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64 Archäologische NachrichteN 2012
Seit Januar 2012 ist für die Dauer von drei Jahren
ein neues Forschungsprojekt am Archäolo-
gischen Landesmuseum Schloss Gottorf in
Schleswig (ALM) und am Institut für Ur- und
Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Uni-
versität zu Kiel angesiedelt. Es wird im Rah-
men der Förderinitiative „Forschung in Museen“
von der Volkswagen-Stiftung in Hannover finanziert und
ist von Ralf Bleile, stellvertretender Direktor des ALM,
und Ulrich Müller, Professor am Institut für Ur- und
Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu
Kiel, beantragt worden. Das Projekt widmet sich den Ur-
sachen und Gründen für den Übergang von dem wikin-
gerzeitlichen Handelsplatz Haithabu zur mittelalterlichen
Stadt Schleswig im mittleren 11. Jh. Beide Siedlungen
liegen sich mit einer Entfernung von ca. 2 km an der in-
neren Schlei gegenüber: Haithabu an der binnensee artigen
Erweiterung des Haddebyer Noores am Südufer und
Schleswig am Nordufer. Beide Orte waren vom frühen
9. bis zum 13. Jh. die zentralen Verkehrsknotenpunkte
und Warenumschlagplätze Nordeuropas mit den jeweils
größten Häfen ihrer Zeit. Die dadurch belegte Bedeutung
der inneren Schlei als Transitzentrum zwischen Nord- und
Ostsee einerseits und Skandinavien und Kontinentaleu-
ropa andererseits hat das Ende der Wikingerzeit in der
Mitte des 11. Jh. überdauert. Diese Kontinuität und die
räumliche Nähe beider Häfen legen es nahe, Haithabu und
Schleswig als einen gemeinsamen zentralen Umschlagplatz
aufzufassen. Diese Auffassung findet in der anscheinend
synonymen Verwendung beider Ortsbezeichnungen in
wikingerzeitlichen und mittelalterlichen Schriftquellen
ihre Entsprechung. Aufgrund des Forschungsstandes ist es
momentan nicht möglich, die Problematiken der Bistums-
gründung 948, des Standortes des ersten Domes oder die
Zwischen
Wikingern und Hanse –
Der Übergang von Haithabu nach Schleswig
im 11. Jahrhundert
von Volker Hilberg,
Felix Rösch und
Michaela Schimmer
Oben: Am inneren Ende
der Schlei liegen sich
Haithabu und Schleswig
in einer Entfernung von
2 km gegenüber.
65 Archäologische NachrichteN 2012
Zwischen wikingern und hanse
eines bischöflichen oder königlichen Palatiums vor dem
Hintergrund neuer Informationen oder Grabungsergeb-
nisse zu bearbeiten. Im Vordergrund des Projektes stehen
somit Fragestellungen, die sich mit der Funktion von
Haithabu und Schleswig als zentralem Handels-, Hafen-
und Handwerksplatz des 11. und frühen 12. Jh. beschäftigen.
Lässt sich aus dem jüngsten Fundmaterial Haithabus und
dem ältesten Fundhorizont Schleswigs eine Veränderung
der Waren- und Handelsströme im Verlauf des 11. Jh.
erkennen? Können solche Veränderungen mit dem Prozess
des Niedergangs Haithabus und der Gründung Schles-
wigs verbunden werden oder sind für diesen Prozess eher
wirtschaftliche oder politische Ursachen ausschlaggebend?
Wie ist der neue Hafen Schleswigs im 11. Jh. organisiert
und welche Unterschiede bestehen zu dem alten Hafen
Haithabus?
Das Forschungsprojekt behandelt deshalb schwerpunkt-
mäßig Fragen nach der Einbeziehung Haithabus und
Schleswigs in die mittelalterlichen Urbanisierungspro-
zesse im Ostseeraum, wie sie in Dänemark und Skan-
dinavien bereits seit dem ausgehenden 10. Jh. greifbar
werden.
Haithabu – der Untergang eines
wikingerzeitlichen Handelsplatzes
Die Erforschung Haithabus hat eine lange Tradition. So
begannen erste Ausgrabungen in Haithabu bereits im Jahr
1900 und wurden vor allem in den 1930er Jahren unter
Herbert Jankuhn und zwischen 1962 und 1980 durch Kurt
Schietzel forciert. Dank dieser intensiven Forschungen
kann Haithabu heute zu den am besten bekannten Fund-
plätzen der Wikingerzeit gezählt werden. Trotzdem hat sich
unser Wissen um Haithabus Entwicklung in den letzten
zehn Jahren noch entscheidend verändert. Mehrere z. T.
laufende Forschungsarbeiten widmen sich der systemati-
schen Aufarbeitung der Hafen- und Siedlungsbefunde. Seit
2002 werden moderne geophysikalische Messverfahren
eingesetzt, um Siedlungsausdehnung und -intensität zu
bewerten. Diese Prospektionsmethoden erlauben erstmals,
gezielt kleinräumige Ausgrabungen einzusetzen. Zwischen
2005 und 2010 ist eine solche Ausgrabung in enger Zu-
sammenarbeit zwischen dem ALM (Projektleitung Volker
Hilberg) und dem Archäologischen Landesamt Schleswig-
Holstein (ALSH) durchgeführt worden (Grabungsleitung
2005–2009: Dieter Stoltenberg, 2009/10: Astrid Tummuscheit).
Hierbei sind nicht nur die sich bereits geophysikalisch
Digitalisierung der Befunde der
Ausgrabung Haithabu LA 48,
2005–2010. Die regelmäßige An-
ordnung der Grubenhaus befunde
(rot) wird gut sichtbar.
Digitalisierung: Jörg Nowotny,
© Stiftung Schleswig-Holsteinische
Landesmuseen Schloss Gottorf
66 Archäologische NachrichteN 2012
Zwischen wikingern und hanse
andeutenden Befunde durch eine sorgf ältige Ausgrabung in
ihrer Funktion und ihrem zeitlichen Verhältnis zueinander
geklärt worden. Es konnte auch in einem Werkstattareal
ausgegraben werden, das während des 10. und 11. Jh. in
Betrieb war und somit in die Endphase Haithabus datiert.
Drei mehrphasige Grubenhäuser sind vollständig untersucht
worden. Gemeinsam mit fünf angeschnittenen Gruben-
häusern, zwei bis zu 3,6 m tiefen zisternenartigen Brunnen
und zahlreichen Gruben und Pfosten ist eine planmäßige
und dichte Bebauung in diesem Werkstattareal belegt. Die
außerordentlich gute Erhaltung der Baubefunde und ihre
enorme Eintiefung in den Boden – die Sohlen der Gru-
benhäuser lagen bereits in der Wikingerzeit 1,5 m unter
der damaligen Geländeoberfläche – hat in Verbindung mit
einer sorgfältigen Schlämmung des gesamten Aushubs die
riesige Fundmenge von über 14.000 dreidimensional ein-
gemessenen Einzelfunden erbracht. Durch die Baubefunde
und das Fundmaterial sind für Haithabu erstmals Einbli-
cke in die handwerkliche Produktion und den Handel der
späten Wikingerzeit möglich geworden. Im Anschluss an die
geomagnetischen Prospektionen des Jahres 2002 sind ein Jahr
später systematische Metalldetektorprospektionen begonnen
worden, die flächendeckend innerhalb und auf ausgewählten
Arealen außerhalb des Halbkreiswalles von Haithabu aus-
gedehnt worden sind. Zwischen 2003 und 2011 sind durch
diese innovative Prospektionsmethodik weitere rund 12.000
Metallfunde (einschließlich neuzeitlicher Funde und moder-
nen Schrotts) geborgen und eingemessen worden. Die Un-
tersuchungen sind in Zusammenarbeit mit den Bornholmske
Amatørarkæologer aus Dänemark und der neu gegründeten
Detektorgruppe des ALSH durchgeführt worden. Erstmals
liegen nun ganze Serien gut datierbarer Metallobjekte und
wikingerzeitlicher Fundmünzen vor, die einerseits einen
typisch skandinavischen Charakter aufweisen, andererseits in
besonderem Maße die Grenzlage Haithabus zum fränkischen
bzw. deutschen Reich verdeutlichen.
Während der Regierungszeit des dänischen Königs Harald
Blauzahn (ca. 958–987) vollziehen sich einschneiden-
de Änderungen und Entwicklungen, die zu einer neuen
dänischen Vormachtstellung führten. Hierzu gehören die
Annahme des christlichen Glaubens durch den dänischen
König und seine Gefolgschaft um 965, die zentrale Reichs-
bildung in Dänemark mit der Einführung des dynastischen
Königtums und seit dem Jahre 983 die Zurückweisung
eines ottonischen Herrschaftsanspruches im süddänischen
Grenzgebiet. Gleichzeitig kommt es seit dem Jahr 981 zu
jährlich wiederkehrenden Einfällen dänischer Heere in
England. Hierdurch gelangten große Mengen an Tribut-
zahlungen bis zur Eroberung des englischen Throns im Jahr
1012 durch Sven Gabelbart nach Skandinavien.
Mit der Abnahme und schließlich dem Ausbleiben des
Zustroms immer geringwertigerer islamischer Silber-
münzen aus Zentralasien seit den 970er Jahren änderten
sich auch die Handelsnetzwerke und der Zugang zu
Rohstoffen einschneidend. Die Metallerzvorkommen am
Nordrand der deutschen Mittelgebirge, die von Silber-
und Bleierzen aus dem Harz im Osten bis zu den für die
Messingherstellung erforderlichen Galmei- bzw. Zinkerz-
vorkommen im Aachen-Stolberger- bzw. im Maas-Raum
reichen, erlangen nun eine besondere Bedeutung für die
Rohstoffversorgung Skandinaviens. Deshalb wird die
archäologische Auswertung der entsprechenden Befunde
und Funde aus Haithabu und Schleswig durch archäome-
tallurgische und chemische Materialanalysen ergänzt. Ein
vorrangiges Ziel dieser Analysen ist die Herkunftsbestim-
mung der Rohstoffe und der lokalen Verarbeitung von
Silber, Blei und Messing. Hierzu werden zusätzlich ausge-
wählte Funde von anderen archäologischen Fundplätzen
des 11. Jh. in Nord- und Westdeutschland analysiert und
mit dem Fundmaterial aus Haithabu und Schleswig ver-
glichen. Chemische Analysen von Glasobjekten ergeben
erstmals Hinweise für eine Kontinuität oder Diskonti-
nuität der lokalen Glasverarbeitung und den Nachweis
einer Glasproduktion vor Ort, indem der Grundglastyp
ermittelt und die Provenienz bestimmt werden.
Zum typischen
Formen spektrum des
11. Jh. gehören die-
se Bestandteile von
Pferde trensen bzw. vom
Kopfgestell des Pferde -
zaumzeugs. Oftmals
sind die Ösen abgebro-
chen. Die meisten die-
ser Riemenschlaufen
stammen aus Haitha-
bu, das Exemplar un-
ten rechts stammt aus
der Schleswiger Hafen-
gang-Ausgrabung.
Die im Rahmen des
Projektes auszuwer-
tenden Grabungen liegen
im ehemaligen Ha-
fenareal von Schleswig,
das sich heute durch eine
Verschiebung der Uferli-
nie in einiger Entfernung
zur Schlei befindet.
67 Archäologische NachrichteN 2012
Bauboom am Schleiufer – das Schleswiger Hafenviertel
Erste Altstadtgrabungen sind seit 1969 von Volker Vogel in
einem mehrjährigen Forschungsprojekt durchgeführt wor-
den, ohne dass diese Untersuchungen bis heute systematisch
ausgewertet worden sind. Unter der Berücksichtigung jüngs-
ter Grabungsbefunde, die aus der Ausgrabung im Hafengang
11 im Jahre 2007 stammen, wird das VW-Stiftungsprojekt
dieses Forschungsdesiderat erfüllen. So liegt ein weiterer
Fokus des Projektes auf der Aufarbeitung und Neubewertung
der Befunde zweier in den 1970er und 80er Jahren durchge-
führten Grabungen in der Schleswiger Altstadt in der Ples-
senstraße 83/3 und der Hafenstraße 13. Sie brachten damals
neben umfangreichem Fundgut zahllose Holzkonstruktionen
zum Vorschein, die als Überreste des mittelalterlichen Hafens
von Schleswig gedeutet wurden. Dazu zählten Landebrü-
cken und Kais, die aus Reisig, Erde und Mistlagen verfüllten
Spundwandkästen konstruiert wurden, aber auch Uferbefes-
tigungen, Bohlenwege und Gebäude. Dendrochronologi-
sche Untersuchungen datierten Errichtung und Ausbau der
erfassten Konstruktionen in das letzte Drittel des 11. sowie
das frühe 12. Jh.
Die Dokumentation der Ausgrabungen erfolgte auf knapp
350 großformatigen Plänen, welche jetzt die Auswer-
tungsgrundlage darstellen. Mehrere Tausend Hölzer sowie
Steine, größere Fundstücke und Schichtabfolgen mit
detaillierten Beschriftungen sind auf ihnen kartiert. Um
diese Informationsmenge zu bewältigen, wird auf die in
den letzten Jahren immer weiter entwickelte elektroni-
sche Datenverarbeitung (EDV) zurückgegriffen. Sie liefert
innovative und weitreichende Auswertungswerkzeuge und
ermöglicht damit eine neue Sicht auf die Holzstrukturen in
den genannten Arealen. Hierbei ist besonders das Geogra-
fische Informationssystem (GIS) hervorzuheben, welches
ermöglicht, raumbezogene Daten zu visualisieren und im
Zusammenhang zu analysieren. Dazu werden die gezeich-
neten Grabungspläne eingescannt, anschließend im GIS
georeferenziert und die einzelnen Objekte (z. B. Spaltbohle
XY) und Schichten digitalisiert. Schlussendlich werden die
zahlreichen Eigenschaften der Objekte in einer verknüpften
Datenbank erfasst. Diese beinhaltet dann unter anderem
Informationen zu Länge, Querschnitt, Tiefe und Datierung.
Auf Basis dieser Quellen kann das GIS beispielsweise alle im
Jahr 1083 geschlagenen Hölzer darstellen. Daraus kann sich
die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Struktur erge-
ben, die vom Archäologen als einzelne Baumaßnahmen in
ihrer chronologischen Entwicklung nachvollzogen werden
können. Diese Vorgehensweise wurde bereits von Joachim
Schultze und Sven Kalmring für die Altgrabungen Haitha-
bus angewandt und weiterentwickelt (s. a. Beiträge ANSH
2008, 56–58; 59–61), sodass die Auswertung der Schleswi-
ger Hafenbefunde auf einen breiten Fundus bestehender Er-
fahrungswerte gestützt werden kann. In die Untersuchung
der beiden Altgrabungen fließen zudem Ergebnisse des
2007 ergrabenen Areales Hafengang 11 ein, welches östlich
an die Grabung Hafenstraße 13 anschließt. Es ist eben-
falls durch mehrphasige Spundwandkonstruktionen sowie
Schleswig, Plessen-
straße 83/3. Einer
von 19 Schnitten
des Grabungsareals
vor dem Schleswiger
Dom. Deutlich ist
die mächtige Holz-
erhaltung in Form
einer Spundwand
aus Spaltbohlen zu
erkennen.
Schleswig, Plessen-
straße 83/3. Über-
reste eines mehrpha-
sigen, parallel zum
ehemaligen Ufer der
Schlei verlaufenden
Bohlenweges.
68 Archäologische NachrichteN 2012
Zwischen wikingern und hanse
darauf errichtete Bauten gekennzeichnet und liegt bereits
in digitaler Form vor. In der Zusammenschau ergeben die
drei Grabungen, dass innerhalb von wenigen Jahrzehn-
ten am Südufer der Schlei die beeindruckende Fläche von
etwa 7.500 m² erschlossen und bebaut wurde, wobei deren
westliche und östliche Grenzen noch nicht erfasst sind. Wir
haben es im Schleswig des späten 11. Jh. also mit einem
regelrechten „Bauboom“ zu tun, dem es auf den Grund zu
gehen gilt.
Derzeit zeichnen sich bereits erste Ergebnisse ab. So blieb
bei der bisherigen Interpretation der Spundwandkonstruk-
tionen als Landebrücken, die das schwimmende Anlegen
von tiefgängigen Schiffen ermöglichen sollten, die Frage
des historischen Wasserstandes der Schlei weitgehend
unberücksichtigt. Dieser wird für die Wikingerzeit etwa
0,8 m unter dem heutigen Niveau angesetzt. ein Solcher
Pegelstand ermöglicht nach der derzeitigen Einschätzung
auch bei Berücksichtigung gewisser Toleranzen nur das
Anlegen von kleinen Wasserfahrzeugen mit geringem
Tiefgang. Ein Sachverhalt, der auch eine der gängigsten
Hypothesen für den Untergang Haithabus relativiert:
Aufgrund der Ver landung des Haddebyer Noors sei ein
neuer „Tiefwasserhafen“ nötig geworden, der dann vor
der Schleswiger Altstadtinsel angelegt wurde und damit
maßgeblich zur Gründung Schleswigs beitrug.
Ebenfalls zu hinterfragen ist, ob es sich bei den Spund-
wandkonstruktionen um hafentechnische Anlagen
handelte, die primär dem Laden und Löschen von Waren
dienten, oder ob auch andere Nutzungsmöglichkeiten
denkbar sind. In Betracht zu ziehen wäre eine Bauland-
gewinnung infolge des begrenzten Siedlungsplatzes der
Schleswiger Altstadtinsel, die im 11. Jh. weniger als die
Hälfte der Innenf läche des Halbkreiswalles von Haithabu
betrug. Gleichzeitig wäre mit der Befestigung der Ufer-
und Flachwasserzonen die Gefahr kleinerer saisonaler
Wasserspiegelschwankungen gebannt. Hinweise auf eine
Baulandgewinnung liefert ein 1098 angelegter Spund-
wandkasten aus der Grabung Hafengang, auf dessen was-
serseitigem Ende bereits zwei Jahre später ein Gebäude
errichtet und dessen Vorfeld in der Folgezeit mit allerlei
Abfällen aufgefüllt wird – eine für das Beladen längsseits
festgemachter Schiffe denkbar ungünstige Situation. Am
Ende der umfangreichen Befundanalyse steht der Ver-
gleich des Schleswiger Hafenquartiers mit anderen mittel-
alterlichen Hafenanlagen Nordeuropas, worunter vor
allem die jüngsten Forschungsergebnisse zum Hafen von
Haithabu und zum fränkischen Handelsemporium Dore-
stad hervorzuheben sind. Die wasserbezogenen Konstruk-
tionen beider Plätze erfuhren jüngst Neuinterpretationen.
Sie werden nicht mehr als rein hafentechnische Einrich-
tungen gedeutet, sondern als multifunktionelle Anlagen
verstanden, die auch als Marktplatz oder zur Baulandge-
winnung genutzt wurden. Vergleichbares scheint auch in
Schleswig der Fall gewesen zu sein.
Schleswig – Handwerk und Handel
in einer neugegründeten Stadt
Das derzeit bearbeitete Material stammt aus der Grabung
Hafengang 11 in der Schleswiger Altstadt (s. a. Beitrag
ANSH 2008, 72–74). Der Fundplatz bietet aufgrund des
hohen Grundwasserspiegels sehr gute Erhaltungsbedin-
gungen für organische Materialien wie Holz und Leder,
aber auch für Metalle wie Blei und Zinn, sodass hier Kon-
struktionshölzer und zahlreiche Funde des 11./12. Jh. ge-
borgen werden konnten. Der Großteil der vorgefundenen
Pfähle, Spaltbohlen und Balken konnte Spundwandkon-
struktionen, die in ihrem Auf bau denen der Altgrabun-
gen entsprechen und einem darauf errichteten Gebäude
zugeordnet werden. Die dendrochronologische Unter-
suchung der Hölzer ergab eine Datierung zwischen 1089
und 1100. Für eine Auswertung des Fundmaterials des
frühen Schleswigs sind die Verfüllungsschichten innerhalb
der Spundwände von besonderem Interesse, denn obwohl
es sich hierbei teilweise um umgelagertes Material handelt,
ist durch die überlagernde Bebauung mit dem Gebäude und
einer Plankenlage zu Beginn des 12. Jh. eine Datierung
dieser Funde in die Frühphase der Stadt wahrscheinlich.
Im Bereich vor den Spundwänden fanden in jüngerer Zeit
hingegen offenbar Erdeingriffe statt, die zu einer starken
Vermischung mit neuzeitlichem Material geführt haben.
Ferner ist die Verfüllung durch Dendrodaten vergleichs-
weise eng datiert, was in der restlichen Grabungsf läche
wegen weitgehend fehlender Befunde nicht gegeben ist.
Inwieweit außerhalb der Spundwände ungestörte Schichten
vorliegen, die eine Datierung des Fundmaterials über seine
Lage ermöglichen, ist zurzeit noch unklar, sodass sich die
Einordnung in diesem Bereich vor allem an Vergleichsfun-
den orientiert. Es zeichnet sich aufgrund des im Vergleich
zu der Verfüllschicht deutlich höheren Fundauf kommens in
diesem Bereich aber bereits ab, dass es sich hierbei anschei-
nend um eine Abfallzone handelt.
Digitalisierung von
Grabungsplänen. Rechte
Bildhälfte: Teil eines ge-
zeichneten Grabungs-
plans von 1974 mit
zusätzlichen Informati-
onen zu Tiefe, Unter-
kantenbeschaffenheit
und Neigung der Höl-
zer. Linke Bildhälfte:
bereits abgeschlossene
Digitalisierung
69 Archäologische NachrichteN 2012
Das vielfältige und nicht zuletzt wegen des konsequenten
Einsatzes von Metalldetektoren umfangreiche Fundmaterial
gewährt Einblicke in unterschiedliche Aspekte des frühen
Schleswigs. Die Übergangsphase von der Wikingerzeit hin
zum Hochmittelalter wird ebenso fassbar wie der (Fern-)
Handel und die lokale Produktion verschiedener Gewerke.
Die Übergangsphase im 11. und beginnenden 12. Jh. spie-
gelt sich im Material dieser Zeit deutlich wider. Es finden
sich sowohl Belege für Traditionen, die den Standortwech-
sel von Haithabu an das nördliche Schleiufer überdauerten,
als auch für Veränderungen. Glasperlen beispielsweise, die
in der Spätphase Haithabus noch sehr zahlreich auftreten,
sind in Schleswig kaum noch vorhanden. Stattdessen finden
sich hier vermehrt Glasfingerringe und Ringperlen, die sich
lediglich durch einen zum Tragen zu kleinen Durchmesser
von den Fingerringen unterscheiden. Zudem scheinen die
Schleswiger Glasobjekte, anders als jene aus Haithabu,
Zwischen wikingern und hanse
Holzbefunde der
Grabung Schleswig,
Hafengang 11.
Innerhalb der Schnitte
konnten drei Spund-
wände und ein Ge-
bäude erfasst werden
(rot hinterlegt).
Der Feuchtbodem bot
auch für Funde aus
Knochen und Geweih
sehr gute Erhaltungsbe-
dingungen, wie dieser
zweiseitige Kamm zeigt.
70 Archäologische NachrichteN 2012
Ein Blick von Westen
auf Schnitt 1 zeigt die
gute Erhaltung der Höl-
zer. Im Vordergrund be-
finden sich die Planken-
lage und dahinter ein
Teil des um 1100 er-
bauten Gebäudes. Es
wurde auf der Verfül-
lungsschicht der nur
etwa zwei Jahre zuvor
errichteten Spundwand
gebaut.
Einblick in das Fund-
spektrum der Blei- und
Zinnverarbeitung
Zwischen wikingern und hanse
71 Archäologische NachrichteN 2012
nicht vor Ort hergestellt worden zu sein, da bislang Belege
für deren Produktionen aus dem Stadtgebiet fehlen. Eine
Parallele stellen die im spätwikingerzeitlichen Urnesstil ge-
stalteten Objekte dar. So finden sich im Schleswiger Fund-
material unter anderem eine Urnesfibel und eine durch-
brochen gearbeitete Scheibenfibel mit einem nach hinten
blickendem Vierfüßer, die vermutlich aus der Region um
Ålborg am Limfjord (Dänemark) stammt.
Neben dieser Fibel gibt es noch weitere Stücke, die – bis
sie schließlich in Schleswig in den Erdboden gelangt
sind – eine weite Reise hinter sich gebracht haben. Dazu
zählen unter anderem zwei gotländische Hufeisenfibeln,
ein ostbaltisches Axtamulett und ein Stück grüner grie-
chischer Porphyr, ein in der Antike beliebtes Material für
Bodenbeläge, Wandverkleidungen und auch Säulen. Es
fand als Spolien im Mittelalter in diesen Funktionen auch
nördlich der Alpen Wiederverwendung. Weitaus häufi-
ger tritt er in dieser Zeit jedoch im sakralen Kontext als
Verschlussstein von Altargräbern oder Platte von Tragaltä-
ren auf. Ein derartiger Zusammenhang ist auch für dieses
Schleswiger Fragment sowie für die übrigen aus Schleswig
und Haithabu bekannten Funde denkbar. Unter welchen
Umständen diese Einzelstücke an die Schlei gelangt sind
– als Handelsware, persönlicher Besitz eines Reisenden aus
den Herkunfts regionen oder Mitbringsel eines Schleswi-
gers von einer Reise – kann nicht gesagt werden. Sicher in
den Zusammenhang mit regelhaftem Warenaustausch zu
stellen sind hingegen die zahlreich vorhandenen Scherben
von Keramikgefäßen der aus dem Rheinland stammen-
den Pingsdorfer und Paffrather Ware sowie der belgischen
Andenne Ware. Ebenfalls zu den Belegen für den Handel,
aber gleichzeitig auch für das lokale Handwerk sind die zur
Herstellung von Gussformen verwendeten Gesteine, deren
Herkunft in Moment noch unbekannt, allerdings sicher
nicht im näheren Umfeld Schleswigs zu finden ist.
Die Gussformen sind nur eine Komponente der überlie-
ferten Zeugnisse für die lokale Buntmetallverarbeitung,
deren Rohstoffe – Kupfer, Blei, Zinn und Messing – eben-
falls nur in weiter entfernten Regionen vorkommen. Eine
genauere Verortung der Herkunftsregionen kann mögli-
cherweise über die im Rahmen des Projektes geplanten
archäometallurgischen und petrologischen Untersuchungen
erreicht werden, die allerdings in Bezug auf die Metalle
durch anzunehmendes Recycling und damit Vermischung
der Metalle aus verschiedenen Minen erschwert oder sogar
verhindert werden könnten. Die vergleichsweise große
Menge an Blei, Zinn und Blei-Zinn-Objekten stellt eine
Seltenheit dar, da diese Materialien unter normalen Um-
ständen vergehen. Verantwortlich für die gute Erhaltung
ist der feuchte bis nasse und gleichzeitig sauerstoffarme
bzw. freie Boden auf dem Grabungsareal. Das Spektrum
dieser Fundgruppe reicht von Barren über Schmelzreste
und anderen Produktionsabfällen bis hin zu Fertigproduk-
ten, von denen jedoch leider keines zu den gefundenen
Gussformen passt. Bei den hergestellten Stücken handelt
es sich überwiegend um Schmuck in Form von Fibeln und
Fingerringen, die auch bei der ebenfalls vor Ort nachweis-
baren Verarbeitung von Kupfer und Messing häuf ig als
Endprodukt vorkommen. Anders als die Blei-Zinn-Ob-
jekte sind diese Schmuckstücke jedoch oft nicht gegossen,
sondern aus Blechen und Blechstreifen zusammengelötet.
Bleche dienten auch als Ausgangsmaterial für die zahl-
reichen, häufig mittels Punzierungen ornamentierten
Beschläge, die beispielsweise als Verzierungen auf Mes-
serscheiden oder anderen ledernen Objekten aufgebracht
worden sind, für deren Herstellung vor Ort sich ebenfalls
Hinweise finden. Ebenso ist Verarbeitung von Holz und
die Produktion von Nadel- und besonders Kämmen aus
Knochen, Geweih und Horn nachweisbar. Die Funde – ob
nun willentlich entsorgt oder zufällig verloren – zeichnen
insgesamt ein vielschichtiges Bild der frühen Stadt Schles-
wig, die in der Umbruchphase des 11./12. Jh. sowohl an
die Vorgängersiedlung Haithabu anknüpft aber auch neue,
eigene Wege geht.
Zwischen wikingern und hanse
LITERATUR
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