Folgt man der Rechtsprechung des Reichsgerichts, die der spätere Bundesgerichtshof übernommen hat, dann ist die Narkose — wie übrigens jeder andere operative ärztliche Eingriff auch — tatbestandsmäßig eine Körperverletzung, genauer gesagt eine gefährliche Körperverletzung, die nur durch Einwilligung des Patienten nach vorausgegangener Aufklärung straflos bleibt. Damit ist jedes ärztliche Handeln
... [Show full abstract] mit einer schwerwiegenden Hypothek belastet. Für den Arzt ergibt sich nämlich die Verpflichtung zu einem Höchstmaß an ärztlicher Sorgfalt, wenn er der Konkretisierung einer ständigen abstrakten Bedrohung eines Haftpflichtprozesses oder gar eines Strafverfahrens entgehen will. Kein anderer Arzt — so scheint mir — ist gezwungen, zum Zwecke des erforderlichen Heileingriffs auf dem überaus schmalen, zwischen Leben und Tod des Patienten angesiedelten therapeutischen Grat zu wandeln — fast möchte man sagen zu balancieren — als die Vertreter der operativen Fächer, in erster Linie aber die Chirurgen und die Anästhesisten. Auch der Anästhesist ist „Operateur“, wenn er trotz eines auf seinem Fachgebiet inzwischen erreichten Sicherheitsstandards durch die Narkose eine iatrogene, reversible Vergiftung des Patienten mit zumeist kalkulierbarem Risiko herbeiführt. Jedem ärztlichen Eingriff ist eine bestimmte, von der Rechtsprechung anerkannte Komplikationsrate inhärent. Eine geradezu außerordentliche Risikoaffinität scheint aus den oben erwähnten Gründen jedoch dem operativen und anästhesiologischen Fachgebiet vorbehalten zu sein.