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Die Eröffnungsgründe der InsO: Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

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Der Aufsatz beschäftigt sich mit der Legaldefinitionen der Gründe zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, zeigt mit einem einfachen Beispiel die Überschneidungen zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und macht einige Verbesserungsvorschläge.
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ZInsO-AufsätzeZInsO 3/2017 61
I. Normzweck und Konzeptionen
In der KO von 1877 hieß es, dass bei einer AG, bei der nur
das Vermögen des Kapitalvereins hafte, neben der Zahlungs-
unfähigkeit die Überschuldung als Voraussetzung für eine
Verfahrenseröffnung zuzulassen sei: Die Gläubiger sollten
nicht darauf verwiesen werden, sich zu gedulden, bis auch
die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten sei.
1 Es
bestand die Erwartung, dass sich eine Vermögensunzuläng-
lichkeit zeitlich vor der Zahlungsunfähigkeit dokumentiere
und dass diese frühere zeitliche Terminierung wegen der
Haftungsbeschränkung und des damit einhergehenden höhe-
ren Gläubigerrisikos erwünscht sei.
2 Die Diskussion um eine
operable Messung von Überschuldung ist kurvenreich. In-
tensiv wurden verschiedene Konzeptionen der Messung von
Vermögen diskutiert: Ist Vermögen unter der Liquidations-
oder der Fortführungsprämisse zu bewerten und wer soll ent-
scheiden, welche Prämisse als relevant zu gelten hat?
3
K.Schmidt hat die breite Diskussion durch seinen Lösungs-
vorschlag verdichtet. Sein Vorschlag lautet: Überschuldung
liege vor, wenn eine mit der Sorgfalt eines ordentlichen Ge-
schäftsleiters erstellte Finanz- und Erfolgsplanung die pros-
pektive Liquidität nicht gewährleistet erscheinen lässt und
das Vermögen im Liquidationsfall die Schulden nicht decken
würde.
4 Beide Bedingungen müssen erfüllt sein, um den In-
solvenzgrund Überschuldung zu erfüllen.
Die Kommission für Insolvenzrecht formulierte ebenfalls
zwei Bedingungen: (1) Das Vermögen der Gesellschaft, be-
wertet zu Liquidationswerten, deckt die bestehenden Ver-
bindlichkeiten nicht (rechnerische Überschuldung) und
(2)die mittels Plan-Gewinn- und Verlust-Rechnung geprüfte
Ertragsfähigkeit ist weder gewährleistet noch in absehbarer
Zeit herstellbar.
5 Den Kern der Regelung sieht die KfI in der
Erhaltung eines die Gläubigeransprüche schützenden Ver-
mögens und entscheidet sich, dieses zu Liquidationswerten
zu bewerten.
6 Weil diese Bewertungsvorgabe eine vor dem
Hintergrund der Eigenkapitalausstattung der Gesellschaften
zu harte Regelung sei, soll das zweite Prüfelement Milde-
rung bewirken: Schuldner, die ausgeglichene Plan-GuV-
Rechnungen für eine „absehbare Zeit“ und damit „Ertrags-
fähigkeit“ signalisieren, sollen auch bei rechnerischer
Vermögensunterdeckung nicht als überschuldet gelten.
Sowohl die KO als auch die KfI umschifften das Problem,
Fortführungsvermögen rechnerisch abzubilden. K. Schmidt
bietet als Ausweg an, die prospektive Liquidität zu messen,
also auf die Messung und Darstellung eines Fortführungs-
vermögens ganz zu verzichten.
7
Die von K. Schmidt vorgelegte Konzeption wurde vom BGH
1992
8 übernommen. Es heißt dort: „Nach zutreffender
neuerer Erkenntnis kann von einer Überschuldung im Sinne
ZInsO-Aufsätze
Eröffnungsgründe: drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
von Professor Dr. Dr. h.c. Jochen Drukarczyk
* , Regensburg und Professor Dr. Andreas Schüler
** , München
der Regeln nur dann gesprochen werden, wenn das Vermö-
gen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten
unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden
Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische Überschuldung)
und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender
Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des
Unternehmens ausreicht (Überlebens- oder Fortführungs-
prognose). Es gilt mithin ein zweistu ger Überschuldungs-
begriff.“
Der Gesetzgeber der InsO übernimmt diese Konzeption zu-
nächst nicht. §19 Abs.2 InsO a.F. setzt auf Stufe 1 auf eine
Zahlungsfähigkeitsprognose, die sich nach h.M. über etwa
2Jahre erstrecken soll. Das Ergebnis dieser Prognose be-
stimmt dann, ob auf Stufe 2 die Bewertung des Vermögens
zu Liquidations- oder zu Fortführungswerten erfolgen soll.
9
Das FMStG 10 ändert– zunächst befristet dann entfristet– die
De nition der Überschuldung in § 19 Abs. 2 InsO n.F.
„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuld-
ners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es
sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den
Umständen überwiegend wahrscheinlich.“
11
* Professor emeritus an der Universität Regensburg.
** Professor an der Universität der Bundeswehr, München.
1 Vgl. Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 1881,
S.390.
2 Ob sich die Idee des früheren zeitlichen Eintritts realisieren lässt, hängt
insbesondere von den Messregeln ab, die den Unternehmenszustand „Über-
schuldung“ abbilden sollen.
3 Vgl. etwa Überblicke bei K. Schmidt, AG 1978, 334, 340; Egner/Wolff, AG
1978, 101, 105; Drukarczyk, ZGR 1979, 553, 560; MünchKomm-InsO/
Drukarczyk/Schüler, 3.Au . 2013, §19 Rn.15– 57; Drukarczyk, FS Ball-
wieser, 2014, S.95, 110– 112.
4 Vgl. K. Schmidt, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch
Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht, Gut-
achten D für den 54. DJT, 1982, S.61– 64; ders., Wege zum Insolvenzrecht
der Unternehmen, 1990, 50– 57 (1982a), S.64.
5 Vgl. KfI, 1985, S.111– 115. Auf die Prognose der Ertragsfähigkeit soll es
dann nicht mehr ankommen, wenn eine gemäß den GoB erstellte Handels-
bilanz ausweist, dass das bilanzielle Eigenkapital durch Verluste aufgezehrt
ist.
6 Die KfI wollte so der Diskussion um zielkonforme Going-concern-Werte
aus dem Weg gehen. KfI, 1985, S.113.
7 Zuerst in AG 1978, 334, 338; JZ 1982, 165, 170, 171. Der Lösungsvor-
schlag von K. Schmidt gewinnt an Durchschlagskraft je weniger es gelingt,
eine zweckkonforme (und justitiable) Abbildung von Fortführungsvermö-
gen zu realisieren. Vgl. hierzu unten S.64 f.
8 BGH, Urt. v. 13.7.1992– II ZR 269/91, ZIP 1992, 1382.
9 Vgl. zur Interpretation etwa Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13.Au . 2010,
§19 Rn.5– 22; Drukarczyk/Schüler, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung,
2009, Kap. 2, Rn. 92 – 110; MünchKomm-InsO/Drukarczyk/Schüler
(Fn.3), §19 Rn.43– 50.
10 Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Fi-
nanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz) v. 18.10.2008.
11 Vgl. Art.5 FMStG.
Mit freundlicher Genehmigung von Wolters Kluwer
ZInsO-Aufsätze62 ZInsO 3/2017
In der Begründung heißt es, die Neufassung solle das völlig
unbefriedigende Ergebnis vermeiden, dass Unternehmen we-
gen bilanzieller Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stel-
len hätten, obwohl eine positive Fortführungsprognose gestellt
werden könne.
12 §19 Abs.2 InsO n.F. knüpfe daher am modi-
zierten zweistu gen Überschuldungsbegriff an, den der
BGH bis zum Inkrafttreten der InsO vertreten habe. Man muss
dies als Revision der früheren Sichtweise interpretieren.
Die neue Fassung von §19 Abs.2 InsO enthält zwei Prüfele-
mente: (1) Deckt das Vermögen die bestehenden Verbindlich-
keiten und (2) ist die Fortführung im Sinne der Zahlungsfä-
higkeit während einer zu de nierenden Prognoseperiode
überwiegend wahrscheinlich? Wenn Prüfelement (2) positiv
beantwortet wird, kommt es auf das Ergebnis bei Prüfele-
ment(1) nicht mehr an. Das Prüfverfahren ist dann einstu g.
Ist die Antwort auf Prüfelement (2) negativ, betritt Prüfele-
ment (1) die Szene. Die Begründung ist, dass das negative
Ergebnis der Prüfung zu Element (2) keinen Anlass liefert,
die Ansprüche von Gläubigern als gefährdet einzustufen,
wenn das Liquidationsvermögen zum Zeitpunkt der Prüfung
die Verbindlichkeiten zu eben diesem Zeitpunkt übersteigt.
Auf den ersten Blick scheint eine zweistu ge Prüfregel vor-
zuliegen, die sowohl für den Fall der Liquidation als auch den
Fall der Fortführung eine Gefährdung der Gläubigeransprü-
che aufzeigen kann. Der Schein wird matter, wenn sich zei-
gen lässt, dass die beiden als eigenständig gewollten Prüfele-
mente empirisch aufs engste miteinander verknüpft sind,
womit die intendierte Zweistu gkeit verloren geht. Ergibt
sich nämlich, dass ein negatives Ergebnis der Fortführungs-
prognose zugleich bedeutet, dass die rechnerische Überschul-
dung dann bereits vorliegt, folgt die Frage, ob und ggf. wie
sich die Überprüfung des Elements (2) von der Überprüfung,
ob drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.v. §18 Abs.2 InsO vor-
liegt, unterscheidet. Es ist erforderlich, dass sich klar erkenn-
bare Unterschiede herausarbeiten lassen, da diesen beiden Er-
öffnungsgründen unterschiedliche Funktionen zugeschrieben
werden und sie unterschiedliche Rechtsfolgen haben.
Die Formulierung des §19 Abs.2 InsO a.F. verlangte, dass
auch ein positives Ergebnis der Prüfung der Zahlungsfähig-
keit im Prüfzeitraum von einem Vergleich von Vermögen und
Verbindlichkeiten zu begleiten sei, wobei das Vermögen in-
dessen als „Fortführungsvermögen“ zu konzipieren sei. Diese
Forderung erscheint dann sinnvoll, wenn man kein volles Ver-
trauen in das Prüfergebnis zu Element (2), also der etwa zwei-
jährigen Zahlungsfähigkeitsprognose hat, und deshalb eine
zweite eigenständige Prüfung ansetzt, die das erste Ergebnis
bestätigen oder verwerfen können muss. Diese zweite Prü-
fung ist nicht etwa redundant, wie Egner/Wolff und mit ihnen
Teile der Literatur vermuteten, sondern vielmehr als Härtetest
zu interpretieren für das Ergebnis der Prüfung zu Element (2).
Kern des Problems ist, ob diese zweite Prüfung konzeptionell
geeignet und in justiziabler Weise umsetzbar ist.
II. Fragestellung
Zahlungsunfähigkeit gilt als unverzichtbarer aber zu spät
wirkender Eröffnungsgrund. Wie die Insolvenzstatistik zeigt,
weisen fast 50% der Insolvenzfälle Zahlungsunfähigkeit als
einzigen Eröffnungsgrund aus. In 46% der Fälle liegen Zah-
lungsunfähigkeit und Überschuldung gemeinsam vor, was
indessen nicht über die zeitliche Reihenfolge informiert, in
der sich die beiden Eröffnungsgründe konkretisieren. Fälle,
die ausschließlich auf dem Eröffnungsgrund Überschuldung
basieren, machen nur 3,7% aller Fälle aus. Dass Eröffnungs-
gründe zu spät wirken, kann mit dem Liquidationsbias, sehr
hohen Verlusten der Gläubiger und einer bescheidenen,
wenn auch leicht steigenden Restrukturierungsquote belegt
werden.
Wünschenswert sind nach h.M. Eröffnungsgründe, die frü-
here Verfahrenseintritte erzwingen oder jedenfalls ermögli-
chen. Hierzu bedarf es Prognosen der Zahlungsunfähigkeit.
Diese Prognosen können prinzipiell zahlungsorientiert oder
auch vermögensorientiert erfolgen, wobei wir Vermögen
nicht als bilanziell abbildbare und bewertete Summe von
Vermögensgegenständen verstehen, sondern als Barwerte
künftiger (zu präzisierender) Zahlungsüberschüsse.
Wir setzen im Folgenden zwei Annahmen: Erstens bleibt der
Liquidationswert des Vermögens unbeachtet. Zweitens ent-
halten die folgenden, einfach gehaltenen Beispiele keine
Steuerzahlungen. Die Ausschaltung des Liquidationswerts
ist zu begründen, wo doch §19 Abs.2 InsO n.F. das Prüfele-
ment (1) rechnerische Überschuldung am Vergleich von be-
stehenden Verbindlichkeiten mit dem Liquidationsvermögen
der schuldnerischen Gesellschaft festmacht. Wir verteidigen
die Außerachtlassung des Liquidationsvermögens mit der
begründeten These, dass Gesellschaften, die in einem nach
h.M. etwa zweiperiodigen Prognosezeitraum mit überwie-
gender Wahrscheinlichkeit nicht auffüllbare  nanzielle De-
zite feststellen, über keine freien, beleihbaren Vermögens-
gegenstände mehr verfügen und daher vor dem Hintergrund
regelmäßig vorliegender ungesicherter Kredite generell
rechnerisch überschuldet sind. Prüfelement (1) ist somit em-
pirisch nicht bedeutungsvoll.
Die Ausblendung von Steuerzahlungen erfolgt aus Vereinfa-
chungsgründen. Wir geben zu, dass diese Vereinfachung
nicht harmlos ist, weil steuerliche Regelungen in der Realität
immer auf Höhe und Struktur der Cash ows zurückwirken
und damit immer eine die Zahlungsfähigkeit beein ussende
Größe sind.
III. Abbildungsformen für künftige Zahlungs-
unfähigkeit
1. Startpunkt: ein einfaches Beispiel
Wir beginnen mit einem einfachen Beispiel, anhand dessen
Daten wir unterschiedliche Abbildungsformen für künftige
Zahlungsunfähigkeit darstellen werden.
12 Die Begründung impliziert, dass gemäß der alten Fassung von §19 Abs.2
InsO das Fortführungsvermögen auf bilanziellem Wege hätte hergeleitet
werden können (oder sollen), was, wie man weiß, nicht möglich ist.
ZInsO-AufsätzeZInsO 3/2017 63
Für ein Unternehmen mit haftungsbeschränkter Rechtsform
soll im Zeitpunkt t = 0 geprüft werden, ob eine Verfahrens-
eröffnung gestützt auf drohende Zahlungsunfähigkeit be-
gründet ist. Das Unternehmen ist in t = 0 verschuldet. Der
Nominalwert des unbesicherten Kredits in t = 0 ist 27,5. Der
Zins beträgt 6%. Der Kreditvertrag sieht vor, dass die Rück-
führung des Kredits in zwei Annuitäten i.H.v. je 15 erfolgen
soll. Die Planungsperiode beträgt 2 Jahre. Im Zeitpunkt 0
bereits erwirtschaftete Zahlungsüberschüsse gelten als be-
reits ausgeschüttet. Freies liquidierbares Vermögen liegt we-
der in t = 0 noch in den späteren Perioden vor.
Abb. 1 bildet die erwarteten Cash ows nach Abzug von  -
nanzierbaren Zins- und Tilgungszahlungen ab; diese erwar-
teten Cash ows können, da sie nach Kapitaldienst also als
Restgröße ausgewiesen werden, prinzipiell als entziehbar
angesehen werden. Abb. 1 scheint insoweit Dividendenfä-
higkeit bzw. einen positiven Ertragswert oder Wert des
Eigenkapitals zu versprechen.
Abb. 1: erwartete Cash ows nach Abzug von Zins- und Til-
gungszahlungen
Eine Darstellung gemäß Abb. 1 ist nicht geeignet, eine künf-
tige Zahlungsunfähigkeit erkennbar werden zu lassen, weil
sie das Zahlungsverhalten und das faktische Zahlungsver-
mögen der Gesellschaft nicht zeigt. Um dieses erkennbar
zu machen, muss die Cash ow- Verteilung im Planungszeit-
raum dargelegt werden. Im Beispiel herrscht Unsicherheit,
wie die Formulierung „erwartete Cash ows“ bereits nahe-
legt: Im Planjahr t = 1 sind zwei Umweltzustände (Szena-
rien) möglich, an die sich im Planjahr t = 2 jeweils zwei
weitere Umweltzustände anschließen. Die subjektive Ein-
trittswahrscheinlichkeit des jeweils besseren, einen höheren
Cash ow verheißenden Szenarios (Up-Szenario) sei 0,55,
die des anderen Szenarios (Down-Szenario) jeweils 0,45.
Abb. 2 bildet die Cash ow-Verteilung im Zweiperiodenzeit-
raum bei Eigen nanzierung ab. Diese nämlich ist das Netz
an  nanziellen Ergebnissen, aus denen Zins- und Tilgungs-
leistungen zu leisten sind. Unter Beachtung der Eintritts-
wahrscheinlichkeiten lassen sich die erwarteten Cash ows
bei Eigen nanzierung berechnen.
Wie schon gesagt, ist der Kredit in zwei Annuitäten von je
15 zurückzuführen: In t = 1 sind Zinsen von 1,7 und eine Til-
gung von 13,3, in t = 2 sind Zinsen von 0,8 und eine Til-
gungsleistung von 14,2 zu leisten.
Drohende Zahlungsunfähigkeit gem. §18 InsO liegt nicht
vor, wenn man den Verweis auf die voraussichtliche Un-
fähigkeit, eine bestehende Zahlungsp icht zu erfüllen, so
interpretiert, dass diese überwiegend wahrscheinlich sein
muss, was die Literatur so versteht, dass die Wahrschein-
lichkeit größer als 0,5 sein muss. Das ist sie im Beispiel
weder zum Zeitpunkt 1 (0,45) noch zum Zeitpunkt 2 (0,45
0,45).
Auch Überschuldung gem. §19 Abs.2 InsO n.F. liegt nicht
vor, weil auch hier vorgetragen werden kann, dass die Fort-
führung überwiegend wahrscheinlich ist.
Im Zustand 2 der Periode 1 ist das Unternehmen indessen
zahlungsunfähig. Gem. §15a Abs.1 InsO ist ein Eröffnungs-
antrag durch das Management der Gesellschaft zu stellen.
Im Zustand 4 der Periode 2 liegt ebenfalls Zahlungsunfähig-
keit vor. Ein Antrag erübrigt sich, wenn das Leben des Unter-
nehmens ohnehin in t = 2 beendet wäre.
Das Beispiel soll als Startpunkt für die Suche nach einer De-
nition eines verteidigbaren Eröffnungsgrundes dienen, wo-
bei auch die Frage interessiert, ob eine frühere Auslösung,
gestützt auf dieses Kriterium gelingt. Wir unterscheiden den
zahlungsorientierten und den am Barwert von Zahlungen
orientierten Eröffnungsgrund für ein Verfahren. Prognose-
horizont und unterstellte Lebensdauer des Unternehmens
von zwei Perioden stimmen überein.
2. De nition 1a: der erwartete Cash ow bei
Eigen nanzierung ist kleiner als der vertrags-
konforme Kapitaldienst
Man könnte die erwarteten Cash ows bei Eigen nanzierung
als Kern des Schuldendeckungspotenzials sehen
13 und des-
halb De nition 1a für problemkonform halten. Abb. 2 zeigt,
dass (aus Sicht von t = 0) das Kriterium in t = 1 erfüllt ist,
dass aber in t = 2 ein hoher erwarteter Überschuss des erwar-
Abb. 2: Cash ows bei Eigen nanzierung
13 Diese Sicht ist verteidigbar, solange Steuerzahlungen ausgeblendet sind.
Werden Steuerzahlungen berücksichtigt, schrumpft das Schuldendeckungs-
potenzial um die bei Eigen nanzierung zu zahlenden Steuern und steigt um
die durch den Einsatz von Fremdkapital erzielten Steuerersparnisse.
ZInsO-Aufsätze64 ZInsO 3/2017
teten Cash ows bei Eigen nanzierung über den zu leisten-
den Kapitaldienst (15) vorliegt. Wären Gläubiger, von denen
wir annehmen, dass sie nur über erwartete Zahlungen Infor-
mationen besitzen, bereit, in t = 1 die nicht erbrachte Til-
gungsleistung [13,3 - (5,6 - 1,7) = 9,4] verzinslich zu stun-
den, könnte der Eröffnungsgrund für am Erwartungswert der
Zahlungen bei Eigen nanzierung orientierte Financiers ent-
fallen: In t = 2 erwarten die Gläubiger 15 + 9,4 · 1,06 = 24,96
zu erhalten, also eine Zahlung, die kleiner ist als der erwar-
tete Cash ow in t = 2 bei Eigen nanzierung (28,3). Diese
Lösung setzt eine Verhandlung mit dem (den) Gläubiger(n)
voraus, die auch außerhalb eines Verfahrens statt nden
könnte, und einen positiven Ausgang der Verhandlung, die
zustande kommen kann, wenn der Gläubiger lediglich Infor-
mationen über erwartete Zahlungen besitzt, die Details des
in Abb. 2 aufgespannten Zahlungsnetzes also nicht kennt.
Aus Sicht von t = 1 sieht der Sachverhalt hingegen so aus:
Tritt Zustand 1 ein, kann der Kapitaldienst in t = 2 geleistet
werden. Tritt Zustand 2 ein, kann die Einwilligung des Gläu-
bigers zur Fortführung durch die Eigentümer nicht gewon-
nen werden, weil der erwartete Cash ow 11,3
14 beträgt und
deutlich kleiner ist als der Anspruch des Gläubigers in t = 2,
der sich auf 24,96 beläuft.
15 Aus Sicht von Zustand 2 in t =
1 liegt erwartete Zahlungsunfähigkeit im Sinne von De ni-
tion 1a vor.
Man erkennt eine Eigenschaft der De nition 1a, die man als
Schwäche bezeichnen kann. Obwohl sich das Zahlungsnetz
des Beispiels im Zeitablauf nicht verändert, liegt aus der
Sicht von t = 0 kein Eröffnungsgrund vor, soweit die oben
angenommene Verhandlung mit dem Gläubiger Erfolg hätte.
Aus der Sicht von t = 1, Zustand 2 liegt der Eröffnungsgrund
dagegen vor, obwohl der Zeitablauf einen Wissenszuwachs
nicht erbracht hat. Der zeitliche Übergang von t = 0 auf t =
1 hat die bekannte Lage für den Gläubiger lediglich zuge-
spitzt. Die Ursache des „Konsistenzsprunges“ oder des feh-
lenden Weitblicks des Kriteriums liegt darin, dass die oben
für den Zeitpunkt 1 unterstellte Verhandlung mit dem nur
über die Erwartungswerte informierten Gläubiger den
Schuldner mit hinter dem Erwartungswert von 28,3 verdeck-
ten Cash ows argumentieren lässt, die dem Gläubiger ge-
mäß Kreditvertrag überhaupt nicht und in einem Insolvenz-
verfahren erst dann zustehen, wenn der Gläubiger die
Entscheidungsrechte übernommen hätte. Der Gläubiger hat
keine Chance, in Zustand 1 in t = 2 den Betrag von 63 zu ver-
einnahmen (oder in Zustand 2 in t = 2 den Betrag von 16,8).
Solange er im Gläubigerstatus verharrt, stehen ihm Zahlun-
gen von 15 zu. Den Betrag von 15 übersteigende Cash ows
ießen hingegen an die Eigentümer.
Dieses für den Gläubiger unwillkommene Ereignis ließe sich
vermeiden, wenn der (oder die) Gläubiger im Wege der oben
skizzierten Verhandlung nicht in der Gläubigerposition ver-
harrten, sondern zustandsabhängige Ansprüche durchsetz-
ten. Sie müssten eine eigentümerähnliche Position z.B. im
Rahmen eines Debt-Equity-Swap einnehmen,
16 der ihnen
Zugriffsrechte auf die Cash ows verschaffte, die Nur-Gläu-
bigern auf Basis des bestehenden Vertrags nicht zustehen.
3. De nition 1b: der Unternehmensgesamtwert
ist kleiner als der Nominalwert des Fremd-
kapitals
Wir benötigen einige Parameter zur Berechnung des Unter-
nehmensgesamtwerts. Wir beschränken uns auf das Nötigs-
te: Die Bewertung erfolgt anhand risikoadjustierter Barwert-
faktoren (RABF). Der gesamte Wert einer Position zu einem
Zeitpunkt t ergibt sich aus der Summe der mit RABF bewer-
teten und dieser Position zustehenden zustandsabhängigen
Zahlungen. Details, einschließlich der unterstellten Annah-
men hinsichtlich des unterstellten Risikopreises und der re-
levanten Risikomenge, interessieren hier nicht.
17 Wir gehen
davon aus, dass Cash ows im Up-Szenario mit dem Faktor
0,37736 und Cash ows im Down-Szenario mit dem Faktor
0,56604 bewertet werden.
Der Unternehmensgesamtwert (28,7) übersteigt den Nomi-
nalwert des Fremdkapitals (27,5) in t = 0.
18 Ein Eröffnungs-
grund im Sinne der De nition 1b liegt zum Zeitpunkt 0 nicht
vor. Für den Schuldner besteht somit kein Anlass zur Antrag-
stellung. Ein Gläubiger könnte keinen begründeten Antrag
stellen.
Betrachten wir den Zeitpunkt t = 1. Der Nominalwert des
Fremdkapitals in t = 1 entspricht dem Nominalwert in t = 0
(27,5) aufgezinst mit 6% auf t = 1, abzgl. der in t = 1 zu leis-
tenden Annuitäten (15) und beträgt 14,2. Der Barwert des
Cash ows, also der Unternehmensgesamtwert in t = 1, be-
trägt aus der Sicht des Zustands 1, 33,3.
19 Der zustandsab-
hängige Unternehmensgesamtwert übersteigt den Nominal-
wert des Fremdkapitals.
Anders in Zustand 2: Der Betrag des zu tilgenden Fremdka-
pitals beträgt im Zustand 2 der Periode 1 23,6,
20 dem steht
der zustandsabhängige Unternehmensgesamtwert i.H.v. 8,9
21
gegenüber. De nition 1b ist erfüllt, was den Gläubiger in-
dessen nicht mehr schützt. Sein Verlust ist nicht mehr kom-
pensierbar. Dass zu diesem Zeitpunkt auch Zahlungsunfä-
higkeit besteht, unterstreicht, dass Verlustvermeidungsstra-
tegien mittels des Kriteriums 1b zu spät ausgelöst werden.
Mit De nition 1b gelingt keine Vorverlegung des Auslöse-
zeitpunkts. Ursache ist, dass die dem Nominalwert des
Fremdkapitals gegenübergestellte Größe, der (zustandsab-
hängige) Unternehmensgesamtwert, Cash ows re ektiert,
die nicht den Gläubigern, sondern den Eigentümern zuste-
hen. Auf diese wird der Gläubiger auch in einem Insolvenz-
verfahren nicht zugreifen können. Die Cash ows von 63
14 11,3 = 16,8 · 0,55 + 4,5 · 0,45.
15 24,96 = 15 + (15– 1,7– (5,6– 1,7)) 1,06.
16 Vgl. z.B. Drukarczyk, NZI 2015, 110; Schüler/Dirschedl, DBW 2016, 353.
17 Vgl. hierzu z.B. Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 2016,
Kap.3.
18 28,7 = 21  0,37736 + 5,6  0,56604 + 63  0,37736 + 2  16,8  0,37736 
0,56604 + 4,5  0,56604.
19 33,3 = 63  0,37736 + 16,8  0,56604; vgl. Abb. 2.
20 23,6 = 15– 5,6 + 15 · 1,06-1.
21 8,9 = 16,8  0,37736 + 4,5  0,56604; vgl. Abb. 2.
ZInsO-AufsätzeZInsO 3/2017 65
bzw. 16,8 in t = 2 sind für Gläubiger nicht erreichbar, sind
aber in den Unternehmensgesamtwerten in t = 0 und t = 1,
Zustand 1 re ektiert. Der Unternehmensgesamtwert als Be-
zugsgröße spiegelt also in t = 0 ein Schutzvolumen vor, das
für Gläubiger wegen des fehlenden Eröffnungsgrundes nicht
erreichbar ist.
22 Anders ausgedrückt: Der Barwert der den
Eigentümern zu ießenden Cash ows, also der Wert des
Eigenkapitals, steht den Gläubigern im Beispiel nicht zur
Verfügung. Die Aussage, ein Unternehmensgesamtwert, der
den Nominalwert der Verbindlichkeiten übersteige, rechtfer-
tige keine Verfahrenseröffnung, ist somit nicht probleman-
gemessen.
23 Das Auslösekriterium 1b funktioniert nämlich
erst dann, wenn der Wert des Eigenkapitals auf null gefallen
ist. Das aber bedeutet, dass der Wert des Fremdkapitals
schon deutlich unter dem Nominalwert der Ansprüche des
Gläubigers liegt. Abb. 3 verdeutlicht, dass die bei positiver
Entwicklung der Gesellschaft erwarteten Cash ows der
Eigentümer zwar den Unternehmensgesamtwert erhöhen,
aber nicht in den Verfügungsbereich der Gläubiger gelangen
können, weil im Zeitpunkt 0 kein Eröffnungsgrund im Sinne
der De nition 1b zur Verfügung steht. Ein Rückgriff auf den
Unternehmensgesamtwert erscheint insoweit für die Kons-
truktion eines Eröffnungsgrundes nicht empfehlenswert.
Abb. 3: Zahlungen an Gläubiger und Eigentümer ohne Ver-
fahrenseröffnung
4. De nition 2a: der erwartete Kapitaldienst
ist kleiner als der vertragskonforme Kapital-
dienst
Hinter der De nition 2a steht der Versuch, sich auf die er-
warteten Cash ows zu konzentrieren, die allein den Gläubi-
gern bei Fortführung zu ießen würden, um diese den ver-
tragskonformen Leistungen gegenüber zu stellen.
24
Der vertragskonforme Kapitaldienst beträgt 15. Für beide
Planjahre ist der erwartete Kapitaldienst mit 10,8 in t = 1 und
12,9 in t = 2 kleiner. Ein Eröffnungsgrund in t = 0 liegt vor.
25
De nition 2a hat den Vorteil, dass der erwartete Kapital-
dienst der Gläubiger alle Ausprägungen der Gläubigern zu-
ießenden Zahlungen einschließlich ihrer Wahrscheinlich-
keiten erfasst. Sie hat den Nachteil, dass sie mit der Formu-
lierung der Rechtsvorschriften nicht wirklich harmoniert:
§19 Abs.2 InsO stellt auf die „überwiegende Wahrschein-
lichkeit“ ab, die für die Fortführung spricht und damit den
Eröffnungsgrund in t = 0 als nicht gegeben ausweist. Erst in
t = 1, Zustand 2 läge gemäß dieser Formulierung ein Eröff-
nungsgrund vor. §18 InsO spricht von „Voraussichtlichkeit“,
die in der Literatur als gegeben angesehen wird, wenn mehr
für als gegen die künftige Zahlungsfähigkeit spricht. Das Ab-
stellen auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit, die der Ge-
setzgeber klar präferiert, gestattet der Gesellschaft im Bei-
spiel, für den Gläubiger recht unheilsame Entwicklungen
mithilfe des über die Antragsp icht entscheidenden Krite-
riums aus den weiteren Überlegungen auszublenden.
5. De nition 2b: der Marktwert des Fremd-
kapitals ist kleiner als der Nominalwert des
Fremdkapitals
Diese De nition schließt– wie De nition 2a nicht den
Gläubigern zu ießende Cash ows vom Eintritt in die De -
nition des Eröffnungsgrundes aus. Der Wert des Eigenkapi-
tals, verstanden als Differenz zwischen Unternehmensge-
samtwert und Marktwert des Fremdkapitals, hat keine
Auswirkungen auf den Eröffnungsgrund. Im Zeitpunkt 0 ist
der Nominalwert des Fremdkapitals 27,5; der Marktwert des
Fremdkapitals im Zeitpunkt 0, bewertet mit den o.g. RABF,
beträgt 18,8 und bleibt somit hinter dem Nominalwert zu-
rück.
26 Der Eröffnungsgrund i.S.v. 2b liegt vor. Wie Abb. 4
belegt, berechnet sich der Marktwert des Fremdkapitals
(18,8) als Differenz zwischen dem Unternehmensgesamt-
wert (28,7) und dem Wert der den Eigentümern zu ießenden
Cash ows (9,9), wenn es nicht zu einer Eröffnung des Ver-
fahrens käme. Der Wert des Eigenkapitals ist somit für die
Wirkung dieses Eröffnungsgrundes bedeutungslos.
Nicht bedeutungslos ist ein positiver Wert des Eigenkapitals
im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Er zeigt an, dass und
wie viele Zugeständnisse in Form von abtretbaren Cash ows
Eigentümer den Gläubigern machen könnten, um deren No-
minalforderungen zumindest teilweise glattzustellen.
Im Rahmen der bisher diskutierten De nitionen schneidet
2b– ebenso wie 2a– nicht schlecht ab. Sie erlaubt eine be-
gründete Verfahrenseröffnung in t = 0, greift das gesamte für
Gläubiger relevante Geschehen des zweiperiodigen Pla-
nungszeitraumes ab und erlaubt den Eigentümern Gläubi-
gern im Zeitpunkt 0, also nach Eröffnung des Verfahrens
Cash ows anzubieten, die die Wertdifferenz zwischen No-
minalwert und Marktwert des Fremdkapitals (8,7) ausglei-
22 Vgl. hierzu Schüler, KSI 2015, 5 und ausführlich Drukarczyk, FS Baums,
2017 (erscheint demnächst).
23 Dies haben die Autoren dieses Beitrags in der Vergangenheit übersehen.
Vgl. z.B. Dukarczyk/Schüler, KS 2009, 28 Rn.152; Drukarczyk (Fn. 3),
S.95, 115.
24 Wir gehen nicht auf das Problem ein, dass sich ein vom Gläubiger antizi-
piertes Ausfallrisiko auf die Höhe des vereinbarten Verschuldungszinssat-
zes auswirken wird und der vertragskonforme Kapitaldienst schon aus die-
sem Grund über dem vom Gläubiger erwarteten Kapitaldienst liegen kann.
Vgl. etwa Drukarczyk/Schüler (Fn.17), Kap. 13.
25 Auch in t = 2 Zustand 2 läge ein Eröffnungsgrund vor: Der erwartete Kapi-
taldienst von 10,3 ist kleiner als der vertragskonforme, der sich um die in
t= 1 nicht erfolgte Tilgungsleistung erhöhte.
26 18,8 = 15 · 0,37736 + 5,6 · 0,56604 + 15 · 0,37736 + 2 · 15 · 0,37736 ·
0,56604 + 4,5 · 0,56604.
ZInsO-Aufsätze66 ZInsO 3/2017
chen.
27 Sollen Eigentümer in einem Insolvenzverfahren aus-
gleichsfähig sein, muss– von Bareinzahlungen der Eigentü-
mer abgesehen– der Wert des Eigenkapitals zum Zeitpunkt
der Verfahrenseröffnung positiv sein.
28 Benötigt werden
brauchbare Diskontierungssätze, um die Marktwerte der
Fremdkapitalansprüche zu berechnen.
Nun kann der Marktwert des Fremdkapitals den Nominal-
wert auch unterschreiten, ohne dass die Wertdifferenz auf
ein erhöhtes Ausfallrisiko zurückzuführen ist. Als Beispiel
dienen kann ein während der Vertragslaufzeit gefallener ri-
sikoloser Basiszins oder ein bereits zu Vertragsbeginn zu
niedrig angesetzter Vertragszinssatz. Ein Durchschlagen
dieser Effekte auf das Kriterium 2b sollte ausgeschaltet
werden.
Abb. 4: Barwerte der Zahlungen an Gläubiger und Eigen-
tümer ohne Verfahrenseröffnung 29
6. De nition 3a: der im Prüfzeitpunkt (Vergabe-
zeitpunkt) erwartete Kapitaldienst ist kleiner
als der während der Kreditlaufzeit erwartete
Kapitaldienst
Diese De nition stellt auf zwei Zeitpunkte ab, zu denen
unterschiedliche Informationsstände über das Zahlungsver-
mögen des Schuldners vorliegen. Hier sind insbesondere im
Zeitablauf schwankende Ausfallrisiken von Bedeutung.
Während die empirische Relevanz des Sachverhalts gegeben
ist, stößt eine justiziable Umsetzung auf nahezu unüberwind-
bare Widerstände.
7. De nition 3b: der aktuelle Marktwert des
Fremdkapitals ist kleiner als der Barwert des
bei Kreditvergabe erwarteten Kapitaldienstes
Hier sind vom Informationsstand abhängige, und damit zu
unterschiedlichen Zeitpunkten erstellte Barwerte von Fremd-
kapitalansprüchen zu vergleichen. Die Einschätzung ist der
zu 3a nicht unähnlich: Eine realitätsnahe Lösung stößt auf
das Problem nachweisbare und gegen nachträgliche Ände-
rungen geschützte Positionsbeschreibungen zu schaffen und
Änderungen der Marktwerte ausschließlich auf diejenigen
zu begrenzen, die durch das (sich ändernde) Zahlungsver-
mögen des Schuldners ausgelöst sind. An der Praktikabilität
fehlt es dann.
IV. Folgerungen
(1) Wir vertreten die These, dass die Prüfung der „rechneri-
schen Überschuldung“ in §19 Abs.2 InsO, also des Prü-
fungselementes (1), in der Realität bedeutungslos ist, weil
haftungsbeschränkte Unternehmen, die für einen zweiperio-
digen Prognosezeitraum überwiegend wahrscheinliche Zah-
lungsunfähigkeit erwarten, generell rechnerisch überschul-
det sind, weil alle besicherungsfähigen Vermögensgegen-
stände mit Sicherungsansprüchen belegt sind und neben
gesicherten immer auch ungesicherte Gläubiger bestehen.
Finanzielle Deckungslücken können somit mit (neuen) ge-
sicherten Krediten nicht gefüllt werden; ungesicherte Kredi-
te werden von rationalen Gläubigern nicht mehr gewährt.
Eine Folge ist, dass die Prüfung, ob Überschuldung bzw.
drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, zu identischen Er-
gebnissen führt.
30 Es liegen dann zwar in der Benennung ab-
weichende, aber technisch identische Eröffnungsgründe vor,
obwohl die Rechtsfolgen unterschiedlich sind.
31 Auch nimmt
die Identität dem Eröffnungsgrund „drohende Zahlungsun-
fähigkeit“ die Vorzüge, die der Gesetzgeber mit ihm errei-
chen wollte.
(2) Die Prüfung, ob Zahlungsfähigkeit vorliegt oder nicht,
sollte nicht in einem Kalkül bestehen, das auf Ergebnisgrö-
ßen erwarteter , den Eigentümern zu ießender Cash ows
oder auf deren Barwert, den Wert des Eigenkapitals abstellt.
Die Berechnung von Erwartungswerten der den Eigentü-
mern zu ießenden Zahlungen verdeckt das bestehende Risi-
ko für Gläubiger. Die Vermutung, ein positiver Wert des
Eigenkapitals verhieße zugleich risikolose Positionen für
Gläubiger, ist nicht begründet.
(3) Die De nitionen 1a und 1b haben einen gemeinsamen
Mangel, der darin besteht, dass das Eröffnungskriterium in
Form des erwarteten Cash ows bei Eigen nanzierung bzw.
des Unternehmensgesamtwerts Cash ows bzw. deren Markt-
wert einbeziehen, auf die Gläubiger keine Zugriffsrechte ha-
ben, solange sie in der Gläubigerposition verharren. Beide
Kriterien spiegeln Gläubigern ein Schutzpolster vor, das sie
im Ernstfall nicht schützt.
(4) Überraschend wenig Hilfe hat man vom Einsatz der Ver-
mögensde nition im Sinne des Unternehmensgesamtwerts
27 Z.B. durch ein Zahlungsversprechen, das den Gläubigern 0,918% der für
t= 2, Zustand 1 erwarteten Cash ows der Eigentümer zuspricht. Es folgt
0,918 (19,1 + 6) * 0,37706 = 8,7.
28 Der Marktwert des Fremdkapitals kann den Nominalwert auch aus Grün-
den unterschreiten, die nichts mit einem veränderten Ausfallrisiko zu tun
haben. Ein Ansteigen des risikolosen Zinssatzes kann als Beispiel gelten.
29 Die eingerahmten Zahlen stellen die (mit RABF berechneten) zustandsab-
hängigen Barwerte dar.
30 Vgl. hierzu ausführlich Drukarczyk (Fn.22).
31 Vgl. etwa Fenske, AG 1997, 559; Penzlin, NZG 2000, 468, 469; Böcker/
Poertzgen, GmbHR 2008, 1292, 1294; Hölzle, ZIP 2008, 2003, 2005;
Poertzgen, ZInsO 2009, 401, 404; Drukarczyk (Fn.3), S.95, 113– 114.
ZInsO-AufsätzeZInsO 3/2017 67
zu erwarten (De nition 1b). Der Unternehmensgesamtwert
enthält immer auch den Wert des Eigenkapitals und die Aus-
sage, ein Unternehmensgesamtwert, der den Nominalwert
der Verbindlichkeiten übersteige, rechtfertige keinen Eröff-
nungsgrund, ist nicht problemangemessen. Er impliziert
nämlich, dass der Wert des Eigenkapitals eine Schutzfunk-
tion für Gläubiger darstelle, und dass ein Eröffnungsgrund
erst dann greifen müsse, wenn der Unternehmensgesamtwert
unter den Nominalwert der Verbindlichkeiten sinke und das
Schutzpolster somit aufgezehrt sei. Diese Denkweise über-
sieht, dass der Marktwert der Verbindlichkeiten bereits ge-
schmälert ist, lange bevor der Wert des Eigenkapitals gegen
Null driftet. Eröffnungsgründe, die erst dann greifen, wenn
der Wert des Eigenkapitals aufgezehrt ist, sind generell ver-
spätet, weil die Eigentümer (abgesehen von eher seltenen
neuen Einzahlungen) über nichts mehr verfügen, mit dem sie
die bereits eingetretenen Schädigungen des Gläubigers aus-
gleichen könnten.
(5) Zu vergleichen ist das, was den Gläubigern voraussicht-
lich zu ießt, mit dem was ihnen zusteht. Das ist der Inhalt
von De nition 2a. Nach dieser ist der erwartete Kapital-
dienst dem vertragskonformen Kapitaldienst gegenüberzu-
stellen. Dies steht nicht im Einklang mit der Konzeption des
Gesetzgebers, für den die überwiegende Wahrscheinlichkeit
eines Ereignisses im Vordergrund steht. Die (komplementä-
re) nicht überwiegende Wahrscheinlichkeit bleibt einschließ-
lich ihrer  nanziellen Folgen, wie schwerwiegend diese für
Gläubiger auch sein mögen, unbeachtet. Diese Sichtweise
sollte überdacht werden.
(6) Ob eine zahlungsorientierte oder eine barwertorientierte
Prüfung statt nden sollte, ist diskussionswürdig. Im Beispiel
ist die Antizipationsfähigkeit von De nition 2a und 2b ver-
gleichbar. Die Barwertorientierung scheint auf den ersten
Blick den Vorteil zu haben, die potenziellen Schäden der
Gläubiger, die auszugleichen sind, bereits zu beziffern. Die
Barwertorientierung enthält allerdings immer die Diskussio-
nen auslösende Frage nach den problemangemessenen Dis-
kontierungssätzen. Auf diese Diskussion kann man im Inte-
resse der Rechtssicherheit verzichten.
(7) Wir sehen De nition 2a, die den erwarteten Kapitaldienst
mit dem vertragskonformen Kapitaldienst für einen etwa
zweiperiodigen Prognosezeitraum vergleicht, als brauchbar
an für die Prüfung, ob „drohende Zahlungsunfähigkeit“ vor-
liegt. De nition 2b, die dem Nominalwert des Fremdkapitals
den Marktwert des Fremdkapitals gegenüberstellt, kann als
eine ökonomische Form der Überschuldungsprüfung ange-
sehen werden. Beide De nitionen unterscheiden sich durch
die in 2b erforderliche Diskontierung und den für die Markt-
wertberechnung des Fremdkapitals i.d.R. benötigte, oft deut-
lich längere Prognoseperiode. Aus Praktikabilitätsgründen
wird man den Prognosehorizont begrenzen müssen, womit
die am Barwert orientierten Lösungen i.d.R. ausscheiden.
Will man an dem Eröffnungsgrund „Überschuldung“ fest-
halten, ist der derzeitige Zustand, der keine erkennbare Dif-
ferenzierung zur „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ erlaubt,
auf Dauer wohl kaum haltbar. Eine Lösung könnte darin be-
stehen, ausgehend vom Eröffnungsgrund „drohende Zah-
lungsunfähigkeit“ im Sinne von De nition 2a, ggf. ein zwei-
tes an Zahlungsfähigkeit orientiertes Prüfelement (z.B. mit
längerer zeitlicher Reichweite und u.U. angereichert durch
weitere Restriktionen) zu entwickeln, das den Tatbestand der
„Überschuldung“ erfüllen könnte und verhindert, dass der
gewollte zeitliche Vorsprung des fakultativen Eröffnungs-
grundes „drohende Zahlungsunfähigkeit“ verloren geht.
Überschuldung wäre dann unverändert de niert als „Unver-
mögen zur Schuldendeckung“
32 im Sinne von fehlender Zah-
lungsfähigkeit in einem längeren Zeitraum.
32 Vgl. hierzu bereits Moxter, Handwörterbuch der Finanzwirtschaft 1976,
Sp.636.
Keine Unterscheidung zwischen vorläu ger Eigenverwaltung und Regelinsolvenz-
verfahren mit vorläu gem Insolvenzverwalter bei §55 Abs.4 InsO
von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Insolvenzrecht Dr. Nikolai Weber, Stuttgart
*
Der Vorschrift des §55 Abs. 4 InsO scheint ein gewisses Kon iktpotenzial „in die Wiege gelegt“ zu sein. War die Norm
bereits bei ihrer Einführung äußert umstritten
1 und warf auch in der Folgezeit mehr Probleme auf als sie Lösungen brach-
te, 2 entzündete sich anlässlich der mit der durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v.
7.12.2011 („ESUG“) erfolgten Stärkung der Eigenverwaltung ein Streit darüber, ob die Norm im Rahmen der in diesem
* Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht bei der Ernst & Young Law GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, Stuttgart.
1 S. hierzu nur etwa Marotzke, ZInsO 2010, 2163ff.; Zimmer, ZInsO 2010, 2299ff.; Kahlert, DStR 2011, 921ff.; Smid, DZWIR 2011, 133ff.; Onusseit, ZInsO
2011, 641ff.; Nawroth, ZInsO 2011, 107ff.; Sinz/Oppermann, DB 2011, 2185ff.; Heinze, ZInsO 2011, 603ff.; Gundlach/Rautmann, DStR 2011, 82ff.; Ren-
nert-Bergenthal/Dähling, ZInsO 2011, 1922ff.; Bauer, ZInsO 2010, 1917ff.; Stapper, ZInsO 2010, 1880f.; Sterzinger, BB 2011, 1367ff.; Pape, ZInsO 2010,
2155ff.
2 S. etwa den Überblick bei Krüger, ZInsO 2015, 613, 616f.; speziell zur Frage des Verhältnisses zwischen §55 Abs.4 InsO und §13b Abs.2 Nr.2 UStG bei der
Verwertung von Sicherungsgut im vorläu gen Insolvenzverfahren s. Weber/Hiller, ZInsO 2014, 2555ff.
Article
Full-text available
Zusammenfassung Der Beitrag ist der Bewertung (nicht nur) immaterieller Vermögenswerte mit kapitalwertorientierten Verfahren in der internationalen Rechnungslegung gewidmet. Unter der Annahme, dass das Problem der Zuordnung von Zahlungsüberschüssen zu einzelnen Vermögenswerten bzw. Gruppen von Vermögenswerten (Assets) gelöst ist, wird insbesondere die Wahl des kapitalwertorientierten Bewertungsverfahrens und die Ermittlung der zugehörigen Diskontierungssätze diskutiert. Es werden Empfehlungen zur Abbildung des Investitionsrisikos und der Finanzierung bei der Bewertung von Vermögenswerten unter Berücksichtigung der Marktwertadditivität erarbeitet. Es wird gezeigt, dass der in der Praxis beliebte WACC-Ansatz dafür häufig weniger geeignet ist als der Adjusted-Present-Value (APV) -Ansatz. Dieser sollte soweit es die Datenlage zulässt, Bottom-up ausgefüllt werden. Sofern auf die Daten als vergleichbar eingestufter Unternehmen (Peer Group) zurückgegriffen wird, muss die Vergleichbarkeit im ersten Schritt hinsichtlich des Investitionsrisikos gegeben sein, um so die Eigenkapitalkosten bei Eigenfinanzierung vermögenswertspezifisch zu schätzen. Weitere pragmatische Lösungsansätze, wie Top-down erfolgende Zu- oder Abschläge zum bzw. vom unternehmensweiten WACC oder der sog. WARA (Weighted Average Return on Assets) -Ansatz, werden hinsichtlich der implizierten Fremdkapital- und Wertzuordnungen sowie hinsichtlich der Einhaltung des Marktwertadditivitätsprinzips kritisch gewürdigt.
Chapter
Rund 26.000 Unternehmen haben 2013 in Deutschland Insolvenz angemeldet. Jedoch spielen sich die meisten Unternehmenskrisen außerhalb der amtlichen Statistik ab, die lediglich die gerichtlichen Insolvenzverfahren erfasst. Da angesichts der zunehmend volatileren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und des schärferen Wettbewerbs kein Unternehmen gegen eine krisenhafte Entwicklung gefeit ist, sollten sich Manager rechtzeitig, also auch ohne konkreten Anlass, mit den theoretischen Grundlagen und den Instrumenten der Krisenbewältigung befassen.
Presentation
Full-text available
This presentation illustrates different approaches to valuing risky cash flows based upon the market additivity principle (DCF tool kit).
Chapter
Die Neufassung der Vorschriften zur Berichterstattung des Abschlußprüfers über die bei der Prüfung der externen Rechnungslegung gewonnenen Erkenntnisse über die Lage und Entwicklung des Unternehmens oder Konzerns stellt stärker als die bisherige Regelung auf die Unterrichtung des Aufsichtsrats über die zu erwartende Entwicklung, die bestehenden Risiken und die Bestandsgefährdung ab. Der vorliegende Beitrag stellt die Problembereiche und Berichterstattungsschwerpunkte im Prüfungsbericht dar unter dem Aspekt der Zielsetzung der Neuregelung, das Überwachungsorgan „Aufsichtsrat“ zukunftsbezogen unter Beachtung der Risiken und der Sicherung des Fortbestandes vollständig und zutreffend zu unterrichten, und zeigt Ansätze auf zur Beantwortung offener Fragen.
Chapter
„One of the best ways to understand the world is to change it“, konstatierte der Organisationsforscher Kurt Lewin einst. Beim Transfer dieser Erkenntnis auf erwerbswirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen, wird der große Stellenwert der Analyse des organisatorischen Wandels unmittelbar deutlich. Nachhaltige Konzentrationstendenzen in vielen Branchen, plötzliche Einbrüche von Kapitalmärkten, erhöhter Verdrängungswettbewerb durch Substitutionsprodukte sowie gestiegene Bedeutung innovativer Technologien markieren nur einige Ursachen dafür, dass Unternehmen sich permanent anpassen sollten. Über die Unternehmensführung wird versucht die Anpassungskapazität zu sichern und das soziale System Unternehmung generell für Veränderungen und Neuausrichtungen offen zu halten. Erfolgreiche Unternehmen lassen sich daher als wandlungsfähige Gebilde klassifizieren.
  • Z B Vgl
  • Drukarczyk
Vgl. z.B. Drukarczyk, NZI 2015, 110;
Dies haben die Autoren dieses Beitrages in der Vergangenheit übersehen
Dies haben die Autoren dieses Beitrages in der Vergangenheit übersehen. Vgl. z.B. Dukarczyk/Schülerr, KS 2009, 28, Rz.152; Drukarczyk, FS Ballwieser 2014, 95 (115).