Die Satzjunktoren in der natürlichen Sprache, beispielsweise und im Deutschen, hat im Vergleich zu dem logischen Konjunktor ∧ einen Umfang unterschiedlicher Bedeutungen. Mit Verwechselung der beiden Teilsätze in einem durch und koordinierten Satz wie Thomas kam ins Klassenzimmer und Anna öffnete das Fenster ändert sich die Bedeutung des Gesamtsatzes dementsprechend, weil eine zeitliche Reihenfolge im Satz zu erkennen ist. Solche Bedeutungsaspekte der koordinierten Sätze sind pragmatisch angereichert, weil sie sich nicht auf eine rein wahrheitskonditionale Konjunktion reduzieren lassen. Während die Annahme nach dem Neogriceschen GCI-Modell nahe liegt, dass der zeitliche Bedeutungsaspekt nach einem durchs Lernen erworbenen Mechanismus automatisch erschlossen werden kann, wendet sich die Relevanztheorie an den natürlichen Verarbeitungsprozess und kognitive Skripts des Kognitionssystems. In Bezug auf den Erwerb eines solchen Mechanismus und die Rolle der kognitiven Skripts unterscheiden sich die beiden Ansätze voneinander. Im Chinesischen liegt jedoch kein allgemeingültiger Satzjunktor für Phrasen aller Sorten wie und vor. Obwohl chinesische Satzjunktoren wie erqie und bingqie zwei Teilsätze mit einer möglichen temporalen Beziehung grammatisch verbinden können, die Akzeptabilität von solchen Sätzen ist allerdings fragwürdig.
Im Experiment 1 der vorliegenden Studie werden die Einflüsse der chinesischen Satzjunktoren sowie der kognitiven Skripts auf die Akzeptabilität der koordinierten Sätze geprüft. In diesem Offline-Experiment bewerteten die meisten Teilnehmenden Sätze mit einer möglichen temporalen Beziehung, die durch die beiden Satzjunktoren koordiniert werden, als unakzeptabel. Das zeigt, dass ein Unterschied in der pragmatischen Bedeutung besteht zwischen den chinesischen Sätzen, die durch die beiden Junktoren koordiniert werden, und den deutschen Sätzen, die durch und koordiniert werden. Andererseits zeigen die Ergebnisse, dass die Akzeptabilität von Sätzen mit kognitiven Skripts signifikant höher ist als die von Sätzen ohne Skripts und von Sätzen mit einer den kognitiven Skripts entgegengesetzten Reihenfolge der Ereignisse, was darauf hindeutet, dass die Beziehung zwischen der Reihenfolge der Ereignisse in einem Satz und den kognitiven Skripts einen signifikanten Einfluss auf die Akzaptabilität von Sätzen hat.
Anhand des Beispiels der chinesischen DaF-Lernenden, deren L1 Chinesisch und L2 Deutsch ist, wird es im Experiment 2, einem Online-Experiment, untersucht, ob der Unterschied auf der pragmatischen Ebene zwischen L1 und L2 das Verstehen der Sätze in L2 beeinflusst. In den Wahrheitsbewertungsaufgaben lasen die chinesischen DaF-Lernenden deutsche Sätze und entschieden, ob die nächstfolgenden chinesischen Sätze richtig waren. Die deutschen Testsätze beschrieben zwei Handlungen, die Reihenfolge von denen mit einem kognitiven Skript konform ist oder wozu kein konventionelles kognitives Skript zugänglich ist. Die chinesischen Testsätze werden durch ranhou (danach), danshi (aber) oder parataktisch koordiniert. Wenn Sätze mit ranhou als richtig bewertet werden, zeigt es, dass die Teilnehmenden die temporale Beziehung im dargestellten deutschen Satz erkannt haben. Die Analyse der Lesezeiten der deutschen Sätze zeigt, dass sich kein signifikanter Unterschied erwies, ob es ein kognitives Skript zugänglich ist. Bezüglich der Reaktionszeiten zu den chinesischen Sätzen lässt sich zeigen, dass die Verarbeitungszeiten der Sätze mit Skripts kürzer sind. Die Ergebnisse der Wahrheitsbewertungsaufgaben zeigen, dass Sätze mit kognitiven Skripts eher als richtig beurteilt werden.
Die Ergebnisse machen deutlich, dass chinesische DaF-Lernenden den temporalen Bedeutungsaspekt in mit dem Junktor und koordinierten deutschen Sätzen erkennen können, und der temporale Bedeutungsaspekt für sie besser zu erkennen ist, wenn ein kognitives Skript zugänglich ist. Weil die temporale Beziehung in den deutschen Sätzen in diesem Experiment nicht explizit war, lässt sich dieses Verständnis der Teilnehmenden pragmatischen Anreicherungen zuschreiben, wenn sie die chinesischen Sätze mit dem temporalen Junktor als richtig bewerteten. Auf der einen Seite können die Teilnehmenden bei der Verarbeitung der Sätze in L2 solche Bedeutungen erkennen, auch wenn ähnliche Sätze in ihrer L1 unakzeptabel sind. Auf der anderen Seite waren die Reaktionszeiten zu den chinesischen Sätzen wegen der kognitiven Skripts auch kürzer, und die chinesischen Sätze mit expliziten temporalen Bedeutungsaspekten wurden auch eher als richtig bewertet, was darauf hinweist, dass die kognitiven Skripts die Verarbeitung von koordinierten Sätzen mit temporaler Bedeutung fördern. Die Ergebnisse liefern Beweise für den relevanztheoretischen kognitiven Ansatz, der davon ausgeht, dass die pragmatische Performanz eher auf dem menschlichen Kognitionssystem basiert.