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Populäre Irrtümer in Sachen Psychologie

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PSYCHOLOGIE ALS METIER
Populäre Irrtümer in
Sachen Psychologie
Wie Psychologinnen und Psychologen mit falschen
Vorstellungen über ihr Berufsbild aufräumen können
Psychologie räumt jeden Konikt aus
dem Weg. Aber auch: Gute Psycholo-
gie ist, wenn die Mitarbeitenden tun,
was sie gar nicht möchten. Weit ver-
breitete Irrtümer und was man ihnen
entgegensetzen kann.
HENRIETTE HAAS
Nicht nur im Privatleben, sondern auch im Beruf müs-
sen wir Psychologinnen und Psychologen oft populäre
Irrtümer über unsere Wissenschaft und unsern Beruf
klarstellen. Selbst unter Fachleuten anderer Diszip-
linen sind Illusionen und falsche Darstellungen weit
verbreitet: Sie fallen fast alle in die Kategorie der ko-
gnitiven Verzerrungen. Dabei kommt der Band wagon-
Eekt ins Spiel. Wenn fast alle so denken, dann muss
es wohl stimmen.
Die eigene Subjektivität als Modell
Die Wiege aller Irrtümer ist zweifellos die egozentri-
sche Weltsicht derer, die sich selber zum Modell des
einzig richtigen psychologischen Funktionierens
auauen. Man nennt es den illusionären Überlegen-
heits-Bias oder auch den blinden Fleck. Schon die
Bibel warnte davor: «Warum siehst du den Splitter im
Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge
bemerkst du nicht?» (Matthäus 7,3). Ein Journalist be-
lehrte eine Psychotherapeutin, dass Selbstreflexion
und Aulärung über die eigene Familiengeschichte
überhaupt nichts bringe, er schrieb ihr: «Deshalb be-
schäftige ich mich, und zwar sehr bewusst, kaum mit
mir selber und meinen Vorfahren. Das wären r mich
narzisstische Spielchen.»
In den gleichen Topf gehört auch die Annahme,
dass es r die psychische Gesundheit nicht genüge,
arbeits- und liebeshig zu sein, sondern dass jede und
jeder nach einer gewissen Zeit über alles, was ihn oder
sie innerlich bewegt, «hinwegkommen können müsse».
Dieses Argument zeugt von mangelnder Empathie r
die Individualität und die Sorgen anderer. Mit einer di-
rekten Entlarvung solcher egozentrischen Weltbilder
würde man sich aber kaum Freunde schaen. Deshalb
ist man besser beraten, darauf hinzuweisen, dass dank
psychologischer Forschung herausgefunden wurde,
wie unterschiedlich die Menschen in ihrem Funktio-
nieren sind und dass es nicht eine «optimale Persön-
lichkeit» oder ein «optimales Funktionieren» gibt. Die-
ses wissenschaftliche Ergebnis ist unumstritten und
weltweit durch Tausende von Studien belegt. Jedes In-
dividuum packt die Dinge anders an, hat andere Wer-
te und besondere Fähigkeiten respektive Schwächen.
Ausserdem verarbeitet jede Person ihre Erlebnisse in-
dividuell – sonst wären die Menschen gleichgeschaltet
und hohl wie im Roman und im gleichnamigen Scien-
ce-Fiction-Film Die Frauen von Stepford.
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Psychologie als «gesunder Menschenverstand»
Weiter meinen viele Leute, Psychologie müsse man
nicht studieren, es genüge der «gesunde Menschen-
verstand». So wähnen sich viele als psychologische
Experten kraft ihrer Lebens- und Berufserfahrung. Sie
hängen der Illusion nach, sie seien ganz besonders
behigt, Wahrhaftigkeit und Täuschungen gut ausei-
nanderzuhalten. Auch diese Annahme ist empirisch
widerlegt, und zwar gerade auch r Fachpersonen aus
Psychologie, Polizei und Justiz, wie mehrere Studien
aufzeigten. Einige ehemalige Psychotherapie-Patien-
tinnen und -Patienten glauben, diese Erfahrung qualifi-
ziere sie fortan als psychologische Fachperson und sie
versuchen sich bei jeder Gelegenheit in der Hobbypsy-
chotherapie. Typischerweise neigen selbsternannte
Psychologinnen und Psychologen zu krassen Verein-
fachungen und interpretieren Emotionen, Verhalten
und Motive anderer immer auf dem Hintergrund einer
impliziten von ihnen selbst entworfenen «Logik».
Psychologie als Instrument der Manipulation
Auf der Teppichetage hört man zuweilen die Meinung,
«gute Psychologie» sei eine Ansammlung von Tricks,
um Menschen zu manipulieren. Die, die das fordern,
sind sich der ethischen und politischen Implikatio-
nen einer solchen Art von «Psychologie» überhaupt
nicht bewusst. Ein früherer Chef erwartete von mir,
dass ich die Mitarbeitenden meines Teams psycholo-
gisch beeinflusse: «Gute Psychologie ist es, die Mit-
arbeitenden dazu zu bringen, dass sie das tun, was sie
gar nicht wollen.» Ich hielt ihm entgegen, dass sich
die akademische Psychologie aus ethischen Gründen
nicht damit beschäftige, wie man den Willen von Men-
schen brechen oder umgehen könnte. Die bekannten
Gehorsamkeits-Experimente der US-amerikanischen
Psychologen Stanley Milgram und Philip Zimbardo
(Stanford-Prison-Experiment) haben gezeigt, dass es
mit Hilfe von Macht, Täuschung und Autorität gelin-
gen kann, Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, das
sie im Grunde ihres Wesens nicht möchten. Um die-
se Mechanismen auszubeuten, braucht man kein Psy-
chologiestudium, sie sind seit Jahrtausenden bekannt.
Zudem gehrden sie die psychische Gesundheit der
Betroenen.
Psychologie muss Harmonie schaen
Privat und beruflich wird die Erwartung an uns getra-
gen, «kompetente» Psychologinnen und Psychologen
müssten überall Harmonie schaen. Wir sollten zu-
dem r alles und jeden Verständnis auringen, mit al-
len gut auskommen und uns überall anpassen. Darüber
hinaus meinen viele, dass wir in der Lage seien, jegli-
che Konflikte – sowohl unter Dritten als auch unter uns
selber und anderen Personen – zu verhindern respek-
tive sie sofort aufzulösen. Diese Ansicht verkennt das
wirkliche Wesen von Macht und Interessenkonflikten.
Wäre es möglich, sie «psychologisch» aufzulösen, wä-
ren die meisten Probleme aus der Welt geschat. Man
müsste nur eine Psychologin auf jeden Diktator anset-
zen. Das Justizwesen könnten wir auflösen und in die
Hände von Psychotherapeuten legen. Auch politische
Parteien wären nicht mehr nötig, denn man nde im-
mer einen Konsens – die ganze Gesellschaft bende
sich permanent in einer Art Familientherapie.
Die Angst, «durchschaut» zu werden
Die irrationale Angst vor dem vermeintlichen «Rönt-
genblick» der Psychologinnen und Psychologen wird
in der Regel nicht oen geäussert, sondern sie zeigt
sich einerseits in einem unverständlichen Sticheln
gegen uns oder unser Fach oder andererseits in ei-
ner übertriebenen Ablehnung eines Gesprächsthemas.
Kommen wir in eine solche Situation, können wir ver-
suchen, den Irrtum beiläufig zu korrigieren. Richtig
ist: Psychologinnen und Psychologen vergen über
keinen Röntgenblick. Unser Hilfsmittel, das empathi-
sche Zuhören, ist konzentrierte Arbeit und erfordert
die Kooperation des Gegenübers. Folglich funktionie-
ren diagnostische und therapeutische Methoden nur
bei Leuten, die sich dem unterziehen wollen. Um zu
einer Diagnose zu kommen, müssen wir genau wie die
Medizinerinnen und Mediziner zuerst eine gründliche
Anamnese und einen Befund erheben. Solange sich die
Patienten und Patientinnen nicht «abziehen» wie in der
Arztpraxis, haben wir schlicht zu wenige Informationen.
Die Psychologie als letztmögliches Mittel
Psychologinnen und Psychologen werden als Teil einer
«sozialen Feuerwehr» gesehen, die im Notfall ausrückt,
wenn überhaupt nichts mehr geht. In der Arbeitswelt
werden psychologische Fachkräfte nicht selten erst
dann eingeschaltet, wenn alles schon zu vertrackt ist,
Psychoscope 2/2016 PSYCHOLOGIE ALS METIER
Wäre es möglich,
Konikte «psycho-
logisch» aufzulösen,
wären die meisten
Probleme aus der Welt
geschat.
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um noch gütlich gelöst zu werden. Hier sind wir gut
beraten, Aufträge zurückzuweisen, indem wir erklären,
dass es r eine psychologische Intervention zu spät
sei, sie hätte früher erfolgen sollen, um eine Wirkung
zu zeigen. Die Anfragenden können auf den Rechtsweg
oder an die jeweilige vorgesetzte Ansprechperson in-
nerhalb der Hierarchie verwiesen werden. Besonders
ungemütlich wird es, wenn Vorgesetzte uns beauftra-
gen, Gelligkeits-Zeugnisse oder -Berichte auszustel-
len, um eine missliche Situation zu bewältigen oder
zu entschuldigen. Die Hintergedanken werden natür-
lich nie oen deklariert, aber «ungellige», das heisst
fachlich korrekte Berichte hren unweigerlich zu Kri-
tik und schlechten Arbeits-Evaluationen. Dazu werden
diverse Vorwände herangezogen. Solche Missbräuche
sind meistens institutioneller Natur: Das Problem liegt
nicht bloss bei der direkt vorgesetzten Person, sondern
geht die ganze Hierarchie hinauf bis zur Politik oder
zur Betriebsleitung, die eine billige Pseudolösung als
Fassade anstrebt. Diese Missbräuche treten häufig dort
auf, wo es um Sicherheitsmassnahmen geht, die relativ
teuer sind, wenn sie wirksam sein sollen. Gerade weil
das Problem im System selbst liegt, können wir uns in-
dividuell kaum gegen solche Missstände wehren. Der
beste Schutz besteht darin, dass wir uns r heikle Auf-
gaben, beispielsweise bei der Arbeit mit Delinquenten,
nur von Institutionen anstellen lassen, deren Arbeit
auf speziellen gesetzlichen Grundlagen basieren, wel-
che die Autonomie der Fachpersonen gegenüber po-
litischer und bürokratischer Einmischung garantieren.
Beispiele r solche gut geregelten Arbeitsbereiche
sind die Medizin (Arztgeheimnis), die Universitäten
(Lehr- und Forschungsfreiheit), die Kirchen (Seelsor-
gegeheimnis) und die Staatsanwaltschaften und Ge-
richte (Gewaltentrennung).
Im Kampf gegen Windmühlen
Im Widerstand gegen all diese Denkfehler kommen
wir Psychologinnen und Psychologen uns manchmal
vor wie Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpft.
Ein Grund r die Popularität der Illusionen über sich
selber und über das Wesen der Psychologie liegt darin,
dass sie als rhetorische Kampfmittel ausserordentlich
praktisch sind. Nicht selten beinhalten «populärpsy-
chologische» Argumente als solche schon einen ver-
steckten verbalen Missbrauch. Dies macht es schwer,
die Scheinargumente zu entkräften. Werden wir mit
ihnen konfrontiert, sind wir oft perplex und wissen im
ersten Moment nichts zu erwidern. Man hat schlicht
Hemmungen, sein Gegenüber mit einer Vorlesung über
akademische Psychologie und Berufsethik zu belehren
und damit möglicherweise zu kränken. Wie reagieren
wir in einer solchen Situation richtig? Indem wir uns
verbal selbst verteidigen (siehe Textkasten).
Und wenn alles nicht weiterhilft, nützt vielleicht
Humor. Dem anmassenden Journalisten, der Selbst-
reflexion als Nabelschau bezeichnet, könnte man ent-
gegnen: «Ich hoe sehr, dass Ihre ‹sehr bewusste› Ent-
scheidung nicht etwa aufgrund reiflicher Überlegung
zustande gekommen ist, denn dann wäre sie ja womög-
lich ein narzisstisches Spielchen.»
Psychoscope 2/2016 PSYCHOLOGIE ALS METIER
VERBALE SELBSTVERTEIDIGUNG
Scheinargumente
entkräften
Wir müssen lernen, uns «verbal selbst zu
verteidigen». An dieser Stelle einige Antworten
auf Angrie, um den Ball flach zu halten, aus
dem Buch
Work
der US-amerikanischen Autorin Suzette
Work der US-amerikanischen Autorin Suzette Work
Haden Elgin. Die Antworten sind immer zwei
-
teilig. Zuerst kommt eine mehr oder minder
subtile Relativierung, danach kann man gege
-
benenfalls einige der genannten Ergebnisse
der akademischen Psychologie aushren.
«Viele Leute denken wie Sie.» (Aber...)
«Das ist aber interessant, woher haben Sie
diese Information?»
«Diese Position scheint Sie sehr zu beschäf
-
«Diese Position scheint Sie sehr zu beschäf-«Diese Position scheint Sie sehr zu beschäf
tigen.»
«Was Sie nicht sagen!»
«Was möchten Sie mir denn damit mitteilen?»
«Das ist Ihre Meinung, ich teile sie nicht.»
DIE AUTORIN
Henriette Haas ist Titularprofessorin für
Forensische Psychologie an der Univer-
sität Zürich. Sie ist Fachpsychologin für
Psychotherapie und Rechtspsychologie
FSP und unterrichtet Forensische Psy-
chologie für Staatsanwälte und Richte-
rinnen an der Universität Luzern.
LITERATUR
Haden Elgin, S. (2000). The Gentle Art of
Verbal Self-Defense at Work. New York:
Prentice Hall Press.
Vrij, A. (2008). Detecting Lies and Deceit.
Pitfalls and Opportunities. Chichester,
West Sussex, UK: John Wiley.
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