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Interview mit Dieter Kienast (Deutsch)

Authors:

Abstract

Ausführliches Interview mit dem Schweizer Landschaftsarchitekten Duieter Kienast (1945-1998), publiziert in: Weilacher, Udo: Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art. Basel Berlin Boston 1999
Die Kultivierung der Brüche - Dieter Kienast
(Text publiziert in: Weilacher, Udo: Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art. Basel Berlin
Boston 1999; S.137-156)
Die Frage der Erneuerung der Gartenkunst reduziert sich für die meisten Landschaftsarchitekten auf
ein formales Problem. Man klammert sich an historische Vorbilder, reproduziert künstlerische
Vorlagen, entwickelt eine auffällige Plangrafik oder verstrickt sich in vordergründige, formalistische
Gestaltungsansätze, stets auf der Suche nach dem eigenen Stil im Sinne eines Markenzeichens mit
hohem Wiedererkennungswert.
Für den schweizerischen Landschaftsarchitekten Dieter Kienast, Jahrgang 1945, sind solche
Tendenzen die symptomatischen Folgen des akuten Theoriedefizits. Kienast betrachtet die Erneuerung
der Gartenkultur vordringlich als inhaltliches Problem. Sein Ziel, an dessen Verwirklichung er im
Zürcher Büro mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Erika Kienast, und dem Landschaftsarchitekten
Günther Vogt arbeitet, ist die Gartenarchitektur als Ausdruck des Zeitgeistes, der Garten als
Bedeutungsträger, der das Bewusstsein schärfen und die Sinne wecken soll. Das erfordert nicht nur die
Auseinandersetzung mit der Historie unserer Kultur, sondern auch die Aufgeschlossenheit für die
vielfältigen kulturellen Erscheinungen unserer Zeit in Film, Video, Philosophie, Literatur, Musik,
Werbung und zeitgenössischer Kunst, von Peter Greenaway bis Sol LeWitt. Während manch anderer
fürchtet, sich im labyrinthischen Gefüge heutiger Gesellschaftsstruktur zu verirren, erkennt Dieter
Kienast gerade darin die reizvolle Chance zum Experiment des Denkens und Handelns.
Dieter Kienasts Vorliebe für die objektivitätsbemühten Werke der Minimal Art ist unverkennbar. Das
Bekenntnis des amerikanischen Minimal Künstlers Robert Morris zur formalen Einfachheit könnte
ebenso gut aus einem der vielen Traktate des Zürcher Landschaftsarchitekten stammen: "Einfachheit
in der Form bedeutet nicht unbedingt auch Einfachheit des künstlerischen Erlebnisses. Einheitliche
Formen reduzieren die Beziehungen nicht, sie ordnen sie. Wenn die beherrschende hieratische Natur
der Einheitsform als Konstante agiert, werden alle partikularisierenden Beziehungen von
Größenordnung, Proportion und so weiter nicht dadurch aufgehoben, sondern eher fester und
untrennbar verbunden."1 Wie sich die künstlerische Avantgarde der sechziger Jahre mit ihren spröden
Projekten gegen den Verschleiß der Bildwelt wehrte, so wehrt sich Kienast gegen den
Bedeutungsverschleiß in der Gartenkultur und ringt um die Authentizität des Ortes. Die wenigen
Elemente, die er verwendet, setzt er nur dort ein, wo sie die Lesbarkeit der Situation fördern, dem
Wesen des Ortes gerecht werden. Die Inszenierung des scheinbar Natürlichen zur Kaschierung des
Künstlichen, wie etwa das Lehrbuch-Feuchtbiotop auf dem Dach der Tiefgarage, zählt zur Kategorie
jener vordergründigen Bilder am falschen Ort, die der streitbare Planer strikt ablehnt.
Kann dieser langsam gedeihende Organismus, den wir Garten nennen, den Anspruch auf zeitgemäße
Aktualität erfüllen, ohne zum kurzlebigen, modischen Schauobjekt zu werden? Die unzähligen
Entwürfe und vielen realisierten Projekte des Zürcher Teams in Deutschland und der Schweiz sind
jedenfalls alles andere als ein kurzlebiges Feuerwerk an Formen und Farben, im Gegenteil: Die
Arbeiten sind geprägt von gestalterischer Klarheit, die das Gewöhnliche selbstverständlich einbezieht
und selbst der Vielfalt durch kraftvolle Einfachheit ihren unverwechselbaren Reiz verleiht. Inhaltliche
Komplexität verbindet sich mit formaler Einfachheit zu einer Gestaltung, die gemäß den Prinzipien
der Transparenz und der Ambivalenz die Heterogenität bejaht, den Bruch nicht nur zulässt, sondern
ihn kultiviert.
Was die Kultivierung des Bruches am konkreten Projekt bedeutet, lässt sich beispielsweise am
Wettbewerbsentwurf für die Erweiterung des Günthersburgparkes in Frankfurt am Main deutlich
ablesen, der gerade realisiert wird. Durch die Auslagerung der städtischen Gärtnereien eröffnete sich
Ende der achtziger Jahre die Möglichkeit, den alten Günthersburgpark, einen stark übernutzten
Landschaftspark aus dem vorigen Jahrhundert, auf das Doppelte zu vergrößern und ihn zum
Bindeglied zwischen Innenstadt und zukünftigem Grüngürtel zu entwickeln. Während sich der
1 MORRIS Robert, zit. aus THOMAS, Karin: Sachwörterbuch zur Kunst des 20.Jahrhunderts. Köln, 1989
2
historische Park vollkommen von der Stadt abwandte und als grüne Oase im Chaos der Großstadt
fungierte, will der neue Parkteil mit der Stadt, samt den Widersprüchen unserer Zeit leben und
verzichtet auf jegliche bauliche Abgrenzung zu den angrenzenden Stadtquartieren. Der neue Parkteil
übernimmt existierende Elemente und Strukturen und entwickelt daraus eine neue gestalterische
Sprache von zeitgemäßer Eigenständigkeit. Malerisch gesetzte Baumgruppen des historischen Teiles
kristallisieren zu klaren, teils linearen, teils flächigen Baumstrukturen, die heterogene Randbereiche
formen oder sich zum geheimnisvollen Parkwald verdichten, der durch präzise formulierte Lichtungen
akzentuiert wird. Gewundene Wege werden im neuen Parkteil zu linearen Bewegungslinien, die das
Raumerlebnis betonen, anstatt selbst Raum definieren zu wollen. Pflanzenskulpturen, sogenannte
Topiarys, bevölkern wie Fabelwesen den Eingangsbereich zum Park und knüpfen an alte
gartenkünstlerische Traditionen an. In der Mitte des neuen Parks liegt jedoch die offene, freie
Wiesenfläche und überlässt es den Bewohnern der Stadt, den Mittelpunkt des klar konzipierten
Rahmens zu beleben.
Trotz eindeutiger Verknüpfung des alten Parks mit seinem neuen Pendant bleibt der Bruch spürbar.
Die Schnittstelle wird am deutlichsten vom ehemals rein zweckbestimmten Gärtnerweg überbrückt,
der heute von Rosenbögen überstanden ist. Er bildet den Auftakt zu jenem romantisch ironischen
Vexierbild am Ende des Weges: Das moderne Gärtnerhaus am Seerosenweiher wird von Efeu
überwuchert und verwandelt sich in die neue Günthersburg, die einst als winzige Wasserburg der
Ritter von Bornheim im Park existierte und ihm den Namen gab. Die neue Günthersburg ist nicht
mehr introvertierter Festungsbau, sondern ermöglicht den Blick auf die alltägliche, wechselhafte
Realität der Stadt Frankfurt. "Der Park erzählt uns von Geschichte und Geschichten. Er ist auf
unterschiedlichsten Ebenen erlebbar. Er ist gleichzeitig Spielplatz und gartenkultureller Ort. Er lebt,
altert und verändert sich mit und von seinen Nutzern."2
Interview (Karlsruhe, Sommer 1995)
Udo Weilacher: Herr Kienast, Sie lernten Ihr Metier schon früh im gärtnerischen Betrieb der
Eltern kennen.
Dieter Kienast: Als Kinder mussten wir Zuhause arbeiten, aber mich hat der Beruf damals überhaupt
nicht interessiert. Als es irgendwann hieß, ich solle eine Gärtnerlehre machen, war mir das ziemlich
gleichgültig, denn ich wollte eigentlich nur Klettern. Die tägliche Arbeit in der Gärtnerei war eine
zwangsläufige Unterbrechung, bevor es am Wochenende endlich wieder zum Klettern ging. Ich denke,
das ist typisch für mich: ich tue etwas immer ganz oder gar nicht.
Im Alter von etwa zwanzig Jahren wurde mir bewusst, dass ich doch einen Beruf erlernen sollte, und
ich begann mit der Arbeit in den Büros der Gartenarchitekten Albert Zulauf und Fred Eicher. Dort
lernte ich im Grunde fast alles, was man für den Bürobetrieb braucht. Fred Eicher gehört zu den
Altvätern der schweizerischen Gartenarchitektur. Er lehrte mich grundlegende Prinzipien,
beispielsweise wie wichtig es ist, sich bei der Arbeit auf wenige wesentliche Aspekte zu reduzieren.
Eicher sagte beispielsweise immer, es sei das wichtigste, die Bäume am rechten Ort zu setzen, und das
konnte er wirklich sehr gut. Nach einer Weile war ich schließlich der Überzeugung, alles sehr gut zu
können, und mir fehlte eigentlich nur noch irgendeine Bescheinigung meiner Fähigkeiten. In der
Schweiz war es üblich, bei einem Gartenarchitekten einige Jahre im Büro zu arbeiten und sich dann
selbständig zu machen. Ich wollte aber ein Diplom und ging mit vierundzwanzig Jahren - mit Frau und
Kind - an die Gesamthochschule Kassel. Dort wurde mir sofort klar, dass ich im Grunde ganz wenig
wusste. Das Studium in Kassel war im Aufbau begriffen, man hatte sehr viel Freiheit und musste sich
selbst organisieren. Das bekam mir gut. Weil mich niemand zur Arbeit drängte, tat ich sehr viel.
Unsere Projekte waren immer das Ergebnis harten Ringens, denn die Problemstellungen wurden
immer erst einmal grundsätzlich diskutiert. Es ging in Kassel in erster Linie um den
gesellschaftspolitischen Ansatz und um die planerische Umsetzung.
Nach dem Vordiplom merkte ich, dass eine ganze Reihe wichtiger Grundlagen fehlten, beispielsweise
Grundlagen der Gestaltung und der Kunstgeschichte ebenso, wie Grundlagen der Botanik. Ich
beschloss deshalb, mich sehr intensiv nur einem Gebiet, nämlich der Pflanzensoziologie zu widmen.
2 aus dem Erläuterungsbericht des Wettbewerbes 1991.
3
Professor Karl-Heinrich Hülbusch vertrat das Lehrgebiet sehr engagiert und verstand es, mich für das
Fach zu begeistern. Außerdem bin ich von Haus aus ein eher chaotischer Mensch, und der strenge
logische Aufbau des Fachgebietes half mir, mich zu disziplinieren. In den Semesterferien musste ich
unseren Unterhalt verdienen, denn wir waren mittlerweile zu viert. Ich arbeitete anfangs noch bei Fred
Eicher und später bei einem ehemaligen Mitarbeiter von Albert Zulauf, Peter Stöckli, der ein eigenes
kleines Büro gegründet hatte. In dieser Zeit realisierte ich bereits eigene Projekte. Die Kombination
aus theoretischem Hintergrundwissen von der Hochschule einerseits und den fachbezogenen, fast
bodenständigen Erfahrungen aus der Praxis fand ich sehr günstig. Ich mochte schon immer beide Teile
meiner Arbeit, den gestalterischen und den theoretischen Teil.
Nach dem Diplom hatte ich den Eindruck, immer noch nicht genug zu wissen, erhielt ein Stipendium
und promovierte bei den Professoren Hülbusch und Tüxen, dem Altmeister der Pflanzensoziologie.
Ich beschäftigte mich mit dem Thema der spontanen innerstädtischen Pflanzengesellschaften in
Kassel. Es sollte nachgewiesen werden, dass der pflanzensoziologische Ansatz planerisch verwertbar
sei. Es stellte sich aber im Laufe der Arbeit heraus, dass es ungeheuer aufwendig war, die planerische
Umsetzbarkeit nachzuweisen, und so beschränkte man sich gezwungenermaßen auf den
naturwissenschaftlichen Schwerpunkt, während planerische Aspekte nur angerissen werden konnten.
Der systematische Planungsansatz entwickelte sich also während des Hochschulstudiums, aber wo
liegen die Quellen ihres gestalterischen Schaffens?
Ich bin im Grunde ein gestalterischer Autodidakt. Bei Professor Grzimek habe ich kaum etwas über
Gestaltung erfahren, und Professor Latz vermittelte vor allem Grundlagen der Planungstheorie. Ich
habe daher zunächst das reproduziert, was ich bei Fred Eicher gesehen habe, weil sich seine Arbeit
von allem, was ich bis dahin kannte, deutlich unterschied.
Ihre Vorliebe für die Arbeit des Minimalisten Carl André lässt darauf schließen, dass gerade die
Kunstszene am Ende der sechziger Jahre für Sie von Interesse war.
Ich würde eher von unbewusster Wahrnehmung sprechen, die offenbar Spuren hinterlassen hat. Ich
erinnere mich beispielsweise an die Arbeit von George Trakas im Rahmen der documenta 63,
bestehend aus einer Stahl- und einer Holzbrücke, die an ihrem Kreuzungspunkt gesprengt wurden.
Mich hat das sehr beeindruckt, aber ich habe das damals nie mit meiner Arbeit in Verbindung
gebracht, denn ich war zu sehr mit Pflanzensoziologie beschäftigt. Hätte mich damals jemand nach
meinen Zukunftsplänen gefragt, hätte ich meinen Beruf mehr in der wissenschaftlichen und weniger in
der gestalterischen Arbeit gesehen.
Der Pflanzensoziologe ist offensichtlich nicht bei seinem Fach geblieben. Warum?
Es war eine wenig befriedigende Vorstellung, mich in Zukunft nur noch mit etwa zehn Experten auf
der Welt über ein pflanzensoziologisches Spezialgebiet zu unterhalten. Ich ging zurück nach Zürich,
wurde Partner im Büro von Peter Stöckli und befasste mich ein oder zwei Jahre lang mit vielfältigen
Arbeiten: Entwürfe, pflanzensoziologische Kartierungen, Abbauplanungen und so weiter.
Bald wurde mir bewusst, dass ich mich weder im gestalterischen Bereich, noch in der
Pflanzensoziologie weiterentwickelte, und schließlich entschloss ich mich, meinen Schwerpunkt ganz
auf die gestalterische Arbeit zu verlagern. Der Ehrgeiz, mehr zu erreichen, spielte dabei durchaus eine
Rolle, und 1980 wurde ich schließlich Professor für Gartenarchitektur am Interkantonalen Technikum
in Rapperswil. Das war der Auftakt einer intensiven Auseinandersetzung mit gestalterischen
Fragestellungen in Zusammenarbeit mit den Kollegen Jürg Altherr und Peter Erni. Altherr ist
Bildhauer mit einem Studium in Gartenarchitektur. Peter Erni ist von Hause aus Architekt,
unterrichtete Kunstgeschichte und verfügt über erstaunliches theoretisches Wissen, das er jedoch nie
mit anderen Disziplinen verknüpfen konnte. Ich versuchte, diese unterschiedlichen fachlichen
Voraussetzungen miteinander in gartenarchitektonischen Studienprojekten zu kombinieren. Das war
zwar für die Studenten teilweise verwirrend, aber sie lernten dabei, dass es in der Auseinandersetzung
mit einem Projekt immer unterschiedliche Vorstellungen und Betrachtungsweisen gibt. Die
3 "Union Pass", Kassel 1977
4
Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Disziplinen war für mich schon immer etwas ganz
Entscheidendes.
Haben die schweizerischen Gartenarchitekten Ernst Cramer und Fred Eicher Leitbildfunktion,
sind sie noch heute für Sie aktuell?
Anfang der achtziger Jahre waren zwar andere Dinge aktuell als 1995, aber die Arbeiten von Ernst
Cramer begeistern mich noch heute, und die wohltuende Einfachheit im Schaffen von Fred Eicher
habe ich in kaum einer anderen Arbeit je wieder gefunden. Das deduktive Prinzip, die Beschränkung
auf das Wenige, aber um so Kraftvollere hat mich bei beiden nachhaltig beeindruckt. Cramer hat mit
Sicherheit viel entschiedener gearbeitet, war innovativer und programmatischer in seinen Ansätzen.
Die Arbeiten von Fred Eicher kennen keine Brüche und sind stets zurückhaltend. Seinen Plänen aus
den fünfziger Jahren ist anzusehen, dass er einmal bei Hermann Mattern in Kassel studiert hatte.
Einige der Arbeiten von Eicher halte ich noch heute für das Beste, was in den letzten zwanzig bis
dreißig Jahren entstanden ist. Dazu gehört unter anderem auch der Friedhof Eichbühl in Zürich. Als
Schweizer waren beide Persönlichkeiten in der Anfangszeit so etwas wie Vorbilder für mich.
In der aktuellen Landschaftsarchitektur halte ich Bernard Lassus von hervorragender Bedeutung.
Seine Arbeiten sind zwar sicherlich nicht frei von Widersprüchlichem, trotzdem - oder vielleicht
gerade deshalb - gehören sie zum Spannendsten, was ich derzeit kenne. Bei den Arbeiten von Lassus
geht es nicht nur um die Weiterentwicklung der Theorie, sondern auch um den Versuch der
praktischen und poetischen Umsetzung. Ernst Cramer und Fred Eicher ließen mich in dieser Hinsicht
mit der Zeit eher ins Leere laufen, weil in ihrer Arbeit die formale Ebene die wichtigere Rolle spielte.
Gerade die gelungene Verbindung zwischen Inhalt und Form ist aber das entscheidende.
Die Theorie hat für mich einen sehr hohen Stellenwert, denn ein wichtiger Teil der
Landschaftsarchitektur kann nicht von der emotionalen Ebene aus bestritten werden. Das allseits
beklagte Theoriedefizit ist in meinen Augen tatsächlich gravierend. Ich meine damit nicht etwa die
Planungstheorie, sondern das allgemeine kulturelle Verständnis, also die Kenntnisse der
Gartengeschichte, der Kunstgeschichte, der Sozialtheorie und so weiter. Die Theorie gehört zum
intellektuellen Teil unserer Arbeit. Wenn es nur darum geht, schöne Förmchen zu backen, brauche ich
natürlich keine Theorie.
Für viele Landschaftsarchitekten spielt insbesondere der Bezug zur historischen Gartenkunst eine
besondere Rolle. Wie wichtig ist Ihnen dieser Bezug?
Die intensive Beschäftigung mit der Gartenkunst ergab sich gezwungenermaßen erst mit Beginn der
Hochschullehre in den achtziger Jahren. Ich musste mich sozusagen einmal quer durch die Geschichte
der Gartenkunst arbeiten, und dabei wurde mir bewusst, dass viele historische Konzeptionen nicht
etwa veraltet, sondern immer noch von aktueller Bedeutung sind. Vielleicht sind es aber auch veraltete
Konzeptionen, mit denen wir uns nach wie vor befassen? Eine besonders interessante Epoche der
Gartenkunstgeschichte gibt es für mich aber nicht.
Wie hat sich im Laufe der Zeit Ihr Selbstverständnis geändert?
Kurz nach Beginn des Studiums hatte ich bereits das Gefühl, die Landschaftsarchitektur sicher zu
beherrschen. 1973 gewann ich dann einen gesamtschweizerischen Wettbewerb, und das war absolut
verheerend. Da hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, wirklich der Beste zu sein. Ich beurteilte die
Arbeiten damals ausschließlich danach, ob sie mir gefielen oder nicht. Mit zunehmendem Alter wird
man natürlich immer selbstkritischer und relativiert solche unkritischen Sichtweisen. In der
Zusammenarbeit mit Studenten und Kollegen entwickelte sich zunehmend die Kritikfähigkeit. Erst
danach entstanden die ersten halbwegs gescheiten Entwürfe.
Welche Projekte gehören für Sie in diese Kategorie?
Der Brühlpark in Wettingen zählt noch heute für mich zu den gelungeneren Projekten, nicht zuletzt
wegen seiner einfachen gestalterischen Mittel. Der Park hat kleine Fehler, denn er war eines meiner
ersten größeren Projekte. Beispielsweise bin ich mit dem Kinderspielbereich immer noch nicht
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zufrieden, weil er einfach nicht gut funktioniert. Außerdem gibt es diesen schmalen Bodenstreifen, der
zwei angrenzende Straßenzüge miteinander verbindet, dabei dem Verlauf eines Hauptweges folgt und
sogar das runde Wasserbecken durchquert. Eine gewisse Zeit fand ich diesen Streifen ungeheuer
wichtig, um den Park in seiner ganzen Breite zu durchmessen. Heute ist mir dieses Bedürfnis eher
schleierhaft, denn es vermittelt nur den Schein von Logik. Das Verlangen, dass man bestimmte Dinge
unbedingt merken Muss, ist heute nicht mehr gegenwärtig.
Die Reduktion auf ganz einfache, fast archaische gestalterische Grundprinzipien entstand damals
übrigens aus dem Zwang zum sinnvollen Umgang mit dem knappen Budget. Dieser Zwang bringt den
erfreulichen Nebeneffekt mit sich, dass man sich disziplinieren Muss. Es gibt durchaus einige junge
Kollegen, die in meinen Augen das Unglück hatten, dass ihnen zu viel Geld zur Verfügung stand.
Dadurch kamen manchmal schreckliche Projekte zustande. Die Planung des Brühlparkes führte unter
den genannten Umständen sogar zu einem Ergebnis mit gestalterischer Eigenständigkeit. Die
Erdpyramiden erinnern an Pückler und Cramer. Diese Verwandtschaft war von mir nicht gewollt, und
fast hätte das zu einer neuen formalen Gestaltung mit vielen Hügeln geführt, aber schließlich beließ
ich es dabei, weil ich der Ansicht war, dass der Park nur wenige, einfache Elemente vertragen würde.
Die Hügel sollten einen Kontrast zur ebenen Umgebung und zum Bergrücken des Lägern bilden.
Wie würden Sie heute Ihr Selbstverständnis als Landschaftsarchitekt beschreiben?
Das sind heikle Fragen. Kürzlich fragte mich ein Architekt nach meiner "message". Ich antwortete
ihm: "Gute Dinge tun."
Ich vermute, dass man als Landschaftsarchitekt eine bestimmten Vision von der zukünftigen
Qualität unserer Lebensumwelt hat. Hinter Ihren Gärten und Landschaftsbildern vermutet man
eine gewisse Grundidee.
Das ist richtig. Die Gestaltung von Außenräumen ist aber zunächst eine relativ einfache Aufgabe.
Schwierigkeiten entstehen erst mit dem Versuch, einen besonderen Ort zu schaffen. Das ist für mich
keine Frage eines bestimmen Stils oder der festgelegten Verwendung bestimmter Materialien und
Pflanzen. Mir geht es eher um die Auseinandersetzung mit den eigenen Möglichkeiten. Diese ergeben
sich aus der Ansammlung des individuellen Kultursedimentes, das man in sich trägt.
Selbstverständlich spielt auch die Örtlichkeit und die jeweilige Aufgabenstellung eine entscheidende
Rolle. Aus der Kombination dieser Faktoren ergeben sich für mich immer wieder überraschend
vielfältige Antworten. Es kommt mir eher wie ein Zufall vor, wenn zwei Arbeiten plötzlich nach einer
ähnlichen Konzeption aufgebaut sind. Zuweilen taucht dann schon die Frage nach dem
Selbstverständnis auf. Ich frage mich in solchen Augenblicken, ob ich einfach alles tun kann, ohne
dass es dabei auf bestimmte Wertvorstellungen ankommt.
Welche Relevanz kommt der Gartenkunst Ihrer Ansicht nach in der heutigen Gesellschaft, der
aktuellen Kultur zu?
Die Frage, wie es um die aktuelle Gartenkunst steht oder was Gartenkunst heute sein soll, interessiert
mich nicht. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Macher ist, diese Frage zu beantworten. Diese
Diskussion führt mich nicht weiter. Was habe ich davon, zu unterscheiden, was Gartenkunst ist und
was nicht? Es gibt eine schöne Definition vom Philosophen Hans-Georg Gadamer, wonach alles
Profane nichts mit Kunst zu tun hat. Wenn wir dieser Definition folgen wollen, gibt es keine
Gartenkunst.
Vielleicht sollten wir lieber wie Leberecht Migge, der das Problem recht elegant umging, von
Gartenkultur sprechen. Ich fühle mich außerstande, einzelne Werke danach zu beurteilen, ob sie Kunst
oder keine Kunst sind. Überlassen wir diese Diskussion lieber Theoretikern wie Lucius Burckhardt,
die darüber wesentlich kompetenter reden können. Sonst läuft man Gefahr, dass jeder nur noch im
Hinblick darauf arbeitet, irgendwann einmal in die Annalen der Gartenkunst einzugehen.
Viele Ihrer Projekte sprechen aber nicht gerade für die These, dass es sich bei der
Landschaftsarchitektur nur um eine profane, einfache Angelegenheit handelt.
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Wenn ich vorhin behauptete, dass Landschaftsarchitektur im Grunde eine sehr einfach Sache sei, dann
war das durchaus keine Koketterie, sondern entspricht den Tatsachen. Trotz der unterschiedlichen
Ansätze, Lösungen und Konzeptionen in unserer Arbeit schließe ich nicht aus, dass es einige Projekte
gibt, die nahezu erschreckend einfach sind. Manchmal reduziert es sich tatsächlich auf den rechten
Baum am rechten Ort, den Weg und vielleicht eine Bank. Diese Dinge miteinander zu verbinden, kann
manchmal schwierig und manchmal sehr einfach sein, aber die Situation kann uns hinterher immer
Auskunft darüber geben, ob es ein gelungener Eingriff war. Das ist eine Frage der Atmosphäre, der
Stimmung, der Poesie. Den Begriff Schönheit will ich nicht ins Spiel bringen, weil er mit dem
Reizwort des Naturschönen verbunden ist, und dabei geht es immer um Lieblichkeit. Der Außenraum,
der Garten kann, aber er Muss nicht unbedingt lieblich sein.
Ich mag auch Orte, von denen man landläufig behauptet, sie seien nicht schön, denn es gibt auch eine
Schönheit des Hässlichen, eine Schönheit, die nicht einlullt, sondern erschreckt. Den jeweiligen
Charakter des Ortes zu treffen, die Authentizität zu wahren, halte ich für eine heikle Aufgabe. Darum
beurteile ich unsere Arbeit stets danach, ob sie den Charakter des Ortes, seine Atmosphäre richtig
treffen. Das hat manchmal weder etwas mit den formalen Mitteln noch mit der inhaltlichen
Konzeption zu tun.
Ich erinnere mich an eine Publikation, in der Sie den Umstand schilderten, dass der Berufstand
ohne Leitbild sei. Das provoziert geradezu die Frage nach Ihrem eigenen Leitbild.
Ich habe kein Leitbild. Es ist nun mal eine Tatsache, dass unsere aktuelle gesellschaftliche, politische
und religiöse Situation in der Schwebe ist und dagegen können wir sehr wenig tun. Je länger dieser
Schwebezustand anhält, desto mehr neigen wir dazu, uns an bestimmte Prinzipien oder Leitbilder zu
klammern. Ich finde diesen Schwebezustand aber besonders spannend, weil er die Möglichkeit bietet,
sich unbeschwert zu bewegen und Dinge auszuprobieren. Das interessiert mich immer wieder. Gerade
bei kleinen Arbeiten probieren wir oft neue Konzeptionen, Materialien und Formen aus, die wir später
vielleicht nie wieder verwenden. Wenn es also eine charakteristische Herangehensweise gibt, dann ist
es das ständige Ausprobieren.
Das klingt so, als ob es für Sie den definitiven Standpunkt in der eigenen Arbeit nicht gäbe.
Andererseits formulieren sie in Publikationen und Vorträgen immer wieder eine umfangreiche,
praxisbezogene Sammlung von Grundsätzen, nach denen sich der Umgang mit Freiräumen
richtet4. Das deutet auf eine dezidierte Vorstellung hin, was Landschaftsarchitektur zu leisten hat.
Wissen Sie, die Postmoderne wurde beispielsweise oft missverstanden als ein Programm, das einem
alles erlaubt. Es geht natürlich alles, aber nur in einem beschränkten Bereich. Es war Henry Ford,
glaube ich, dem jede Farbe für ein Auto recht war, Hauptsache sie war schwarz. Ich glaube, dass wir
durchaus klare konzeptionelle Vorstellungen über unsere Arbeit haben, aber die Anwendung dieser
Konzeptionen und Grundsätze wechselt ständig und führt zu unterschiedlichen Ergebnissen, die sich
nicht nur formal unterscheiden. Erstaunlicherweise werden die meisten unserer Grundsätze allgemein
befürwortet, weil sie alles andere als ungewöhnlich sind. Beispielsweise wird sich jeder um die
Besonderheit des Ortes bemühen. Es ist ein Problem, dass die erwähnte Grundsatzsammlung
Statements enthält, die ich heute nicht mehr schreiben würde, weil einige davon so allgemeingültig
sind, dass jeder bedenkenlos zustimmen würde. Trotz dieser Übereinstimmung würden aber am Ende
völlig unterschiedliche Projekte entstehen. Wenn Sie mich also nach unserem Standpunkt fragen, dann
gehört die Erkenntnis dazu, dass die eigene Position ihre Eindeutigkeit verloren hat. An deren Stelle
ist die Ambivalenz, die Gleichzeitigkeit oder die Vieldeutigkeit getreten.
Können Sie erläutern, wie sich die erwähnten Grundsätze konkret am Projekt auswirken?
In Zürich arbeiten wir beispielsweise an einem kleinen Hausgarten. Der Garten liegt mitten in der
Stadt, und das Gelände ist von einem Eisenbahntunnel unterhöhlt. Wir stellten uns die Frage nach dem
speziellen Charakter des Ortes und griffen das Thema der Erde als ständig manipuliertes Rohmaterial
auf. Der Garten musste räumlich abgeschlossen werden, deshalb bauten wir eine Mauer aus
4 vgl. Kienast, Dieter: "Ohne Leitbild" in Garten + Landschaft 11/86, S.34 ff
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Stampflehm, der im Garten gewonnen wurde. Es ergab sich ein ambivalentes Bild, zusammengesetzt
aus der Erde als Gartengrund, als Rohmaterial und der Mauer als typisch städtisches Element. Mit der
Mauer wird das Unsichtbare sichtbar, denn die Erde, die normalerweise versteckt hinter der
Gartenmauer liegt, wird in ihrer typischen Farbigkeit zum einfassenden Rahmen. Ich halte diese
einfach durchzuführende Maßnahme für einen ökologischen Beitrag in mehrfacher Hinsicht.
In unserem eigenen Garten, der für uns eine Art Spielwiese für allerlei Experimente ist, gibt es große
geschnittene Heckenfiguren. Jedes Mal kommt von Besuchern die Frage, was das darstellen soll, und
ich antworte: "Ich weiß es auch nicht, was meinen Sie denn?"
Die Vieldeutigkeit, sowohl in der Konzeption unserer Werke, als auch in der späteren
Wahrnehmbarkeit, ist uns wichtig. Wir glauben, dass die Welt in ihren komplexen Abhängigkeiten so
schwer als Ganzes zu begreifen ist, dass wir es uns nicht mehr leisten können, nur in eine Richtung zu
denken, wenn wir den Anspruch erfüllen wollen, für viele etwas zu tun. Ich habe von Bernard Lassus
gelernt, dass sehr verschiedene Ebenen existieren, die man lesen Muss. Das ist vielleicht der Teil
unserer Grundsätze, den nicht mehr alle so einfach unterschreiben können.
Ihre Projekte entstehen in Zusammenarbeit mit Ihrer Frau Erika Kienast und dem
Landschaftsarchitekten Günther Vogt. Wie arbeitet dieses Team?
Zwischen uns spielt sich die Zusammenarbeit auf ganz unterschiedlichen Ebenen ab. Mit meiner Frau
diskutiere ich zwar einzelne Projekte, und sie weist mich darauf hin, wenn sie Merkwürdigkeiten
entdeckt, die sie für problematisch hält. Viel wichtiger sind in unserer Zusammenarbeit aber die
indirekten Anmerkungen.
Mit Günther Vogt arbeite ich seit etwa acht Jahren zusammen. Wir verstehen uns spontan ohne viele
Worte. Wir diskutieren und streiten aber auch miteinander, den Bleistift in der Hand. Nach dem Reden
folgt in der Regel die Tat, die Zeichnung. Das ist häufig mein Part, aber die grundlegende Konzeption
entwickeln wir, wenn möglich, immer gemeinsam. Unsere Projekte entstehen nicht als Einzelarbeit.
Ihre Frau ist Kunsthistorikerin, und daher liegt die Vermutung nahe, dass der Kunst in Ihrer
gemeinsamen Arbeit eine wichtige Bedeutung zukommt. Welcher Kunst messen Sie in Ihrer Arbeit
besondere Bedeutung zu?
Mein Vorliebe liegt bei der Minimal Art und den davon abgeleiteten Musikkonzepten. So manches
Fundstück stammt aus dieser Kunstrichtung. Was mich an diesen Arbeiten so interessiert, ist natürlich
wieder die Reduktion, die Beschränkung auf ganz wenige Elemente, die Konzeption der Klarheit und
der Logik. Weil wir aber nicht nur mit toten Materialien, wie Beton, Stahl und Glas, sondern auch mit
Pflanzen in einem anderen Kontext arbeiten, besteht nicht die Gefahr, die Minimal Art einfach
wörtlich zu übernehmen. Darum sind mir die Minimal Künstler, wie Carl André und Donald Judd viel
lieber als die Land Art Künstler. Ich erwähnte bereits, dass der Zwang zur Logik für mich hilfreich
gewesen ist. Die Neigung zum Überborden ist dagegen bei mir von Haus aus gut ausgebildet.
Die Reduktion auf das Wesentliche ist also auch eine Art Selbstdisziplin?
Hinzu kommt sicherlich eine gewisse Ordnungsvorstellung. Das Chaos müssen wir nicht erzeugen,
weil es von selbst entsteht. Daher stellt sich eher die Frage, ob ich Ordnung schaffen kann oder soll.
Dem Chaos, das uns zu einem gewissen Maß die Natur liefern kann, setzen wir die Ordnung als
tragfähiges Rückgrat entgegen. Da ist Disziplin, auch die Selbstdisziplin notwendig. Das duale Prinzip
von Ordnung und Chaos existiert natürlich auch im eigenen Denken und Handeln und Muss dirigiert
werden. Ich kann nicht zur gleichen Zeit denken und zeichnen, sondern Muss beides abwechselnd tun.
Dieses wechselseitige Verhältnis prägt durchaus die Gestalt der Freiräume.
Die Reduktion hat aber auch einen gesellschaftlichen Hintergrund: Die Anreicherung des Raumes
geschieht von selbst, während wir Sorge dafür tragen müssen, den tragfähigen Rahmen zu schaffen.
Wenn die Schale bereits von Anfang an voll ist, kann sie nicht weiter gefüllt werden, oder die
unerträgliche Masse wird zum Problem. Wir müssen uns daher auf die teilweise Fertigstellung des
Bildes beschränken.
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Welche weiteren Zutaten gehören neben der zurückhaltenden Strenge zu einem Freiraumentwurf,
damit sich die Poesie entfaltet?
Strenge allein kann sehr dogmatisch sein. Der Entwurf für den Augustusplatz in Leipzig strahlt
beispielsweise auf den ersten Blick eine gewisse Strenge aus. Erst die gezielte Verwendung des
Lichtes bringt das poetische Moment ins Spiel. In der Nacht entfaltet der Platz durch zweifarbige
Bodenleuchten ein faszinierendes Lichterlebnis. Nicht der Raum, sondern der Boden wird erleuchtet.
Ich stelle mir das Eintauchen ins gedämpfte, farbige Lichtermeer sehr eindrucksvoll vor. Im
Günthersburgpark in Frankfurt ist es ein modernes Gebäude, das die Poesie der Situation fördert,
indem es sich wie eine mittelalterliche Burg präsentiert. Es gibt meines Erachtens unterschiedliche
Arten der Poesie. Im Günthersburgpark ist es eine romantisch getönte Poesie.
Worin unterscheidet sich die romantisch getönte Poesie von purer Romantik?
Die gesteigerte Romantik wird vom Schwelgen in Gefühlen bestimmt, ohne dass dabei noch
irgendwelche sachliche Reflexion im Spiel ist. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die
vermeintlich mittelalterliche Burg im Grunde eine ganz klare Kiste mit einer hundertdreißig Meter
langen und sechs Meter hohen Mauer ist. Da bekommt das romantische Bild einen Bruch, weil die
architektonische Sprache einem anderen Kontext entstammt.
Haben Sie einen Hang zur Romantik?
Natürlich.
Da sind Sie einer der wenigen, die das so offen eingestehen, denn viele verbinden mit diesem
Begriff das Kleinbürgerliche, Nationalistische oder Triviale.
Wir haben eben unterschiedliche Seelen in uns, und der romantische Teil ist bei mir deutlich
ausgeprägt: Ich klettere in den Bergen und genieße die Erhabenheit der Alpen. Wenn das nicht die
perfekte Romantik ist? Die Kritik am Romantischen belastet mich überhaupt nicht, denn es gibt auch
den anderen Teil in mir, der das Romantische hinterfragt. Ich gehe gerne in die Berge, und nach drei
Tagen sehne ich mich nach dem Gestank der Abgase. Ich war vor einiger Zeit beim Bergsteigen am
Montblanc und gerade als die Tour besonders schwierig wurde, kam die große Sehnsucht, inmitten des
Trubels zu sein, einen Big Mac zu essen, im Warmen zu sitzen und vor der Flimmerkiste zu hocken.
Auch in unserem Garten gibt es das romantisch Verwunschene. Trotzdem findet man plötzlich auch
ein Keramikquadrat, das einen ganz anderen Ausdruck hat. Ich lebe in dieser Polarität von Romantik
auf der einen Seite und dem Bezug zur alltäglichen Realität, dem Rationalen auf der anderen Seite. Ich
glaube jedenfalls, dass dem Romantischen in Zukunft wieder mehr Bedeutung zukommen wird.
Wenn ich mir die Internationale Gartenbauausstellung 1994 in Stuttgart in Erinnerung rufe, dann hatte
auch da die Romantik ihren Stellenwert, aber eine andere Romantik, als wir sie vertreten. In der
Romantik der Gartenschauen fehlt mir einfach der aufklärerische Teil, vielleicht sogar der
intellektuelle Ansatz. Die schnelllebige und vordergründige Formensprache, die auf den
Gartenschauen präsentiert wird, ist mir genauso zuwider wie gängiges und weitverbreitetes,
sogenanntes neuzeitliches Landschaftsdesign. Die Romantik in unseren Projekten ist immer
gebrochen: Kurz vor dem Abtauchen in Schwelgereien wird man noch mal nachdenklich gestimmt.
Trifft es zu, was einmal über Sie geschrieben wurde, dass Sie Gärten für Intellektuelle schaffen?
Nein, diese Feststellung ist absoluter Unsinn. Wir möchten nicht einfach etwas machen, was anders,
was aufregend ist und viel publiziert wird, sondern es geht uns um die Leute. Gerade die Menschen in
der Stadt haben einen Anspruch darauf, auch einmal einen Baum zu erleben, wenn sie ihr Haus
verlassen - denken Sie an Herrn K. von Bertolt Brecht. Ich glaube dass wir wieder lernen müssen, mit
diesen scheinbar belasteten, angeblich unmodernen Elementen und Aspekten umzugehen. Die
Romantik gehört dazu und ebenso die anspruchsvolle Pflanzenverwendung, die wir sträflich
vernachlässigt haben. Wir haben uns sehr lange darin gefallen, Gärten und Anlagen zu schaffen, die
den baumlosen Entwürfen der Architekten sehr ähnlich waren. Wir fanden das entsetzlich progressiv.
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Der Hang, ein wenig absonderlich zu erscheinen, spielte dabei eine viel zu große Rolle. Es ist nicht
mein Bestreben, etwas speziell anderes zu machen. Wenn den Menschen unsere Entwürfe trotzdem
gefallen, freut es mich und überrascht mich zugleich.
Wir bauten einen sehr kleinen Garten für einen Mathematiker. Die Pläne und das realisierte Projekt
fand ich sehr schön und sehr diszipliniert. Die Poesie in diesem Garten ergibt sich allenfalls aus der
Zusammenstellung der Pflanzen, die wir in geometrischen Reihen setzten. Das gefiel dem
Mathematiker schließlich auch sehr, aber anfangs haben wir immer die größten Schwierigkeiten, für
unsere Entwürfe die notwendige Akzeptanz zu finden. Die Grundstruktur unserer Anlagen ist relativ
rigide, und sie hat anfangs immer eine deutliche Dominanz. Erst später pendelt sich mit der
Entwicklung der Vegetation ein gewisses Gleichgewicht ein. Die Vegetation spielt bei unseren
Entwürfen eine ganz wichtige Rolle.
Neben der Vegetation spielt auch das Wort als Inschrift oder als skulpturales Element in manchen
Ihrer Projekte eine wichtige Rolle. Die Vermutung liegt nahe, dass Ihre Inspiration auch aus
anderen Kunstrichtungen kommt, ich denke beispielsweise an Arbeiten von Ian Hamilton Finlay.
Ja sicher, Ian Hamilton Finlay gehört ganz klar zu meinen Favoriten. Seine One-Word-Poems finde
ich ausgesprochen faszinierend. Wir erleben heute aber auch in der Architektur, wie die
Informationsaufnahme über das Wort immer wichtiger wird, weil die Menschen den Umgang mit dem
geschriebenen Wort leichter beherrschen als den Umgang mit Architektursprache. Was uns mit
anderen Mitteln im Garten nur schwer gelingen würde, können wir mit dem Wort sehr schnell
erreichen, zum Beispiel das Spiel mit der Doppeldeutigkeit. Das Wort ist lesbar, kann zum
Nachdenken anregen, und wir können die Menschen mit Worten auch in eine gewisse Stimmung
versetzen, was uns in unserer Arbeit ganz wichtig ist. Finlay wird zuweilen vorgeworfen, seine Arbeit
sei ausschließlich für Intellektuelle verständlich. Ich denke aber, dass solche Interventionen gerade für
jene leicht lesbar sind, die nicht über umfassendes analytisches Wissen verfügen. Für die EXPO 2000
in Hannover haben wir im Eingangsbereich zu einem Parkstreifen den Satz von Laurie Anderson
"Paradise is just where you are" in fünf Meter hohen Buchstaben vorgeschlagen. Um diesen Satz zu
entschlüsseln, braucht es keinen intellektuellen Höhenflug.
Der Katalog Ihrer ersten Ausstellung trägt den Titel "Zwischen Arkadien und Restfläche". Was
verbinden Sie mit dem Begriff Arkadien?
Arkadien ist für mich gleichbedeutend mit der Sehnsucht, immer woanders zu sein. Diese Sehnsucht,
allen Problemen zu entkommen, steckt sicherlich in jedem von uns. Es gibt in unseren
Gartenentwürfen aber immer beides: das Paradiesische und das alltägliche Leben. Der Bruch ist
immanent. Ohne den Bruch würden wir Gefahr laufen, ins Banale abzurutschen.
Es geht Ihnen also nicht um die Harmonisierung der Brüche um jeden Preis.
Nein, wir kultivieren die Brüche. Das ist sicher. Auch mein eigenes Leben ist bestimmt von Brüchen,
die für Spannung sorgen. Das ist manchmal etwas anstrengend, aber es bringt die Entdeckung neuer
Erfahrungshorizonte und die Erweiterung sinnlicher Felder mit sich. Der Außenraum Muss ein
sinnlicher Ort sein. Nur an Bruchstellen zwischen den Polen kann man diese Erfahrungen machen.
Der Entwurfsprozess ist folglich immer ein Oszillieren zwischen Gegensätzen.
Sie scheuen in Ihren Projekten nicht die Zusammenarbeit mit den Schwesterdisziplinen
Architektur, Ingenieurwesen und Bildhauerei, sondern betrachten die Kooperation als
Selbstverständlichkeit, aus der beiderseitige Innovation erwächst.
Richtig. In den zehn Jahren der Lehre in Rapperswil habe ich beispielsweise nie mit
Landschaftsarchitekten zusammengearbeitet, sondern immer mit Künstlern wie Jürg Altherr und
Esther Gisler. Mit beiden habe ich später auch Projekte realisiert. In letzter Zeit arbeiten wir weniger
mit Künstlern und häufiger mit Architekten zusammen. Diese Zusammenarbeit schätze ich sehr,
wobei das synchrone Arbeiten mit anderen Disziplinen nicht immer notwendig ist. Manchmal sind wir
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ganz froh, nicht die ersten am Ort zu sein, weil bestimmte Rahmenbedingungen dann bereits gesetzt
sind und manche Grundsatzprobleme nicht mehr bewältigt werden müssen.
Dem Künstler neidet man immer wieder, dass er im Gegensatz zu Landschaftsarchitekten die große
Freiheit habe.
Diese Freiheit haben wir auch, ganz sicher. Ich habe festgestellt, dass es den Architekturstudenten bei
der ersten Berührung mit Landschaftsarchitektur immer sehr viel Mühe macht, dass es meistens kein
festgelegtes Programm gibt, das erfüllt werden Muss. Daher liegt doch der Schluss nahe, dass wir im
Unterschied zu anderen Disziplinen sehr viele Freiheiten haben.
Was ist mit der Erfüllung der vielfältigen soziologischen, ökologischen und funktionalen
Anforderungen im Freiraum?
Ich sage nicht, dass wir alles gleichzeitig und jederzeit beachten müssen. Der ökologische Ansatz lässt
sich auch in kleinsten Projekten erfüllen, ohne dass er dominant sein Muss. Die Ökologie ist für uns
aber gar kein eigenes Thema mehr, weil sie mittlerweile selbstverständlich zu jedem Projekt gehört.
Das heißt, wir machen um die ökologischen Qualitäten unserer Projekte kein großes Aufheben. Wir
verwenden beispielsweise immer weniger technisch veredelte Materialien und machen uns immer
Gedanken um die Versickerung des Oberflächenwassers und so weiter. Das hat zwar etwas mit
Ökologie zu tun, aber das steht nicht im Vordergrund.
Das rein zweckmäßige Denken halte ich für wesentlich problematischer. Denken Sie beispielsweise an
die Stadtplanung der ehemaligen DDR. Die zweckmäßige Vorgehensweise und der Versuch, immer
und überall auf funktionale Anforderungen und Raumansprüche optimal zu reagieren, hat dazu
geführt, dass der Zusammenhang zwischen den städtischen Elementen, die Qualität und Sinnhaftigkeit
des Stadtraumes verloren ging. Es entstanden völlig indifferente Freiräume. Natürlich gab es die
gleichen Probleme in schwächerer Ausprägung auch bei westlichen Großsiedlungsprojekten. Die
Zweckmäßigkeit darf nicht zum Maß aller Dinge werden. Auch die Ökologie darf nicht zum Maß aller
Dinge werden.
Die künstlerische Freiheit darf auch nicht zum Maß aller Dinge werden?
Nein. Wenn man aber als Gegenpart zur künstlerischen Freiheit die Partizipation der Nutzer sieht,
Muss einem bewusst sein, dass die Ergebnisse nach zwanzig Jahren Bürgerpartizipation so bescheiden
sind, dass man auch diesen Ansatz besser schnellstmöglich ad acta legt. Es stellt sich mittlerweile
nämlich heraus, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme so begrenzt sind, dass sich die Ergebnisse
zwischen partizipatorisch entwickelten Projekten und reinen Architekturentwürfen nicht wesentlich
unterscheiden. Es gibt zwar den Spruch, wonach jeder den Anspruch auf Verwirklichung seiner
Wünsche haben sollte, auch wenn sie noch so falsch sind, aber für den öffentlichen Raum gilt das in
meinen Augen nicht.
Vielleicht ist der Ruf nach mehr künstlerischer Arbeit als Signal zu verstehen, sich weniger auf
Mehrheitsentscheidungen zu stützen als vielmehr auf eigenständige Arbeit zu achten. Zu oft
versteckten sich die Planer in Diskussionen hinter den Mehrheitsentscheidungen der Nutzer. In der
Schweiz wissen wir, dass die Mehrheit nicht immer recht hat. Wir reden also nicht den
Erfüllungsgehilfen das Wort, aber die grenzenlose Freiheit ist auch nicht die Antipode.
In den USA und in Europa sorgt Martha Schwartz mit Ihren gewagten Entwürfen und Ihrem
Freiheitsanspruch für reichlich Diskussion um Kunst und Landschaftsarchitektur.
Martha Schwartz behauptet von sich, Künstlerin zu sein. Ich glaube, sie tut das deshalb, weil sie nicht
angegriffen werden möchte, weder von Planern noch von Ökologen. Die Beschränkung auf rein
ästhetisches Arbeiten hat also etwas von einem Rückzugsgefecht. Man macht es sich damit vielleicht
zu einfach. Trotzdem haben ihre Arbeiten etwas sehr Erfrischendes, etwas Befreiendes. Allerdings bin
ich der Ansicht, dass wir in der Öffentlichkeit arbeiten und mit unseren Planungen einen Teil des
Alltags der Leute bestimmen. Es ist ein Unterschied, ob ich mich in einer Galerie, in der Wüste von
Nevada, einem privaten Garten oder in einem öffentlichen Park betätige. Da tragen wir eine
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Verantwortung, die wir uns mit dem Hinweis auf künstlerische Freiheit oder partizipatorische
Absicherung nicht einfach vom Hals halten können.
Es geht vielmehr darum, das eigene Tun immer wieder auf seine Qualität und seine Gültigkeit hin zu
überprüfen, geistige Wachheit zu entwickeln und rezente Antworten auf Adornos alte Frage zu
formulieren: Wie kann ein bestimmter Zweck Raum werden, in welchen Formen und in welchem
Material? Architektonische Phantasie wäre demnach das Vermögen, durch die Zwecke den Raum zu
artikulieren, sie Raum werden zu lassen, Formen zu Zwecken zu errichten.
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