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Umwelt&Technik
3/2015
En Suisse, la surveillance nucléaire est avant tout assu-
mée par l’IFSN en tant qu’institution autonome et juri-
diquement indépendante. Des compétences essen-
tielles sont toutefois restées aux mains des autorités qui
délivrent les autorisations (Conseil fédéral et départe-
ment). L’article qui suit retrace l’évolution juridique de
la surveillance nucléaire en Suisse, en portant une at-
tention particulière à l’impact des expériences et re-
commandations internationales. Après «Fukushima», il
convient de se demander si la Suisse ne devrait pas en-
visager un modèle avec un organe de régulation.
Inhalt
I. Einleitung: «Fukushima» und die Folgen
1. Ein Tsunami und drei Kernschmelzen in Japan
2. Von TEPCO vernachlässigte Investitionen
3. Reorganisation der japanischen Nuklearaufsicht
4. Untersuchungsgegenstand
II. Grundlagen der Nutzung der Kernenergie
1. Vorreiterrolle der USA
1.1 Vom Verbot der zivilen Nutzung zum vitalen
Landesinteresse
1.2 Technologische Entwicklung in den 1950er Jahren
1.3 Gewährleistung der Sicherheit: Brookhaven Report
und Containment
2. Ausgestaltung des früheren rechtlichen Rahmens
in der Schweiz
2.1 Schaffung einer expliziten Verfassungsgrundlage
2.2 Das Bewilligungssystem des Atomgesetzes
2.3 Ausgestaltung der Aufsicht
©5ROOHQÀQGXQJªEHLP%DXYRQ.HUQNUDIWZHUNHQ
III. Zwei Reaktorhavarien und ihre Bedeutung für
die Nuklearaufsicht
1. Three Mile Island und die Lehren für die Schweiz
1.1 Rasmussen Report und Schaffung der U.S. NRC
1.2 Die Havarie von Three Mile Island
1.3 Schaffung der HSK
2. Tschernobyl als Katalysator zur Stärkung der
Kooperation
2.1 Die Havarie von Tschernobyl
2.2 Stärkung der internationalen Zusammenarbeit
2.3 Bedeutung der IAEA-Safety Standards und
der WANO-Empfehlungen
2.4 Grundsätze bezüglich der Nuklearaufsicht
IV. Das ENSI als unabhängige Nuklearaufsichtsbehörde
1. Schaffung des ENSI
2. Das ENSI als Sicherheitsaufsichtsbehörde
2.1 Überwachung der Einhaltung des KEG
2.2 Gesetzlich vorgesehene Rolle und Instrumente
der Aufsicht
2.3 Charakterisierung
2.4 Private Verantwortung – staatliche Aufsicht
3. Ausserbetriebnahmeverordnung als Ausnahme
und ENSI-Richtlinien als Regel
4. Unabhängigkeit
4.1 Allgemeines
4.2 Wirtschaftliche Interessen
4.3 Wirksame Trennung – formelle Unabhängigkeit
der Aufsicht
4.4 Aufsicht über die Aufsicht
V. Sc h l ussb e mer k unge n
1. Weltweite Reaktionen auf «Fukushima»
2. Politische Diskussionen in der Schweiz
3. Gedanken de lege ferenda: Das ENSI als Regulatorin?
4. Stärkung des internationalen Rechtsrahmens
I. Einleitung: «Fukushima»
und die Folgen
1. Ein Tsunami und drei
Kernschmelzen in Japan
$P0lU]HUHLJQHWHVLFKLP3D]LÀNHLQsehr star-
kes Seebeben.1 Als Reaktion darauf traten die an der japa-
1 Auf der Richterskala wurde ein Messwert von 9,0 registriert; die
Eintretenswahrscheinlichkeit eines derartigen Seebebens liegt welt-
weit bei rund einmal pro Jahr.
In der Schweiz wird die Nuklearaufsicht primär vom
ENSI als unabhängiger und rechtlich selbstständiger
Anstalt wahrgenommen. Wesentliche Zuständigkeiten
sind aber bei den Bewilligungsbehörden (Bundesrat
und Departement) verblieben. Der nachfolgende Bei-
trag zeichnet die rechtliche Entwicklung der Nuklea-
raufsicht in der Schweiz nach. Besondere Bedeutung
wird dabei dem Einfluss internationaler Erfahrungen
und Empfehlungen beigemessen. Nach «Fukushima»
stellt sich die Frage, ob die Schweiz ein Regulator-Mo-
dell prüfen sollte.
Reto Patrick Müller*
Nuklearaufsicht in der Schweiz
Die Ausgestaltung der Sicherheitsaufsicht über Kern anlagen
im Wechselspiel zwischen helvetischem Pragmatismus und
internationalen Erfahrungen und Empfehlungen
* Dr. iur., Lehrbeauftragter für Sicherheits- und Polizeirecht an der
Universität Basel. Der Autor dankt Frau Dr. Irene Aegerter (ehem.
Mitglied der KSA) und Herrn Dr. Bruno Pellaud (ehem. Stellvertre-
tender Generaldirektor der IAEA) für die sorgfältige Durchsicht des
Manuskripts und die wertvollen Hinweise.
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viel zu spät.10 Am 12. März 2011 ereignete sich um 15.36
Uhr Ortszeit in Block I eine Wasserstoffexplosion. Da-
durch könnte sich auch die Situation in den ebenfalls
beschädigten Blöcken II und III verschlechtert haben.
Jedenfalls behinderten Trümmerteile die weiteren
Massnahmen zur dortigen Notkühlung massgeblich.
Weitere Wasserstoffexplosionen folgten in den Blöcken
III und IV (im abgeschalteten Block IV aufgrund eines
*DVUFNÁXVVHVLQQHUKDOEGHU$QODJH11
Schlussendlich fanden in Fukushima-Daiichi drei un-
terschiedlich starke Kernschmelzen statt.12 Radioaktivi-
tät entwich in die Umwelt.13 Das zur improvisierten ex-
ternen Notkühlung verwendete und dadurch kontami-
QLHUWH:DVVHUYHUVLFNHUWHLP8QWHUJUXQGRGHUÁRVVLQV
Meer. Bis Ende Mai 2011 wurden rund 30 Personen ei-
ner Strahlendosis zwischen 100 und 250 Millisievert
ausgesetzt.14
2. Von TEPCO vernachlässigte
Investitionen
Der ab 1967 von General Electric gelieferte Block I
(BWR-3 mit Mark I Containment) des Werks Fukushi-
ma-Daiichi stand ab Ende März 1971 in Betrieb. Japan
kennt für seine KKW feste Laufzeiten. Der Kernreaktor
hätte gemäss ursprünglicher Planung nach vierzig Be-
triebsjahren – also zu Beginn des Jahres 2011 – ausser
Betrieb genommen werden sollen. Im Februar 2011
(sic!) erstreckten die Regulierungsbehörden die Lauf-
zeit um weitere zehn Jahre.15
Dies, obwohl die Anlage von der Betreiberin TEPCO
nicht genügend nachgerüstet worden war. So fehlten ins-
besondere Wasserstoff-Rekombinatoren (welche die
Wasserstoffexplosionen wahrscheinlich verhindert hät-
ten16). Die beispielsweise in der Schweiz und in Deutsch-
10 LAUFS (FN 3), 176 und 180; zudem ENSI, Lessons Fukushima
11032011 – Lessons Learned und Prüfpunkte aus den kerntechni-
schen Unfällen in Fukushima, ENSI-AN-7746, 29.10.2011, 30 (Lesson
Learned 26).
11 Vgl. MADALINA TRONEA/CANTEMIR CIUREA, Nuclear Safety Culture
Attributes and Lessons to be Learned from past Accients, in: Interna-
tional Nuclear Savety Journal, Vol 2014/3, 1 ff., 5.
12 Vgl. KUCZERA (FN 4), 6 f. (Abb. 6 a–f zur Unfallentwicklung).
13 Vgl. zum Ganzen die Berichte des Eidgenössischen Nuklearsi-
cherheitsinspektorats (ENSI), www.ensi.ch > Dokumente > Fuku-
shima-Berichte (alle im vorliegenden Text erwähnten Internetseiten
wurden zuletzt am 7. November 2015 besucht).
14 LAUFS (FN 3), 196. Nach heutigem Kenntnisstand sind die drei
partiell geschmolzenen Reaktorkerne – erstaunlicherweise – noch
immer in den jeweiligen Containments eingeschlossen; LETICIA FER-
NANDEZ-MOGUEL, Analysis of the accident in the Fukushima Daiichi
nuclear power station Unit 3 with MELCOR_2.1, NES-Colloquium
vom 4. März 2015.
15 http://www.nola.com/news/index.ssf/2011/03/japan_earth
quake_causes_emerge.html.
16 Vgl. GÜNTER KESSLER/ANKE VESER/FRANZ-HERMANN SCHLÜTER/
WOLFGANG RASKOB/CLAUDIA LANDMANN/JÜRGEN PÄSLER-SAUER, Sicher-
heit von Leichtwasserreaktoren – Risiken der Nukleartechnologie,
Berlin/Heidelberg 2012, 158. Die Gewährleistung technischer Ge-
genmassnahmen zur Verhinderung von Wasserstoffexplosionen als
Sicherheitsbarriere war eine Erkenntnis aus der deutschen «Risiko-
studie Phase B» von 1989; dazu KLAUS KÖBERLEIN, Risikoanalysen/
nischen Ostküste gelegenen Kernkraftwerke (KKW2) in
die Phase der automatischen Schnellabschaltung.
Auch in der Anlage von Fukushima-Daiichi3 unterbrach
das Einfahren der Steuerstäbe den Prozess der Kettenre-
aktion in den drei von insgesamt sechs in Betrieb ste-
henden Reaktorblöcken. Zur Abführung der thermi-
schen Restenergie starteten die Notkühlsysteme selbst-
ständig.4 In Block I deaktivierten die Operateure den
Notkondensator (Isolation Condenser) manuell, um ein
zu schnelles Abkühlen des Kernreaktors zu vermeiden.5
Eine knappe Stunde nach dem Seebeben erreichte eine
gewaltige, 13–15 Meter hohe Flutwelle (Tsunami) die
unmittelbar an in Küste gebaute Anlage. Die auf unter-
schiedlicher Höhe über Meer liegenden Reaktorblöcke
wurden überschwemmt. Wasser und Schlammmassen
führten zu einem vollständigen Stromausfall (station
blackout) in den Blöcken I–IV und setzten teilweise si-
cherheitstechnisch relevante Elemente der Blöcke I–III
ausser Funktion. Unter anderem versagten die Neben-
kühlwasserversorgung6 sowie wichtige, zur (Not-)
Kühlung der Kernreaktoren benötigte Diesel-Pumpen7.
Weder die Notkühlpumpen noch die zugehörigen Die-
seltanks waren gebunkert gewesen.
Den Operateuren des Blocks I gelang es in dieser kriti-
schen Situation nicht, den Notkondensator als nun ein-
zigem noch zur Verfügung stehenden Kühlsystem er-
neut in Betrieb zu nehmen.8 Ohne adäquate Kühlung
liess sich die Nachzerfallswärme9 nicht mehr genügend
abführen. Schliesslich erfolgte zwar mit Hilfe eines mo-
bilen Druckluftkompressors noch eine manuelle Druck-
entlastung – aufgrund des Stromausfalls allerdings erst
2 Verfassung- und Gesetzgeber sprachen in älteren Erlassen noch
von der Atomenergie. In der aktuellen Rechtsetzung wird – ohne dass
damit eine materielle Änderung verbunden wäre – der Begriff der
Kernenergie verwendet. Da bei der nuklearen Energieerzeugung
nicht Atome, sondern deren Kerne gespalten werden, ist der aktuel-
le Begriff physikalisch präzisier.
3 Vgl. die Übersicht und die technischen Daten bei PAUL LAUFS, Re-
aktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke – Die Entwicklung im
politischen und technischen Umfeld der Bundesrepublik Deutsch-
ODQG$XÁ%HUOLQ+HLGHOEHUJ
4 BERNHARD KUCZERA, Das schwere Tohoku-Seebeben in Japan
und die Auswirkungen auf das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi,
Sonderdruck aus atw Heft 4/5, April/Mai 2011, 2 ff., 4; UWE STOLL/
ULRICH WAAS, The events in Fukushima as seen from a manufactur-
er’s perspective, atw 2012, 82 ff., 82.
5 Vgl. IAEA, The Great East Japan Earthquake Expert Mission –
IAEA International Fact Finding Expert Mission of the Fukushima
Daiichi NPP Accident Following the Great East Japan Earthquake
and Tsunami, 24 May–2 June 2011, 30.
6 Vgl. zum Not- und Nachkühlsystem in Siedewasserreaktoren
MARKUS BORLEIN .HUQWHFKQLN ² *UXQGODJHQ $XÁ :U]EXUJ
2011, 239 f.
7 KUCZERA (FN 4), 4.
8 IAEA (FN 5), 30.
9 Zur Abführung der Nachzerfallswärme in Siedewasserreaktoren
vgl. BORLEIN (FN 6), 260 f. (sowie generell zur Reaktorregelung 130 ff.)
oder ALBERT ZIEGLER/HANS-JOSEF ALLELEIN, Reaktortechnik – Physika-
OLVFKWHFKQLVFKH*UXQGODJHQ $XÁ %HUOLQ+HLGHOEHUJ
ff. (Lastfolgebetrieb).
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XQGLQ7RNLREHÀQGHWVLFKGHU6LW]HLQHV5HJLRQDOEURV
der World Association of Nuclear Operators (WANO).
Zwar hatte die NISA in einem Bericht vom 2. März 2011
(sic!) nicht zum ersten Mal Versäumnisse und gar Do-
kumentenfälschungen von TECPO bezüglich der War-
tung von Block I festgestellt.24 Gleichwohl versagte ins-
gesamt sowohl die Selbstkontrolle der Betreiber als auch
die staatliche Sicherheitsaufsicht. Auch internationale
Standards waren in Fukushima-Daiichi nicht eingehal-
ten worden.25
«The TEPCO Fukushima Nuclear Power Plant acci-
dent was the result of collusion between the govern-
ment, the regulators and TEPCO, and the lack of gov-
ernance by said parties. (…) Therefore, we conclude
that the accident was clearly ‹manmade›. We believe
that the root causes were the organizational and regula-
tory systems that supported faulty rationales for deci-
sions and actions, rather than issues relating to the
FRPSHWHQF\RIDQ\VSHFLÀFLQGLYLGXDOª26
Entsprechend legte die unabhängige Untersuchungs-
kommission in der Aufarbeitung der Geschehnisse
grossen Wert auf institutionelle Verbesserungen und
verlangte eine den internationalen Standards tatsäch-
lich entsprechende, wirksame Aufsicht.
«The accident has highlighted the need for sweeping,
fundamental reform of said laws and regulations to
bring them into line with international standards, make
use of cutting edge technical knowledge and learn from
other accidents around the world. It is necessary to cre-
ate a system wherein regulators have an ongoing obli-
JDWLRQ WR LQVXUH WKDW WKH ODZV DQG UHJXODWLRQV UHÁHFW
changing international standards. A mechanism for
monitoring the resulting infrastructural implementa-
tions must be devised.
Once such new systems, laws and regulations are es-
tablished, they must then be retroactively applied to ex-
isting reactors. It should be explicitly stated in the laws
that reactors that do not meet the new standards should
be decommissioned or otherwise dealt with appropriate-
ly.»27
Bereits im September 2012 setzte das Kabinett des Mi-
nisterpräsidenten Noda mit der Nuclear Regulatory Au-
thority (NRA) eine neue Nuklearaufsichtsbehörde ein28,
mit welcher eine «durchgreifend umfassende Re gu-
lierung»29 sichergestellt werden soll. Der zuständige
Minister äusserte die Erwartung, «dass die fünf NRA-
Mitglieder eine Aufsichtsbehörde mit hoher Unabhän-
gigkeit und Sachverstand schaffen, die auch für Kritik
24 Vgl. PELLAUD (FN 18), 32 f. sowie www.spiegel.de > Nachrichten
> Panorama > Katastrophe in Japan 2011 > Reaktorkatastrophe: Fuku-
shima-Betreiber schlampte bei Kontrollen.
25 Vgl. IAEA (FN 5), 13 ff. sowie ENSI (FN 21), 11 ff.
26 THE NATIONAL DIET OF JAPAN (FN 20), 16.
27 THE NATIONAL DIET OF JAPAN (FN 20), 46.
28 Englischsprachige Website der NRA unter http://www.nsr.
go.jp/english.
29 LAUFS (FN 3), 178.
land in den 1980er und 1990er Jahren für ähnliche KKW
getätigten Investitonen17 waren im Land der aufgehen-
den Sonne zwar ebenfalls erwogen, letztendlich aber
nicht verlangt worden.18 Die Behörden hätten durchaus
die Möglichkeit gehabt, zu insistieren; denn unter japa-
nischem Recht kann eine (Betriebs-) Bewilligung «be
revoked if the operator fails to comply with the obliga-
tions pursuant to the Reactor Regulation Act, any appli-
cable orders made under the Reactor Regulation Act or
any license condition.»19
Die vom japanischen Parlament eingesetzte Un-
tersuchungskommission fand für die Nachlässig-
keiten wider besseres Wissen scharfe Worte: «In
spite of the fact that TEPCO and the regulators were
aware of the risk from such natural disasters, neither
had taken steps to put preventive measures in place. It
was this lack of preparation that led to the severity of
this accident.»20
3. Reorganisation der japanischen
Nuklearaufsicht
In Japan war die Atomic Energy Commission (AEC) mit
Fragen der Kernenergie betraut. Ganz selbstverständ-
lich kannte das Land zudem mit der Nuclear and Indust-
rial Safety Agency1,6$HLQHVSH]LÀVFKH 1XNOHDUDXI-
sichtsbehörde. Letztere unterstand dem Wirtschafts-,
Handels- und Industrieministerium (METI)21, welches
seinerseits für die Bau- und Betriebsbewilligung von
Leistungsreaktoren sowie für jährliche Inspektionen zu-
ständig war.22 Als beratende Sachverständigenorganisa-
tion stand den Behörden die Japan Nuclear Energy Safety
Organization (JNES) zur Seite.23 Zudem ist Japan Mit-
glied der International Atomic Energy Agency (IAEA),
Probabilistische Risikoanalyse, in: Hans Michaelis/Carsten Salan-
der (Hrsg.), Handbuch Kernenergie – Kompendium der Energie-
ZLUWVFKDIWXQG(QHUJLHSROLWLN$XÁ)UDQNIXUWDP0DLQ
17 ROLAND NAEGELIN, Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die
schweizerischen Kernanlagen 1960–2003, Villigen 2007, 14 und 298 f.
18 BRUNO PELLAUD, Kernenergie Schweiz – Fakten, Hintergründe,
Verwirrungen und Politik, Zürich 2013, 30 f. erwähnt, dass er selbst
die TEPCO-Ingenieure in den 1980er Jahren vergeblich davon hat
überzeugen wollen, wie in den Schweizer KKW ein System mit ge-
ÀOWHUWHU'UXFNHQWODVWXQJHLQ]XEDXHQ
19 LEGAL AFFAIRS SECTION OF THE OEDC NUCLEAR ENERGY AGENCY,
Regulatory and institutional framework in Japan against the back-
ground of Fukushima, in: Nuclear Law Bulletin No. 87, Vol. 2011/1,
27 ff., 35.
20 THE NATIONAL DIET OF JAPAN +UVJ7KHRIÀFLDOUHSRUWRI7KH)XN-
ushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission –
Executive summary, 26.
21 Vgl. das Organigramm bei ENSI, Analyse Fukushima 11032011,
Vertiefende Analyse des Unfalls in Fukushima am 11. März 2011 un-
ter besonderer Berücksichtigung der menschlichen und organisato-
rischen Faktoren, Dezember 2012, 8.
22 Die AEC und die Nuclear Safety Commission (NSC) der Re-
gierung waren vor einer Bewilligungserteilung anzuhören; vgl.
weiterführend LEGAL AFFAIRS SECTION OF THE OEDC NUCLEAR ENERGY
AGENCY (FN 19), 34 f. oder OECD/NEA (Hrsg.), Nuclear Legislation
in OECD and NEA Countries – Regulatory and Institutional Frame-
work for Nuclear Activities – Japan, 2010, 5.
23 LEGAL AFFAIRS SECTION OF THE OEDC NUCLEAR ENERGY AGENCY
(FN 19), 29 ff.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
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chungen aus den USA36 sowie aus Deutschland37 als
wegweisend.38 Die Ausübung der Nuklear aufsicht ent-
hält notwendigerweise und in mehrfacher Hinsicht Ele-
mente eines learning by doing.39 Selbst die rechtlich-insti-
tutionelle Ausgestaltung der Schweizer Nuklearauf-
sicht wurde bislang massgeblich von Ereignissen im
$XVODQG EHHLQÁXVVW (LQ EHVRQGHUHV $XJHQPHUN IlOOW
dabei dem rechtlichen Rahmen in den USA zu.
II. Grundlagen der Nutzung der
Kernenergie
1. Vorreiterrolle der USA
Das frühe Zusammenspiel zwischen technologischer
Erforschung und wirtschaftlicher Nutzung der Nukle-
artechnologie lässt sich illustrativ am Beispiel des Erfor-
dernisses eines sekundären Containments für Kernkraft-
werke verdeutlichen. Dabei kommt die prägende Rolle
der damaligen amerikanischen Regulierungsbehörde
zum Ausdruck.
1.1 Vom Verbot der zivilen Nutzung zum
vitalen Landesinteresse
Die praktische Reaktorforschung hatte im Zusammen-
hang mit der Entwicklung von Kernwaffen in den USA
begonnen (Manhattan Project).40 Unter dem Eindruck
der totalen Vernichtung der Städte Hiroshima und Na-
gasaki stand die öffentliche Meinung der Nukleartech-
nologie anfänglich skeptisch gegenüber. Die Gesetzge-
bung in den USA stellte mit dem Atomic Energy Act of
194641 in der Frühphase des Kalten Krieges42 militäri-
sche Aspekte in den Vordergrund und bezweckte eine
strikte Eindämmung nuklearen Materials und nuklea-
36 Aus den USA stammen insbesondere drei besonders bedeutsa-
me Sicherheitsstudien: der Brookhaven Report (vgl. Ziff. II./1.3), der
Brookhaven Report Revision (vgl. Ziff. III./1.1) und der Rasmussen Re-
port (vgl. Ziff. III./1.1).
37 Aus Deutschland stammen insb. die Risikostudie Phase A und Pha-
se B (vgl. Ziff. III./1.2). Zudem hat die Gesellschaft für Anlagen- und
Reaktorsicherheit (GRS) zahlreiche Studien und Untersuchungen
zu Einzelbereichen der Reaktorsicherheit erstellt. Hingegen ist die
Ausgestaltung der Nuklearaufsicht in Deutschland – da Ländersa-
che – kaum mit der schweizerischen oder der U.S.-amerikanischen
vergleichbar; weiterführend DIETER SELLNER/GERALD HENNENHÖFER,
Atom- und Strahlenschutzrecht, in: Klaus Hausmann/Dieter Sellner
+UVJ*UXQG]JHGHV8PZHOWUHFKWV$XÁ%HUOLQII
Rz. 208 ff. (Genehmigung) und Rz. 287 ff. (Aufsicht) oder WOLF-
GANG STRASSBERG, Genehmigungsverfahren, in: Michaelis/Salander
(FN 16), 670 ff.
38 Zusätzlich sind französische Untersuchungen primär bezüglich
des Kraftwerksbetriebs bei Schwachlast und Stillstand relevant;
dazu NAEGELIN (FN 17), 272.
39 Vgl. HANSJÖRG SEILER, Recht und technische Risiken – Grundzüge
des technischen Sicherheitsrechts, Zürich 1997, 177.
40 Der erste Kernreaktor, «Chicago-Pile-1», war unter der Leitung
von Enrico Fermi am 2. Dezember 1942 erstmals kritisch geworden;
dazu KARL SIEGEL, Energiegewinnung durch Kernspaltung, in: Mi-
chaelis/Salander (FN 16), 20.
41 Atomic Energy Act of 1946 (Public Law 585, 79th Congress).
42 Am 5. März 1946 hielt Winston S. Churchill als Privatmann die
prägende Fulton-Rede (iron curtain).
an der Kernenergie ein offenes Ohr habe».30 Die NRA
wurde aber wieder in ein Ministerium eingegliedert –
diesmal zwar in das Umweltministerium – und scheint
daher zumindest nicht völlig unabhängig zu sein.
4. Untersuchungsgegenstand
In der Schweiz waren die ersten politischen Reaktionen
auf die Ereignisse in Japan eher spontan, dafür aber
weit reichend: Bundesrätin Leuthard sistierte umge-
hend die pendenten Rahmenbewilligungsgesuche für
neue Kernkraftwerke31, und der Bundesrat postulierte
eine neue Energiepolitik.32 Im Gegensatz zu Deutsch-
land33 zeitigte «Fukushima» aber keine unmittelbaren
politischen Konsequenzen für die fünf hierzulande in
Betrieb stehenden Kernkraftwerke. Auch allfällige Re-
formüberlegungen bezüglich der Nuklearaufsicht bil-
den keinen Bestandteil der bundesrätlichen «Mass nah-
men pakete».34
Nachfolgend sollen die Entwicklung und der heutige
Stand der Nuklearaufsicht in der Schweiz kritisch ge-
würdigt werden. Während primär juristische Fragestel-
lungen die institutionelle Ausgestaltung und insbeson-
dere die Unabhängigkeit der Nuklearaufsicht betreffen,
steht bei der eigentlichen Aufsichtstätigkeit der Umgang
mit einer Technologie an sich im Fokus.
Das geltende Recht hat die Gewährleistung der nuklea-
ren Sicherheit als ständigen Prozess ausgestaltet.35 Da-
bei sind die weltweiten Erkenntnisse und Erfahrungen
sowohl bezüglich des Standes von Wissenschaft und
Technik als auch auf operativer Ebene laufend zu be-
rücksichtigen. Für die Schweiz erweisen sich Untersu-
30 http://www.nuklearforum.ch/de/aktuell/e-bulletin/japan-
neue-unabhaengige-nuklearaufsicht-eingesetzt, mit der deutschen
Übersetzung des erwähnten Zitats des Ministers Goshi Hosono.
31 Kritisch dazu unter Hinweis auf die Zuständigkeit des Gesamt-
bundesrates MÜLLER, in: Brigitta Kratz/Michael Merker/Renato
Tami/Stefan Rechsteiner/Kathrin Föhse (Hrsg.), Kommentar zum
Energierecht, Bern (zur Publikation vorgesehen), Art. 12 KEG, Rz. 15
mit FN 17.
32 RETO PATRICK MÜLLER, Energiewende: Neue Politik in altem Kleid?
Verfassungsrechtliche Aspekte eines Ausstiegs aus der Kernenergie,
ZBl 114 (2013), 635 ff., 636 f.
33 In Deutschland wurden am 17. März 2011 die acht ältesten KKW
]XHUVWYRUOlXÀJGDQQGHÀQLWLYYRP1HW]JHQRPPHQ STOLL/WAAS
(FN 4), 83. Kritisch zu den damaligen Rechtsgrundlagen der ehem.
Bundesverfassungsgerichtspräsident HANS PAPIER (http://www.fr-
online.de/politik/atomkraft-ex-verfassungsrichter-haelt-moratori
um-fuer-illegal,1472596,8284640.html).
34 Der Grund dafür kann indes auch darin liegen, dass die neue,
vom Bundesrat postulierte (Kern-)Energiepolitik die Aufarbeitung
der Geschehnisse in Japan sowie deren Ursachen und Gründe nicht
abgewartet hat.
35 Dazu BGE 139 II 185 E. 4.4 (191) – Betriebsbewilligung KKW Müh-
leberg. Soweit allerdings die Beurteilung von kaum mehr fassbaren
Restrisiken in Frage steht, sind (politische) Wertentscheidungen zu
fällen und positiv-rechtlich zu verankern; MÜLLER (FN 32), 651 f.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
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cherheitsbehälter (Containment) beherrschbar gewesen
wären.53
1RFK LPPHU XQWHU VWDUNHP (LQÁXVV PLOLWlULVFKHU $V-
pekte (nukleare Antriebe für U-Boote und Flug zeug-
träger)54 setzte sich in den USA mit den Leichtwasserreak-
tormodellen jene Technologie durch, welche bis heute in
den westlichen Industrieländern die grösste Verbrei-
tung55 erlangt hat: Aus den «BORAX»-Experimenten
war der Siedewasserreaktor, und aus den gemischten
militärisch/zivilen Forschungsprojekten56 der auch für
Schiffsantriebe geeignete Druckwasserreaktor hervor-
gegangen.57
1.3 Gewährleistung der Sicherheit:
Brookhaven Report und Containment
Aufgrund des möglichen Schadensausmasses stand die
Versicherungswirtschaft der neuen Technologie skeptisch
gegenüber. Daher gab die U.S. AEC beim Brookhaven
National Laboratory eine Risikountersuchung in Auf-
trag. Die im Mai 1957 publizierte Studie58 ging von einer
inhärenten Sicherheit der meisten Kernreaktoren aus.
Entsprechend lag dem Brookhaven Report die Annahme
zugrunde, dass ein Kernreaktor mit keinem den Reaktor-
druckbehälter (RDB) umschliessenden Sicherheitsbe-
hälter (sekundäres Containment) versehen sei.59 Für
den schlimmsten beachteten Unfall schätzte die Studie
die Eintretenswahrscheinlichkeit grob auf einmal innert
105 bis 109 Jahren pro Kernreaktor.60
Ohne die Veröffentlichung der Schlussfassung der Risi-
kostudie abzuwarten, machte die U.S. AEC ein sekun-
däres Containment zur Genehmigungsvoraussetzung
für die ersten kommerziellen Kernkraftwerke in Ship-
pingport/Pennsylvania (Bau ab 1954; Netzsynchronisa-
tion 1957) und Vallecitos/Kalifornien (Bau ab 1956;
Netzsynchronisation 1957).61 Damit implementierte die
53 LAUFS (FN 3), 59 f. (m.w.H.). Allerdings ereignete sich ein Jahr
später, am 29. November 1955 im EBR-1 (Experimental Breeder Re-
actor Number 1) aufgrund eines Missverständnisses ein nicht beab-
sichtigter Störfall mit partieller Kernschmelze; dazu LAUFS (FN 3), 61
(m.w.H.).
54 5HVSHNWLYH DXIJUXQG GHV (LQÁXVVHV YRQ Hyman Rickover. Der
spätere Admiral war gleichzeitig Direktor der Abteilung für Reak-
torentwicklung der U.S. Navy und Mitarbeiter der Abteilung für
Reaktorentwicklung der Atomic Energy Commission. In dieser Zeit
leitete er den Bau der USS «Nautilus».
55 KARL SIEGEL, Wasserreaktoren, in: Michaelis/Salander (FN 16), 54.
56 Antrieb der USS «Nautilus» sowie eines von Westinghouse ent-
wickelten Reaktors in Shippingport.
57 SIEGEL (FN 55), 55 f.
58 UNITED STATES ATOMIC ENERGY COMMISSION, Theoretical Possibili-
ties and Consequences of Major Accidents in Large Nuclear Pow-
er Plants – A Study of Possible Consequences if Certain Assumed
Accidents, Theoretically Possible but Highly Impossible, Were to
Occur in Large Nuclear Power Plants, März 1957, WASH-740 (sog.
Brookhaven Report).
59 Vgl. BORLEIN (FN 6), 260 f. (sowie generell zur Reaktorregelung
130 ff.) oder ZIEGLER/ALLELEIN (FN 9), 483 ff. (Lastfolgebetrieb).
60 Brookhaven Report (FN 58), 6: «the major release accident (…)
ranged from one chance in 100’000 to one in a billion per year for
each reactor».
61 LAUFS (FN 3), 277 f.
rer Technologie. Insbesondere war Privaten die Nut-
zung der Kernenergie nicht gestattet.43
Erst Präsident Eisenhowers Atoms for Peace-Programm
von 195344 sowie die internationale Atomkonferenz der
9HUHLQWHQ1DWLRQHQYRP$XJXVWLQ*HQIEHÁJHO-
ten die Vorstellungen um die zivile Nutzung der neuen
Technologie.45 In einer breiten Öffentlichkeit trat neben
die Angst vor Kernwaffen auch die Vision einer friedli-
chen Nutzung der ungeheuren nuklearen Kräfte.46 Mit
dem Atomic Energy Act of 195447 wurde die zivile Nut-
zung der Kernenergie gar zu einem vitalen Landesinte-
resse erhoben.48 Der United States Atomic Energy Com-
mission (U.S. AEC) wurden umfangreiche Kompetenzen
übertragen.49 Sie war sowohl für die Ausgestaltung des
weiteren rechtlichen Rahmens zur Nutzung der Kern-
technologie als auch zu deren Förderung zuständig.50
Bezüglich der zivilen Nutzung der Kernenergie fun-
gierte die U.S. AEC als eigentliche Regulatorin, indem
sie einerseits Bewilligungs- (licensing), andererseits
auch Aufsichtsbehörde war.
Für die Schweiz gewährleistete das Atoms for Peace Pro-
gramm sowohl einen besseren Zugang zu Kernmateria-
lien51 als auch zur Nukleartechnologie nach der Einstel-
lung der eigenen schweizerischen Reaktorprogramme.52
1.2 Technologische Entwicklung in den
1950er Jahren
Zur Mitte der 1950er Jahre wurden in den USA die ers-
ten umfangreicheren Sicherheitstests für Kernreaktoren
durchgeführt. Bei einem bewusst provozierten Störfall
explodierte am 22. Juli 1954 BORAX-1 (Boiling Reactor
Experiment-1). Gleichwohl zeigte der Versuch, dass die
Auswirkungen der nuklearen Explosion mit einem Si-
43 Vgl. auch J. SAMUEL WALKER/THOMAS S. WELLOCK, A Short History
of Nuclear Regulation, 1946–2009, NUREG/BR-0175, Rev. 2, Okto-
ber 2010, 1 f.
44 LAUFS (FN 3), 51 f. (m.w.H.) sowie zur weiteren Bedeutung des
Programms ERWIN HÄCKEL/KARL KAISER, Atoms for Peace!, in: Micha-
elis/Salander (FN 16), 838 ff.
45 Botschaft betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesetz über
die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlen-
schutz vom 8. Dezember 1958, BBl 1958 II 1521, 1523.
46 LAUFS (FN 3), 55 ff. (m.w.H.); vgl. zudem die Beispiele schwerer
technischer Unfälle bei KESSLER ET AL., (FN 16), 109 ff.; vgl. für die
Schweiz die Botschaft betreffend die Genehmigung des Abkom-
mens über die Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Re-
gierung und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
auf dem Gebiete der friedlichen Verwendung der Atomenergie vom
31. Juli 1956, BBl 1956 II 121, 122.
47 Atomic Energy Act of 1954 (Public Law 703, 83th Congress).
48 WALKER/WELLOCK (FN 43), 1 f. (m. H. auf THOMAS F. M URRAY, da-
mals Mitglied der Atomic Energy Commission).
49 Im militärischen Bereich zeichnete die U.S. AEC sogar für Kern-
waffenprogramme verantwortlich.
50 WALKER/WELLOCK (FN 43), 4; vgl. auch die «Declaration» des Ge-
setzes (Section 1).
51 Vgl. die Botschaft über die Zusammenarbeit mit den USA
(FN 46), 121 ff.
52 Dazu der Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung
betreffend die schweizerische Reaktorpolitik vom 27. Dezember
1966, BBl 1967 I 205, 215 f. sowie TOBIAS WILDI, Der Traum vom eige-
nen Reaktor, Diss. phil. hist., Zürich 2003, 158 ff.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
194
Umwelt&Technik
3/2015
fassungsgrundlage war angesichts der damaligen Auf-
bruchstimmung (vgl. bereits oben, Ziff. II./1.1) weder
in den Eidgenössischen Räten noch in der Volksabstim-
mung vom 20. September 1957 umstritten.71
2.2 Das Bewilligungssystem des
Atomgesetzes
Gemäss dem inzwischen aufgehobenen Atomgesetz
(AtG)72 bedurften «die Erstellung und der Betrieb sowie
jede Änderung des Zweckes, der Art und des Umfangs
einer Atomanlage» (Art. 4 Abs. 1 Bst. a) einer Bewilli-
gung durch den Bundesrat oder einer von ihm
«bezeichnete(n) Stelle» (Art. 6). In seiner Gesetzesbot-
schaft hatte der Bundesrat noch offengelassen, ob er
selbst als (alleinige) Bewilligungsbehörde amten oder
ob er diese Kompetenz ganz oder teilweise delegierten
wollte.73
Das Gesetz zählte allgemeine Gründe auf, nach wel-
FKHQ HLQH %HZLOOLJXQJ YHUZHLJHUW RGHU PLW $XÁDJHQ
versehen werden konnte, nämlich «(…) wenn dies not-
wendig ist zur Wahrung der äusseren Sicherheit der
Schweiz, zur Einhaltung der von ihr übernommenen
Y|ONHUUHFKWOLFKHQ 9HUSÁLFKWXQJHQ RGHU ]XP 6FKXW]
von Menschen, fremden Sachen oder wichtigen Rechts-
gütern oder wenn der Bundesrat es aus Gründen der
Nichtverbreitung von Kernwaffen als notwendig erach-
tet» (Art. 5 Abs. 1 AtG; Stand am 1. April 1987). Kamen
die Gesuchsteller allen Anforderungen nach, genossen
sie einen Rechtsanspruch auf Erteilung der polizeilichen
Bewilligung.74
Mit seiner allgemein gehaltenen Formulierung folgte
das AtG dem Atomic Energy Act of 1954 (vgl. Ziff.
II./1.1), welcher zur Erteilung von Commercial Licenses
(Section 103/“b [2]) ebenfalls abstellte auf die Einhal-
tung von «safety standards to protect health and to min-
imize danger to life or property as the Commission
[U.S. AEC als Regulatorin; der Autor] may by rule es-
tablish». Zwischen amerikanischem und Schweizer Ge-
setz bestanden indes zwei wesentliche Unterschiede:
Zum Einen knüpfte die amerikanische Norm an die
Verwendung nuklearen Materials – während das AtG
auf nukleare Anlagen abstellte. Im Gegensatz zum
Schweizer Recht, welches keine festen Laufzeiten für
Kernanlagen kennt, sieht das amerikanische Gesetz
eine Befristung der Bewilligung vor, «(…) depending
on the type of activity to be licensed, but not exceeding
71 6WHQRJUDÀVFKHV%XOOHWLQ65XQG6WHQRJUDÀVFKH%XO-
letin 1957 NR 653 und 692. Zur Volksabstimmung www.bk.admin.
ch > Themen > Politische Rechte > Volksabstimmungen > Chronolo-
gie Volksabstimmungen > 1951–1960 > 24.11.1957.
72 Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie
und den Strahlenschutz vom 23. Dezember 1959, AS 1960 541 (auf-
gehoben am 1. Februar 2005, AS 2004 4719).
73 Botschaft Atomgesetz (FN 45), 1539 f.
74 Botschaft über die Ergänzung des Atomgesetzes vom 24. August
1977, BBl 1977 III 293, 296, aus der Lehre etwa RENÉ A. RHINOW, Ist
das Verfahren zur Bewilligung des Kernkraftwerkes Kaiseraugst
formell rechtskräftig abgewickelt worden? Basler Juristische Mittei-
lungen 1976, 73 ff., 74 f.
Regulatorin bezüglich der Nutzung der Kerntechnolo-
gie ein Barrierekonzept zum Schutz von Mensch und
Umwelt, welches sich beim Bau aller weiteren Leis-
tungsreaktoren in den USA, später auch in Deutschland
und der Schweiz (dazu unten, Ziff. II./2.4) durchsetzte.
2. Ausgestaltung des früheren
rechtlichen Rahmens in der
Schweiz
2.1 Schaffung einer expliziten
Verfassungsgrundlage
An der ETH Zürich hatte Paul Scherrer bereits in den
1930er Jahren kernphysikalische Untersuchungen
durchgeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben
die Eidgenössischen Räte die Nuklearforschung zur
Bundesangelegenheit62, und der Bundesrat ernannte
1956 einen Delegierten für Fragen der Atomenergie.63 Eine
entsprechende Zuständigkeit wurde verfassungsrecht-
lich zum einen aus einer (damals) stillschweigenden
Bundeskompetenz zur Förderung der wissenschaftli-
chen Forschung64, zum anderen auch aus jener zur Er-
richtung oder Unterstützung öffentlicher Werke65 abgelei-
tet (Art. 23 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874).
Die ab Mitte der 1950er Jahre in Würenlingen zu For-
schungszwecken auf- und dann ausgebauten Kernanla-
gen66 standen indes nicht unter Aufsicht des Bundes,
sondern des Kantons Aargau. Für das Projekt eines wei-
teren ETH-Reaktors wurde – mangels Fachkompetenz
im Inland – das Sicherheitsgutachten einer Ad-hoc-
Kommission der Organisation européenne de coopéra-
tion économique (OECE) eingeholt.67
Die «Rechtsgrundlagen» vermochten angesichts der
atemberaubenden technischen Entwicklung nicht mehr
zu genügen.68 Eine Bundeskompetenz zur Nutzung der
Kernenergie sollte die Grundlage zum Erlass detaillier-
ter, dem Stand der Technik entsprechender69 Schutzvor-
schriften bilden.70 Der Antrag auf Schaffung einer Ver-
62 Bundesbeschluss über die Förderung der Forschung auf dem
Gebiet der Atomtechnologie vom 18. Dezember 1946, AS 1946 1060
(ohne explizite Anrufung einer Kompetenzgrundlage); vgl. zum
Ganzen die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung
zum Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Förderung der For-
schung auf dem Gebiete der Atomenergie vom 17. Juli 1946, BBl 1946
II 928, 928 ff.
63 PATRICK KUPPER, Sonderfall Atomenergie – Die bundesstaatliche
Atompolitik 1945–1970, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschich-
te 2003/1, 87 ff., 89.
64 So explizit die Botschaft über die Ergänzung der Bundesver-
fassung durch einen Artikel betreffend Atomenergie und Strahlen-
schutz, BBl 1957 I 1137, 1154.
65 Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend
die schweizerische Reaktorpolitik vom 27. Dezember 1966, BBl
1967 I 205, 205 f.; kritisch HERIBERT RAUSCH, Schweizerisches Atom-
energierecht, Zürich 1980, 3 mit FN 6.
66 «Swimmingpool/SAPHIR» und «DIORIT».
67 NAEGELIN (FN 17), 14.
68 Zum Ganzen die Botschaft Atomartikel (FN 64), 1138 sowie
1154 ff. (allgemein).
69 Botschaft Atomartikel (FN 64), 1151 f.
70 Vgl. RAUSCH (FN 65), 6 f.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
195
Umwelt&Technik
3/2015
ve «Inspektionen» (Bst. b) sowie eine beratende Tätig-
keit zugunsten des Departements (Bst. c).
Die Kompetenz zur Erteilung der nuklearen Polizeibe-
willigungen gab der Bundesrat nicht aus der Hand. Jene
«Kompetenzkonzentration», welche in den USA zu-
gunsten der U.S. AEC als Fachbehörde erfolgt war, fand
in der Schweiz nicht statt. Vielmehr behielt die Regie-
rung eine zentrale Rolle, indem sie sowohl alleinige Be-
willigungsbehörde war als auch für die Ausgestaltung
der Aufsicht verantwortlich zeichnete. Die primäre
Aufgabe der KSA lag darin, als technische Fachbehörde
die Einhaltung der vom Bundesrat erteilten
Bewilligung(en)77 zu überwachen.
2.4 «Rollenfindung» beim Bau von
Kernkraftwerken
Der Bau der Schweizer Kernkraftwerke war für die KSA
mit einer laufenden gutachterlichen Tätigkeit verbunden
(Art. 7 AtG). Sie setzte sich intensiv mit den Massnahmen
zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit – also ins-
besondere mit den Anforderungen an das Containment
sowie an die Haupt- und Notkühlsysteme – auseinander
(vgl. zur Entstehung der U.S.-ameri kanischen Praxis
oben, Ziff. II./1.3). Als bescheidene Behördenkommissi-
on verfügte die KSA jedoch über zu wenig Ressourcen
zur Bewältigung der umfangreichen Arbeiten. Daher
wuchs die faktische Bedeutung ihres Sekretariats (SSA).78
Die Inspektionen zur Beurteilung der Anlagensicherheit
als zentralem Aufsichtsmittel wurden zuerst ausschliess-
lich von der KSA, bald gemeinsam mit dem SSA, schliess-
lich einzig durch das SSA ausgeführt.79 Das SSA war ur-
sprünglich dem Delegierten für Fragen der Atomenergie,
ab 1969 dem Bundesamt für Energiewirtschaft (dem heu-
tigen BFE) unterstellt – und damit jenen ministerialen
Stellen, deren (politischer) Auftrag auch darin bestand,
die neue Technologie angesichts sich abzeichnender
Stromknappheit80 zu fördern.81 Das AtG liess diese helve-
tisch-pragmatische Verschiebung von Aufsichtskompe-
tenzen unter der Verantwortung des Bundesrates aber
ohne Weiteres zu (vgl. oben, Ziff. II./2.3.b).
Der Bundesbeschluss zum Atomgesetz82 (BB AtG) tan-
gierte die Aufsicht nicht direkt. Die Schaffung einer zu-
sätzlichen Rahmenbewilligungserfordernis (Art. 1 BB
AtG) erhöhte zwar die Legitimation des (Bau-)Bewilli-
gungsverfahrens – indes um den Preis der Politisierung.
Dazu trug einerseits der staatsrechtlich umstrittene Ge-
77 Aus der Bewilligung (Singular) des Gesetzes entwickelte die Pra-
xis die nukleare Bau-, die Inbetriebnahme- und die Betriebsbewilligung;
dazu RHINOW (FN 74), 79.
78 NAEGELIN (FN 17), 24 ff. und 26 ff.
79 NAEGELIN (FN 17), 160; JÖRG HADERMANN/HANS ISSLER/AUGUS-
TE ZURKINDEN, Die nukleare Entsorgung in der Schweiz 1945–2006,
Zürich 2014, 15 f.
80 Vgl. zum Ganzen den Bericht des Bundesrates an die Bundesver-
sammlung über den Ausbau der schweizerischen Elektrizitätsver-
sorgung vom 23. Dezember 1966, BBl 1966 II 932, 937 ff.
81 NAEGELIN (FN 17), 26 f.
82 Vom 6. Oktober 1978, AS 1979 816.
forty years, and may be renewed upon the expiration of
such period» (Section 103/”d).
2.3 Ausgestaltung der Aufsicht
a. Inhalt der Aufsicht
Obwohl die Gewährleistung der nuklearen Sicherheit
als Motiv für die Gesetzgebung eine zentrale Rolle
spielte75, blieb Art. 8 AtG bezüglich der Aufsicht rudi-
mentär: «Der Bundesrat und die von ihm bezeichneten
Stellen sind befugt, in Ausübung ihrer Aufsicht jeder-
zeit alle Anordnungen zu treffen, die zum Schutz von
Menschen, fremden Sachen und wichtigen Rechtsgü-
tern oder zur Wahrung der äusseren Sicherheit der
Schweiz und der von ihr übernommenen völkerrechtli-
FKHQ9HUSÁLFKWXQJHQQRWZHQGLJZHUGHQVRZLHGLH%H-
folgung der Vorschriften und Anordnungen zu überwa-
chen.»
Inhaltlich stellte Art. 8 AtG damit auf den Schutz funda-
mentaler Rechtsgüter ab. Die Kompetenzen der Auf-
VLFKWÁRVVHQLP*UXQGHDXVHLQHUQXNOHDUHQpolizeilichen
Generalklausel, was der Aufsicht ein weites Verantwort-
lichkeitsfeld eröffnete. Im Vergleich dazu war der Ato-
mic Energy Act of 1954 zwar enger, da er aber Konse-
quenzen bezüglich der nuklearen Bewilligungen zu-
liess, gleichsam auch schärfer gefasst: Die U.S. AEC
solle – und konnte als Regulatorin – «suspend such li-
censes for violations of any provision of this Act or any
rule or regulation issued thereunder whenever the
Commission deems such action desirable» (Sec-
tion 107 «d).
b. Die KSA als Trägerin der Aufsicht
Obwohl das AtG funktionale Aspekte der Aufsicht
enthielt, liess es deren organisatorische Ausgestaltung
weitgehend offen. Die Verantwortung über die Nuklear-
aufsicht verblieb beim Bundesrat, welcher deren Aus-
übung aber delegieren konnte. Mit der mittlerweile auf-
gehobenen Verordnung betreffend die Eidgenössische
Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen76 schuf
er die KSA. Diese unterstand dem Eidgenössischen
Post- und Fernmeldedepartement und bestand aus
neun vom Bundesrat auf Vorschlag des Departements
gewählten «Sachkundigen auf dem Gebiete der Atom-
wissenschaft, der Atomtechnik und des Strahlenschut-
zes» (vgl. Art. 1 und 2 der Verordnung). Die Aufgaben
der KSA betrafen hauptsächlich die gutachterliche Tä-
tigkeit im Zusammenhang mit dem Bewilligungssys-
tem (Art. 3 Abs. 1 Bst. a), die Überwachungstätigkeit
zur Gewährleistung der technischen Sicherheit inklusi-
75 In den parlamentarischen Beratungen betonte Bundesrat Bourg-
knecht den polizeilichen Charakter der Aufsicht; AB 1959 SR 108:
«Pour les installations atomiques, la surveillance doit (…) servir
principalement à protéger les personnes et les biens d’autrui contre
les dommages causés par les radiations et aussi à contrôler l’exécu-
WLRQ GHV REOLJDWLRQV UHODWLYHV j O·XWLOLVDWLRQ SDFLÀTXH GH O·pQHUJLH
atomique que, par conventions internationales, la Suisse a assumées
à la charge de la nouvelle industrie.»
76 Vom 13. Juni 1960, AS 1960 559.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
196
Umwelt&Technik
3/2015
angenommen wären.88 Auch diese Studie wurde scharf
kritisiert. Auf wissenschaftlicher Ebene bemängelten
Vertreter der Raumfahrttechnik, dass die probabilisti-
sche Methode der Risikoanalyse nicht zur genauen Er-
mittlung von absoluten Risiken geeignet sei.89
Zudem unterstrich der Energy Reorganization Act of
197490 die Bedeutung einer unabhängigen Nuklearauf-
sichtsbehörde. An die Stelle der formell aufgelösten
U.S. AEC trat mit der neu geschaffenen Nuclear Regula-
tory Commission (U.S. NRC) eine gestärkte und unab-
hängigere Regulatorin.91 Die Aufgaben der U.S. NRC
konzentrierten sich auf die nukleare Sicherheit und die
nuklearen Bewilligungen sowie später auf Fragen der
Entsorgung.92 Die Förderung der Kernenergie und die
militärischen Programme wurden dem späteren De-
partment of Energy überantwortet.93
1.2 Die Havarie von Three Mile Island
Die Bedeutung probabilistischer Sicherheitsanalysen
zeigte sich nur vier Jahre später bei der Havarie von
Block II des KKW Three Mile Island (TMI) in Harrisburg/
USA vom 28. März 1979.94 Auslöser des Unfalls bildeten
die Abschaltung eines Reinigungssystemes sowie ein
Ventilproblem.95 «Ein relativ harmloses eintretendes Er-
eignis in der Kondensatreinigung im Maschinenhaus
eskalierte aufgrund von Systemfehlern, Komponenten-
versagens und Fehlhandlungen des Betriebspersonals
bis zu einer Teilkernschmelze und Freisetzung grosser
Spaltprodukt- und Wasserstoffmengen in den Sicher-
heitsbehälter. Aber das Containment funktionierte und
die Kraftwerksumgebung war (…) praktisch nicht
betroffen.»96
Ein ähnlicher Vorfall zwei Jahre zuvor im KKW Davis
Besse/Ohio war aufgrund geringerer Leistung ohne ne-
gative Folgen geblieben. Der Reaktorhersteller und der
Regulierungsbehörde hatten den Vorfall untersucht97 –
allerdings ohne weitere Betreiber darüber zu informie-
ren.98 Kurz vor der TMI-Havarie hatte zudem die Deut-
88 LAUFS (FN 3), 663; zur Interpretation in der Schweiz vgl. NAEGELIN
(FN 17), 269 f.
89 LAUFS (FN 3), 665. Zu den Grenzen der Probabilistik siehe etwa
JONAS HAGMANN, 3RG Report, Factsheet Fukushima und die Grenzen
der Risikoanalyse, in: Center for Security Studies (CSS) ETH Zürich
(Hrsg.), Zürich, März 2012, insb. 12 ff.
90 Public Law 93–438.
91 WILLAM C. OSTENDORFF/KIMBERLY SEXTON, Adequate protection af-
ter the Fukushima Daiichi accident: A constant in a world of change,
in: Nuclear Law Bulletin No. 91, Vol. 2013/1, 23 ff., 24 ff.
92 Zur heutigen Sturktur sowie zu den Verantwortlichkeiten der
NRS vgl. OECD/NEA (Hrsg.), Nuclear Legislation in OECD and
NEA Countries – Regulatory and Institutional Framework for Nu-
clear Activities – United States, 2015, 28 ff.
93 Zu den heutigen Aufgaben des Departements of Energy im Nuk-
learbereich vgl. OECD/NEA (FN 92), 34 ff.
94 Vgl. auch TRONEA/CIUREA (FN 11), 2 f.
95 LAUFS (FN 3), 123.
96 LAUFS (FN 3), 135 f.
97 Vgl. TRONEA/CIUREA (FN 11), 2.
98 NAEGELIN (FN 17), 281.
nehmigungsvorbehalt des Parlaments bei83, anderer-
seits aber auch der für jede Art von Kernanlage statuier-
te Bedarfsnachweis.84
Heute stehen in der Schweiz die beiden ursprünglich in
den USA entwickelten Leichtwasserreaktortypen in Be-
trieb (vgl. oben, Ziff. II./1.2). Davon stammen je zwei
Druckwasserreaktoren (Beznau I und II/Westinghouse)
und zwei Siedewasserreaktoren (Mühleberg und Leib-
stadt/General Electric) von amerikanischen Herstel-
lern; ein weiterer Druckwasserreaktor (Gösgen/Sie-
mens-KWU) entspricht einem deutschen Grundmodell.
Damit ist für die schweizerische Nuklearaufsicht die
Entwicklung der Siedewassertechnologie in den USA
und der Druckwassertechnologie in Deutschland ent-
scheidend. Die Regelwerke zur Auslegung von Kernan-
lagen folgten schwergewichtig deterministisch vorge-
gebenen Annahmen (so insbesondere nach dem Brook-
haven Report [vgl. oben, Ziff. II./1.3.] sowie gemäss der
Annahmen und Studien der Hersteller; die Erkenntnis-
se des Rasmussen Reports [vgl. sogleich, Ziff. III./1.1.]
konnten vor allem für Anpassungen und Nachrüstun-
gen genutzt werden).85
III. Zwei Reaktorhavarien und
ihre Bedeutung für die
Nuklearaufsicht
1. Three Mile Island und die Lehren
für die Schweiz
1.1 Rasmussen Report und Schaffung
der U.S. NRC
In den USA war bis in die 1970er Jahre sowohl die An-
zahl als auch die Leistungsfähigkeit der Kernkraftwer-
ke stark angestiegen. Gegen die Nutzung der Kernener-
gie formierte sich indes ein vehementer politischer Wi-
derstand.
Daher verlangte das Joint Committee on Atomic Energy
des U.S.-Kongresses eine neue, externe Reaktorsicher-
heitsstudie.86 Der nach dem Vorsitzenden der Wissen-
schaftergruppe genannte Rasmussen Report erschien
1975.87 Sie stellte zwar auf die probabilistische Risiko-
analyse ab, kam aber dennoch zum Schluss, dass so-
wohl die Folgen als auch die Wahrscheinlichkeit von
potenziellen Reaktorunfällen viel kleiner als bis dahin
83 Vgl. MÜLLER (FN 31), Art. 48 KEG, Rz. 5 ff. (m.w.H.).
84 Vgl. MÜLLER (FN 31), Art. 12 KEG, Rz. 4 ff. (m.w.H.).
85 Eingehend LAUFS (FN 3), 215 ff.
86 In den Jahren 1964/65 wurde der Brookhaven Report aktualisiert
(WASH-740 Revision), die neuen Ergebnisse wurden aber (bis heute)
nicht öffentlich zugänglich gemacht; vgl. LAUFS (FN 3), 657.
87 U.S. Nuclear Regulatory Commission, Reactor Safety Study –
An Assessment of Accident Risks in U.S. Commercial Nuclear Po-
wer Plants; Executive Summary, October 1975 (WASH-1400 resp.
NUREG 75/14).
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
197
Umwelt&Technik
3/2015
torunglück führte in der Schweiz zu einem partiellen
Umdenken: «Tschernobyl».
2. Tschernobyl als Katalysator zur
Stärkung der Kooperation
2.1 Die Havarie von Tschernobyl
Die während eines schlecht vorbereiteten und durchge-
führten Experiments aufgrund gröbster Verstösse ge-
gen die Grundsätze fachgerechter Betriebsführung107
eingetretene Kernschmelze und anschliessende Explo-
sion des Blocks IV des Kernkraftwerks im sowjetischen
Tschernobyl hatte weder technisch noch aufsichtsrecht-
lich einen besonderen Bezug zu den Kernanlagen west-
OLFKHQ 7\SV %HLP JUDÀWPRGHULHUWHQ 5HDNWRUPRGHOO
RBMK-1000 wurde auf ein Containment bewusst ver-
zichtet.108 Ein solches hätte beim bewusst-fahrlässigen
Umgang mit dem Kernreaktor vermutlich auch kaum
seine Schutzfunktion erfüllen können.
Gleichwohl zog die Nuklearaufsicht auch für die
Schweiz Lehren und Massnahmen aus dem Unfall, wel-
FKH YRU DOOHP GLH 4XDOLÀNDWLRQ GHV 3HUVRQDOV VRZLH
Notfallschutzmassnahmen beinhalteten.109 Als politi-
sche Konsequenz aus «Tschernobyl» beschlossen Volk
und Stände ein zehnjähriges Bauverbot für Kernkraft-
werke als verfassungsmässige Übergangsregelung.110
2.2 Stärkung der internationalen
Zusammenarbeit
Die weltweiten Bestrebungen zur Verbesserung des
Strahlenschutzes und der nuklearen Sicherheit hatten
bereits in den 1960er Jahren eingesetzt.111 Die Kern-
schmelze in Tschernobyl wirkte politisch als Katalysa-
tor zur Intensivierung der Zusammenarbeit und zur
Ausdehnung des internationalen Notfallschutzes.112
Insbesondere konnte unter der Federführung der IAEA
das Übereinkommen über nukleare Sicherheit (sog.
ÜNS)113 abgeschlossen werden.
107 Vgl. LAUFS (FN 3), 142 ff. sowie TRONEA/CIUREA (FN 11), 3 f.
108 Beim erst 1983 fertiggestellten Block IV des Kernkraftwerks
Tschernobyl (resp. ganz grundsätzlich bei der Baulinie RBMK-1000)
bildete die Reaktorhalle den einzigen Schutz des Kernreaktors; vgl.
LAUFS (FN 3), 139 oder ALEXANDER KERNER/REINHARD STÜCK/FRANK-
PETER WEISS, Der Unfall von Tschernobyl 1986, atw 2011, 80 ff., 80 f.
(LQ6SH]LÀNXPGHU5%0.%DXUHLKHOLHJWGDULQGDVVGLH.HUQUHDN-
toren zur Auswechslung der Brennelemente – sowie zur Entnahme
von Plutonium (!) – nicht abgestellt werden müssen.
109 NAEGELIN (FN 17), 289 ff.
110 Vgl. MÜLLER, St. Galler Kommentar, Vorbemerkungen zu
$UW²%9$XÁ5]PZ+
111 Weiterführend ZOLTÁN TURBÉK, Global nuclear law in the making?
-RLQWH[HUFLVH RISXEOLF SRZHUVLQ WKHQXFOHDUÀHOGWKHFDVHRIWKH
revision of the International Basic Safety Standards, in: Nuclear Law
Bulletin No. 89, Vol. 2012/1, 7 ff., 8 f.
112 Weiterführend 6(/0$.8û, International nuclear law in the 25
years between Chernobyl and Fukushima and beyond …, in: Nu-
clear Law Bulletin No. 87, Volume 2011/1, 7 ff., 8 f. und 16 ff. sowie
TURBÉK (FN 111), 9 ff.
113 SR 0.732.020, für die Schweiz in Kraft getreten am 11. Dezember
1996. Vgl. zu Entstehung und Bedeutung des ÜNS WOLFRAM TON-
sche Risikostudie Phase A99 die Problematik eines durch
das unbemerkte Offenbleiben eines Ventils am Druck-
KDOWHU HQWVWHKHQGHQ /HFNV LGHQWLÀ]LHUW100 Obwohl er
vermeidbar gewesen wäre, zeitigte der Unfall weitrei-
chende Konsequenzen bezüglich der Risikoanalysen
und Handlungsbedarf in der Form von Nachrüstungen.
Die probabilistische Sicherheitsanalyse, wonach im
Grunde das System einer Kernanlage in den Mittelpunkt
der Untersuchung gestellt wird, konnte sich endgültig
durchsetzen. Mit der notwendigen Ausweitung der Si-
cherheitsanalysen über deterministische (teilweise von
den Herstellern stammende) Annahmen und Untersu-
chungen hinaus hat gleichsam die Komplexität der Auf-
gaben sowohl der Anlagenbetreiber als auch der Auf-
sichtsbehörden zugenommen.101
1.3 Schaffung der HSK
In der Schweiz führte die Nuklearaufsicht im Nachgang
zu TMI Sicherheitsüberprüfungen bei den bereits beste-
henden KKW durch, welche zu Nachrüstungen führten
(vgl. auch oben, Ziff. I./2.).102 Die Inbetriebnahme des
fertiggestellten KKW Gösgen wurde für weitere Unter-
suchungen unterbrochen. 103
Gleichzeitig wurde die Nuklearaufsicht neu organisiert
und ausgebaut. Die eigentliche Aufsichtstätigkeit ging
an die organisatorisch im Bundesamt für Energiewirt-
schaft eingegliederte104 Hauptabteilung Sicherheit der
Kernanlagen (HSK) über. Damit übte fortan ein Zweig
der Zentralverwaltung die auch nach dem Atomgesetz
im Grunde als ministeriale Aufgabe angelegte Nuklea-
raufsicht aus. Die KSA blieb zwar bestehen, erhielt aber
mit der Verordnung betreffend die Aufsicht über Kern-
anlagen105 die Rolle einer Konsultativbehörde.106
Die Entwicklungen in der Schweiz und in den USA ver-
liefen damit in gegensätzliche Richtungen. Hier wie
dort wurde die Nuklearaufsicht aber im Sinne der je-
weiligen Grundidee (unabhängige Regulatorin/techni-
sche Fachbehörde) reformiert. Erst ein weiteres Reak-
99 GESELLSCHAFT FÜR REAKTORSICHERHEIT (GRS), Deutsche Risikostu-
die Kernkraftwerke – Eine Untersuchung zu dem durch Störfälle in
Kernkraftwerken verursachten Risiko, Bonn 1979 (in der unverän-
GHUWHQ$XÁYRQDXÁLHJHQG
100 KLAUS KÖBERLEIN, Möglichkeiten und Grenzen der probabilisti-
schen Sicherheitsanalyse für Kernkraftwerke, in: GRS (Hrsg.), 15.
GRS-Fachgespräch – Tagungsbericht, München/Garching 27. und
28. November 1991, publiziert als GRS-89, 1992, 38.
101 In der Schweiz gab die Betreiberin des KKW Beznau 1983 eine
erste probabilistische Risikostudie in Auftrag, deren Überprüfung
durch die Aufsichtsbehörde rund zehn Jahre später abgeschlossen
wurde; vgl. NAEGELIN (FN 17), 320.
102 NAEGELIN (FN 17), 282 f.
103 NAEGELIN (FN 17), 283 f.
104 Botschaft zum Bundesgesetz über das Eidgenössische Nuklear-
Sicherheitsinspektorat vom 18. Oktober 2006, BBl 2006 8831, 8834.
105 Vom 14. März 1983, AS 1983 283.
106 Vgl. zum Ganzen RICCARDO JAGMETTI, Energierecht, in: Hein-
rich Koller/Georg Müller/René Rhinow/Ulrich Zimmerli (Hrsg.),
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. VII, Basel 2005,
Rz. 5120 f.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
198
Umwelt&Technik
3/2015
Ferner wurde im Mai 1989 die World Association of Nu-
clear Operators (WANO) gegründet.121 In diesem priva-
ten Kooperationsrahmen sollen gemeinsame Indikato-
ren zur Anwendung kommen, um die Kernkraftwerke
diverser Hersteller in verschiedenen Ländern miteinan-
der zu vergleichen.122 Die Untersuchungen und Emp-
fehlungen der WANO setzen indes voraus – wie «Fuku-
shima» drastisch vor Augen geführt hat –, dass die be-
troffenen Betreiber sowohl kritikfähig als auch Willens
sind, resultierende Massnahmen selbstständig umzu-
setzen.
Sowohl Safety Standards der IAEA als auch Empfeh-
lungen der WANO sind nach dem geltenden Kernener-
giegesetz m.E. rechtlich unter den Aspekten des explizit
verlangten Verfolgens der «Entwicklung von Wissen-
schaft und Technik» sowie der «Betriebserfahrungen
vergleichbarer Anlagen» (Art. 22 Abs. 2 lit. h KEG) zu
berücksichtigen.123 Gleiches gilt für die Empfehlungen
oder Regelwerke weiterer internationaler Fachorganisa-
tionen (wie etwa der OECD/NEA oder der ENSREG).124
2.4 Grundsätze bezüglich der
Nuklearaufsicht
Für der Nuklearaufsicht verlangt das diesbezüglich im
Grundsatz offen formulierte ÜNS125 – die bisherigen in-
ternationalen Erfahrungen berücksichtigend – unter an-
derem eine Trennung zwischen der Förderung der
Kernenergie und der Beaufsichtigung der Anlagenbe-
treiber respektive Bewilligungsinhaber (vgl. auch
Art. 70 Abs. 2 KEG sowie Ziff. IV./4.).
Dieser Anforderung konnte die HSK als formeller Teil
des BFE genauso wenig gerecht werden wie die dem
METI unterstellte japanische NISA (vgl. oben, Ziff.
I./3.).
121 LAUFS (FN 3), 159. Die WANO hat zwar in London ein weltweites
Leitungsgremium, doch sind zur Umsetzung dessen Vorschläge die
regionalen Zentren verantwortlich. Dem asiatischen Zentrum gehö-
ren sowohl Japan und Südkorea als auch China und Taiwan an –
Länder also, welche jeweils ein tiefer politischer Graben trennt.
122 FRIEDRICH KIENLE, Bewertungskriterien des Reaktoreinsatzes, in:
Michaelis/Salander (FN 16), 62.
123 Sehr knapp die Botschaft zu den Volksinitiativen «Moratori-
umPlus – Für die Verlängerung des Atomkraftwerk-Baustopps und
die Begrenzung des Atomrisikos (MoratoriumPlus)» und «Strom
ohne Atom – Für eine Energiewende und die schrittweise Stillle-
gung der Atomkraftwerke (Strom ohne Atom)» sowie zu einem
Kernenergiegesetz vom 28. Februar 2001, BBl 2001 2665, 2771.
124 Dazu SCHEIWILLER (FN 113), 128 f.
125 Weiterführend IAEA Safety Standards, GSR-1 (FN 115), 6 oder
CARLTON STOIBER/ABDELADJID CHERF/WOLFRAM TONHAUSER/MARIA DE
LOURDES VEZ CARMONA, Handbook on Nuclear Law – Implementing
Legislation, Wien 2010, 25.
Die Bestimmungen des ÜNS bilden keine direkt an-
wendbaren rechtsetzenden Normen. Vielmehr sind sie
in der jeweiligen nationalen Gesetzgebung umzusetzen
– in der Schweiz in erster Linie mit dem Kernenergiege-
setz (KEG).114 Das ÜNS postuliert im Zusammenhang
mit Kernanlagen generell einen Vorrang der nuklearen
Sicherheit (Art. 10 ÜNS)115, was das KEG – etwas weiter
gefasst – unter anderem im 2. Kapitel («Grundsätze der
nuklearen Sicherheit»), aber auch in besonderen Be-
stimmungen zum Ausdruck bringt.
Mit diesem Grundsatz verbunden ist die primäre Ver-
antwortung der Betreiber (als Bewilligungsinhaber) zur
Gewährleistung der Sicherheit ihrer Kernanlagen
(Art. 9 ÜNS).116 Oder mit den Worten von Art. 22 Abs. 1
KEG: «Der Bewilligungsinhaber ist für die Sicherheit
der Anlage und des Betriebs verantwortlich.» Dem an
sich selbstverständlichen Grundsatz kommt bezüglich
der Ausgestaltung der Nuklearaufsicht eine zentrale
Bedeutung zu.
2.3 Bedeutung der IAEA-Safety Standards
und der WANO-Empfehlungen
Nach der Havarie in Tschernobyl erfuhr auch die Rolle
der IAEA eine Stärkung.117 Zwar sind ihre zahlreichen
Standards und Richtlinien zur Verbesserung der nukle-
aren Sicherheit118 (Safety Standards) für die Mitgliedstaa-
ten grundsätzlich unverbindlich (Soft Law).119 Die
Schweiz lässt eine Überprüfung der Einhaltung der da-
raus resultierenden internationalen Standards aber aus-
drücklich zu (vgl. insb. Kapitel 2 des ÜNS).120
HAUSER, The International Atomic Energy Agency, in: Kerstin Oden-
dahl (Hrsg.), Internationales und europäisches Atomrecht – Die
militärische und friedliche Nutzung der Atomenergie aus Sicht des
Völker- und Europarechts, Berlin 2013, 167 ff., 172; YVONNE SCHEIWIL-
LER, Nukleare Aufsicht in der Schweiz, Sicherheit & Recht 2/2009,
125 ff., 126 f. sowie KERSTIN ODENDAHL, Völker- und europarechtliche
Vorgaben, in: Dies. (Hrsg.), Internationales und europäisches Atom-
recht – Die militärische und friedliche Nutzung der Atomenergie
aus Sicht des Völker- und Europarechts, Berlin 2013, 15 ff., 28.
114 Vom 21. März 2003, SR 732.1. Weitere völkerrechtliche Abkom-
men sind zu berücksichtigen, soweit sie direkt anwendbare rechtset-
zende Bestimmungen enthalten.
115 Vgl. IAEA Safety Standards, Governmental, Legal and Regula-
tory Framework for Safety, General Safety Requirements Part 1
(GSR-1), Wien 2010, 4 ff.
116 Vgl. IAEA Safety Standards, GSR-1 (FN 115), 8 ff.
117 Statut der Internationalen Atomenergie-Agentur, SR 0.732.011.
Weiterführend DAV ID FISCHER, History of the International Atomic
(QHUJ\$JHQF\WKHÀUVWIRUW\\HDUV:LHQ II]XUFNKDO-
tender aufgrund der Unverbindlichkeit der Empfehlungen TONHAU-
SER (FN 113), 180 ff. («not much of ‹watchdog›»).
118 Vgl. etwa WOLF-GEORG SCHÄRF, Europäisches Nuklearrecht,
$XÁ%HUOLQIIKHXWHJHOWHQGH6WDQGDUGVXQG5LFKWOLQL-
en), 88 ff. (Abkommen mit Bezug auf die Reaktor-Havarie in Tscher-
nobyl) sowie 65 ff. (allgemein zur IAEA).
119 ODENDAHL (FN 113), 27 f.; TONHAUSER (FN 113), 173; TURBÉK
(FN 111), 24 ff.
120 www.ensi.ch > Dokumente > Konventionen, mit den entspre-
chenden Reports der IAEA zur Schweiz – wozu auch peer reviews
gehören; dazu TONHAUSER (FN 113), 172 f.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
199
Umwelt&Technik
3/2015
vom Bundesrat (Art. 12 i.V.m. Art. 48 Abs. 1 KEG für die
Rahmenbewilligung) sowie vom UVEK als zuständi-
gem Departement (Art. 15 und Art. 19 KEG für die Bau-
und die Betriebsbewilligung) wahrgenommen werden
(vgl. auch Art. 65 ff. KEG). Mit der Schaffung des ENSI
(respektive mit der damit erfolgten Verselbstständi-
gung und Auslagerung der HSK) ist jedoch die «techni-
sche Fachkompetenz für Fragen der nuklearen Sicher-
heit und Sicherung» von der Zentralverwaltung an die
unabhängige Nuklearaufsicht übergegangen.133
2. Das ENSI als
Sicherheitsaufsichtsbehörde
Die Nuklearaufsicht fällt unter die Kategorie der Sicher-
heitsaufsicht, welche eine grundsätzlich hoheitlich wahr-
zunehmende Aufgabe darstellt.134 Im Zentrum der Si-
cherheitsaufsicht steht die Gefahrenabwehr.135 Oberstes
Ziel der Nuklearaufsicht ist der Schutz von Mensch und
Umwelt vor Schäden durch ionisierende Strahlung.
2.1 Überwachung der Einhaltung des KEG
Eine wesentliche Aufgabe des ENSI besteht daher in der
Sicherstellung der Einhaltung der Kernenergiegesetz-
gebung (Art. 72 Abs. 1 KEG). Die relevanten spezialge-
VHW]OLFKHQ1RUPHQZLHHWZDGLHDOOJHPHLQHQ3ÁLFKWHQ
der Inhaber nuklearer Betriebsbewilligungen (vgl. insb.
Art. 22 Abs. 2 KEG) adressieren sich an die jeweiligen
Anlagenbetreiber (vgl. Art. 2 KEG). Diese sind, dem
ÜNS folgend (vgl. oben, Ziff. III./2.2), für die Sicherheit
(Art. 22 Abs. 1 KEG), aber auch für die Sicherung (vgl.
insb. Art. 23 KEG) der Kernanlagen in erster Linie selbst
verantwortlich. Das KEG und die Kernenergieverord-
nung (KEV)136 YHUDQNHUQ LPPHUKLQ 0HOGHSÁLFKWHQ
welche Schnittstellen zur Aufsicht bilden.
2.2 Gesetzlich vorgesehene Rolle und
Instrumente der Aufsicht
Die konkreten Aufgaben des ENSI als Nuklearauf-
sichtsbehörde sowie die ihm zur Verfügung stehenden
«Instrumente» ergeben sich somit primär aus dem Kern-
energiegesetz; in dessen Anwendung sind teilweise auch
strahlenschutzrechtliche Belang einzubeziehen (auf die
VSH]LÀVFKH 6WUDKOHQVFKXW]JHVHW]JHEXQJ ZLUG GHVKDOE
vorliegend nicht näher eingegangen). Unterschiede be-
desaufgaben (Corporate-Governance-Bericht) vom 13. September
2006, BBl 2006 8233, 8260 f.
133 BGE 139 II 185 E. 9.2 (198); zustimmend JOHANNES REICH, Bun-
desgericht, II. öffentlich-rechtliche Abteilung, 28. März 2013,
2C_347/2012, 2C_357/2012, BGE 139 II 185, ZBl 114 (2013), 513 ff.,
521.
134 Botschaft ENSIG (FN 104), 8835 f. Gemäss dem Corporate-
Governance-Bericht (FN 132) gehört die Sicherheitsaufsicht zum
sog. dritten Kreis, 8248 f.
135 Vgl. Corporate-Governance-Bericht (FN 132), 8262 f.
136 Vom 10. Dezember 2004, SR 732.11.
IV. Das ENSI als unabhängige
Nuklearaufsichtsbehörde
1. Schaffung des ENSI
Das Bundesgesetz über das Eidgenössische Nu klear-
sicherheitsinspektorat (ENSIG)126 hat die Nu klear-
aufsicht in der Schweiz grundlegend neu geregelt. Da-
mit ist die hauptsächliche Trägerin der Aufsicht in ei-
nem formellen Gesetz verankert, verselbstständigt und
organisatorisch vollständig von der Zentralverwaltung
getrennt.127 Weitere Normen zur Ausgestaltung der
$XIVLFKWÀQGHQVLFKDXIGHU9HURUGQXQJVVWXIH128 Inner-
halb des neuen rechtlichen Rahmens können die inter-
nationalen Standards besser erfüllt werden.129
An die Stelle der KSA als Konsultativbehörde (vgl.
Ziff. III./1.3) ist aufgrund von Art. 71 Abs. 1 KEG130 mit
der Verordnung über die Eidgenössische Kommission
für nukleare Sicherheit (VKNS)131 die gegenüber ihrer
Vorgängerin redimensionierte KNS getreten (zu ihren
Aufgaben vgl. den inhaltlich weit gefassten 2. Abschnitt
der VKNS).
Das Rahmengesetz verankert die Aufgaben des ENSI
allgemein (Art. 2 ENSIG), verweist diesbezüglich aber
im Wesentlichen auf die Kernenergiegesetzgebung (vgl.
insb. Art. 70–75 KEG), die Strahlenschutzgesetzgebung,
die Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzgebung und
auf die Vorschriften betreffend die Beförderung von ge-
fährlichen Gütern (Art. 2 Abs. 1 ENSIG).
Auch die geltende Rechtsordnung verleiht dem ENSI
nicht den Status einer Regulatorin (anders etwa die U.S.
NRC; vgl. oben, Ziff. III./1.1). Vielmehr bilden die Ertei-
lung, der Entzug oder die Übertragung von nuklearen
Bewilligungen gemäss dem KEG (wie schon unter dem
Atomgesetz; vgl. oben, Ziff. II./2.2 und 2.4) und nach
hierzulande wohl vorherrschendem Verständnis «mi-
nisteriale» Aufgabenbereiche132, welche insbesondere
126 Vom 22. Juni 2007, SR 732.2.
127 Botschaft ENSIG (FN 104), 8834.
128 Im ENSIG, aber auch auf der Verordnungsstufe werden Organi-
sation und Aufgaben des ENSI, seine Organe, die rechtliche Stellung
seines Personals, seine Finanzierung und die Verfahren sowie der
Rechtsschutz normiert: Die Verordnung über das Eidgenössische
Nuklearsicherheitsinspektorat vom 12. November 2008 (ENSIV,
SR 732.21) regelt insbesondere die Qualitätssicherung und trifft Be-
stimmungen über den ENSI-Rat als dem strategischen Leitgremium
des ENSI. Zudem hat der ENSI-Rat das Personalreglement des Eid-
genössischen Nuklearsicherheitsinspektorats vom 17. Oktober 2008
(ENSI-Personalreglement, SR 732.221) festgelegt.
129 Ohne dass dies in der zugehörigen Botschaft gebührend zum
Ausdruck käme. Vgl. aber MICHAEL BÜTLER/BENJAMIN SCHINDLER, Auf-
hebung der Befristung der Betriebsbewilligung für das Kernkraft-
werk Mühleberg? – Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Sicher-
heit & Recht 2/2012, 139 ff., 144.
130 Der Bundesrat hatte die «Zweitmeinungsbehörde» noch abschaf-
fen wollen – doch das Parlament verankerte sie im KEG.
131 Vom 12. November 2008, SR 732.16.
132 Die Ministerialaufgaben sind «Aufgaben, die eine enge politi-
sche Begleitung erfordern und untereinander ein hohes Synergiepo-
tenzial aufweisen sowie stark koordiniert werden müssen»; so der
Bericht des Bundesrates zur Auslagerung und Steuerung von Bun-
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
200
Umwelt&Technik
3/2015
präventive142 und repressive143 polizeiliche Ermächtigun-
gen, welche unter Wahrung des Verhältnismässigkeits-
prinzips in einem weiten (jedoch nicht unbegrenzten)
Rahmen zulässig sein können.144
Die dem ENSI dafür zur Verfügung stehenden Instru-
mente werden, ganz in der Tradition des AtG, auch von
den geltenden kernenergierechtlichen Erlassen nicht ex-
plizit genannt. Mit allen «zur Einhaltung der nuklearen
Sicherheit und Sicherung notwendigen und verhältnis-
mässigen Massnahmen» (Art. 72 Abs. 2 KEG) bleibt der
Wortlaut der einschlägigen aufsichtsrechtlichen Norm
ziemlich offen145 und knüpft in erster Linie an die in den
kernenergierechtlichen Erlassen generell-abstrakt oder
in einzelnen Bewilligungen individuell-konkret veran-
kerten 3ÁLFKWHQ GHU %HZLOOLJXQJVLQKDEHU an. Bezüglich
VROFKHU 3ÁLFKWHQ LVW DXI GHQ ]ZHLVWXÀJHQ $QVDW] GHV
kernenergierechtlichen Vorsorgeprinzips (vgl. Art. 4
KEG) abzustellen: «Als erste Stufe werden Sicherheits-
anforderungen festgelegt, die zwingend und unabhän-
JLJYRQÀQDQ]LHOOHQhEHUOHJXQJHQHLQJHKDOWHQZHUGHQ
müssen; es handelt sich um diejenigen, die nach der Er-
fahrung und dem Stand von Wissenschaft und Technik
notwendig sind (…). Auf der zweiten Stufe sind weitere
risikoreduzierende Massnahmen zu treffen, soweit sie
XQWHU DOOHQ DXFK ÀQDQ]LHOOHQ $VSHNWHQ DQJHPHVVHQ
sind.»146 Für die erste Stufe sind Interventionen bereits
bei Gefahrenverdacht geboten, sofern der Schaden er-
heblich sein könnte147. Für die zweite Stufe ist hingegen
das sog. ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achie-
vable) massgeblich.148 Damit gelten, je nach Stufe, ver-
schieden strenge Voraussetzungen zur Beurteilung na-
mentlich der Verhältnismässigkeit einer (Aufsichts-)
Massnahme.
Die nach Art. 72 Abs. 2 KEG vom ENSI getroffenen «An-
ordnungen» sind für die jeweiligen Adressaten verbind-
lich. So hat das ENSI beispielsweise für das KKW Müh-
leberg nach den Ereignissen vom März 2011 in Japan
drei Verfügungen149 sowie nach dem Entscheid zur Aus-
serbetriebnahme durch die Betreiberin eine weitere Ver-
142 «2 Sie ordnen alle zur Einhaltung der nuklearen Sicherheit und
Sicherung notwendigen und verhältnismässigen Massnahmen an.»
143 «3 Droht eine unmittelbare Gefahr, so können sie umgehend
Massnahmen anordnen, die von der erteilten Bewilligung oder Ver-
fügung abweichen.»
144 Vgl. auch REICH (FN 133), 522.
145 BGE 139 II 185 E. 4.4 (191); karg die Botschaft KEG (FN 123), 2792.
146 BGE 139 II 185 E. 11.2 (208); zum Vorsorgeprinzip auch SEILER
(FN 39), 215 f.; zum Stand der Wissenschaft als Begriff vgl. eingehend
MATTHIAS STÖTZEL, Kerntechnische Schutzkonzepte und atomrecht-
liche Anlagengenehmigung, Diss. Frankfurt am Main 1997, Baden-
Baden 1998, 45 ff., zum Stand der Technik als Begriff ebenda, 54 ff.
147 Vgl. SEILER (FN 39), 248.
148 Dazu ausführlich BGE 139 II 185 E. 11 (207 ff.; m.w.H.); zudem
die Botschaft KEG (FN 123), 2759.
149 ENSI, Verfügung: Massnahmen aufgrund der Ereignisse in Fu-
kushima vom 18. März 2011; Verfügung: Stellungnahme zu Ihrem
Bericht vom 31. März 2011; Verfügung: Vorgehensvorgaben zur
hEHUSUIXQJGHU$XVOHJXQJEH]JOLFK(UGEHEHQXQGhEHUÁXWXQJ
vom 1. April 2011.
stehen je nach konkretem kernenergierechtlichem Rege-
lungsbereich.137
a. Gutachterliche Tätigkeit
Eine seit anhin bedeutsame Aufgabe der Nuklearauf-
sicht besteht in ihrer Funktion als Gutachterin. So sieht
auch das geltende Recht vor, dass sie als Fachbehörde
Stellungnahmen im Zusammenhang mit Rahmenbewil-
ligungsverfahren einreicht (vgl. Art. 43 Abs. 2 KEG).
Zudem bestehen bezüglich der Erteilung der Bau-
(Art. 15 i.V.m. Art. 49 ff. KEG) und der Betriebsbewilli-
gung (Art. 19 i.V.m. Art. 61 KEG) Möglichkeiten zum
weiteren Einbezug der Aufsichtsbehörde: Die («minis-
terialen») Bau- und Betriebsbewilligungen können
nämlich sogenannte Freigaben vorsehen (Art. 17 Abs. 1
Bst. f i.V.m. Art. 26 KEV und Art. 21 Abs. 1 Bst. f KEG).
Gleiches gilt hinsichtlich von Stilllegungsverfügungen
(Art. 28 KEG) oder im Zusammenhang mit geologi-
schen Tiefenlagern (Art. 36 Abs. 1 Bst. b, Art. 37 Abs. 3
KEG).
b. Freigaben
Die Eigentümlichkeit der unter früherer Behördenpra-
xis138 entwickelten und mit dem Kernenergiegesetz po-
sitivierten Freigabe139 zeigt sich etwa bei der Bestim-
mung über die Änderung nuklearer Bewilligungen
(Art. 65 Abs. 3 KEG): «Für Änderungen, die nicht we-
sentlich von einer Bewilligung oder Verfügung (…) ab-
ZHLFKHQMHGRFKHLQHQ(LQÁXVVDXIGLHQXNOHDUH6LFKHU-
heit oder Sicherung haben können, braucht der Inhaber
eine Freigabe der Aufsichtsbehörden.»140 Freigaben
sind, verwaltungsrechtlich beurteilt, Verfügungen der
Nu klear aufsichtsbehörde,141 bei welchen nur dem Ge-
suchsteller, sprich dem Inhaber einer nuklearen Bewilli-
gung, Parteistellung zukommt. Das Instrument der
Freigabe erlaubt dem ENSI die Ausübung einer präven-
tiven Sicherheitsaufsicht in konkreten kernenergie-
rechtlich erfassten Fällen (vgl. auch Art. 40 KEV), wel-
che in Zusammenhang insbesondere mit einer Betriebs-
bewilligung stehen.
c. Polizeiliche Aufgaben
%HL GHQ VSH]LÀVFKHQ $XIVLFKWVNRPSHWHQ]HQ QDFK
Art. 72 Abs. 2 und 3 KEG handelt es sich um eigentliche
137 Vgl. die umfassende Aufstellung der Aufsichtstätigkeiten des
ENSI bei GIOVANNI BIAGGINI, Rechtsgutachten zur Frage der Möglich-
keiten und Grenzen parlamentarischer Oberaufsicht im Bereich des
Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats, Zürich, 26. Au-
gust 2013, 13 f.
138 Vgl. die Botschaft über eine Teilrevision des Atomgesetzes und
des Bundesbeschlusses zum Atomgesetz vom 19. Januar 1994, BBl
1994 I 1361, 1385 f. und zudem NAEGELIN (FN 17), 160 f.
139 Dazu ENSI, Integrierte Aufsicht, Bericht zur Aufsichtspraxis,
AN-8526, Ausgabe November 2014, Ziff. 3.3.
140 Vgl. MÜLLER (FN 31), Art. 65 KEG, Rz. 30 ff.
141 Gemäss BGE 140 II 315 E. 3.3 (323) – Störfallvorsorge KKW Mühle-
berg, handelt es sich um «Ausführungsbewilligungen für Detailar-
beiten».
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
201
Umwelt&Technik
3/2015
Die eigentlichen polizeilichen Befugnisse des ENSI
nach Art. 72 KEG sind komplementär zur primären Ver-
antwortlichkeit der Betreiber für die Sicherheit und Si-
cherung von Kernanlagen.156 Das Gesetz verlangt den
Vorrang der Letzteren (Art. 22 Abs. 2 Bst. a KEG). Im
Falle des Ergreifens aufsichtsrechtlicher Massnahmen
sind diese sicherheitspolizeilicher Natur157 und nur unter
diesem Aspekt gerechtfertigt.
Damit zeigt sich im schweizerischen Kernenergierecht
ein markanter Unterschied zu jenen Rechtsordnungen,
welche (wie etwa die amerikanische) einen Regulator
einsetzen. Dem Regulator fallen idealerweise die unge-
teilten polizeilichen Kompetenzen zu. Demgegenüber
ist im Schweizer Recht die Abhängigkeit verwaltungs-
polizeilicher Massnahmen der Aufsichtsbehörde von
dem durch die «ministerialen» Stellen gesetzten Rah-
men prägend. Immerhin hat das Kernenergiegesetz bei
unmittelbar drohender Gefahr einen potenziellen Kon-
ÁLNWSUlYHQWLYJHO|VWLQGHPHV GDQQ DEHU QXU GDQQ
dem ENSI die Anordnung von sicherheitspolizeilichen
Massnahmen erlaubt, welche von der erteilten (polizei-
lichen) Bewilligung abweichen können (vgl. oben
Ziff. IV./2.2).
Die IAEA-Mission zur Überprüfung der Schweizer Nu-
NOHDUDXIVLFKWHPSÀHKOWLQLKUHP MQJVWHQ LP2NWREHU
2015 publizierten Bericht, das ENSI (auch gegenüber
anderen Behörden) weiter zu stärken.158 Bereits ange-
sichts des Umstands, dass das schweizerische Bewilli-
gungssystem m.E. dem japanischen vor 2011 nicht ganz
unähnlich scheint, sollten diese Empfehlungen sorgfäl-
tig geprüft werden.
2.4 Private Verantwortung – staatliche
Aufsicht
Während das geltende nationale Recht im Einklang mit
den internationalen Empfehlungen den Betreibern –
und damit (obwohl ganz oder mehrheitlich von Kanto-
nen und Kommunen kontrollierten) Gesellschaften –
die Hauptverantwortung für den sicheren Betrieb von
Kernanlagen belässt, würde umgekehrt eine allfällige
Privatisierung159 der Nuklearaufsicht dem ÜNS wider-
156 Insofern ist es weder zutreffend noch der gesetzlichen Grund-
ordnung entsprechend, von einem grundsätzlichen Widerspruch
zwischen wirtschaftlichem Betrieb und Gewährleistung der Sicher-
heit von Kernanlagen auszugehen (das Gesetz verankert den Vor-
rang der Sicherheit); so aber die Botschaft ENSIG (FN 104), 8835.
157 Vgl. zum Begriff der Sicherheitspolizei REINHARD (FN 152), 31 ff.
oder SCHWEIZER/SUTTER/WIDMER (FN 152), Rz. 41 mit FN 207.
158 IAEA, Integrated Regulatory Review Service (IRRS) Follow-Up
Mission to Switzerland, Oktober 2015, 12 ff.
159 Beispielsweise verfügt das Eidgenössische Starkstrominspektorat
(ESTI) über eine private Trägerschaft und wird im Auftrag des Bun-
des als besondere Dienststelle geführt; vgl. www.esti.admin.ch >
Das ESTI > Organisation. Bekanntestes historisches Beispiel der Pri-
vatisierung der technischen Überwachung bildete die Dampfkessel-
überprüfung in Deutschland im 19. Jahrhundert. Die Prüftätigkeit
wurde sukzessive von den staatlichen Stellen hin zu den entstehen-
den (fachlich kompetenteren) Prüfvereinen verlagert; vgl. einge-
hend zur «materiellen Entpolizeilichung formell ordnungsrechtli-
cher Programme» RAINER WOLF, Der Stand der Technik – Geschichte,
fügung150 erlassen. Zusätzlich zur Einreichung von Be-
richten oder zum Erstellen von Studien können insbe-
sondere Investitionen (Nachrüstungen) direkte oder
indirekte Folge von Anordnungen des ENSI sein.
Als schärfstes Aufsichtsinstrumentarium lässt das KEG
im Falle unmittelbarer Gefahr die umgehende Anord-
nung von Massnahmen zu, wobei die Nuklearaufsicht
dann auch «von der erteilten Bewilligung oder Verfü-
gung abweichen» darf (Art. 72 Abs. 3 KEG).151
2.3 Charakterisierung
Da ihre spezialgesetzlich festgelegten Aufgaben dog-
matisch nicht stringent ausgestaltet sind, erscheint die
Art der polizeilichen Tätigkeit der Nuklearaufsicht (als
Sicherheitsaufsicht; vgl. oben, Ziff. IV./2) nicht leicht
fassbar.
Das KEG teilt die verwaltungspolizeilichen Befugnisse152
auf zwischen den politischen Behörden (Bundesrat,
UVEK, BFE) und der Aufsichtsbehörde (vgl. oben,
Ziff. IV./2.1). Soweit das ENSI an der Erteilung oder
Ausgestaltung nuklearer Bewilligungen als Fachbehör-
de beteiligt ist, verbleiben die verwaltungspolizeilichen
Kompetenzen grundsätzlich bei der jeweiligen Bewilli-
gungsbehörde.153 Seine Gutachten, Berichte, u. dgl. wei-
sen zwar materiell einen engen Bezug zur Gewährleis-
tung der Sicherheit auf, sind aber selbst nicht polizeili-
cher Natur. Dies, obwohl das UVEK als in Sachen Bau-
(Art. 15 KEG) und Betriebsbewilligung (Art. 19 KEG)
zuständige Stelle nicht über das notwendige Fachwis-
sen verfügt. Als Konsequenz darf das UVEK als de jure
zuständige und verantwortliche Bewilligungsbehörde
von Beurteilungen «durch die gesetzlich vorgesehene
Fachinstanz»154 (sprich durch das ENSI) «nur aus trifti-
gen Gründen abweichen».155
Soweit im Zusammenhang mit Bewilligungen hinge-
gen Freigaben vorgesehen sind, handelt die Nuklear-
aufsicht – qua materieller Delegation – m.E. verwal-
tungspolizeilich. Selbstständigen verwaltungspolizeili-
chen Charakter haben jedoch nur allfällige Freigaben
nach Art. 65 KEG – und selbst ihre Zulässigkeit und ihr
möglicher Umfang bleibt (indirekt) von einer jeweils
bestehenden Bewilligung abhängig.
150 ENSI, Verfügung im Hinblick auf die endgültige Ausserbetrieb-
nahme des KKM im Jahr 2019 vom 14. November 2013. Mit der Ver-
fügung werden in 18 Punkten vor allem Informationen und Konzep-
te sowie gewisse Nachrüstungen verlangt.
151 Dabei sind – anders als bei ausserordentlichen Lagen im Sinne
von Art. 25 KEG – unmittelbar von einer Kernanlage ausgehende (kon-
krete) Gefahren gemeint.
152 Vgl. zum Begriff der Verwaltungspolizei HANS REINHARD, Allgemei-
nes Polizeirecht – Aufgaben, Grundsätze und Handlungen, Diss.
Bern 1993, 32 ff. oder RAINER J. SCHWEIZER/PATRICK SUTTER/NINA
WIDMER, Grundbegriffe, in: Rainer J. Schweizer (Hrsg.), Sicherheits-
und Ordnungsrecht des Bundes, Teil 1, Basel 2008, 53 ff., Rz. 41 mit
FN 208.
153 Vgl. BIAGGINI (FN 137), 11 f.
154 BIAGGINI (FN 137), 41.
155 BGE 139 II 185 E. 9.2 (197); zustimmend REICH (FN 133), 522.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
202
Umwelt&Technik
3/2015
Art. 34 Abs. 2 Bst. d KEV),167 deren konkrete Anforde-
rungen das ENSI festlegen soll (Art. 33 Abs. 3 und
Art. 34 Abs. 3 KEV). Dazu hat das ENSI die beiden
Richtlinien ENSI-A05 (Probabilistische Sicherheitsana-
lyse [PSA]: Qualität und Umfang) und ENSI-A06 (Pro-
babilistische Sicherheitsanalyse [PSA]: Anwendungen)
publiziert.168
Seine Richtlinien sind gemäss dem ENSI zu verstehen
als «Vollzugshilfen, die rechtliche Anforderungen kon-
kretisieren und eine einheitliche Vollzugspraxis erleich-
tern. Sie konkretisieren zudem den aktuellen Stand von
Wissenschaft und Technik». Im Einzelfall, «wenn die
vorgeschlagene Lösung in Bezug auf die nukleare Si-
cherheit und Sicherung mindestens gleichwertig ist»,169
lässt das ENSI Abweichungen zu.170 Bei seinen Richtli-
nien handelt es sich nicht um hoheitliche Erlasse, son-
dern um eine gewisse Selbstbindung in der Auslegung
des geltenden Rechts171 – vielleicht sogar teilweise mit
dem Charakter einer Lückenfüllung. Die Richtlinien
stellen in diesem Sinne Hilfsmittel zur Ausübung der
Aufsicht dar und bilden gleichsam Hinweise an die pri-
vaten Betreiber von Kernanlagen, wie diese ihrer pri-
mären Verantwortung zur Gewährleistung der Sicher-
heit nachkommen können.
Eigentliche Rechtsvorschriften erlässt das ENSI nur ver-
einzelt.172 Diese werden – wie etwa die ENSI-Gebühren-
verordnung173 – in den Rechtssammlungen des Bundes
publiziert.
4. Unabhängigkeit
4.1 Allgemeines
Fragen rund um die Unabhängigkeit von Behörden-
kommissionen haben in den letzten Jahren allgemein an
Bedeutung gewonnen. Dessen ungeachtet hat sich in
der Schweiz bislang kein eigentlicher Unabhängigkeits-
begriff herauskristallisiert;174 der Blick auf die eidgenös-
sischen Behördenkommissionen zeigt noch immer ein
ziemlich heterogenes Bild. Diskutiert werden immerhin
167 Zur den wesentlichen Konsequenzen einer Berücksichtigung
sowohl deterministischer als auch probabilistischer Methoden vgl.
SEILER (FN 39), 215 f. Die Probabilistik erlaube es, mittels Akzeptabi-
litätslimiten eine rechtsnormative Zielvorgabe festzulegen, welche
unabhängig des technisch Möglichen einzuhalten sei (215). Damit
könne das Recht Steuerungsmöglichkeiten gegenüber der Technik
zurückgewinnen (216).
168 5LFKWOLQLHQXQG(UOlXWHUXQJHQGD]XÀQGHQVLFKDXIZZZHQVLFK
> Dokumente > Richtlinien.
169 Vgl. statt vieler in der Richtlinie ENSI-A01/d aus dem Jahre 2009
oder in der frisch überarbeiteten Richtlinie ENSI-A03/d vom Okto-
ber 2014.
170 Vgl. zum Ganzen auch SCHEIWILLER (FN 113), 128.
171 Vgl. auch MÜLLER (FN 31), Art. 101 KEG, Rz. 17.
172 BIAGGINI (FN 137), 12.
173 Gebührenverordnung des Eidgenössischen Nuklearsicherheits-
inspektorats vom 9. September 2008, SR 732.222.
174 GIOVANNI BIAGGINI, Unabhängige Regulierungsbehörden – aus
schweizerischer Sicht, in: Johannes Masing/Gérard Marcou (Hrsg.),
Unabhängige Regulierungsbehörden – Organisationsrechtliche He-
rausforderungen in Frankreich und Deutschland, Tübingen 2010,
379 ff., 386.
sprechen: Art. 8 des ÜNS ist zwar weit gefasst und
meint bezüglich der mit dem Vollzug betrauten Stelle
eine eigentliche Aufsichts- und Genehmigungsinstanz.
Demnach soll die Regulierungsbehörde (regulatory con-
trol160) sowohl für die «Gesetzgebung» (verstanden als
das Aufstellen von Normen) als auch für den Vollzug
(verstanden als Genehmigungs- und Aufsichtstätigkeit)
zuständig sein (Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 ÜNS). Auf jeden
Fall aber muss es sich bei dieser Stelle um eine staatliche
handeln. Damit wird gleichsam sichergestellt, dass sie
hoheitlich auftreten kann161 – nach dem Regulator-Kon-
zept sogar «uneingeschränkt». In weitem Masse mög-
lich bleibt jedoch das Beiziehen externen Fachwissens
durch die Aufsichtsbehörde.162
3. Ausserbetriebnahmeverordnung
als Ausnahme und ENSI-Richtlinien
als Regel
Das Kernenergiegesetz verweist zuweilen explizit auf
den Bundesrat als Verordnungsgeber.163 So bezeichnet
dieser etwa «(…) die Kriterien, bei deren Erfüllung der
%HZLOOLJXQJVLQKDEHU GLH .HUQDQODJH YRUOlXÀJ DXVVHU
Betrieb nehmen und nachrüsten muss» (Art. 22 Abs. 3
KEG). Der Bundesrat hat diese Kriterien in Art. 44
Abs. 1 KEV allgemein festgelegt, indem dort auf die
Kernkühlung (Bst. a) sowie die Integrität des Primär-
kreislaufs (Bst. b) und des Containments (Bst. c) abge-
stellt wird. Bezüglich der Festlegung der Methodik und
der Randbedingungen zur Überprüfung der Kriterien
verweist Art. 44 Abs. 2 KEV auf das Department, wel-
ches seinem Auftrag mit der Ausserbetriebnahmever-
ordnung164 nachgekommen ist.
Der Verordnungsweg bildet indes die Ausnahme. In der
Regel delegiert die KEV weitere Regelungen an die Auf-
sichtsbehörden.165 So verlangt Art. 22 Abs. 2 Bst. e KEG
vom Betreiber eines Kernkraftwerks, periodisch eine
umfassende Sicherheitsüberprüfung vorzunehmen. Die
Verordnung verdeutlicht, dass dazu eine probabilistische
Sicherheitsanalyse166 gehört (Art. 33 Abs. 1 Bst. a und
Strukturelemente und Funktion der Verstaatlichung technischer
Risiken am Beispiel des Immissionsschutzes, Opladen 1986, 99 ff.
160 STOIBER ET AL. (FN 125), 25.
161 Zur Hoheitlichkeit gehört nach hier vertretener Ansicht übrigens
auch die öffentlich-rechtliche Anstellung des Personals; dazu die
Botschaft ENSIG (FN 104), 8837.
162 Vgl. für die U.S. NRC ROLAND M. FRYE JR., The United States Nu-
FOHDU5HJXODWRU\ &RPPLVVRQ·V8VHRI 6FLHQWLÀFDQG 7HFKQLFDO$G-
visory Committees, in: Albany Law Journal of Science & Technology
Vol. 23/1 (2013), 1 ff., 32 ff. In Deutschland ist die GRS eine wesent-
liche Trägerin nuklearen Fachwissens. Sie ist zwar als GmbH ausge-
staltet, gehört aber zu 46 % der Bundesrepublik Deutschland, zu je-
weils 4 % dem Bundesland Nordrhein-Westfalen und dem Freistaat
Bayern sowie zu 46 % den Technischen Überwachungs-Vereinen
7h9XQGGHU*HUPDQLVFKHQ/OR\GZZZJUVGHFRQWHQWSURÀO
163 Vgl. MÜLLER (FN 31), Art. 101 KEG, Rz. 6 ff.
164 Verordnung des UVEK über die Methodik und die Randbedin-
JXQJHQ]XUhEHUSUIXQJGHU.ULWHULHQIUGLHYRUOlXÀJH$XVVHUEH-
triebnahme von Kernkraftwerken vom 16. April 2008, SR 732.114.5.
165 Vgl. die Übersicht bei MÜLLER (FN 31), Art. 101 KEG, Rz. 15.
166 Vgl. zur PSA eingehend SCHEIWILLER (FN 113), 132 ff.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
203
Umwelt&Technik
3/2015
without undue pressure or constraint.»179 «What is im-
portant is that whatever model is adopted establishes a
rigorous, evidence based oversight process covering all
DFWLYLWLHVLQD6WDWHWKDWPD\SRVHVLJQLÀFDQWULVNVRIUD-
diological harm.»180
Dem Erfordernis einer institutionellen Trennung ver-
mochten die KSA und erst recht die HSK nicht zu genü-
gen. Mit der Verselbstständigung des über eine eigene
Rechtspersönlichkeit verfügenden und eine eigene
Rechnung führenden ENSI erfüllt die Anstalt die Vorga-
be (Art. 1 Abs. 1 und 2 ENSIG).181 Zudem trägt die
Struktur der Aufsichtsbehörde mit einem ENSI-Rat als
strategischem und internem Aufsichtsorgan (Art. 6
ENSIG) und einer Geschäftsleitung als operativem Or-
gan (Art. 7 ENSIG) zu einer wirksamen Entkoppelung
der effektiven Aufsichtstätigkeit vom allfälligen Ein-
ÁXVVSROLWLVFKHU%HK|UGHQEHL
Heikler erscheint die Unabhängigkeit der KNS (vgl.
oben, Ziff. IV./1.). Zwar ist – seit einer kürzlich erfolg-
ten Änderung der Verordnung182 – die Weisungsunge-
bundenheit der Kommission und ihrer Mitglieder expli-
zit verankert (Art. 7a VKNS). Jedoch ist ihr Sekretariat
administrativ dem BFE zugeteilt (Art. 11 VKNS), womit
eine gewisse Nähe zum «Ministerium» besteht. Selbst
das Sekretariat einer Konsultativbehörde könnte – ähn-
lich des Fachsekretariats der Eidgenössischen Elektrizi-
tätskommission (ElCom) – einem Departement zuge-
wiesen werden. Überdies scheinen die Ressourcen der
KNS im Verhältnis zu ihren möglichen Aufgaben zu
gering zu sein. So hat die Behörde beispielsweise eine
Stellungnahme zum Langzeitbetrieb des KKW Mühle-
berg183 abgeben können – nicht jedoch zum Langzeitbe-
trieb des KKW Beznau184. Die Kommission war zu jener
Zeit zuerst mit den Neubauprojekten und dem Sach-
planverfahren geologische Tiefenlager, dann mit der
Aufarbeitung von «Fukushima» ausgelastet.
4.4 Aufsicht über die Aufsicht
Die Unabhängigkeit der Nuklearaufsichtsbehörden
kann beschränkt werden, soweit deren Träger selber
von staatlichen Stellen beaufsichtigt werden. So verfügt
der Bundesrat über eine allgemeine Aufsichtskompe-
tenz, welche auch das ENSI und die KNS umfasst.185
179 IAEA Safety Standards, GSR-1 (FN 115), 6.
180 STOIBER ET AL. (FN 125), 25.
181 Vgl. Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Re-
gulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung; Bericht
der GPK-SR (FN 176), 6.
182 Vom 20. November 2013, AS 2013 4511.
183 Langzeitbetrieb Kernkraftwerk Mühleberg – Stellungnahme der
KNS, KNS 11/292.5 mit Bezug auf ENSI, Sicherheitstechnische Stel-
lungnahme zum Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg,
ENSI 11/1700, Brugg, 20. Dezember 2012.
184 Dazu einzig ENSI, Sicherheitstechnische Stellungnahme zum
Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Beznau Block 1 und Block 2,
ENSI 14/1400, Brugg, 30. November 2010.
185 BIAGGINI (FN 137), 11 (m.H. auf die einschlägigen Bestimmun-
gen des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom
21. März 1997 [RVOG, SR 172.010]).
einzelne Elemente des Unabhängigkeitsbegriffes, wie
HWZDGHU$XVVFKOXVVYRQ,QWHUHVVHQNRQÁLNWHQ175
4.2 Wirtschaftliche Interessen
Die Notwendigkeit der Vermeidung von Interessenkon-
ÁLNWHQ]ZLVFKHQGHQ%HDXIVLFKWLJWHQXQG GHQ PLW GHU
Aufsicht betrauten Personen erscheint offensichtlich.
Zu bedenken ist allerdings, dass damit – vorbehältlich
DOOIlOOLJHU DUEHLWVUHFKWOLFKHU 7UHXHSÁLFKWHQ RGHU .RQ-
kurrenzverbote – keine grundsätzliche Unzulässigkeit
eines Wechsels von Mitarbeitern von Beaufsichtigten
zur Aufsicht oder umgekehrt gemeint sein kann. Viel-
mehr können beide Seiten von einer gewissen «fachli-
chen Durchlässigkeit» auch im Sinne der Sicherstellung
GHUMHZHLOLJHQ)DFKNRPSHWHQ]HQSURÀWLHUHQ:LFKWLJHU
als der Aufbau von Chinese Walls erscheint die Festle-
gung klarer interner Verhaltenskodices – wie sie beim
ENSI,176 jedoch noch nicht bei sämtlichen Aufsichtsbe-
hörden des Bundes bestehen.
4.3 Wirksame Trennung – formelle
Unabhängigkeit der Aufsicht
Im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit der Nu-
klearaufsicht erschiene es zu kurz gegriffen, einzig
oder zumindest schwergewichtig auf die Unabhängig-
keit «von wirtschaftlichen Interessen» abzustellen.177
Das ÜNS verlangt «eine wirksame Trennung der Aufga-
ben der staatlichen Stelle von denjenigen anderer Stellen
oder Organisationen, die mit der Förderung oder Nutzung
von Kernenergie befasst sind» (Art. 8 Abs. 2) und folgt
GDPLW² ZRKOQLFKWJDQ]XQEHHLQÁXVVWYRQ (UIDKUXQ-
gen und Lehren weltweit – einer institutionellen Sicht-
weise.
Daraus leitet die IAEA verschiedene Voraussetzungen
zur Ausgestaltung der Aufsichtsbehörde ab betreffend
ihrer Aufgaben und Verantwortung, ihrer Struktur so-
ZLH LKUHU SHUVRQHOOHQ XQG ÀQDQ]LHOOHQ 8QDEKlQJLJ-
keit.178 Den von Staat zu Staat bestehenden Unterschie-
den kann dabei Rechnung getragen werden. «An inde-
pendent regulatory body will not be entirely separate
from other governmental bodies. The government has
the ultimate responsibility for involving those with le-
gitimate and recognized interests in its decision mak-
ing. However, the government shall ensure that the reg-
ulatory body is able to make decisions under its statuto-
ry obligation for the regulatory control of facilities and
activities, and that it is able to perform its functions
175 BIAGGINI (FN 174), 391.
176 Der Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
vom 6. Oktober 2015, 9 weist auf die faktische Unabhängigkeit von
Aufsichts- und Regulierungsbehörden hin, welche «wesentlich von
der Sensibilität der Behördenmitglieder und den in den Behörden
tätigen Personen abhängt». Dazu dürfte nach hier vertretener An-
sicht die rechtliche Selbstständigkeit der Anstalt einen wesentlichen
Beitrag leisten.
177 So aber die Botschaft ENSIG (FN 104), 8835.
178 Vgl. STOIBER ET AL. (FN 125), 25 ff. sowie HELEN COOK, The Law of
Nuclear Energy, London 2013, Rz. 4–11.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
204
Umwelt&Technik
3/2015
2. Politische Diskussionen in der
Schweiz
Die Überprüfung des ENSI durch den Integrated Regula-
tory Review Service (IRRS) der IAEA im Frühling 2015
bestätigt dessen Unabhängigkeit, postuliert aber auch
zusätzliche Kompetenzen für die Schweizer Nuklear-
aufsicht (vgl. auch oben, Ziff. IV./2.3).195 Die Empfeh-
lungen zielen im Grunde auf die oben thematisierte hel-
vetische Separierung zwischen nuklearen Bewilligungs-
und Aufsichtsbehörden ab.196
In der Schweiz wird die Rolle des ENSI als Aufsichtsbe-
hörde derzeit bloss indirekt, im Zusammenhang mit
der von der nationalrätlichen Kommissionen für Um-
welt, Raumplanung und Energie (UREK) postulierten
Einführung eines Langzeitbetriebskonzepts (LZBK) für
Kernkraftwerke angesprochen.197 Das LZBK selbst
bleibt umstritten: Im Plenum des Nationalrats wurde
der als Art. 25a i.V.m. Art. 106a E-KEG eingebrachte
Kommissionsvorschlag mit zwei Änderungen ange-
nommen – im Ständerat hingegen unisono abgelehnt.198
Eine kernenergierechtliche Einordnung der Idee eines
LZBK erscheint anspruchsvoll199. Mit Bezug auf die
Ausgestaltung der Aufsicht würde der Bundesrat «die
Einzelheiten und insbesondere die Anforderungen an
das Langzeitbetriebskonzept» festlegen (Art. 25a
Abs. 5). Das ENSI wiederum wäre zuständig, das von
der Inhaberschaft einer (Betriebs-)Bewilligung einzurei-
chende LZBK «unter Berücksichtigung einer Stellung-
nahme der KNS (…) in Form einer Freigabe» zu geneh-
migen. «Bei Nichterfüllung oder Nichteinhaltung we-
sentlicher Elemente eines Langzeitbetriebskonzeptes
YHUIJWGDV(16,GLH YRUOlXÀJH$XVVHUEHWULHEQDKPHª
(Abs. 4).
Das LZBK wurde im Bestreben einer Verbesserung der
Sicherheit der bestehenden Kernkraftwerke postu-
liert.200 Es würde indes, über die Bedeutung für einzelne
Kernanlagen hinaus, auch institutionelle Auswirkun-
gen zeitigen.201 Irritierenderweise soll der Bundesrat die
195 www.ensi.ch > Top > IAEA-Experten verlangen mehr Kompetenzen
für das ENSI.
196 IAEA/IRRS (FN 158), 12 f.
197 Diese Diskussion darüber ist interessanterweise vom ENSI ange-
stossen worden, vgl. ENSI, Mitteilung vom 10. Oktober 2012; www.
ensi.ch > Top > Ausstieg aus Kernenergie: ENSI will Sicherheitsmargen
bis zum letzten Betriebstag. Zum weiteren Vorgehen des ENSI kritisch
das Votum Theiler, AB 2015 SR 1013.
198 AB 2014 NR 2204 (vier Abstimmungen); AB 2015 SR 1021.
199 Teile davon sind bereits im Erfordernis zur Periodischen Si-
cherheitsüberprüfung (PSA) enthalten (Art. 22 Abs. 2 Bst. e KEG).
Zudem würde ein LZBK ein zusätzliches Element zur bestehenden
Alterungsüberwachung darstellen (vgl. Art. 35 KEV). Für jene Re-
aktorblöcke, welche seit mehr als 40 Jahren in Betrieb stehen, würde
das LZBK in Verbindung mit einer neuen Übergangsbestimmung
(Art. 106a E-KEG) zu festen Laufzeiten von 50 Betriebsjahren führen.
Art. 25a Abs. 1 Bst. a E-KEG könnte zudem auch feste Laufzeiten für
die beiden jüngeren KKW indizieren.
200 Vgl. etwa das Votum Bäumle, AB 2014 NR 2191 f.
201 Angesprochen im Votum Gutzwiller, AB 2015 SR 1019.; vgl.
zudem das Votum Bischofberger, Kommissionssprecher, AB 2015
SR 1010 f.
Zudem kann die parlamentarische Oberaufsicht selbst
im eigentlichen Tätigkeitsbereich unabhängiger Auf-
sichtsinstanzen nicht ganz ausgeschlossen werden.186
Die Aufsichtskompetenzen von Regierung und Parla-
ment beschränken sich jedoch darauf, ob die Aufsichts-
tätigkeit «ordnungsgemäss abläuft».187
V. Schlussbemerkungen
1. Weltweite Reaktionen auf
«Fukushima»
Nach der Havarie von Reaktorblöcken in der Anlage
Fukushima-Daiichi wird in den Industriestaaten richti-
gerweise nach Konsequenzen gefragt. So hat der ameri-
kanische Präsident Obama eine «comprehensive safety
review» durch die U.S. NRC verlangt.188 Mit der Erneu-
erung der Kernkraftwerkslizenzen um jeweils weitere
20 Jahre insistiert die Regulatorin nun auf Nachrüstun-
gen, welche vor «Fukushima» in den USA (im Gegen-
satz zur Schweiz oder zu Deutschland) noch als unver-
hältnismässig beurteilt worden waren.189 Die European
Nuclear Safety Regulators Group (ENSREG) der EU führte
unter Beteiligung der Schweiz und der Ukraine190 Stress
Tests für Kernkraftwerke durch.191 Die für die Schweiz
nicht bindenden Empfehlungen192 werden vom ENSI
gleichwohl berücksichtigt.193 Mit einem vierteiligen Ak-
tionsplan «Fukushima»194KDWHV$XÁDJHQJHJHQEHUGHQ
Anlagenbetreibern erlassen.
186 BIAGGINI (FN 137), 43.
187 BIAGGINI (FN 137), 43 bezüglich die parlamentarische Oberauf-
sicht – nichts anderes gilt m.E. für die allgemeine bundesrätliche
Aufsicht.
188 Zitiert nach NORBERT PELZER, Safer nuclear energy through a high-
er degree of internationalisation? International involvement versus
national sovereignty, in: Nuclear Law Bulletin No. 91, Vol. 2013/1,
43 ff., 44 (m.H.).
189 OSTENDORFF/SEXTON (FN 91), 39 ff.
190 https://ec.europa.eu/energy/en/topics/nuclear-energy/nuc
lear-safety/stress-tests.
191 EUROPÄISCHE KOMMISSION, Mitteilung der Kommission an den Rat
und das Europäische Parlament über die umfassenden Risiko- und
Sicherheitsbewertungen («Stresstests») von Kernkraftwerken in
der Europäischen Union und damit verbundene Tätigkeiten, COM
(2012) 571, passim.
192 EUROPEAN COMMISSION, Commission Staff Working Document,
Technical summary on the implementation of comprehensive risk
and safety assessments of nuclear power plants in the European Un-
ion, Accompanying the document Communication from the Com-
mission to the Council and the European Parliament on the compre-
hensive risk and safety assessments («stress tests») of nuclear power
plants in the European Union and related activities, COM (2012) 571
ÀQDOII
193 www.ensi.ch > Top > Schweiz setzt Empfehlungen aus EU-Stresstest
konsequent um.
194 www.ensi.ch > Themen > Auslandsereignisse > Fukushima > Ak-
tionsplan Fukushima.
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
205
Umwelt&Technik
3/2015
welches multidisziplinär ausgerichtet ist und aufgrund
wissenschaftlichen Fortschritts und technischer Ent-
wicklung zwingend einen dynamischen Charakter auf-
weist. Das präziser als noch das AtG gefasste KEG trägt
diesem Umstand in weitem Rahmen Rechnung und gilt
auch international als fortschrittlicher Erlass. Unter den
erwähnten Aspekten erscheint es jedoch fraglich, ob die
Aufteilung von verwaltungspolizeilichen und sicher-
heitspolizeilichen Befugnissen insgesamt sinnvoll
bleibt.
Mit einer grundlegenden Reform206 könnte die Nuklear-
aufsicht in der Schweiz zur «Regulatorin» aufgewertet
werden (wie sie es etwa in den USA seit jeher ist). Ob-
wohl sich Ähnliches wie in «Fukushima» in der Schweiz
sowohl aus technischen Gründen als auch angesichts
des hiesigen Rechtsrahmens heute kaum ereignen
könnte, unterstreichen die Erfahrung aus Japan die
Nachteile eines Verbleibens von für die Ausübung der
Aufsicht zentralen Kompetenzen bei den ministerialen
Behörden (in Japan bis vor Kurzem insb. beim METI,
welches im [wie die Schweiz] rohstoffarmen Land auch
einen politischen [Förder-]Auftrag zu erfüllen hatte).
Zwar ist die Verwaltung in der Schweiz allgemein zu
ZHLWJHKHQGHU ©1HXWUDOLWlWª YHUSÁLFKWHW207 Sie ist aber
nicht politikneutral. Darin liegt der entscheidende Vor-
teil einer unabhängigen Fachbehörde, solange sie recht-
lich selbstständig ist, tatsächlich unabhängig bleibt und
aus Fachpersonen208 besteht. Die Etablierung einer von
der Politik weitgehend losgelösten Regulatorin könnte
zudem zu grösserer Investitionssicherheit und damit
einem verlässlicheren Rahmen für allfällige Nachrüs-
tungen beitragen.
Auch wird es einer Regulatorin leichter fallen, unter der
Geltung des stark technologierechtlich geprägten KEG
internationalen Entwicklungen zu folgen und die ge-
setzlich verlangten Standards durchzusetzen. Dies
könnte sie in der bewährten Art nachvollziehbar, ausge-
wogen und wirksam umsetzen.209 Letztlich geht es dar-
um, die nötige Sicherheitskultur210 auf allen Ebenen
Energierecht, in: Martin Schulte/Rainer Schröder (Hrsg.), Hand-
EXFKGHV7HFKQLNUHFKWV$OOJHPHLQH *UXQGODJHQ $XÁ%HUOLQ
Heidelberg 2011, 601 ff., 601.
206 Eine solche Reform würde das KEG in weitem Masse sowie das
ENSIG in geringerem Masse betreffen. Dabei wären insbesondere
die Zuständigkeiten bezüglich nuklearer Bewilligungen gemäss
dem KEG zu überdenken.
207 Zum Ganzen etwa FELIX UHLMANN, Die Neutralität der Verwal-
tung, ZBl 108 (2007), 211 ff., passim.
208 Heikel erscheint, wenn unabhängige Aufsichtsbehörden mit Po-
litikern oder Personen aus dem politischen Betrieb besetzt werden.
So war in den USA Gregory B. Jaczko 2005 als Commissioner und
2009 als Chairman der Aufsichtsbehörde bestellt worden. Jaczko
war zuvor enger Mitarbeiter des Senators Reid aus Nevada gewesen.
In seiner Zeit als Commissioner gab die U.S. NRC die Endlagersu-
che in Yucca Mountain/Nevada durch Einstellung der Finanzierung
auf. Weiterführend zur Endlagersuche in den USA JAY R. KRAMER,
Status of HLW disposal in the USA, Referat anlässlich der 14. Regio-
naltagung der Deutschen Landesgruppe der AIDN/INLA in Nürn-
berg vom 27./28. September 2015 (wird publiziert).
209 ENSI (FN 139), 9; vgl. auch SCHEIWILLER (FN 113), 132.
210 TRONEA/CIUREA (FN 11), 6 f.
«Einzelheiten» (das KEG verwendet diesen Begriff bis-
lang nur an drei Stellen – und dies jeweils nicht in direk-
tem Zusammenhang mit der Gewährleistung der Si-
cherheit) sowie die «Anforderungen» des LZBK festle-
gen. Damit würde dem ENSI als Aufsichtsbehörde wohl
jener technikrechtliche Spielraum verbaut oder zumin-
dest stark beschränkt, welchen es mit seiner Aufsichts-
praxis – inklusive seiner Richtlinien – ausfüllen kann.202
Damit verlöre es auch einen Teil seiner effektiven fach-
lichen Unabhängigkeit. Andererseits würden mit der
möglichen Konsequenz der (vom ENSI) verfügten Au-
sserbetriebnahme der bestehende Rechtsrahmen unter
Vermengung verwaltungs- und sicherheitspolizeilicher
Kompetenzen auch in umgekehrter Richtung durchbro-
chen.203
Die eigentlich zu lösenden Fragen liegen m.E. weniger
in der Implementierung eines LZBK als viel eher im
grundsätzlichen Verhältnis zwischen polizeilichen Be-
willigungen und Aufsichtsmassnahmen. Da die Ver-
minderung von Risiken selbst mit einem System fester
Laufzeiten nicht besser gelingt, wäre es nach hier ver-
tretener Ansicht vorzuziehen, institutionelle Fragen in
den Fokus zu stellen und erkannte Lücken in ihrem
weiteren Zusammenhang zu behandeln.
3. Gedanken de lege ferenda:
Das ENSI als Regulatorin?
Bei der Ausgestaltung des schweizerischen Kernener-
gierechts wird den Rollen des Bundesrates und der
Zentralverwaltung als Bewilligungsinstanzen traditio-
nell eine grosse Bedeutung zugemessen. Nach gelten-
dem Recht sind eigentliche «ministeriale» Aufgaben
aber am ehesten im Kontext zur Rahmenbewilligung zu
ÀQGHQ204. Für die Bau- und die Betriebsbewilligungen,
welche nach wie vor den Charakter von Polizeibewilli-
gungen tragen, ist hingegen das Auseinanderfallen von
verwaltungspolizeilichen und fachlichen Kompetenzen
de lege lata augenfällig – selbst wenn die Freigaben ei-
QHQJHZLVVHQ(LQÁXVV GHV (16, DOV )DFKEHK|UGH XQG
damit eine Milderung ermöglichen.
Das Kernenergierecht regelt den Umgang mit den Kräf-
ten der Kernspaltung und den Schutz vor ionisierender
Strahlung; es geht dabei um klassisches Technikrecht,205
202 In einem Schreiben vom 4. August 2015 warnen unter anderem
die ehemaligen Vorsteher der schweizerischen Nuklearsicherheits-
behörden (HSK/ENSI) davor, «Einzelheiten der Kernenergiesi-
cherheit künftig nicht mehr von der fachtechnisch kompetenten
Sicherheitsbehörde gemäss der Erfahrungen und dem Stand von
Wissenschaft und Technik, sondern von der Regierung» festzulegen.
203 Die Konsequenz wäre somit identisch zu Art. 3 der Ausserbe-
triebnahmeverordnung – wobei im Zusammenhang mit der Ausser-
betriebnahme – anders als beim LZBK – eine tatsächliche Gefähr-
dung anzunehmen ist.
204 Zu bedenken ist jedoch, dass mit dem Inkrafttreten des KEG auf
einen Bedarfsnachweis für (neue) Kernanlagen verzichtet wurde.
205 Vgl. STEFAN MÜLLER/JÜRGEN ENSTHALER, Was ist Technikrecht?, in:
Jürgen Ensthaler/Dagmar Gesmann-Nuissl/Stefan Müller (Hrsg.),
Technikrecht – Rechtliche Grundlagen des Technologiemanage-
ments, Berlin/Heidelberg 2012, 1 ff., 1 f. sowie ULRICH BÜDENBENDER,
Reto Patrick Müller: Nuklearaufsicht in der Schweiz
206
Umwelt&Technik
3/2015
(also sowohl bei den Beaufsichtigten als auch bei den
Aufsichtsbehörden selbst) zu stärken – was ohne politi-
VFKH(LQÁVVHMHGZHOFKHU$UWEHVVHUHUUHLFKEDUVFKHLQW
Die KNS könnte gleichsam zu einer Art Fachaufsicht
über das ENSI ausgebaut werden – vorausgesetzt, auch
sie erfüllt dereinst die Vorgaben des ÜNS vollständig.
Entscheidend erscheint aber in jedem Fall, die Nuklear-
aufsicht kohärent und mit einer klaren Verteilung der
Zuständigkeiten zu regeln.
4. Stärkung des internationalen
Rechtsrahmens
«Fukushima» hat die Schwachstellen des bestehenden,
mannigfaltigen internationalen Rahmens manifestiert.
Solange die Umsetzung von Empfehlungen der IAEA
im Ermessen der jeweiligen Staaten liegen und solange
sich die Selbstregulierung der Betreiber auf den eigent-
lichen Betrieb von Anlagen konzentriert, bleibt die nati-
onale Aufsicht die zentrale Stelle zur Gewährleistung
der Implementierung allfälliger Massnahmen. Die
Schweiz setzt sich daher für die Einführung internatio-
nal verbindlicher Sicherheitsanforderungen und eine
Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit ein211
– dies befreit aber nicht davon, auch im nationalen
Recht allfällige Reformen an die Hand zu nehmen.212
211 Medienmitteilung des UVEK vom 20. Juni 2011 sowie www.ensi.
ch > Top > Internationale Überprüfungen sollen obligatorisch werden.
212 Ob hingegen – international durchaus registrierte – Massnahmen
zur weiteren Politisierung, die Schweizer die Glaubwürdigkeit stär-
ken, darf bezweifelt werden.