalternativen auch weitere Aspekte
einbeziehen. So kann der Wert vieler Ökosystemleistungen,
selbst wenn er nicht zahlenmäßig in Kosten und (monetä-
ren) Nutzen ausgedrückt werden kann, in die Abwägungspro-
zesse einfließen. Zur Anwendung multikriterieller Verfahren
Das seit 1999 bestehende Städtebauförderungsprogramm
»Soziale Stadt« des BMUB hat insbesondere die Förderung
lebendiger Nachbarschaften und die Stärkung des sozialen
Zusammenhalts zum Ziel. Es werden Maßnahmen zur Stabi-
lisierung und Aufwertung städtebaulich, wirtschaftlich und
sozial benachteiligter und strukturschwacher Stadt- und
Ortsteile gefördert. Auch Projekte zur Grünförderung in den
Quartieren können in diesem Rahmen kofinanziert werden –
etwa die Einrichtung von Gemeinschaftsgärten, die zahl-
reiche kulturelle wie auch regulierende und versorgende
Ökosystemleistungen mit sich bringen (BMUB, 2015b, 2015c).
Schließlich kann die Sicherung von Naturkapital auch
durch die Zusammenarbeit von kommunalen Akteuren mit
Privaten erfolgen. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die
»Baumstarke Stadt« Leipzig, ein Projekt zur spendenfinan-
zierten Baumpflanzung im Stadtgebiet. Hier setzt die Kom-
mune gezielt auf die Zusammenarbeit mit Bürgern und
Unternehmerinnen. Die Spendenbereitschaft ist seit Beginn
des Programms im Jahr 1996 jährlich deutlich angestiegen.
Die private finanzielle Unterstützung ermöglicht pro Jahr
etwa ein Drittel der Baum-Neupflanzungen und steigert
zudem die Identifikation der Bürger mit »ihrer« Stadtnatur.
Ähnliche Projekte gibt es auch in anderen Kommunen (z. B.
Dortmund, Dresden, Hamburg und Magdeburg; Natur -
kapital Deutschland, 2014; Stadt Leipzig, 2015).
Ebenso können kommunale Akteure private Initiativen
unter stützen, um Naturleistungen zu fördern. Über die pri-
vat initiierte Aktion »I plant a tree« konnten bspw. bereits
mehr als 195.000 Bäume weltweit gepflanzt werden, die
mehr als 13.200 Tonnen CO2 binden (Stand März 2016). Da-
für enga gieren sich neben Privatleuten und Unternehmern
auch Schulen (Wald 1.1, 2016).
Die genannten Ansatzpunkte und Beispiele für eine ver-
stärkte Zusammenarbeit innerhalb der einzelnen Sektoren
(Abteilungen, Ämter) einer Kommune wie auch zwischen
Kommunen untereinander oder zwischen kommunaler
Ebene und anderen staatlichen Ebenen oder privaten Ak-
teuren zeigen: Es gibt durchaus Möglichkeiten, die Vorteile
von Stadtnatur und Ökosystemleistungen stärker in das
Bewusstsein der handelnden Akteure zu integrieren und
gezielt multifunktionale Leistungen zu nutzen und zu för-
dern. Hieraus können Vorteile realisiert werden, die gleich
mehrere Ämter bzw. Sektoren oder mehrere Kommunen
oder Gebietskörperschaftsebenen betreffen. Für eine syste-
matische und tiefere Durchdringung des Handelns mit Hilfe
übergreifender Ansätze bedarf es aber einer langfristigen
gemeinsame Vermarktung regionaler Gewerbeflächen. Die
Kommunen bringen ihre Gewerbeflächen dabei in einen ge-
meinsamen Pool ein. Je nach Wertigkeit der Flächen ergibt
sich der Anteil jeder Kommune am Pool. Die eingebrachten
Gewerbeflächen werden gemeinsam über eine Agentur ver-
marktet, und die eingenommene Gewerbesteuer wird ent-
sprechend der Poolanteile aufgeteilt. Auf diese Weise werden
kleinräumliche Preiskonkurrenzen unter den Gemeinden ver-
mieden und eine Ausschöpfung der bereits ausgewiesenen
Gewerbeflächen wird befördert. Derzeit befinden sich meh-
rere regionale Gewerbeflächenpools in der Erprobungsphase,
u. a. im Regionalverband Neckar-Alb und im Wirtschaftsband
A9 – Fränkische Schweiz (s. Kapitel 9, Infobox 9 – 11). Leider
findet eine solche strategisch ausgerichtete Gewerbe- und
Industrieansiedlung jedoch bisher nur unzureichend statt.
Die Kosten dieser Entwicklungen tragen dabei nicht nur die
Kommunen wegen ausbleibender Einnahmen. Sie sind von
allen Bürgerinnen infolge verringerten Stadtgrüns und des
Verlusts von Natur zu »bezahlen«.
Die multifunktionalen Vorteile naturbasierter Lösungen kön-
nen auch in der Zusammenarbeit zwischen den Kommunen
und übergeordneten Ebenen von Gebietskörperschaften
(Bund und Bundesländer) genutzt werden. Tabelle 9 – 1 in
Kapitel 9 gibt einen Überblick über bestehende Finanzie-
rungsmöglichkeiten von Stadtnatur. Darüber hinaus gibt es
weitere Förderprogramme auf Bundes- bzw. Landesebene,
über die naturbasierte Maßnahmen in Kommunen kofinan-
ziert werden können, z. B. Programme der Städtebauförde-
rung wie die Stadtumbauprogramme Ost und West oder
Programme zur Förderung kommunaler Klimaschutzmaß-
nahmen sowie zur Förderung von Maßnahmen der gesell-
schaftlichen Teilhabe und Integration.
Ein Beispiel für die Umsetzung eines Programms zur Grün-
förderung mithilfe von Bundesmitteln ist die »Gründach-
strategie Hamburg«: Ziel der landesweiten Gründachstra-
tegie ist die Begrünung von 100 Hektar Dachfläche bis 2020.
Das Projekt wird mit 3 Mio. Euro aus dem Programm »Maß-
nahmen zur Anpassung an den Klimawandel« des BMUB
finanziert. In Kooperation mit der HafenCity Universität wird
darauf hingearbeitet, die Anlage von Gründächern auch ge-
setzlich zu verankern (Stadt Hamburg, 2016). Neben der
Klimaanpassung werden viele andere Ökosystemleistungen
gefördert. So können Synergieeffekte für andere Handlungs-
bereiche erzielt werden: Gründächer und -fassaden werten
das Stadtbild auf, sie filtern Luftschadstoffe und Lärm, leis-
ten Beiträge zum Klimaschutz etc.
Aufgaben stärken und ggfs. Entscheidungen im Stadtpar-
lament bezüglich der Mittelverwendung beeinflussen.
Wenn dieser Aspekt zugleich vor dem Hintergrund der Sy-
nergien zwischen verschiedenen Bereichen stärker gesehen
wird, erhöhen sich die Chancen für eine Sicherung der Finan-
zierung von Stadtnatur.
Auch für die übergreifende Zusammenarbeit verschiedener
Kommunen im Naturschutz gibt es erfolgversprechende An-
sätze: Mit Unterstützung des Bundesamtes für Naturschutz
wurde das Bündnis »Kommunen für biologische Vielfalt e. V.«
ins Leben gerufen. Die Mitgliedschaft in dem Städte-Netz-
werk gilt als freiwillige Selbstverpflichtung der Mitglieds-
kommunen zum Engagement im Natur- und Biodiversitäts-
schutz. Das Netzwerk, dem mittlerweile mehr als hundert
Kommunen angehören, fördert den Informationsaustausch
zwischen den verschiedenen Kommunen sowie zwischen
Wissenschaft und Praxis. Auch die strategische Zusammen-
arbeit und die gemeinsame Interessenvertretung gegenüber
Bund, Ländern und EU sind Ziele des Bündnisses. Es werden
gemeinsame Projekte und die Beteiligung an Forschungs-
vorhaben initiiert und koordiniert sowie eine gemeinsame
Öffentlichkeitsarbeit umgesetzt (Kommunen für biologi-
sche Vielfalt, 2016).
Ein weiteres wichtiges Feld der interkommunalen Zusam-
menarbeit betrifft die Wirtschaftsförderung. Bisher sehen
sich die Kommunen in einem Wettbewerb um Wirtschafts-
unternehmen und Arbeitskräfte, was insbesondere zu er-
heblichen Neuausweisungen von Gewerbe- und Industrie-
flächen für die Ansiedlung von Unternehmen geführt hat.
Oft werden jedoch zu großzügig Flächen ausgewiesen, die
dann wegen fehlender Nachfrage nicht genutzt werden.
Dieser Flächenverbrauch ist nicht nur höchst bedenklich im
Hinblick auf das deutsche Nachhaltigkeitsziel, den Flächen-
verbrauch bis 2020 auf 30 ha pro Tag zu begrenzen. Er stellt
für viele Kommunen auch eine erhebliche haushälterische
Belastung dar: Anstatt kommunale Mehreinnahmen aus der
Grund- und Gewerbesteuer oder aus den Anteilen der Ein-
kommensteuer zu erzielen, treten Verluste auf, die aus dem
Ausbau und dem Unterhalt der überdimensionierten Infra-
struktur resultieren. Hier ist eine stärkere Zusammenarbeit
zwischen den Wirtschaftsförderern der Kommunen zum
Zwecke einer besser aufeinander abgestimmten Flächen-
politik dringend geboten. Interkommunale Zusammen arbeit
kann so nicht nur Flächen »sparen«, es können auch die
aufzuwendenden Mittel reduziert werden, ohne dass die
einzelne Kommune auf die Vorteile aus (Gewerbe-)Ansied-
lungen verzichten muss. Ziel der Zusammenarbeit ist die
284 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT 285
Hierfür steht eine große Bandbreite an Ansatzpunkten und
Instrumenten zur Verfügung. Sie reicht von verbesserten und
erweiterten Informationen über neue und weitergehende
Formen der Zusammenarbeit bis hin zu planerischen und
anreizorientierten Instrumenten. Zum gegenwärtigen Zeit-
punkt weisen diese Instrumente jedoch einen unterschied-
lichen Reifegrad auf. Während informatorische Instrumente
oder Formen der Zusammenarbeit schon heute etabliert
sind und genutzt werden können, sind planerische Instru-
mente mit Blick auf das Konzept der Ökosystemleistungen
oder auch ökonomische Anreizinstrumente eher in der Erpro-
bungs- und Versuchsphase und bei weitem noch nicht aus-
gereift oder verbreitet.
In den kommenden Jahren wird es darum gehen, die Da-
seinsvorsorge und die Förderung von Gesundheit, Lebens-
qualität und sozialverträglicher wie wirtschaftlicher Ent-
wicklung in engere Verbindung miteinander zu setzen und
die instrumentellen Ansätze der grünen Infrastruktur zu
stärken. Hierzu gehört es, gemeinsame Ziele zu identifizie-
ren und gemeinsame Strategien für naturbasierte Lösungen
zu entwickeln, um alten und neuen Herausforderungen zu
begegnen. Doppelte Innenentwicklung, ökologische Quali-
fizierung von Dichte, die Einbindung von Menschen in der
Stadt und die Identifikation mit der eigenen Stadt sind hier-
bei wichtige Elemente.
Damit die Vision einer lebenswerten und nachhaltigen Stadt
wahr wird, sind attraktive Freiräume als öffentliche Güter
auch in dichter werdenden Städten zu sichern und zu entwi-
ckeln – dies ist gleichermaßen aus gesundheitlichen, sozialen
und volkswirtschaftlichen Gründen angebracht!
Hier setzen Reformvorschläge an, die bisher jedoch nur in
der Literatur diskutiert werden und noch keinen Eingang in
politische Reformdiskussionen gefunden haben (siehe Ka
-
pitel 9.5). Danach sollten zusätzlich ökologische Indikatoren,
welche die Bereitstellung ökologischer öffentlicher Güter
und Leistungen abbilden, zur Berechnung von Finanzbedar-
fen und entsprechender Zuweisungen berücksichtigt wer-
den. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um für öffentliche Ak-
teure ökonomische Anreize zu setzen, Ökosystemleistungen
zu fördern. Wenn Städte einen besonderen Finanzbedarf in-
folge von Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen für das urbane
Grün nachweisen, könnte dieser Bedarf im kommunalen
Finanzausgleich berücksichtigt werden – mit der Konsequenz,
dass ein Teil dieser Aufwendungen erstattet würde.
10.4 FAZIT
Im Zentrum dieses abschließenden Kapitels standen einer-
seits die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des
vorliegenden Berichts sowie andererseits das Aufzeigen
möglicher Ansatzpunkte und Instrumente zum Handeln.
Die Leistungen urbaner Natur für die Menschen sind immer
multifunktional. Das heißt, es ist stets ein Bündel von Öko-
systemleistungen, das mit Stadtnatur einhergeht. Sie erbrin-
gen in den meisten Fällen vielfache Beiträge zu unterschied-
lichen Zielsetzungen – nicht nur zum Naturschutz, sondern
vor allem auch zur Gesundheit, zum sozialen Zusammen-
halt, zur Förderung von Kindern und Jugendlichen, zur Ver-
sorgung der Bevölkerung und nicht zuletzt als Standortfaktor.
Weil ganz unterschiedliche Bereiche innerhalb einer Kom-
mune von Stadtnatur profitieren, sollten Synergien in den
Vordergrund gestellt und betroffene Bereiche dazu ermu-
tigt werden, sich für die Erhaltung und die Pflege von Stadt -
natur einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen.
Eine andere Variante ökonomischer Anreize liegt in han-
delbaren Mengenlösungen (Zertifikatelösungen). Hier wird
die Menge der Naturnutzungen festgelegt und in Form von
handelbaren Zertifikaten an die Nutzer verteilt, wobei sich
der Preis erst im Rahmen von Angebot und Nachfrage auf
dem Zertifikatemarkt herausbildet. Dieser Ansatz erfährt
gegenwärtig in Deutschland erhebliche Beachtung, mit dem
Ziel, das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsflächen (den
»Flächenverbrauch«) zu reduzieren. Ein System handelbarer
Ausweisungsrechte sieht vor, dass Flächenausweisungen für
Siedlungszwecke im Rahmen der kommunalen Bauleitpla-
nung nur zulässig sind, wenn für die erstmals für Siedlungs-
zwecke genutzten Flächen auch Flächenausweisungsrechte
vorliegen. Die Überlegung ist, diese Rechte im Rahmen des
30-Hektar-Ziels der Bundesregierung kostenlos an die Ge-
meinden auszugeben. Die Ausweisungsrechte können dann
zwischen den Kommunen gehandelt werden. Kommunen,
die zusätzliche Flächen benötigen und als Bauland auswei-
sen wollen, können Ausweisungsrechte von jenen kaufen, die
solche Flächen nicht brauchen. In einem langfristig angeleg-
ten Planspiel werden derzeit Ausgestaltungsoptionen dieses
Systems getestet, um mögliche Umsetzungen auch hinsicht-
lich ihres Aufwands und der Akzeptanz unter kommunalen
Entscheidungsträgerinnen zu beleuchten (siehe Kapitel 9.5).
Für die Städte hat dies in besonderer Weise Relevanz, weil
nicht nur die Ausweisung von Flächen in den Randlagen der
Städte betroffen ist, sondern sich auch Wirkungen auf städ-
tische und stadtnahe Freiflächen ergeben. Sie dürften durch
ein solches Instrument eine Aufwertung erfahren.
Ein weiteres Instrument stellt schließlich der kommunale
Finanzausgleich dar. Dieses Instrument regelt innerhalb des
jeweiligen Bundeslandes den finanziellen Ausgleich zwischen
den Kommunen (kreisfreie Städte, Landkreise, kreisangehö-
rige Gemeinden), indem nach einem Abgleich von kommu-
naler Finanzkraft und kommunalem Finanzbedarf bestimmte
Ausgleichszahlungen durch das Bundesland vorgenommen
werden. Für die Ermittlung des kommunalen Finanzbedarfs
wird dabei auf die Zahl der Einwohner sowie einige weitere
Indikatoren zurückgegriffen, die im Wesentlichen die Zentra-
lität einer Kommune und den damit zusammenhängenden
Finanzbedarf widerspiegeln. Beispiele für Indikatoren des
Finanzbedarfs sind zentrale Einrichtungen wie eine Oper oder
auch die Zahl der Schülerinnen. Der Finanzbedarf für Belange
des Naturschutzes bzw. für die Sicherung des Naturkapitals
wird derzeit in den kommunalen Finanzausgleichssystemen
in Deutschland nicht berücksichtigt.
der Entscheidungsunterstützung können auch Leitfäden hilf-
reich sein (z. B. Leitfaden zur Entscheidungs unterstützung bei
der urbanen Klimaanpassung, BMVBS, 2013).
In Planungsprozessen, etwa beim Neubau eines Wohnge-
bietes, können Effekte für Klimaschutz, Klimaanpassung, För-
derung der Biodiversität, Gesundheit, Aufenthaltsqualität
etc. stärker berücksichtigt werden. Kapitel 3.5.3 in diesem Be-
richt zeigt das Beispiel aus Aachen. Der Vergleich verschiede-
ner Szenarien der Flächenversiegelung und Dachbegrünung
legte offen, dass sich das »grüne« Szenario ohne Versiege-
lung der Hof- und Gartenflächen und mit dem höchsten
Anteil an Dachbegrünung (70 % der Dachflächen) bereits
unter Kosten-Nutzen-Abschätzungen am meisten lohnt. Bei
Einbeziehung weiterer Kriterien wurde dieses Ergebnis im
Unterschied zu anderen Alternativen noch deutlicher her-
vorgehoben.
10.3.4 Ökonomische Anreize setzen
Ein weiteres Handlungsfeld zur Stärkung von Stadtnatur und
urbanen Ökosystemleistungen liegt schließlich in ökonomi-
schen Anreizinstrumenten. Sie sollen dazu beitragen, dass
die Inanspruchnahme der Natur in Form von Ressourcenver-
brauch, Schädigungen oder Degradation verteuert wird und
infolgedessen naturschonende Nutzungen und Flächenge-
staltungen vorgezogen werden.
Im kommunalen Bereich sind allerdings die Möglichkeiten
für das Setzen von ökonomischen Anreizen sehr begrenzt.
Dies liegt vor allem daran, dass die kommunale Ebene aus
verfassungsrechtlichen Gründen zumeist nicht die (Gesetz-
gebungs-)Hoheit innehat, derartige Instrumente einzu-
führen. Die kommunale Ebene kann im Wesentlichen nur
jene Bereiche regulieren, in denen sie selbst eine Hoheit
besitzt. Ein Bereich, in dem das möglich ist, liegt in der Gebüh-
renkalkulation. Gebühren stellen eine Form von Preisen dar,
wobei sich die Höhe der Gebühr nach den sogenannten »an-
satzfähigen Kosten« richten muss. Diese Kosten sind die
Anschaffungs- und Unterhaltungskosten der Infrastruktur,
aber z. B. auch bestimmte kalkulatorische Kosten, die für
die Neubeschaffung von Investitionsprojekten z. B. in der
Wasserver- und -entsorgung anzusetzen sind. Hier bestehen
Spielräume, weil bei der Bestimmung ansatzfähiger Kosten –
jedenfalls prinzipiell – auch Umwelt- und Ressourcenkosten
einbezogen werden können (Gawel, 1995). Dies gilt in be-
sonderer Weise für die kommunalen Entgelte wie Abwasser-
und Abfallgebühren. Wie naturbezogene Belange durch die
Gestaltung von Friedhofsgebühren beeinflusst werden kön-
nen, ist in Kapitel 9.5 dargelegt.
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288 GLoSSAR 289NATURKAPITAL DEUTSCHLA ND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT
AGROBIODIVERSITÄT
Alle Komponenten der biologischen Vielfalt, die für Ernährung und Landwirtschaft,
Forstwirtschaft und Fischerei von Bedeutung sind. Neben den Nutztieren und -pflan -
zen sind auch die Komponenten der -> Biologischen Vielfalt gemeint, die -> Ökosystem-
leistungen (z. B. Nährstoffkreisläufe, Bodenbildung und -erhaltung, Regulierung von
Schädlingen und Krankheiten, Samenverbreitung, Bestäubung, Regulierung der Boden-
erosion, des Wasserhaushalts und des Klimas) fördern, die für die land- und forstwirt-
schaftliche Produktion entscheidend sind.
ALTERNATIVKOSTEN -> Opportunitätskosten
BASISLEISTUNGEN
Basisleistungen (auch unterstützende Leistungen) sind eine Kategorie von -> Öko-
system leistungen. Sie bilden die Voraussetzung für die Bereitstellung aller anderen
Ökosystem leistungen und umfassen Prozesse wie Photosynthese, Nährstoffkreisläufe
oder Boden bildung.
BEWERTUNG Verfahren zur Bestimmung des -> Werts von Gütern oder Handlungsalternativen, wobei
sich die Höhe des Wertansatzes nach dem Zweck oder Anlass der Bewertung richtet.
Im TEEB-Zusammenhang bezieht sich Bewertung auf die Leistungen der Natur für den
Menschen (-> Ökosystemleistungen).
Bewertungen sind immer kontextabhängig und jede Bewertung hängt von komplexen
Rahmenbedingungen ab: von ökologischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten,
von den -> Präferenzen der Individuen, den Auffassungen der Gesellschaft, dem Wohl-
stand, der wirtschaftlichen Lage etc.
Zur Bewertung von Ökosystemleistungen sind je nach Kontext und Ziel verschiedene
qualitative und quantitative methodische Ansätze geeignet, darunter auch die Bewer-
tung in Geldeinheiten (-> Monetarisierung).
BIODIVERSITÄT -> Biologische Vielfalt
BIODIVERSITÄTSKONVENTION
Völkerrechtliches internationales Übereinkommen zum Schutz der -> Biologischen Viel-
falt, unterzeichnet auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro
(1992). Die Biodiversitätskonvention wird in Deutschland durch die Nationale Strategie
zur Biologischen Vielfalt unterstützt. Die drei gleichrangigen zentralen Ziele der Bio-
diversitätskonvention sind 1) Schutz der biologischen Vielfalt, 2) nachhaltige Nutzung
ihrer Bestandteile und 3) Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechter Ausgleich
von Vorteilen, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen.
BIOLOGISCHE VIELFALT Die Vielfalt des Lebens auf unserer Erde (oder kurz: Biodiversität) ist die Variabilität
lebender Organismen und der von ihnen gebildeten ökologischen Komplexe. Sie um-
fasst die folgenden drei Ebenen: 1) die Vielfalt an Ökosystemen beziehungsweise Lebens-
gemeinschaften, Lebensräumen und Landschaften, 2) die Artenvielfalt und 3) die gene-
tische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten.
GLOSSAR BRACHFL ÄCHE
Im städtischen Kontext eine Fläche, die nach Aufgabe der ursprünglichen Nutzung
(z. B. als Verkehrs- oder Industriestandort) weitgehend sich selbst überlassen bleibt, d. h.
keiner formellen Nutzung mehr unterliegt. Je nach Dauer des Brachliegens und des
Ausmaßes informeller Nutzungen (z. B. durch Spaziergänger) können Brachflächen sehr
unterschiedlich strukturiert sein. Da die Böden oft sehr stark verändert wurden, können
hier neuartige Ökosysteme entstehen, die Raum für die Ansiedlung von stadttypischen
Tier- und Pflanzenarten bieten. Darunter sind viele nichteinheimische Arten und oft
auch seltene und gefährdete Arten.
DISKONTRATE -> Diskontsatz
DISKONTSATZ Ein Zinssatz, der ausdrücken soll, wie zukünftige Nutzen und Kosten aus heutiger Sicht
bewertet werden. Bei privatwirtschaftlichen Investitionen orientiert sich der Diskontsatz
an Marktzinssätzen. Bei öffentlichen Projekten wird häufig ein sogenannter sozialer
Diskont satz verwendet, der die Wertschätzung der Gesellschaft für zukünftige
Nutzungen wiedergibt. Eine Abzinsung zukünftiger Nutzen und Kosten wird im All-
gemeinen nur dann als gerechtfertigt angesehen, wenn der Wohlstand einer Gesell-
schaft in Zukunft größer sein wird, zumindest aber erhalten bleibt.
DISSERVICE Ökosystemfunktionen können Auswirkungen auf einzelne Individuen, Gruppen oder
auf die Gesellschaft insgesamt haben, die das menschliche Wohlergehen negativ
beeinflussen. Diese negativen Auswirkungen werden als Disservices bezeichnet. Zu
ihnen gehören beispielsweise die Schädigung baulicher Strukturen durch Pflanzen-
wachstum, gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Pflanzen und Tiere (z. B. Aller-
gien, Übertragung von Krankheiten) oder Gefährdungen im Straßenraum aufgrund
von Sichtbehinderung durch Bäume.
DOPPIK Ressourcenverbrauchsorientiertes Haushalts- und Rechnungswesen öffentlicher Haus-
halte, das an den kaufmännischen Rechnungsstil der doppelten Buchführung angelehnt
ist. Die doppelte Buchführung ermöglicht die Ermittlung des Periodenerfolges durch
die Bilanz sowie durch die Gewinn- und Verlustrechnung. Zugleich ist »doppelt« auch
im technischen Sinn der Buchung als Erfassung eines Geschäftsvorfalls auf Konto und
Gegenkonto zu verstehen.
Im Zuge eines Wandlungsprozesses im öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens
reformieren derzeit die meisten der insgesamt knapp 13.000 deutschen Gebietskör-
perschaften ihr traditionelles, auf Einnahmen und Ausgaben basierendes kameralisti-
sches Haushalts- und Rechnungswesen (-> Kameralistik). Im Rahmen der Einführung
der Doppik geht in die Bilanzierung des kommunalen Vermögens auch eine Bewertung
kommunaler Grünflächen ein.
EINGRIFFE IN NATUR UND LANDSCHAFT Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des § 14 des Bundesnaturschutzgesetzes
(BNatSchG) sind »Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder
Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grund-
wasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder
das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können«.
290 GLoSSAR 291NATURKA PITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: Ö KOSYSTEM L EISTUNGEN IN DER STADT
EINGRIFFSREGELUNG
Die Eingriffsregelung basiert auf den Rechtsgrundlagen der §§ 14 ff. des BNatSchG.
Eingriffe in Natur und Landschaft sollen vermieden und minimiert werden. Nicht
vermeidbare Eingriffe sollen durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kompensiert
werden.
EVAPORATION
Von Boden- und Wasseroberflächen ausgehende Verdungstung. Zusammen mit
der -> Transpiration ergibt sie die -> Evapotranspiration.
EVAPOTRANSPIRATION Gesamtmenge des von Tieren und Pflanzen (-> Transpiration) sowie von Boden- und
Gewässeroberflächen (-> Evaporation) verdunsteten Wassers.
FFH-RICHTLINIE Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Naturschutz-Richtlinie der Europäischen Union (Richt-
linie 92/43/EWG des Rates vom21. Mai 1992). Ziel der Richtlinie ist die Erhaltung wild-
lebender Tier- und Pflanzenarten, die Erhaltung ihrer Lebensräume sowie der Auf-
bau eines zusammenhängenden Systems von Schutzgebieten (Vernetzung, -> Natura
2000-Gebiete).
FLÄCHENPOOL
Unter Flächenpools und Ökokonten versteht man in Anlehnung an § 16 BNatSchG
die Bevorratung von Flächen für bzw. mit Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Es
handelt sich um Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach
§ 15 (2) BNatSchG, die ohne anderweitige rechtliche Verpflichtung durchgeführt wer-
den, für die keine öffentlichen Fördermittel in Anspruch genommen werden und für die
eine Dokumentation des Ausgangszustands der Flächen vorliegt (vgl. http://www.bfad-
dokumente.de/Downloads/Definitionen_Flaechenpool_Oekokonto_BFAD_2014.pdf)
GRAUE INFRASTRUKTUR Gebaute, technische Infrastruktur in Stadtgebieten (z. B. Straßen, Bahntrassen, Kanal-
systeme), bspw. zur Ver- und Entsorgung oder Mobilität. In der Regel mehr oder minder
stark mit -> grüner Infrastruktur verwoben.
GRÜNE INFRASTRUKTUR
Auf EU-Ebene definiert als strategisch geplantes Netzwerk aus wertvollen natür-
lichen und naturnahen Flächen und weiteren Umweltelementen, die wichtige Öko-
systemleistungen gewährleisten und zum Schutz der biologischen Vielfalt beitragen.
Im städtischen Kontext umfasst die grüne Infrastruktur Grün- und Freiflächen sowie
Wasserflächen, unabhängig von ihrer Nutzung und Entstehungsgeschichte oder von
Eigen tumsverhältnissen. Sie trägt maßgeblich zur Lebensqualität und Daseinsvorsorge
in Städten bei und stellt damit eine wichtige Ergänzung der -> grauen Infrastruktur dar.
HEDONISCHE ANALYSE Auch als Häuserpreismethode oder Marktpreismethode bezeichnetes Bewertungsver-
fahren, bei dem der Marktpreis in Regionen mit verschiedenen Umweltqualitäten ver-
glichen wird, um die Kosten von Umweltbelastungen zu ermitteln. Die bewerteten Ge-
genstände (z. B. Immobilien) weisen übereinstimmende Merkmale auf (z. B. hinsichtlich
Alter, Größe, Zustand) und unterscheiden sich nur durch das umweltbezogene Merkmal
(z. B. die Nähe zu einem Stadtpark).
HINTERGRUNDBELASTUNG Belastung mit Schadstoffen (z. B. Feinstaub), bei deren Messung die direkte Einwirkung
von Emissionen einzelner Emittenten (z. B. Kraftfahrzeuge, Industriestandorte) nicht
berücksichtigt wird.
INDIKATOR Messgröße, deren Zustand oder Veränderung Rückschlüsse auf den Zustand oder die
Veränderung einer anderen, nicht oder nur mit großem Aufwand messbaren Größe zu-
lässt (z. B. Erhebung der Bestandsveränderungen ausgewählter Arten als Maß für die
Veränderung der biologischen Vielfalt in einem Gebiet).
INTANGIBLE KOSTEN Nicht-materielle, nicht direkt monetär messbare Kosten, welche die aus einer Erkran-
kung resultierenden Einschränkungen wie Schmerz, Depressionen oder ganz allgemein
den Verlust an Lebensqualität abbilden. Intangible Kosten sind Produkte eines Wirkungs-
geflechts qualitativer Faktoren, wie Stimmung und Selbstzufriedenheit. Diese haben
großen Einfluss auf eine gute psychische Verfassung, die wiederum grundsätzlich die
Gesundheit beeinflusst.
Da intangible Kosten nicht über Märkte abgeleitet werden können, wurden für ihre
Erfassung spezielle Fragebögen entwickelt.
INWERTSETZUNG Bündel von Maßnahmen, um den Nutzen der Erhaltung von biologischer Vielfalt und
der Bereitstellung gesellschaftlich ausgewogener Ökosystemleistungsbündel in Ent-
scheidungen über Art, Umfang und Intensität der Nutzung der natürlichen Ressour-
cen zu integrieren. Dazu zählen u. a. die Bereitstellung relevanter Informationen für
Abwägungsentscheidungen öffentlicher und privater Entscheider durch (ökonomi-
sche) Bewertung der Nutzungsalternativen, die Definition und Anwendung von Be-
wirtschaftungsauflagen bzw. Anreizinstrumenten zur Steuerung des Verhaltens pri-
vater Entscheidungsträger.
KAMERALISTIK Klassische Buchführungsmethode der öffentlichen Verwaltung, die zunehmend von
der -> Doppik abgelöst wird. Dabei werden mithilfe eines der Budgetstruktur folgen-
den Kontensystems die Ansätze des Haushaltsplans und deren eventuelle Änder-
ungen im laufenden Haushaltsjahr erfasst. Im Rahmen der Haushaltsüberwachung
werden Soll-Ist-Vergleiche vorgenommen und abschließend die Jahresabschlüsse er-
mittelt. Wichtigstes Ziel ist dabei die Überschuss- und Fehlbetragsermittlung.
KELVIN Maß für die Angabe von Temperaturdifferenzen. Der absolute Nullpunkt der Tempe-
ratur beträgt dabei 0 K, was –273,15 °C entspricht. Die thermodynamische Temperatur-
differenz 1 K ist dabei exakt gleich groß wie die Celsius-Temperaturdifferenz von 1 °C.
KOMPENSATIONSMASSNAHME
Kompensationsmaßnahmen im Sinne von »Ausgleichsmaßnahmen« und »Ersatz-
maßnahmen« nach § 14 BNatschG sind Naturschutzmaßnahmen, die als Kompen-
sation für unvermeidbare und nicht-reduzierbare Eingriffe im Rahmen der -> Eingriffs-
und Ausgleichsregelung durchgeführt werden. In einigen Bundesländern werden von
privaten oder öffentlichen Trägern bereits durchgeführte oder noch durchzuführende
Naturschutzmaßnahmen in Form von »Ökopunkten« an Bauvorhabenträger verkauft,
die auf diese Weise ihrer gesetzlichen Pflicht zum Ausgleich oder Ersatz nachkommen
können. Die Ökopunkte ähneln Zertifikaten im Emissionshandel. Sie bilden die Wertig-
keit durchgeführter Kompensationsmaßnahmen ab und können zum Teil auf einem
sogenannten Ökokonto bevorratet werden.
KULTURELLE ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN Kulturelle Ökosystemleistungen sind eine Kategorie von -> Ökosystemleistungen mit
Wirkung und Bedeutung für Erholung, ästhetisches Empfinden, spirituelle Erfahrungen,
ethische Anforderungen, kulturelle Identität, Heimatgefühl, Wissen und Erkenntnis.
292 GLoSSAR 293NATURKAPITAL DEUTSCHL AND – TEEB DE : ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT
MONETARISIERUNG
Die Bemessung von Werten (Nutzen, Kosten, Zahlungsbereitschaften) in Geldbe-
trägen. Es handelt sich dabei um den Versuch, das Ausmaß bestimmter Leistungen
oder Schäden in Geldeinheiten zu erfassen. Für eine solche monetäre -> Bewertung
wird häufig die aggregierte Zahlungsbereitschaft betroffener Individuen unter Zu-
hilfenahme verschiedener Methoden ermittelt.
MULTIKRITERIENANALYSE (MKA) Ein Entscheidungshilfeverfahren, welches in Deutschland vor allem bei Infrastruktur-
vorhaben, zunehmend aber auch im Umweltbereich zum Einsatz kommt. Bei mehr-
dimensionalen Problemen und Problemen hoher Komplexität kann eine MKA einge-
setzt werden, um eine systematische Entscheidungsvorbereitung bei einer gegebe-
nen Auswahl von Alternativen zu ermöglichen. Diese Alternativen werden mit Bezug
auf ein mehrdimensionales Zielsystem strukturiert, bewertet und geordnet. Die MKA
kann als integriertes Instrument in Entscheidungsprozessen vorkommen, externen Ent-
scheidungsvorbereitungen dienen oder als zielübergreifende Bewertungsmethode ein-
gesetzt werden. Der MKA stehen monokriterielle Verfahren wie z. B. die Kosten-Nutzen-
Analyse gegenüber, bei denen Vorteile und Nachteile anhand eines einzigen Kriteriums
(bei der Kosten-Nutzen-Analyse sind es Geldeinheiten) bewertet werden.
NATURA 2000 Natura 2000 bezeichnet das EU-weite Netz von Schutzgebieten (Gebiete der Vogel-
schutzrichtlinie sowie der -> FFH-Richtlinie). Ziel ist der länderübergreifende Schutz
gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen
Lebensräume. In Deutschland nehmen die Natura 2000-Gebiete 15,4 % der Landes-
und 45,4 % der Meeresfläche ein.
NATURERFAHRUNGSRAUM
§ 40 Bundesnaturschutzgesetz: (1) Naturerfahrungsräume sind naturbestimmte Flächen
weitestgehend ohne Infrastruktur, die dazu dienen, insbesondere Kindern und Jugend-
lichen ein selbstbestimmtes Naturerleben zu ermöglichen.
NATURHAUSHALT Umfasst die abiotischen (Boden, Wasser, Luft/Klima) und die biotischen Bestandteile
der Natur (Organismen, Lebensräume und Lebensgemeinschaften) und deren Wechsel-
wirkungen.
NATURKAPITAL Ökonomische Bezeichnung für den (endlichen) Bestand an Natur, ähnlich dem Sach-
oder Humankapital. Naturkapital ist somit eine Metapher für den wertvollen, aber be-
grenzten Vorrat an physischen und biologischen Ressourcen der Erde und die begrenzte
Bereitstellung von Gütern und Leistungen durch Ökosysteme. Aus dem Naturkapital
fließen »Dividenden« in Form von -> Ökosystemleistungen. Ökosystemleistungen kön-
nen dauerhaft nur dann fließen, wenn das Naturkapital nachhaltig genutzt wird, d. h.
der Bestand erhalten bleibt oder zumindest keine kritischen Grenzen unterschreitet.
NUT ZEN
(VON ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN)
Entsteht, wenn Ökosystemleistungen vom Menschen direkt oder indirekt in Anspruch
genommen werden oder/und eine positive Bedeutung haben.
ÖFFENTLICHE GÜTER Güter, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann (Nichtanwendbar-
keit des Ausschlussprinzips) und die gleichzeitig durch verschiedene Personen genutzt
werden können, weil die Nutzung durch einzelne Personen die Nutzung durch andere
Personen nicht beeinträchtigt (Nichtrivalität im Konsum). Beispiele sind die innere
Sicher heit, saubere Luft oder der Blick auf die freie Landschaft.
ÖKONOMISCHE BEWERTUNG Einschätzung des Werts eines Gutes oder einer Leistung in einem spezifischen Kontext,
oft ausgedrückt in monetären Größen. Die ökonomische Bewertung orientiert sich an
den Präferenzen der Betroffenen (anthropozentrischer Bewertungsansatz). In der Um-
weltökonomie wurden verschiedene Methoden entwickelt, um die Veränderungen der
Umweltqualität direkt (über Zahlungsbereitschaftsabfragen) oder indirekt (z. B. über
aufgewendete Vermeidungs- oder Reisekosten) zu erfassen. Ökonomische Bewertun-
gen werden häufig zu Kosten-Nutzen-Analysen zusammengefasst.
ÖKONOMISCHE PERSPEKTIVE
Die ökonomische Perspektive betrachtet Natur und Ökosystemleistungen unter Knapp-
heitsgesichtspunkten. Der Umgang mit knappen Naturgütern erfordert Abwägungs-
entscheidungen unter Kosten-Nutzen-Betrachtungen. Die ökonomische Perspektive
umfasst im Verständnis dieses »Naturkapital Deutschland«-Berichts: 1) das Bewusstsein
um die Knappheit der vielfältigen Leistungen der Natur für den Menschen und die daran
geknüpften individuellen und gesellschaftlichen Werte, 2) das Aufzeigen von Werten
der Natur und von Ökosystemleistungen zur Entscheidungsunterstützung mithilfe ver-
schiedener Verfahren der -> ökonomischen Bewertung sowie 3) die Untersuchung des
Handlungsrahmens der relevanten Akteure und von Instrumenten und Maßnahmen
für einen effizienteren Umgang mit dem -> Naturkapital (-> Inwertsetzung).
ÖKOSYSTEM Bezeichnet die Bestandteile eines abgegrenzten Naturraumes (z. B. niedersächsisches
Wattenmeer) oder eines bestimmten Naturraumtyps (z. B. nährstoffarmes Fließge-
wässer) und deren Wechselwirkungen. Der Begriff kann sich auf verschiedene räum-
liche Ebenen (lokal, regional) beziehen und umfasst sowohl (halb-)natürliche (z. B.
Natur wälder am Stadtrand) und naturnahe (z. B. alte Wiesen in Parks) als auch stark
menschlich geprägte Ökosysteme (z. B. Straßen und Bahnanlagen).
ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN Direkte und indirekte Beiträge von Ökosystemen zum menschlichen Wohl ergehen, das
heißt Leistungen und Güter, die dem Menschen einen direkten oder indirekten wirtschaft-
lichen, materiellen, gesundheitlichen oder psychischen Nutzen bringen. In Abgrenzung
zum Begriff Ökosystemfunktion entsteht der Begriff Ökosystemleistung aus einer anthro-
pozentrischen Perspektive und ist an einen Nutzen des Ökosystems für den Menschen
gebunden. Der Begriff beinhaltet die häufig verwendeten Begriffe »Ökosystemdienst-
leistung« und »ökosystemare Güter und Leistungen« und entspricht dem englischen
Begriff der »ecosystem goods and services«.
OPPORTUNITÄTSKOSTEN (auch: Alternativkosten). Entgangene Vorteile einer nicht gewählten Alternative, hier
einer alternativen Nutzung von Flächen und Ökosystemen. Beispiel: Gewinne aus einer
landwirtschaftlichen Nutzung, die man weitergeführt hätte, wenn ein Gebiet nicht als
Aue renaturiert worden wäre.
PRÄFERENZ Die Bevorzugung einer Alternative oder die Vorliebe, die ein Individuum für etwas hat.
Eine Präferenz ist ein Ausdruck der subjektiven Bewertung von Handlungsoptionen im
Hinblick auf ihre jeweilige erwartete Bedürfnisbefriedigung.
294 GLoSSAR 295NATURKAPITAL DEUTSCHL AND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUN GEN IN DER STADT
REGRESSIONSMIETSPIEGEL
Ein Mietspiegel ist eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete, soweit sie
von der Gemeinde oder von Vermieter- oder Mieterverbänden gemeinsam erstellt
oder anerkannt worden ist. Der Regressionsmethode zur Ermittlung des Mietspiegels
liegt die Überlegung zugrunde, dass sich die Miete einer Wohnung aus der Bewertung
ihrer Wohnwertmerkmale ergibt und dass dieser Zusammenhang mit einer mathe-
matischen Gleichung beschrieben werden kann. Jedes Merkmal (z. B. die Größe der
Wohnung, das Baualter, die Ausstattungsqualität) leistet einen Beitrag zum Mietpreis
der Wohnung und das Zusammenwirken aller Merkmale ergibt die abzubildende
Miete.
REGULIERUNGSLEISTUNGEN
Regulierungsleistungen sind eine Kategorie von -> Ökosystemleistungen und umfassen
Funktionen von Ökosystemen, die auf (andere) Elemente und Prozesse von Ökosystemen
einwirken, die einen (direkten) Nutzen für den Menschen haben, z. B. die Filterwirkung
von Bodenschichten auf die Grundwasserqualität oder der Beitrag einer Hecke zur
Verringerung der Bodenerosion.
RENATURIERUNG
Maßnahmen, die anthropogen veränderte Lebensräume in einen naturnäheren Zu-
stand überführen.
REVITALISIERUNG
Im Zusammenhang mit Gewässern werden unter Revitalisierung alle technischen,
baulichen und administrativen Maßnahmen verstanden, die zur Gewässersanierung
durchgeführt werden. Im Unterschied zu einer vollständigen -> Renaturierung geht
es dabei vorrangig um die Wiederherstellung wichtiger Schlüsselprozesse und -funk-
tionen (z. B. der Durchgängigkeit einzelner Gewässerabschnitte durch Entfernung von
Querverbauungen).
SALUTOGENESE Im Unterschied zur medizinischen Pathogenese (Betrachtung von Krankheitsentste-
hung) richtet die Salutogenese ihren Fokus auf die Fragen zur Gesundheitsförderung,
etwa »Wie entsteht Gesundheit?« oder »Was macht Menschen gesund?«. Vor diesem
Hintergrund befasst sie sich mit den Ursachen und den Bedingungen für die Herstel-
lung und die Erhaltung von Gesundheit.
SIEDLUNGS- UND VERKEHRSFLÄCHE
Die Siedlungs- und Verkehrsfläche umfasst Gebäude- und zugehörige Freiflächen,
Betriebsflächen (ohne Abbauland), Erholungsflächen, Verkehrsflächen und Friedhofs-
flächen. Sie kann nicht mit der versiegelten Fläche gleichgesetzt werden, da zu ihr auch
nicht bebaute und nicht versiegelte Grün- und Freiflächen gehören.
STADTNATUR
Unter Stadtnatur wird die Gesamtheit der in urbanen Gebieten vorkommenden Natur-
elemente einschließlich ihrer funktionalen Beziehungen (-> Ökosysteme) verstanden. Sie
umfasst sowohl Relikte ursprünglicher Natur- und Kulturlandschaften als auch Natur-
elemente, die gärtnerisch gestaltet worden sind oder nach tief greifenden Standortver-
änderungen neu entstehen, bspw. auf urban-industriellen -> Brachflächen.
STAKEHOLDER
(auch: Anspruchsgruppen, Interessenvertreter). Bezeichnet Personen oder Gruppen, die
von einem Projekt oder Prozess direkt oder indirekt betroffen sind und somit ein be-
rechtigtes Interesse an dessen Verlauf oder Ergebnis haben.
SYNERGIE(N) Zusammenwirken von Kräften im Sinne von »sich gegenseitig fördern«. Dies kann zum
einen ein resultierender gemeinsamer Nutzen für verschiedene Ziele sein. Ein Beispiel
ist die gleichzeitige Erreichung mehrerer gesellschaftlicher Ziele durch eine ausbalan-
cierte Landnutzung und dem dabei bereitgestellten Ökosystemleistungsbündel. Zum
anderen können Synergien auch in der Förderung verschiedener Ökosystemleistungen
auftreten, d. h. durch die Bereitstellung einer Ökosystemleistung (z. B. dem Erosionsschutz
durch Landschaftselemente wie Hecken) werden weitere Ökosystemleistungen (z. B.
Bestäubungsleistungen, Grundwasserreinigung, Landschaftsästhetik) gefördert. Das
Gegenteil von Synergien sind -> Trade-offs, wenn verschiedene Ziele oder die Bereit-
stellung verschiedener Ökosystemleistungen in gegenläufiger Abhängigkeit zueinander
stehen.
TEEB The Economics of Ecosystems and Biodiversity. Die internationale TEEB-Studie wurde
von Deutschland im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft im Jahr 2007 gemeinsam mit
der EU-Kommission initiiert und mithilfe zahlreicher weiterer Institutionen unter der
Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) durchge-
führt. Ziel der TEEB-Studie war es, den ökonomischen Wert der Leistungen der Natur
abzuschätzen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Schädigung von Ökosystemen
zu erfassen und ausgehend davon die Kosten eines Nicht-Handelns zu verdeutlichen
sowie Handlungsmöglichkeiten darzustellen, mit denen die vielfältigen Werte der
Natur in Entscheidungen integriert werden können. Weiterführende Informationen
unter www.teebweb.org.
TEEB-ANSATZ Der TEEB-Ansatz zur -> Inwertsetzung von Ökosystemleistungen umfasst die folgen-
den Schritte: (1) Identifizieren und Anerkennen, (2) Erfassen und Bewerten sowie (3) das
Berücksichtigen von Werten von Ökosystemleistungen in Entscheidungen.
Die Anerkennung von Werten ist geprägt durch die Sozialisation und kulturelle Prägung
der Menschen einer Gesellschaft. Das Erfassen dieser Werte bezeichnet den bewussten
Prozess der Verdeutlichung von Werten mittels geeigneter Ansätze und Methoden. Das
Berücksichtigen von Werten der Stadtnatur in Entscheidungen zielt auf die Schaffung
von Instrumenten und Maßnahmen ab, die dazu führen, Aspekte von Stadtnatur und
ihren Leistungen in privaten oder öffentlichen Entscheidungen zu berücksichtigen, also
in Wert zu setzen.
TRADE-OFF(S) Bezeichnet Austauschbeziehungen, z. B. in Bezug auf die Bereitstellung ver schiedener
Ökosystemleistungen, die von einer gegenläufigen Abhängigkeit gekennzeichnet
sind: Wird das eine besser, wird zugleich das andere schlechter. Oft bestehen Trade-
Offs zwischen der Maximierung der Versorgungsleistungen (z. B. der Produktion von
Nahrungsmitteln, Holz oder Energie) und anderen Ökosystemleistungen (z. B. Regu-
lierungsleistungen, wie die Wasserreinigung, oder kulturellen Leistungen, wie die
Landschafts ästhetik) oder der Erhaltung der biologischen Vielfalt. Solche Trade-Offs
müssen im konkreten Fall immer wieder neu abgewogen werden. Das Gegenteil von
Trade-offs sind -> Synergien, also sich gegenseitig verstärkende Effekte.
TRANSPIRATION Verdunstung von Wasser durch Tiere und Pflanzen. Zusammen mit der -> Evaporation
ergibt sie die -> Evapotranspiration.
296 GLoSSAR 297NATURKAPI TAL D EUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT
UMWELTGERECHTIGKEIT Unter dem Begriff »Umweltgerechtigkeit« wird die sozialräumlich oftmals ungleiche
(ungerechte) Verteilung von Umweltbelastungen (z. B. Lärm oder Luftschadstoffe)
thematisiert. Mangelnde Umweltgerechtigkeit kann somit auch zu gesundheitlicher
Ungleichheit führen. Zentrale Forschungsfragen adressieren daher nicht nur die un-
terschiedliche Verteilung von Umweltbelastungen, sondern befassen sich neben den
Ursachen auch mit den sozialen und gesundheitlichen Folgen.
UMWELTVERTRÄGLICHKEITSPRÜFUNG Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist ein umweltpolitisches Instrument, mit
dem Projekte (z. B. Straßenbauvorhaben) hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Men-
schen, biologische Vielfalt, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft sowie Kulturgüter
bewertet werden.
URBANISIERUNG Hierunter versteht man allgemein die Ausbreitung städtischer Lebens-, Wirtschafts-
und Verhaltensweisen. Diese geht häufig einher mit der Ausweitung von -> Siedlungs-
und Verkehrsflächen.
VERHÄUSLICHUNG Begriff aus der Kindheitsforschung, der eine Entwicklung bezeichnet, die vor allem in
Städten zu beobachten ist: Kinder verbringen ihre Kindheit vorrangig im häuslichen
Bereich oder in geschlossenen Räumen.
VERSORGUNGSLEISTUNGEN
Versorgungsleistungen sind eine Kategorie von -> Ökosystemleistungen und bezeichnen
die Beiträge von Ökosystemen zur Versorgung der Menschen, z. B. mit Nahrung, Frisch-
wasser, Feuer- und Bauholz. Sie sind somit eine wesentliche Voraussetzung für die Er-
zeugung von Gütern und Dienstleistungen und werden häufig über Märkte gehandelt.
VERURSACHERPRINZIP
Prinzip der Umweltpolitik, das die Anlastung der Kosten umweltrelevanten Handelns
beim (technischen) Verursacher fordert, z. B. durch Vorgaben mindestens einzuhal-
tender (technischer oder Bewirtschaftungs-)Standards oder Abgaben auf umwelt-
belastende Materialien oder Handlungen. Gründe für die Anwendung des Verur-
sacherprinzips sind zum einen Gerechtigkeitsüberlegungen, nach denen es als gerecht
angesehen wird, den Verursacher (und nicht die Allgemeinheit der Steuerzahler)
mit den Kosten der Vermeidung oder der nachträglichen Sanierung zu belasten,
zum anderen aber auch Effizienzüberlegungen, weil der Verursacher häufig am
besten weiß, wie umwelt- und naturschädigendes Verhalten vermieden oder mini-
miert werden kann. Das Verursacherprinzip wurde in Deutschland mit dem Umwelt-
programm der Bundesregierung von 1976 etabliert. Ihm steht das Gemeinlastprinzip
gegenüber, nach dem die Kostenanlastung bei der Allgemeinheit (der Steuerzahler)
erfolgt.
WÄRMEINSEL Aufgrund des hohen Versiegelungsgrads und weiterer Faktoren ist es in der Stadt in
der Regel wärmer als im Umland. Dieser Effekt wird als »Wärmeinsel« bezeichnet. Im
Jahresmittel liegt die Lufttemperatur in der Stadt durchschnittlich etwa 2 °C über der
ihres Umlandes. In Einzelfällen, insbesondere in Sommernächten, kann die Temperatur-
differenz zwischen Stadt und Umland bis zu 10 -> Kelvin betragen.
WERT Ausdruck der Wichtigkeit eines materiellen oder immateriellen Objekts für einen Ein-
zelnen oder eine Gemeinschaft. Es existieren mehrere Bedeutungsvarianten: »Wert«
wird in einer ersten Deutung als Entsprechung zum Preis als Äquivalent eines Handels-
objekts gesehen, das in Geld oder in anderen Zahlungsmitteln ausgedrückt werden
kann. In einer zweiten Deutung wird der Begriff weiter aufgefasst, im Sinne von Gel-
tung, Bedeutung oder Wichtigkeit einer Sache, einer Person, eines Umstandes etc. Im
Vorhaben »Naturkapital Deutschland – TEEB DE« folgen wir mit dem Begriff des Wertes
ausdrücklich dem zweiten, breiten Verständnis.
WOHLERGEHEN/
MENSCHLICHES WOHLERGEHEN
Der Begriff wurde v. a. durch das »Millennium Ecosystem Assessment« geprägt (»human
wellbeing«). Er bezeichnet das, was »Lebensqualität« ausmacht und umfasst grund-
legende materielle Güter, Gesundheit und körperliches Wohlbefinden, gute soziale
Beziehungen, Sicherheit, innere Ruhe und Spiritualität sowie Entscheidungs- und Hand-
lungsfreiheit.
ZAHLUNGSBEREITSCHAFT
Höhe des Geldbetrages, den man für die Bereitstellung von Gütern, einschließlich
öffentlicher Güter, die in der Regel nicht über Märkte gehandelt werden und damit
keinen Marktpreis haben (z. B. Aktionsprogramme für den Schutz bedrohter Arten), zu
zahlen bereit ist.
ZAHLUNGSBEREITSCHAFTSANALYSE Eine ökonomische Methode zur Erfassung der -> Zahlungsbereitschaft, die auf Befra-
gungen beruht. Aus dem englischen Sprachgebrauch stammt der Begriff »Kontingente
Bewertung«, da es sich um ein Erfragen der Zahlungsbereitschaft unter bestimmten
(»kontingenten«) Bedingungen handelt. Zahlungsbereitschaften lassen sich durch
unterschiedliche Methoden erfassen. Die Zahlungsbereitschaftsanalyse ist lediglich
eine dieser Methoden. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu vielen
anderen ökonomischen Bewertungsmethoden auch Werte von Ökosystemleistungen
erfassen kann, die nicht von deren Nutzung abhängen.
VERZEICHNIS DER MITwIRKENDEN 299298 NATURKAPITAL DEUTSCHL AND – TEEB DE : ÖKoSYSTEM LEISTUNGEN IN D ER STADT
GUTACHTERINNEN UND GUTACHTER
Martina Artmann (Universität Salzburg), Jan Barkmann (Georg-August-Universität Göttingen), Nicole Bauer
(Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft – WSL), Katrin Bohn (University of Brighton,
Bohn&Viljoen Architects), Margit Bonacker (konsalt GmbH), Carolin Boßmeyer (»Biodiversity in Good Company«
Initiative e. V.), Björn Bünger (Umweltbundesamt – UBA), Claudia Castell-Exner (Deutscher Verein des Gas- und
Wasser faches – DVGW), Sonja Deppisch (HafenCity Universität Hamburg – HCU), Fabian Dosch (Bundesinstitut für
Bau-, Stadt- und Raumforschung – BBSR), Martina Eick (UBA), Ulrich Franck (UFZ), Marco Fritz (European Commission,
DG Environment), Peter Gaffert (Stadt Wernigerode, Bündnis Kommunen für biologische Vielfalt e. V.), Sonja Gärtner
(Landeshauptstadt Mainz, Grün- und Umweltamt), Rüdiger Grote (KIT), Riecke Hansen (Technische Universität
München – TUM), Till Hopf (Naturschutzbund Deutschland e. V. – NABU), Stefan Hörman (Global Nature Fund – GNF),
Dirk Hürter (Hansestadt Bremen, Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr), Hartmut Kenneweg (TUB), Stefan Klotz
(UFZ), Stefan Körner (Universität Kassel), Christian Löwe (UBA), Armin Lude (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg),
Astrid Matthey (UBA), Stefan Pauleit (TUM), Michaela Pritzer (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur –
BMVI), Matthias Rothe (Stadt Dresden, Umweltamt), Jana Rückert-John (Hochschule Fulda), Gudrun Schütze (UBA),
Elisabeth Schwaiger (Umweltbundesamt Österreich), Karsten Schwanke (Meteorologe und Moderator), Nina Schwarz
(UFZ), Bettina Schwarzl (Umweltbundesamt Österreich), Irmi Seidl (WSL), Gabriele Sonderegger (Umweltbundesamt
Österreich), Henrik von Wehrden (Leuphana Universität Lüneburg), Ulrike Weiland (Universität Leipzig), Rüdiger Wittig
(Goethe-Universität Frankfurt am Main), Angelika Zahrnt (Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz –
BUND), Karin Zaunberger (European Commission, DG Environment), Markus Ziegeler (Deutscher Forstwirtschaftsrat – DFWR)
VERZEICHNIS DER MITWIRKENDEN
ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN IN DER STADT – GESUNDHEIT SCHÜTZEN UND LEBENSQUALITÄT ERHÖHEN
AUTORINNEN, AUTOREN UND BEITRAGENDE
Robert Bartz (Technische Universität Berlin – TUB), Uta Berghöfer (Geographin, freie Autorin und Wissenschafts-
pädagogin), Reinhard Beyer (Humboldt-Universität zu Berlin – HU), Anja Bierwirth (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,
Energie GmbH, Querwaldein e. V.), Wanda Born (Ackerdemia e. V., born to consult), Miriam Brenck (Helmholtz-Zentrum
für Umweltforschung – UFZ), Heike Brückner (Stiftung Bauhaus Dessau), Wolfgang Burghardt (Universität Duisburg-
Essen – UDE), Jens Burgschweiger (Berliner Wasserbetriebe), Björn Büter (GEO-NET Umwelt Consulting GmbH),
Thomas Claßen (Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen – LZG.NRW), Kristina Dietrich (Landschaftsplanerin,
freie Autorin und Gutachterin), Larissa Donges (Naturfreundejugend Deutschlands), Thomas Draheim (Landesamt
für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern – LUNG M-V), Stefan Emeis (Karlsruher Institut für
Technologie – KIT), Wilfried Endlicher (HU), Frauke Fischer (Julius-Maximilians-Universität Würzburg, auf! Agentur
für Umweltfragen), Bettina Foerster-Baldenius (Waldschule Zehlendorf), Kerstin Fröhle (Bodensee-Stiftung),
Erik Gawel (UFZ, Universität Leipzig), Oliver Gebhardt (UFZ), Michael Godau (GODAU media), Dagmar Haase (HU, UFZ),
Bernd Hansjürgens (UFZ), Volkmar Hartje (TUB), Stefan Heiland (TUB), Nicole Heinz (UFZ), Christian Heller (HU),
Tobias Herbst (Deutsche Umwelthilfe e. V. – DUH), Mathias Hofmann (Technische Universität Dresden – TUD),
Corinna Hölzer (Stiftung für Mensch und Umwelt), Jasmin Honold (HU), Wilfried Hoppe (Christian-Albrechts-Universität
zu Kiel – CAU), Claudia Hornberg (Universität Bielefeld), Michael Jäcker-Cüppers (Arbeitsring Lärm der Deutschen
Gesellschaft für Akustik e. V. – ALD), Brigitte Japp (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, Berliner
Forsten), Nathalie Jenner (ina Planungsgesellschaft mbH, Technische Universität Darmstadt), Nadja Kabisch (HU, UFZ,
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung – iDiv), Andreas Keil (Bergische Universität Wuppertal),
Peter Keil (Biologische Station Westliches Ruhrgebiet e. V. – BSWR), Christian Klingenfuß (HU), Sonja Knapp (UFZ),
Jens Kolbe (TUB), Lutz Kosack (Stadtplanungsamt Andernach), Ingo Kowarik (TUB), Wilhelm Kuttler (UDE),
Marcel Langner (Umweltbundesamt – UBA), Boris Lehmann (Technische Universität Darmstadt), Reto Locher (Stiftung
Natur & Wirtschaft), Frank Lohrberg (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen – RWTH Aachen),
Juliane Mathey (Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung – IÖR), Diana Möller (HU), Klaus Möller (Umwelt-
vorhaben Dr. Klaus Möller GmbH – UBB), Christa Müller (Forschungsgesellschaft anstiftung), Stefan Norra (KIT),
Nicole Pfoser (parc . architektur+freiraum, Technische Universität Darmstadt), Katharina Raupach (Georg-August-
Universität Göttingen), Konrad Reidl (Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen – HfWU), Natalie Riedel
( Uni versität Bremen), Irene Ring (UFZ), Dieter Rink (UFZ), Stefanie Rößler (IÖR), Ina Säumel (TUB), Hans-Joachim Schemel
(Büro für Umweltforschung und Stadtentwicklung), Dieter Scherer (TUB), Christoph Schneider (RWTH Aachen),
Heinrich Schneider (auf! Agentur für Umweltfragen), Christoph Schröter-Schlaack (UFZ), Michael Schwarze-Rodrian
(Regionalverband Ruhr – RVR), Johanna Sieger (Landschaftspflegeverband Mittelfranken), Martin Sondermann
(Leibniz Universität Hannover – LUH), Robert Spreter (DUH), Michael Strohbach (HU, Technische Universität Braun-
schweig), Knut Sturm (Stadtforstamt Lübeck), Christian Timm (Rheinische Friedrich- Wilhelms-Universität Bonn),
Manfred Tschöpe (Handwerkskammer Hamburg), Karin Ulbrich (UFZ), Martin Vaché (Institut Wohnen und Umwelt
GmbH – IWU), Elke van der Meer (HU), Christian von Malottki (IWU), Alexandra Weiß (Münchner Gesellschaft für
Stadterneuerung mbH – MGS), Wolfgang Wende (IÖR, TUD), Peter Werner (IWU), Gerd Wessolek (TUB), Torsten Wilke
(Stadt Leipzig, Amt für Stadtgrün und Gewässer), Tobias Wirsing (KIT), Silke Wissel (DUH), Lutz Wittich (Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, Berliner Forsten), Henry Wüstemann (TUB)
GESAMTVORHABEN NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE
STUDIENLEITUNG UND WISSENSCHAFTLICHES KOORDINATIONSTEAM AM UFZ
Bernd Hansjürgens (Studienleitung), Irene Ring (Stellv. Studienleitung), Christoph Schröter-Schlaack (Koordinationsteam),
Miriam Brenck (Koordinationsteam), Urs Moesenfechtel (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
BERICHTSLEITUNG
TEEB DE Klima: Volkmar Hartje (Technische Universität Berlin – TUB)
TEEB DE Ländliche Räume: Christina von Haaren (Leibniz Universität Hannover – LUH)
TEEB DE Stadt: Ingo Kowarik (Technische Universität Berlin – TUB)
TEEB DE Synthese: Bernd Hansjürgens (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ)
PROJEKTBEIRAT
Stefanie Engel (Universität Osnabrück), Uta Eser (Büro für Umweltethik), Karin Holm-Müller (Friedrich-Wilhelms-
Universität Bonn, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen), Beate Jessel (Präsidentin des Bundesamtes
für Naturschutz), Marion Potschin (Universität Nottingham), Christian Schwägerl (Wissenschafts-, Politik- und
Umweltjournalist), Karsten Schwanke (Meteorologe und Moderator), Antje von Dewitz (Geschäftsführerin VAUDE),
Angelika Zahrnt (Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz – BUND)
PROJEKTBEGLEITENDE ARBEITSGRUPPE
Hans-Ulrich Bangert (Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung – LANA,
Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft), Rüdiger Becker (Kommunen für biologische Vielfalt e. V.,
Stadt Heidelberg, Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie), Axel Benemann (Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – BMUB), Carolin Boßmeyer (»Biodiversity in Good Company« Initiative e. V.),
Ann Kathrin Buchs (Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser – LAWA, Niedersächsisches Ministerium für Umwelt,
Energie und Klimaschutz), Deliana Bungard (Deutscher Städte- und Gemeindebund), Andreas Burger (Umweltbundesamt –
UBA), Wiltrud Fischer (Projekt träger des Bundesministeriums für Bildung und Forschung – BMBF im Deutschen Zentrum
für Luft- und Raumfahrt e. V.), Claudia Gilles (Deutscher Tourismus verband e. V.), Alois Heißenhuber (Wissenschaftlicher
Beirat des Bundes ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft – BMEL »Biodiver sität und genetische Ressourcen« ,
Technische Universität München), Udo Hemmerling (Deutscher Bauernverband e. V.), Till Hopf (Naturschutz bund Deutsch-
land e. V. – NABU), Barbara Kosak (BMEL), Jörg Mayer-Ries (BMUB), Günter Mitlacher (World Wide Fund for Nature – WWF
Deutschland), Michaela Pritzer (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur – BMVI), Catrin Schiffer (Bundes-
verband der Deutschen Industrie e. V. – BDI), Reinhard Schmidt-Moser (LANA, Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und
ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein), Annette Schmidt-Räntsch (BMUB), Ulrich Stöcker ( Deutsche Umwelthilfe e. V. –
DUH), Magnus Wessel (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland – BUND), Markus Ziegeler (Deutscher Forst -
wirtschaftsrat – DFWR), Jochen Zimmermann (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie – BMWi)
NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE KOORDINIERUNGSGRUPPE
Bernd Hansjürgens (Helmholtz-Zentrum für Umwelt forschung – UFZ), Miriam Brenck (UFZ), Katharina Dietrich (Bundes-
amt für Naturschutz – BfN), Urs Moesenfechtel (UFZ), Christa Ratte (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit – BMUB), Irene Ring (UFZ), Christoph Schröter-Schlaack (UFZ), Burkhard Schweppe-Kraft (BfN)
300 NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKoSYSTEM LEISTUNGEN IN DER STADT
302 NATURKAPITAL DEUTSCHLAND – TEEB DE: ÖKoSYS TEM LEISTUNGEN I N DER STADT
9 783944 280356
9 783944 280356