Content uploaded by Christopher Gess
Author content
All content in this area was uploaded by Christopher Gess on May 06, 2016
Content may be subject to copyright.
Empirischer Beitrag
23
Julia RUESS
1
, Christopher GESS & Wolfgang DEICKE (Berlin)
Forschendes Lernen und forschungsbezogene
Lehre ± empirisch gestützte Systematisierung
des Forschungsbezugs hochschulischer Lehre
Zusammenfassung
Wissenschaftliche Schreib- und Forschungskompetenz soll durch Forschendes
Lernen gefördert werden. In der Literatur wird diese Lehr-Lernform jedoch
uneinheitlich definiert und häufig werden unterschiedliche curriculare Elemente
darunter verstanden. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, konzeptionelle
Unschärfen aufzuklären, indem Forschendes Lernen im weiter gefassten Rahmen
forschungsbezogener Lehre verortet wird. Auf Basis einer Curriculum-Analyse
konnten zwölf Gruppen forschungsbezogener Lehre identifiziert und Forschendes
Lernen empirisch gestützt präzisiert werden.
Schlüsselwörter
Forschendes Lernen, forschungsorientierte Lehre, forschungsbasierte Lehre,
Curriculum-Analyse, Forschungskompetenz
1
E-Mail: julia.ruess@hu-berlin.de
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
24
Research-based learning and research-related teaching ± An
empirically grounded typology of the research-teaching nexus
Abstract
µ5HVHDUFK-EDVHGOHDUQLQJ¶LVVXSSRVHGWRdevelop VWXGHQWV¶DFDGHPLFZULWLQJDQG
research skills. However, no widely shared definition of research-based learning
exists, and the concept is frequently used synonymously with other types of
research-related teaching. This study aims to systematize this conceptual diversity
by redefining research-based learning in the wider context of the research-teaching
nexus. Based on a qualitative curriculum analysis, we identified twelve groups of
research-related teaching, which allowed us to delimit research-based learning on
an empirical basis.
Keywords
Research-based learning, research-oriented teaching, research-teaching nexus,
curriculum analysis, academic skills
1 Einleitung
Die Vermittlung wissenschaftlicher Schreib- und Forschungskompetenz gilt als
wichtige Aufgabe hochschulischer Bildung (WISSENSCHAFTSRAT, 2006). Um
wissenschaftlich schreiben und forschen zu können, brauchen Studierende Wissen
zu fachlichen Inhalten und Forschungsmethoden, Wissen zu Textgenres, schrift-
sprachlichen Normen und disziplinären Konventionen (KRUSE & CHITEZ, 2012).
Für die Vermittlung solcher Kenntnisse sind verschiedene Lernarrangements denk-
bar, wobei dem Forschenden Lernen eine besondere Bedeutung zugeschrieben wird
(KRUSE, 2016; GESS, WESSELS & DEICKE, in Druck).
Was jedoch unter Forschendem Lernen zu verstehen ist, wird kontrovers diskutiert:
Manche Definitionen betonen, dass beim Forschenden Lernen der gesamte For-
schungsprozess durchlaufen wird (z. B. HUBER, 2009). Andere Definitionen set-
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
25
zen niedrigschwelliger an und zählen zum Forschenden Lernen auch die Durchfüh-
rung einzelner Forschungstätigkeiten (z. B. FICHTEN, 2010) oder das Nachvoll-
ziehen von Forschungsprozessen (z. B. REINMANN, 2009).
Solange differente konzeptuelle Vorstellungen vorliegen, bleibt unklar, was For-
schendes Lernen von anderen Formen forschungsbezogener Lehre unterscheidet.
Problematisch wird dies dann, wenn Erkenntnisse zur Förderung von Schreib- und
Forschungskompetenz zusammengeführt werden, die auf unterschiedlichen Vor-
stellungen gründen.
Die vorliegende Studie setzt an diesem grundlegenden Problem an: Geklärt werden
soll, wie Forschendes Lernen von anderen Formen forschungsbezogener Lehre
abgegrenzt werden kann. Zu diesem Zweck wird im Folgenden ein Modell zur
Klassifizierung forschungsbezogener Lehre erarbeitet und anhand einer Curricu-
lum-Analyse empirisch geprüft. Forschendes Lernen wird innerhalb dieser Klassi-
fizierung verortet.
2 Forschungsstand zur Systematisierung
forschungsbezogener Lehre
%HL/HKUHGLHHLQHQ%H]XJ]XU)RUVFKXQJKDWVSUHFKHQZLUYRQÄIRUVFKXQJVEH]o-
JHQHU/HKUH³XPGDPLWQRFKNHLQH:Hrtung über die Art des Forschungsbezugs zu
implizieren. Dieser Forschungsbezug kann sehr unterschiedlich gestaltet sein.
Das populärste Modell zur Systematisierung forschungsbezogener Lehre stammt
von HEALEY (2005). Die verschiedenen Umsetzungsformen werden hier in zwei
Kategorien unterteilt: dem inhaltlichen Schwerpunkt (Forschungsergebnis vs. For-
schungsprozess) und dem Aktivitätsniveau der Studierenden (rezeptiv vs. aktiv).
Durch die Zusammenführung der beiden Dimensionen ergeben sich vier verschie-
dene Typen des Forschungsbezugs hochschulischer Lehre: Beim
research-led
teaching
werden den Studierenden Forschungsergebnisse vermittelt, beim
rese-
arch-oriented teaching
wird ihnen der Forschungsprozess erläutert.
Research-
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
26
based learning
bezeichnet studentisches Forschen und
research-tutored learning
die angeleitete Aneignung von Forschungsergebnissen.
Einen ähnlichen, ebenfalls stark rezipierten Systematisierungsansatz wählt HUBER
(2014). Er unterteilt forschungsbezogene Lehre in drei Typen: Bei
forschungsba-
sierter Lehre
stützt sich das Lernen auf Forschung, wobei den Studierenden der
aktuelle Stand der Forschung sowie die Grundprobleme und Ausgangsfragen dieser
Forschung nahegebracht werden.
Forschungsorientierte Lehre
führt zur Forschung
hin und bereitet auf eigenständiges Forschen vor. Die Studierenden sollen lernen,
wie der Forschungsprozess gestaltet werden kann, wobei besonderer Wert auf die
Wahl und Durchführung von Forschungsmethoden gelegt wird.
Forschendes Ler-
nen
schließlich bedeutet für HUBER, dass Studierende aktiv und selbständig for-
schen und dabei den kompletten Forschungsprozess durchlaufen.
Beiden Modellen gemeinsam ist die Unterscheidung nach dem Aktivitätsniveau der
Studierenden. Wenngleich nicht explizit, grenzt auch HUBER in seiner Typologie
rezeptives Lernen von aktivem studentischen Forschen ab (vgl. auch BREW,
2010). Im Vergleich fasst HUBER das Aktivitätsniveau jedoch nuancierter, indem
auch Aktivitäten wie die Einübung oder Simulation von Forschungstätigkeiten
angeführt werden, also Aktivitäten, bei denen Studierende bereits erworbenes Wis-
sen anwenden.
Eine weitere Überschneidung zwischen HEALEY und HUBER betrifft den inhalt-
lichen Schwerpunkt des Forschungsbezugs: entweder stehen Forschungsergebnisse
oder der Forschungsprozess im Zentrum der Lehre. HUBER ergänzt jedoch For-
schungsmethoden als weiteren wichtigen inhaltlichen Schwerpunkt ± der auch in
anderen Systematisierungsansätzen hervorgehoben wird (z. B. ZAMORSKI, 2002).
Zusammenfassend betrachtet wird forschungsbezogene Lehre bei HUBER diffe-
renzierter erfasst als bei HEALEY. Allerdings werden zugrunde liegende Katego-
rien zur Unterteilung forschungsbezogener Lehre in seiner Modellbeschreibung
nicht direkt sichtbar. Beide Ansätze ergänzen sich insofern, sind jedoch weder em-
pirisch hergeleitet noch geprüft.
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
27
3 Forschungsfragen
Die Analyse des Forschungsstands zeigt, dass forschungsbezogene Lehre durch
Zusammenführung sich ergänzender Ansätze differenziert erfasst werden kann.
Fraglich bleibt, ob diese Erfassung auch einer empirischen Betrachtung standhalten
kann. In einem ersten Schritt soll daher folgende Forschungsfrage beantwortet
werden:
1.
Welche For
m
en forschungsbe zogener Lehre lassen sich e
m
pirisch unter-
scheiden?
Das Ergebnis bildet wiederum die Grundlage für die zweite Forschungsfrage:
2.
Wie ist Forschendes Lernen in Abgrenzung von anderen For
m
en for-
schungsbezogener Lehre zu definieren?
4 Methode
Das Vorgehen zur Klassifizierung forschungsbezogener Lehre (vgl. Forschungs-
frage 1) wurde an die Methode zur empirisch begründeten Typenbildung von
KELLE & KLUGE (2010) angelehnt:
Im ersten Schritt wurde ein theoretisches Klassifizierungsmodell erarbeitet. Die
Bildung relevanter Vergleichskategorien wurde deduktiv vorgenommen.
Im zweiten Schritt wurde die Klassifizierung empirisch überprüft. Dafür wurde
eine Curriculum-Analyse durchgeführt. Zwar bilden Studienordnungen nicht not-
wendigerweise die Studienrealität ab, einzelne Studien deuten jedoch auf eine be-
deutsame Schnittmenge zwischen intendiertem und realisiertem Curriculum (z. B.
HERZMANN, KÖNIG & ARTMANN, 2012). Die vorliegende Untersuchung
stützt sich auf Studienordnungen der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Die
HU bietet ein breites Fächerspektrum, so dass die Verwendbarkeit der Klassifizie-
rung für verschiedene Disziplinen untersucht werden konnte.
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
28
Aus den 33 Instituten der HU wurden insgesamt 167 Studienordnungen in die Ana-
lyse einbezogen. Aus diesen Studienordnungen wurden zunächst diejenigen Modu-
le mit explizitem Forschungsbezug identifiziert und die entsprechenden Modul-
Kurzbeschreibungen analysiert. Die in den Beschreibungen enthaltenen for-
schungsbezogenen Lehrelemente wurden anschließend der theoretisch erarbeiteten
Klassifizierung zugeordnet. Diese Kodierung wurde von zwei Personen vorge-
nommen: zunächst konsensuell zur Schärfung der Kodierregeln (SCHMIDT,
2013), dann unabhängig voneinander (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Kodierprozess
Nach Abschluss des Kodierprozesses wurden die durch die Kodierung entstande-
nen Gruppen an Lehrelementen auf interne Homogenität und externe Heterogenität
geprüft.
Der dritte und letzte Schritt schließlich bestand in der Charakterisierung von For-
schendem Lernen (vgl. Forschungsfrage 2). Dafür wurden zwischen den gebildeten
Gruppen Kontrastierungen vorgenommen, mit denen die Besonderheiten von For-
schenden Lernen im Abgleich mit vorliegenden Definitionen hergeleitet werden
konnten.
Sichtung von
Studienordnungen
an allen 33 Instituten der HU
Berlin
167 Studienordnungen
Vorselektion von
forschungsbezogenen
Modulen
564 Module
8QDEKlQJLJHV.RGLHUHQ
der restlichen 80 Prozent
Kodierer 1: 1.360 LE
Kodierer 2: 1.359 LE
aus 432 Modulen
Konsensuelles Kodieren
der ersten 20 Prozent
313 LE
aus 132 Modulen
Legende: LE steht fr Ä/ehrelemente³
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
29
5 Klassifizierung forschungsbezogener Lehre
5.1 Theoretisches Modell zur Klassifizierung forschungsbezo-
gener Lehre
Wie im Forschungsstand dargelegt, orientieren sich vorliegende Systematisierun-
gen explizit oder implizit an zwei Kategorien, nach denen forschungsbezogene
Lehre strukturiert werden kann: erstens nach dem inhaltlichen Schwerpunkt der
Lehre und zweitens nach dem Aktivitätsniveau der Studierenden.
Beim inhaltlichen Schwerpunkt können auf Basis bestehender Ansätze drei Subka-
tegorien unterschieden werden: Lehre kann (1) Forschungsergebnisse, (2) For-
schungsmethoden oder (3) den gesamten Forschungsprozess ins Zentrum stellen.
Beim Aktivitätsniveau werden ebenfalls drei Subkategorien unterschieden: In Zu-
sammenführung vorliegender Modelle kann das Aktivitätsniveau danach differen-
ziert werden, ob die Studierenden (1) rezeptiv lernen, (2) erworbenes Wissen an-
wenden oder ob sie (3) selbst forschend tätig sind.
Aus der Kombination der beiden Vergleichskategorien mit ihren jeweils drei Sub-
kategorien entsteht eine Klassifizierungsmatrix mit neun Gruppen forschungsbezo-
gener Lehre (vgl. Abb. 2).
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
30
Abb. 2: Theoretisch hergeleitete Klassifizierungsmatrix forschungsbezogener Lehre
5.2 Empirische Prüfung der Klassifizierung
Die empirische Prüfung zeigt, dass die Klassifizierungsmatrix für eine Systemati-
sierung forschungsbezogener Lehre grundsätzlich anwendbar ist: Für alle Zellen
der Klassifizierungsmatrix konnten Elemente identifiziert werden und die Inter-
Koder-Reliabilität erwies sich als zufriedenstellend. Die prozentuale Übereinstim-
mung zwischen den Kodierern betrug 81 Prozent und auch Krippendorffs Alpha
von 0,87 zeigt die hohe Übereinstimmung zwischen den Kodierern (KRIPPEN-
DORFF, 2013). Verbleibende Unstimmigkeiten wurden im Rahmen einer kon-
sensuellen Validierung diskutiert und nach Abschluss wurde eine prozentuale
Übereinstimmung von 93 Prozent erzielt.
Nach Abschluss des Kodierprozesses wurde geprüft, ob alle Lehrelemente inner-
halb einer Gruppe hinreichend ähnlich sind (interne Homogenität) und anschlie-
Gruppe 3 Gruppe 6 Gruppe 9
Gruppe 2 Gruppe 5 Gruppe 8
Gruppe 1 Gruppe 4 Gruppe 7
forschend
Forschungsprozess Forschungsergebnisse Forschungsmethoden
Inhaltlicher
Schwerpunkt
AktiviWltsniveau
der Studierenden
anwendend
rezeptiv
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
31
ßend, ob sich die Gruppen klar voneinander unterschieden (externe Heterogenität).
Das Ergebnis wird im Folgenden anhand einer Beschreibung der einzelnen Grup-
pen dargestellt:
Gruppe 1: Ergebnisse-rezeptiv
In den Lehrelementen dieser Gruppe werden den Studierenden fachliche Erkennt-
QLVVH YHUPLWWHOW ,P %$ (QJOLVFK EHLVSLHOVZHLVH ]lKOW KLHU]X GLH Ä(LQIKUXQJ LQ
aktuelle Forschungsergebnisse zu verschiedenen Bereichen der Grammatiktheo-
rie³ =XGHP VLQG LQ GHU *UXSSH DXFK /HKUHOHPHQWH YHUWUHWHQ EHL GHQHQ LQ GLH
Grundfragen einer Disziplin eingeführt wird. Da bei der Vermittlung von Grundla-
genwissen auch aktuelle Befunde berücksichtigt werden, kann diese Gruppe als in
sich homogen angesehen werden.
Gruppenbe zeichnung:
Ä6WXGLHUHQGHEHNRPPHQ)RUVFKXQJVHUJHEQLVVH
ver
m
ittelt
³
Gruppe 2: Ergebnisse-anwendend
Zu dieser Gruppe zählen Lehrelemente, bei denen die Studierenden Erkenntnisse
aus der Forschungs- oder Grundlagenliteratur inhaltlich diskutieren. Dabei können
auch Praxisprobleme oder Alltagsphänomene den Ausgangspunkt wissenschaftlich
angeleiteter Diskussionen bilden. Im BA Geschlechterstudien/Gender Studies geht
HVKLHUHWZDGDUXPÄ.HQQWQLVVHGHU*HVFKOHFKWHUVWXGLHQDXIDXVJHZlKOWH3UD[LVEe-
rHLFKHDQ]XZHQGHQ³'HUGLVNXUVLYH&KDUDNWHUELOGHWGDVYHUELQGHQGH(OHPHQWLQ
dieser Gruppe.
Gruppenbe zeichnung:
Ä6WXGLHUHQGHGLVNXWLHUHQ)RUVFKXQJVHUJHEQLVVH³
Gruppe 3: Ergebnisse-forschend
Diese Gruppe enthält Lehrelemente, bei denen sich die Studierenden ein For-
schungsthema selbstständig erschließen, indem sie Forschungsliteratur aufarbeiten:
Ä'LH6WXGLHUHQGHQOHUQHQVLFKHLQ)RUVFKXQJVIHOGLKUHU:DKOGXUFKVHOEVWVWlQGLJH
XQGHLJHQYHUDQWZRUWOLFKH/HNWUHVXN]HVVLYH]XHUVFKOLHHQ³0$0LWWHODOWHUOLFKH
Geschichte). Diese Aufarbeitung erfolgt häufig anhand von Fragestellungen, die
von den Studierenden durch eigenständige Literaturrecherchen und -analysen bear-
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
32
beitet werden (z. B. in Seminararbeiten).
Gruppenbe zeichnung:
Ä6WXGLHUHQGH DUEHLWHQ VHOEVWlQGLJ/L
teratur zu eine
m
For-
VFKXQJVIHOGDXI³
Gruppe 4: Methoden-rezeptiv
Bei den Lehrelementen in dieser Gruppe geht es um die instruktive Vermittlung
von Forschungsmethoden. Eine praktische Anwendung durch die Studierenden ist
hier nicht vorgesehen. Ein prototypisches Beispiel aus dem BA Amerikanistik lau-
WHW Ä'LH (LQIKUXQJVYRUOHVXQJ LQ GLH /LWHUDWXUZLVVHQVFKDIW ZLOO VROLGH *UXQd-
NHQQWQLVVH GHU 7HFKQLNHQ XQG 0HWKRGHQ GHU /LWHUDWXUZLVVHQVFKDIW >«@ YHUPLt-
WHOQ³
Gruppenbe zeichnung:
Ä6WXGLHUHQGHEHNRPPHQ)RUVFKXQJVPHWKRGHQYHUPLWWHOW³
Gruppe 5: Methoden-anwendend
Im Zuge der Homogenitätsprüfung wurde deutlich, dass in dieser Gruppe zwei
verschiedene Subgruppen unterschieden werden müssen:
Subgruppe 1 enthält Lehrelemente, bei denen die erlernten Forschungsmethoden
praNWLVFKHUSUREWZHUGHQÄGLH6WXGLHUHQGHQ>OHUQHQ@UHOHYDQWHPROHNXODUH0HWKo-
GHQDQ]XZHQGHQ³0$0ROHNXODUH0HGL]LQ+LHUXQWHUIDOOHQGLHNODVVLVFKHQ0e-
thoden- oder Laborübungen, die oft begleitend zu einer einführenden Vorlesung
angeboten werden.
Gruppenbezeichnung:
Ä6WXGLHUHQGHEHQ0HWKRGHQ³
Subgruppe 2 umfasst Lehrelemente, die darauf zielen, dass sich Studierende kri-
tisch mit Methoden auseinandersetzen. Ä-HQDFKIDFKOLFKHQ6FKZHUSXQNWHQZHUGHQ
HLQ]HOQH0HWKRGHQ>«@KLQWHUIUDJW³%$ 5HJLRQDOVWXGLHQ$Irika/ Asien). Bereits
erworbenes forschungsmethodisches Wissen wird nicht reproduziert oder in Übun-
gen erprobt, sondern über Diskussionen im Seminar vertieft.
*UXSSHQEH]HLFKQXQJ Ä6WXGLHUHQGH GLVNXWLHUHQ
die Vor- und Nachteile von Me-
WKRGHQ³
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
33
Gruppe 6: Methoden-forschend
Ziel der Lehrelemente in dieser Gruppe ist es, dass die Studierenden vorgegebene
Methoden erlernen, indem sie eigenverantwortlich eine Forschungsfrage bearbei-
WHQÄ'LHLP%DVLVVWXGLXPHUZRUEHQHQ*UXQGNRPSHWHQ]HQ>ZHUGHQ@DNWLYDQDXs-
gewäKOWHQ )UDJHVWHOOXQJHQ DQJHZHQGHW³ %$ /DWHLQ ,P 8QWHUVFKLHG ]X GHQ
/HKUHOHPHQWHQLQ *UXSSH Ä0HWKRGHQ-DQZHQGHQG³ZLUG GHU /HUQSUR]HVV KLHU
durch eine Forschungsfrage stimuliert und mehr Eigenverantwortung von den Stu-
dierenden erwartet. Die anzuwendenden Methoden werden dabei von den Lehren-
den vorgegeben.
Gruppenbe zeichnung:
Ä6WXGLHUHQGHZHQGHQYRUJHJHEHQH0HWKRGHQDQKDQGHLQHU
)RUVFKXQJVIUDJHDQ³
Gruppe 7: Prozess-rezeptiv
Nach Prüfung auf interne Homogenität muss in dieser Gruppe zwischen zwei ver-
schiedenen Subgruppen unterschieden werden:
Subgruppe 1 betrifft Lehrelemente, bei denen den Studierenden erläutert wird, wie
HLQ)RUVFKXQJVSUR]HVVDXIJHEDXWLVW'DEHLZHUGHQYRUDOOHPYHUVFKLHGHQHÄ)Rr-
VFKXQJVGHVLJQV XQG GHUHQ $QZHQGXQJ NHQQHQJHOHUQW³ 0$ :issenschaftsfor-
schung). Teilweise werden auch einzelne Schritte des Forschungsprozesses inten-
siver behandelt, beispielsweise die Entwicklung und Formulierung von For-
schungsfragen oder Hypothesen.
Gruppenbe zeichnung:
Ä'LH 6WXGLHUHQGHQ EHNRPPHQGHQ )RUVFKXQ
gsprozess ver-
m
ittelt
³
Subgruppe 2 enthält Lehrelemente, die darauf zielen, Studierende in die Techniken
wissenschaftlichen Arbeitens einzuführen (z. B. recherchieren, zitieren).
Gruppenbe zeichnung:
Ä'LH6WXGLHUHQGH
n beko
mm
en die Techniken wissenschaftli-
chen Arbeite ns ver
m
ittelt
³
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
34
Gruppe 8: Prozess-anwendend
Auch in dieser Gruppe sind zwei Subgruppen zu unterscheiden:
Subgruppe 1 umfasst Lehrelemente, bei denen Studierende üben, wie man For-
schungsvorhaben plant, etwa im MA Erziehungswissenschaft, wo die Studierenden
OHUQHQ VROOHQ ÄVHOEVWlQGLJ HLQH 3URMHNWVNL]]H ]XU $QDO\VH YRQ /HKU-
/HUQVLWXDWLRQHQ]XHQWZHUIHQ³
Gruppenbe zeichnung:
Ä6WXGLHUHQGHEHQGLH3ODQXQJYRQ)RUVFKXQJVYRUKDEHQ³
Subgruppe 2 setzt sich aus Lehrelementen zusammen, bei denen sich die Studie-
renden mit Forschungsdesigns auseinandersetzen, indem laufende Forschungsvor-
KDEHQRGHUZLVVHQVFKDIWOLFKH$UWLNHOGLVNXWLHUWZHUGHQÄ7KHGLVFXVVLRQRIUHFHQW
publications enables students to devise own research questions and research de-
VLJQV³0$9:L). Häufig finden solche Diskussionen in klassischen Forschungs-
kolloquien statt, in denen (studentische) Forschungsvorhaben diskutiert werden.
Gruppenbe zeichnung:
Ä6WXGLHUHQGHGLVNXWLHUHQ)RUVFKXQJVYRUKDEHQ³
Gruppe 9: Prozess-forschend
Das besondere Merkmal dieser Gruppe besteht darin, dass die Studierenden hier
den gesamten Forschungsprozess durchlaufen, d. h. von der Entwicklung der For-
schungsfrage über die Untersuchungsplanung und -durchführung bis hin zur Auf-
bereitung der Ergebnisse. Solche studentischen Forschungsvorhaben werden in den
Studienordnungen häufig als Lehrforschung, Studien- oder Forschungsprojekt be-
zeichnet. Auch Bachelor- und Masterarbeiten sind dieser Gruppe zuzuordnen. In
einigen Studienordnungen wird zudem Wert darauf gelegt, dass die Studierenden
DQ)RUVFKXQJVSURMHNWHQGHV/HKUVWXKOVEHWHLOLJWZHUGHQÄHLJHQVWlQGLJHDQJHOHLWe-
WH0LWDUEHLWLQHLQHP>«@)RUVFKXQJVSURMHNWGHU/DWLQLVWLN>«@LQGHPVLHHLQ>«@
8QWHUSURMHNWEHDUEHLWHQXQGLKU(UJHEQLVSUlVHQWLHUHQ³0$/DWLQLVWLN
Gruppenbezeichnung
: Ä6WXGLHUHQGHYHUIROJHQHLQH)RUVFKXQJVIUDJHXQGGXUFKOD
u-
IHQGDEHLGHQJHVDPWHQ)RUVFKXQJVSUR]HVV³
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
35
Abb. 3: Klassifizierungsmatrix nach der empirischen Prüfung
Zusammenfassend betrachtet konnte die theoretisch erarbeitete Systematisierung
bei der empirischen Prüfung zum Teil bestätigt, zum Teil weiter ausdifferenziert
werden. Im Ergebnis lassen sich zwölf Gruppen forschungsbezogener Lehre unter-
scheiden (vgl. Abb. 3).
2
2
Es werden hier keine Aussagen zur quantitativen Verteilung der kodierten Lehrelemente
getroffen, da deren Anzahl nicht notwendigerweise die Gewichtung der Elemente wieder-
gibt: Innerhalb eines Moduls wurden Lehrelemente zum Teil wiederholt benannt und
folglich auch wiederholt kodiert.
... arbeiten selbständig
Literatur zu einem
Forschungsfeld auf
... wenden vorgegebene
Methoden anhand einer
Forschungsfrage an
... verfolgen eine
Forschungsfrage und durch-
laufen dabei den gesamten
Forschungsprozess
... diskutieren
Forschungsergebnisse
... diskutieren Vor- und
Nachteile von Methoden
... diskutieren
Forschungsvorhaben
... üben Methoden
... üben die Planung von
Forschungsvorhaben
... bekommen
Forschungsergebnisse
vermittelt
... bekommen
Forschungsmethoden
vermittelt
... bekommen den
Forschungsprozess vermittelt
... bekommen Techniken
wiss. Arbeitens vermittelt
forschend
rezeptiv
anwendend
Aktivitätsniveau
der Studierenden
ForschungsprozessForschungsergebnisse Forschungsmethoden
Inhaltlicher
Schwerpunkt
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
36
6 Forschendes Lernen im Kontext
forschungsbezogener Lehre
6.1 Verortung von Forschendem Lernen in der Klassifizierung
Zu klären bleibt, wo Forschendes Lernen in der erarbeiteten Klassifizierung zu
verorten ist. Der Fokus wird dazu im Folgenden auf die obere Zeile der Klassifizie-
rungsmatrix gelegt (vgl. Abb. 3), da bereits begrifflLFK PLW GHP 3DUWL]LS ÄIRr-
VFKHQG³ GHXWOLFK ZLUG GDVV KLHU hEHUHLQVWLPPXQJHQ PLW )RUVFKHQGHP /HUQHQ
bestehen.
Die obere Zeile beinhaltet drei Gruppen forschungsbezogener Lehre. Gemeinsam-
keiten zwischen diesen Gruppen sind die hohe Selbstständigkeit der Studierenden
einerseits, die Bearbeitung einer Forschungsfrage andererseits.
,QGHQ/HKUHOHPHQWHQGHU*UXSSHÄ(UJHEQLVVH-IRUVFKHQG³DUEHLWHQ6WXGLHUHQGHGLH
Literatur zu einem Forschungsfeld selbstständig auf. Sie bearbeiten eine For-
schungsfrage, jedoch mit dem Lernziel verbunden, ein spezifisches Forschungsfeld
NHQQHQ]XOHUQHQ$QDORJYHUKlOWHVVLFKLQGHU*UXSSHÄ0HWKRGHQ-IRUVFKHQG³+LHU
wenden Studierende für die Bearbeitung einer Forschungsfrage vorgegebene Me-
thoden an. Sie sind vorgegeben, weil spezifische Methodenkenntnisse erworben
werden sollen. In beiden Gruppen rückt damit das Lernen in den Mittelpunkt. Die
Beantwortung der Forschungsfrage ist nachrangig. Sie ist vielmehr als didaktisches
Mittel zu verstehen, das den Lernprozess der Studierenden stimulieren soll. Daraus
ergibt sich ein spezifischer Typ Forschenden Lernens, der wie folgt definiert wird:
Bei
m
Forschenden Lernen des Typs Lernen verfolgen die
S
tudierenden eine vorge-
gebene oder selbst entwickelte Fragestellung, u
m
vorgegebene Inhalte oder Me-
thoden des Faches zu vertiefen.
,P *HJHQVDW] GD]X KDW GLH )RUVFKXQJVIUDJH LQ GHU *UXSSH Ä3UR]HVV-IRUVFKHQG³
eine andere Funktion: Sie soll nicht das Lernen stimulieren, sondern beantwortet
werden. Enge Vorgaben zu Themenbereich und Methoden werden hier deshalb
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
37
QLFKW JHVHW]W 'LH *UXSSH Ä3UR]HVV-IRUVFKHQG³ ELOGHW GDPLW HLQHQ ]ZHLWHQ 7\S
Forschenden Lernens, der wie folgt definiert wird:
Bei
m
Fors chende n Lernen des Typs Forschen verfolgen die
S
tudierenden eine
selbst entwickelte F ragestellung und durchlaufen dabei den gesa
m
te n Forschungs-
prozess.
6.2 Identifizierte Typen Forschenden Lernens im Spiegel vor-
liegender Definitionen
Es bleibt zu prüfen, inwieweit die beiden auf empirischer Basis identifizieren Ty-
pen mit den theoretischen Positionen zum Forschenden Lernen korrespondieren:
'HILQLWLRQHQ GLH GHP 7\SÄ)RUVFKHQ³ HQWVSUHFKHQ, lassen sich am Beispiel von
HUBER (2009, S. 11) veranschaulichen. Ihm zufolge zeichnet sich Forschendes
Lernen dadurch aus, dass der Forschungsprozess von den Studierenden vollständig
durchlaufen wird. Die Definition rückt damit das Ziel des eigenständigen studenti-
schen Forschens in den Mittelpunkt. Ähnliche Definitionen finden sich in einer
frühen Schrift der BUNDESASSISTENTENKONFERENZ (1970, S. 13) oder bei
TREMP (2005, S. 345). Im englischsprachigen Raum weit verbreitet ist diese Art
GHU'HILQLWLRQXQWHUGHQ%HJULIIHQÄUHVHDUFK-EDVHGOHDUQLQJ³] B. BREW, 2010,
6 RGHU ÄXQGHUJUDGXDWH UHVHDUFK H[SHULHQFH³ (z. B. BAUER & BENNETT,
2003, S. 215).
'HILQLWLRQHQ GLH GHP 7\SÄ/HUQHQ³ HQWVSUHFKHQ, kommen oft aus der Schulfor-
schung in die Hochschuldidaktik. BÖNSCH (2000, S. 236) beispielsweise rückt
den subjektiven Erkenntnisgewinn des Lernenden in den Mittelpunkt. Forschendes
Lernen soll den Anstoß geben, dass sich der Lernende subjektiv Neues zum Lern-
besitz macht. Ähnliche Definitionen finden sich beispielsweise bei AEPKERS &
LIEBIG (2002, S. 76) oder EULER (2005, S. 266). Im englischsprachigen Raum
wird dieses Verständnis häufig DOV ÄLQTXLU\ OHDUQLQJ³ EH]HLFKQHW ] B. SPRON-
KEN-SMITH et al., 2011, S. 15).
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
38
Daneben finden sich
Definitionen, in denen die beiden Typen Forschenden Lernens
ver
m
engt werde n
. Nach LEVY & PETRULIS (2012, S. 87) etwa kann Forschendes
Lernen auf den individuellen Lernzuwachs (Typ Lernen) gerichtet sein oder auf
wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung (Typ Forschen). Und schließlich gibt es
auch
Definitionen, die zusätzliche For
m
en forschungsbezogener Lehre beinhalten
.
Diese Ansätze sind breiter angelegt und sehen Forschendes Lernen auch dann rea-
lisiert, wenn beispielsweise Forschungsergebnisse diskutiert (z. B. FICHTEN 2010,
S. 134) oder -prozesse nachvollzogen werden (z. B. REINMANN 2009, S. 43).
Unter dem Begriff des Forschenden Lernens werden mitunter also auch Lehrele-
mente geführt, die in der Klassifizierungsmatrix anderen Gruppen forschungsbezo-
gener Lehre zuzuordnen wären.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die explizite Unterscheidung zwi-
schen zwei Typen Forschenden Lernens implizit auch in der Literatur gegeben ist,
im deutschsprachigen Raum jedoch begrifflich bislang keine Abgrenzung vorge-
nommen wird.
7 Diskussion und Ausblick
Im Ergebnis zeigt die vorliegende Studie, dass forschungsbezogene Lehre in zwölf
verschiedene Umsetzungsformen unterteilt werden kann (vgl. Abb. 3). Zudem ist
]ZLVFKHQ ]ZHL 7\SHQ )RUVFKHQGHQ /HUQHQV ]X GLIIHUHQ]LHUHQ %HLP 7\S Ä)Rr-
VFKHQ³EHDQWZRUWHQ6WXGLHUHQGHHLQH)RUVFKXQJVIUDJHXQGGXUFKODXIHQGDEHi weit-
JHKHQG VHOEVWlQGLJ DOOH 6FKULWWH GHV )RUVFKXQJVSUR]HVVHV %HLP 7\S Ä/HUQHQ³
demgegenüber ist die Forschungsfrage ein didaktisches Mittel, um den Lernprozess
der Studierenden anzustoßen.
Mit der Unterscheidung zweier Typen Forschenden Lernens geht die Frage einher,
ob in den beiden Typen die gleichen oder jeweils spezifische Kompetenzen erwor-
ben werden. Zum einen ist aus der Schreibforschung bekannt, dass sich For-
schungsfragen allgemein als Ausgangspunkt für Schreibprozesse eignen (STRU-
GER, 2012). Insofern ist anzunehmen, dass Schreibkompetenz in beiden Typen
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
39
Forschenden Lernens gefördert wird. Zum anderen verweist die Schreibforschung
darauf, dass zwischen universitärem und wissenschaftlichem Schreiben zu unter-
scheiden ist (KRUSE, 2016). Wissenschaftliches Schreiben ist als ein erkenntnis-
generierender Prozess zu verstehen (SCARDAMALIA & BEREITER, 2006) und
NRUUHVSRQGLHUWGDKHUPLWGHP7\SÄ)RUVFKHQ³8QLYHUVLWlUHV6FKUHLEHQzielt ± z. B.
in Form von Essays, Protokollen oder Exzerpten ± primär auf die Aneignung abge-
VLFKHUWHQ:LVVHQV*58%(5XQGNRUUHVSRQGLHUWGDKHUPLWGHP7\SÄ/Hr-
QHQ³
Auch hinsichtlich der Forschungskompetenz von Studierenden können Unterschie-
de zwischen beiden Typen Forschenden Lernens vermutet werden: Notwendiges
Wissen zum Forschungsgegenstand und -PHWKRGLNZLUGYHUVWlUNWLP7\SÄ/HUQHQ³
HUZRUEHQ'HPJHJHQEHULVWDQ]XQHKPHQGDVVEHLP7\SÄ)RUVFKHQ³LQVEHVRQGHUH
das Forschungsprozesswissen von Studierenden zunimmt (z. B. forschungsprakti-
sches Wissen zur Planung eines Forschungsprojekts oder zur Steuerung des eige-
nen Vorgehens, vgl. GESS et al., in Druck).
Schreib- und Forschungskompetenzen werden jedoch nicht nur beim Forschenden
Lernen gefördert. Die Klassifizierungsmatrix bietet einen geeigneten Ausgangs-
punkt, um auch für andere Formen forschungsbezogener Lehre potenzielle Kompe-
tenzentwicklungen zu diskutieren. Für die Schreib- und hochschuldidaktische For-
schung könnten hieraus Forschungsfragen folgen, die spezifische Effekte verschie-
dener Lehrelemente in den Blick nehmen. So ist zu vermuten, aber empirisch zu
prüfen, dass Lehrelemente, die den Forschungsprozess ins Zentrum stellen, beson-
ders geeignet sind, um Wissen zu verschiedenen Textgenres (z. B. Exposé, For-
schungsartikel, vgl. KRUSE, 2016) und ihren jeweiligen Funktionen zu vermitteln.
Die Planung von Forschungsvorhaben zu üben, könnte einen Einfluss auf die Fä-
higkeit haben, Gliederungen von wissenschaftlichen Texten zu entwickeln. Und
umgekehrt könnten Textgenreanalysen genutzt werden, um Einsichten in den Auf-
bau von Forschungsvorhaben zu vermitteln (VEDRAL & EDERER-FICK, 2015).
Geleitete Diskussionen zu Vor- und Nachteilen von Untersuchungsdesigns
und -methoden könnten hilfreich sein, um Studierende dazu zu befähigen, (primä-
re) Forschungsliteratur kritisch zu bewerten und zu evaluieren, sie also in ihrem auf
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
40
Forschung bezogenen kritischen Denken (SCHLADITZ, GROSS OPHOFF &
WIRTZ, 2015) zu fördern.
Weitere Möglichkeiten für anschließende Forschung ergeben sich aus den Grenzen
der vorliegenden Studie: Die Klassifizierung wurde auf Basis von Studienordnun-
gen vorgenommen, die als Studiennormierungen nicht notwendigerweise die Stu-
dienrealität abbilden. Wichtig wäre hier, Lehrende in Form von Befragungen oder
Interviews einzubinden, um die Klassifizierung einer komplementären Prüfung zu
unterziehen und gegebenenfalls weiter auszudifferenzieren. Für die zukünftige
Forschung erscheint es zudem erforderlich, den Forschungsbezug hochschulischer
Lehre verstärkt in disziplinärer Betrachtung zu untersuchen. Die Klassifizierungs-
matrix könnte als Grundlage zur Identifikation disziplinärer Besonderheiten die-
nen.
Neben den Anregungen für die weitere Forschung lassen sich auch Implikationen
für die Praxis formulieren. Anhand der Klassifizierungsmatrix kann der For-
schungsbezug von Curricula analysiert und zudem geplant werden, wann welche
Bestandteile von Schreib- und Forschungskompetenz im Studium erworben werden
sollen. Darüber hinaus eignet sich die Matrix auch als Instrument für Modulver-
antwortliche oder Lehrende, um den Forschungsbezug der eigenen Lehre reflektie-
ren und stärken zu können.
8 Literaturverzeichnis
Aepkers, M. & Liebig, S. (2002). Basiswissen Pädagogik. Bd 4: Entdeckendes,
Forschendes, Genetisches Lernen. Hohengehren: Schneider.
Bauer, K. W. & Bennett, J. S. (2003). Alumni Perceptions Used to Assess
Undergraduate Research Experience. The Journal of Higher Education, 74(2), 210-
230.
Bönsch, M. (2000). Variable Lernwege ± Ein Lehrbuch der Unterrichtsmethoden
(3. Aufl.). Paderborn: UTB.
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
41
Brew, A. (2010). Imperatives and challenges in integrating teaching and research.
Higher Education Research & Development, 29(2), 139-150.
Bundesassistentenkonferenz (1970). Forschendes Lernen ± Wissenschaftliches
Prüfen (Schriften der Bundesassistentenkonferenz 5). Bielefeld: Universitätsverlag
Webler (Neudruck 2009).
Euler, D. (2005). Forschendes Lernen. In S. Spoun & W. Wunderlich (Hrsg.),
Studienziel Persönlichkeit ± Beiträge zum Bildungsauftrag der Universität heute
(S. 253-271). Frankfurt/Main: Campus.
Fichten, W. (2010). Forschendes Lernen in der Lehrerbildung. In U. Eberhardt
(Hrsg.), Neue Impulse in der Hochschuldidaktik ± Sprach- und
Literaturwissenschaften (S. 127-182). Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
Gess, C., Deicke, W. & Wessels, I. (in Druck). Kompetenzentwicklung durch
Forschendes Lernen. In H. Mieg & J. Lehmann (Hrsg.), Forschendes Lernen: Wie
die Lehre in Universität und Fachhochschule erneuert werden kann. Frankfurt:
Campus Verlag.
Gruber, H. (2013). Das universitäre Schreiben Studierender. Grundlagenforschung
und ihre Umsetzung in einem Kursprogramm. In P. Katelhön, M. Costa, M.-A. de
Libero & L. Cinato (Hrsg.), Mit Deutsch in den Beruf: Berufsbezogener
Deutschunterricht an Universitäten (S. 174-192). Wien: Praesens Verlag.
Healey, M. (2005). Linking research and teaching: exploring disciplinary spaces
and the role of inquiry-based learning. In R. Barnett (Hrsg.), Reshaping the
University: New Relationships between Research, Scholarship and Teaching
(S. 67-78). Berkshire: McGraw Hill / Open University Press.
Herzmann, P., König, J. & Artmann, M. (2012). Das Modellkolleg
Bildungswissenschaften. Zum geplanten und realisierten Curriculum in der neuen
Lehrerbildung. In L. Criblez, D. Bosse, & T. Hascher (Hrsg.), Reform der
Lehrerbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Teil 1: Analysen,
Perspektiven und Forschung. (S. 315-331). Immenhausen: Prolog.
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
42
Huber, L. (2009). Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In L. Huber,
J. Hellmer & F. Schneider (Hrsg.), Forschendes Lernen im Studium: Aktuelle
Konzepte und Erfahrungen (S. 9-35). Bielefeld: Universitätsverlag Webler.
Huber, L. (2014). Forschungsbasiertes, Forschungsorientiertes, Forschendes
Lernen: Alles dasselbe? Das Hochschulwesen, 62(1+2), 22-29.
Kelle, U. & Kluge, S. (2010). Vom Einzelfall zum Typus ± Fallvergleich und
Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung (2. Aufl.). Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften.
Krippendorff, K. (2013). Content Analysis: An Introduction to Its Methodology (3.
Aufl.). Thousand Oaks: Sage.
Kruse, O. (2016). Wissenschaftliches Schreiben forschungsorientiert unterrichten.
In A. Hirsch-Weber & S. Scherer (Hrsg.), Wissenschaftliches Schreiben in Natur-
und Technikwissenschaften (S. 29-53). Wiesbaden: Springer.
Kruse, O. & Chitez, M. (2012). Schreibkompetenz im Studium: Komponenten,
Modelle und Assessment. In U. Preußer & N. Sennewald (Hrsg.), Literale
Kompetenzentwicklung an der Hochschule (S. 57-83). Frankfurt am Main: Peter
Lang.
Levy, P. & Petrulis, R. (2012). How do first-year university students experience
inquiry and research, and what are the implications for the practice of inquiry-based
learning? Studies in Higher Education, 37(1), 85-101.
Reinmann, G. (2009). Wie praktisch ist die Universität? Vom situierten zum
Forschenden Lernen mit digitalen Medien. In L. Huber, J. Hellmer & F. Schneider
(Hrsg.), Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen
(S. 36-52). Bielefeld: Universitätsverlag Webler.
Scardamalia, M. & Bereiter, C. (2006). Knowledge building: Theory, pedagogy,
and technology. In K. Swayer (Hrsg.), The Cambridge handbook of the learning
sciences (S. 97-115). New York: Cambridge University Press.
Schladitz, S., Groß Ophoff, J. & Wirtz, M. (2015). Konstruktvalidierung eines
Tests zur Messung bildungswissenschaftlicher Forschungskompetenz. Zeitschrift
für Pädagogik, 61(Beiheft 61), 167-184.
ZFHE Jg.11 / Nr.2 (Mai 2016) S. 23-44
Empirischer Beitrag
43
Schmidt, C. (2013). Auswertungstechniken für Leitfadeninterviews. In B.
Friebertshäuser & A. Langer (Hrsg.), Handbuch qualitative Forschungsmethoden in
der Erziehungswissenschaft (4. Aufl., S. 473-486). Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
Spronken-Smith, R., Walker, 5%DWFKHORU-2¶6WHHQ% & Angelo, T. (2011).
Enablers and constraints to the use of inquiry-based learning in undergraduate
education. Teaching in Higher Education, 16(1), 15-28.
Struger, J. (2012). Von der Frage zum Text. Empirische Befunde und didaktische
Ansätze zur Förderung wissenschaftlicher Schreibkomptenz in Schule und
Hochschule. In U. Preußer & N. Sennewald (Hrsg.), Literale
Kompetenzentwicklung an der Hochschule (S. 185-200). Frankfurt am Main: Peter
Lang.
Tremp, P. (2005). Verknüpfung von Lehre und Forschung: Eine universitäre
Tradition als didaktische Herausforderung. Beiträge zur Lehrerbildung, 23(3), 339-
348.
Vedral, J., & Ederer-Fick, E. (2015). Schreibforschung und Schreibdidaktik -
Modelle und Theorien wissenschaftlichen Schreibens. In R. Egger, C. Wustmann &
A. Karber (Hrsg.), Forschungsgeleitete Lehre in einem Massenstudium ±
Bedingungen und Möglichkeiten in den Erziehungs- und Bildungswissenschaften
(S. 217-238). Wiesbaden: Springer.
Wissenschaftsrat. (2006). Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitäten im
Wissenschaftssystem. Berlin.
Zamorski, B. (2002). Research-led Teaching and Learning in Higher Education: A
case. Teaching in Higher Education. 7(4), 411-427.
Julia Rueß, Christopher Gess & Wolfgang Deicke
www.zfhe.at
44
Autorin/Autoren
Julia RUESS __ Humboldt-Universität zu Berlin, bologna.lab __
Hausvogteiplatz 5-7, D-10117 Berlin
https://hu.berlin/ruess
julia.ruess@hu-berlin.de
Christopher GESS __ Humboldt-Universität zu Berlin, bologna.lab
__ Hausvogteiplatz 5-7, D-10117 Berlin
https://hu.berlin/gess
christopher.gess@hu-berlin.de
Wolfgang DEICKE __ Humboldt-Universität zu Berlin, bologna.lab
__ Hausvogteiplatz 5-7, D-10117 Berlin
https://hu.berlin/deicke
wolfgang.deicke@hu-berlin.de