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THEMA
Fotos: Hintergrund: Land
Salzburg/Abteilung 7 Wasser; kl. Bild
l.: Josef Limberger; kl. Bild r.:
BMVIT/Fabrice Ottburg
Zerschneidung…
…Vernetzung
Raumordnung
UND rauMPlanung
Winterausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 4-2015
Die Unübersichtlichkeit wird vollständig erkennbar,
wenn neben der Vielzahl an Rechtsnormen auch
die in diesen definierten sogenannten „formalen
Instrumente der Raumordnung“ betrachtet werden
(vgl. Tab. 1). Es wird daher niemanden verwundern, dass
auch Namensgleichheit von Begriffen keine Garantie
dafür ist, dass auch überall das Gleiche gemeint ist. Es
könnte fast vermutet werden, dass hier politische Absicht
dahinter steht. Wenn das auch nicht der Fall ist, bleibt
zumindest festzustellen, dass dieser Zustand für die Poli-
tiker einen entscheidenden Vorteil hat: Wenn nicht ganz
klar ist, was gemeint ist, müssen sie sich nicht festlegen
und können nach Bedarf reagieren.
Es braucht uns daher auch nicht zu verwundern, dass
die zentralen Begriffe der Raumplanung und Raumord-
nung in den Gesetzen selbst entweder überhaupt nicht
definiert werden oder in den einzelnen Ländern sogar eine
unterschiedliche Bedeutung haben. In Anlehnung an die
Definition im „Deutsch-Österreichischen Handbuch der
Planungsbegriffe“ wird folgende Klarstellung vorgeschla-
gen:
Als RAUM verstehen wir nicht den dreidimensionalen
Raum der Geometrie und auch nicht die Räume in einem
Gebäude, sondern eine Projektionsfläche zur Abbildung
der Räumlichkeit, „der räumlichen Verhältnisse und
Bedingungen, in/unter denen ökonomische, soziale,
technische und ökologische Systeme funktionieren“
(nach Schindegger 1998, S. 24.).
RAUMORDNUNG ist die mit Hilfe der Raumplanung
erreichte räumliche Ordnung eines Gebietes, also ein
Strukturabbild der Lage- und Beziehungsrelationen im
Raum (z. B. ob eine Siedlungsstruktur kompakt oder zer-
siedelt ist).
RAUMPLANUNG ist somit die konkrete Tätigkeit zur
Schaffung einer bestimmten Siedlungsstruktur nach poli-
tisch festgelegten Zielen. Diese Ziele werden durch die
RAUMORDNUNGSPOLITIK auf allen staatlichen Ebenen (EU,
Bund, Länder, Regionen und Gemeinden) festgelegt. Die
Rechtslage in Bezug auf die Raumplanung ist in Öster-
reich nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen
überaus kompliziert. Bund und Länder sind nun einmal
gemeinsam für das Gebiet der Republik Österreich
zuständig. Seit dem vom Land Salzburg angestrengten
Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr
1954 gilt, dass dem Bund die Verantwortung für die funk-
tionelle Raumplanung (Planung von Eisenbahnen, Bun-
desstraßen, forstliche Raumplanung u. a. Gefahrenzo-
nenpläne) zukommt und den Ländern die Verantwortung
für die nominelle Raumplanung (gesetzlich normierte
überörtliche und örtliche Raumplanung). Seit der Gemein-
deverfassungsnovelle 19622 ist außerdem präzise festge-
legt, dass der Aufgabenbereich der örtlichen Raumpla-
nung im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gelegen
ist und dass den Ländern neben der Gesetzgebungskom-
petenz hierfür nur die Rolle der Aufsichtsbehörde zukom-
men kann. Das bedeutet konkret, dass das Land eine ihm
aus fachlichen Gründen nicht genehme Widmung nur
dann versagen kann, wenn es entweder eine klare Fest-
legung in einem überörtlichen Raumordnungsprogramm
dagegen gibt oder die Absicht der Gemeinde gesetzwidrig
ist.
Wirkungsweise der Raumplanung
Eines der häufigsten Missverständnisse in der Außen-
beurteilung des Systems Raumplanung ist, dass das Pla-
nungsverständnis aus dem Bauwesen auf die Raumpla-
nung übertragen wird. Raumplanung beschäftigt sich im
Unterschied zum Bauwesen nämlich mit den funktionel-
len Beziehungen zwischen verschiedenen Objekten im
Raum und nicht mit einem konkreten physischen Objekt.
Es gibt keinen konkreten Bauplan, sondern nur unterei-
nander abzuwägende Ziele und Grundsätze und infolge
dessen auch keine Kompetenz zur direkten Planungsum-
setzung. Die Umsetzung von Raumplänen kann nur mit-
tels direkter und indirekter Beeinflussung der Entschei-
dungen Dritter erfolgen. Da diesen Dritten keine Aufträge
zur Planumsetzung (im Sinne der Errichtung eines Gebäu-
des) gegeben werden können, hat die Raumplanung nur
RAUMORDNUNG UND RAUMPLANUNG
Nach Friedrich Schindegger, einem früheren Mitarbeiter des Österreichischen Instituts
für Raumplanung, herrscht im Bereich der Raumplanung ein ziemlich freizügiger Umgang
mit Fachbegriffen, der immer wieder zu Verständigungsschwierigkeiten führt1. Dies
drückt sich unter anderem im Umstand aus, dass die beiden Begriffe „Raumplanung“
und „Raumordnung“ synonym verwendet werden. Dies betrifft sogar die Rechtsnormen,
da es in den einzelnen österreichischen Ländern ohne erkennbaren Grund sowohl
Raumordnungs- als auch Raumplanungsgesetze gibt. VON FRANZ DOLLINGER
WAS BEDEUTEN SIE EIGENTLICH?
WIE FUNKTIONIEREN SIE?
WAS KÖNNEN SIE?
WELCHE INSTRUMENTE NUTZEN SIE?
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1vgl. Schindegger 1998, S. 23; 2Bundesverfassungsgesetz vom 12. Juli 1962, BGBl. Nr. 205/1962
Literatur
ARL 2001 – Akademie für Raumforschung und Landesplanung (2001):
Deutsch-Österreichisches Handbuch der Planungsbegriffe. Kaiserslau-
tern und Wien: (= Planungsbegriffe in Europa), 238 S.
DOLLINGER, Franz (2015): Raumplanung oder: Warum Österreich 9 ver-
schiedene Planungssysteme und Bauordnungen „braucht“. – In: Alfred
Kyrer und Michael A. Populorum (Hrsg.): Über Politische Kultur in Öster-
reich oder: Die Eier legende Wollmilchsau. Salzburg und Bergheim: Inter-
regio-Verlag, S. 251-291
HAUER, Andreas und Markus L. Nußbaumer (2006): Österreichisches
Raum- und Fachplanungsrecht. Engerwitzdorf: (= Serie Umweltrecht,
Bd. 2), 594 S.
LEP 2003 – Salzburger Landesentwicklungsprogramm. Gesamtüberarbei-
tung 2003. Salzburg: (= Entwicklungsprogramme und Konzepte, H. 3),
258 S.
SCHINDEGGER, Friedrich (1998): Raum. Planung. Politik. Ein Handbuch zur
Raumplanung in Österreich. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 210 S.
SCHINDEGGER, Friedrich (2009): Krise der Raumplanung – aus der Sicht
der Praxis in Österreich. – In: Mitteilungen der Österreichischen Geogra-
phischen Gesellschaft, 151. Jg., S. 159-170
Winterausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 4-2015
THEMA
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die Möglichkeit eine zukünftige nutzungswidrige Flä-
chennutzung zu verhindern3.
Dieser Planungsansatz wird in der Fachliteratur als
„Negativplanung“ bezeichnet4. Würde die Raumplanung
als sogenannte „Positivplanung“ ausgerichtet sein, dann
müsste beispielsweise ein Grundstückseigentümer nach
der erfolgten Baulandwidmung innerhalb einer von der
Gemeinde festzulegenden Frist mit der konkreten Umset-
zung, also mit der Errichtung eines Gebäudes beginnen.
Falls er das nicht macht, müssten bestimmte im Gesetz
festgelegte Sanktionen eingeleitet werden, z. B. eine
Ersatzvornahme durch die Gemeinde, die Enteignung des
Grundstücks etc.. Dies würde die verfassungsrechtlichen
Grenzen in Bezug auf den Schutz des Privateigentums
überschreiten, auch wenn es aus raumplanerischen
Gründen durchaus sinnvoll wäre.
Welche konkreten Instrumente kann die
Raumplanung nun für die Gestaltung des
Lebensraums einsetzen?
Nachdem nun klargestellt ist, wie das Raumplanungs-
system wirkt, kann nun die Frage beantwortet werden,
welche konkreten Instrumente seitens der Planungsträ-
ger – Land, Regionalverbände und Gemeinden – als
Gestaltungsinstrument eingesetzt werden können. Mög-
liche Beispiele dafür sind in der nebenstehenden Box dar-
gestellt. Allen gemeinsam ist, dass sie sowohl von den
Gemeinden in der örtlichen Raumplanung, als auch von
Land und Regionalverbänden im Rahmen der überörtli-
chen Raumplanung angewendet werden können. Sowohl
bei der erstmaligen Festlegung als auch bei einer nach-
träglichen Änderung ist eine fachliche Begründung zwin-
gend erforderlich. Änderungen ohne fachliche Begrün-
dung sind rechtswidrig und damit von der Aufhebung ent-
weder durch die Aufsichtsbehörde oder durch die
Gerichtsbarkeit bedroht. Für eine bessere Wirksamkeit
dieser Festlegungen wäre jedoch eine andere politische
Kultur im Umgang mit den Raumplanungsinstrumenten
erforderlich: Keine anlassbezogenen Abänderungen soll-
ten möglich sein. Dafür wären Präzisierungen in den
Raumordnungsgesetzen notwendig. Neue Instrumente
wären nicht erforderlich.
3SCHINDEGGER ebd., S. 162: „Raumplanung kann also in aller Regel nur Einfluss nehmen, wenn gebaut wird, nicht aber dass gebaut wird.“
(Hervorhebung F. SCHINDEGGER)
4Vgl. Andreas HAUER & Markus NUßBAUMER (2006, S. 5).
Welche INSTRUMENTE DER GESTALTUNG
haben Land, Regionalverbände und
Gemeinden?
Vorsorgefläche: Fläche, die in einem Sachpro-
gramm oder einem Regionalprogramm zur Flä-
chensicherung für bestimmte überörtliche Flä-
chennutzungsfunktionen ausgewiesen wird. Sie
schließt in der Regel konkurrierende Nutzungen
aus oder es ist eine Interessensabwägung
durchzuführen, bei der ein besonderes öffentli-
ches Interesse für eine andere Nutzung gegeben
ist. Solche Vorsorgeflächen können z. B. für Öko-
logie, Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe oder
Rohstoffabbau festgelegt werden.
Vorrangfläche: Vorrangflächen haben den Cha-
rakter von Zielen der Raumordnung und Landes-
planung. Es hat eine Abwägung zwischen ver-
schiedenen, an einen Raum gestellten Nut-
zungsansprüchen stattgefunden und es ist kein
weiterer Abwägungsspielraum gegeben. Es sind
nur solche Nutzungen in Vorrangflächen zuzu-
lassen, die der Zweckbestimmung der jeweiligen
Vorrangfunktion bzw. Vorrangfunktionen nicht
entgegenstehen (z. B. landwirtschaftliche Vor-
rangflächen, Vorrangflächen für die landschafts-
gebundene Erholungsnutzung, ökologische Vor-
rangflächen).
Landschafts- und Grüngürtel: Großräumig raum-
umschließendes System vegetationsbestimmter
Freiräume mit deutlichem räumlich-funktionalem
Zusammenhang (Grünraumsystem) im Umland
und innerhalb von größeren Siedlungsräumen.
Grünverbindung: Lineare Grünraumsysteme mit
einer Breite bis ca. 30 m (z. B. Heckenstruktur,
Allee, Allee inkl. Radweg, Baumzeile)
(nach Landesentwicklungsprogramm LEP 2003, S. 22f)
Foto: pixabay
INFOBOX
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RAUMPLANUNGSINSTRUMENTE
GESETZ
FORMALE INSTRUMENTE DER RAUMPLANUNG
Überörtliche Raumplanung Örtliche Raumplanung
Landesplanung Regionalplanung Gemeindeebene
(Planungsträger)
Raumplanungsgesetz
1969, i.d.F. der Novelle
LGBl. Nr. 38/2015
Landesraumordnungs-
plan
Entwicklungsprogramme
Entwicklungsprogramme
(Land)
Flächenwidmungsplan
Bebauungsplan
Teilbebauungsplan
Bebauungsrichtlinie
Raumordnungsgesetz
1969, i.d.F. der Novelle
LGBl. Nr. 136/2001
und
Gemeindeplanungs-
gesetz 1995, i.d.F. der
Novelle 85/2013
Überörtliche
Entwicklungsprogramme
Sachgebietsprogramm
Raumverträglichkeits -
prüfung
Regionale Entwicklungs-
programme (Land)
Örtliches Entwicklungskonzept
Flächenwidmungsplan
Bebauungsplan
(Integrierter Flächenwidmungs- und
Bebauungsplan)
Raumordnungsgesetz
2014, LGBl. Nr. 3/2015
Überörtliche
Raumordnungs-
programme; Raumord -
nungsprogramme für
Sachbereiche; Überört -
liche Raumordnungs- und
Entwicklungskonzepte
Regionale Raumord-
nungsprogramme (Land)
Örtliche Raumordnungsprogramme
(enthält Entwicklungskonzept und
Flächenwidmungsplan)
Bebauungsplan
Raumordnungsgesetz
1994, i.d.F. der Novelle
69/2015
Landesraumordnungs-
programm
Raumordnungsprogramm
für Sachbereiche
Regionale Raumord-
nungsprogramme (Land)
Entwicklungsleitbilder
und Interkommunale
Raumentwicklungskon-
zepte (Regionalverband)
Flächenwidmungsplan mit örtlichem
Entwicklungskonzept
Bebauungsplan
Raumordnungsgesetz
2009, i.d.F. der Novelle
106/2013
Landesentwicklungspro-
gramm
Sachprogramme
Regionalprogramme
(Regionalverband)
Räumliches Entwicklungskonzept
Flächenwidmungsplan
Bebauungsplan (Grund- und
Aufbaustufe)
Raumordnungsgesetz
2010, i.d.F. der Novelle
140/2014
Landesentwicklungspro-
gramm
Sachprogramme
Regionale Entwicklungs-
programme (Land)
Örtliches Entwicklungskonzept
Flächenwidmungsplan
Bebauungsplan
Raumordnungsgesetz
2011, i.d.F. der
Novelle 82/2015
Raumordnungsprogramm
Raumordnungsprogramm
für Einkaufszentren
Raumordnungspläne
Regionalprogramme
Regionalpläne
(Regionalverband)
Örtliches Raumordnungskonzept
Flächenwidmungsplan Bebauungs-
plan
Gesetz über die
Raumplanung 1996,
i.d.F. der Novelle LGBl.
Nr. 54/2015
Landesraumplan Räumliches Entwicklungskonzept
Flächenwidmungsplan
Bebauungsplan
Stadtentwicklungs-,
Stadtpla nungs- und
Baugesetzbuch
(Bauordnung für Wien)
1930, i.d.F. der Novelle
8/2015
(Stadtentwicklungsplan)
Anm.: nicht gesetzlich
normiert.
Flächenwidmungsplan
Bebauungsplan
Burgenland Land
Kärnten
Wien Vorarlberg Stmk. NÖ
OÖ
Tirol Salzburg
Tab. 1: Instrumente und Normen der Raumplanung in Österreich
Quelle: Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS)
Winterausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 4-2015
Oft werden auch die zersiedelten Landschaften Österreichs mit
geordneten Verhältnissen im Freistaat Bayern verglichen und
die unterschiedlichen Kompetenzzuordnungen als eine maß-
gebliche Ursache gesehen. „In Bayern sind die Dörfer wie Kuh-
fladen auf einer Wiese verteilt. In Österreich aber habe die Kuh Durchfall
gehabt, viele kleine Spritzer überzögen das Land“, so zitierte der Jour-
nalist Thomas Neuhold vor einigen Jahren im Standard den Salzburger
Gaisberg-Beauftragten Winfried Herbst. Dieser Vergleich wurde bei einer
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THEMA
Abb. 1: Siedlungsstrukturelle Unter-
schiede zwischen Bayern und Öster-
reich Fotos v. l.: pixabay; Franz Dollinger (3)
Der Wildwuchs im suburbanen Umland größerer Städte wird
von den meisten Menschen als hässlich empfunden. Zahlrei-
che Leserbriefe und Zeitungsbeiträge beklagen ziemlich ein-
heitlich „Zersiedelung“ und „Flächenfraß“ als Ergebnis einer
Raum-Unordnung. Als Ursache dafür werden meist eine über-
forderte Kommunalpolitik und eine realitätsferne oder rück-
gratlose Raumplanung angesehen. VON FRANZ DOLLINGER
Hallwang, Eugendorf, Seekir-
chen, Blick vom Gaisberg-
Rundwanderweg, 2010
Markt Garmisch-
Partenkirchen
Marktgemeinde Großarl, vom
Vorplatz der Pfarrkirche
gegen Norden, 2013
Bad Oberdorf in der
Gemeinde Bad Hindelang,
Allgäu, 2006
WIEVIEL
ORDNUNG
BRAUCHT
DER
RAUM?
„Die Raumplanung kann
zur Lebensraumsicherung
beitragen.“
Winterausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 4-2015
Kundgebung gegen die Trassenführung der 380 kV-Leitung über den
Gaisberg getroffen. Die Trasse wurde u. a. auch deshalb zur Diskussion
gestellt, weil aufgrund der starken Zersiedelung die Suche nach einem
siedlungsfreien Korridor eine unlösbare Aufgabe geworden ist (Abb. 1).
Dieser siedlungsstrukturelle Unterschied hat vielfache Ursachen,
wesentlich dafür ist jedoch eine sehr auffällige Diskrepanz zwischen der
subjektiven Wahrnehmung und der konkreten Handlung vieler Betroffe-
ner. Diese Diskrepanz wurde vom ORF-Moderator Tarek Leitner in her-
vorragender Weise in seiner Streitschrift „Mut zur Schönheit“ analysiert.
Er schildert darin die Scheußlichkeiten des Siedlungsbreis im suburba-
nen Raum anlässlich einer Wochenendfahrt von Wien ins Salzkammer-
gut. Er macht neben einer „verhaberten“ Kommunalpolitik und den
Investoren und Bauträgern hauptsächlich die bastelnden Häuslbauer
dafür verantwortlich, welche mit ihrer Heimwerkermentalität nicht nur
die Gartenzwergidyllen mit verursachten, sondern auch die peripheren
und autogerechten Standorte der zahlreichen Möbelhäuser und Bau-
märkte, da sie dort ihr Baumaterial für den Eigenbau bezögen.
Ordnung und Chaos im Raum
Allerdings fordert der Wunsch nach scharfen Siedlungsrändern im
Landschaftsbild auch zu Widerspruch auf: Die Natur selbst bildet – von
einzelnen Ausnahmen abgesehen – kaum Formen der vom Mathematik-
unterricht her bekannten (euklidischen) Geometrie aus, im Gegenteil, ein
begradigter Bachverlauf wird geradezu als technisch gestörtes Element
wahrgenommen. Ich frage mich daher, ob es nicht dem Kampf gegen
Windmühlen gleichkommt, wenn wir versuchen, den sog. Urban Sprawl1,
also die ungeregelte Ausbreitung von Siedlungsgebieten, einzudäm-
men.
Durch die fraktale Geometrie lassen sich hingegen nicht nur Küsten-
formen, Inseln, Gebirge und andere Landschaftselemente im Computer
modellieren, sondern auch Siedlungsstrukturen, wie anhand einer Dis-
sertation an der ETH Zürich vor vielen Jahren eindrucksvoll bewiesen
wurde2. Gerade eine Mischung aus gesteuertem und ungesteuertem
Wachstum erzeugt diese fraktalen Strukturen, erklärt die Autorin in ihrer
Arbeit. So gesehen relativieren sich die Beeinträchtigungen des Land-
schaftsbildes durch den Sprawl zumindest aus der landschaftsästheti-
schen Perspektive (vgl. Abb. 2).
19
RAUMORDNUNG UND RAUMPLANUNG
Abb. 2: Fraktale Siedlungsstrukturen:
International und im Land Salzburg;
gut erkennbar ist die Zersiedelung in
den Salzburger Gemeinden.
Linke Spalte: Fraktale Strukturen von
Rhein-Main, Paris und London; Rechte
Spalte: Bergheim, Hallwang, Elixhau-
sen, Koppl und Salzburg (Oben), See-
kirchen, Eugendorf und Henndorf (Mit-
te), Neumarkt und Straßwalchen
(Unten).
Quelle: ZIBELL 1995, S. 93 und SAGIS
Verbauungskartierung 2002/03.
„Es gibt eine auffällige Dis-
krepanz zwischen der subjek-
tiven Wahrnehmung und der
konkreten Handlung vieler
betroffener Menschen!“
Winterausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 4-2015
Die potemkinschen Dörfer der Raumplanung
an einem Beispiel aus Salzburg
Überörtliche Raumplanung
Die ersten verbindlichen Entwicklungspläne nach dem Salzburger
Raumordnungsgesetz (ROG) 1956 bzw. 1968 waren der Entwicklungsplan
„Wallersee“ (1965) und der Entwicklungsplan „Die Stadt Salzburg und
ihr Umland“ aus dem Jahre 1971. Bei beiden war nur der Plan verbindlich
und enthielt großräumige Ordnungsvorstellungen (vgl. Abb. 3).
Innerhalb des Autobahnringes wurde damals eine „Immissionsfreie
Zone“ festgelegt (vgl. Abb. 3). In dieser durfte keine Widmung für Gewer-
be- und Industriegebiete erfolgen. Der Entwicklungsplan war bis zum
Jahr 1999 in Rechtskraft. Als eine Gemeinde ein Gewerbegebiet nahe der
Tauern-Autobahn widmen wollte, stand dem die Festlegung dieser
„immissionsfreien Zone“ nördlich der Autobahn im Entwicklungsplan
entgegen. Um die Umwidmung aufsichtsbehördlich möglich zu machen,
wurde einfach per Verordnung der gesamte Bereich der Festlegung in
dieser Gemeinde aufgehoben. Hier tut sich überdies die Frage auf, wie
weitere gewerblich-industrielle Nutzungen in manchen Umlandgemein-
den außerhalb der gekennzeichneten Gebiete für Betriebsanlagen mög-
lich wurden. Ähnlich war die Situation mit dem heute auch außer Kraft
getretenen Entwicklungsprogramm Pongau aus dem Jahre 1986. Hier
wurden mehrfach überörtliche Siedlungsgrenzen anlassbezogen abge-
ändert.
Diese Praxis hat auch heute noch Tradition. Immer dann, wenn durch
einen überörtlichen Plan oder ein Programm eine kommunale Entwick-
lungsabsicht verhindert werden würde, wird das Problem durch eine
Änderung der Festlegung gelöst und nicht durch einen Verzicht auf die
Widmungsabsicht. Übrigens wurde dieser Lösungsweg auch beim
Regionalprogramm Salzburg Stadt und Umgebungsgemeinden gewählt,
um die Erweiterung der Betriebsstandorte der Firmen MACO/Porsche
(s. Seite 41) zu ermöglichen. Mit solchen anlassbezogenen Abänderun-
gen werden diese Festlegungen in der Praxis wirkungslos, das Programm
oder der Plan wird zur Fassade, zu einem potemkinschen Dorf eben,
reduziert. Tarek Leitner beschäftigt sich in seinem neuesten Buch (sie-
he S. 23) mit den gesellschaftlichen Ursachen für dieses Phänomen.
Örtliche (kommunale) Raumplanung
Unmittelbar erkennbar wird der potemkinsche Charakter jedoch bei
den Instrumenten der kommunalen Planung, insbesondere beim Flä-
chenwidmungsplan (FWP). Hier hat sich zwar seit der ROG-Reform 1992
eine Verbesserung der Situation ergeben, da der Paradigmenwechsel hin
zur bedarfsorientierten Raumplanung die Trugbilder unbebauter Bau-
landreserven beseitigte: Zuvor bestand nämlich die Situation, dass der
Flächenwidmungsplan darstellte, wie sich die Gemeinde eine kompakte
Siedlungsentwicklung unter Berücksichtigung mehrhundertjähriger Ent-
wicklungsreserven wünschte (vgl. Abb. 4: Seekirchen hatte vor der Über-
arbeitung des FWP eine Baulandreserve für ca. 300 Jahre). Da sich aber
niemand um die Verfügbarkeit der neu ausgewiesenen Flächen küm-
merte, blieb es beim Wunsch. Für die Gemeindepolitik war das aber kein
Problem. Es gab ja das Instrument der Einzelbewilligung nach § 19 ROG
(1977). Dieses wurde zwar eigentlich für hofweichende Erben aus der
Landwirtschaft eingeführt, um diesen ausnahmsweise den Hausbau auf
eigenem Grund und Boden zu ermöglichen. Es wurde jedoch von vielen
20
THEMA
Abb. 3: Immissionsfreie Zone um
die Stadtgemeinde Salzburg
Quelle: Ausschnitte aus dem
Entwicklungsplan „Die Stadt Salzburg und
ihr Umland“, Beilagenkarte.
Fußzeilen
1Der englische Ausdruck Urban Sprawl drückt aus meiner
Sicht die Situation besser aus als alle deutschsprachigen
Begriffe in diesem Umfeld vermögen.
2Vgl. Barbara ZIBELL (1995): Chaos als Ordnungsprinzip im
Städtebau. Ansätze zu einem neuen Planungsverständnis.
Zürich: (=ORL-Bericht 99/1995), S. 93f.
3DOUBEK, Claudia und Ulrike HIEBL (2001): Soziale Infrastruk-
tur, Aufgabenfelder der Gemeinden. Expertengutachten des
Österreichischen Instituts für Raumplanung (ÖIR). Wien:
(=ÖROK Schriftenreihe, Nr. 158), 86 S und
DOUBEK, Claudia und Gerhard ZANETTI unter Mitarbeit von
Gerhard BAYER et al. (1999): Siedlungsstruktur und öffentli-
che Haushalte. Wien: (= ÖROK-Schriftenreihe, Nr. 143),
122 S.
Winterausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 4-2015
Gemeinden als Hauptinstrument missbraucht – und damit für die Sied-
lungsstruktur zum Problem. Die Gemeinde hingegen konnte mit diesem
Instrument nach jeder Gemeinderatssitzung einen Teil ihrer Wähler-
schaft mit der Genehmigung ihrer Bauvorhaben beglücken. In der Folge
wurde diese Vorgangsweise ein großes Problem für die Betreiber von Lei-
tungsinfrastrukturen bzw. die Planung von Umfahrungsstraßen und
Hochleistungstrassen (HL) für die Eisenbahn. Die HL-Trasse zwischen
Attnang-Puchheim und Salzburg wurde de facto wegen einer Sied-
lungsentwicklung nach einer raumordnungspolitisch bedenklichen Aus-
nahmegenehmigung blockiert (vgl. Abb. 4).
Die Folgen der Zersiedelung
Sowohl in der Bevölkerung als auch unter Experten gilt die Zersiede-
lung der Landschaft zu Recht als das Raumordnungsproblem Nr. 1. Wäh-
rend bei Ersteren eine gewisse Diskrepanz zwischen Problemwahrneh-
mung und eigener Handlung besteht, sind den Experten die Folgen die-
ser Siedlungsstruktur bekannt: Hohe Kosten für die Erschließung, hohe
volkswirtschaftliche Kosten für die Verhinderung bzw. Verzögerung
wichtiger öffentlicher Projekte, Abhängigkeit vom PKW usw. Wie das
21
WIEVIEL ORDNUNG BRAUCHT DER RAUM?
Die Karte zeigt die unverbauten Bau-
landreserven 1995/96 in Gelb (mittler-
weile durch die Überarbeitung des Flä-
chenwidmungsplans nach dem ROG
1992 zum Großteil zurückgewidmet) und
die Verbauung im Jahr 2002/2003 in
Dunkelrot sowie den Verlauf der Ende
der Neunziger Jahre präsentierten Tras-
se für die Hochleistungsstrecke zwi-
schen Attnang-Puchheim und Salzburg
als rote Linie. Gut erkennbar ist auch die
disperse Siedlungsstruktur, die durch
die zahlreichen Einzelbewilligungen vor
1993 entstanden ist. Die Spitze des
roten Pfeils zeigt auf eine Baulandzun-
ge. Diese keilförmige Baulandfläche
wurde als Aufschließungsgebiet von der
Straße bis zum Waldrand gewidmet, um
eine ursprünglich abgelehnte Einzelbe-
willigung für ein Wohnhaus doch noch
zu ermöglichen. In einem Bauland-Auf-
schließungsgebiet konnte nach der
damaligen Rechtslage trotz fehlendem
Kanal eine Einzelbewilligung für ein
Haus mit Sickergrube erteilt werden
(sozusagen als Vorgriff auf eine beab-
sichtigte Verbauung). Anfang der
1990er Jahre begann die damalige
Hochleistungsstrecken AG (HL-AG) mit
der Planung einer Neubaustrecke zwi-
schen Salzburg und Attnang-Puchheim.
1997 erwarb die Land-Invest nach
erfolgter Verhandlungsfreigabe durch
die Aufsichtsbehörde Land das Auf-
schließungsgebiet. Die notwendige Auf-
schließung wurde hergestellt und es
wurde eine Reihenhaussiedlung errich-
tet. Als dann Ende der Neunziger Jahre
von der HL-AG die Vorschlagstrasse
präsentiert wurde, wandten sich die
Bewohner der nunmehrigen Riedlwald-
siedlung nachvollziehbarerweise gegen
diese Trasse.
Abb. 4: Seekirchen am Wallersee
(im Foto links außen): Bauland-
widmung 1995/96, Verbauung
2002/03 und der ursprünglich
geplante HL-Korridor im Bereich
des Ortes.
Siedlungserweiterung auf der „Grünen
Wiese“ wie hier im Pinzgau erzeugen
hohe Kosten auf allen Ebenen.
Foto: Referat Örtliche Raumplanung/Land Salzburg
Foto: Wolfgang Schruf
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Österreichische Institut für Raumplanung nämlich in zwei überaus
lesenswerten Studien3im Auftrag der Österreichischen Raumordnungs-
konferenz feststellte, kam dies der österreichischen Volkswirtschaft
sehr teuer zu stehen: Es wurde nachgewiesen, dass eine ungesteuerte
Siedlungsentwicklung zu Milliarden an Mehrkosten für die öffentlichen
Haushalte führt. Dabei werden diese Kosten für die technische Infra-
struktur bloß zu einem geringfügigen Teil von den Verursachern getra-
gen. Vielmehr tragen die Kosten zu mehr als 60 % die öffentliche Hand
(Bund, Länder und Gemeinden, wobei auf Letztere nur 16 % der Gesamt-
kosten entfallen). Noch deutlicher ist dies bei der sozialen Infrastruk-
tur: Von der Gesamtsumme der Kosten für Kinderbegleitdienste und
innergemeindliche Schülertransporte sowie Heimhilfebesuche tragen
82 % der Kosten Bund und Länder. Auf Gemeinden und Bürgerinnen ent-
fallen jeweils nur etwa 9 % der Kosten. Der Staat könnte daher auf so
manches Sparpaket verzichten, wenn er sich zu einer konsequenteren
Siedlungspolitik entschließen würde, ist die Lehre aus diesen beiden
Arbeiten.
22
zahlen & fakten zuM
flächenverbrauch in österreich
Trotz geringem Bevölkerungswachstum
(+1,4 % in den letzten 3 Jahren) steigt die
Flächeninanspruchnahme weiter stark
an, sowohl in den ländlichen als auch in
den stadtnahen Gebieten: +4,2 % in den
letzten 3 Jahren
Der tägliche Verbrauch für Siedlungs-
und Verkehrstätigkeit liegt bei 6,4 ha
(ohne Betriebsflächen) bzw. bei 15,2
ha/Tag (inkl. Betriebsflächen) und
die gesamte Flächeninanspruchnahme
(inkl. Sportflächen, Abbauflächen) bei
20,1 ha/Tag (Durchschnitt der Drei-Jah-
res-Periode 2010–2013) und damit noch
immer um das 8-fache über dem Redukti-
onsziel der Nachhaltigkeitsstrategie.
Nahezu 5.066 km² der österreichischen
Bundesfläche sind Bau- und Verkehrsflä-
chen (inkl. Betriebsflächen) bzw. 4.519
km² (ohne Betriebsflächen), davon sind
etwa 60 % versiegelt.
3/4 der mehr als 2 Mio. Gebäude in Öster-
reich sind Ein- und Zweifamilienhäuser.
45 % der fertiggestellten neuen Wohnun-
gen wurden 2011 als Ein- und Zweifami-
lienhäuser errichtet. Diese Wohnformen
benötigen im Vergleich zum Mehrfamili-
enbau oder anderen verdichteten Baufor-
men wesentlich mehr Fläche.
Quelle: www.umweltbundesamt.at/umweltsituati-
on/raumordnung/flchen-entw
Grafik: Quelle: Umweltbundes-
amt 2013: Zehnter Umwelt-
kontrollbericht.
„Ungesteuerte Siedlungs -
entwicklung kostet die
öffentlichen Haushalte
Milliarden.“
Foto: pixabay
Brandstätter Verlag
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Der Griff ins Grünland zur Schaffung neuer Baulandflächen ist aller-
dings immer noch erste Wahl in vielen Gemeinden. Viele Trends der letz-
ten Jahre zeigen, dass das Halten der Siedlungsaußengrenzen ein immer
schwieriger werdendes Unterfangen ist. Auch die Zukunft lässt in die-
sem Zusammenhang nichts Gutes erwarten.
Lösungsansatz
Wir brauchen eigentlich keine großen Reformen in der Raumord-
nungspolitik zum Schutz des Lebensraums. Die Raumplanung braucht
nicht mehr Instrumente, die vorhandenen würden durchaus genügen
eine restriktive Raumordnungspolitik umzusetzen. Nur trauen müssten
wir uns. Alles was wir brauchen, ist eine Aufklärung der Bevölkerung
und insbesondere der politisch Verantwortlichen in Regionen und
Gemeinden über die Zusammenhänge zwischen Siedlungsstruktur, Ver-
kehr, Flächenverbrauch und Umweltbelastungen (hierfür sind die beiden
Bücher von Tarek Leitner sehr hilfreich). Die Bevölkerung muss nämlich
selbst begreifen, dass die beklagte „Verschandelung der Landschaft“
nur dann gestoppt oder rückgeführt werden kann, wenn
Siedlungen konsequent nach innen verdichtet werden
(z. B. das Potenzial an leerstehenden Wohnungen bzw.
stillgelegten Betriebsgelände nutzen)
Bauland in peripherer Lage nur mehr sehr eingeschränkt
ausgewiesen wird
eine weitgehende Rückwidmung unbebauter, als Bauland
ausgewiesener Flächen erfolgen wird.
Wenn nicht, werden uns ohnehin die zu erwartenden globalen Verän-
derungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Energie-
wende zu sehr einschneidenden Maßnahmen zwingen. Je später, desto
einschneidender.
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WIEVIEL ORDNUNG BRAUCHT DER RAUM?
Text: Priv.-Doz. Dr. Franz Dollin-
ger, Amt der Salzburger Landesre-
gierung, Abt. Wohnen und Raum-
planung, Stabsstelle Raumfor-
schung und grenzüberschreitende
Raumplanung
franz.dollinger@salzburg.gv.at
Zum Autor: 2015 veröffentlichte der Autor einen Buch-
beitrag über die „Baustelle Raumplanung“ in Österreich.
Teile dieser Veröffentlichung wurden für diesen Beitrag
unverändert übernommen. Ziel ist es, darüber aufzuklä-
ren, dass eine Vielzahl undefinierter bzw. unterschiedlich
definierter Begriffe im Umfeld von Raumordnung und
Raumplanung durchaus als eine wesentliche Ursache für
das Systemversagen in der Raumordnung gesehen werden
kann.
www.bodenfreiheit.at
Glückliche Orte.
Und warum wir sie
erschaffen sollten.
Tarek Leitner. 2015,
216 Seiten, Hardco-
ver, ISBN 978-3-
85033-923-0,
€ 22,50
Streitschrift gegen
die Verschandelung
Österreichs
Tarek Leitner. 2012,
208 Seiten, ISBN 978 3
85033 659 8, € 22,50
Damit der Landfraß wie hier in Annaberg
(Salzburg) eingedämmt werden kann,
muss der Bevölkerung und den Kommu-
nalpolitikern klargemacht werden, dass
2/3 der Kosten auf der Öffentlichen
Hand lasten.
Foto: Referat Örtliche Raumplanung/Land Salzburg
Winterausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 4-2015
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Foto: Gerhard Egger
Mit dem Flächenwidmungsplan werden jedoch nur die zukünfti-
gen Nutzungsmöglichkeiten des Grundstückseigentümers ein-
geschränkt. Aktuelle Nutzungen können unverändert beibe-
halten werden. Diese Tatsache rückt im Unterschied zu vielen natur-
schutzrechtlichen Festlegungen die Grundeigentümer in eine für sie
sehr angenehme Lage: Wenn eine Gemeinde ein landwirtschaftlich
genutztes Grundstück in Bauland umwidmet, kann der Eigentümer
das Grundstück weiter nutzen und trotzdem die Wertsteigerung in
Form eines Hypothekardarlehens lukrieren . Im Idealfall (für die Eigen-
tümer) kann er seine Baulandreserven je nach jährlichem Geldbedarf
parzellenweise verscherbeln. Erst ein zukünftiger Eigentümer wäre an
die getroffene Nutzungsfestlegung gebunden und das auch nur
dann, wenn er dort ein Bauwerk errichten möchte.
Die „überörtliche Raumplanung“ kann die Entscheidungsfreiheit der
Gemeinde allerdings dann einschränken, wenn es aus überörtlichem
Interesse her geboten ist (z. B. zur Sicherung von Rohstoffreserven,
zum Schutz vor Naturgefahren, zur Freihaltung unbebauter Korridore
aus landschaftsästhetischen oder lufthygienischen Gründen). Aus
diesem Grunde ist die Festlegung von Vorrang- und Vorbehaltsflä-
chen mit überörtlicher Begründung die einzige wirksame Möglichkeit
zur Freiraumsicherung. Dabei kann die Landesregierung durch die
Erlassung eines überörtlichen Raumordnungsprogramms (Entwick-
lungsprogramm nach dem Salzburger ROG 2009) zum Beispiel eine
überörtliche Siedlungsgrenze einziehen, bestimmte Nutzungen aus
bestimmten Flächen ausschließen (=Vorbehaltsfläche) oder auch
eine vorrangige Nutzung durchsetzen (=Vorrangfläche). Verfas-
sungsrechtlich ist eine Begründung mit fachlicher Analyse für die
Festlegung notwendig.
Leider werden diese Festlegungen von den Landwirten und deren
regionalen politischen Vertretern als Eingriff in das Privateigentum
missverstanden. Hier zeichnet sich allerdings ein Wertewandel von
„oben“ ab: Die Präsidialkonferenz der Landwirtschaftskammern
kooperiert mit der Versicherungswirtschaft gegen den aktuellen Ver-
lust landwirtschaftlicher Böden und fordert in der Bodencharta 2014
einen nachhaltigen Schutz der Ressource Boden (siehe Seite 27).
ÖKOLOGIE UND NATURSCHUTZ
IN DER RAUMPLANUNG
Die örtliche Raumplanung hat die
Aufgabe eine zukünftige Nutzung
für bestimmte Flächen eines
Gemeindegebietes im Flächenwid-
mungsplan festzulegen. Bei „über-
örtlichem“ Interesse wie etwa öko-
logischen Gründen kann die „über-
örtliche Raumplanung“ die Ent-
scheidungsfreiheit der Gemeinde
einschränken. Festgelegte Vor-
rang- und Vorbehaltsflächen spie-
len dabei eine wichtige Rolle. Dies
wird besonders vonseiten der
Landwirtschaft als Eingriff in das
Privateigentum gesehen.
VON FRANZ DOLLINGER
Die Bedeutung von Trittsteinbiotopen,
wie dieses inmitten einer Ackerland-
schaft, Vorbehaltsflächen für Wildtierkor-
ridore oder Vorrangflächen für Hoch -
wässer werden vielfach unterschätzt.