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Die Sache mit den Schl??sselkompetenzen Kritische Anmerkungen zum OECD-Kompetenzmodell</I

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Abstract

Landauf, landab kaum eine Talkshow, kaum eine Rede, in der nach Veröffentlichung der ersten PISA-Studie nicht die Bildungskatastrophe ausgerufen und das schulische Bildungssystem als im Kern verrottet und dringend der Reform bedürftig dargestellt worden wäre. Seither haben die Ergebnisse internationaler Rankings, in der medialen Öffentlichkeit vornehmlich als nationale Blamage rezipiert, in die (inter)national geführten bildungspolitischen Diskussionen Einzug gehalten. Wenngleich von Wissenschaftlerinnen und Pädagoginnen die Verfahren und Ergebnisse kontrovers analysiert und interpretiert werden, scheinen derzeit hier neoliberal gesinnte Kräfte hegemonial. Die Frage, wer da mit wem zu welchem Behufe tanzt, mag verstörte Kritiker bewegen, findet jedoch im öffentlichen Diskurs kaum Widerhall. Der allgegenwärtige Modernisierungsslogan bescheinigt den Schulen, es fehle ihnen an Effizienzorientierung und Wettbewerb, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, Lernende müssten Kompetenzen erwerben, kontinuierlichen Vergleichsarbeiten und zentralen standardisierten Prüfungen etc. unterzogen werden. Der Ruf nach Effizienz legitimiert den Umbau staatlicher Infrastruktur im öffentlichen Bildungssystem, erscheint als sachbezogenes Fortschrittsprogramm und wird gegenwärtig mit der Forderung nach Rücknahme kollektiver sozialstaatlicher Sicherungssysteme verknüpft. Die Wettbewerbsbedingungen einer globalen Wirtschaft diktieren das Maß bildungspolitischer und sozialstaatlicher Ausgaben, führen aber entgegen der geläufigen Diagnose nicht zu einer ,,Zurückdrängung oder allgemeinen Schwächung des Staates“ (Hirsch 1998, S. 36), denn der neoliberale Staat ist ,,durchaus ein starker Staat, wenn es um die Sicherung der wirtschaftsliberalen Grundsätze und der daraus erwachsenen Machtverhältnisse geht“ (Ptak 2005, S. 35). Die Transformationsprozesse des Staates gehen einher mit einem ,,viel gepriesenen Individualismus“ (ebd.), der auch in den Worten der damaligen hessischen Kultusministerin Karin Wolffs anlässlich ihrer Übernahme der Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz im Jahre 2003 seinen Ausdruck findet: ,,Uns helfen [...] keine Debatten über Zuständigkeiten und Systeme“ (KMK 2003, S. 5), denn ,,soziale Ungleichheiten fallen dort schwächer aus, wo deutlich auf Leistung gesetzt wird. Wenn Leistung zählt, setzen sich die durch, die Leistung bringen:“ (ebd., S. 9). Wolffs abschließendes Fazit lautet dementsprechend: ,,Alle Anstrengungen des Staates und der Politik werden wenig bewirken, wenn nicht die ganze Gesellschaft ihr Herz für die Bildung entdeckt, und zwar dauerhaft. Alle Beteiligten sind gefordert, ihren Beitrag zu erbringen. Lehrkräfte durch guten Unterricht und Zuwendung zum Schüler. Eltern durch gute Erziehung und Unterstützung der Schule. Schülerinnen und Schüler durch die Betrachtung der Schule als Hauptsache“ (ebd., S. 18). Nicht strukturelle Defizite sind demnach Grund für mangelnde Chancengleichheit, die selektiven Funktionen des Schulsystems werden nicht in Frage gestellt, denn es geht um ,,internationale Bildungswettbewerbsfähigkeit“. Sollte es künftig nicht gelingen, einen der vorderen Plätze in (inter)nationalen Vergleichsstudien wie PISA zu erlangen, falle dies in die Verantwortung von Lehrerinnen, deren Unterricht miserabel sei, von Eltern, die ihrem Erziehungsauftrag nicht nachkämen und natürlich von Schülerinnen, welche Anstrengungen und Mühsal meiden würden (vgl. Feltes 2005, S. 19). Wenngleich die Aufforderung zu konkurrentem Verhalten - ,,Wenn Leistung zählt, setzen sich die durch, die Leistung bringen“ (KMK 2003, S. 9) - ein konstitutives Moment bürgerlichkapitalistischer Vergesellschaftung ist, so verweist doch die explizite Hervorhebung auf die ,,neoliberale Destruktion des Gesellschaftlichen“ (Ptak, 2005, S. 133). In einer Gesellschaft ,,atomisierter Einzelwesen“ (ebd., S. 132) kommt der ,,Erfindung und Förderung von Selbsttechnologien, die an Regierungsziele gekoppelt werden können“ (Lemke u. a. 2000, S. 29) besondere Bedeutung zu. Nicht zuletzt zeigt die aktuell geführte Diskussion um die verbindliche Etablierung von Bildungsstandards und Kompetenzen in schulische Curricula wie ,,Selbsttechnologien in Zwangs- oder Herrschaftsstrukturen integriert werden“ (ebd.). Deutlich wird dies m. E. an dem OECD-Kompetenzmodell und den dort geforderten Schlüsselkompetenzen, denen vorliegende Kritik sich widmet. Basis der Analyse ist die als Zusammenfassung herausgegebene Broschüre zum Projekt Definition and Selection of Competencies (DeSeCo) (OECD 2005), welche die Grundlagen und den Referenzrahmen der zu erwerbenden Schlüsselkompetenzen nennt und die einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll, da sie als Fundament der Expertise Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards (Klieme-Expertise) gilt, deren Einfluss auf die schulische Curriculaentwicklung enorm ist. Im Vorfeld werde ich den der Diskussion zugrunde liegenden Kompetenzbegriff in Abgrenzung zum Qualifikationsbegriff skizzieren, um im weiteren Verlauf aufzuzeigen, welche Auswirkungen die Forderung nach Kompetenzerwerb auf Lernende hat.

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Wer würde bestreiten“, fragt Daniel Bensaїd mit Claude Lefort, ,,,daß die Demokratie an den Kapitalismus ebenso gebunden ist, wie sie sich von ihm unterscheidet?‘ Sicher niemand, da das ganze Problem darin besteht, festzustellen, inwiefern sie historisch mit ihm verbunden ist […] und inwieweit sie sich von ihm abhebt, ihn kritisiert und über ihn hinausgeht.“ (Bensaїd 2012, 28) Ellen Meiksins Wood schlägt in die gleiche Kerbe, wenn sie betont, die moderne Demokratie unterscheide sich kategorisch von frühen demokratischen Perioden etwa in der Antike: ,,Der Kapitalismus ermöglichte […] die Konzipierung einer ,formalen Demokratie‘, in der eine Form staatsbürgerlicher Gleichheit neben sozialer Ungleichheit existieren kann, und die die ökonomischen Verhältnisse zwischen ,Elite‘ und ,arbeitender Masse‘ nicht antastet.“ (Wood 2010, 215) Die von Wood herausgestellte ,,Trennung zwischen staatsbürgerlichem Status und Klassenposition“ (ebd.) ist nicht nur demokratiehistorisch von Bedeutung, sondern auch demokratietheoretisch. Von hier führt eine Spur zur ,,üblichen Denkweise, von zwei Sphären oder Funktionssystemen auszugehen, der Politik und der Ökonomie“, der Frank Nullmeier zufolge ,,auf legitimatorischer Ebene ein ,Trennmodell‘ entspricht“: ,,Demokratische Gleichheit gilt als Leitwert des politischen Funktionssystems, Allokationseffizienz als Leitwert des ökonomischen Systems.“ (Nullmeier 2013, 428) Im Anschluss an Nullmeiers kritische Analyse dieser Annahme lässt sich feststellen, dass legitimatorische ,,Trennmodelle“ innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft keineswegs als Konsens begriffen werden können: Das normativ wünschbare Verhältnis zwischen ökonomischer Reproduktion und politischer Gestaltung von Gesellschaft war vielmehr stets ein zentraler, wenn nicht der zentrale Streitpunkt der Moderne. Um ihn kristallisierten sich früh gegensätzliche Konzeptionen der Demokratie.
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