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In vielen Staaten gibt es seit langem unabhängige staatliche Stellen, bei denen sich
Menschen beschweren können, die mit der Arbeit der Polizei unzufrieden sind.1 Seit
Jahrzehnten gibt es Forderungen und Diskussionen, auch in Deutschland solche unab-
hängigen Polizei-Beschwerdestellen einzurichten (z.B. Mahr 1992). Anlass solcher Dis-
kussionen sind zumeist in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Fälle, in denen Men-
schen durch Polizeieinsätze verletzt oder gar getötet wurden – so z.B. eine Reihe von
Fällen, die von Amnesty International dokumentiert wurden (Amnesty International
2010). Diese Diskussionen stehen im Kontext der Frage, wie die Polizei als Institution
des staatlichen Gewaltmonopols in demokratischen politischen Systemen effektiv
kontrolliert werden kann.2
In den letzten Jahren hat das Thema eine neue Dynamik erlangt. Einige Bundeslän-
der haben Beschwerdestellen eingerichtet, die in die Polizei- oder Innenverwaltung
integriert sind. Andere planen von der Polizei und den Innenministerien unabhängige
Beschwerdestellen. Dieser Beitrag geht den Fragen nach, welche Faktoren den Erfolg
oder Misserfolg solcher Stellen beeinflussen und unter welchen Voraussetzungen die-
se zu einer Verbesserung der polizeilichen Fehlerkultur in Deutschland beitragen
können.
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Die meisten deutschen Polizeibehörden haben standardisierte, mehr oder minder pro-
fessionalisierte Verfahren für den Umgang mit Beschwerden von außen und innen.
Diese sind aber bisher behördenintern angesiedelt, in der Regel sogar innerhalb der
Polizei, so dass sich Menschen an die Polizei selbst wenden müssen, wenn sie eine Be -
schwerde einreichen möchten.3 Für manche Beschwerden mag dies gut funktionieren.
Problematisch wird diese Organisationsform aber, wenn Menschen sich beschweren
möchten, die wenig Vertrauen in die Polizei haben oder wenn gravierende Vorwürfe
im Raum stehen, die auf unprofessionelles oder gar rechtswidriges Verhalten hindeu-
ten. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass Beschwerden gar nicht erhoben wer-
den bzw. nicht zu ernsthaften Aufklärungsbemühungen führen, wenn die Beschwer-
destelle bei der Polizei selbst angesiedelt ist. Hier haben externe Beschwerdestellen
klare Vorteile, weil die Zugangshürden niedriger und neutrale Ermittlungen wahr-
scheinlicher sind. Allerdings brauchen auch externe Beschwerdestellen eine institu-
tionalisierte Verbindung zu der jeweiligen Polizeibehörde, da die Aufklärung von
Sachverhalten und das Lernen aus Fehlern für zukünftige Einsätze eine enge Koopera-
tion erfordern.
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In einigen Bundesländern gibt es bereits seit längerem ein zentrales Beschwerdema-
nagement der Polizei, so in Berlin (vgl. Hoffmann-Holland u.a. 2008). In Sachsen-An-
halt und Hessen wurden in den letzten Jahren neue behördeninterne Polizeibeschwer-
destellen geschaffen.
In Sachsen-Anhalt gaben mehrere Vorfälle Anlass für Zweifel an der Professionali-
tät polizeilichen Handelns. Dies führte zu einer Neuorganisation des internen Be-
schwerdemanagements. Betroffene können sich dort entweder an eine zentrale Be-
schwerdestelle oder an dezentrale Beschwerdestellen wenden, u.a. bei den Polizeidi-
rektionen.4 Besonders der auch überregional viel diskutierte Fall des aus Sierra Leone
stammenden Oury Jalloh war Anlass zur Schaffung der zentralen Beschwerdestelle im
Innenministerium des Landes. Jalloh war im Januar 2005 unter bis heute teilweise un-
geklärten Umständen in einer Gewahrsamszelle im Keller einer Polizeiwache in
Dessau verbrannt.5
In Hessen waren öffentliche Diskussionen sowohl über Mobbing innerhalb der Poli-
zei als auch über Fälle von unverhältnismäßiger Behandlung Außenstehender Anlass
für Forderungen nach einer Beschwerdestelle. Eingerichtet wurde im Jahr 2010 aber
nur die Position eines Ansprechpartners im Innenministeriums, welcher ausschließ-
lich für Beschwerden und Probleme der Polizeibediensteten selbst zuständig ist. Ein
wesentlich weitergehender Entwurf der damaligen Oppositionsparteien fand im Land-
tag keine Mehrheit.6
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Mit Beschwerdestellen, die außerhalb der Polizei angesiedelt sind, gibt es bislang in
Deutschland nur wenig Erfahrung. Im Jahr 1998 wurde in Hamburg eine unabhängige
Polizeikommission eingesetzt, die organisatorisch an die Innenverwaltung angebun-
den war. Die Kommission bestand aus drei ehrenamtlichen Mitgliedern und einem
kleinen hauptamtlichen Arbeitsstab. Diese Institution war eine der Reaktionen auf
gravierende Fälle von Fehlverhalten in der Hamburger Polizei, die von einem parla-
mentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet wurden.7 Nach nur wenigen
Jahren wurde die Hamburger Polizeikommission wieder aufgelöst. Dies lag keinesfalls
daran, dass die Kommission ihre Aufgaben schlecht erfüllt hätte (zusammenfassend
zur Tätigkeit: Lehne 2004). Vielmehr wurde das politisch sehr umstrittene Projekt
wieder abgeschafft, als nach einem Regierungswechsel die rechtspopulistische „Partei
Rechtsstaatliche Offensive“ mit fast 20 Prozent der Stimmen in die Hamburgische
Bürgerschaft gewählt wurde und sogleich in eine Regierungskoalition eintrat. Ihr
Protagonist Ronald Schill wurde Innensenator, wenige Monate nach seinem Amtsan-
tritt wurde die Polizeikommission aufgelöst. Dieses Beispiel zeigt, dass eine große
politische Herausforderung darin besteht, unabhängige Polizei-Beschwerdestellen so
zu konzipieren und institutionell zu verankern, dass sie nicht durch einen Regie-
rungswechsel kurzfristig wieder in Frage gestellt werden können.
Nach Veröffentlichung des Amnesty-Berichts (Amnesty International 2010), der die
Einrichtung unabhängiger Mechanismen für die Aufarbeitung von Beschwerden über
Polizeiverhalten zu einer seiner Hauptforderungen machte, erhielt die Diskussion
eine neue Dynamik. Mehrere rot-grüne Landesregierungen vereinbarten die Schaf-
fung neuer Institutionen zu diesem Zweck. Die Fraktionen von Grünen und SPD in
Rheinland-Pfalz legten 2013 einen Gesetzentwurf vor, der spezielle Zuständigkeiten
des Bürgerbeauftragten für den Polizeibereich definiert.8 In Schleswig-Holstein wird
ebenfalls ein Gesetzentwurf vorbereitet. Weitere Entwürfe kamen von den Oppositi-
onsfraktionen in Sachsen, die allerdings keine Mehrheit im Landtag fanden.9 Auch der
Koalitionsvertrag zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Niedersachsen für
die Legislaturperiode 2013 bis 2018 sieht die Einrichtung einer unabhängigen Polizei-
Beschwerdestelle vor.
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Für die konzeptionelle Ausgestaltung unabhängiger Polizei-Beschwerdestellen gibt es
vielfältige Varianten. Als Grundtypen lassen sich Kommissions- und Beauftragtenmo-
delle (Ombudspersonen) identifizieren. Auch Mischformen kommen vor.
Beschwerdekommissionen bestehen aus zumeist ehrenamtlich tätigen Bürgerin-
nen und Bürgern, die entweder selbst Beschwerden nachgehen oder dies mit Unter-
stützung eines professionellen Arbeitsstabs tun. Dieses Modell ist u.a. in den USA ver -
breitet, wo in den letzten Jahrzehnten mehr als 100 unabhängige Polizei-Beschwerde-
stellen entstanden sind.10 In der konkreten Ausgestaltung gibt es vielfältige Varian-
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ten, u.a. bei der Anbindung an Parlamente oder Regierungen, die Zusammensetzung
der Kommissionen und der Auswahl der Mitglieder.
Den zweiten Grundtypus bilden Ombudspersonen oder Beauftragte. Sie sind zu-
meist hauptamtlich tätig. Variationen gibt es hinsichtlich ihrer politisch-institutio-
nellen Anbindung (Parlament oder Regierung), ihrer Kompetenzen und ihrer Perso-
nalausstattung.11
In Deutschland gibt es umfangreiche Erfahrungen mit dem Beauftragtenmodell,
u.a. für den Datenschutz und für die Bundeswehr (vgl. Kruse 2007). Die Beauftragten
sind zumeist bei Parlamenten angesiedelt und genießen daher einen relativ hohen
Grad an Unabhängigkeit. Aufgrund dieser Erfahrungen liegt es nahe, auch für Be-
schwerden über die Polizei in Deutschland auf ein Beauftragtenmodell zurückzugrei-
fen. Dies gilt umso mehr, wenn es bereits Bürger_innenbeauftragte gibt, denen diese
Aufgabe zusätzlich übertragen werden kann – so mit unterschiedlichen Ausgangsvor-
aussetzungen in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Dieser Weg ist jedoch nicht
zwingend, auch Kommissionen oder andere Modellvarianten wären in Deutschland
weiterhin denkbar.
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Die Diskussionen der letzten Jahre über Polizei-Beschwerdestellen in Deutschland
weisen auch bezüglich der Zielrichtung und Zuständigkeiten solcher Institutionen
eine erhebliche Bandbreite auf.
Der Amnesty-Bericht stellte die Schaffung unabhängiger Untersuchungsmechanis-
men für Vorkommnisse, bei denen Außenstehende durch Einwirkungen von Polizei-
bediensteten zu Schaden gekommen sind, in den Mittelpunkt seiner Empfehlung.12
Andere Ansätze betonen den Mediationsansatz, so der Gesetzentwurf in Rheinland-
Pfalz.13 Nach Vorfällen, bei denen sich Bürger_innen von der Polizei unangemessen
behandelt fühlen, soll die unabhängige Stelle versuchen, den Sachverhalt im Rahmen
einer Mediation so zu klären, dass am Ende möglichst alle Beteiligten den Konflikt als
bewältigt ansehen. Dieser Ansatz könnte sogar so weit gehen, dass er bei einer erfolg-
reichen Mediation eventuelle Straf- und Disziplinarverfahren gegen die beteiligten
Polizeibediensteten ersetzt (s. den Beitrag von Behrendes in diesem Heft).
Eine weitere mögliche Zielrichtung ist die Etablierung einer professionellen Be-
schwerdebearbeitung als Element einer Fehlerkultur für die Polizei. Diese Zielrich-
tung nimmt nicht nur die Aufarbeitung und Konfliktbewältigung im Einzelfall in den
Blick, sondern auch strategische Folgerungen aus Vorkommnissen, die Anlass für Be-
schwerden waren. Eine Organisation, die über eine professionelle Fehlerkultur ver-
fügt, begreift jeden Fall von Unzufriedenheit als Chance für die Entwicklung von Maß-
nahmen, die dazu führen, dass sich vergleichbare Konstellationen nicht wiederholen.
Für die Polizei könnten die im Rahmen einer verbesserten Fehlerkultur zu ergreifen-
den Maßnahmen von veränderten Einsatztaktiken über eine bessere Vorbereitung der
Bediensteten auf bestimmte schwierige Situationen bis hin zu einer verbesserten
Kommunikation und Begründung von Maßnahmen reichen (vgl. Aden 2014, S. 3-5).
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Erhebliche Unterschiede zwischen den Modellen von Polizei-Beschwerdestellen liegen
in dem Grad der Professionalisierung. Die Streubreite reicht von ehrenamtlich tätigen
Kommissionen mit keiner oder nur geringer Unterstützung durch bezahlte Mitarbei-
ter_innen bis zu hoch professionalisierten Organisationen mit einer großen Zahl
hauptamtlicher Fallermittler_innen. Der Vergleich verschiedener vorhandenen Poli-
zei-Beschwerdeinstitutionen zeigt, dass die Unterstützung durch hauptamtliche Er-
mittler_innen ein entscheidender Faktor für Erfolg oder Misserfolg solcher Institutio -
nen ist. Umgekehrt betrachtet, führt allerdings eine gute Ausstattung mit hauptamtli-
chem Personal nicht notwendig zu einem effektiven Umgang mit Beschwerden, wenn
andere Rahmenbedingungen ungünstig sind.14
Bei der Neueinrichtung einer Beschwerdestelle besteht eine Schwierigkeit darin,
dass sich vorab nicht genau einschätzen lässt, wie viele Fälle zu bearbeiten sein wer-
den und wie viele hauptamtliche Mitarbeiter_innen hierfür benötigt werden. Unter
diesem Aspekt ist es günstig, die Aufgabe in eine bereits bestehende Institution zu in-
tegrieren, damit das hauptamtliche Personal bei Bedarf flexibel auch für andere Auf-
gaben eingesetzt werden kann bzw. die Polizei-Beschwerdestelle nötigenfalls Unter-
stützung aus anderen Arbeitsbereichen erhalten kann. Dies ist ein Vorteil der in
Rheinland-Pfalz geplanten Integration in die Dienststelle des „Bürgerbeauftragten“.
Auch eine Integration in die Dienststellen anderer Beauftragter, z.B. Datenschutzbe-
auftragter, könnte zu sinnvollen Synergien führen.
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Auch bezüglich der Zuständigkeiten und der Zugangsoffenheit variieren die existie-
renden und die aktuell in Deutschland diskutierten Beschwerdestellen-Modelle. Die
meisten Beschwerdestellen in anderen Ländern sind nur für Beschwerden Außenste-
hender zuständig. Dagegen werden in Deutschland Modelle diskutiert, bei denen auch
Polizeibedienstete an die Beschwerdestelle herantreten können. Im Hinblick auf Be-
sonderheiten der Cop Culture, in der Solidarität eine sehr große Rolle spielt und Kritik
an Kolleg_innen daher oftmals verpönt ist (Behr 2000 und 2008, 195 ff.), erscheint eine
Beschwerdemöglichkeit außerhalb der Behördenhierarchie auch für Polizeibedienste-
te selbst sinnvoll.
Die Zugangsoffenheit und niedrige faktische Zugangshürden sind wichtige Erfolgs-
voraussetzungen für Polizei-Beschwerdestellen.15 Eng konzipierte Beschwerdestellen
öffnen die Beschwerdemöglichkeit nur für Menschen, die sich selbst durch ein Poli-
zeihandeln in ihren Rechten verletzt fühlen.16 Eine so enge Fassung des Zugangs be-
deutet aber, dass viele Konstellationen ausgeklammert werden, die für ein Lernen aus
Fehlern interessant wären, z.B. Beschwerden über unangemessenes oder unfreundli-
ches Verhalten von Polizeibediensteten. Die meisten US-amerikanischen Polizei-Be-
schwerdestellen sind auch für Fälle zuständig, in denen sich Außenstehende nach ei-
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ner verbalen Auseinandersetzung unangemessen behandelt fühlen (offensive langua-
ge).17 Gerade diese Fälle eignen sich gut für eine Streitbeilegung durch Mediation.
Wenn sich bestimmte Beschwerden häufen, können sie aber auch Anlass zu veränder -
ten Einsatzregeln geben, z.B. durch das Training freundlicher Kommunikation oder
eine bessere Erläuterung der Notwendigkeit von Eingriffsmaßnahmen wie z.B. Identi-
tätsfeststellungen.
Auch eine Öffnung für Beschwerden Dritter, die ein polizeiliches Verhalten beob -
achten, das sie als Fehlverhalten einstufen, kann interessante Fälle zutage bringen,
die anders möglicherweise nicht zur Kenntnis einer Beschwerdestellen gelangen wür-
den, z.B. weil sich die Betroffenen nicht trauen, sich über die Polizei zu beschweren.
Solche Fälle können aber für die Entwicklung einer Fehlerkultur relevant sein.
Auch ein Selbstbefassungsrecht der Beschwerdestelle ist ein entscheidender Faktor
für die Intensität, mit der eine solche Stelle zu Veränderungen in der Fehlerkultur für
den Polizeibereich beitragen kann. Wenn die Beschwerdestelle die Möglichkeit hat,
von sich aus Themen aufzugreifen, die sie selbst wahrnimmt – z.B. durch Medienbe-
richterstattung oder eigene Beobachtung – hat sie wesentlich mehr gestalterische
Spielräume als wenn sie sich nur mit Fällen befassen darf, die von außen an sie heran-
getragen werden.18
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Die vielleicht schwierigsten Fragen bei der Einrichtung von Polizei-Beschwerdestellen
betreffen das Verhältnis zu Straf- und Disziplinarverfahren. Sobald ein Anfangsver-
dacht dafür vorliegt, dass das beschwerdeauslösende Verhalten eine dienst- oder
strafrechtlich relevante Verfehlung darstellt, kommt es zu parallelen Verfahren.
Manche Beschwerdestellen haben ihre Arbeit während der parallel laufenden
Straf- und Disziplinarverfahren einzustellen und können erst nach deren Abschluss
wieder tätig werden. Diese restriktive Linie ist aber für eine effektive Arbeit der Be-
schwerdestelle hinderlich, da die gravierendsten Fälle so faktisch aus der Zuständig -
keit herausfallen. Zudem ist die strafrechtliche Aufklärung von polizeilichem Fehlver-
halten wenig effektiv (vgl. Singelnstein 2003 und 2007). Nach Abschluss der manchmal
langwierigen Straf- und Disziplinarverfahren wird eine Aufklärung des Sachverhalts
kaum noch vollständig möglich sein – schon allein weil Zeug_innen, die noch nicht in
den anderen Verfahren ausgesagt haben, sich nach langer Zeit kaum noch an Einzel-
heiten werden erinnern können.
Andere Vorschläge laufen darauf hinaus, das Straf- und Disziplinarverfahren ganz
oder teilweise durch die Aufarbeitung durch die Beschwerdestelle zu ersetzen. Bei we-
niger gravierenden Fällen, die sich für eine Mediation eignen, mag dies möglich sein
(vgl. hierzu den Beitrag von Behrendes in diesem Heft). Für gravierende Fälle wäre
eine direkte Einbindung der Beschwerdestelle in die parallel laufenden Straf- und Dis-
ziplinarverfahren möglicherweise kontraproduktiv. Denn statt der Verbesserung poli-
zeilicher Praxis stünde so die individuelle Sanktionierung im Mittelpunkt des Be-
schwerdeverfahrens. Dies würde wohl zwangsläufig dazu führen, dass eine solche
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Stelle von den Polizeibeamt_innen als Bedrohung empfunden würde. Das so entste-
hende Misstrauen könnte die Arbeit der Beschwerdestelle erheblich erschweren.
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Die Untersuchungsbefugnisse sind ein weiterer Faktor, der maßgeblich über Erfolg
oder Misserfolg von Polizei-Beschwerdestellen entscheidet. Zu den Befugnissen, die
Polizei-Beschwerdestellen haben sollten, zählen insbesondere das Betreten der
Dienststellen, das Recht auf Einsicht in alle Unterlagen (Papier und elektronisch) und
das Recht, Zeug_innen verbindlich vorzuladen. Hierfür ist eine angemessene Perso-
nalausstattung erforderlich.19
Wegen der denkbaren Auswirkungen von Aussagen auf parallel laufende Straf- und
Disziplinarverfahren muss den Betroffenen auch im Ermittlungsverfahren von Poli-
zei-Beschwerdestellen ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt werden, ebenso
anderen Personen, denen nach der Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungs-
recht zusteht, z.B. nahen Angehörigen oder Anwält_innen. In diesen Fällen muss die
Aufklärung des Sachverhalts auf andere Informationsquellen gestützt werden.
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Erfahrungen mit Polizeibeschwerdestellen zeigen weltweit, dass gerade Institutionen
des staatlichen Gewaltmonopols sich mit Beschwerden von außen schwer tun (vgl.
Walker 2001; Goldsmith/Lewis 2000). Die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestel-
len ist nicht nur für Menschen relevant, die sich von der Polizei unangemessen be-
handelt fühlen. Sie ist auch wichtig, damit Institutionen des staatlichen Gewaltmono-
pols eine Fehlerkultur entwickeln können, um Fehler und Fehlverhalten durch ver-
besserte Konzepte zukünftig möglichst zu vermeiden.
Eine Reihe von Spannungsverhältnissen macht die Einrichtung effektiver Polizei-
Beschwerdestellen zu einem politisch umstrittenen und damit schwierigen Unterfan-
gen, insbesondere in Deutschland. Demokratische Rechtsstaaten verfügen zwar über
zahlreiche Institutionen, die ein Monitoring der Institutionen des Gewaltmonopols je-
denfalls punktuell leisten können: insbesondere die Parlamente und ihre Möglichkeit,
Untersuchungsausschüsse einzusetzen, Gerichte, Datenschutzbeauftragte und die
Medienberichterstattung. Doch bleibt die Kontrolldichte für das polizeiliche Alltags-
handeln faktisch gering, schon allein wegen der begrenzten Arbeitskapazitäten dieser
Institutionen. Konzepte für neue Beschwerdestellen müssen Widerstände überwin-
den, die entstehen, wenn demokratisch-rechtsstaatliche Kontrolle mit Misstrauen
verwechselt oder gleichgesetzt wird.20 Spannungen entstehen auch innerhalb der
Polizeiorganisationen, die auf ein hohes Maß an interner Solidarität bei der Bewälti-
gung oftmals schwieriger und gefährlicher Aufgaben angewiesen sind. Eine Aufarbei-
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tung von Fehlern mit dem Ziel, einzelne Verantwortliche zu identifizieren und zu
sanktionieren, steht fast zwangsläufig in Konflikt mit den internen Solidaritätsstruk-
turen. Auch das Legalitätsprinzip mit seinen strikten Zwängen zur Verfolgung straf-
baren Handelns steht in einem Spannungsverhältnis zur Entwicklung einer Fehlerkul-
tur mit dem Ziel, unangemessenes Verhalten durch bessere Handlungskonzepte mög-
lichst von vornherein zu vermeiden.21
Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass diese Spannungsverhältnisse und
die mit ihnen verknüpften Sorgen und Ängste der betroffenen Polizeibediensteten
auch dort nicht ganz ausgeräumt werden können, wo solche Beschwerdestellen exis -
tieren. Dass solche Institutionen auch von politischen Mehrheiten und Themenkon-
junkturen abhängig sind, verwundert daher nicht. Die Institutionalisierung unabhän-
giger Polizei-Beschwerdestellen ist folglich auch ein Prozess von trial and error. Die
zahlreichen lokalen Complaint Commissions in den Großstädten der USA wurden teils
mehrfach gegründet, aufgelöst und wieder gegründet.22 Die politisch motivierte Auf-
lösung der Hamburger Polizeikommission ist deshalb kein Indiz dafür, dass das dorti-
ge Modell nicht praxistauglich war.
Die in den letzten Jahren neu entstandenen und auch zukünftig zu gründende Be-
schwerdestellen können dazu beitragen, das Erfahrungswissen über das Funktionie-
ren solcher Institutionen im politisch-administrativen System Deutschlands zu erpro-
ben. Möglicherweise entwickelt sich aus dem dabei notwendigerweise „langsamen
Bohren dicker Bretter“ tatsächlich eine verbesserte Fehlerkultur für die Polizei.
HARTMUT ADEN Jahrgang 1964, studierte Rechtswissenschaften, Sozialwis-
senschaften sowie französische Literatur an den Universitäten Göttingen und
Hannover sowie an der École des Hautes Études en Sciences sociales in Paris. Er
promovierte 1997 an der Universität Hannover zum Thema „Polizeipolitik und
rechtliche Steuerung der Polizeiarbeit in Europa im Kontext von Veränderungs-
prozessen in den Nationalstaaten ...“. Von 1997 bis 2005 war er Wissenschaftlicher
Mitarbeiter bzw. Assistent an der Leibniz Universität Hannover, anschließend bis
2009 Prüfer im Höheren Dienst beim Bundesrechnungshof. Seit April 2009 ist
Aden Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der HWR Berlin.
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1 Überblick bei Den Boer/Fernhout 2008 (für Europa); Walker 2001, 2005 und 2006; Goldsmith/Lewis
(Hrsg.) 2000; Pütter 2011; Ocqueteau/Enderlin 2011.
2 Zu den bestehenden Ansätzen vgl. Aden 1998, S. 349-361.
3 Zur Auswertung des Beschwerdemanagements der Berliner Polizei vgl. Hoffmann-Holland u.a.
2008.
4 Vgl. Zentrale Beschwerdestelle Sachsen-Anhalt 2012.
5 Näher zum Fall s. Amnesty International 2010, S. 25 ff. und S. 96 ff.
6 S. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im hessischen Landtag 2013.
7 Zu den Hintergründen: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 1996; Gössner 2000.
8 S. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz 2013.
9 S. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag 2012; DIE LINKE im Sächsischen Landtag 2012.
10 Näher hierzu Walker 2001, S. 6 f.; Buren 2007.
11 Übersicht für Europa bei Den Boer/Fernhout 2008, S. 8-10.
12 Amnesty International 2010, S. 113 ff.; ähnlich auch Commissioner for Human Rights 2009.
13 S. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz 2013, S. 1.
14 Vgl. NYCLU 2007 zur Kritik an der stark professionalisierten Beschwerdestelle in New York.
15 Vgl. hierzu auch Stenning 2000, S. 149.
16 So SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz 2013; kritisch hierzu Aden 2014.
17 Zur praktischen Bedeutung s. NYCLU 2007, S. 11 ff.
18 Vgl. Aden 2014 zum Gesetzentwurf Rheinland-Pfalz.
19 Zu Nachbesserungsbedarf im Gesetzentwurf Rheinland-Pfalz s. Aden 2014.
20 Am Beispiel der Polizeikennzeichnung: Aden 2012.
21 Hierzu näher der Beitrag von Behrendes in diesem Heft.
22 Vgl. die Beiträge in Goldsmith/Lewis (Hrsg.) 2000.
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