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Bezugsnormorientierung: Erfassung, Probleme, Perspektiven1
Oliver Dickhäuser & Falko Rheinberg
1. Drei Bezugsnormen zur Leistungsbeurteilung
Stellen Sie sich vor, Sie sind Schüler in einem Englischkurs und bekommen gerade einen
Vokabeltest korrigiert zurück. Sie schlagen das Heft auf und stellen fest, dass Sie in dem Test
19 Vokabeln korrekt gewusst haben. Ist das nun eine gute oder eine schlechte Leistung?
Um diese Frage zu beantworten, bräuchten Sie einen Standard, mit dem Sie Ihr erzieltes
Resultat vergleichen können. Abgesehen davon, dass diese Standards verschieden hoch oder
niedrig sein können, können sie sich auch in dem Bezugssystem unterscheiden, aus dem sie
stammen. Man nennt solche bezugssystemverankerten Standards Bezugsnormen (Bn). Im
Leistungsbereich unterscheidet man kriteriale/sachliche Bn, individuelle Bn und soziale Bn
(Heckhausen, 1974 a).
Kriteriale/sachliche Bn sind Standards, die in der Sache selbst liegen. Eine gute Leistung liegt
vor, wenn ein beabsichtigter Effekt zustande gekommen ist oder ein inhaltlich begründetes
Lernziel erreicht wurde. In unserem Beispiel wäre ein solcher Standard die Zahl der
Vokabeln, die der Lehrer als notwendig für die Lernzielerreichung festgelegt hat.
Bei der individuellen Bn liegt der Standard in den Resultaten, die eine Person bei
vergleichbaren Aufgaben zuvor erzielt hat (temporaler Vergleich im Sinne von Albert, 1977).
Individuelle Verbesserungen sind bei dieser Bezugsnorm eine gute Leistung, individuelle
Rückschritte dagegen eine schlechte Leistung. So werden in den Beurteilungen Lernzuwächse
und auch Leistungsverschlechterungen unmittelbar deutlich. Die dabei hervortretende
Variabilität in der Leistungsentwicklung legt nahe, entsprechend variable Ursachen (z.B.
Anstrengung, Tagesform) zur Erklärung der Leistung heranzuziehen.
Bei der sozialen Bn wird das Resultat einer Person an den Resultaten anderer Personen
gemessen (z.B. an den Resultaten von Mitschülern in einer Schulklasse; soziale Vergleiche im
Sinne von Festinger, 1954). Überdurchschnittliche Resultate gelten als gute,
unterdurchschnittliche Resultate als schlechte Leistungen. Um eine Leistungssteigerung zu
erzielen, muss man andere Personen leistungsmäßig überholen, was aber in
leistungsheterogenen Bezugsgruppen eher unwahrscheinlich ist. Deswegen erscheint hier die
Leistung als recht stabil, was entsprechend stabile Ursachenerklärungen (z.B. Begabung,
Arbeitshaltung) nahelegt. Je nach verwendeter Bn treten also ganz unterschiedliche Aspekte
desselben Resultates in den Vordergrund, die dann auch ganz unterschiedliche Konsequenzen
haben können.
Bezugsnormen können formell vorgegeben sein, wie z.B. bei der Zensurendefinition oder bei
sportlichen Wettkämpfen. Interessanterweise gibt es daneben auch zwischen Personen
Unterschiede in der Bevorzugung bestimmter Bezugsnormen. Diese Bevorzugung wurde
Bezugsnorm-Orientierung (BnO) genannt (Rheinberg, 1980; 2001a). Die BnO wurde intensiv
für die Beurteilung fremder Leistungen, seit einiger Zeit aber auch für die Beurteilung eigener
Leistungen untersucht. Dabei stand die Unterscheidung von sozialer vs. individueller Bn im
Vordergrund, weil hier unterschiedliche motivationale Konsequenzen zu erwarten und
nachzuweisen waren.
2. BnO in der Fremdbewertung: Die Erfassung einer motivational bedeutsamen
Variable der Lernumwelt
Die BnO wurde insbesondere in Lehr- und Lernsituationen untersucht. Für diese Situationen
wurde vermutet, dass eine individuelle Bn der Lehrkraft günstigere Auswirkungen auf die
1 in J. Stiensmeier-Pelster & F. Rheinberg (Hrsg.). (2003). Diagnostik von Selbstkonzept, Lernmotivation und
Selbstregulation (Tests und Trends N.F. Bd. 2) (S. 41-56). Göttingen: Hogrefe.
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Motivation der Lernenden haben müsste als eine Leistungsbeurteilung, die sich ausschließlich
nach der sozialen Bn richtet (Rheinberg, 1980; 2001a). In der Tat gibt es seit 25 Jahren eine
Vielzahl von Befunden, die diese Annahme belegen (zusammenfassend Mischo & Rheinberg,
1995; Rheinberg, 2001a). Zu erklären sind diese Befunde dadurch, dass bei ausschließlicher
Verwendung sozialer Bn der gemeinsame Lernzuwachs aller als Selbstverständlichkeit
ausgeblendet wird. Überdies verdeckt das zeitstabile Leistungsbild den Zusammenhang
zwischen eigener Anstrengung bzw. Lernaktivität einerseits und resultierenden
Leistungsveränderungen andererseits.
Inzwischen liegen aus zwei Großuntersuchungen (TIMSS und BIJU) für Deutschland
repräsentative Daten zum günstigen Einfluss der individuellen BnO von Lehrern auf
motivationale Variablen von Schülern vor (Köller, 2000; s. unten). Sowohl für die Forschung
als auch für Praxisprojekte zur motivationalen Optimierung von Unterricht (Rheinberg &
Krug, 1999) stellt sich die Frage, wie man die BnO von Lehrenden als motivational
bedeutsame Variable der Lernumwelt erfassen kann. Hierzu gibt es mit der kleinen
Beurteilungsaufgabe eine Art Arbeitsprobe, bei der die Lehrkraft die Leistungen fiktiver
Schüler beurteilt. Weiterhin besteht neben der Verwendung eines Lehrer-Fragebogens
(FEBO) auch die Möglichkeit der Beobachtung des Lehrerverhaltens. Schließlich kann auch
die Schülereinschätzung der BnO ihres Lehrers erfasst werden. Diese Verfahren werden im
Folgenden skizziert.
2.1. Die kleine Beurteilungsaufgabe (KBA)
Rheinberg (1980) hat ein Kurzverfahren entwickelt, mit dessen Hilfe die BnO von Lehrern
erfasst werden kann (vgl. Rheinberg, 2001b). Den Versuchspersonen werden neun
verschiedene Schüler und deren Ergebnisse in einer Zeitreihe von drei
Lernerfolgsüberprüfungen geschildert. Es wird erläutert, dass in den Tests jeweils ein
Maximum von 100 Punkten erreichbar sei und der Klassendurchschnitt jeweils bei 50 liege.
Die letzte Leistung eines jeden Schülers ist jeweils im sozialen Vergleich über-, unter-, oder
durchschnittlich. Weiterhin ist die Leistung des Schülers über die drei Testzeitpunkte hinweg
entweder ansteigend, gleichbleibend oder abfallend. Aufgabe der Versuchspersonen ist es
nun, die jeweils letzte Leistung eines jeden Schülers zu bewerten. Gute Leistungen sollen
dabei bis zu fünf Pluspunkte, schlechte Leistungen bis zu fünf Minuspunkte erhalten.
Die Auswertung der Antworten der Versuchspersonen ist simpel: Um das Ausmaß der
Orientierung an individuellen Bezugsnormen festzustellen, werden die Bewertungen der
Probanden für diejenigen Schüler kontrastiert, die zwar ein gleiches Endresultat erzielt haben,
aber eine ansteigende vs. abfallende Tendenz aufweisen. Je stärker sich die Person an
individuellen Bezugsnormen orientiert, desto größer sollten die Urteilsdifferenzen zwischen
ansteigender vs. abfallender Tendenz ausfallen (sog. Tendenzorientierung, TO).
Analog dazu ist es auch möglich, das Ausmaß der sozialen BnO zu ermitteln. Hierbei werden
die Urteile für diejenigen Schüler kontrastiert, deren letzte Testleistungen sich bei
unveränderlicher Tendenz maximal unterscheiden (unter- vs. überdurchschnittlich). Je mehr
sich ein Beurteiler an sozialen Bezugsnormen orientiert, um so unterschiedlicher sollten die
Beurteilungen beider Schüler ausfallen. Ein entsprechender Differenzwert wird als
Niveauorientierung (NO) bezeichnet. (Zu Einzelheiten der Auswertung s. Rheinberg, 1980, S.
28. Die dort beschriebene Differenzbildung muss natürlich adaptiert werden, wenn man die
Reihenfolge der Schüler ändert.) Das Verfahren wurde inzwischen von B. Jakobs (Universität
Saarbrücken) für die online-Bearbeitung im Internet aufbereitet.2
2 Die entsprechende URL lautet http://www.phil.uni-sb.de/%7Ejakobs/paedpsych/rheinberg/
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Obwohl die TO- und NO-Werte rechnerisch unabhängig voneinander (auf der Basis
verschiedener beurteilter Schüler) ermittelt werden, sind sie in der Regel mäßig negativ
korreliert (um r = -.50). Was die Retest-Reliabilität betrifft, so ist sie in der Standardversion
noch akzeptabel (rtt zwischen .64 und .67 nach einem Monat). Durch Spezifikation des
vorgegebenen Beurteilungskontextes stieg die Retest-Reliabilität bis auf rtt = .81. Die BnO-
Kennwerte sind allerdings nicht immer normalverteilt, so dass mitunter auf Rangdaten-Niveau
gearbeitet werden muss. Bei der Unterscheidung von Lehrern aufgrund ihrer BnO war der
TO-Wert häufig ergiebiger als der NO-Wert. Man kann darüber hinaus auch Extremgruppen
bilden und miteinander vergleichen (z.B. Lehrpersonen, deren TO-Wert über und NO-Wert
unter dem Median liegt verglichen mit Lehrkräften, deren TO-Wert unter und NO-Wert über
dem Median liegt).
Es zeigte sich, dass Lehrer mit sozialer BnO ihre Beurteilungsweise unabhängig vom
Situationskontext beibehalten, während Lehrer mit individueller BnO ihre
Vergleichsperspektive je nach Kontext stärker wechseln (z.B. Übergangsentscheidung vs.
Gespräch mit dem Schüler allein). Letztere machen so deutlich, dass es verschiedene Weisen
gibt, eigene und fremde Leistungen zu vergleichen (Rheinberg, 1980; 2001a). Mit Blick auf
schülerseitige Effekte der BnO gruppierten Trudewind und Kohne (1982) Lehrer anhand der
Werte in der KBA. Es zeigte sich, dass Schüler von Lehrern mit individueller BnO mehr
Hoffnung auf Erfolg und eine höhere Netto-Hoffnung aufwiesen. Der Effekt tritt schon im
ersten Schuljahr auf und bleibt über den Rest der Grundschulzeit stabil. Huber (1992) stützte
sich bei der Erfassung der BnO von Lehrern ebenfalls auf die KBA und fand einen erwarteten
signifikanten Einfluss auf die Anstrengungsvermeidung von Schülern im
Anstrengungsvermeidungstest (AVT, Rollett & Bartram, 1981): Beim Vergleich von 23
Hauptschullehrern mit eindeutiger individueller BnO (hohe TO-Werte) mit 20
Hauptschullehrern mit eindeutig sozialer BnO (hohe NO-Werte) zeigte sich, dass in den
Klassen von letzteren die AVT-Werte der Schüler signifikant höher waren (vgl. Rollett,
2001).
Bei der Anwendung der KBA ist damit zu rechnen, dass Lehrer mitunter irritiert sind, weil sie
nicht wissen, worauf das arbeitsprobenartige Verfahren zielt und wie man die
Schülerbewertung richtig vornehmen soll. Anders als bei der Erfassung mancher
Erziehungsstil- oder Unterrichtsstilkonzepte ist hier ja nicht unmittelbar durchschaubar, was
pädagogisch erwünscht ist. Zudem gibt es Unterschiede im Ausmaß, in dem eine individuelle
oder soziale BnO für wünschenswert gehalten werden.
Die Herkunft der BnO-Unterschiede zwischen Lehrern ist noch weitgehend unklar. Analysen
zur Entwicklung der BnO in der Lehrerausbildung finden sich bei Rheinberg (1982, S. 235-
248). Es konnten darüber hinaus zwar plausible Beziehungen zwischen der BnO und
Erziehungszielen von Lehrern nachgewiesen werden, jedoch wurden über solche Ziele nur 18
Prozent der BnO-Varianz aufgeklärt (Mischo & Rheinberg, 1995). Die Autoren der
Untersuchung vermuten deshalb, dass die BnO bei Lehrern auch eine gewisse Eigenwertigkeit
haben könnte und nur z.T. als instrumentelle Strategie zur Erreichung von Erziehungszielen
zu verstehen ist.
Varianten der KBA wurden auch zur Erfassung der BnO von (Sekundar)Schülern eingesetzt
(z. B. Rheinberg, Lührmann & Wagner, 1977; s. unten). Inzwischen gibt es auch eine
Variante, die auf Führungskräfte in Organisationen anwendbar ist (Stiensmeier-Pelster, 2001).
Will man in Ausbildungssituationen eine möglichst phänomennahe Beschäftigung mit dem
Konzept der BnO ermöglichen, so bietet sich an, die Lernenden die KBA zunächst selbst
bearbeiten und auswerten zu lassen.
2.2. Der Fragebogen zur Erfassung der Bezugsnormorientierung (FEBO)
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In einer Reihe von Studien hat sich gezeigt, dass die BnO von Lehrern auch Auswirkungen
auf weitere Lehrervariablen hat (Rheinberg, 1980). Erwähnt wurden bereits die Unterschiede
in der Kausalattribution, die darauf zurückgehen, dass die zu erklärenden Leistungen unter
sozialer Bn eher stabil, unter individueller Bn dagegen eher variabel erscheinen. Die
zeitstabileren Ursachenzuschreibungen bei sozialen Bn führen dann zu stabileren und
längerfristigen Leistungserwartungen. Zudem legen soziale Bn nahe, den Unterricht für alle
Schüler gleich zu gestalten, weil dann die Leistungsvergleiche zwischen den Schülern leichter
durchführbar sind. Bei individueller Bn legt die genaue Beachtung individueller
Leistungsentwicklungen dagegen nahe, Lernanforderungen zumindest zeitweise auf die
jeweiligen Kompetenzstände der einzelnen Schüler abzustimmen. Schließlich lassen sich auch
Unterschiede in der Sanktionierungsstrategie der Lehrer nachweisen (sanktioniert wird bei
sozialer BnO eher die Über- oder Unterdurchschnittlichkeit der Leistung im sozialen
Vergleich, bei individueller BnO dagegen für Verbesserungen oder Verschlechterungen).
Der Fragebogen zur Erfassung der Bezugsnormorientierung (FEBO; Rheinberg, 1980) erfasst
neben der Bevorzugung der sozialen vs. individuellen Bn beim Leistungsvergleich diese
assoziierten Lehrervariablen (Kausalattribuierung, Erwartungsbildung,
Individualisierungstendenz sowie Sanktionsverhalten). Er besteht aus 39 selbstbeschreibenden
Aussagen, die auf sechsstufigen Skalen („völlig unzutreffend“ bis „völlig zutreffend“)
beantwortet werden. Der Fragebogen enthält dabei sowohl Items, die im Sinne einer
individuellen BnO gepolt sind, als auch solche, die in Richtung soziale BnO formuliert sind.
Letztere werden bei der Auswertung umcodiert. Aus allen 39 Antworten wird ein
Gesamtscore als Maß für die Stärke der individuellen Bezugsnormorientierung gebildet. Der
Gesamtscore ist normalverteilt. Vergleichskennwerte finden sich bei Rheinberg (1980, S.
119). Tabelle 1 zeigt für jeden Variablenbereich des FEBO ein Beispielitem.
Tab. 1: Itembeispiele für verschiedene Bereiche des FEBO
.
Bereich Item
Leistungsvergleich Wenn ich von einer guten Leistung spreche, dann meine ich damit ein Ergebnis, das
deutlich über dem Klassendurchschnitt liegt. (s)
Kausalattribuierung Schulleistungsunterschiede innerhalb einer Klasse lassen sich nach meiner Erfahrung
weitestgehend auf Begabungsunterschiede zwischen den einzelnen Schülern
zurückführen. (s)
Erwartungsbildung Selbst wenn ich einen Schüler mehrere Jahre unterrichtet hätte, so könnte ich kaum
vorhersagen, wie dieser Schüler im kommenden Schuljahr abschneiden wird. (i)
Individualisierungs-
tendenz
Ich sorge in meinen Stunden oft dafür, dass verschiedene Schüler verschieden schwierige
Aufgaben bearbeiten. (i)
Sanktionsverhalten Wenn ich mich zur Leistung eines Schülers lobend oder tadelnd äußere, so hängen Lob
und Tadel vornehmlich davon ab, ob diese Leistung über oder unter dem
Klassendurchschnitt liegt. (s)
Anmerkung. Die Buchstaben hinter den Itemtexten geben an, ob das Item im Sinne individueller (i) oder sozialer
(s) BnO gepolt ist.
Die interne Konsistenz der FEBO liegt bei .80 (Rheinberg, 1980). Zwischen dem FEBO-
Gesamtwert und der KBA wurden signifikante, aber nur mäßige Korrelationen ermittelt. Bei
der Tendenzorientierung ergaben sich Koeffizienten von bis zu r = .33, bei der
Niveauorientierung von bis zu r = -.43. Die nur mäßigen Zusammenhänge sind vermutlich
teilweise auf das unterschiedliche Aufgabenformat zurückzuführen (Selbstbericht vs.
Arbeitsprobe). Abgesehen davon, erfasst der FEBO neben der BnO im engeren Sinne ja auch
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noch diejenigen Variablen, die mit dem Leistungsvergleich assoziiert sind
(Kausalattribuierung, Erwartungsbildung, Individualisierungstendenz sowie
Sanktionsverhalten).
Will man die BnO des Lehrers quasi rein erfassen, so sollte man sich auf die (neun) FEBO-
Items aus dem Variablenbereich „Leistungsvergleich“ beschränken (s. Tab.1). Will man
dagegen, mit Blick auf schülerseitige Motivationseffekte, das bezugnormassoziierte Netzwerk
motivierungsbedeutsamer Lehrervariablen möglichst breit erfassen, so bietet sich der FEBO-
Gesamtwert an.
2.3. Verhaltensbeobachtung
Insbesondere bei Trainigsprogrammen zur Beeinflussung bezugsnormspezifischen
Lehrerverhaltens bietet es sich an, die BnO auch direkt auf Verhaltensebene zu
diagnostizieren – also dort, wo Veränderungen erzielt werden sollen. Je nach
Trainingsschwerpunkten wird man andere Beobachtungskategorien wählen, weswegen noch
kein standardisiertes Beobachtungssystem existiert. In Rheinberg und Krug (1999, S. 84-87,
S. 154) finden sich allerdings Beispiele für solche Beobachtungssysteme und ihre
Anwendung. Sie lassen sich für eigene Zwecke leicht adaptieren. Speziell für den
Sportunterricht gibt es ein sehr elaboriertes „Beobachtungsverfahren zur Erfassung von
leistungsmotivförderndem Lehrerverhalten“ (BELL) (Breuer, 1983), das zum Großteil
bezugsnormspezifisches Verhalten des Sportlehrers erfasst. Der Einsatz dieses Verfahrens in
Trainings zur individuellen BnO von Sportlehrern ist bei Weßling-Lünnemann (1985)
dokumentiert.
2.4. Vom Schüler perzipierte Lehrer BnO
Anstelle von Daten, die externe Verhaltensbeobachter liefern, kann man auch Auskünfte von
Schülern zum Verhalten ihres Lehrers einholen. Schwarzer, Lange und Jerusalem (1982)
haben eine Kurzskala entwickelt, die die BnO des Lehrers aus der Sicht seiner Schüler erfasst
(Schülerperzipierte Lehrer BnO, SPLB). Die Skala umfasst in Aussageform zehn Items, die
die wahrgenommene Leistungsbeurteilung und das wahrgenommene Sanktionsverhalten des
Lehrers aus Schülersicht beschreiben, z.B. „Unser Lehrer achtet bei der Leistungsbeurteilung
nie darauf, ob sich ein Schüler verbessert oder verschlechtert hat“ (soziale BnO). Die Items
werden auf einer vierstufigen Zustimmungsskala beantwortet. Aus der Beantwortung der zehn
Items wird ein Summenwert gebildet (dabei werden die Items so recodiert, dass der
Summenwert für eine hohe individuelle BnO steht). Für die Skala wurden
Konsistenzkoeffizienten von α = 0.70 und 0.72 ermittelt.
Zur Validität des SPLB berichtet Jerusalem (1984) aus einer zweijährigen Längsschnittstudie,
dass Sekundarschüler der 5. bis 6. Klassenstufe bei perzipierter individueller BnO des Lehrers
günstigere Entwicklungen im Selbstkonzept eigener Fähigkeit, in ihren Kontrollerwartungen
und in der Leistungsängstlichkeit aufweisen. Ähnlich günstige Effekte der perzipierten Lehrer
BnO berichten Satow (1999) sowie Schwarzer, Lange und Jerusalem (1982).
In zwei Großuntersuchungen (BIJU und TIMSS) wurde die perzipierte BnO des
Mathematiklehrers über lediglich vier Items des SPLB erfasst, die eine individuelle BnO
thematisieren. Trotz der geringen Itemzahl ergaben sich sehr gute Konsistenzkoeffizienten (α
= .84 bei N = 5.185 und α = .86 bei N = 3.545 Sekundarschülern; O. Lüdtke, persönliche
Mitteilung). Tabelle 2 zeigt diese Items.
Tab. 2: Vier Items des SPLB, die zur Erfassung der individuellen BnO des Lehrers im TIMSS und BIJU-
Projekt eingesetzt wurden (Lüdtke & Köller, im Druck).
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1. Wenn sich ein schwacher Schüler verbessert, ist das für unseren Lehrer eine gute Leistung, auch wenn der
Schüler immer noch unter dem Klassendurchschnitt liegt.
2. Wenn ich mich besonders angestrengt habe, lobt mich der Lehrer meistens, auch wenn andere Schüler
noch besser sind als ich.
3. Wenn ein Schüler seine Leistungen verbessert, wird er vom Lehrer gelobt, auch dann, wenn er im
Vergleich zur Klasse unter dem Durchschnitt liegt.
4. Unser Lehrer lobt auch die schlechten Schüler, wenn er merkt, dass sie sich verbessern.
In zwei Längsschnittstudien zeigte sich, dass die so erfasste individuelle BnO des
Mathematiklehrers ein hoch signifikant positiver Prädiktor für die Entwicklung des
leistungsbezogenen Selbstkonzeptes im Fach Mathematik ist (Köller, 2000; Lüdtke & Köller,
im Druck). Bemerkenswerterweise zeigt die mehrebenenanalytische Auswertung, dass die
Prädiktionsleistung der perzipierten BnO erst auf der Ebene der klassenweise aggregierten
Schülerperzeptionen zustande kommt. Das wird als Hinweis gewertet, dass dem Prädiktor
tatsächlich ein Merkmal der Lernumwelt (nämlich die BnO des Lehrers) und nicht etwa
lediglich individuelle Wahrnehmungsbesonderheiten einzelner Schüler zugrunde liegen. Die
Befunde sind für die Sekundarstufe der BRD repräsentativ und repliziert (Lüdtke & Köller,
im Druck).
3. Bezugsnormorientierung von Schülern und Studierenden
3.1. Die KBA für Schüler
Die perzipierte Lehrer BnO ist zu unterscheiden von der BnO, die der Schüler selbst hat.
Letztere wird mitunter aus den Reaktionen von (Schul-)Kindern erschlossen, die sie in
Experimenten auf die systematische Variation der verwendeten Bezugsnormen zeigen (z.B.
Butler, 1998; Veroff, 1969). Statt dieses aufwendigen Beobachtungsverfahrens im Rahmen
von Experimenten kommt natürlich auch der Einsatz von anderen diagnostischen Verfahren in
Betracht.
Als erste hat Lührmann (1977) die kleine Beurteilungsaufgabe (KBA, s. Abschnitt 2.1.) für
Schüler modifiziert. Auf Klassenebene aggregierte KBA-Daten zeigten markante
Entwicklungseffekte in der BnO von Sekundarschülern. Im Mittel nimmt die individuelle
BnO mit dem Alter zu und bildet zusammen mit der sozialen BnO ein integriertes
Selbstbewertungssystem. Das war vor allem in der gymnasialen Oberstufe der Fall. Auf allen
Klassenstufen gibt es jedoch deutliche individuelle Unterschiede in der BnO (Rheinberg,
Lührmann & Wagner, 1977; Lührmann, 1977). Bei Fünftklässlern korrelierte eine
individuelle BnO zu r = .39 mit erfolgszuversichtlicher Leistungsmotivation sowie einer
realistischen Zielsetzungsstrategie bei einer Ringwurfaufgabe (Rheinberg, Duscha & Michels,
1980). Wegen ihrer Komplexität ist die KBA für Grundschüler jedoch ungeeignet. Auch beim
Einsatz bei Sekundarschülern werden häufig mündliche Zusatzerklärungen erforderlich.
3.2. Fragebogen zur Bezugsnorm bei der Selbstbewertung (FBnO-S)
Dickhäuser und Stiensmeier-Pelster (2000) haben einen Kurzfragebogen zur BnO von
Studierenden entwickelt. In einer Vorversion wurde die BnO als eindimensionales Konstrukt
aufgefasst (soziale vs. individuelle BnO). Tabelle 3 zeigt die aktuelle Version, die für die
soziale und individuelle BnO jeweils einen eigenen Kennwert liefert (dies entspricht dem
Vorgehen bei der KBA, die ja auch für jede Bn einen Kennwert bestimmt; s. Abschnitt 2.1.).
Tab. 3: Itemformulierungen des FbnO-S für die Skalen soziale BnO und individuelle BnO
Skala: Soziale BnO
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Ehe ich bei mir von einer „Leistungsverbesserung“ sprechen kann, muss ich wiederholt Leistungen zeigen, die,
verglichen mit meinen Kommiliton(inn)en, über dem Durchschnitt liegen.
Wenn ich von einer „guten Leistung“ spreche, dann meine ich damit ein Ergebnis, das, verglichen mit meinen
Kommiliton(inn)en, deutlich über dem Durchschnitt liegt.
Ehe ich von einer „Leistungsverschlechterung“ sprechen kann, muss ich wiederholt Leistungen zeigen, die,
verglichen mit meinen Kommiliton(inn)en, unter dem Durchschnitt liegen.
Wenn ich von einer „schlechten Leistung“ spreche, so meine ich damit ein Ergebnis, das, verglichen mit
meinen Kommiliton(inn)en, unter dem Durchschnitt liegt.
Skala: Individuelle BnO
Wenn ich von einer „guten Leistung“ spreche, so meine ich ein Ergebnis, das besser ist als meine Ergebnisse in
der Vergangenheit.
Wenn ich von einer „schlechten Leistung“ spreche, so meine ich ein Ergebnis, das schlechter ist als meine
Ergebnisse in der Vergangenheit.
Wenn ich meine Leistung beurteilen will, achte ich gewöhnlich darauf, ob ich mich im Vergleich zu meinen
früheren Ergebnissen verbessert oder verschlechtert habe.
Wenn ich meine Leistung beurteilen will, so vergleiche ich mein erzieltes Ergebnis nicht so sehr mit
entsprechenden Ergebnissen meiner Kommiliton(inn)en, sondern stärker mit den Ergebnissen, die ich zuvor bei
vergleichbaren Aufgaben erzielt habe.
Eine erste Reliabilitätsanalyse (N = 139 Studierende) anhand des Datensatzes von Dickhäuser
(2000) zeigte, dass die Skala „soziale BnO“ mit α = .79 eine gute Messgenauigkeit aufweist.
Die Skala „individuelle BnO“ weist allerdings nur eine interne Konsistenz von α = .55 auf,
was angesichts der Kürze der Skala von (vier Items) als noch ausreichend gewertet werden
kann. Spinath (2001) erzielte in einer Stichprobe von 85 Studierenden eine interne Konsistenz
von α = .78 für die soziale und von α = .72 für die individuelle Bezugsnormorientierung. Die
Kennwerte für soziale und individuelle BnO sind unkorreliert, was dafür spricht, die BnO als
(zumindest) zweidimensionales Konzept zu behandeln.
4. Perspektiven
4.1. BnO und Zielorientierung
Das Konzept der BnO wurde seit den siebziger Jahren im deutschsprachigen Raum entwickelt
und bekannt. Unabhängig davon wurden in den achtziger Jahren Theorien der
Zielorientierung von Dweck und Leggett (1988) und Nicholls (1984) in die internationale
Literatur eingeführt. Nach Dweck und Leggett (1988) kann man Personen danach
unterscheiden, ob sie (aktuell oder überdauernd) learning goals (Erwerb von Kompetenzen)
oder performance goals (Demonstration eigener Kompetenzen) verfolgen. In ganz ähnlicher
Weise spricht Nicholls (1984) von task-involvement (Aufgaben-Orientierung) und ego-
involvement (Ich-Orientierung). Insbesondere Nicholls (1984) verweist explizit auf die
theoretische Beziehung zwischen Zielorientierung und Leistungsvergleichen. Im Fall von
ego-involvement/performance goals kann man die eigene Kompetenz besonders gut dadurch
demonstrieren, dass man besser als andere ist. Das erfordert eine soziale BnO bei der
Selbstbewertung. Will man dagegen sehen, ob und wie sich die eigene Kompetenz entwickelt
(task-involvement/learning goals), ist der Vergleich mit eigenen bisherigen Leistungen
erforderlich. Dazu benötigt man eine individuelle BnO. Das bedeutet, dass die
Zielorientierung die BnO bei der Selbstbewertung bestimmen kann. Letztere wäre theoretisch
in erstere einzuordnen.
Bei der Frage, wodurch denn die Zielorientierung ihrerseits bestimmt wird, liegen die Dinge
anders. Das gilt zumindest für die soziale BnO der Fremdbewertung. Wenn Schüler
feststellen, dass in ihrer Lernumgebung gute Leistungen sich dadurch bestimmen, dass man
besser als andere ist (so etwas ist in vielen Schulen/Universitäten z.B. in den USA, England
oder Japan der Fall), dann sollte die Orientierung entstehen, in Lernsituationen möglichst die
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eigene Überlegenheit demonstrieren zu wollen. Das bedeutet, dass eine soziale BnO der
Fremdbewertung (etwa seitens des Lehrers) die Entwicklung der Zielorientierung in Richtung
performance goals bzw. ego-involvement bedingen kann. Hier wäre die Zielorientierung der
Schüler also abhängig von der (sozialen) BnO, die Lehrer, Eltern und das Schulsystem
verwenden.
Notwendige Voraussetzung für die Angemessenheit solcher Überlegungen ist zunächst, dass
sich überhaupt ein empirischer Zusammenhang zwischen BnO und Zielorientierung
nachweisen lässt. Hierzu fanden Dickhäuser und Stiensmeier-Pelster (2000) bei Studenten
eine signifikante Korrelation von r = .35 (p < .01) zwischen der sozialen BnO (erfasst mit der
Vorform des FBnO-S) einerseits und der Leistungszielorientierung (Ich-Orientierung erfasst
mit den MOS-d von Balke & Stiensmeier-Pelster, 1995) andererseits. Mit der aktuellen
Fassung des FBnO-S wurde dieser Befund repliziert. Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse.
Verwandt wurde hier eine Weiterentwicklung der MOS, die zwischen Annäherungs- und
Meidungszielen unterscheidet (SELLMO, vgl. Spinath, Stiensmeier-Pelster, Schöne &
Dickhäuser, im Druck).
Tab. 4: Korrelationen zwischen BnO und Zielorientierung (Dickhäuser, 2000; N = 139 Studierende)
soziale BnO individuelle BnO Lernziel-O Annäherungs-
Leistungsziel-O
individuelle BnO .15
Lernziel-O -.06 .19*
Annäherungs-
Leistungsziel-O .37** .27** .17*
Vermeidungs-
Leistungsziel-O .25** .14 -.15 .58**
** p < .01, * p < .05
Wie erwartet zeigt sich, dass die Komponenten der Leistungszielorientierung positiv mit der
sozialen BnO zusammenhängen. Insbesondere zeigte sich eine Korrelation von r = .37
zwischen der Annäherungskomponente der Leistungszielorientierung und der sozialen BnO,
während die Korrelation der Vermeidungskomponente mit sozialer BnO mit r = .25 etwas
geringer ausfällt. Bei der Interpretation muss jedoch beachtet werden, dass Annäherungs- und
Vermeidungskomponente der Leistungszielorientierung miteinander korreliert sind. Berechnet
man deshalb die Korrelation zwischen Annäherungsleistungszielorientierung und sozialer
BnO unter Auspartialisierung der Vermeidungskomponente, so zeigt sich mit r = .28 (p <
.001) nach wie vor ein signifikanter Zusammenhang, während der Zusammenhang zwischen
Vermeidungskomponente und sozialer BnO bei Auspartialisierung der
Annäherungskomponente nicht mehr signifikant ist (r = .06).
Weiterhin zeigt Tabelle 4, dass wie vermutet – wenn auch schwach – die Lernzielorientierung
mit dem Ausmaß an individueller BnO zusammenhängt: Je stärker Personen lernzielorientiert
sind, desto stärker orientieren sie sich an individuellen Bezugsnormen. Überraschenderweise
zeigte sich jedoch, dass auch die Annäherungskomponente der Leistungszielorientierung mit
der individuellen BnO positiv zusammenhängt. Spinath (2001) konnte in einer Untersuchung
von Studierenden mit dem gleichen Instrumentarium diesen unerwarteten Befund nicht
replizieren. Allerdings zeigten sich in dieser Studie wie bereits bei Dickhäuser und
Stiensmeier-Pelster (2000) erwartungsgemäß signifikante positive Zusammenhänge zwischen
Leistungszielorientierung und sozialer Bezugsnormorientierung (r = .32 für die Annäherungs-
, r = .28 für die Meidungskomponente) sowie zwischen Lernzielorientierung und individueller
Bezugsnormorientierung (r = .22). Der engste Zusammenhang zwischen sozialer
Bezugsnormorientierung und Leistungszielorientierung (Annäherungskomponente) ergab sich
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mit r = .49 (p < .01) in einer Untersuchung zur Motivation in der Statistikausbildung
(Engeser, in Vorbereitung). Hier war die motivationale Orientierung allerdings
statistikspezifisch erfasst worden. Die verwendeten Skalen sind daher nicht mit den oben
erwähnten identisch.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse – unseres Wissens erstmalig –, dass es Beziehungen
zwischen der BnO und der Zielorientierung gibt. Die Zusammenhänge sind allerdings nur
mäßig, weswegen sich beide Konzepte nicht gänzlich ineinander einordnen lassen. Natürlich
sagen solche korrelativen Studien auch nichts aus über das Zutreffen der oben formulierten
Vermutungen über Einflussrichtungen. Zu dieser Frage läuft z.Z. eine Längsschnittstudie, die
u.a. den Einfluss der Lehrer BnO auf die Entwicklung der Zielorientierung in ihren Klassen
untersucht (Rheinberg & Wendland, 2000).
4.2. Trennung von Selbsteinschätzung und affektiver Selbstbewertung
Neben einer Anbindung an Zielorientierungstheorien wird es bei der Weiterentwicklung von
Instrumenten zur Erfassung der eigenen BnO darauf ankommen, deutlich zwischen der
Selbsteinschätzung und der affektiven Selbstbewertung zu unterscheiden. Bei der
Selbsteinschätzung geht es um Informationen, die die Person über sich selbst und ihren
Leistungsstand sucht oder erhält. Um hierbei ein möglichst valides Selbstbild zu gewinnen, ist
es adaptiv, verschiedene Informationsquellen, d.h. auch verschiedene Bn, heranzuziehen (vgl.
etwa Dickhäuser, Schöne, Spinath & Stiensmeier-Pelster, 2001). Die affektive
Selbstbewertung betrifft dagegen die Zufriedenheit mit dem eigenen Abschneiden bzw. den
Affekt (Stolz, Ärger) – Bewertungen also, die sich möglicherweise in Folge der
Selbsteinschätzung des Leistungsstandes ergeben.
Beides ist keineswegs so eng miteinander verkoppelt, dass man es zusammenfassen sollte. So
mag der Spitzensportler x durchaus an sozialer Vergleichsinformation interessiert sein, um
festzustellen, dass er immer noch der Beste ist (Selbsteinschätzung nach sozialer Bn).
Wirklich freuen wird er sich aber vielleicht erst dann, wenn er seine eigene Bestmarke
übertroffen hat (affektive Selbstbewertung nach individueller BnO). Auch der umgekehrte
Fall ist leicht zu zeigen. Das wäre jemand, der durchaus daran interessiert ist zu sehen, wie
seine Kompetenzen steigen (Selbsteinschätzung nach individueller Bn). Wirklich freuen wird
er sich vielleicht aber erst dann, wenn er dadurch andere übertroffen hat (affektive
Selbstbewertung nach sozialer Bn).
Betrachtet man vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung die Forderung nach dem
motivationalen Primat der individuellen Bn (Heckhausen, 1974b), so ist zu vermuten, dass
sich die Forderung in erster Linie auf die affektive Selbstbewertung bezieht. Hinsichtlich der
affektiven Selbstbewertung ist es nämlich günstig, diese vor allem an Leistungssteigerungen
oder -verschlechterungen fest zu machen, an Veränderungen also, die aufgrund von
Anstrengungs- und Lernaufwand durch die Person kontrollierbar sind. Aus diesem
motivationalen Primat der individuellen Bn folgt aber nicht, dass man deshalb soziale
Vergleichsinformationen meiden muss. Für die valide Selbsteinschätzung kann sie mitunter
erforderlich sein (s.o.). Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Man kann sich über einen
eingetretenen Lernzuwachs freuen bzw. einen ausgebliebenen ärgern, ohne deshalb ignorieren
zu müssen, dass andere Lerner die Dinge vielleicht noch viel besser oder schlechter können
als man selber (Rheinberg, 2001c). Diese beiden Aspekte von Leistungsvergleichen sollten
sowohl theoretisch als auch erhebungstechnisch künftig deutlich auseinander gehalten
werden.
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