Konzepte und Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) haben in jüngerer Zeit im Bildungskontext und insbesondere auch in der beruflichen Aus- und Weiterbildung immens an Relevanz und Sichtbarkeit gewonnen. Dabei werden der Einfluss von KI-gestützten Systemen auf zahlreiche Berufsbilder einerseits, andererseits aber auch die Potenziale und Herausforderungen von KI-Anwendungen für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen intensiv diskutiert. Es lassen sich somit in der Auseinandersetzung mit KI im beruflichen Bildungskontext mindestens zwei wichtige Perspektiven ausmachen, die beide umfassende Fragen auf verschiedenen Ebenen nach sich ziehen: Zum einen geht es um KI als zunehmend bedeutenden Bildungsinhalt, über den es zu lernen gilt, zum anderen um KI als Methodik, mit der sich Lehr-Lern- und Arbeitsprozesse verändert denken und gestalten lassen. Entsprechende Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, die sich mit den KI-induzierten Veränderungen in Aus- und Weiterbildung befassen, sind angesichts der ausgesprochen dynamischen Entwicklungen der jüngeren Zeit zunehmend mit der Herausforderung konfrontiert, anschlussfähig an den jeweils aktuellen Erkenntnis- und Implementierungsstand zu sein und gleichzeitig mit Blick auf Nachhaltigkeitsfragen auch Erkenntnisse zu generieren, die zumindest mittelfristig Bestand haben. Dies bedeutet insbesondere für Vorhaben, die über generische Fragen und Zugänge hinausgehen, dass sie eher den Charakter einer Momentaufnahme haben. Vor diesem Problemhintergrund widmet sich die vorliegende Ausgabe der Zeitschrift Empirische Pädagogik aktuellen Forschungsansätzen zu KI im berufsbildenden Bereich. Mit den Beiträgen des Themenheftes werden drei thematische Akzente adressiert:
(1) Ansätze zur Erfassung und Förderung KI-bezogener Kompetenzfacetten
Schmidt und Happ berichten von der Validierung eines Testinstruments zur Erfassung des Grundlagenwissens zu KI von angehenden Lehrkräften im berufsbildenden Bereich. Dabei werden die Analysen zur Beurteilung der Validierungsaspekte "Testinhalt" und "Beziehung zu anderen Merkmalen" diskutiert. Auf Basis der Befunde können theoretisch postulierte Annahmen zum KI-Wissen von (angehenden) Lehrkräften empirisch untermauert werden, wodurch ein wichtiger Beitrag zur Nutzbarkeit des entwickelten Instruments geleistet wird.
Hangen und Wuttke nehmen in ihrer Mixed-Methods Evaluationsstudie Wissen, Motivation sowie Überzeugungen und Einstellungen von (angehenden) Gründerinnen und Gründern von Startups in den Blick. Im Prä-Post-Vergleich nimmt das selbstberichtete Wissen über Unternehmensgründungen zu. Die Evaluationsergebnisse zeigen allerdings keine signifikante Wissensveränderung über Anwendungen der KI. In Bezug auf Gründungsaspekte kann das Trainingsprogramm daher als effektiv angesehen werden, weniger jedoch im Hinblick auf KI.
(2) Ethische Herausforderungen des Einsatzes von KI in Bildungsprozessen
Den Umgang mit KI-Robotern untersuchen Seufert, Spirgi, Delcker, Heil und Ifenthaler in einer empirischen Studie mit Studierenden im ersten Semester (N = 636). In einem weiten Verständnis fassen die Autoren darunter Systeme mit menschenähnlicher Leistung (z.B. Übersetzer, Schreibassistenten) sowie Systeme mit menschenähnlicher Erscheinung (z.B. Chatbots, Avatare). Ausgehend von sieben Anwendungsfällen werden die Nutzungshäufigkeit sowie die ethische Beurteilung in den Blick genommen. In der Gesamtschau überwiegen dabei die wahrgenommenen Risiken gegenüber den identifizierten Chancen. Die Nutzungshäufigkeit von KI-Robotern war zudem im Erhebungszeitraum - kurz vor der Veröffentlichung von ChatGPT - als eher gering einzustufen.
Guggemos, Schmidt und Happ untersuchen die Einstellungen angehender Lehrkräfte zu den ethischen Grundsätzen des Einsatzes von KI im Bildungswesen. In der Studie mit N=90 angehenden Lehrkräften erweist sich das postulierte Messmodell zur Bewertung der Einstellung als reliabel und valide. Eine latente Profilanalyse führt zu drei von Kontextvariablen unabhängigen Profilen mit jeweils unterschiedlichen Einstellungsstrukturen, die sich vor allem in der Einschätzung unterscheiden, ob es der KI erlaubt sein sollte, harte Macht über Lehrkräfte und Lernende auszuüben.
(3) Evidenzgestützte Entwicklung von KI-bezogenen Lehr-Lern-Ressourcen
Egloffstein, Kögler und Ifenthaler beschreiben die evidenzgestützte Entwicklung von Online-Lernangeboten zu KI in der beruflichen Bildung. Im Zentrum steht dabei eine qualitative Studie zur Zielgruppen- und Kontextanalyse, in der N=48 Akteurinnen und Akteure aus der beruflichen Bildung zu KI-bezogenen Aspekten befragt wurden. Auf Basis der Ergebnisse wurden Impulse für die Gestaltung von AI_VET, einer Serie von vier Online-Kursen auf der Plattform des KI-Campus, abgeleitet. Erste Evaluationsergebnisse deuten auf eine differenzierte Nutzung der implementierten Kursbausteine sowie auf Akzeptanz auf Seiten der Lernenden hin.
Pargmann et al. stellen eine KI-Plattform zur Unterstützung der Planungskompetenz von Unterricht vor. Die elektronisch-didaktische Assistenz (EDDA) kann für die Analyse von Unterrichtsentwürfen und -materialien im Studium, im Vorbereitungsdienst und in der schulischen Berufstätigkeit verwendet werden. EDDA stellt Rückmeldungen zur Umsetzung ausgewählter didaktischer Merkmale der Unterrichtsplanung bereit und liefert dabei Hinweise zur Reflexion und Weiterentwicklung der Entwürfe. Darüber hinaus kann EDDA als Ausgangsbasis für weitere Forschungen zum Lehren und Lernen mit KI dienen.
Anhand der drei Themenakzente lassen sich wichtige Spannungsfelder nachzeichnen, in denen sich die Diskussion um KI in der beruflichen Bildung aktuell bewegt. Das Spannungsfeld zwischen einer hohen Entwicklungsdynamik und dem Streben nach Nachhaltigkeit offenbart sich etwa besonders dann, wenn es darum geht, Wissen über KI in einem Testverfahren zu operationalisieren. Die ersten beiden Artikel verdeutlichen, wie schnell die Entwicklungen im Themenfeld KI das Design der Messinstrumente, insbesondere auf der Inhaltsebene, beeinflussen. Es bedarf der ständigen Anpassung von Testinstrumenten, um valide Testwertinterpretationen zuzulassen. Hierbei hat sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit (bspw. mit der Wirtschaftsinformatik) als hilfreich und notwendig erwiesen. Dass die technischen Möglichkeiten immer auch in Bezug zu ethischen Herausforderungen abgewogen werden müssen, ist die Quintessenz der Beiträge aus Bereich zwei. Aus beiden Beiträgen wird deutlich, dass der stärkere Verbreitungsgrad des Chatbots ChatGPT auch auf non-kognitive Facetten eine Wirkung haben sollte. Für die Zukunft bieten sich mit den bestehenden Messinstrumenten zu den non-kognitiven Facetten auch Kohortenvergleiche an (bspw. Stichprobe 2021 und mögliche Stichprobe 2024), ob bspw. bei Studierenden aus vergleichbaren Gruppen Veränderungen der non-kognitiven Personenmerkmale zu beobachten sind. Dass im Zuge der Entwicklung von Bildungsangeboten immer auch die beiden Perspektiven KI als Inhalt und KI als Werkzeug mitgedacht werden müssen, wird schließlich durch die Beiträge aus dem dritten Bereich illustriert. Wie die Bildungsangebote ständig aktualisiert werden, stellt auch bei diesen beiden Beiträgen eine wesentliche Herausforderung dar.
Es haben zwölf Gutachterinnen und Gutachter im Rahmen des Double-Blind-Reviews einen wichtigen Beitrag zur Entstehung und Qualitätssicherung dieses Themenhefts geleistet. Dank der vielen konstruktiven Kommentare konnten die Autorinnen und Autoren ihre Artikel deutlich verbessern. Den Gutachterinnen und Gutachtern sei an dieser Stelle herzlich gedankt.