ARTIKEL /ARTICLES m eine Sicherheitsdoktrin zu analysieren und ethisch wie völkerrecht-lich zu bewerten, ist es unverzichtbar, die weltpolitischen Konstellati-onen ins Auge zu fassen, in die hinein und auf die hin sie entworfen wurde. Selbstverständlich lässt sich auch fragen, ob eine Sicherheitsdok-trin dem Selbstverständnis der Gesellschaft entspricht, für die sie formu-liert worden ist, oder
... [Show full abstract] ob sie deren normative Standards unterschreitet und damit womöglich untergräbt. Wenn Jürgen Habermas – zwar nicht im Hinblick auf eine Sicherheitsdoktrin, aber doch die Kriegführung der usa in Afghanistan und im Irak – erklärt, das Missverhältnis zwischen den eigenen Verlusten und denen des Gegners werfe »ein Schlaglicht auf die moralische Obszönität, die wir bei den noch so sorgfältig kontrollier-ten, wenn nicht gar manipulierten Fernsehbildern aus dem asymmetri-schen Kriegsgeschehen empfinden« 1 , so hebt er dabei auf das normative Verständnis einer Gesellschaft ab, für die die Anwendung von Gewalt nicht nur sehr gut begründet, sondern auch an Regeln gebunden sein muss, die man verallgemeinernd als solche der Symmetrie beschreiben kann. Die innereuropäische Kriegsgeschichte ist über Jahrhunderte auf Symmetrie gepolt worden – vom Soldatenethos der Ritterlichkeit bis zu den rechtlichen Regelungen der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konventionen. Wenn man Soldaten, die ihre Gegner im Kampf töten, entgegen der berühmten Formulierung Tucholskys nicht als Mör-der bezeichnen kann, dann vor allem wegen der symmetrischen Konstel-lationen, unter denen sie dies tun. Symmetrie ist in diesem Fall gleichbe-deutend mit einer tendenziellen Gleichverteilung der Chancen zu töten und getötet zu werden. Die europäischen Staatenkriege von der Mitte des 17. bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren von ihrem Wesen her sym-metrische Kriege. 1. »Wege aus der Weltunordnung. Ein Interview mit Jürgen Habermas«; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/2004, S. 37.