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Pferdeheilkunde 23 507
Pferdeheilkunde 23 (2007) 5 (September/Oktober) 507-511
Röntgenveränderungen an den Dornfortsätzen
von 295 klinisch rückengesunden Warmblutpferden
Matilda Holmer1, Bettina Wollanke2und Guido Stadtbäumer1
Tierklinik Telgte1und Pferdeklinik der Universität München2
Zusammenfassung
Die Bedeutung von Röntgenveränderungen im Sinne von „Kissing Spines“ für die Nutzbarkeit von Reitpferden ist sehr umstritten. Manche
Pferde zeigen trotz erheblicher röntgenologischer Befunde keine klinischen Beschwerden. Andererseits können Veränderungen an den
Dornfortsätzen auch Schmerzen hervorrufen und Probleme für die reiterliche Nutzung bedeuten oder die Pferde sogar unreitbar machen.
Um die Röntgenbefunde an den Dornfortsätzen besser einschätzen zu können, wurde eine retrospektive Studie mittels Auswertung von Rönt-
genaufnahmen der Dornfortsätze von 295 klinisch rückengesunden Warmblutpferden durchgeführt. Die Pferde der Studie wurden alle im
Zusammenhang mit einer Kaufuntersuchung in der Tierklinik in Telgte vorgestellt und geröntgt. Bei 91,5 % der Pferde wurden Röntgenver-
änderungen an den Dornfortsätzen diagnostiziert. Die Röntgenbefunde wurden nach Lokalisation, Charakter und Ausprägungsgrad der
Veränderung bewertet. Die am häufigsten betroffenen Dornfortsätze waren die der Wirbel T12 bis T18. Die häufigsten Befunde waren ver-
kleinerte Interspinalräume mit Veränderungen der Knochenstruktur (Sklerosierungen oder Osteolysen) der betroffenen Dornfortsätze. Nur
8,5 % der Pferde hatten keine von der Norm abweichenden Röntgenbefunde. Röntgenveränderungen sind demnach auch bei klinisch rük-
kengesunden Pferden häufig. Wenn Veränderungen auftreten, sind fast immer die Dornfortsätze im Bereich der kaudalen Sattellage betrof-
fen. Gerichtsentscheidungen haben in jüngerer Zeit Röntgenveränderungen der Dornfortsätze als solche ohne damit einhergehende klini-
sche Symptome nicht als Sachmangel angesehen. Es ist zu diskutieren, ob eine Röntgenuntersuchung des Rückens bei Kaufuntersuchun-
gen unter diesen Umständen überhaupt sinnvoll ist. Wenn ohne klinischen Verdacht auf eine Rückenerkrankung geröntgt wird, wäre unter
Berücksichtigung des Strahlenschutzes die Untersuchung der kaudalen Sattellage mittels einer einzelnen Röntgenaufnahme vermutlich aus-
reichend.
Schlüsselwörter: Pferd, Kissing Spines, Röntgen, Kaufuntersuchung, Rückenprobleme
X-ray alterations on spinal processes of 295 warmblood horses without clinical findings
The significance of X-ray alterations in the sense of „Kissing Spines“ for the usefulness of saddle horses is highly disputed. In spite of con-
siderable x-ray results some horses show no clinical discomfort. On the other hand alterations on the spinal processes can cause pain and
involve problems when riding the horse or make a horse even unridable. In order to being better equipped to assess the x-ray results on
the spinal processes, a retrospective study was performed by way of analysis of spinal processes -x-rays of 295 clinically back sound warm-
blood horses. All horses of this study were x-rayed in „Tierklinik Telgte“. X-ray alterations on the spinal processes were diagnosed with 91,5%
of the horses. The x-ray results were assessed according to localisation, character and degree of alteration. Most afflicted spinal processes
were found to be vertebras T12 to T18. The most frequent results were diminished internal spaces of spinal processes including changes
of the bone structure of the spinal processes. Only 8,5% of the tested horses showed no abnormality in the x-ray results. X-ray alterations
thus are frequent even among clinically back healthy horses. If alterations occur almost always the spinal processes of the caudal saddle
position are affected. Recent court decisions have ruled x-ray alterations not accompanied by clinical symptoms as not being material
defects. Therefore it is worth discussing whether an x-ray exam as part of a general exam at the time of a purchase makes sense at all
under these circumstances when x-rays are performed without a clinical suspicion of a dorsal ailment it would most probably be sufficient
to perform a singular x-ray of the caudal saddle position allowing for radiation protection.
Keywords: horse, kissing spines, x-ray, purchase examination, radiology, back problems, orthopedics
M. Holmer et al.
Einleitung
Die Röntgenuntersuchung des Rückens wird insbesondere bei
Pferden mit höherem Wert bei der Kaufuntersuchung
gewünscht. Dabei müssen röntgenologische Befunde korrekt
erhoben und interpretiert werden, um die Besitzer oder Käufer
über die Prognose für den später. Dies kann sich als sehr
schwierig für den beauftragten Tierarzt herausstellen, da die
Bedeutung von Röntgenbefunden an den Dornfortsätzen sehr
umstritten ist und im Zusammenhang mit Kaufuntersuchungen
vielfach zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Käu-
fer und Verkäufer und/oder kaufuntersuchendem Tierarzt führt,
wenn sich nach dem Kauf klinische Symptome zeigen. Seit das
OLG Celle am 31.05.2006 urteilte, dass sklerotische Verän-
derungen der Wirbelsäule als solche - ohne begleitende klini-
sche Beschwerden - nicht als Sachmangel nach § 434 Abs. 1
BGB betrachtet werden können, stellt sich die Situation vor
allem für den Käufer problematisch dar (Oexmann 2006).
Diese Entscheidung des OLG Celle wird durch das jüngere
BGH-Urteil noch einmal bekräftigt, in dem Röntgenverände-
rungen der Klasse II-III alleine nicht als Sachmangel angese-
hen werden (Az.: VIII ZR 266/06, Urteil vom 7.2.2007).
34897_phk5_507-511_Holmer 27.08.2007 10:54 Uhr Seite 507
Dank großer technischer Fortschritte ist seit einigen Jahren
eine zunehmend differenzierte Befunderhebung bei Pferden
mit Verdacht auf Rückenprobleme möglich. Durch die klini-
sche Untersuchung (Adspektion und Palpation einschließlich
Provokationsproben) in Verbindung mit Radiologie, Szintigra-
phie und Sonographie kann beim rückenerkrankten Pferd
eine detaillierte Befunderhebung durchgeführt werden. Es
können jedoch auch Pferde, die keine klinischen Symptome
einer Rückenerkrankung zeigen, röntgenologische Verände-
rungen aufweisen (Ranner und Gerhards 2001, 2002, Hol-
mer 2005, Brunken et al. 2006). Hier stellt sich häufig die
Frage, welche klinische Bedeutung röntgenologisch von der
Norm abweichende Befunde haben.
Da es bisher nur wenige Röntgenuntersuchungen an größe-
ren Zahlen klinisch rückengesunder Pferde gibt (Rieland
2002, Holmer 2005, Brunken et al. 2006), sollten für diese
Arbeit im Rahmen von Kaufuntersuchungen erstellte Röntgen-
aufnahmen ausgewertet werden. Ziel war es, bei Pferden, die
bei Adspektion, Palpation und Provokationsproben keinen
Hinweis auf eine schmerzhafte Rückenerkrankung erkennen
ließen, das Vorkommen von röntgenologischen Veränderun-
gen an den Dornfortsätzen zu prüfen. Zusätzlich sollte nach
Kenntnis der Häufigkeit einzelner Röntgenbefunde eine Ein-
schätzung ihrer klinischen Bedeutung vorgenommen werden.
Material
Es wurde eine retrospektive Analyse der Röntgenaufnahmen
des Rückens von 295 Warmblutpferden durchgeführt, die in
den Jahren 2002 bis 2004 in der Tierklinik Telgte im Rahmen
von Kaufuntersuchungen angefertigt worden waren. Alle Pfer-
de waren laut der klinischen Untersuchung, die aus Adspek-
tion und Palpation im Stehen, sowie Adspektion in der Bewe-
gung bestand, alle ”rückengesund” und es war keine Vorer-
krankung des Rückens bekannt. Die Pferde wurden in zwei
Gruppen unterteilt:
Zur Gruppe A („Junge Pferde“) gehörten 267 Pferde im Alter
von 3 bis 7 Jahren, die bei der Auktion des Westfälischen Pfer-
dezuchtverbandes in Münster-Handorf im Zeitraum Frühjahr
2002 bis Herbst 2004 verkauft worden waren. Innerhalb die-
ser Gruppe wurden die Pferde auch nach ihrer Verwendungs-
art unterschieden. Von den 267 Pferden aus Gruppe A waren
184 in Dressur und 83 im Springen ausgebildet worden.
Der Gruppe B: („Ältere Pferde“) wurden 28 Pferde im Alter
von 9 bis 13 Jahren zugeordnet, die im Jahr 2004 zu einer
Kaufuntersuchung in der Tierklinik in Telgte vorgestellt worden
waren.
Methode
Röntgenaufnahmen
Bei jedem Pferd wurden mindestens zwei Aufnahmen des
Rückens angefertigt, bei denen die Dornfortsätze im Bereich
von T8 bis L3 beurteilt werden konnten.
Es wurde das Röntgensystem „titanos 40 hs CGR“ benutzt,
entwickelt wurde mit dem „Agfa ADC Compact-System“ und
Röntgenveränderungen an den Dornfortsätzen von 295 klinisch rückengesunden Warmblutpferden
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die Röntgenkassetten wurden mit 80-85 kV und 20-50 mAs
bei einem Film-Focus-Abstand von ca. 100 cm belichtet. Die
Kassette wurde am Pferd leicht schräg angelegt, um den
Objekt-Film-Abstand zu verkürzen (Sager 1997). Der Strah-
lengang erfolgte von lateral im 90°-Winkel zur Wirbelsäule.
Nur sehr unruhige Pferde wurden im Einzelfall sediert.
Für die Auswertung den Röntgenaufnahmen wurde das Pro-
gramm „VetRay Vision 4 – medizinische Bildbearbeitung“ von
der Firma VetRay in Pfaffenhofen genutzt.
Röntgenbefunde
Zur Auswertung der Röntgenaufnahmen wurde anhand der
einschlägigen Literatur eine Liste mit möglichen an den
Dornfortsätzen vorkommenden Röntgenbefunden erstellt.
Befunde unterschiedlichen Schweregrades wurden als
gering-, mittel- oder hochgradig beurteilt. Die Befunde
wurden für alle Pferde in eine Tabelle eingegeben.
Die folgenden Röntgenbefunde an den Dornfortsätzenwurden
für die vorliegende Untersuchung berücksichtigt:
• Ohne besonderen Befund
• dorsale Zubildungen an den Dornfortsatzenden
• Nasenbildungen kranial am Dornfortsatzende
• Osteolytische Bereiche
• Verkürzte Abstände (<4 mm) zwischen den Dornfortsätzen
ohne Veränderungen der Knochenstruktur
• Verkürzte Abstände zwischen den Dornfortsätzen mit Skle-
rosierung und/oder Rarefikation
• Kontakt zweier benachbarter Dornfortsätze ohne Sklerosie-
rung und/oder Rarefikation
• Kontakt zweier benachbarter Dornfortsätze mit Sklerosie-
rung und/oder Rarefikation
• zystenähnliche Defekte
• Desmopathie des Lig. supraspinale und/oder des Ligg.
interspinalia
• Avulsionsfrakturen
• Überlappen zweier benachbarter Dornfortsätze
• Pseudarthrosen
• Misshapen Dorsal Summits/ verformte Dornfortsatzenden
• Fusion zweier benachbarter Dornfortsätze
• Frakturen der Dornfortsätzen
• Sklerosierung und/oder Rarefikation ohne verkürzte
Abstände zwei benachbarter Dornfortsätze
• Isolierte Verschattungen an den Dornfortsatzenden
• Missbildungen
Bei jedem Pferd wurde jeder einzelne Dornfortsatz ausgewer-
tet. Die Befunde, die die Abstände zweier Dornfortsätze betra-
fen, wurden dem kranial gelegenen Dornfortsatz zugeordnet.
Ergebnisse
Dornfortsätze ohne röntgenologischen Befund
Bei der Auswertung der einzelnen Dornfortsätze war zu
erkennen, dass diese am häufigsten in den Bereichen kranial
und kaudal der Sattellage keinen krankhaften Befund aufwie-
sen (T8 bis T12 und T18 bis L3) (Abb. 1).
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Weder zwischen Stuten, Wallachen und Hengsten noch zwi-
schen den Nutzungsarten der Pferde bestanden erkennbare
Unterschiede bezüglich der Lokalisation röntgenologisch
unveränderter Dornfortsätze. Die älteren Pferde (Gruppe B)
hatten häufiger Röntgenbefunde als die jüngeren Pferde aus
Gruppe A. Am Dornfortsatz von T14 hatte jedes Pferd der
Gruppe B einen Befund.
Dornfortsätze mit röntgenologischen Veränderungen
Von den 295 untersuchten Pferden hatten 25 Pferde (8,5 %)
keine von der Norm abweichenden Befunde an den Dorn-
fortsätzen. Alle 25 Pferde gehörten zur Gruppe der jungen
Pferde (Gruppe A). Bei den restlichen 270 Pferden (91,5 %)
waren an den Dornfortsätzen röntgenologisch Abweichungen
von der Norm vorhanden. Am häufigsten traten Veränderun-
gen im Bereich der kaudalen Sattellage auf (T12 bis T18).
Im Vergleich der Springpferde mit den Dressurpferden konn-
te nur bei zwei Befunden ein signifikanter Unterschied festge-
stellt werden. „Dorsale Zubildungen an den Dornfortsatzen-
den“ traten bei 12,1 % der Springpferde und bei 6,0 % der
Dressurpferde auf (p=0,0042). Eine „Nasenbildung“ wurde
bei 37,4 % der Springpferde, jedoch nur bei 18,5 % der
Dressurpferde beobachtet (p=0,00121).
Die häufigsten Befunde waren verkürzte Abstände zwischen
den Dornfortsätzen mit Sklerosierung und / oder Rarefikation.
Von 295 Pferden zeigten 160 (54,2 %) mindestens einen
Interspinalraum mit einem Abstand von weniger als 4 mm.
Verkürzte Abstände ohne Veränderung der Knochenstruktur
traten bei 43 der 295 Pferde (14,6 %) auf. Am häufigsten war
der Dornfortsatz des 14. Thorakalwirbels betroffen.
Bei 50/295 Pferden (17,0 %) wurde ein Kontakt mit Sklero-
sierung und/oder Rarefikation zwischen zwei oder mehreren
Dornfortsätzen beobachtet. In der Gruppe der älteren Pferde
(Gruppe B) wiesen sogar 10/28 (35,7 %) der Pferde diesen
Befund auf. Mehr als die Hälfte aller Pferde (51,5 %) zeigte
an mindestens einem Dornfortsatzende kranial eine Zubil-
dung. Hiervon war der Dornfortsatz des 15. Thorakalwirbels
am häufigsten betroffen. Dieser Befund konnte jedoch auch
an den Dornfortsätzen des 13. und 17. Thorakalwirbels
wiederholt beobachtet werden. Bei 14/295 Pferden (4,7 %)
trat eine Überlappung zweier benachbarter Dornfortsätze auf.
M. Holmer et al.
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Nur bei den jungen Pferden (Gruppe A) wurden verformte
Dornfortsatzenden beobachtet. Bei 24 von 267 Pferden aus
dieser Gruppe (9,0 %) wurde dieser Befund erhoben. Sklero-
sierungen und Rarefikationen ohne verkürzte Abstände zwi-
schen den Dornfortsätzen wiesen 60 der 295 untersuchten
Pferde (20,3 %) auf. Dabei waren von den älteren Pferden 15
(53,6 %) und von den jüngeren Pferden 45 (16,9 %) betrof-
fen. Isolierte Verschattungen am Dornfortsatzende traten
überwiegend bei den jungen Pferden auf. In der vorliegenden
Untersuchung zeigten 83 von den 267 jungen Pferden (31,1
%) diesen Befund. Bei den älteren Pferden hingegen war nur
bei einem Pferd eine isolierte Verschattung vorhanden.
Folgende Befunde wurden sehr selten beobachtet: Osteolyti-
sche Bereiche (4/295), Kontakte zwischen Dornfortsätzen
ohne Sklerosierung oder Rarefikation (2/295), zystoide
Defekte (1/295), Avulsionsfrakturen (1/295) und Missbildun-
gen (1/295). Pseudarthrosen, Fusionen und Frakturen am
Proc. spinosus wurden nicht beobachtet.
Diskussion
Im Rahmen der Kaufuntersuchung wird zunehmend auch eine
Untersuchung des Pferderückens in Auftrag gegeben. Tierärzte
müssen sowohl anhand der klinischen Untersuchung sowie
häufig anhand von Röntgenbildern beurteilen, ob das Pferd
rückengesund ist, oder ob später unter reiterlicher Belastung
Rückenprobleme zu erwarten sind. Eine derartige Aussage ist
sehr schwierig und stellt insbesondere beim Pferderücken ein
Problem dar, weil nicht zuverlässig vorhergesagt werden kann,
ob ein Röntgenbefund zu klinischen Beschwerden führen und
damit den Einsatz als Reitpferd beeinträchtigen wird, oder nicht.
Kissing Spines Syndrom
Als „Kissing Spines“ definiert Sager (1997) den Kontakt mit
Rarefikation zwischen zwei oder mehreren Dornfortsatzenden.
Das Kissing Spine Syndrom (KSS) ist die am häufigsten dia-
gnostizierte Rückenerkrankung. Jeffcott (1979) beschreibt
Veränderungen im Sinne des KSS bei 38,6 % der Rückenpa-
tienten. Townsend et al. (1983) fanden an mazerierten Wir-
belsäulen sogar bei 86 % der untersuchten Präparate ent-
sprechende Veränderungen.
Verschiedene Röntgenveränderungen werden dem „Kissing
Spine Syndrom“ zugeordnet: Annäherungen und Berührun-
gen der Dornfortsätze, Insertionsdesmopathien der an den
Dornfortsätzen inserierenden Ligamenta, Exostosen, Oste-
ophyten und andere reaktive Veränderungen wie osteolyti-
sche Bereiche oder zystenähnliche Defekte, leistenartige
Zubildungen in der Mitte der Dornfortsätze, Spondyloarthro-
pathia deformans an den kleinen Wirbelgelenken und
Nearthrosen (oder Pseudarthrosen).
Bei der Auswertung von Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule
sind jedoch nicht nur Befunde im Sinne von KSS von Bedeu-
tung, sondern jede röntgenologische Veränderung. Beispiele
für Veränderungen, die nicht zu den KS gehören, sind isolier-
te Verschattungen an den Dornfortsatzenden, Dornfortsatz-
frakturen, “Misshapen Dorsal Summits” und kongenitale Ver-
änderungen.
Abb 1 Dornfortsätze ohne pathologischen Befund (Befund = 0) in
% von allen Patienten.
Spinal processes without pathological findings. Percentage of findings
in all patients.
34897_phk5_507-511_Holmer 27.08.2007 10:54 Uhr Seite 509
Von den 295 Pferden der vorliegenden Untersuchung wiesen
lediglich 25 (8,5 %) keine röntgenologischen Veränderungen
auf. In ähnlichen Untersuchungen von Rieland (2002) wurden
bei 27 % (78/289) und in der Studie von Brunken et al. (2006)
bei 32,5 % der Pferde keine Veränderungen festgestellt. Eine
Erklärung für diesen Unterschied ist, dass in den beiden zuletzt
genannten Untersuchungen das Röntgenbefund-Schema von
Sager (1997) benutzt wurde. Befunde wie isolierte Verschat-
tungen, Sklerosierungen und Rarefikationen ohne verkürzte
Abstände, “Misshapen Dorsal Summits”, Desmopathien,
zystoide Defekte und osteolytische Bereiche wurden von Rie-
land (2002) und Brunken et al. (2006) nicht erwähnt.
Die älteren Pferde der vorliegenden Untersuchung zeigten alle
mindestens einen Röntgenbefund. Es ist daher möglich, dass
es durch den altersbedingten formativen Einfluss des Lig.
supraspinale zu diesen Veränderungen kommt (Ranner et al.
2002). Möglicherweise handelt es sich bei diesen Röntgenver-
änderungen jedoch auch um Verschleißerscheinungen, die
durch die reiterliche Nutzung eines Pferdes begünstigt werden.
Ranner (1997) schreibt, dass die klinischen Rückenprobleme
(mit oder ohne Röntgenveränderungen) allein durch falsches
Reiten zustande kommen können. In der vorliegenden Arbeit
traten von der Norm abweichende Röntgenbefunde auch
Röntgenveränderungen an den Dornfortsätzen von 295 klinisch rückengesunden Warmblutpferden
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schon bei sehr jungen Pferden auf. Man muss davon ausge-
hen, dass sie zum Teil angeboren sind und dass eine Prädi-
sposition für Rückenprobleme vorhanden sein kann. Durch
ein Trauma oder durch unkorrektes Reiten wird dann eine
Rückenproblematik „aktiviert“.
Abstände zwischen den Dornfortsätzen
Mehr als die Hälfte der Pferde der vorliegenden Untersu-
chung (54,2 %) zeigte verkürzte Abstände mit Sklerosierung
und/oder Rarefikation. Rieland (2002) konnte verkürzte
Abstände zwischen Dornfortsätzen nur bei 14,5 % der unter-
suchten Pferde nachweisen. Wenn die Hälfte aller gesunden
Pferde diesen Befund aufweist, bei den älteren Pferden sogar
mehr als 4/5 (82,1 %), muss unterstellt werden, dass Eng-
stände zwischen den Dornfortsätzen und gewisse Umbauvor-
gänge im Knochen zumindest bei reiterlicher Nutzung eines
Pferdes einen normalen Entwicklungsprozess darstellen.
Bedeutung der Ergebnisse der vorliegenden Untersu-
chung für die Rückenuntersuchung im Rahmen der
Kaufuntersuchung
Da nicht nur Veränderungen an den Dornfortsätzen sondern
auch arthrotische Veränderungen an den kleinen Wirbelge-
Alle Pferde
(n=295)
Junge Pferde
(n = 267)
Ältere Pferde
(n = 28)
Röntgenbefund
n[%] n[%] n[%]
Ohne pathologischen Befund 25 8,5 25 9,4 0 0
Zubildungen an den Dornfortsatzenden 94 31,9 71 26,6 23 82,1
Nasenbildungen kranial am Dornfortsatzende 152 51,5 127 47,6 25 89,3
Osteolytische Bereiche 41,4 41,5 00
Verkürzte Abstände (< 4 mm) zwischen den Dornfortsätzen ohne
Veränderungen der Knochenstruktur 43 14,6 36 13,5 7 25,0
Verkürzte Abstände mit Sklerosierungen und/oder Rarefikation 160 54,2 137 51,3 23 82,1
Kontakt ohne Sklerosierungen und/oder Rarefikation 20,7 10,4 13,6
Kontakt zweier benachbarter Dornfortsätze mit Sklerosierung und/oder
Rarefikation 50 16,9 40 15,0 10 35,7
Zystenähnliche Defekte 41,4 41,5 00
Desmopathie des Lig. supraspinale und/oder des
Ligg. Interspinalia 47 15,9 33 12,4 14 50,0
Avulsionfrakturen 20,7 20,7 00
Überlappen zweier benachbarter Dornfortsätze 14 4,7 12 4,5 2 7,1
Pseudarthrosen 00 00 00
Misshapen Dorsal Summits/ verformte Dornfortsatzenden 24 8,1 24 9,0 0 0
Fusion zweier benachbarter Dornfortsätze 00 00 00
Frakturen der Dornfortsätzen 00 00 00
Sklerosierung und/oder Rarefikation ohne verkürzte Abstände zwei
benachbarter Dornfortsätze 60 20,3 45 16,9 15 53,6
Isolierte Verschattungen an den Dornfortsatzenden 84 28,5 83 31,1 1 3,6
Missbildungen 10,3 10,4 00
Tab 1 Röntgenbefunde an den Dornfortsätzen von 295 Warmblutpferden.
34897_phk5_507-511_Holmer 27.08.2007 10:54 Uhr Seite 510
lenken zu Rückenproblemen führen können (Nowak 1988),
kann die Röntgenuntersuchung der Dornfortsätze keine
Gewissheit darüber geben, dass auch die knöcherne Wirbel-
säule ohne Röntgenveränderungen ist. Um die kleinen Wir-
belgelenke korrekt beurteilen zu können, wären jedoch
zusätzliche Röntgenaufnahmen, bei denen der Zentralstrahl
auf den Wirbelkörper gerichtet ist, erforderlich. Das heißt, um
einen Rücken röntgenologisch korrekt beurteilen zu können,
müssten mindestens drei bis vier Aufnahmen angefertigt wer-
den. Für die Darstellung der kleinen Wirbelgelenke sind
außerdem deutlich höhere Belichtungswerte erforderlich, als
für die Darstellung der Dornfortsätze. Aus Gründen des Strah-
lenschutzes muss dies bei einem klinisch unauffälligen Pferd
daher abgelehnt werden.
Röntgenleitfaden
Wenn eine Röntgenuntersuchung des Rückens gewünscht
wird, könnte es zunächst bei einer auf T15 zentrierten orien-
tierenden Aufnahme belassen werden, da hier die größte
Wahrscheinlichkeit für Röntgenveränderungen der Dornfort-
sätze besteht. Weitere Aufnahmen sollten nur bei einer
besonderen Indikation (z.B. klinischen Anzeichen für Rücken-
beschwerden) vorgesehen werden. Diese Vorgehensweise
würde praktizierten Strahlenschutz bedeuten, ohne einen
bedeutsamen Informationsverlust in Kauf zu nehmen.
In der vorliegenden Untersuchung wurden in Anlehnung an
Ranner et al. (2002) erst Abstände unter 4 mm als verschmä-
lert angesehen. Dennoch haben auch bei diesem Wert mehr
als 50 % aller Pferde (160/295) verkürzte Abstände (<4 mm)
aufgewiesen. Es sollte daher überdacht werden, ob die „ver-
schmälerten Zwischenräume“, die laut Röntgenleitfaden
schon bei Abständen unter 8 mm vorliegen, etwas enger defi-
niert werden könnten.
Es scheint außerdem von Bedeutung zu sein, ob die Interspi-
nalräume nur zwischen zwei Dornfortsätzen verschmälert
sind, oder ob alle Interspinalräume bei einem Pferd anlage-
bedingt relativ eng sind. Ein einzelner verschmälerter Interspi-
nalraum muss eher als pathologisch angesehen werden, als
wenn alle oder mehrere Interspinalräume hintereinander
einen gleichmäßig verschmälerten Abstand aufweisen.
Der Befund Engstand ohne reaktive Veränderungen wurde bei
14,6 % der klinisch gesunden Pferde beobachtet und als
gering von der Norm abweichend bewertet. Klinische Erschei-
nungen werden als unwahrscheinlich eingeschätzt. Die gerin-
ge Prozentzahl erklärt sich möglicherweise dadurch, dass
Engstände im Laufe der Zeit nahezu immer zu reaktiven Ver-
änderungen an den DFS führen, auch wenn in diesem
Zusammenhang auch bei älteren Pferden häufig keine klini-
schen Symptome auftreten.
Der Befund Engstand mit reaktiven Veränderungen wurde bei
54,2 % der klinisch gesunden Pferde beobachtet und als
gering bis deutlich von der Norm abweichend bewertet. Das
Auftreten klinischer Erscheinungen wird daher als unwahr-
scheinlich bis wenig wahrscheinlich angesehen.
Auch die von der Röntgenkommission als „gerichtete glatt
konturierte Zubildungen proximal“ beschriebenen Verände-
M. Holmer et al.
Pferdeheilkunde 23 511
rungen sind in der vorliegenden Untersuchung bei klinisch
rückengesunden Pferden sehr häufig nachgewiesen worden
(Befund 1: Zubildungen an den Dornfortsatzenden). Insge-
samt wurden derartige Befunde bei 31,9 % der 295 in der
vorliegenden Untersuchung ausgewerteten Röntgenaufnah-
men gesehen. Bei den älteren Pferden hatten sogar 82,1 %
solche Veränderungen. Die „glatt konturierten Zubildungen
am Dornfortsatzende“ werden als gering von der Norm
abweichend bewertet und das Auftreten klinischer Erschei-
nungen wird als unwahrscheinlich angesehen.
Ein Sklerosierungssaum ohne verschmälerte Zwischenräume
wurde bei 20,3 % der klinisch gesunden Pferde beobachtet
und als gering bis deutlich von der Norm abweichend bewer-
tet. Klinische Erscheinungen werden als unwahrscheinlich bis
wenig wahrscheinlich angesehen.
Zubildungen kranial am Dornfortsatzende (Befund = 2:
Nasenbildungen kranial am Dornfortsatzende) wurden bei
51,5 % der klinisch gesunden Pferde beobachtet und werden
als gering bis deutlich von der Norm abweichend bewertet.
Klinische Erscheinungen werden als unwahrscheinlich bis
wenig wahrscheinlich angesehen.
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PD Dr. Bettina Wollanke
Universität München
Klinik für Pferde
Veterinärstraße 13
80539 München
b.wollanke@lmu.de
34897_phk5_507-511_Holmer 27.08.2007 10:54 Uhr Seite 511