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Die Zukunft der Bildungsszenarien am tertiären Bildungssektor

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Abstract

Die Ausgestaltung der Bildungsangebote an österreichischen Hochschulen unterliegt engen Rahmenbedingungen: Die meist starren Curricula der Bachelor- und Masterstu-dien sowie die – vor allem an Universitäten – oft schlechten Betreuungsverhältnisse las-sen die individuelle Förderung einzelner Studierender in der Regel nicht zu. Die – nicht zuletzt von der Wirtschaft geforderte – Vermittlung von Fachwissen, das sich mit Be-rufsbildern deckt, steht im Vordergrund. Reflektiertes Denken und Handeln hingegen bekommen einen immer geringeren Stellenwert. Die Hochschulausbildung wird zuneh-mend verschult, Studierenden wird der Wissens- und Kompetenzerwerb weitgehend vorgegeben. Ein möglichst zeit- und ressourceneffizientes Studium ist die Folge, Studie-ren hat demnach mit dem Humboldt´schen Bildungsideal im Sinne einer ganzheitlichen akademischen Ausbildung nur noch wenig gemein.
18 OCG Journal | 03 2015
Interaktive und kollaborative Prozesse des Lernens
von Martin Ebner und Michael Kopp
Die Zukunft der Bildungs-
szenarien am tertiären
Bildungssektor
Die Ausgestaltung der Bildungsangebote
an österreichischen Hochschulen unter-
liegt engen Rahmenbedingungen: Die
meist starren Curricula der Bachelor- und
Masterstudien sowie die – vor allem an
Universitäten – oft schlechten Betreuungs-
verhältnisse lassen die individuelle Förde-
rung einzelner Studierender in der Regel
nicht zu. Die – nicht zuletzt von der Wirt-
schaft geforderte – Vermittlung von Fach-
wissen, das sich mit Berufsbildern deckt,
steht im Vordergrund. Reflektiertes Den-
ken und Handeln hingegen bekommen
einen immer geringeren Stellenwert. Die
Hochschulausbildung wird zunehmend
verschult, Studierenden wird der Wis-
sens- und Kompetenzerwerb weitgehend
vorgegeben. Ein möglichst zeit- und res-
sourceneffizientes Studium ist die Folge,
Studieren hat demnach mit dem Hum-
boldt´schen Bildungsideal im Sinne einer
ganzheitlichen akademischen Ausbildung
nur noch wenig gemein.
Dennoch: Österreichische Hochschulen
sind Garanten für exzellente Ausbildun-
gen. Die akademische Lehre unterliegt
hohen Qualitätsstandards und ein österrei-
chischer Hochschulabschluss ist demnach
ein Gütesiegel, das sowohl den Absolven-
tinnen und Absolventen als auch potenti-
ellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern
ein qualitativ hochwertiges Ausbildungsni-
veau bescheinigt.
STUDIERENDE IM MITTEL-
PUNKT
Um im internationalen Vergleich wettbe-
werbsfähig zu bleiben, ist es allerdings
notwendig, die Studierenden noch mehr
in den Mittelpunkt zu rücken. Zukünftige
Bildungsszenarien müssen daher die indi-
viduellen Bedürfnisse der Lernenden best-
möglich berücksichtigen. Nicht zuletzt,
weil sich die Bildungsangebote an eine
immer heterogenere Zielgruppe richten,
die junge Vollzeitstudierende ebenso um-
fasst wie berufstätige Teilzeitstudierende,
AbgängerInnen sowie Seniorinnen und
Senioren. Bildungsangebote von Hoch-
schulen werden – im Sinne des Life Long
Learning – zudem verstärkt auch von je-
nen nachgefragt werden, die kein ganzes
Studium absolvieren möchten, sondern
spezifische Angebote für ihr Berufsleben
oder aus Privatinteresse nutzen wollen.
Ein probates Mittel zur Unterstützung der
Lernendenzentrierung ist der didaktisch
motivierte Einsatz von Lehr-/Lerntechno-
logien. Denn wiewohl sich österreichische
Hochschulen weitestgehend als Präsenz-
hochschulen verstehen, erlauben gerade
Online-Angebote (in oder ohne Kombina-
tion mit der Präsenzlehre) eine Flexibilisie-
rung und die Selbststeuerung des Lernens
und Lehrens – was den Lernenden ebenso
zugute kommt wie den Lehrenden.
ADÄQUATE TECHNOLOGIEN
Die Bereitstellung und Nutzung von ad-
äquaten Technologien wird dabei immer
zentraler. Mit Hilfe von personalisierten
Lernumgebungen können sich Lernende
einfach jene Lerninhalte zusammenstel-
len, die für ihren persönlichen Wissenser-
werb relevant sind. Unter dem Schlagwort
„Learning Analytics“ werden Daten ge-
sammelt und ausgewertet, die Lernende
während ihrer Lernprozesse produzieren.
Unter Wahrung der Datenschutzbestim-
mungen ist die Analyse dieses Datenmate-
rials ein probates Mittel, um den Wissens-
erwerb und die Wissensvermittlung zu
optimieren. Einerseits, indem individuelle
Lernschwächen rückgemeldet werden,
andererseits, indem beispielsweise schwer
verständliche Passagen eines Skriptums lo-
kalisiert und adaptiert werden.
Die zunehmende Mobilität entwickelt sich
immer mehr zu einer zentralen Kompo-
nente bei der Gestaltung von Bildungss-
zenarien. Auf mobilen Endgeräten lassen
sich Bildungsinhalte mittlerweile gut abru-
fen und weil Lernende wie Lehrende beim
Wissens- und Kompetenzerwerb örtliche
und zeitliche Flexibilität immer mehr zu
schätzen lernen, müssen zukünftige Bil-
dungsszenarien diesen Bedarf befriedigen.
Lernen und Lehren beschränkt sich längst
nicht mehr auf einen Hörsaal oder einen
Seminarraum. Damit verbunden ist die He-
rausforderung, Lehr-/Lerninhalte technisch
so zu gestalten, dass sie in unterschied-
lichsten Situationen auf unterschiedlichs-
ten Ausgabegeräten bei einem Wechsel
derselben möglichst nahtlos konsumiert
werden können.
GESTIEGENE ERWARTUNGS-
HALTUNG
Die Verfügbarkeit von Lehr-/Lerntechno-
logien bedingt auch eine Adaptierung der
didaktischen Methoden und der Aufberei-
tung der Lehr-/Lerninhalte. Audiovisuelle
Medien spielen dabei eine immer ent-
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03 2015 | OCG Journal
Themenschwerpunkt: Ausbildung und Arbeit der Zukunft
scheidendere Rolle. Nicht zuletzt aufgrund
der großen Videoportale wie z.B. YouTube
steigt die Erwartungshaltung der Lernen-
den in Hinblick auf multimedial gestaltete
Inhalte. Das betrifft zum einen die techni-
sche Umsetzung, zum anderen aber auch
die didaktische Aufbereitung. Hier wird es
in Zukunft vor allem notwendig sein, die
ErstellerInnen von Lehr-/Lerninhalten für
damit verbundene (medien)didaktische
Methoden zu sensibilisieren.
Eine – derzeit intensiv diskutierte – Form
der audiovisuellen Inhaltsaufbereitung
sind Massive Open Online Courses
(MOOCs). Online-Kurse werden – un-
abhängig davon, ob sie nun „massive“
sind oder nicht – in Zukunft wesentlichen
Einfluss auf die Gestaltung von Bildungs-
szenarien haben. Sie erlauben eine we-
sentlich höhere zeitliche und räumliche
Flexibilität sowie gänzlich neue didakti-
sche Szenarien. Darüberhinaus können sie
die Präsenzlehre und die damit vor allem
bei Massen-Lehrveranstaltungen häufige
Raumnot entlasten, aber nicht ersetzen.
Zu guter Letzt wenden sich MOOC-Inhal-
te nicht nur an Studierende, sondern – im
Sinne des Life Long Learning – an alle an
dem jeweils aufbereiteten Wissensgebiet
Interessierte.
Dafür müssen allerdings noch einige Rah-
menbedingungen geklärt werden. Die
Produktion von multimedialen Online-Kur-
sen ist in der Regel aufwändig, die Finan-
zierung der Produktion ist oftmals ebenso
ungeklärt wie die Frage, ob Lehrende zur
Produktion verpflichtet werden können
und wie ihr Produktionsaufwand vergütet
wird. Als Teil eines Regelstudiums kom-
men MOOCs zudem nur dann in Betracht,
wenn sie curricular verankert sind und für
Studierende die Anrechenbarkeit gewähr-
leistet ist.
Gerade in Hinblick auf Online-Kurse wird
die Produktion (und damit die Verfügbar-
keit) von freien Bildungsressourcen immer
relevanter. Lehr-/Lernmaterialien, die unter
einer Creative-Commons-Lizenz stehen,
haben großes Potenzial, ohne Urheber-
rechtsbedenken wiederverwendet zu wer-
den. Sobald dieses Potenzial von Hoch-
schulen bzw. von Lehrenden erkannt wird,
werden freie Bildungsressourcen einen
wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung
von Bildungsszenarien haben.
LEHRENDE ALS COACHES
Der Einsatz von Lehr-/Lerntechnologien,
die Verfügbarkeit multimedialer Lehr-/
Lerninhalte inklusive der Verwendung
entsprechender (medien)didaktischer
Konzepte sowie die Verfügbarkeit freier
Bildungsressourcen werden die Bildungs-
szenarien an österreichischen Hochschu-
len in Zukunft entscheidend prägen. Die
Fokussierung auf die Lernenden unter Be-
rücksichtigung ihrer individuellen Bedürf-
nisse muss dabei im Vordergrund stehen.
Lehrende werden in diesen Bildungssze-
narien immer öfter in anderen Rollen (als
Coaches) agieren, die Lernenden dabei
helfen, sich Wissen und Kompetenzen
selbst anzueignen. Die reine Wissensver-
mittlung wird damit durch interaktive und
kollaborative Prozesse angereichert, die
für Lernende einen entsprechenden Kom-
petenzerwerb mit sich bringen, um sich –
im Sinne des lebenslangen Lernens – aktu-
ell benötigtes Wissen anzueignen.
PROGRAMMIERAKADEMIEN?
Zukünftige Bildungsszenarien an Hoch-
schulen zielen damit auf einen (nach wie
vor) möglichst ganzheitlichen Wissens-
und Kompetenzerwerb ab, auch wenn
dieser durch die Anforderungen der Wirt-
schaft und durch die eingangs geschilder-
ten Rahmenbedingungen entscheidend
mitgestaltet wird. Die reine Vermittlung
von Fachwissen in komprimierter Form ge-
gen Entgelt bleibt hier eine Randerschei-
nung. Paukerkurse wie zum Beispiel die
in den USA derzeit boomenden Program-
mierakademien werden auch weiterhin
von privaten Anbietern dominiert. Ein da-
mit verbundener Abschluss mag kurzfris-
tig die Jobaussichten erhöhen. Derartige
Bildungsangebote folgen aber nicht der
universitären Bildung. Als langfristige und
nachhaltige Bildungsszenarien erscheinen
sie daher in einer vernetzten, auf Kolla-
boration und kombinierten Wissens- und
Kompetenzerwerb ausgerichteten univer-
sitären Lehr-/Lernwelt ungeeignet.
Univ.-Doz. Dipl.-Ing.
Dr.techn. Martin Ebner
ist Abteilungsleiter der
Abteilung Vernetztes
Lernen am Zentralen
Informatikdienst der TU Graz und in
dieser Funktion verantwortlich für
sämtliche E-Learning-Belange der
Universität. Weiters ist er Senior-Resea-
cher am Institut für Informationssysteme
und Computer Medien zu den Themen
E-Learning, Mobile Learning, Social
Media, Open Educational Resources
und Educational Data Mining.
www.martinebner.at
Mag. Dr. Michael Kopp
ist Leiter der Akademie
für Neue Medien und
Wissenstransfer an der
Universität Graz. Er
verantwortet die Entwicklung von
Methoden, Strategien und Lösungen im
Bereich der Mediendidaktik und in
Hinblick auf den Einsatz von Bildungs-
technologien. Kopp ist in leitender
Funktion in mehreren (inter)nationalen
E-Learning-Kooperationen involviert
und verfügt über eine mehr als
15-jährige Erfahrung im Management
von E-Learning-Projekten. Kopp ist
zudem Generalsekretär des Vereins
„Forum neue Medien in der Lehre
Austria“.
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