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Die “Kulturgutschutz-Novelle” – Behinderung für die wissenschaftliche Paläontologie und paläontologische Sammlungen? / The new draft act to protect cultural property – Obstruction of scientific palaeontology and palaeontological collections?

Authors:
  • State Museum of Natural History Braunschweig
  • Georg-August-Universität Göttingen, Geowissenschaftliches Zentrum
  • Naturkundemuseum im Ottoneum Kassel
24 GMIT · NR. 62 · DEZEMBER 2015
GEOAKTIV – WIRTSCHAFT, BERUF, FORSCHUNG UND LEHRE
fluss an Sand in ihrer Umgebung importieren für
ihre gigantischen Betonbauwerke Sand aus Au-
stralien, weil der relativ gleichkörnige äolische
Sand zu ihren Füßen nicht für Beton geeignet
ist. Was kurios erscheint, ist inzwischen zu ei-
nem weltweit ernsthaften Problem geworden,
für die Wirtschaft ebenso wie für die Natur. Das
Recyceln von Sand aus Abbruchbeton ist zurzeit
noch Gegenstand der Forschung und könnte bei
Erreichung der Rentabilität vielleicht langfristig
zur Entlastung der Situation beitragen.
Neben der Bauindustrie sind jedoch noch viele
andere Wirtschaftszweige Bedarfsträger für
Sand. Die Palette der Interessenten reicht von
der Glasindustrie über die Wasser- und Abwas-
serbehandlung, die Verwendung als Abrasiv-
medium beim Sandstrahlen, als Formsand in
Gießereien über die Bauchemie und Pharmazie
bis zum Spiel- und Vogelsand. Sehr reine Quarz-
sande sind Ausgangsrohstoff für die Herstellung
von polykristallinem Siliziummetall sowie Sili-
ziumeinkristallen und bilden damit eine wesent-
liche Basis der Mikroelektronik und der Solar-
technik. Alles in allem ist Sand ein hochinteres-
santes, vielseitig verwendbares und wertvolles
Lockergestein, das viel zu schade ist, um es un-
zweckmäßig zu verwenden oder gar „durch die
Finger rieseln“ zu lassen.
Werner Pälchen (Halsbrücke), für das Kuratori-
um „Gestein des Jahres“
Die „Kulturgutschutz-Novelle“ – Behinderung für wissenschaft-
liche Paläontologie und paläontologische Sammlungen?
Seit Monaten ist die Novellierung des Kulturgut-
schutz-Gesetzes der Bundesregierung in den
Medien präsent und wird, vor allem seitens der
Kunstszene, kontrovers diskutiert. Am 14.9.2015
legte Kulturstaatsministerin Monika Grütters ei-
nen, im Vergleich zur ersten Version, veränder-
ten und entschärften (und nun auch autorisier-
ten und öffentlich zugänglichen) „Entwurf eines
Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgut-
schutzrechts“ vor. Einige werden sich nun fra-
gen: „Und, was hat das mit uns zu tun...?„. So
zeigt der mehr als 140 Seiten lange Entwurf inkl.
Begründung keinerlei Begrifflichkeiten wie Fos-
silien, Gesteine, Minerale oder Meteorite. Auf
die Paläontologie resp. „paläontologisches Kul-
turgut„ wird darin jedoch mehrfach dezidiert
verwiesen (bspw. in § 2, Abs. 1 nebst Erläute-
rungen). Zudem erfasst die Neuregelung alle
„beweglichen Sachen oder Sachgesamtheiten
von wissenschaftlichem Wert“ (§ 2, Abs. 1, Nr.
9), so dass die Novellierung alle naturwissen-
schaftlichen Sammlungen und Objekte betrifft.
Mit der gesetzlichen Neuregelung des Kultur-
gutschutzes wird die im letzten Jahr veröffent-
lichte EU-Richtlinie (2014/60) zur Kulturgüter-
Rückgabe, der alle EU-Mitgliedsstaaten ver-
pflichtet sind, in nationales Recht umgesetzt.
Die Bundesregierung nimmt dies zum Anlass,
die gesetzlichen Regelungen zum Kulturgut-
schutz grundlegend zu überarbeiten, zu erwei-
tern sowie frühere Regelungen außer Kraft zu
setzen.
Der mit dem Gesetz angestrebte verbesserte
Schutz von Kulturgut nebst Maßnahmen gegen
illegalen Handel sowie die Regelungen zum Ab-
wanderungsschutz sind grundsätzlich sehr zu
begrüßen. Auch die mit § 6, Abs. 1, Nr. 2 zu voll-
ziehende Unterschutzstellung aller in öffentli-
chen Sammlungen befindlichen Kulturgüter
muss als klares Bekenntnis der Politik hinsicht-
lich Bedeutung und Wert unserer musealen und
forschungsbezogenen Sammlungen gewertet
werden. Eine Anwendung der Neuregelung auf
naturwissenschaftliches Sammlungsgut ist je-
doch hochproblematisch. Die auf den ersten
Blick sinnvolle und bspw. bei drohender Abwan-
derung oder Diebstahl hilfreiche Regelung der
Umwandlung öffentlichen Sammlungseigen-
tums in „nationales Kulturgut“ führt in der Pra-
xis jedoch zu einer inflationären Verwendung
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dieses Begriffs, da bei Umsetzung des Kultur-
gutschutz-Gesetzes in der derzeitigen Fassung
mehr als 50 Mio. paläontologische Objekte jegli-
cher Güte in deutschen Sammlungen betroffen
wären und somit ad-hoc „nationales Kulturgut“
wären. Entsprechende Implikationen wären für
uns nicht auszuschließen, da ungenaue Formu-
lierungen im Gesetzestext resp. in den Erläute-
rungen, zu Unsicherheiten beitragen. So bei-
spielsweise hinsichtlich des § 18, Abs. 1 („Beschä-
digungsverbot“), wo im Text von „national wert-
vollem Kulturgut“, in den Erläuterungen aber
nur von „nationalem Kulturgut“ gesprochen
wird. Unabhängig davon, dass es sich bei erdge-
schichtlichem Probenmaterial primär um „Natur-
gut“ handelt, welches erst durch menschliche
Einwirkung (Aufsammlung, Präparation, Bestim-
mung, Beschreibung etc.) zu „Kulturgut“ wird
bzw. auch „nationales Kulturgut“ (wissenschaft-
liche und/oder wissenschaftshistorische Bedeu-
tung) werden kann, ist ein pauschaler Transfer
aller Objekte in deutschen öffentlichen Samm-
lungen (unabhängig von ihrer wissenschaftli-
chen bzw. kulturellen Bedeutung) in „nationales
Kulturgut“ problematisch. Die historisch ge-
wachsene und auch sinnvolle Praxis in Univer-
sitäten, naturhistorischen Museen und For-
schungsinstitutionen zeigt beispielsweise, dass
invasives Arbeiten mit Proben- und Sammlungs-
material alltäglich und unumgänglich ist, sei es
bei Präparationsarbeiten oder wissenschaftli-
chen Beprobungen jeglicher Art oder aber auch
durch Aussonderung (und De-Inventarisierung)
zerstörter bzw. unbrauchbar gewordener Stücke
(Pyrit- oder Knochenzerfall). Hier zeigt sich, dass
der BKM („Der Beauftragte der Bundesregie-
rung für Kultur und Medien“) unterschiedliche
Sammlungspraxis, -kultur und -ethik in natur-
wissenschaftlichen Sammlungen im Vergleich zu
Kunst- und Kulturgeschichte sowie Archäologie
und Ethnologie nicht ausreichend bedacht bzw.
berücksichtigt hat. Auch der bei geo- und bio-
wissenschaftlichen Sammlungen oft übliche in-
ternationale/nationale Tausch bzw. die Abgabe
von Dublettenmaterial wurde in o. g. Gesetzes-
entwurf bisher nicht genügend berücksichtigt.
Besonders gravierend sind die sich aus den
§§ 22 und 23 ergebenden Änderungen im inter-
nationalen Leihverkehr, wobei für jegliches „na-
tionales Kulturgut“ die vorübergehende (d. h. 2
Jahre) oder dauerhafte Ausfuhr genehmigungs-
pflichtig ist. Auch wenn bspw. Forschungs-
museen und -institutionen für max. 5 Jahre eine
sogenannte „allgemeine offene Genehmigung“
25) zur pauschalen vorübergehenden Aus-
fuhr erhalten können, kann diese aufgrund von
„Unzuverlässigkeiten“ der Institution (bspw.
durch nicht fristgerechte Rückgabe seitens säu-
miger Leihnehmer) widerrufen werden. Überse-
hen wurde hier, dass die Leihvorgänge pro Jahr
mit paläontologischem oder anderem natur-
kundlichem Material in der Anzahl nicht uner-
heblich sind und fast ausschließlich zu For-
schungszwecken durchgeführt werden. Damit
würden zukünftige Forschungstätigkeiten allge-
mein mit überbordendem bürokratischen Mehr-
aufwand, sowohl für die Institutionen als auch
für die zuständigen Behörden, belastet. Daran
anschließend könnte mit vorliegendem Kultur-
gutschutz-Gesetz auch die für viele Paläontolo-
gen/Paläontologinnen unerlässliche wissen-
schaftliche Arbeit im Ausland zukünftig proble-
matisch werden. So regelt § 30 die Einfuhr von
„Kulturgütern“ nach Deutschland, ohne Be-
schränkung auf „nationales Kulturgut“, womit
künftig eventuell jedes Fossil und jede Gesteins-
oder mikropaläontologische Probe betroffen
wäre, für welche bei Einreise nach Deutschland
Ausfuhrgenehmigungen der Herkunftsstaaten
vorgelegt werden müssten. Praktisch gesehen
werden wir zwar weiterhin Fossilien im Ausland
aufsammeln dürfen, können diese möglicher-
weise nicht nach Deutschland einführen, da in
den wenigsten Ländern Behörden existieren, die
eine Ausfuhr geowissenschaftlichen Proben-
materials zertifizieren würden bzw. viele Länder
mit liberaler Gesetzgebung für solche auch kei-
ne Ausfuhrgenehmigung verlangen. Bliebe der
Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form erhal-
ten, würden wohl jeglicher Import und das Sam-
meln durch Universitäten, Museen und andere
Forschungsinstitutionen, wie auch von Hobby-
und Privatsammlern (inkl. Tausch und Handel),
erschwert bis nahezu unmöglich. Zukünftige
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(unproblematische) Forschungs- und Sammel-
möglichkeiten würden sich somit eventuell wei-
testgehend auf Deutschland beschränken. Be-
grüßenswert ist die Ausweitung der Sorgfalts-
und Aufzeichnungspflichten (§§ 41 ff.), insbe-
sondere für Fossilien aus dem Handel, um letz-
teren mit unrechtmäßig ausgeführtem Material
oder Stücken aus Raubgrabungen zu unterbin-
den. Sollten jedoch tatsächlich, neben der neu
einzuführenden 75-jährigen Verjährungsfrist für
öffentliche Sammlungen, rückwirkende Legali-
tätsnachweise (für Fossilankäufe oder -schen-
kungen) eingefordert werden, kann sich dies
ebenfalls bei vielen Institutionen und Museen
problematisch auswirken, egal ob entsprechen-
de Legalitäts- oder Ausfuhrnachweise fehlen
oder diese kriegsbedingt vernichtet wurden.
Da laut Eingangs-Begriffsbestimmung auch alle
sonstigen geo- und biowissenschaftlichen Ob-
jekte unter diese gesetzliche Regelung fallen,
verwundert es umso mehr, dass Vertreter be-
troffener Forschungsinstitutionen und -museen
seitens des Bundeskanzleramtes anscheinend
bisher nicht in die Novellierung aktiv eingebun-
den wurden. Eine öffentliche mündliche Anhö-
rung von Fachkreisen und Verbänden fand be-
reits, wohl ohne Beteiligung naturwissenschaft-
licher Fachvertreter, am 22. April 2015 statt. Hin-
sichtlich der Bedenken seitens der Paläonto-
logie wurde erst Anfang Oktober 2015 zu einem
Gespräch (zusammen mit Vertretern von Samm-
lern und Händlern) in das Berliner Bundeskanz-
leramt geladen, an dem auch ein Vertreter der
Paläontologischen Gesellschaft teilnahm. Zu
diesem Treffen wurde jedoch sehr kurzfristig ge-
laden und mit dem gewählten Termin (8.10.
2015) ein Zeitpunkt festgelegt, der nach Ablauf
der Frist für Stellungnahmen zum Gesetzesent-
wurf (15.9.-7.10.2015) lag.
Es ist derzeit nicht abzusehen, inwieweit unsere
zukünftige paläontologische Forschungs- und
Sammlungsarbeit durch die geplante Gesetzes-
novellierung beeinträchtigt bzw. massiv behin-
dert wird. Ohne Zweifel wird mit einem erhebli-
chen Verwaltungs-Mehraufwand (in personell
ohnehin oft unterfinanzierten Institutionen) zu
rechnen sein. Internationale Kooperationen le-
ben von einem unkomplizierten Austausch von
Daten und Material, die mit der Umsetzung des
jetzigen Entwurfs stark eingeschränkt werden
würden. Wir glauben, dass der vorliegende Ge-
setzestext primär für kunst- und kulturhistori-
sche sowie archäologische Objekte und Samm-
lungen konzipiert wurde, die Implikationen für
naturwissenschaftliche Sammlungen und For-
schung jedoch nicht ausreichend bedacht wurde.
Insgesamt bleibt zu hoffen, dass der derzeitige
„Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
Kulturgutschutzrechts“ nochmals überarbeitet
wird, um unsere paläontologische Forschungs-,
Sammlungs- und Öffentlichkeitsarbeit zukünftig
nicht einzuschränken bzw. die bisher geleistete
Arbeit nicht zunichte zu machen.
Mike Reich (München), Alexander Gehler (Göt-
tingen), Michael Krings (München),
Cornelia Kurz (Kassel), Alexander Nützel (Mün-
chen), Gertrud Rößner (München),
Oliver Rauhut (München), Tanja R. Stegemann
(Göttingen), Gert Wörheide (München)
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