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Abstract

Dieser Beitrag besteht aus vier Teilen: Im einführenden Kapitel werden anhand von zwei Beispielen einige Grundbegriffe erläutert und es wird der Frage nachgegangen, warum Aktionsforschung in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat. Der zweite, methodische Teil bietet eine Übersicht über die wichtigsten Herangehensweisen an Aktionsforschung: von der Entwicklung der Forschungsfrage bis zum Schreiben von Fallstudien. Auch die wichtige Rolle des „kritischen Freundes“ wird in diesem Kapitel beleuchtet. Im dritten Teil geht es um wissenschaftstheoretische Fragen nach dem zugrundeliegenden Forschungskonzept, den Gütekriterien von Aktionsforschung und um das Verhältnis von technischer und reflektiver Rationalität. Der vierte Teil geht der Frage nach inwieweit Aktionsforschung eine „Bewegung“ geworden ist und illustriert ihren Schwerpunkt in der Lehrerbildung an zwei Beispielen. Er schließt mit der Frage nach den Wirkungen von Aktionsforschung.
Peter Posch & Stefan Zehetmeier
Aktionsforschung in der
Erziehungswissenschaft
Kurzfassung:
Dieser Beitrag besteht aus vier Teilen: Im einführenden Kapitel werden
anhand von zwei Beispielen einige Grundbegriffe erläutert und es wird der
Frage nachgegangen, warum Aktionsforschung in den letzten Jahrzehnten
an Bedeutung gewonnen hat. Der zweite, methodische Teil bietet eine
Übersicht über die wichtigsten Herangehensweisen an Aktionsforschung:
von der Entwicklung der Forschungsfrage bis zum Schreiben von
Fallstudien. Auch die wichtige Rolle des „kritischen Freundes“ wird in
diesem Kapitel beleuchtet. Im dritten Teil geht es um
wissenschaftstheoretische Fragen nach dem zugrundeliegenden
Forschungskonzept, den Gütekriterien von Aktionsforschung und um das
Verhältnis von technischer und reflektiver Rationalität. Der vierte Teil geht
der Frage nach inwieweit Aktionsforschung eine „Bewegung“ geworden ist
und illustriert ihren Schwerpunkt in der Lehrerbildung an zwei Beispielen.
Er schließt mit der Frage nach den Wirkungen von Aktionsforschung. 1
Schlüsselbegriffe:
Aktionsforschung, Evaluation, Reflexion, Datensammlung, Interview,
Fragebogen, Datenanalyse, Fallstudie, Gütekriterien
1 Der Beitrag folgt im methodischen Teil in großen Zügen der wesentlich
ausführlicheren Darstellung in Altrichter u. Posch, 2007 und bietet
Ausschnitte daraus.
2
Inhalt
INHALT................................................................................................................................2
1 EINFÜHRUNG: WAS IST AKTIONSFORSCHUNG? .........................................4
1.1 BEISPIELE VON AKTIONSFORSCHUNG ..................................................................4
1.2 DER BEGRIFF „AKTIONSFORSCHUNG“ .................................................................7
1.3 WARUM HAT SYSTEMATISCHE REFLEXION VON PRAXIS AN BEDEUTUNG
GEWONNEN?.....................................................................................................................10
2 METHODISCHER TEIL ........................................................................................12
2.1 SCHRITTE IN EINEM AKTIONSFORSCHUNGSPROZESS ..........................................13
2.2 ZUR ENTWICKLUNG VON AUSGANGSPUNKTEN FÜR DIE FORSCHUNG ................14
2.2.1 Das Forschungstagebuch.............................................................................15
2.2.2 Das Analysegespräch...................................................................................16
2.3 SAMMLUNG VON DATEN....................................................................................18
2.4 INTERVIEW.........................................................................................................18
2.4.1 Der Anfang...................................................................................................19
2.4.2 Das Zuhören.................................................................................................19
2.4.3 Das Fragen...................................................................................................20
2.4.4 Das Nachfragen............................................................................................21
2.5 DIE SCHRIFTLICHE BEFRAGUNG.........................................................................21
2.5.1 Die Arbeit an der Ausgangssituation............................................................22
2.5.2 Zur Konstruktion der Fragen .......................................................................22
2.6 ANALYSE VON DATEN .......................................................................................25
2.6.1 Datenresümee...............................................................................................30
2.6.2 Kommunikative Validierung.........................................................................31
2.6.3 Triangulation................................................................................................31
2.7 DIE AUFGABEN KRITISCHER FREUND/INNEN ..................................................32
2.8 DIE SCHRIFTLICHE VERBREITUNG PROFESSIONELLEN WISSENS.........................33
2.8.1 Argumente für das Schreiben .......................................................................33
2.8.2 Schreiben ist schwer, aber man kann es lernen............................................35
2.8.3 Textsorten.....................................................................................................36
2.9 AUFBAU UND QUALITÄTSKRITERIEN VON FALLSTUDIEN ...................................37
3 IST DAS FORSCHUNG? ........................................................................................40
4 AKTIONSFORSCHUNG – EINE „BEWEGUNG“?............................................45
4.1 DAS TEAMFORSCHUNGSPROJEKT AN DER UNIVERSITÄT OLDENBURG ...............46
3
4.2 DAS LEHRERFORTBILDUNGSPROGRAMM „PÄDAGOGIK UND FACHDIDAKTIK FÜR
LEHRER/INNEN“ ...............................................................................................................47
4.3 BRINGT AKTIONSFORSCHUNG DAS WAS MAN SICH VON IHR VERSPRICHT? ........47
LITERATUR......................................................................................................................49
4
1 Einführung: Was ist Aktionsforschung?
Aktionsforschung ist keine neue Erfindung, sondern ein anderes Wort für
systematisch reflektierte Praxis, und viele professionelle Praktiker/innen im
Lehrberuf wie in der Lehrerbildung betreiben Aktionsforschung, ohne das
so zu nennen: Sie reflektieren ihre Praxis vor dem Hintergrund ihrer
beruflichen Wertvorstellungen und versuchen, sie weiterzuentwickeln. Die
Methoden, die in der Aktionsforschung verwendet werden, bauen auf den
Aktivitäten auf, die Praktiker/innen im Alltag verwenden, um die Qualität
ihrer Handlungen zu überprüfen: auf Beobachtung, auf Gesprächen mit
Schüler/innen und Kolleg/innen usw. Je komplexer, offener oder
risikoreicher eine Praxis ist, desto wichtiger wird es, sich ihrer
kontinuierlich zu vergewissern und das Handeln und die eigenen
Wertvorstellungen aufeinander abzustimmen.
1.1 Beispiele von Aktionsforschung
Im Folgenden werden zunächst zwei unterschiedliche Beispiele vorgestellt,
an denen einige Merkmale von Aktionsforschung bereits sichtbar werden.
Das erste Beispiel illustriert Aktionsforschung als individuelle Initiative
(Morocutti, 1989): Eine Englisch-Lehrerin stellte sich die Frage „Wie gehe
ich mit den stillen Schülern um? Verstärke ich die Redeangst schwacher
Schüler?” Um darüber Näheres zu erfahren, schrieb sie für längere Zeit
Gedächtnisprotokolle über einschlägige Erfahrungen in einer fünften
Klasse. Sie machte eine Tonbandaufzeichnung von einer Stunde, bei der sie
nur jene Schüler/innen drannahm, die sich von sich aus meldeten. Sie wollte
auf diese Weise feststellen, wer sich nicht am Unterricht beteiligt. Sie holte
also Informationen über die Situation ein. Dabei machte sie eine
überraschende Entdeckung. Eine Auszählung aller zuordenbaren
Wortmeldungen der auf Tonband aufgenommenen Stunde ergab: 78
Wortmeldungen, davon nur 17 von Mädchen, obwohl fast gleich viele
Mädchen wie Burschen am Unterricht teilnahmen. Ihr war das bisher gar
nicht aufgefallen. Beim Versuch, sich diese Beobachtung zu erklären, stieß
sie auf ein Dilemma. Einerseits stellte sie fest: „es bereitet mir einfach
häufig mehr Lust, mit Buben zu reden als mit Mädchen, und das fängt in der
1b an und hört in der 7b auf". Andererseits meinte sie: „Ich möchte auf
keinen Fall dazu beitragen, dass die vorherrschende Sprachlosigkeit und
Machtlosigkeit der Frau gegenüber dem Mann in den Bereichen
öffentlichen Lebens ihre unendliche Fortsetzung erfährt. Ich fühle mich
verantwortlich, dazu beizutragen, dass Mädchen genauso wie Buben lernen,
ihren Mund aufzumachen”.
5
Sie nannte es das „Dilemma zwischen Neigung und Pflicht" und schrieb:
„Was sich geändert hat, ist die Tatsache, dass ich über einen Bereich
meines Handelns Bescheid weiß, der bis jetzt im Dunkeln lag. Ich handelte,
ohne mich bewusst für die eine oder andere Variante entscheiden zu
können. Diese Möglichkeit zur Entscheidung habe ich jetzt und ich
betrachte sie als Gewinn."
Sie hat sich ein Wissen, das unausgesprochen in ihren Handlungen steckte,
bewusst gemacht, es herausgearbeitet und damit am Prüfstein ihrer
Wertvorstellungen auch weiterentwickelt. Sie stellte anhand der
gewonnenen Daten fest, dass die Situation ihren impliziten Annahmen
widersprach und sie zu neuen Interpretationen herausforderte. Die Daten
waren die Vermittler bei diesem „Zwiegespräch mit der Situation“ (Schön,
1983, S. 56).
Daten sind Erfahrungen, die durch bestimmte Handlungen (etwa
Beobachtungen, Interviews) gewonnen und materialisiert werden (z.B. eine
Bandaufzeichnung, ein Interviewtranskript, ein Gedächtnisprotokoll) oder
bereits vorliegen und nur gesammelt werden müssen (z.B. Arbeiten von
Schüler/innen). Diese Vergegenständlichung macht vom flüchtigen
Augenblick unabhängig. Man kann auf Daten zurückkommen, sie noch
einmal ansehen, genauer studieren und mit ihnen mehrere Erklärungen und
Handlungsalternativen gedanklich durchgehen.
Typisch für Aktionsforschung ist, dass sie nicht bei einer Klärung der
Situation stehen bleibt. Es geht ihr vielmehr darum, ein neu gewonnenes
Verständnis auch praktisch wirksam werden zu lassen und die Situation zu
verbessern. Sie mündet damit in die Frage, welche Handlungsstrategien
diesem neu gewonnenen Verständnis angemessen sind. Manchmal führt die
Analyse einer Situation gleichsam von selbst zu einem veränderten
Handeln. Die vorhin zitierte Lehrerin stellte bei der Analyse der Bandauf-
zeichnung des Unterrichts auch fest, dass sie einem Schüler wesentlich mehr
Aufmerksamkeit widmete als anderen, und dass er mehr „durfte". In ihr
Gedächtnisprotokoll schrieb sie nachher: „Ich verbessere ihn seltener als
andere, deren Meinung mir weniger gelegen kommt”. Bereits wenig später
stellt sie fest, dass diese Erkenntnis nicht ohne Folgen geblieben ist. Sie
schrieb: „Mit dermaßen geschärften Bewusstsein kam es in den folgenden
Stunden öfter vor, dass ich ihn in die Schranken wies. Ich rechne damit,
dass das nicht nur ein Kurzzeiteffekt ist, sondern, dass ich hier etwas über
ihn und mich gelernt habe, das ich nicht mehr vergessen werde.” Die
Lehrerin hat sich nicht ‚vorgenommen’, ihr Verhalten gegenüber diesem
Schüler zu ändern, sondern die Änderung hat sich in gewissem Sinne ‘von
selbst’ aus der Erkenntnis ergeben, sie war sozusagen eine der neuen
Erkenntnis und ihren Wertvorstellungen entsprechende neue Form des
Verhaltens. Häufiger eröffnet die Klärung einer Situation den Zugang zu
neuen Handlungsideen, die erst wieder ausprobiert werden müssen. Z. B.
6
„wie wirkt es sich auf die Schüler aus, wenn ich sie grammatikalische
Regeln selber entdecken und in ihrer Sprache formulieren lasse?”
Aktionsforschung führt damit zu einer experimentellen Haltung der eigenen
Praxis gegenüber. Das eigene Handeln, das vertraute ebenso wie neue
Versuche, wird nicht als selbstverständlich angesehen, sondern als
grundsätzlich überprüfungsbedürftig, als eine Art von ‘Experiment’. Die
Wahl stellt sich zwischen bewussten, in voller Verantwortung unter-
nommenen Versuchen, das jeweils bessere zu finden und den ‘unbewussten’
Routinen einer unreflektierten Praxis. Jedes Handeln ist mit Risiken
behaftet. Nur sehen wir die Risiken der gewohnten Praxis als ‘normal’ an.
Sie fallen uns nicht weiter auf. Aktionsforschung kann hier zu einer
Erhöhung der Sensibilität gegenüber den Stärken und Schwächen der
alltäglichen Realität beitragen.
Nur selten entschließen sich Lehrer/innen, jene Erfahrungen, die sie mit der
Bearbeitung schulischer Probleme oder mit interessanten
Unterrichtsvorhaben gemacht haben, anderen Kolleg/innen zugänglich zu
machen. Sie halten das Wissen, das sie sich in solchen Fällen erarbeitet
haben, für zu uninteressant, um es anderen mitzuteilen. Geschieht es doch,
dann stellen sie manchmal überrascht fest, dass ihre vermeintlich trivialen
Erfahrungen bei Kolleg/innen auf Interesse stoßen und zu eigener
Entwicklungsarbeit anregen. Die vorhin zitierte Lehrerin hat z.B. einen
Aufsatz über ihre Erfahrung geschrieben, der bereits viele Lehrer/innen zu
eigenen Recherchen angeregt hat (Morocutti, 1989).
Das zweite Beispiel: Eine österreichische Privatschule hatte in der Oberstufe
einen so genannten Lehrer-Schüler-Vertrag eingeführt (Erker et al., 1993;
vgl. dazu auch Altrichter u. Posch, 1996; Krall et al., 1995). In diesem
Vertrag wurden die Pflichten der Schüler/innen festgehalten und die
Sanktionen definiert, die bei Nichterfüllung des Vertrages in einer
Stufenleiter bis zum Ausschluss aus der Schule führen konnten. Von der
Lehrerkonferenz wurden offenbar schon länger bestehende Probleme (u.a.
häufiges Fernbleiben, Zuspätkommen, Mängel bei den Hausaufgaben) als
Anlass für diese Initiative genommen und einstimmig folgende
Vorgangsweise beschlossen und umgesetzt: Allen Schüler/innen der
Oberstufe wurde ein Exemplar des Vertrages mit den Pflichten und
Sanktionen zur Unterschrift vorgelegt. Jede/r, die/der an der Schule bleiben
wollte, musste diesen Kontrakt unterschreiben. Die Erfahrungen mit dem
Vertrag wurden von einem Lehrerteam ein Jahr lang begleitend untersucht,
wobei ein ganzes Spektrum von Methoden angewendet wurde:
Beobachtung, Interviews, Fragebogen, statistische Aufzeichnungen der
Auswirkungen auf die Zahl der Absenzen usw. (vgl. Erker et al., 1993).
Durch diese Untersuchung wurden die Probleme, die vor allem wegen der
7
„überfallsartigen" Einführung des Vertrages entstanden waren, rechtzeitig
sichtbar und besprechbar.
So hatten z.B. vor allem jene Schüler/innen den Vertrag als
Vertrauensbruch empfunden und dagegen opponiert, die sich in der
Vergangenheit ohnehin an die Regeln gehalten hatten. Diese
Reaktion und der damit verbundene Widerstand waren von den
Lehrer/innen überhaupt nicht erwartet worden.
Es wurde von vielen Schüler/innen als Zumutung empfunden, dass
der Vertrag nicht auch die Pflichten der Lehrer/innen in ähnlicher
Weise wie die Pflichten der Schüler/innen präzisierte.
Es zeigte sich auch bald, dass mehrere Lehrer/innen (teils wegen der
ablehnenden Schülerreaktionen, teils aus Bequemlichkeit) vor einer
konsequenten Durchsetzung der Vertragsinhalte (vor allem der
Mitteilung von Verstößen) zurückscheuten, so dass das gesamte
Unternehmen langsam im Sande zu verlaufen drohte.
Diese Untersuchung und die damit verbundene kontinuierliche Information
und Reflexion über die Reaktionen der Schüler/innen dürften
ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass der Vertrag sein erstes Jahr trotz
größter Turbulenzen überlebt hat. Der Forschungsprozess hatte offenbar
einen Bewusstseinsstand und eine gegenseitige Erwartungshaltung
geschaffen, die auch jene Lehrer/innen zum Weitermachen bewogen hat, die
wegen dieser Widerstände aufgeben wollten. Und er führte schließlich auch
zu einer intensiven Kommunikation mit den Schüler/innen. Die Folge war
eine Modifikation des Vertrags und eine Einbindung der Schüler/innen in
eine gemeinsame Verantwortung für den Ordnungsrahmen der Schule.
Die beiden Beispiele zeigen zwei sehr unterschiedliche – in gewisser
Hinsicht fast konträre – Ansätze von Aktionsforschung: Während die
Lehrerin im ersten Beispiel zuerst die Ist-Situation untersucht hat, erfolgte
im zweiten Beispiel zuerst eine Strukturveränderung (die Einführung des
Lehrer-Schülervertrages), die dann von einem Lehrerteam begleitend auf
ihre Auswirkungen untersucht wurde.
1.2 Der Begriff „Aktionsforschung“
Die kürzeste Beschreibung von Aktionsforschung stammt von John Elliott,
einem der bekanntesten englischen Exponenten dieser „Bewegung“:
„Aktionsforschung ist die systematische Untersuchung beruflicher
Situationen, die von Lehrerinnen und Lehrern selbst durchgeführt wird, in
der Absicht, diese zu verbessern“ (Elliott, 1991, S. 69). Diese einfache
Definition benennt sogleich eines der wesentlichen Motive,
Aktionsforschung zu betreiben. Es besteht darin, die Qualität der Arbeit in
einem Praxisbereich, in unserem Fall: des Lehrens und Lernens an der
8
Schule und die Bedingungen, unter denen Lehrer/innen und Schüler/innen
arbeiten, zu verbessern. Kurz: Aktionsforschung soll Lehrer/innen bzw.
Lehrergruppen helfen, Probleme der Praxis selbst zu bewältigen,
Innovationen durchzuführen und selbst zu überprüfen. Aktionsforschung
kann aber auch Funktionen erfüllen, die über die Verbesserung des
Handelns in einer konkreten Situation hinausgehen: sie dient zugleich der
Weiterentwicklung der eigenen „praktischen Theorie“ (d.h. der im Handeln
wirksam werdenden Theorie) der beteiligten Lehrpersonen und ist damit ein
Beitrag zu ihrer Professionalitätsentwicklung. Wenn Aktionsforschung
gemeinsam mit anderen erfolgt und die gewonnenen Erfahrungen
ausgetauscht und veröffentlicht werden, kann sie auch der
Weiterentwicklung des kollektiven Wissens der Profession und der
bildungswissenschaftlichen Forschung dienen.
Vor diesem allgemeinen Hintergrund sollte es nicht schwer fallen, die
charakteristischen Merkmale von Aktionsforschung nachzuvollziehen (nach
Altrichter u. Posch, 2007):
1. Forschung der Betroffenen: Aktionsforschung ist Forschung, die
von Personen betrieben wird, die von einer sozialen Situation direkt
betroffen sind – als Lehrer/innen im eigenen Unterricht oder im
Hinblick auf ein gemeinsames Thema an der eigenen Schule.
2. Fragestellungen aus der Praxis: Aktionsforschung setzt an Fragen
der schulischen Praxis an. Praktiker/innen formulieren
Fragestellungen aus ihrer eigenen Erfahrung, die sie als bedeutsam
für ihre Berufstätigkeit erachten. Dies geschieht individuell oder
gemeinsam.
3. In-Beziehung-Setzen von Aktion und Reflexion: Praktisches Handeln
und das Schlüsse-Ziehen aus der reflektierten Handlungserfahrung
(Aktion und Reflexion) werden eng aufeinander bezogen. Man
spricht hier von einer Iteration zwischen Handlung und Reflexion.
4. Längerfristige Forschungs- und Entwicklungszyklen: Der Kreislauf
von Reflexion und Aktion ist eine – hoffentlich nach ‘oben’
führende – Spirale und wird einige Male durchlaufen, wobei
Zwischenanalysen wichtige Schritte bei der Weiterentwicklung der
„praktischen Theorie“ darstellen (vgl. Abb. 1).
9
Abb. 1: Spirale der Aktionsforschung
5. Konfrontation unterschiedlicher Perspektiven: Ein wesentliches
Merkmal von Aktionsforschung besteht darin, verschiedene
Perspektiven auf die zu untersuchende Situation zu sammeln und
miteinander zu konfrontieren. Die Forscher/innen werden ermutigt,
ihre eigenen Wahrnehmungen z.B. mit solchen von Schüler/innen
oder externen Beobachter/innen zu vergleichen und Diskrepanzen
für die Weiterentwicklung von praktischen Theorien zu nutzen.
Auch bereits verfügbares Wissen aus der Fachliteratur liefert
wichtige Perspektiven.
6. Einbettung der individuellen Forschung in eine professionelle
Gemeinschaft: Die ‚kritisch-freundliche’ Zusammenarbeit und
gegenseitige Unterstützung in kollegialen Gruppen soll der
Forschungsarbeit einzelner Lehrer/innen eine neue Qualität
verleihen und zum Aufbau einer professionellen Gemeinschaft der
Berufsgruppe beitragen.
7. Vereinbarung ethischer Regeln für die Zusammenarbeit: Die
Kontrolle über Beginn, Verlauf und Beendigung eines
Forschungsprozesses über Unterricht liegt bei den forschenden
Lehrer/innen – auch wenn sie mit externen Forscher/innen,
Verwaltungspersonen usw. zusammenarbeiten.
8. Veröffentlichung von Praktikerwissen: Aktionsforschung soll
Praktiker/innen dazu anregen, die bei der Erforschung der eigenen
schulischen Praxis gewonnenen Erfahrungen zu veröffentlichen: im
Rahmen der internen Diskussion mit Kolleg/innen, in schriftlichen
Darstellungen von kurzen Vignetten bis zu anspruchsvollen
Fallstudien, in Beiträgen zu Fortbildungskursen, in
Lehrveranstaltungen oder über anderen Medien. Damit setzen sie
individuelle Einsichten einer kollegialen Diskussion aus, um sie auf
ihre Brauchbarkeit und ihren Gültigkeitsbereich zu überprüfen und
10
Hinweise für deren Weiterentwicklung zu bekommen. Darüber
hinaus wird dadurch die Wissensbasis des Lehrberufs verbreitert und
Lehrer/innen erhalten die Möglichkeit, auf glaubwürdige Weise
Rechenschaft über ihre Arbeit und die ihrer Institution abzulegen.
9. Handlungen werden als Ausdruck von Werthaltungen betrachtet:
D.h. sie müssen sich befragen lassen, welche Werte sich in ihnen
ausdrücken. Was ist mein Menschenbild? Haben Lernsituationen
einen Eigenwert oder dienen sie nur als Mittel zu Lernergebnissen?
10. Die Ziele von Aktionsforschung: Aktionsforschung ist durch eine
doppelte Zielsetzung gekennzeichnet. Es werden gleichzeitig
Erkenntnisse (als Ergebnis von Reflexion bzw. der Analyse von
Befunden) und Entwicklung (d.h. die Weiterentwicklung der
untersuchten Praxis) angestrebt. Sie versteht sich aber auch als
Beitrag zur Weiterentwicklung der Ziele und zur Verbesserung der
Arbeitsbedingungen an der Schule.
1.3 Warum hat systematische Reflexion von Praxis an
Bedeutung gewonnen?
Es ist kein Zufall, dass Aktionsforschung in den letzten dreißig Jahren
langsam an Bedeutung gewonnen hat und zumindest im angelsächsischen
Sprachraum weit über den Schulbereich hinaus (z.B. in Sozial- und
Gesundheitsberufen) bereits Eingang in Aus- und Fortbildungsprogramme
gefunden hat. Zu den wichtigsten Gründen gehören gesellschaftliche
Veränderungen und neue Ansprüche an die Praxis. Bedeutsam sind vor
allem zwei Gruppen von Gründen:
1. Die wachsende Komplexität von Aufgaben von Lehrer/innen:
Die Unterschiede in den Lernvoraussetzungen der Schüler/innen
haben zugenommen. Je heterogener eine Klasse
zusammengesetzt ist, desto wichtiger wird es, die
unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen und
Alltagserfahrungen der Schüler/innen ernst zu nehmen und bei
der Gestaltung der Lernsituationen zu beachten. Diagnostische
Fähigkeiten und eine forschend-experimentelle Einstellung zur
Praxis sind dafür von großer Bedeutung.
Die Leistungsansprüche sind gestiegen und die selbständigen
Beiträge der Lernenden haben an Bedeutung gewonnen – nicht
zuletzt als wichtige Voraussetzung für eine konstruktive
Bewältigung von Heterogenität (vgl. Posch, 2009). Je wichtiger
ihre Beteiligung und das selbständige Lernen werden, desto
wichtiger wird ein „Lernen in der Situation“ (d.h. Reflexion von
Praxis). Das gilt auch für Schüler/innen.
11
Der Schule werden heute Erziehungsfunktionen zugewiesen, die
früher als Aufgaben des Elternhauses verstanden wurden. Es
wird von der Schule erwartet, dass sie auch als Lebensraum
gesehen wird, in dem der Sinn schulischen Lernens und sein
Zusammenhang mit persönlicher Lebenssituation und
Zukunftsperspektiven reflektiert werden. Dazu kommt noch eine
weitere besonders kritische Konsequenz: Kinder, die im
häuslichen Umfeld erlebt haben, dass Regeln ausgehandelt
werden, treffen in der Schule auf eine Kultur, in der angeordnet
wird, was erlaubt ist und was nicht. Die Diskrepanz zwischen
einer „Aushandelungskultur“ und einer „Anordnungskultur“
dürfte Ursache vieler Konflikte sein. Lehrer/innen sind dadurch
in zunehmendem Maße gefordert, durch eine Klärung
spezifischer Situationen eigenständige Lösungen (z.B. über
Verhaltensvereinbarungen, Schülermediation usw.) zu finden.
Diese und andere Entwicklungen haben zu einem Leerlaufen vertrauter
beruflicher Routinen (Fichten u. Meyer, 2006) geführt und damit enormen
Druck erzeugt, sie zu überprüfen und neu zu justieren.
2. Die zweite Gruppe von Gründen hängt mit der wachsenden
Verpflichtung der Schulen zusammen, die Ressourcen, die
aufgewendet werden gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.
In einer zunehmend von ökonomischen Überlegungen geprägten
Gesellschaft muss die Schule zeigen, dass sie „das Geld wert ist,
das in sie investiert wird“. In diesem Rahmen wird
Selbstevaluation zu einer unabweisbaren Verpflichtung der
Schulen. In zahlreichen Ländern werden Schulen dazu
verpflichtet, jeweils in Abständen von ein bis zwei Jahren ihre
Bemühungen um Qualität zu dokumentieren und zwar in einem
evaluativen Rückblick die Vorhaben des vergangenen Zeitraums
kritisch zu überprüfen und in einem planerischen Vorausblick
die Vorhaben des nächsten Zeitraums samt Erfolgskriterien und
Methoden der Evaluation darzustellen.
Eng damit hängt auch der Übergang von der Input- zur
Outputsteuerung zusammen: Dabei werden die rechtlichen
Spielräume der Schulen zur Gestaltung ihrer Arbeit erweitert (oft
allerdings ohne die zu ihrer adäquaten Nutzung erforderlichen
Ressourcen). Im Gegenzug wird genauer überprüft, inwieweit sie
die erwarteten Leistungen (meist gemessen an
Schülerleistungen) erbringen. Die Entwicklung von Standards
und externen Tests liegt in dieser Tradition. Ein konstruktiver
Umgang mit externen standardbezogenen Leistungsdaten und
entsprechenden Schlussfolgerungen für den Unterricht ist eine
12
neue Aufgabe geworden, die systematische Reflexion über die
eigene Arbeit im ureigenen Interesse der Lehrer/innen nahe legt.
Aktionsforschung bietet sowohl der einzelnen Lehrerperson, die an
individueller Weiterentwicklung interessiert ist, wie auch den Gruppen (z.B.
Fachgruppen), die für die Qualitätsentwicklung der gesamten Schule
verantwortlich sind, die Möglichkeit, den Herausforderungen, vor denen die
Schule heute steht, konstruktiv zu begegnen.
2 Methodischer Teil
Im Folgenden werden ausgewählte methodische Fragen diskutiert und
illustriert. Zunächst werden aber zwei begriffliche Unterscheidungen
skizziert, die sich in methodischer Hinsicht als bedeutsam herausgestellt
haben:
Nur scheinbar trivial ist die Unterscheidung zwischen
Entwicklungsinteresse und Erkenntnisinteresse.
Das Entwicklungsinteresse geht von Fragen aus, welche die Ziele
oder das erforderliche Handeln zur Verbesserung oder
Weiterentwicklung einer Situation betreffen, z.B. Was möchte
ich verbessern? Was ist in dieser Situation zu tun? Wie kann ich
Idee X verwirklichen?
Das Erkenntnisinteresse geht von Fragen aus, die den
Wissenserwerb zum besseren Verständnis einer konkreten
Situation betreffen, z.B. Was genau ist vorgefallen? Wie sehen
die Schüler/innen die Situation? Warum ist X geschehen?
Für Lehrer/innen, die ständig unter Handlungsdruck stehen, drängen sich
Entwicklungsinteressen stark in den Vordergrund und es ist nicht immer
einfach, dem Erkenntnisinteresse genügend Aufmerksamkeit zu schenken.
Zu leicht wird übersehen, dass nur das Erkenntnisinteresse bearbeitbare
Forschungsfragen generiert.
Die zweite Unterscheidung betrifft zwei unterschiedliche
Herangehensweisen an Aktionsforschung:
Bei explorativer Aktionsforschung handelt es sich um eine Art
Bestandsaufnahme der Situation durch den/die Praktiker/in im
Hinblick auf bestimmte Fragestellungen. Bei der Interpretation
von Daten steht das induktive (d.h. von Beobachtungsdaten
ausgehende) Vorgehen meist im Vordergrund. Eine
entsprechende Forschungsfrage wäre etwa: Welche produktiven
und welche unproduktiven Tätigkeiten von Schüler/innen
kommen bei Schülerexperimenten häufig vor? Das erstgenannte
Beispiel in Kap. 1.1 illustriert diese Herangehensweise. Sie ist
13
vor allem dann zweckmäßig, wenn es nur vage Vermutungen
über Zusammenhänge gibt.
Bei evaluativer Aktionsforschung wird hingegen überprüft, ob
und inwieweit bestimmte vorweg definierte Ziele bzw.
Erfolgserwartungen durch die ergriffenen Maßnahmen
eintreffen. Bei der Interpretation von Daten steht das deduktive
(d.h. von theoretischen Erwartungen ausgehende) Vorgehen
meist im Vordergrund. Voraussetzung ist die vorherige Klärung
der Ziele und der erwarteten Ergebnisse. Eine entsprechende
Forschungsfrage wäre z.B.: Inwieweit gelingt es, durch das
gewählte Unterrichtsdesign den Schüler/innen die erwarteten
Kompetenzen x, y, z zu vermitteln? Beim zweiten Beispiel in
Kapitel 1.1 handelt es sich um begleitende evaluative
Aktionsforschung.
2.1 Schritte in einem Aktionsforschungsprozess
Forschen lernt man, indem man forscht. Jeder Aktionsforschungprozess hat
sein eigenes Gesicht. Im Folgenden werden typische Schritte skizziert,
deren Reihenfolge sich manchmal ändern kann, deren Grundstruktur aber
charakteristisch für Aktionsforschung ist:
(1) Einen Ausgangspunkt für die Forschung und Entwicklung
festlegen: Der Forschungsprozess setzt ein mit dem Erkennen
einer Fragestellung und der Bereitschaft, daran zu arbeiten.
(2) Die ersten Forschungsaktivitäten und Überlegungen
dokumentieren: Die ersten tastenden Forschungshandlungen
enthalten Ideen, die sich später nützlich erweisen können. Ein
wichtiges Instrument dazu ist das Forschungstagebuch (vgl.
2.2.1).
(3) Die Unterstützung von Forschungspartner/innen suchen:
Aktionsforschung zieht großen Nutzen aus der Unterstützung
und aus der Herausforderung, die sich aus einem oder mehreren
„kritischen Freund/innen“ ergeben (vgl. dazu 2.6).
(4) Den Ausgangspunkt näher klären: Dabei geht es um eine
schrittweise Verfeinerung des eigenen Verständnisses des
Forschungsfeldes und der Vorgangsweise bei der Bearbeitung.
Dazu werden Informationen herangezogen, die schon verfügbar
sind oder ohne viel Aufwand leicht zu beschaffen sind. Der
ursprüngliche Ausgangspunkt kann sich dabei noch ändern, was
aber als Zeichen von Weiterentwicklung angesehen werden
sollte. Ziel ist eine konkrete Vorstellung von einem realistischen
Ausgangspunkt und die Konzeption der nächsten Schritte, vor
14
allem: welche Informationen sind erforderlich (und warum) und
wie können sie gewonnen werden?
(5) Daten sammeln: Dafür kommen Beobachtungen, Gespräche,
Interviews, die Analyse vorliegender Dokumente, schriftliche
Befragungen etc. infrage.
(6) Daten analysieren: Die Interpretation der gewonnen
Informationen gehört zum interessantesten, aber auch zum
schwierigsten (weil im engeren Sinn „theoretischen“) Teil der
Aktionsforschung. Es handelt sich dabei um Arbeit an der
eigenen „praktischen Theorie“ und den Werten, die in der
jeweiligen Situation verwirklicht werden sollen. Besonders hier
ist das Gespräch mit „kritischen Freund/innen“ besonders
wichtig.
(7) Handlungsstrategien entwickeln und diese in die Praxis
umsetzen: Neue Handlungsstrategien können sich als zufrieden
stellend erweisen oder eine neuen, weiterführenden
Forschungsprozess einleiten.
(8) Erkenntnisse und Erfahrungen veröffentlichen: Erst wenn
Erfahrungen und Ergebnisse Anderen zugänglich gemacht
werden, wird aus einem Entwicklungsprojekt ein
Aktionsforschungsprojekt. Dies kann schriftlich oder auch im
mündlichen Austausch erfolgen. Für die schriftliche Mitteilung
bietet Kap. 2.8 einige Anregungen.
2.2 Zur Entwicklung von Ausgangspunkten für die
Forschung
Der erste Schritt eines Aktionsforschungsprozesses besteht im Finden und
Formulieren eines geeigneten Ausgangspunktes für das Vorhaben, auf das
man sich einlassen will. Zu den wichtigsten Quellen für die Entdeckung von
Ausgangspunkten gehören:
Erfahrungen im eigenen Unterricht: Eine vielversprechende Idee
ausprobieren, eine schwierige Situation verbessern, eine
Unklarheit oder Überraschung aufklären usw.
Schulprogramme und Entwicklungserfordernisse der eigenen
Schule.
Ergebnisse von Feedback und Evaluationen.
Neugier und „theoretische“ Interessen.
15
Wichtige Methoden, sich über den Ausgangspunkt klarer zu werden, sind
das Führen eines Forschungstagebuchs und die Durchführung von
Analysegesprächen.
2.2.1 Das Forschungstagebuch
Das Forschungstagebuch ist ein wichtiges Werkzeug für forschende
Lehrer/innen. Es verhindert den Verlust wichtiger Informationen und
erleichtert es, Erfahrungen zu analysieren und daraus Schlüsse für die
Weiterentwicklung der eigenen Arbeit zu ziehen. Nicht zuletzt ist das
Tagebuch ein Denkwerkzeug, das Lösungsprozesse unterstützen kann.
Vorurteile und Verzerrungen sind in einem Forschungsprozess nicht von
vornherein vermeidbar. Sie lassen sich aber identifizieren und
berücksichtigen. Forschungstagebücher leisten dabei wertvolle Dienste. Sie
gehen im Wesentlichen auf zwei Wurzeln zurück: Auf das klassische
Tagebuch zur persönlichen Reflexion und auf Tagebücher aus der
Feldforschung, in denen Forscher/innen Aufzeichnungen aus
Beobachtungen, Deutungsversuche und Planungsschritte festhalten.
Elemente eines Forschungstagebuches können daher sein:
Datenmaterial: Situationsbeschreibungen, Aufzeichnungen von
Beobachtungen, Zitate, Gedächtnisprotokolle, Dokumente (z. B. :
Fotos).
Interpretationen und Erklärungsversuche: Reflexionen, Ideen,
Hypothesen.
Persönliche Assoziationen: Wertungen, Einschätzungen, Gefühle.
Schlussfolgerungen: Konsequenzen, Entwürfe, Pläne.
Forschungstagebücher bieten auch Platz für Ideen für die Beschaffung
weiterer erforderlicher Informationen, an die noch nicht gedacht wurde, für
neue Aspekte des Themas und der Entwicklungsziele, die sich erst aus der
Auseinandersetzung mit Daten ergeben, für Handlungsmöglichkeiten, die
sich aus den Befunden ergeben etc. Tagebuchschreiber/innen entwickeln mit
der Zeit einen persönlichen Stil, aus dem sie größtmöglichen Nutzen ziehen
können. Die folgenden Anregungen können diese Arbeit erleichtern (für
weitere Anregungen vgl. Altrichter u. Posch, 2007, S. 33ff.)
Tagebücher sollten je nach untersuchter Fragestellung einigermaßen
regelmäßig geschrieben werden (z. B.: immer nach der Stunde, in
der Neues ausprobiert wird).
Tagebuchschreiben wird oft als mühsam empfunden, bis der
persönliche Gewinn sichtbar wird. Am Anfang müssen daher oft
„Durststrecken“ überwunden werden.
16
Tagebücher sind private Produkte. Die Entscheidung, was anderen
zugänglich gemacht wird, sollte immer bei der schreibenden Person
bleiben.
Die unterschiedlichen Eintragungen sollten deutlich gekennzeichnet
sein, vor allem, ob es sich eher um Beobachtungen oder eher um
Interpretationen handelt, wobei die Genauigkeit der
Beobachtungsdaten (mit Ort und Datum) besonders wichtig ist, weil
davon ihre spätere Verwertbarkeit abhängt.
Anschauliche Situationsbeschreibungen und Dokumente sind für die
spätere Analyse wertvolle Quellen und bilden eine Art „Steinbruch“
an Beispielen, an denen Sachverhalte sichtbar werden können.
In vielen Fällen empfiehlt es sich, das Tagebuch von Zeit zu Zeit
einer Zwischenanalyse zu unterziehen und Passagen mit kritischen
Freund/innen zu diskutieren.
2.2.2 Das Analysegespräch
Das Analysegespräch ist eine bereits vielfach erprobte Möglichkeit, sich
wichtiger Merkmale von Situationen, die erforscht werden sollen, klarer zu
werden. Es setzt voraus, dass die Situationsanalyse nicht individuell,
sondern in einer Gruppe durchgeführt wird. Ein Analysegespräch verläuft
zumeist in drei Schritten (eine ausführlichere Darstellung findet sich in
Altrichter u. Posch, 2007, S. 86ff.):
1. Schritt: Zunächst schildert die Lehrperson, die mehr Klarheit über eine
Situation gewinnen will, in wenigen Sätzen ihre Sichtweise eines
Sachverhaltes (ca. 5 Minuten), so wie sie ihn aktuell erlebt (hat).
2. Schritt: Die übrigen Teilnehmer/innen versuchen anschließend, durch
Fragen ein umfassendes, möglichst stimmiges und differenziertes Bild der
Situation zu erhalten (ca. 20 bis 30 Minuten). Für die Gestaltung dieser
Phase haben sich drei Regeln bewährt:
Es dürfen nur Fragen zur Situation der erzählenden Person gestellt
werden; Äußerungen über ähnliche eigene Erfahrungen sollten
vermieden werden. Mit dieser Regel soll eine Konzentration der
Aufmerksamkeit auf die Situation des Berichtenden erreicht werden.
(Nur Fragen!)
Rat- oder Vorschläge sind nicht erlaubt. Diese Regel soll
sicherstellen, dass die Suche nach einem tiefer gehenden Verständnis
des Problems nicht durch die weniger mühevolle Sammlung von
Rezepten gestört wird. (Keine Rat- oder Vorschläge!)
Kritische Äußerungen (auch in Fragen verkleidete Kritik) sollen
nicht zugelassen werden. Diese Regel, die vor allem am Beginn
17
eines Gesprächs wichtig ist, soll bei der berichtenden Person den
Eindruck verhindern, sie müsse sich verteidigen. (Keine Kritik!)
Auf die Einhaltung dieser mit allen Teilnehmer/innen vereinbarten Regeln
sollte geachtet werden. Diese Aufgabe sollte von einer teilnehmenden
Person übernommen werden, die aber auch selbst Fragen stellen kann. Es
empfiehlt sich, die Regeln in Kurzform auf Kärtchen zu schreiben und für
die ganze Gruppe sichtbar aufzulegen.
Zur Analyse einer Situation sind vor allem drei Arten von Fragen geeignet:
Fragen zur Konkretisierung (z.B. die Bitte, ein Beispiel zu schildern
oder über einen Vorfall detaillierter zu berichten).
Fragen zum Hintergrund (z.B. die Bitte um Erläuterung der
Bedingungen, unter denen eine Maßnahme getroffen wurde).
Fragen zur Systemerweiterung (z.B. die Bitte, auf die Rolle von
Personen oder Ereignissen einzugehen, die etwas mit dem Thema zu
tun haben könnten, aber im Gespräch noch nicht berührt worden
sind).
3. Schritt: Am Ende des Analysegesprächs folgt eine kurze Phase (ca. 5 bis
10 Minuten), in der die Regeln aufgehoben sind und die Möglichkeit
besteht, eigene Erfahrungen mitzuteilen, Ratschläge zu geben und auch eine
kritische Sicht einzubringen.
Erfahrungsgemäß sind solche Gespräche gut geeignet, Klarheit über
Situationen und Ausgangspunkte und Ideen für konkrete Vorgangsweisen
zu gewinnen. Trotzdem empfiehlt es sich, diese noch einmal unter
folgenden Gesichtspunkten zu überprüfen:
Welcher Handlungsspielraum besteht, um an der Situation im Lichte
neuer Erkenntnisse etwas zu verbessern? Je größer der
Handlungsspielraum der Lehrperson ist, desto eher lohnt sich der
Aufwand für Recherchen.
Wie bedeutsam sind die Veränderungsinteressen? Je bedeutsamer sie
eingeschätzt werden, desto mehr Aufwand lässt sich rechtfertigen.
Wie gut sind die Forschungsfragen im Hinblick auf die bestehenden
zeitlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen zu
bearbeiten? Wie gut passen sie und die geplante Vorgangsweise zu
bereits bestehenden Aufgaben? Je mehr sie in diese Aufgaben
integrierbar sind, desto weniger zusätzlicher Aufwand ist
erforderlich.
Der Suche nach geeigneten Ausgangspunkten sollte genügend Zeit
gewidmet werden. Je klarere Vorstellungen vom Entwicklungsinteressen
und Erkenntnisinteressen bestehen, desto fruchtbarer ist die weitere
18
Recherche und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisse
den Aufwand lohnen.
2.3 Sammlung von Daten
Wie kommen forschende Lehrer/innen zum Material ihrer Reflexionen, zu
„Daten“? Daten habe zwei wesentliche Merkmale: sie sind materielle
Spuren oder Objektivierungen von Erfahrungen und Ereignissen und damit
in einem physischen Sinn „gegeben“, herzeigbar und sie werden vom
Forscher als aussagekräftig im Sinne der Fragestellung angesehen. Auch im
beruflichen Alltag wird mit Daten gearbeitet. Klassenarbeiten werden in
Hefte geschrieben, die dann abgesammelt, in Ruhe studiert werden und auch
anderen Personen zugänglich sind. In Bankfragen wird das Wissen von
Schüler/innen geprüft, die Ergebnisse dieser Prozedur werden in einem
Katalog festgehalten.
Es gibt zahlreiche Methoden der Datensammlung. Eine Möglichkeit zur
Unterscheidung ergibt sich daraus, dass manche Daten schon vorliegen (z.B.
Arbeiten von Schüler/innen oder ein Lehrbuchtext), andere erst hergestellt
werden müssen. In letzterem Fall muss entweder ein ohnehin ablaufender
Prozess festgehalten werden (z.B. Niederschrift von Beobachtungen, die
während der Stunde gemacht wurden oder durch Aufzeichnung einer Stunde
mittels Band oder Video) oder der Prozess, der festgehalten werden soll,
muss erst gestaltet werden (z.B. durch ein Interview oder eine Erhebung
mittels Fragebogen).
Im Folgenden wird die (neben der Beobachtung) wichtigste und in vielen
Situationen zweckmäßige Methode genauer dargestellt: die
Interviewmethode (nach Altrichter u. Posch, 2007). Im Anschluss folgen
einige Anregungen zur Verwendung von Fragebögen.
2.4 Interview
Interviews sind Gespräche, deren Zweck es vor allem ist, Sichtweisen,
Interpretationen oder Bedeutungen kennen zu lernen, um das Verständnis
einer Situation zu verbessern. Die wichtigste Voraussetzung für das
Gelingen von Interviews besteht darin, den Interviewpartner/innen deutlich
zu machen, dass die Informationen, die man von ihnen erwartet, bedeutsam
in zweifacher Hinsicht sind:
Für den/die Interviewer/in: Die Interviewten geben Informationen preis,
weil sie erleben, für jemanden dadurch eine wichtige Rolle zu spielen.
Für die Interviewten: Die Interviewten glauben, durch ihre Mitteilungen
etwas an ihrer eigenen Situation zu verbessern.
19
Im Folgenden geben wir einigen Anregungen zur Interviewführung:
2.4.1 Der Anfang
Am Anfang ist es wichtig, die Gesprächspartner/innen um Mitarbeit zu
bitten und den Zweck des Interviews zu erklären. Eine solche Information
(die nicht viel Zeit in Anspruch nehmen muss) ist aus mehreren Gründen zu
empfehlen:
aus ethischen: es ist nicht vertretbar, die Mitteilungen von Befragten für
Zwecke zu verwenden, die ihnen nicht bekannt sind,
aus inhaltlichen: wenn Interviewpartner/innen wissen, worum es geht,
sind sie eher in der Lage, die Informationen zu liefern, die im Interview
benötigt werden,
aus motivationalen: wenn sich die Interviewpartner/innen als „Mitar-
beiter/innen" der Forschung fühlen, sind sie eher bereit, ihre Überlegun-
gen zur Verfügung zu stellen.
2.4.2 Das Zuhören
Um etwas mitzuteilen, sind zwei Personen nötig: eine, die sie erzählt, und
eine, die sie versteht. Um etwas über eine komplizierte Situation
mitzuteilen, ist zudem eine bestimmte Haltung beim Zuhören erforderlich:
Einfühlungsvermögen, disziplinierte Phantasie, Sympathie,
Aufmerksamkeit, Geduld, Distanz, Gefühl für Wahrheit und Bereitschaft, zu
sehen.
Das Zuhören ist beim Interview genauso wichtig wie das Fragenstellen. Die
nicht-verbalen Botschaften, die durch die Art des Zuhörens vermittelt
werden, sind für die Interviewten ebenso wie die Fragen, die gestellt
werden, Hinweise darauf, ob sie als InformantInnen ernst genommen
werden. Ein Ernstnehmen der oder des Interviewten zeigt sich in der Regel
an folgenden Verhaltensweisen:
Gedankengänge werden nicht unterbrochen.
Pausen werden als natürliche Phasen des Nachdenkens akzeptiert. Dies
erfordert eine Umorientierung, weil im Unterrichtsalltag Pausen häufig
anders interpretiert werden.
Alle Äußerungen werden angenommen, auch solche, die den eigenen
Erwartungen nicht entsprechen. Zustimmung zu und Missbilligung von
Äußerungen - auch wenn sie auf weniger leicht kontrollierbare nicht-
verbale Art zum Ausdruck kommen - können den Befragten den
Eindruck vermitteln, dass die Frager/innen gar nicht wissen wollen, was
sie wirklich denken, sondern nur ihre eigenen Einschätzungen bestätigt
bekommen wollen. Es besteht dann die Gefahr, dass die Interviewten
diesen Wunsch erfüllen: sie sagen nur mehr das, was von den
20
Frager/innen voraussichtlich positiv bewertet wird, auch wenn sie raten
müssen. Die Wertschätzung und Anerkennung, die die Interviewer/innen
den Befragten zollen, sollte sich also nicht auf den Inhalt des Gesagten
beziehen, sondern auf die Bereitschaft, von ihren Gedanken etwas mit-
zuteilen.
2.4.3 Das Fragen
Die Fragen sollen den Befragten deutlich machen, worüber die In-
terviewer/innen etwas hören möchten. Sie sollen helfen, den „gedanklichen
Raum" der Interviewten auszuloten. Die folgenden Anregungen dienen
diesem Zweck.
Für den Verlauf des Interviews ist der Anfang sehr wichtig, weil er eine
instabile Situation darstellt, in der sich das Verständnis der „wahren
Intentionen" des Interviews in den Interviewten erst herauskristallisiert und
eine Beziehung aufgebaut wird. Eine gute Möglichkeit, den Befragten
gegenüber das Interesse an ihren Meinungen auszudrücken, besteht darin,
ein Thema oder eine Beobachtung mitzuteilen und sie um Stellungnahme
dazu zu bitten, also etwa: „Wie siehst Du das? Was meinst Du dazu?" Die
direkte Ansprache („Wie siehst Du das?") ist in diesem Zusammenhang
wichtig, weil sie die Interviewpartner/innen daran erinnert, dass die For-
scher/innen an ihrer Meinung interessiert sind.
Vor allem am Anfang des Interviews sollten „offene" Fragen gestellt
werden. Offene Fragen geben den Interviewten Spielraum bei der
Gestaltung ihrer Antwort und übertragen ihnen die Verantwortung, den
Inhalt, über den sie berichten, selbst zu strukturieren. Wenn man den
Befragten das Thema nennt und sie bittet, dazu etwas zu sagen, sind sie frei,
zu entscheiden, welche sprachliche Gestalt sie ihren Gedanken geben. Es ist
dies ein Hinweis für sie, dass es auf ihre Gedanken ankommt, und damit ein
Ausdruck von Wertschätzung.
Geschlossene Fragen (das sind solche, bei denen die Antwortmöglichkeiten
schon vorgegeben sind) können den Interviewten „sagen", dass nicht das
Interesse an ihren Gedanken im Vordergrund steht, sondern das Bestätigen
bzw. Nichtbestätigen vorgegebener Erwartungen bzw. dass die
Interviewer/innen an näheren Ausführungen kein Interesse haben.
Geschlossene Fragen haben nur dann ihren Sinn, wenn die Fragenden genau
wissen, welche Antworten auf eine Frage möglich sind, und wenn es darum
geht, die eigenen Interpretationen zu überprüfen. Wenn aber solche Fragen
(z.B. Ja/nein-Fragen) das Interview eröffnen, kann durch sie das ganze Ge-
spräch zu einem oberflächlichen „(kurze) Frage - (kurze) Antwort"-Spiel
werden.
Die Fragen sollten nicht suggestiv formuliert sein. Die Fragenden sollten
den Interviewten die Antworten nicht in den Mund legen. Suggestive Fragen
wirken sich oft negativ auf den weiteren Verlauf des Interviews aus, weil sie
21
die Glaubwürdigkeit der Interviewintention unterminieren. Je jünger die
befragten Schüler/innen sind, desto sensibler und aufnahmebereiter sind sie
für Suggestionen (z.B. „Meinst Du nicht auch ...?"). Die Übertragung der
Erwartungen der Fragenden auf die Interviewten (u.U. ohne dass dies beide
Seiten bewusst wahrnehmen) ist eine der am weitesten verbreiteten „Fallen"
beim Interview.
2.4.4 Das Nachfragen
Das Nachfragen (Sondieren) ist ein Mittel, das Interesse der In-
terviewer/innen an einem genauen Verständnis des Gesagten auszudrücken.
Sie wollen Details genauer wissen, scheinbar Widersprüchliches aufklären
usw. Dazu gibt es viele Möglichkeiten:
Äußerungen der Gesprächspartner/innen so wiederholen, wie man sie
verstanden hat, um zu prüfen, ob das eigene Verständnis dem der
Befragten entspricht („aktives Zuhören"; vgl. Gordon, 1989). Dies ist
auch dann wichtig, wenn die Interviewten Schwierigkeiten haben, sich
auszudrücken.
Um Konkretisierung oder Illustrierung durch ein Beispiel bitten.
Nach Ursachen, Gründen oder Zwecken fragen.
Widersprüche (vorsichtig) zum Thema machen und um Aufklärung
bitten.
Situationen graphisch ausdrücken lassen (z.B. durch eine Zeitlinie).
Nachfragen kann widersprüchliche Beziehungsbotschaften ausdrücken. Ge-
nauer-Wissen-Wollen kann einerseits als Anerkennung, andererseits als
Zweifel am bisher Gesagten verstanden werden. Interviewer/innen sollten
deutlich machen, dass ihr Interesse weder auf das Aufdecken von Fehlern
noch auf das Bestätigen eigener Vorurteile, sondern auf Verstehen gerichtet
ist.
2.5 Die schriftliche Befragung
Während Interviews oft als schwierig, zeitraubend und schwer organisierbar
angesehen werden, gelten Fragebogen als rasches, einfach zu entwickelndes
und problemlos administrierbares Instrument der Datensammlung. Dieser
verbreitete Eindruck trügt. Die Brauchbarkeit eines Fragebogens hängt
entscheidend von der Qualität der Fragen ab, da ein Rückfragen und
nachträgliches Präzisieren kaum möglich ist. Selbst wenn die Fragen
zufriedenstellend formuliert sind, d.h., wenn die Adressat/innen sie so
verstehen, wie der/die Autor/in sie verstanden wissen möchte und in der
Lage sind sie zu beantworten, ist der Erkenntnisgewinn durch einen
Fragebogen meist geringer als erwartet. Der Grund besteht darin, dass mit
22
zunehmender Strukturierung des Erhebungsinstruments die Aussagen
formaler und inhaltsärmer werden. Trotz dieses grundsätzlichen Problems
kann ein Fragebogen auch forschenden Lehrer/innen eine Hilfe sein. Im
Folgenden werden einige Anregungen zur zu einer sinnvollen Nutzung von
Fragebogen gegeben. (für nähere Ausführungen vgl. Altrichter u. Posch,
2007):
2.5.1 Die Arbeit an der Ausgangssituation
Der wichtigste Grundsatz lautet: Die Methoden folgen den Fragestellungen
und nicht umgekehrt! Die Arbeit, die vor der Entwicklung des Fragebogens
zur Reflexion des zu untersuchenden Phänomens aufgewendet wird, spart
viel Zeit und Mühe bei der Interpretation der Daten. Forschende
Lehrer/innen sollten sich möglichst detailliert überlegen, wozu sie die
Antworten der Schüler/innen brauchen, welche sie erwarten und was sie mit
ihnen voraussichtlich anfangen können. Je genauer sie wissen, was sie
wollen, desto strukturierter kann der Fragebogen sein. Je vager die
Vorüberlegungen sind, desto offener müssen die Fragen sein und desto
schwieriger und zeitraubender ist die Auswertung. In jedem Fall sollte
bereits bei der Formulierung der Fragen die Auswertung mitgeplant werden,
weil sonst sehr leicht ein „Datenfriedhof„ entsteht, wenn man nicht weiß,
was mit den vielen Daten geschehen soll. Sollen die ausgefüllten
Fragebögen qualitativ oder quantitativ ausgewertet werden? Wer kodiert die
Daten und sorgt für die Datenaufnahme am Computer (wenn diese nicht
online erfolgen kann)? Mit welchen Programmen wird ausgewertet? Das
sind einige der Fragen, die bereits vor der Arbeit am Fragebogen geklärt
werden sollten.
2.5.2 Zur Konstruktion der Fragen
Es empfiehlt sich, zunächst nach einem bereits bewährten Instrument zu
suchen, das man verwenden kann, da es zu zahlreichen Fragestellungen
standardisierte Instrumente gibt.2 Wenn kein bereits bewährtes Instrument
zur Verfügung steht, ist es besser ein eigenes maßgeschneidertes Instrument
für die konkrete Situation zu entwickeln als eines zu übernehmen, das nur
ungefähr auf die spezifische Situation der Befragten passt. Einige
Gesichtspunkte werden im Folgenden zusammen gefasst, wobei es vor
allem um vier Gruppen von Entscheidungen geht (vgl. zu Details Altrichter
u. Posch, 2007):
2 Einen Methodenpool gibt es auf http://www.qis.at/start.htm; Online Test-
Verfahren auf http://www.zpid.de/redact/category.php?cat=82).
23
Entscheidungen über den Inhalt:
Ist die Frage wirklich notwendig?
Deckt die Frage das Thema ab oder sind weitere Fragen notwendig,
um die Antwort im Sinne der Fragestellung interpretieren zu
können?
Enthält die Frage (oder das Statement) wirklich nur eine Aussage?
Haben die Befragten die zur Beantwortung nötigen Informationen?
Entscheidungen über die Formulierung der Fragen (Items):
Kann die Formulierung missverstanden werden?
Wird durch die Formulierung der Frage eine bestimmte Antwort
nahe gelegt bzw. suggeriert?
Ist die Formulierung emotional besetzt (reizt sie zum Widerspruch
oder zur Ablehnung)?
Zielt die Frage eher zur Beschreibung objektiver Sachverhalte oder
auf die Mitteilung subjektiver Meinungen?
Ist eine direkte oder eine indirekte Frageweise (die sich auf die
Reaktion auf die Meinung anderer Personen bezieht) angemessener?
Bei sehr persönlichen oder tabuisierten Themen kann eine projektive
Frageweise sinnvoller sein.
Entscheidungen über die Form, in der die Antwort erfolgt:
Soll die Frage zum Ankreuzen einer oder mehrerer Vorgaben, zu
einer Kurzantwort oder zu einer frei formulierten Antwort
auffordern? Kombinationen offener und geschlossener Fragen sind
oft zweckmäßig.
Wie viele (aussagekräftige!) Alternativen sind bei einer
Auswahlantwort im Sinne der Fragestellung zweckmäßig?
Wenn unter mehreren Vorgaben zu wählen ist: sind diese trennscharf
und erfassen sie alle wichtigen Möglichkeiten?
Entscheidungen über die Abfolge der Fragen:
Wird die Antwort auf eine Frage von der/den zuvor gestellten
Frage/n beeinflusst?
Ermöglicht die Abfolge ein langsames vertraut werden mit der
Thematik des Fragebogens, etwa indem Fragen nach objektiven
Informationen eher am Anfang stehen?
Fragebogen mit geschlossenen Fragen haben einige Vorteile: Die Verteilung
ist relativ einfach und das Ausfüllen benötigt meist wenig Zeit selbst bei
24
einer größeren Anzahl von Personen, wodurch gute Chancen für
repräsentative oder Totalerhebungen bestehen. Der unpersönliche Charakter
von geschlossenen Fragen und die Möglichkeiten einer anonymen
Beantwortung erleichtern die Offenheit der Bearbeitung. Auch der soziale
Druck auf dem Antwortenden ist geringer als beim Interview. Allerdings
sollten auch die Nachteile beachtet werden:
Es gibt keine sichere Kontrolle, ob die Fragen so verstanden werden,
wie die Lehrperson sie verstanden wissen möchte, abgesehen davon,
dass der Fragebogen von manchen nicht ernst genommen wird, was
vor allem bei häufigen Befragungen rasch der Fall sein kann.
Es ist möglich, dass die Antwort auf eine Frage durch Faktoren (wie
Einstellungen und Gefühle) verzerrt wird, die dem Antwortenden
zum Teil oder gar nicht bewusst sind und zur Vermeidung negativer
Eindrücke führt.
Bei nicht anonymen (oder von den Befragten als nicht anonym
empfundenen) Befragungen kann es dazu kommen, dass die
Befragten die vermuteten Erwartungen der Fragesteller/innen
bestätigen.
Diese Probleme gelten zwar auch für Interviews, sind aber dort durch den
persönlichen Kontakt leichter erkennbar. Eine Art Mischung von Interview
und schriftlicher Befragung mit offenen Fragen ist die Methode „Plus,
Minus, Fragezeichen“. Sie ist besonders geeignet, im Verlauf einer oder
mehrerer Unterrichts- bzw. Kurseinheiten allgemeine Einschätzungen durch
die Teilnehmer/innen einzuholen. Im Folgenden wird der Verlauf kurz
beschrieben:
In der ersten Phase werden die Teilnehmer/innen gebeten, auf einem
dreigeteilten Zettel sich zunächst individuell zu drei Fragen
schriftliche Notizen zu machen (ca. 3 bis 5 Minuten):
o Plus: z.B. Was hat mir gefallen? Was hat mir etwas
gebracht? Wo war ein Lerngewinn?
o Minus: z.B. Was hat mir nicht gefallen? Was hätte ich lieber
anders gehabt? Wo habe ich nichts mitbekommen?
o Fragezeichen: z.B. Was ist offen geblieben? Welche Fragen
sind entstanden?
In der zweiten Phase werden die Teilnehme/innen gebeten, sich mit
ihren Sitznachbar/innen (zu zweit bis zu viert) über die
Aufzeichnungen auszutauschen und Gemeinsamkeiten zu finden
(ca. 5 bis 10 Minuten).
In der dritten Phase nennt ein/e Teilnehmer/in jeder dieser
Kleingruppen reihum die Ergebnisse und die Lehrperson schreibt sie
25
entweder sichtbar und gegliedert nach "+", "-" und "?" auf die Tafel
oder er/sie macht sich persönlich Notizen (ca. 10 Minuten). In dieser
Phase wird kein Kommentar zu einzelnen Äußerungen abgegeben.
In der vierten Phase stellt die Lehrperson – falls erforderlich –
Rückfragen und nimmt zu den wichtigsten Äußerungen Stellung
(ca. 5 Minuten).
Diese Methode ist nicht sehr aufwändig und quasi-anonym (weil nicht
individuelle sondern Gruppenergebnisse bekannt gemacht werden). Sie
bietet erfahrungsgemäß substanzielle Informationen über den Unterricht,
ermöglicht eine sofortige Stellungnahme der Lehrperson und längerfristige
Analysen (für die die Teilnehmer/innen auch gebeten werden können, ihre
zusammenfassenden Notizen zur Verfügung zu stellen).
Eine wichtige Möglichkeit für jede Art der Sammlung von Daten, ihre
Qualität zu erhöhen, besteht darin, die Adressat/innen für die Ziele der
Untersuchung zu gewinnen. Wenn die Schüler/innen sich als
Mitarbeiter/innen an einer Untersuchung fühlen können, kann auch der
Fragebogen recht verlässliche Daten liefern und zudem zur Veränderung der
Situation beitragen. Wesentlich ist allerdings, dass die Schüler/innen
erfahren, dass die Ergebnisse der Befragung sichtbare Ergebnisse bringen.
Wenn dies nicht der Fall ist, muss damit gerechnet werden, dass weitere
Befragungen nicht mehr ernst genommen werden.
2.6 Analyse von Daten
Durch die Analyse von Daten und direkten Erfahrungen soll Sinn gewonnen
werden, ein differenzierteres Verständnis der untersuchten Situation, eine
„neue" praktische Theorie entstehen, die die bereits verfügbare weiterent-
wickelt. Wer analysiert, strukturiert sein Daten- und Erfahrungsmaterial
auf neue Weise, arbeitet an einer praktischen Theorie. In diesem Sinne
bedeuten Analysieren, Theoretisieren und Strukturieren dasselbe.
Ein Beispiel:
Ausgelöst durch Beschwerden von Eltern hatte sich eine Grundschule mit
dem Übergang in die Sekundarstufe auseinander gesetzt und festgestellt,
dass ein gewisser Prozentsatz von Kindern erhebliche Probleme hatte, den
Leistungsansprüchen in den aufnehmenden Schule zu genügen, was sich
auch in Schulunlust bis hin zu „physischen Symptomen“ ausdrückte. Eine
erste Interpretation dieser unbefriedigenden Situation war schnell
gefunden: Es ist der Kulturschock" beim Übergang. Die weiterführende
Schule hat einen ganz anderen Arbeitsstil, der von einer Minderheit von
Kindern offenbar schwer verkraftet wird. Erst nach Interviews mit
Lehrer/innen der aufnehmenden Schule und längeren Überlegungen tauchte
noch eine andere Erklärung auf: Das Programm" der Grundschule und die
26
Anforderungen der weiterführenden Schule könnten mangelhaft aufeinander
abgestimmt sein, was bei manchen Kindern zu Problemen führen könnte.
Je nachdem, welche dieser beiden Interpretationen zutrifft, sind
unterschiedliche Maßnahmen Erfolg versprechend: Trifft die erste zu, muss
etwas unternommen werden, um den Kulturschock" zu mildern (z.B. durch
Schnupperbesuche). Trifft die zweite Interpretation zu, müssen in
Zusammenarbeit mit Lehrer/innen der Sekundarschule die Programme
besser abgestimmt werden. Es ist also keineswegs gleichgültig, welche
Interpretation gewählt wird, weil die oft aufwändigen Maßnahmen zur
Verbesserung der Situation in hohem Maße davon abhängen, wie die
Situation erklärt wird. Einer der Gründe, weshalb an Schulen viele gut
gemeinte Initiativen im Sande verlaufen, könnte darin bestehen, dass der
sorgfältigen Analyse von Beobachtungen nur selten genügend Raum
gegeben wird und zu rasch scheinbar naheliegenden Interpretationen
geglaubt wird.
Datenanalyse bedeutet also,
aus vorhandenen Informationen (Daten, Vorwissen und sonstige
Informationen)
solche Erklärungen für erklärungswürdige Situationen entwickeln,
die gut durch die vorliegenden Informationen argumentierbar sind.
Im Einzelnen ist eine Analyse durch folgende Einzelprozesse
charakterisierbar (siehe Abb. 2; ausführlicher in Altrichter u. Posch, 2007, S.
181 ff; vgl. auch Mayring, 2003):
1. Daten „lesen", d.h. sich die verfügbaren Informationen bewusst
machen: Was wissen wir über die Situation? Was wurde getan? Was
wurde gesagt? Was hat sich wirklich abgespielt?
2. Daten „reduzieren“, d.h. relevante Informationen auswählen:
Wesentliches wird von Unwesentlichem unterschieden, komplexe
Sachverhalte werden vereinfacht, Zusammengehöriges
zusammengefasst. Praktisch kann dies dadurch geschehen, dass z.B.
aus einem Beobachtungsprotokoll oder einer Interviewaufzeichnung
jene Passagen gekennzeichnet bzw. heraus geschrieben werden, die
dem oder der Untersuchenden bedeutsam erscheinen.
27
Abb. 2: Prozesse bei der Analyse (modifiziert nach Miles u. Huberman,
1984, S. 23)
3. Daten „explizieren“, d.h. sich die Bedeutung der vorliegenden
Informationen bewusst machen: Was bedeuten die Einzelaussagen
im Kontext der untersuchten Situation und in Hinblick auf unsere
Untersuchungsinteressen? Die Bedeutung, die einzelnen Daten im
Rahmen des Erkenntnisinteresses gegeben wird, wird mit Hilfe des
eigenen Vorverständnisses, mit Hilfe von allgemein zugänglichem
Wissen (wie man es in Lexika, Handbüchern und in der Fachliteratur
findet), durch den Vergleich und die Herstellung von
Zusammenhängen innerhalb der Daten und ev. durch zusätzliche
Untersuchungen rekonstruiert und explizit ausgesprochen.
4. Daten strukturieren und „kodieren“, d.h. Informationen ordnen und
begrifflich fassen: Das Datenmaterial wird ‚strukturiert’, indem
Einzeldaten (z.B. eine Interviewaussage) verschiedenen Kategorien
zugeordnet werden. Dabei werden ‚zusammengehörende’
Einzeldaten zusammengefasst, indem sie unter schon formulierten
Kategorien subsumiert oder in neue formulierte Kategorien
gebündelt werden. Kategorien sind allgemeinere Begriffe oder
Aussagen, mit denen das jeweilige Datenmaterial (z.B.
Interviewaussagen) geordnet und beschrieben werden kann. Im
Daten lesen
Daten
reduzieren
Daten explizieren
Daten
strukturieren und
kodieren
Daten sammeln
Weitere
Forschungs-
handlun
g
en
Zusammenhänge
aufbauen
Interpretationen
kritisch prüfen
28
obigen Beispiel waren u.a. die Begriffe „Leistungsansprüche“,
„Schulunlust“, „physische Symptome“, „Schulkultur“ Kategorien
zur Beschreibung der von der Grundschule gesammelten
Informationen. Der Sinn dieses Schritts besteht darin, vom
konkreten Datum etwas Distanz zu gewinnen, es aus einer
allgemeineren Perspektive zu sehen und damit – gleichsam vis à vis
anderen Informationen – besser zu verstehen. Da einem
allgemeineren Begriff (einer Kategorie) zumeist mehrere ausge-
wählte Daten zugeordnet werden können, entsteht eine geordnete
und „interpretierte“ Struktur der Daten.
5. Zusammenhänge aufbauen, d.h. Annahmen formulieren, die die
einzelnen Begriffe in plausible und durch Daten belegbare
Beziehungen bringen: Welche Kategorie hängt wie mit welcher
anderen Kategorie zusammen? Die gefundenen Aussagen sind
Hypothesen", d.h. Vermutungen über Zusammenhänge zwischen
den untersuchten Phänomenen, die oft sprachlich als Wenn-Dann-
Beziehungen ausgedrückt werden. Zusammenhänge können auch
mit Kategorien gefunden werden, die nicht aus dem Datenmaterial,
sondern aus anderen Erfahrungen bzw. aus der Literatur stammen. In
den meisten Fällen lässt sich nicht nur eine Hypothese bilden,
sondern es gibt mehrere plausible Zusammenhänge, die miteinander
konkurrieren. Im obigen Beispiel wurden zwei konkurrierende
Hypothesen gefunden: „die Kulturunterschiede zwischen der
Volksschule und der weiterführenden Schule und der abrupte
Übergang führen bei manchen Kindern zu Leistungsabfall“ und
„Unterschiede in den Leistungsansprüchen zwischen Volksschule
und weiterführender Schule führen zum Leistungsabfall“.
6. Die Interpretationen und den Analyseprozess überprüfen: Wie
vertrauenswürdig sind die Ergebnisse der einzelnen Analyseschritte?
In einer Art Selbstvergewisserung wird z.B. gefragt, inwieweit die
Daten die gewünschten Informationen enthalten, ob bei der
Reduktion tatsächlich nur Unwesentliches wegfällt, ob die
Kodierungen (die Kategorien) das ihnen zugeordnete Datenmaterial
klar zum Ausdruck bringen und vor allem, ob die bei der Analyse
aufgebaute Interpretation die Daten zufrieden stellend erklärt bzw.
welche der Hypothesen dem Datenmaterial am besten entspricht. Es
ist durchaus möglich (und gar nicht so selten), dass sich bei solchen
Prüfprozessen heraus stellt, dass eine Entscheidung zwischen
konkurrierenden Hypothesen mit dem verfügbaren Datenmaterial
nicht möglich ist und noch weitere Informationen gesammelt werden
müssen. Es kann auch vorkommen, dass mehrere Hypothesen
ausreichende Plausibilität besitzen. Im obigen Beispiel stellte sich
heraus, dass die zweite Hypothese einen größeren Erklärungswert
besaß (d.h. von den Daten stärker gestützt wurde) als die erste, dass
29
aber auch die erste Hypothese so weit plausibel war, sodass
Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von beiden Hypothesen
ausgingen. Auch Interpretationen, die plausibel erscheinen, bleiben
Hypothesen. Sie sind zwar „Erkenntnisse", die einen Prüfprozess
überstanden haben und dadurch als vertrauenswürdige Grundlagen
für Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Situation erscheinen.
Trotzdem bleiben sie Annahmen, die auch aufgegeben werden
können, wenn sie durch weitere Befunde in Frage gestellt werden
und sich bessere Hypothesen konstruieren lassen.
Die eben genannten 'Prozesse einer Datenanalyse' wurden in der
sprachlichen und graphischen Darstellung der Deutlichkeit wegen als
unterscheidbare Schritte wiedergegeben. Tatsächlich sollte man sie sich
allerdings eher als Aspekte oder Teilprozesse der umfassenderen Tätigkeit des
Analysierens und Interpretierens vorstellen, die nicht immer fein säuberlich
hintereinander folgen, sondern oft ineinander greifen und einander
hervorbringen: So ist 'Lesen' selbst eine 'strukturierende und explizierende
Tätigkeit', Strukturierung ist nicht ohne Bedeutungsexplikation und
Reduktion des Materials vorstellbar, usw.
Die Schritte 1 bis 5 werden auch als konstruktiver Teil der Analyse
bezeichnet: Aus verfügbaren Informationen konstruieren wir Antworten auf
unsere Fragestellungen. Wir konstruieren Sinn, indem wir Modelle (prak-
tische Theorien") entwerfen, welche die untersuchten Ereignisse
miteinander und mit anderen Erfahrungen verbinden und die im Rahmen
unseres Erkenntnisinteresses plausibel erscheinen. Der Gebrauch des
Wortes „konstruieren" soll bewusst machen, dass „Interpretationen"
notwendigerweise „über" die Datenbasis hinausgehen, also mehr aussagen,
als in den Daten enthalten ist, indem sie auf Vor-Wissen und andere
verfügbare Informationen (wie z.B. bereits bestehende Theorieangebote)
zurückgreifen. Es handelt sich dabei um vorläufige Annahmen über
Zusammenhänge (Hypothesen), um „Konstruktionen“.
Deshalb müssen seriöse Interpretationen neben einem „konstruktiven" Teil
immer auch einen kritisch-prüfenden Teil enthalten, bei uns als Schritt 6
dargestellt, In diesem wird gleichsam noch einmal innegehalten und
zurückgefragt, wie tragfähig die bisherigen „Konstruktionen“ waren.
Kritisch-prüfende Tätigkeiten erfolgen oft Seite an Seite mit konstruktiven
Tätigkeiten. Zuweilen ist aber auch eine spezielle Phase der Forschung
schwerpunktmäßig der Prüfung gewidmet. Die Gütekriterien der Forschung,
wie sie etwa in Kap. 3.1 dargestellt werden, bieten Orientierungspunkte für
den kritisch-prüfenden Teil der Analyse. In der Forschung von
Praktiker/innen erfolgt die kritische Prüfung von Interpretationen und
Forschungsprozessen häufig folgendermaßen:
Lehrer/innen ziehen bei der Analyse ihrer Daten „kritische
Freund/innen" hinzu. Das sind Kolleg/innen oder 'dritte Personen',
30
die die evaluierte Situation nicht „zu gut" kennen und die bereit sind,
auf etwaige 'Kurzschlüsse' im Argumentationsnetz und alternative
Interpretationsmöglichkeiten hinzuweisen;
Lehrer/innen stellen die Ergebnisse ihrer Datenanalyse (ähnlich dem
wissenschaftlichen Vorgehen der „kommunikativen Validierung",
siehe Kapitel 2.6.2) betroffenen Interaktionspartner/innen (z.B.
Schüler/innen) zur Diskussion. Auch hier können Einwände gegen
Interpretationen sowie alternative Interpretationsmöglichkeiten
auftauchen, die weiter führen.
Im Folgenden werden einige Beispiele für Methoden der Analyse von Daten
beschrieben:
2.6.1 Datenresümee
Um einen ersten Überblick darüber zu bekommen, was die Daten im
Hinblick auf die Forschungsfragestellung bieten und später raschen Zugang
zum Datenmaterial zu haben, ist es hilfreich, möglichst unmittelbar nach der
Sammlung von Daten (z.B. Bandaufzeichnung, Beobachtungsprotokoll,
Dokument) das Material durchzusehen bzw. anzuhören und eine Zu-
sammenfassung (Resümee) der wichtigsten Aussagen anzufertigen.
Welche Informationen sollte das Datenresümee bieten? Es sollte Antworten
auf folgende Fragen enthalten:
In welchem äußeren Rahmen (Kontext) wurden die Daten gesam-
melt? Warum wurden sie gesammelt, warum gerade in dieser Situa-
tion, warum mit der gewählten Methode?
Was sind die wichtigsten Sachverhalte, die in den Daten zum
Ausdruck kommen? Was war überraschend?
Zu welchen Forschungsfragen sagt das Datenmaterial am meisten
aus?
Welche neuen Fragen, Sichtweisen, Annahmen, Ideen legt das
Datenmaterial nahe?
Welcher nächste Schritt der Datensammlung, der Datenanalyse oder
des Handelns erscheint im Lichte des Materials am zweckmäßig-
sten?
Es empfiehlt sich, die Antworten auf die Fragen mit kurzen Hinweisen auf
die zutreffenden Stellen des Datenmaterials (z.B. einer Bandaufzeichnung,
eines Protokolls oder Transkripts) zu versehen, damit diese bei Bedarf
später leicht wieder gefunden werden können. Auch nach der Sammlung
bereits vorliegenden Datenmaterials (z.B. Schülerhefte, Zeitungsartikel)
sind solche Resümees zweckmäßig. Ein Datenresümee sollte aus Gründen
der Übersichtlichkeit auf einem Blatt Papier (u.U. beidseitig) Platz finden.
31
2.6.2 Kommunikative Validierung
Kommunikative Validierung ist eine Methode, um sich der Gültigkeit einer
Interpretation durch Kommunikation mit den Betroffenen zu vergewissern
(Mayring, 2002, S. 112): Eine Einigung bzw. Übereinstimmung zwischen
Interviewten und Interpret/innen wird als Hinweis auf die Gültigkeit der
jeweiligen Interpretation angesehen (vgl. Huber u. Mandl, 1982, S. 32).
Eine Lehrperson verwendet diese Methode, wenn sie z.B. ihre Interpretation
einer Schüleräußerung der betreffenden Schülerin vorlegt. Wenn die
Schülerin die Deutung teilt, wird das als Argument für die Gültigkeit der
Interpretation angesehen.
Allerdings ist auch die mittels Kommunikativer Validierung erworbene
'Sicherheit' eine höchst vorläufige, kann sich doch die Zustimmung zur
Interpretation auch aus ungleicher Machtverteilung in der Ge-
sprächssituation, aus geteilten kulturellen Vorurteilen usw. ergeben haben.
Abweichende Interpretationen müssen das Analyseergebnis umgekehrt nicht
prinzipiell entwerten, fordern jedoch dazu heraus, sich mit den Unter-
schieden in den Interpretationen auseinanderzusetzen und sie zu erklären.
2.6.3 Triangulation
Die Methode der Triangulation kann als Methode der Sammlung von Daten
aber auch als eine Prüfmethode angesehen werden, weil sie dabei hilft,
alternative Wahrnehmungen und Interpretationen von Ereignissen miteinan-
der zu vergleichen. Im Rahmen von Aktionsforschung besteht Triangulation
meist aus der Verbindung von Beobachtung und Interview, wobei zu ein
und derselben Situation Daten aus drei Perspektiven („Ecken") gesammelt
werden:
aus der Perspektive der Lehrperson (z.B. durch Interview),
aus der Perspektive einzelner Schüler/innen (z.B. durch Interview),
aus der Perspektive von neutralen Dritten (z.B. durch Beobachtung).
Das Wesentliche an der Triangulation ist die Gelegenheit zum kontrastieren-
den Vergleich unterschiedlicher Berichte zum „selben" Sachverhalt. Die
Berichte können wie im obigen Beispiel durch Interviews und Beobachtung,
aber auch auf andere Weise (z.B. durch schriftliche Äußerungen) zustande
kommen. Durch den Vergleich der Perspektiven können Unterschiede,
Widersprüche und Diskrepanzen entdeckt werden. Diese sind Ansatzpunkte,
um die Interpretation einer Situation (die „praktische Theorie“) weiterzuent-
wickeln und besser durch Erfahrung zu stützen. Wenn hingegen die
unterschiedlichen Perspektiven übereinstimmen, d.h. eine Situation ähnlich
interpretieren, nimmt man an, dass sich die Vertrauenswürdigkeit dieser
Interpretation erhöht hat. Die Vorteile der Triangulation bestehen darin, dass
ein „dichteres" und zugleich ausgewogeneres Bild einer Situation
entsteht;
32
die Widersprüchlichkeit vieler Situationen sichtbar wird, wodurch
tiefer gehende Interpretationen angeregt werden.
Die Methode hat aber auch Nachteile:
Sie wird von manchen Lehrer/innen als bedrohlich erlebt. Es gehört of-
fenbar ein gewisses Selbstvertrauen dazu, die eigene Wahrnehmung von
einer Situation, für die man sich verantwortlich fühlt (und die man
dadurch gleichsam als „Stück von sich selbst" empfindet), mit
Fremdwahrnehmungen zu konfrontieren und damit in Frage zu stellen.
Ein weiterer Nachteil dieser Methode ist auch der dazu erforderliche
Aufwand: Ein/e Beobachter/in muss eingeladen werden, und Daten aus
drei Quellen sind erforderlich. Allerdings ist dieser Aufwand auf einen
relativ kurzen Zeitraum beschränkt.
Eine wichtige Rolle bei der kritischen Analyse, genau genommen im
gesamten Verlauf eines Aktionsforschungsprozesses, spielen Personen, die
ihn mit freundschaftlicher Kritik begleiten: „kritische Freund/innen“.
2.7 Die Aufgaben „kritischer Freund/innen“
Was ist ein „kritischer Freund“ oder eine „kritische Freundin“? Zunächst
jemand, der kritisch in dem Sinne ist, als er oder sie in seinen oder ihren
Rückmeldungen sich und mir nichts vormacht, sich also nicht als
„Schulterklopfer/in“ versteht, sondern als jemand, der ein ehrliches und
offenes Feedback gibt. Aber auch eine Person, die ich als Freund/in in dem
Sinne sehen kann, als sie mir wertschätzend gegenübersteht, sodass ich von
ihr erwarten kann, dass sie das Feedback in einer Weise formuliert, die diese
grundsätzliche Anerkennung nicht in Frage stellt. Kritische Freund/innen
sind also Personen, zu denen ein Vertrauensverhältnis besteht, die sich in
die Situation des Gegenübers einfühlen können und ihm grundsätzlich mit
Sympathie gegenüber stehen (also „Freund/innen” sind) und die zugleich
bereit und in der Lage sind, ihre Wahrnehmungen auf differenzierte Weise
mitzuteilen (also „kritisch” im ursprünglichen Sinn dieses Wortes sind).
Kritische Freund/innen können wertvolle Dienste leisten. Einer der
wichtigsten besteht in der Spiegelung von Routinen, indem sie je nach den
Interessen der betroffenen Lehrperson den Unterricht beobachten,
Schüler/innen, Eltern oder Kolleg/innen für ihn interviewen usw. Für die
meisten Praktiker/innen besteht ein Problem darin, dass sie über die eigene
Situation zu viel „wissen”, um noch „sehen” zu können. Um „blinde
Flecken” in den Routinen alltäglichen Handelns zu identifizieren, ist der
„fremde Blick" des/der kritischen Freundes/Freundin hilfreich, weil dieser
die für das „Sehen“ erforderliche Distanz zum eigenen Tun vermitteln kann.
Auch Schulleiter/innen können von einem „kritischer Freund“ (im Idealfall
ein/e befreundete/r Schulleiter/in) wertvolle Erkenntnisse vermittelt
33
erhalten.
2.8 Die schriftliche Verbreitung professionellen
Wissens
Im Lehrberuf gibt es keine Tradition der Darstellung und Kommunikation
des beruflichen Wissens, der eigenen Erfahrung und des eigenen Nachden-
kens nach außen. Dies ist unseres Erachtens ausgesprochen abträglich für
die Reflexion über berufliche Praxis, für den professionellen Status von
Lehrer/innen und damit in letzter Konsequenz für die Qualität der Erzie-
hungspraxis. Die zentrale Zielsetzung von Aktionsforschung ist es,
Lehrer/innen Zutrauen zum eigenen praktischen Wissen zu geben und ihnen
für das Lernen aus ihrer Erfahrung und für die Weiterentwicklung ihres
professionellen Wissens praktikable Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.
Im Folgenden werden einige Argumente für das Schreiben angeführt (nach
Altrichter u. Posch, 2007):
2.8.1 Argumente für das Schreiben
a) Darstellung und Kommunikation schützt Lehrerwissen vor dem
Vergessen werden
Die Aufbereitung eigenen Wissens erleichtert das Lernen aus der Erfahrung.
Wer Erfahrung aufbereitet und mitteilt,
verringert individuelles Vergessen und verankert Erfahrung tiefer im
Gedächtnis,
verringert kollektives Vergessen und schafft die Voraussetzung, dass
Erfahrung der Berufsgruppe erhalten bleibt und bearbeitbar wird.
b) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen erhöht die Qualität
der Reflexion über die Praxis
Die Aufbereitung eigenen Wissens erfordert Nachdenken, Ordnen der
Gedanken, das Bemühen um Belege und bietet oft zusätzliche Einsichten
(Auch Lehrende lernen beim Lehren oft mehr als Lernende beim Lernen).
Es ist auch Voraussetzung für Rückmeldung und Kritik und eröffnet die
Möglichkeit, von anderen Personen Anregungen zu beziehen und das eigene
Wissen weiterzuentwickeln. Es ist damit eine wichtige Maßnahme
innerschulischer Qualitätssicherung und eine Voraussetzung für die
Schulentwicklung (vgl. dazu auch Schuster, 2008).
c) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen ist für den professi-
onellen Umgang mit Schüler/innen, Eltern und Kolleg/innen erforderlich
Lehrer/innen können sich nicht damit begnügen, eine Dienstleistung
anzubieten, ohne sich darum zu kümmern, wie diese verstanden und
aufgenommen wird. Die meisten Lehrerhandlungen, und erst recht
34
innovative, bauen darauf, dass die Betroffenen mitmachen können und
wollen. Dies erfordert aber eine verstehbare und überzeugende Mitteilung
der Absichten. Indem die Aufbereitung eigenen Wissens dazu beiträgt, eine
professionelle Sprache zu entwickeln und zu pflegen, leistet sie indirekt
auch einen Beitrag zur Verbesserung der Kommunikation mit
Schüler/innen, Eltern und Kolleg/innen. Professionelle Kommunikation
erleichtert der Berufsgruppe, einen aktiven Beitrag zur Heranbildung beruf-
lichen Nachwuchses zu leisten. BetreuungslehrerInnen sollten z.B. Lehre-
r/innen sein, die fähig und bereit sind, als „reflektierende Praktiker/innen“
ihr Wissen einer kritischen Anfrage auszusetzen und auf Grund von Erfah-
rungen weiterzuentwickeln. Dazu gehört die Fähigkeit, über die eigene
praktische Theorie auf differenzierte Weise zu kommunizieren. In diesem
Sinn ist Schreiben ein essentielles Merkmal professioneller Tätigkeit.
d) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen stärkt das berufliche
Selbstbewusstsein
Die Aufbereitung eigenen Wissens schafft Zutrauen zur eigenen Tätigkeit
und verhindert geistiges Stehenbleiben. Sein berufliches Wissen zu
kommunizieren trägt zur Überwindung der beruflichen Isolation bei und ist
ein wesentlicher Beitrag zur Hebung des beruflichen Selbstbewusstseins.
e) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen verbessert das gesell-
schaftliche Ansehen
Unseres Erachtens besteht ein Zusammenhang zwischen der niedrigen
Selbsteinschätzung von Lehrer/innen und ihrer geringen Präsenz bei der öf-
fentlichen Diskussion über inhaltliche Fragen des Bildungswesens auf der
einen Seite und ihrer Selbstbeschränkung auf das Wirken im Klassenzimmer
andererseits.
Wenn Lehrer/innen sich am Aufbau einer berufsspezifischen Wissensbasis
beteiligen, erhalten sie die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung der öffent-
lichen Diskussion über Bildungsfragen und zur verständlichen und
nachvollziehbaren Darstellung der Leistungen, die an Schulen erbracht
werden. Sie werden dadurch weniger von der Medienberichterstattung
abhängig, weil sie das Lehrerbild in der Gesellschaft mit gestalten können.
f) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen erweitert die
berufliche Autonomie
Wenn Lehrer/innen sich in der berufsinternen und öffentlichen Diskussion
engagieren und dabei professionelle Kompetenz demonstrieren, kann auf
diese Weise gezeigt werden, dass Lehrer/innen zur Selbstkontrolle der Qua-
lität ihrer Arbeit bereit und fähig sind und dass direkte staatliche Kontrolle
oder misstrauische Einschränkung der beruflichen Spielräume nicht erfor-
derlich ist.
g) Darstellung und Kommunikation von Lehrerwissen ermöglicht
begründete bildungspolitische Einflussnahme
35
Ohne die Bedeutung rationaler Argumente in der öffentlichen Diskussion
überschätzen zu wollen, meinen wir doch, dass sich die Position von
Lehrer/innen in der bildungspolitischen Debatte verbessern würde, wenn sie
kontinuierlich mit gut gestützten Erfahrungsberichten über professionelle
Probleme präsent wären.
2.8.2 Schreiben ist schwer, aber man kann es lernen
Schreiben wird von vielen Lehrpersonen als schwer erlebt. Dies hat
durchaus auch inhaltliche Gründe: Es bedeutet ja nicht nur das Mitteilen von
schon fertigen Analyseergebnissen, sondern ist selbst Analyse und zwar
unter verschärften Bedingungen, weil man den Gedanken, die in uns
arbeiten, eine Gestalt geben muss. Diese liegen dann als Produkt vor und
können von anderen geprüft werden. Hier wird schon ersichtlich, dass durch
das Schreiben eine neue Qualität der Durchdringung von
Forschungsergebnissen hinzukommt. Daneben gibt es aber auch noch
andere Gründe, weshalb Schreiben schwer fällt:
Viele Lehrer/innen glauben, dass ihre täglichen Erfahrungen und das
Wissen, das sie sich bei ihrer Berufstätigkeit erarbeiten, für niemand
anderen als für sie selbst wichtig sein könnten.
Für die berufliche Karriere der Lehrkräfte ist es im Allgemeinen
völlig unerheblich, ob man die eigene berufliche Tätigkeit untersucht
und darüber kommuniziert.
Die Rahmenbedingungen an den Schulen sind einer intensiveren
Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis meist wenig förderlich.
Es fehlt an Strukturen, die Zusammenarbeit, Austausch und
gegenseitige Unterstützung durch „kritische Freund/innen“ sicher
stellen.
Schließlich ist auch nicht sicher, ob Schreiben als traditionelle Form
wissenschaftlicher Mitteilung in jedem Fall die sinnvollste Form der
Verbreitung von Lehrerwissen ist. Allerdings wurden bis jetzt noch
keine überzeugenden Alternativen gefunden.
Schreiben kann man lernen und es gibt viele Anregungen, die den Einstieg
erleichtern können, z.B. sich von kritischen Freund/innen zum
Forschungsprozess und seinen Ergebnissen interviewen lassen, das
Gespräch aufzeichnen und die Aufzeichnung als Grundlage für den
schriftlichen Bericht verwenden. (Vgl. auch die zahlreichen Tipps in
Altrichter u. Posch, 2007, S. 279ff. oder die detaillierten Anleitungen in
Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung und SchreibCenter im
Auftrag von IMST, 2010).
Es gibt mehrere Möglichkeiten der schriftlichen Mitteilung über
Reflexionsergebnisse: verschiedene Textsorten können bei der
Verschriftlichung von Aktionsforschungsprojekten zum Einsatz kommen:
36
2.8.3 Textsorten
Eine Vignette ist die Illustration einer Botschaft anhand eines
tatsächlichen Ereignisses, das möglichst konkret und „plastisch"
beschrieben wird. Was wurde beobachtet? Was ist geschehen? Eine
Vignette kann von anekdotenhafter Kürze sein, aber auch die Länge
einer Kurzgeschichte haben. Wichtig ist, dass ein tatsächliches
Geschehen beschrieben wird.
Ein Szenario ist die Darstellung eines erfundenen Sachverhalts. Es ist
so gestaltet, dass eine bestimmte Botschaft illustriert wird, wobei die
Teile so miteinander verbunden werden, dass Handlungsstrategien
daraus abgeleitet werden können. Ein Szenario kann auch Vignetten
enthalten oder aus ihnen konstruiert werden. Meist sind Fragen, die
nach einer Erklärung oder nach Lösungsvorschlägen verlangen, Teil
eines Szenarios. Szenarios bieten sich auch an, wenn aus ethischen
oder Datenschutzgründen originales Datenmaterial nicht
veröffentlicht werden kann, aber die „Botschaft“ bzw. markante
Erkenntnisse trotzdem verdienen, veröffentlicht zu werden.
Eine Problemdarstellung (issue paper): Ein Problem bezieht sich auf
ein Thema, in Bezug auf das es unterschiedliche Auffassungen gibt,
die möglichst umfassend (u.U. aber auch stichwortartig) dargestellt
werden. Meist ist es eine Intervention, deren Merkmale
unterschiedlich eingeschätzte Auswirkungen haben. Je nach
Einschätzung der Auswirkungen wird auch die Intervention
unterschiedlich bewertet. Elemente einer Problemdarstellung sind
die Beschreibung einer Intervention (z.B. eines Projekts) oder einer
Rahmenbedingung, die Einschätzungen ihrer Auswirkungen aus
verschiedenen Sichtweisen, Interpretationen, Wertvorstellungen, die
den Einschätzungen zugrunde liegen.
Ein Positionspapier (oder Stellungnahme) bringt Werthaltungen des
Autors oder der Autorin zum Ausdruck. Im Vordergrund stehen
Interpretationen und Bewertungen von Situationen bzw.
Sachverhalten. Diese werden soweit skizziert, dass der Leser oder
die Leserin eine Vorstellung davon erhält, worin der Sachverhalt
besteht, zu dem Position bezogen wird. Häufig enthält ein
Positionspapier auch Forderungen, die im Zusammenhang mit den
Bewertungen aufgestellt werden.
Eine Fallstudie ist ein schriftlicher, systematisch recherchierter
Bericht, in dem über einen Fall aus der Praxis Mitteilung gemacht
wird: über die Fragestellung und deren Hintergrund, über Methoden
und Prozess der Forschungs- und Entwicklungsarbeit, über deren
Ergebnisse und deren Interpretation, sowie über weiterführende
Handlungsideen und offene Fragen. Die mitgeteilten Informationen
können auf verschiedene Weise angeordnet werden, u.a. nach der
37
Chronologie des Forschungsprozesses, nach einer oder mehreren
Thesen, indem ein Phänomen von verschiedenen Seiten her
beleuchtet wird, oder Forschungserfahrungen auf Hauptaussagen
kondensiert werden.
Ein Übersichtsbericht (Cross case Bericht) fasst Recherchen (z.B.
mehrere Fallstudien) unterschiedlicher Personen in einen
vergleichenden Bericht zusammen, in dem die übereinstimmenden
oder widersprechenden Ergebnisse unterschiedlicher
Forschungsprozesse mitgeteilt werden.
2.9 Aufbau und Qualitätskriterien von Fallstudien
Zu den am weitesten verbreiteten Berichten über Aktionsforschung gehören
Fallstudien. Zahlreiche Beispiele finden sich auf der Homepage des Instituts
für Unterrichts- und Schulentwicklung der Alpen-Adria-Universität
Klagenfurt (http://ius.uni-klu.ac.at/publikationen/praxisforschung/). Im
Folgenden werden einige Gesichtspunkte für die Gestaltung von Fallstudien
vorgestellt, die sich nach unserer Erfahrung als bedeutsam herausgestellt
haben:
Ist die Darstellung durch Daten gestützt und nachvollziehbar?
Werden Behauptungen argumentiert und glaubwürdige Belege aus
den Daten angeboten?
Werden widersprechende Daten und alternative Interpretationen
mitgeteilt? Werden Vergleiche zu Erfahrungen anderer Lehrer/innen
oder zu Ergebnissen aus der Literatur gezogen? Da Lehrer/innen
unter Erfolgsdruck stehen, besteht die Gefahr, sich selbst und andere
durch zu glatte Erfolgsmeldungen zu täuschen. Das Aufzeigen von
Widersprüchen und Diskrepanzen haben nicht selten erhebliches
Potenzial, die Komplexität von Praxis besser zu verstehen.
Wird der Kontext, in dem die Forschung und ihre Ergebnisse stehen,
klar gemacht? Damit Leser/innen fremde Erfahrungen für ihren
Kontext weiterdenken und eigene Hypothesen entwickeln können,
müssen sie ein Verständnis der allgemeinen und spezifischen
Merkmale des beschriebenen Falles gewinnen.
Ist die sprachliche Gestaltung verständlich und anschaulich? Ist der
Text durchschaubar strukturiert? Gibt es spannende und
ansprechende Passagen?
Ist die Darstellung ethisch vertretbar? Wurden die Tatsache der
Veröffentlichung und ihre spezifischen Aussagen mit den
Betroffenen ausgehandelt?
38
Enthält die Darstellung auch Analysen oder nur Beschreibungen?
Werden beobachtete Phänomene in einen Zusammenhang gebracht,
Schlüsse für das Handeln gezogen, weitere Forschungsfragen
aufgezeigt? Es sollten durchaus auch gewagte Interpretationen und
Schlussfolgerungen vorgetragen werden, wenn sie plausibel und für
das eigene Handeln relevant erscheinen.
Die folgende Graphik bietet eine Übersicht über Struktur und
Qualitätsmerkmale einer Fallstudie:
Struktur Qualitätsmerkmale
Einleitung
Ausgangspunkt/Forschungsfrage:
Über welchen Aspekt meiner
Tätigkeit möchte ich mehr
wissen? Warum? Welches Ziel
möchte ich erreichen?
Hypothesen/Vermutungen:
Welches Ergebnis erwarte ich?
Grundlagen: Auf welches
Vorwissen kann ich aufbauen?
Kontext: Welche
Rahmeninformation (über die
Schule, die Klasse(n), in der die
Untersuchung erfolgt, die
Schüler/innen usw.) ist zum
Verständnis der Studie
erforderlich?
Werden Situation
und Geschehen
plastisch und
lebendig
beschrieben?
Kann der/die
Leser/in
nachvollziehen, was
durch den
Forschungsprozess
herausgefunden
werden soll?
Werden begriffliche
und theoretische
Vorkenntnisse (samt
Quellenangaben)
kurz umrissen?
Wird der Kontext so
knapp wie möglich
dargestellt,
beschränkt auf das,
was für das
Verständnis nötig
ist?
Methoden
Woher stammen die
Informationen?
Mit welchen Methoden habe ich
Daten gesammelt?
Mit welchen Methoden habe ich
sie analysiert?
Werden durch die
methodische
Vorgangsweise
unterschiedliche
Perspektiven
erfasst?
39
Warum habe ich diese Methoden
gewählt?
Welche Erfahrungen habe ich
damit gemacht?
Ergebnisse
Was habe ich herausgefunden?
Wie vertrauenswürdig sind die
Ergebnisse?
Werden die Daten
genau dokumentiert
(z.B. wörtliche
Zitate, Tabellen,
Diagramme) –
vorerst ohne sie zu
interpretieren und
zu bewerten?
Diskussion Wie interpretiere ich die
Ergebnisse? Welche anderen
Interpretationen wären denkbar?
Was bedeutet meine
Interpretation in Hinblick auf
meine Forschungsfrage?
Wie wirkt sie sich auf meine
Sicht der Dinge aus?
Inwieweit entspricht sie meiner
Vermutung? Oder gibt es
Überraschungen?
Enthält die
Darstellung auch
Analysen oder ist
sie weitgehend
beschreibend?
Kann der/die
Leser/in eigene
Schlüsse ziehen?
Sind die
Interpretationen
durch Daten belegt?
Werden
widersprechende
Daten und
alternative
Interpretationen
mitgeteilt?
Ist die Darstellung
ethisch vertretbar?
Ausblick Was habe ich daraus gelernt und
welche Konsequenzen ziehe ich
für mein praktisches Handeln?
Welche neuen Fragen sind
aufgetaucht?
Wie plausibel sind
die persönlichen
Schlussfolgerungen
?
Literatur Liste der verwendeten Bücher,
Zeitschriftenartikel, Dokumente,
eigene Aufzeichnungen (z.B.
40
Forschungstagebuch)
Anhang Alles was den Lesefluss hemmen
würde, aber für das
Nachvollziehen des
Forschungsprozesses wichtig ist
(z.B. Interviewleitfaden,
Fragebögen, Fotos, Auszüge aus
Transkripten etc.)
3 Ist das Forschung?
Die Verwendung des Begriffs Forschung im Zusammenhang mit
Aktionsforschung geht auf die angelsächsische Tradition zurück, die diesem
Begriff einen etwas größeren Umfang zubilligt als dies im
deutschsprachigen Raum üblich ist. Auch der Prozess der systematischen
Selbstvergewisserung über das eigene Tun und des Entwerfens und Prüfens
von Handlungsideen kann dabei als Forschung angesehen werden.
Allerdings verdient nicht jede Reflexion den Namen Forschung.
Je systematischer eine Recherche erfolgt (d.h. je mehr sie auf dem bereits
verfügbaren theoretischen und methodischen Wissen aufbaut), je selbstkriti-
scher sie durchgeführt wird (d.h. je sorgfältiger geprüft wird und
abweichende Daten und Interpretationen berücksichtigt werden) und je
kommunikativer sie ist (d.h. je mehr sie auf das Öffentlich machen von
Prozess und Ergebnissen eingestellt ist), desto eher verdient sie den Namen
„Forschung".
Dazu gehört die Bereitschaft,
sich über die eigenen Erwartungen und Vorurteile gegenüber der zu
untersuchenden Frage Rechenschaft abzulegen, damit sie nicht blind
machen gegenüber abweichenden Beobachtungen,
nicht nur jene Beobachtungen bzw. Daten zu berücksichtigen, die
mit den eigenen Erwartungen übereinstimmen, sondern auch jene,
die dagegen sprechen,
sich mit bereits verfügbarem Wissen auseinander zu setzen – soweit
dies für den im Beruf stehenden Lehrer möglich ist,
Ergebnisse öffentlich zu machen (und sei es auch nur im Gespräch)
– auch wenn die Ergebnisse den eigenen Erwartungen nicht
entsprechen.
Die Ergebnisse des Analyseprozesses bleiben dennoch grundsätzlich
vorläufig, „hypothetisch" und bedürfen der weiteren Überprüfung durch
praktische Erprobung.
41
Der oberste Grundsatz wissenschaftlichen Arbeitens besteht nach Robert
Feynman (1987, S. 454; Nobelpreis für Physik 1965) darin, „sich selbst
nichts vorzumachen. Und sich selbst kann man am leichtesten etwas
vormachen“.
Im Folgenden werden drei Gruppen von Gütekriterien unterschieden:
erkenntnistheoretische, pragmatische und ethische Kriterien (nach Altrichter
u. Posch, 2007):
(1) Die erkenntnistheoretischen Gütekriterien unterscheiden sich nicht
von jenen der akademischen Forschung. Die üblichen Gütekriterien
der empirischen Forschung (Objektivität, Reliabilität, Validität)
beruhen auf dem Gedanken der Wiederholung (Replikation). Indem
über einen Forschungsprozess ein zweiter darüber gelegt wird,
versucht man die Güte und Glaubwürdigkeit von Ergebnissen zu
überprüfen. Übereinstimmung ist ein Zeichen von Güte,
Diskrepanzen sind ein Zeichen von Schwächen. Diese Gütekriterien
sind auch für die Aktionsforschung relevant. Manche
Prüfprozeduren der akademischen Forschung sind allerdings in der
Aktionsforschung nicht anwendbar, weil sie zu aufwändig sind oder
weil komplexe praktische Situationen zu instabil sind. Auch in der
Aktionsforschung können jedoch Diskrepanzen entdeckt werden,
indem Forschungsprozesse übereinander gelegt werden:
Perspektiven anderer Personen (vor allem der Schüler/innen aber
auch anderer betroffener Personen, unbeteiligter externer
Beobachter/innen im Rahmen der Triangulation);
Perspektiven durch andere Methoden (z.B. wenn
Unterrichtsbeobachtungen durch Schülerinterviews ergänzt
werden);
Perspektiven aus der Untersuchung anderer ähnlicher Situationen
(z.B. Berichte anderer Lehrer/innen, eigene dokumentierte
Erfahrungen, wissenschaftliche Literatur).
Diskrepanzen zwischen unterschiedlichen Befunden können zwei
Ursachen haben:
Methodische Schwächen und Täuschungen. In diesem Fall muss
der Fehler korrigiert oder – wenn das nicht möglich ist – bei der
Interpretation der Daten berücksichtigt werden.
Tatsächlich vorkommende unterschiedliche Perspektiven. In
diesem Fall muss die praktische Theorie weiter entwickelt
werden, um diesen Unterschieden gerecht zu werden.
(2) Praktische Kriterien bedeuten, dass Schlussfolgerungen aus den
Ergebnissen der Aktionsforschung im praktischen Handeln realisiert
und überprüft werden können. Praktische Verträglichkeit heißt auch,
42
dass der Forschungsprozess so gestaltet wird, dass er in der
beruflichen Praxis auch tatsächlich durchgeführt werden kann und
ein vertretbares Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag besteht.
Eine Hilfe bieten hier Forschungsstrategien und Instrumente, die
leicht verständlich, einfach handhabbar, ohne großen Zeitaufwand
einsetzbar und doch für die Untersuchung von Praxis geeignet sind
(zu geeigneten Methoden vgl. Altrichter u. Posch, 2007; Altrichter et
al., 2004). Besonders bedeutsam sind Strategien, die zugleich
Unterrichtselemente sind: Ein Gespräch mit einer Schülerin kann
z.B. zugleich Lern- oder Beratungssituation und Gelegenheit zum
Sammeln von Daten für eine Forschungsfragestellung sein; Die
Vergabe schriftlicher Arbeiten kann gleichzeitig für die
Schüler/innen eine Lernsituation und für die Lehrkraft eine Quelle
wichtiger Informationen sein.
(3) Ethische Gütekriterien gehen von der Annahme aus, dass tief
greifende Veränderungen von Praxis eine Zusammenarbeit mit den
Betroffenen erfordern und nicht gegen ihren Willen geschehen
dürfen. Wichtige ethische Prinzipien sind in diesem Zusammenhang:
Aushandelung: Information der betroffenen Personen über
die Untersuchungsabsichten und Bitte um Kooperation
(wobei am Anfang allerdings nicht immer klar ist, wer zu den
Betroffenen gehört).
Vertraulichkeit: Daten sind Eigentum der Person(en), die sie
zur Verfügung gestellt haben und dürfen nicht ohne ihr
Einverständnis weitergegeben werden.
Kontrolle der Forschung durch die Betroffenen, d.h. durch
jene, die die Ergebnisse am eigenen Leib verspüren. Für
Berater/innen, die oft mehr methodische Erfahrung haben
und überzeugendere theoretische Analysen und
Verfahrensvorschläge anbieten können, bedeutet dies die
Verpflichtung, die Forschung zu unterstützen und nicht zu
dominieren.
3.1 Technische versus reflektive Rationalität
Die Gütekriterien von Aktionsforschung erfordern ein neues Verständnis
der Beziehung zwischen Theorie und Praxis. Eine verbreitete Strategie der
Innovation im Schulwesen folgt dem RDD-Modell (Research,
Development, Dissemination): Auf der Basis wissenschaftlich gewonnen
Wissens („Research“) entwickeln Forscher/innen neue Konzepte und
Materialien für Unterrichts- oder Schulentwicklung, und testen sie in
Vorversuchen („Development“). Wenn sie ausgereift erscheinen, werden sie
43
an Praktiker/innen weiter gegeben („Dissemination“) und sollten von ihnen
möglichst intentiongetreu und genau verwirklicht werden. Gute Praxis
bedeutet in diesem Sinne, korrekte Anwendung des angebotenen
theoretischen Wissens. Dieses Verständnis wird in hohem Maße von
„Technischer Rationalität“ geprägt.
Technische Rationalität beruht nach Donald Schön (1983) auf folgenden
drei Grundannahmen:
Es gibt allgemeine Lösungen für praktische Probleme, die als
theoretische Vorgaben formuliert werden können.
Diese Lösungen können außerhalb der Situationen, in denen die
Probleme auftreten, entwickelt werden (in Forschungseinrichtungen, in
der Verwaltung etc.).
Die Lösungen können durch verschiedene Maßnahmen (Veröffentli-
chungen, Fortbildungsmaßnahmen, Verordnungen) in angemessenes
Handeln der Praktiker/innen umgesetzt werden.
Diese Annahmen gehen von einer Trennung von Wissen und Handeln sowie
von der Unterscheidung zwischen Expert/innen und Praktiker/innen aus. Die
Logik der technischen Rationalität fördert ein grundsätzliches Misstrauen
gegenüber Praktiker/innen und baut eine Hierarchie der Glaubwürdigkeit
und Kompetenz auf. Diese besagt, dass die jeweils übergeordnete Ebene in
der beruflichen Hierarchie als prinzipiell glaubwürdiger und kompetenter
gilt als die untergeordnete: Schulleiter/innen gelten als glaubwürdiger als
Lehrer/innen, diese gelten als glaubwürdiger als Schüler/innen, usw. Das
Modell "Technische Rationalität" und die damit verbundene Spaltung von
Theorie und Praxis war und ist außerordentlich erfolgreich. Es hat zu einer
überaus raschen Entwicklung des Wissens geführt. Auch die Hebung des
Lebensstandards, die Erweiterung der Freizeit und die Erhöhung der
Lebenserwartung dürften indirekt auf das technisch rationale Denken
zurückgeführt werden.
Der Erfolg technischer Rationalität beruht auf der Annahme, dass
Situationen und Handlungserfordernisse relativ genau vorherbestimmt
werden können. Dies ist in vielen Bereichen jedoch nicht der Fall. In
Projekten wurde immer wieder festgestellt, dass das was in der Praxis
tatsächlich geschah, oft sehr weit von den Intentionen der
Wissenschaftler/innen, die die Konzepte und Materialien entwickelt hatten,
entfernt war. Die übliche Erklärung, die für solche Phänomene geboten
wurde, war, dass die Anweisungen eben nicht kompetent umgesetzt worden
seien. Bereits Lawrence Stenhouse (1975) hat darauf hingewiesen, dass die
44
Komplexität, Unbestimmbarkeit und Unvorhersehbarkeit praktischer
Situationen es gar nicht sinnvoll erscheinen lassen, Vorgaben 1:1
umzusetzen, sondern dass die Passung einer Neuerung auf die spezifischen
Verhältnisse in der Praxis genau beobachtet und evaluiert werden muss und
Innovationen im Lichte dieser Erkenntnisse weiterentwickelt werden
müssen. Praktiker/innen dürfen demnach nicht als ausführende Organe
fertiger Produkte angesehen werden, sondern als Mitarbeiter/innen in einem
Entwicklungsprozess. Die Idee „Lehrer/innen als Forscher/innen war damit
geboren (ebenda, S. 142 ff.; vgl. auch Elliott, 2006)
Die einseitige Dominanz technischer Rationalität verliert dabei ihre
Berechtigung und „reflektive Rationalität“ gewinnt an Bedeutung, d.h.
Wissen wird von Praktiker/innen durch systematische Reflexion ihres
praktischen Handelns gewonnen.
Das Konzept reflexive Rationalität beruht auf folgenden Annahmen (vgl.
Posch, 1996):
Komplexe praktische Probleme erfordern spezifische Lösungen. Die
Probleme müssen häufig erst definiert werden, bevor Lösungen
gefunden werden können.
Die Problemdefinitionen und die erforderlichen Strategien müssen
innerhalb der Praxis durch die Praktiker/innen und in Zusammenarbeit
mit Betroffenen entwickelt werden.
Diese Lösungen können nicht direkt auf andere Situationen übertragen
und in ihnen angewendet werden. Sie können Praktiker/innen aber
zugänglich gemacht werden und eine 'reflexive Übertragung'
ermöglichen. Die Problemlösungen werden dabei zu Hypothesen, die
die Praktiker/innen in ihrer eigenen Situation überprüfen und
weiterentwickeln können.
Reflexive Rationalität liegt der Aktionsforschung zugrunde und baut auf das
Vertrauen in das Potential des/der professionellen Praktikers/Praktikerin.
Die damit verbundenen Annahmen haben auch Konsequenzen für die die
Beziehung der Wissenschaft (und der Verwaltung) zur Praxis. Beide
beschränken sich nicht mehr auf die Übertragung extern konzipierter
Regelungen oder Modelle auf die Schulpraxis, sondern unterstützen auch
die Weiterentwicklung des berufsbezogenen Wissens und der Werte durch
die Praktiker/innen selbst.
Beide Rationalitäten, die technische und die reflektive sind für die
Gestaltung guter Praxis unverzichtbar. Es geht daher nicht um ein
45
„Entweder-Oder“, sondern um die Suche nach einer den konkreten
Anforderung entsprechenden Balance zwischen beiden.
4 Aktionsforschung – eine „Bewegung“?
Die wachsende Bedeutung von reflektiver Rationalität dürfte ein wichtiger
Grund dafür sein, dass Aktionsforschung bereits eine gewisse Verbreitung
gefunden hat, im angelsächsischen Raum stärker als im deutschen
Sprachraum. Dies lässt sich etwa an einschlägigen Konferenzen feststellen,
z.B. an der jährlichen internationalen Konferenz des Collaborative Action
Research Network (CARN)3 oder in den internationalen Zeitschriften
„Educational Action Rese arch“4 oder „action research“5 sowie in
zahlreichen Publikationen (u.v.a. Altrichter u. Posch, 1996, 1998, 2007,
2008; Burns, 2007; Elliott, 1991, 2006; Fichten & Meyer, 2006; Hart et al.,
2006; Hollingsworth, 1997; Krainer u. Posch, 1996; Messner u. Posch,
2009; Noffke u. Somekh, 2009; Somekh, 2006; Zeichner u. Noffke, 2001)
und internationalen Organisationen (z.B. CARN).
Im deutschen Sprachraum hat die Aktionsforschung erst in den beiden
letzten Jahrzehnten an Boden gewonnen und kann in manchen Hinsicht als
„Bewegung“ bezeichnet werden. Einen Überblick über die neueren
Entwicklungen in ausgewählten Ländern, vor allem in Deutschland bieten
die Beiträge in Hollenbach u. Tillmann (2009). Es ist kein Zufall, dass
Aktionsforschung vor allem in der Lehrerbildung zunehmend Bedeutung
erlangt hat, während sie an den Schulen – zumindest im deutschen
Sprachraum – noch wenig Verbreitung gefunden hat; zumeist nur im
Zusammenhang mit größeren von Universitäten initiierten Projekten (in
Österreich z.B. im Rahmen des IMST Projekts6). Dies dürfte zum Teil daran
liegen, dass an den Schulen die strukturellen Voraussetzungen für
eigenverantwortliche Entwicklung und Evaluation noch kaum vorhanden
sind.
Im Folgenden werden zwei markante und institutionell gut verankerte
Beispiele von Aktionsforschung in der Lehrerbildung kurz skizziert.
3 http://www.did.stu.mmu.ac.uk/carnnew/
4 http://www.tandf.co.uk/journals/titles/09650792.asp
5 http://arj.sagepub.com/
6 „Innovationen machen Schulen Top“, vgl. http://www.imst.ac.at/
46
4.1 Das Teamforschungsprojekt an der Universität
Oldenburg
Das Teamforschungsprojekt an der Universität Oldenburg besteht seit Mitte
der Neunziger Jahre und verfolgt folgende Zielsetzungen (vgl. Fichten u.
Meyer, 2009):
Es soll lokales wissenschaftlich generiertes Wissen produziert
werden, das den gängigen Gütekriterien quantitativer und
qualitativer Forschung genügt.
Die Studierenden sollen Gelegenheit erhalten, sich im Modus
forschenden Lernens auf die zukünftige Berufspraxis vorzubereiten.
Die beteiligten berufserfahrenen Lehrer/innen sollen dabei
unterstützt werden, reflexive Distanz zum eigenen Unterricht
herzustellen.
Den Schulen sollen Anregungen zur Schul- und
Unterrichtsentwicklung angeboten werden.
Die am Programm mitwirkenden Lehrer/innen (sie nehmen mit zwei
„Verlagerungsstunden“ an pädagogischen Lehrveranstaltungen teil) bringen
vorläufige Forschungsfragen in einen „Marktplatz“ ein, auf dem die
Studierenden Gelegenheit erhalten, sich je nach Interesse einer
Forschungsfrage bzw. Lehrenden zuzuordnen, sodass Teams entstehen.
Jedes Team erhält einen „kritischen Freund“ als Betreuer/in. Die
Forschungsthemen werden dem zuständigen Gremium der einzelnen Schule
zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt, damit die Akzeptanz im
Kollegium gesichert ist. Es folgen Eingrenzung der Fragestellung und
Verfassen eines Exposés. Danach durchlaufen die einzelnen Teams die
klassischen Phasen von Forschungsvorhaben: Datenerhebung, -aufbereitung
und -auswertung. In dieser Zeit stehen die mitwirkenden
Hochschullehrer/innen für forschungspraktische Beratung zur Verfügung.
Prozessreflexion erfolgt durch jeweils zwei Teams gemeinsam in Form von
„Spiegelungen“. Der Forschungsbericht wird nach Abschluss der Schule
rückgemeldet und ist auch Grundlage der Zertifizierung der Studierenden.
Die Universität Oldenburg befindet sich in einem Netzwerk mehrerer
Universitäten (dem „Nordverbund Schulbegleitforschung“7), in dem
Studierende, Referendar/innen, Praktiker/innen und Wissenschaftler/innen
gemeinsame praxisbezogene Forschungsprojekte durchführen.
7 http://www.nordverbund-schulbegleitforschung.de/index.php?show=1
(1.7.2010)
47
4.2 Das Lehrerfortbildungsprogramm „Pädagogik und
Fachdidaktik für Lehrer/innen“
Der Lehrgang „Pädagogik und Fachdidaktik für Lehrer/innen“ (PFL) wird
seit 1982 vom Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung der Universität
Klagenfurt für Lehrer/innen mehrerer Unterrichtsfächer (die
naturwissenschaftlichen Fächer, Mathematik, Englisch, sowie eine
Fächergruppe aus Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung,
Bildnerische Erziehung, Deutsch und Musikerziehung) und Schularten (von
der Volksschule bis zu den allgemeinbildenden und berufsbildenden
höheren Schulen) angeboten (Posch et al., 2009; Müller et al., 2010).
Ausgehend von den Erfahrungen und Interessen der teilnehmenden
Lehrer/innen, setzt sich dieser viersemestrige Lehrgang mit
fachdidaktischen, fachlichen, methodischen und pädagogischen
Fragestellungen auseinander. In seinem Verlauf finden drei jeweils
einwöchige Seminare und fünf sog. „Regionalgruppentreffen“ statt.
Ausgangspunkt und Einstieg sind aktuelle berufliche Herausforderungen in
der Wahrnehmung der Teilnehmer/innen. Diese konzipieren in den
Seminaren und in Abstimmung mit Entwicklungsprozessen an der eigenen
Schule ein Entwicklungsprojekt für den eigenen Unterricht und setzen
dieses in der ‚Zeit zwischen den Seminaren’ um. Sie reflektieren ihre Praxis
anhand eigener Tagebuchaufzeichnungen, Schülerinterviews,
Beobachtungen eingeladener Kolleg/innen usw. und entwickeln daraus neue
Handlungsideen. Auf diese Weise sind in den PFL-Lehrgängen inzwischen
zahlreiche Fallstudien entstanden – als Beitrag der
Lehrgangsteilnehmer/innen zum Berufswissen von Lehrer/innen.8
Austausch und Beratung erfolgen gegenseitig durch forschende
Kolleg/innen und durch Wissenschaftler/innen oder Lehrerfortbildner/innen,
die als „kritische Freund/innen“ den Forschungsprozess unterstützen.
Die Konzeption und Umsetzung der Lehrgänge erfolgt durch
interdisziplinär zusammengesetzte Teams von Kursleiter/innen aus der
Fachdisziplin des jeweiligen Unterrichtsfachs, aus der Fachdidaktik, der
Schulpraxis und der Pädagogik.
4.3 Bringt Aktionsforschung das was man sich von ihr
verspricht?
8 http://ius.uni-klu.ac.at/publikationen/praxisforschung, Stand:
18.07.2008
48
Bringen solche aufwändigen Fortbildungskonzepte das, was man sich von
ihnen verspricht (Altrichter u. Posch, 2008; Zehetmeier, 2010)? Mit dem
Anwachsen der Aktionsforschungsliteratur finden sich mehr und mehr
Berichte über Vorteile und Nutzen von Aktionsforschung. Oft sind diese
Berichte allerdings eher anekdotisch und enthalten kaum oder wenig
Information über die spezifischen Kontextcharakteristika, was angesichts
der ungeheuren Variation von Aktionsforschung nicht unproblematisch ist.
Es gibt jedoch einige systematische Studien sowie den umfassenden
Versuch von Kemmler-Ernst (1998) von der Harvard University Graduate
School of Education, in dem eine große Anzahl von veröffentlichten
Lehrerstudien sowie von Selbstberichten von Lehrer/innen in elektronischen
Mailinglisten analysiert wurden. In einer Re-Analyse dieses Materials
arbeitet Zeichner (2004, S. 279) Ergebnisse heraus, die sich weithin mit den
Erfahrungen und Evaluationen von PFL-Lehrgängen decken (vgl. Müller et
al., 2010), nämlich dass unter bestimmten Bedingungen eine Reihe von
Effekten durch das Engagement bei Aktionsforschung zu erwarten sind, und
zwar:
Lehrer/innen werden sensibler und selbstbewusster in Hinblick auf ihre
Fähigkeit, das Lernen von Schüler/innen zu fördern.
Sie werden proaktiver im Umgehen mit schwierigen Aspekten im
Unterricht.
Sie erwerben Einstellungen und Fähigkeiten der Forschung, die sie auch
über das Projekt hinaus nutzen und
es gibt weiters Zusammenhänge mit einer Entwicklungsbewegung in
Richtung stärker lernerzentrierten Unterrichts und in Richtung
verbesserten Schülerlernens.
Die speziellen Bedingungen, die erfolgreiche Aktionsforschungsprojekte
mindestens aufweisen müssen, scheinen zu sein:
Die Entwicklung einer Forschungskultur, die Lehrerwissen respektiert
und wertschätzt, und gleichzeitig Lehrer/innen stimuliert, ihr Wissen zu
hinterfragen und zu kritisieren.
Eine Investition in das intellektuelle Kapital von Lehrer/innen, die sich
darin niederschlägt, dass Lehrer/innen die Kontrolle über die meisten
Aspekte des Forschungsprozesses (Teilnahme, Forschungsfokus,
Methoden) innehaben.
Intellektuelle Herausforderung und Stimulierung, die Lehrer/innen hilft,
über ihre Praxis systematisch und tiefer gehend nachzudenken, anstatt
schnelle Lösungen zu suchen.
49
Arbeit über eine längere Zeit (zumindest ein Jahr) in einer sicheren und
unterstützenden Umgebung mit vorhersehbaren Ritualen und Routinen,
die auch hilft, eine Community aufzubauen.
Freiwillige Teilnahme.
Für Lawrence Stenhouse (1985, S. 144), den Doyen der
Aktionsforschungsidee – obwohl er das Wort „Aktionsforschung“ gar nie
verwendet hat – ist Aktionsforschung eine zentrale Voraussetzung für
Lehrerprofessionalität. Zentrales Merkmal von Lehrerprofessionalität ist für
ihn: „Die Kapazität für autonome berufliche Weiterentwicklung durch
systematisches Studium der eigenen Arbeit, durch das Studium der Arbeit
anderer Lehrer/innen und durch die Überprüfung pädagogischer Ideen
durch Forschung im Klassenzimmer.“
Professionalität ist in diesem Sinne eine stets vorläufige, die sich im
praktischen Handeln immer wieder bewähren muss.
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Kurzangaben über die Autoren:
Peter Posch, Dr. phil., Jg. 1938, ist Professor für Erziehungswissenschaft
i.R. und freier Mitarbeiter am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung
der Universität Klagenfurt.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind Schulentwicklung, Qualitätsevaluation,
Aktionsforschung, Lehrerfortbildung.
E-Mail: Peter.Posch@uni-klu.ac.at
Stefan Zehetmeier, Dr. phil., Jg. 1974, ist Assistenzprofessor am Institut für
Unterrichts- und Schulentwicklung der Universität Klagenfurt.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind Professionalitätsentwicklung und
Fortbildung von Lehrkräften, Qualitätssicherung und Evaluation im
Bildungsbereich, Aktionsforschung, Mathematikdidaktik.
E-Mail: Stefan.Zehetmeier@uni-klu.ac.at
... Der partizipative Forschungsansatz Aktionsforschung ist ein Untersuchungsplan (engl. Design) um Entwicklungs-und Erkenntnisinteresse kollektiv miteinander zu verbinden: praxisbezogenes Entwicklungsinteresse wird mit beteiligten Akteuren gemeinsam generiert und kann so einen Beitrag zu domänenspezifischem Erkenntnisgewinn leisten (Posch & Zehetmeier, 2010 ...
... Dem Denken und Handeln nicht-wissenschaftlicher Akteure verleiht Aktionsforschung Öffentlichkeit. Für die involvierten Praktiker ermöglicht Action Research ein professionelles Verständnis der eigenen Arbeit, sie bietet großes Potenzial um eigenes berufliches Handeln in kooperativer Form analytisch reflexiv und distanziert zu betrachten (Altrichter & Posch, 1998;Posch & Zehetmeier, 2010). Durch die wissen-schaftlich begleitete, reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln und "fragilen" Wissensbeständen, die professionellem Handeln zugrunde liegen, ist "Forschung (…) nicht nur eine externe Ressource des Lehrerberufes, sondern [wird] operativer Teil" (Altrichter et al., 2014, S. 288). ...
... Der Begriff Empowerment (dt.: Befähigungs-und Ermächtigungsprozesse), als "entscheidendes Puzzlestück" in partizipativer Forschung, richtet sich auf die Entwicklung (selbst-) befähigten professionellen Handelns "durch die Perspektivverschränkung in der partizipativen Zusammenarbeit und empirischen Forschung" (Unger, 2014, S. 44─45). So kann Aktionsforschung im sozialwissenschaftlichen Feld nicht wertfrei stattfinden (Posch & Zehetmeier, 2010). "Action research starts from a vision of social transformation and aspirations for greater social justice for all" (Somekh, 2006, S. 7;zitiert nach Altrichter et al., 2014). ...
Book
Im Zuge des kompetenzorientierten Professionalisierungsansatzes geht es um die Modellierung fachbezogener Facetten professioneller Handlungskompetenz in der Sportlehrerbildung. In internen Vorarbeiten wurde eine Kompetenztaxonomie entwickelt, Erlanger Kompetenzmodell Sport (EKSpo), die als theoretische Basis zur Kompetenzmodellierung dient. Die EKSpo-Taxonomie differenziert sich über Prozesse, Anforderungsniveaus und Inhalte. Mittels Dokumentenanalyse wurde das literaturbasierte Vorverständnis der EKSpo-Inhaltsdimension vorstrukturiert. Anschließend wurde die Aktionsforschung gewählt und ein Expertenteam aus Akteuren der I. und II. Phase der Sportlehrerbildung gebildet. In 15 Expertentreffen erfolgten die konsensuelle Inhaltsbestimmung, die Modellierung kompetenzorientierter Lernziele entlang der EKSpo-Taxonomie sowie deren konsekutive Verortung in der Sportlehrerbildung. Die empirische Basis der qualitativen Studie bestand aus Fokusgruppenprotokollen und Audiotranskripten. Die Auswertung umfasste eine inhaltlich strukturierende Analyse entlang deduktiver Hauptkategorien, eine zusammenfassende Inhaltsanalyse der ausgehandelten Begründungen sowie eine explizierende Inhaltsanalyse zur tieferen semantischen Kontextanalyse. Die Expertengruppe definierte konsensuell und begründet den inhaltlichen Kanon der Sportwissenschaft, Sportdidaktik, Bewegungsfelder für die I. und II. Phase der Sportlehrerbildung. Im Weiteren differenzierten die Experten exemplarisch die mit den Inhaltsbereichen verbundenen Themen Trainingswissenschaft, Mehrperspektivität, Bewegen an und mit Geräten/Turnen aus und begründeten ihre Auswahl und Gewichtung weitestgehend systematisch. Anknüpfend an die ausdifferenzierten Themen formulierten die Experten unter Heranziehung der EKSpo-Taxonomie kompetenzorientierte Lernziele auf Absolventenebene (I/II).
... Eine weitere Möglichkeit, weitestgehend indikatorengestützt zu arbeiten, bietet die Aktionsforschung (Textor 2018, 223;Posch & Zehetmeier 2010; siehe auch das Kapitel zur Aktionsforschung in diesem Band). Aktionsforschung als eine Methode, der eigenen Praxis gegenüber einen forschenden Blick einzunehmen und Fragen aus dieser Haltung heraus zu beantworten, wird häufig zur Unterrichtsentwicklung genutzt. ...
Book
Grundlagen und Ideen für die inklusive Schule Vor dem Hintergrund eines inklusiven Schulsystems werden verschiedene Themenkomplexe für die Arbeit im inklusiven Setting dargestellt. Lehramtsstudent*innen, Lehrer*innen und Schulleiter*innen sowie in der Lehrer*innenbildung Tätige erhalten damit ein Fundament für einen theoretischen Diskurs und Anregungen für die schulische Praxis in einer inklusiven Schule.
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In diesem Beitrag werden die Fragen diskutiert, welche nachhaltigen Wirkungen drei Jahre nach dem Ende einer Fortbildungsmaßnahme auf Basis von Aktionsforschung festgestellt werden können und welche Faktoren deren Auftreten fördern oder hemmen. Diese Fra-gen wurden im Rahmen einer Fallstudie bearbeitet. Die Ergebnisse zeigen Wirkungen auf der Ebene des Wissens, der Einstellungen und der Praxis der an der Fortbildung teilneh-menden Lehrkräfte.
Chapter
Full-text available
Der Beitrag untersucht, wie und unter welchen Bedingungen Lehrerfortbildung wirkt, die einen forschend-lernenden Ansatz in Anlehnung an die „Aktionsforschung“ (Altrichter & Posch, 2007) verfolgt. Mithilfe eines integrierten methodischen Forschungszugangs wird untersucht, inwiefern die vier-semestrigen Universitätslehrgänge „Pädagogik und Fachdidaktik für Lehrer/innen“ (PFL) Veränderungen bei den Teilnehmer/innen bewirken. Theoretischer Hintergrund der Studie ist ein Angebots-Nutzungsmodell (Helmke &Weinert, 1997). Die Forschung folgt einem Längsschnittdesign, das Inputfaktoren, ablaufende Prozesse und den Output in den Blick nimmt. Es werden dabei Personenvariablen und Einschätzungen des Lernens der Teilnehmenden sowie der Lernumwelt mit der Erhebung von unterrichtsbezogenen Analysekompetenzen, die mithilfe einer Videotestung erhoben werden, verknüpft. Bei der Videoaufgabe wird die Identifikation und Bewertung von kognitiv aktivierenden Unterrichtsanteilen fokussiert (Hugener, Rakoczy, Pauli & Reusser, 2006). Keywords (dt).: Forschendes Lernen, Videoanalyse, unterrichtsbezogene Analysekompetenzen, Lehrerinteresse, Lernstrategien, Lernumwelt
Book
Systemic Action Research works with real social and organisational issues to uncover their complex dynamics, often revealing unexpected opportunities. This book shows how this process can be integrated, in any context, to the process of social and organisational development and change. The book explains how systemic thinking works and how Systemic Action Research can be embedded into organisational structures and processes to catalyse sustainable change and critical local interventions. Practically written, it details how to design a programme and build it directly into policy and practice development, extending the possibilities of action research beyond the ‘individual’ and the ‘group’ to work across whole organisations, multi agency governance arenas, and networks. The book is filled with illustrative stories and pictures which bring the concepts to life enabling the reader to develop a clear picture of how to put it into practice.Systemic Action Research programmes are now being adopted in Government and local governance contexts as well as in national and international NGOs. This book will be invaluable for experienced action researchers as well as social science and social policy researchers who will benefit from an approach to qualitative research which is participative, grounded in practice and allows systemic understandings of complex problems. Policy makers and practitioners will appreciate a process which generates meaningful evidence about the dynamics of change and offers a tangible system for continuously integrating that learning into both formal and informal decision-making.