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Entwicklung eines Instruments zur Ableitung von Gestaltungsanforderungen für die automatisierte Zugverkehrsleitung im Bahnverkehr

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Abstract

Der Grad der Automatisierung in der Zugverkehrsleitung im Bahnverkehr wird künftig zunehmen. Eine Herausforderung besteht dabei darin, Arbeitsaufgaben trotz hoher Automatisierung menschengerecht zu gestalten und eine angemessene Mensch-Maschine Funktionsteilung zu realisieren. In einem Projekt der Fachhochschule Nordwestschweiz und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wurde ein Instrument zur Ableitung von Gestaltungsanforderungen für die automatisierte Zugverkehrsleitung entwickelt. Das Instrument ermöglicht es, konkrete Anforderungen an neue oder weiterzuentwickelnde Systeme auf den Ebenen Mensch, Technik und Organisation systematisch auszuwählen und ihre Umsetzbarkeit zu prüfen. Entwickelt wurde das Instrument auf der Basis der KOMPASS-Methode (Wäfler, Windischer, Ryser, Weik & Grote, 1999), einer Methode zur Analyse, Bewertung und Gestaltung automatisierter Produktionssysteme. Eingesetzt wurden bei der Entwicklung des Instrumentes Dokumentenanalysen, Arbeitsplatzbeobachtungen, halbstandardisierte Interviews und Expertenworkshops. Das Instrument wurde speziell für betriebliche Praktiker entwickelt und wird künftig in der Zugverkehrsleitung der Schweizer Bahn eingesetzt. Damit können nicht nur Systeme und Prozesse in der Zugverkehrsleitung optimiert werden, sondern den Mitarbeitenden werden auch in Zukunft - trotz hohem Automatisierungsgrad - interessante, herausfordernde und gesundheits- und persönlichkeitsförderliche Arbeitsplätze erhalten bleiben.
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Entwicklung eines Instruments zur Ableitung von Gestaltungsanforderungen für die au-
tomatisierte Zugverkehrsleitung im Bahnverkehr
Jasmin Zimmermann1, Andrea Leibold1, Jonas Brüngger1, Peter Grossenbacher2, Pia Zwahlen2, Toni Wäfler1
und Katrin Fischer1
1 Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Angewandte Psychologie, Olten
2 Schweizerische Bundesbahnen SBB, Bern
Schlüsselwörter: Automatisierung, KOMPASS, Mensch-Maschine-Interaktion, Funktionsallokation
Zusammenfassung
Der Grad der Automatisierung in der Zugverkehrsleitung im Bahnverkehr wird künftig zunehmen. Eine
Herausforderung besteht dabei darin, Arbeitsaufgaben trotz hoher Automatisierung menschengerecht zu
gestalten und eine angemessene Mensch-Maschine Funktionsteilung zu realisieren. In einem Projekt der
Fachhochschule Nordwestschweiz und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wurde ein Instrument
zur Ableitung von Gestaltungsanforderungen für die automatisierte Zugverkehrsleitung entwickelt. Das
Instrument ermöglicht es, konkrete Anforderungen an neue oder weiterzuentwickelnde Systeme auf den
Ebenen Mensch, Technik und Organisation systematisch auszuwählen und ihre Umsetzbarkeit zu prüfen.
Entwickelt wurde das Instrument auf der Basis der KOMPASS-Methode (Wäfler, Windischer, Ryser, Weik
& Grote, 1999), einer Methode zur Analyse, Bewertung und Gestaltung automatisierter Produktionssys-
teme. Eingesetzt wurden bei der Entwicklung des Instrumentes Dokumentenanalysen, Arbeitsplatzbe-
obachtungen, halbstandardisierte Interviews und Expertenworkshops. Das Instrument wurde speziell für
betriebliche Praktiker entwickelt und wird künftig in der Zugverkehrsleitung der Schweizer Bahn einge-
setzt. Damit nnen nicht nur Systeme und Prozesse in der Zugverkehrsleitung optimiert werden, son-
dern den Mitarbeitenden werden auch in Zukunft - trotz hohem Automatisierungsgrad - interessante,
herausfordernde und gesundheits- und persönlichkeitsförderliche Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Einleitung
Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Forschungsprojekt der Fachhochschule Nordwestschweiz mit
den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Im Fokus stand die humanzentrierte Systemgestaltung in der
Zugverkehrsleitung unter Berücksichtigung grösserer struktureller Veränderungen und deren Auswir-
kungen auf die technische Infrastruktur, die Arbeitsabläufe, Arbeitsanforderungen und Ausbildungser-
fordernisse.
In der Zugverkehrsleitung der SBB fand in den letzten Jahren eine Vielzahl von Automatisierungspro-
zessen statt. Beispiele hierfür sind die Fernsteuerung aus Betriebszentralen oder die Automatisierung
des Anschlussmanagements. Der Automatisierungsgrad wird sich auch in den nächsten Jahren weiter
erhöhen, wie zum Beispiel durch die automatisierte Generierung von Dispositionsvorschlägen im Stö-
rungsfall (Weidmann, Herrigel, Höppner & Schranil, 2013). Die Schaffung bzw. der Erhalt menschenge-
rechter Arbeitstätigkeiten in hochautomatisierten Arbeitssystemen ist für Systemgestalter nicht einfach.
Dies trifft vor allem dann zu, wenn Kriterien menschengerechter Arbeit erst nach Abschluss von Syste-
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mentwicklungen berücksichtigt werden und dann nur noch ein kleiner korrektiver Handlungsspielraum
besteht. Deshalb war es besonders wichtig, durch die Entwicklung eines Instruments zur Ableitung von
Gestaltungsanforderungen an technische Systeme betriebliche Praktiker künftig darin zu unterstützen,
bereits vorausschauend Anforderungen an neue Systeme festzulegen. Damit eine angemessene Beur-
teilung und menschengerechte Gestaltung mit Hilfe des Instruments erfolgen kann, muss deutlich
werden,
1. welche arbeitsbezogenen Ziele mit der Umsetzung einer Gestaltungsanforderung erreicht wer-
den sollen,
2. welche Konsequenzen eine Nicht-Realisierung der menschengerechten Gestaltung zur Folge hat
und
3. welche Möglichkeiten bestehen, wenn eine Anforderungen nicht oder nur eingeschränkt umge-
setzt werden kann.
Dies war mit den bestehenden methodischen Ansätzen bislang nicht ohne weiteres möglich. Die zentra-
len Forschungsfragen des Projekts waren:
1. Wie werden sich die technische Infrastruktur, Arbeitsabläufe, Arbeitsanforderungen und Ausbil-
dungserfordernisse unter Berücksichtigung struktureller Veränderungen bei den SBB und einer
zunehmenden Automatisierung in der Zugverkehrsleitung verändern?
2. Welche Auswirkungen positive und negative hat die Automatisierung unterschiedlicher Tä-
tigkeiten auf die Arbeit der Zugverkehrsleitung (sowohl im Regelbetrieb als auch im Störungs-
fall)?
3. Welche Anforderungen resultieren daraus für die künftige Gestaltung der Technik, der Arbeits-
organisation sowie die Ausbildung und das Training, um negative Auswirkungen zunehmender
Automatisierung aufzufangen und die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Systems zu gewährleis-
ten?
Theoretischer Hintergrund
In hochautomatisierten Arbeitssystemen erfordert die humane Arbeitsgestaltung unter anderem eine
angemessene Mensch-Maschine-Funktionsteilung. Bei einer unangemessenen Verteilung der Funktio-
nen zwischen Mensch und Maschine ist mit negativen Auswirkungen auf den Menschen und die Aus-
führung der Arbeitstätigkeit zu rechnen. Eine unangemessene Mensch-Maschine-Funktionsteilung kann
daraus resultieren, dass der Mensch im Arbeitsprozess ausschließlich die Rolle der supervisory control
(Sheridan, 1987) übernimmt. Hierbei wird die Aufgabe des Menschen von der zuvor eigenverantwortli-
chen Steuerung auf die Programmierung und Überwachung der Automation beschränkt. Beim Men-
schen verbleiben folglich nur noch die nicht automatisierbaren Resttätigkeiten und ein aktives Eingrei-
fen in den Arbeitsprozess ist nur noch dann gefordert, wenn die Automation nicht zuverlässig und/oder
erwartungsgemäß arbeitet (Manzey, 2012). Diese Aufgabenverteilung zwischen Mensch und Maschine
ist in vielen hochautomatisierten Systemen Realität. Negative Folgen davon sind:
1. Einschränkungen des Handlungs-, Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums und damit ver-
bunden Demotivation, die Einschränkung der persönlichen Entwicklung und der Übernahme von
Verantwortung für die Arbeitsergebnisse
2. Wissensverlust, Fehleinschätzungen des Prozesszustandes und damit verbunden Verlust des Si-
tuationsbewusstseins durch Reduzierung von Denkanforderungen
3. Verminderung von Prüf- und Korrekturmöglichkeiten der eigenen Arbeitstätigkeit
4. Wissens- und Fertigkeitsverlust durch überwiegend passive Tätigkeiten (vgl. hierzu Endsley,
1995; Hacker, 1988)
Die aufgeführten negativen Folgen machen deutlich, was bei der Gestaltung automatisierter Arbeitssysteme
oft nicht bedacht wird: Die Fähigkeiten des Menschen sind begrenzt. Er ist für eine derart passive, monotone
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Arbeitstätigkeit, die nicht selten auch Daueraufmerksamkeit (Vigilanz) erfordert, nicht geeignet. Ohne eine
durchdachte und angemessene Arbeitsgestaltung sind die Ziele der Automatisierung, d.h. die Erhöhung der
Zuverlässigkeit, die Effizienzsteigerung und die Reduktion von Belastungen der Mitarbeitenden (vgl. z.B. An-
dersson, 2011), somit nicht zu erreichen.
Eine angemessene Arbeitsgestaltung berücksichtigt, dass ein Arbeitssystem ein soziotechnisches System ist,
d.h. aus einem sozialen und einem technischen Teilsystem besteht (Strohm & Ulich, 1997). Das soziale Teilsys-
tem besteht aus Mitarbeitenden und ihren Bedürfnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten, das technische Teilsys-
tem (u.a.) aus den technologischen und organisationalen Strukturen (Alioth, 1980). Letztere haben einen gros-
sen Einfluss auf die Arbeitsaufgabe und bestimmen damit sehr stark über die (aktive oder passive) Rolle des
Menschen im Arbeitsprozess. Orientiert sich die Arbeitsgestaltung primär an den technischen Möglichkeiten,
ist die Gefahr gross, dass dem Menschen die Rolle des Systemüberwachers zukommt. Um dies zu vermeiden
ist es daher wichtig, bei der Arbeitsgestaltung das gesamte Arbeitssystem zu betrachten. Dazu gehören im
Wesentlichen drei Ebenen: Der Mensch, die Technik und die Organisation. Ziel muss es sein, diese drei Ebenen
gemeinsam zu optimieren (MTO-Konzept, vgl. hierzu Strohm & Ulich, 1997). Nur dann kann die Weiterent-
wicklung oder Einführung neuer Technik auch ihren angestrebten Erfolg bewirken.
Eine Methode, die diese drei Ebenen Mensch, Technik und Organisation berücksichtigt und speziell zur Analy-
se und komplementären Gestaltung von automatisierten, soziotechnischen Systemen in der Produktion entwi-
ckelt wurde, ist die KOMPASS-Methode (Grote, Wäfler, Ryser, Weik, Zölch, & Windischer, 1999). Mit komple-
mentär ist gemeint, dass sich Mensch und Maschine in ihren Fähigkeiten ergänzen und dass bei der Gestal-
tung automatisierter Systeme die menschlichen Stärken und Schwächen wie auch Vor- und Nachteile maschi-
neller Bearbeitungsprozesse berücksichtigt werden (Strohm & Ulich, 1997). Die Methode basiert damit auf
den Kriterien menschengerechter Gestaltung von Arbeitstätigkeiten. Die Kriterien der KOMPASS-Methode für
Mensch-Maschine-Systeme sind in der Tabelle 1 aufgeführt.
Tab. 1: KOMPASS-Kriterien und Ziele
Kriterium
Ziele
Prozesstransparenz
Auseinandersetzung
Rückmeldungen
Rückmeldequelle
Förderung des Prozessverständnisses, Durchschaubarkeit und
Vorhersehbarkeit der Bearbeitungsprozesse durch aktive Aus-
einandersetzung und direkte Rückmeldungen mit bzw. aus
dem System sowie Kenntnis der Rückmeldungsentstehung
Dynamische Kopplung
Zeitliche Kopplung
Verfahrenskopplung
Aufmerksamkeitskopplung
Situationsangepasstes Handeln durch Wahlmöglichkeiten
bzgl. Zeitpunkt, Vorgehen und erforderlicher Aufmerksamkeit
bei der Aufgabenausführung
Informationsautorität
Informationsaufnahme
Informationsverarbeitung
Unterstützung der aktiven Suche nach Informationen durch
Autorität über den Informationsfluss
Ausführungsautorität
Entscheidungsfindung
Handlungsausführung
Positive Beeinflussung von Sicherheit und Zuverssigkeit
durch Einflussmöglichkeiten auf die Prozesssteuerung
Flexibilität
Adaptierbare Automatisierung
Adaptive Automatisierung
Entwicklung von Know-how trotz Automatisierung durch
adaptierbare und adaptive Funktionszuweisung
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Für die KOMPASS-Kriterien existiert eine generische Operationalisierung. Dadurch können sie, neben dem
Produktionsbereich, in welchem sie getestet wurden, auch in anderen Tätigkeitsbereichen angewendet wer-
den. Diese müssen jedoch für den jeweiligen Arbeitskontext operationalisiert werden, um für den Systement-
wickler praktisch nutzbar zu sein. Denn erst wenn klar ist, was ein bestimmtes Kriterium bezogen auf einen be-
stimmten Arbeitsbereich konkret bedeutet, können auch spezifische Gestaltungsempfehlungen abgeleitet
werden. Dies wurde im vorliegenden Projekt für den Bereich der automatisierten Zugverkehrsleitung realisiert.
Methodische Vorgehensweise
Der theoretische Zugang im Projekt war der MTO-Ansatz (vgl. hierzu Strohm & Ulich, 1997). Die Ent-
wicklung des Instruments erfolgte in den folgenden Schritten:
1. Analyse und Bewertung der Arbeitstätigkeiten und -systeme
2. Erarbeitung des angestrebten künftigen Soll-Zustandes der Automation
3. Definition von Risiken, die aus einer suboptimalen Gestaltung künftiger Automation resultiert
4. Entwicklung eines Instruments zur Ableitung von Gestaltungsanforderungen an (weiter-)zu ent-
wickelnde Systeme und zur Bewertung der Umsetzbarkeit dieser Anforderungen
5. Ableitung von Kompensationsmöglichkeiten für den Fall, dass eine Anforderung nicht umsetz-
bar sein sollte
Zunächst wurden die relevanten Analysekriterien der KOMPASS-Methode (Grote et al., 1999) für Mensch-
Maschine-Systeme ausgewählt. Zur Ableitung von Gestaltungsanforderungen wurden die identifizierten
KOMPASS-Kriterien (vgl. Tabelle 1) dann speziell für den Bereich der hochautomatisierten Zugverkehrsleitung
operationalisiert. Dazu wurden Dokumentenanalysen, Arbeitsplatzbeobachtungen mit anschließenden, halb-
standardisierten Interviews sowie Expertenworkshops durchgeführt. Speziell in den Expertenworkshops wur-
den die Gestaltungsempfehlungen gemeinsam mit Experten der Zugverkehrsleitung validiert.
Ergebnisse
Die Beschreibung der Ergebnisse fokussiert im Folgenden das Hauptergebnis des Forschungsprojekts, d.h. das
Instrument zur Ableitung von Gestaltungsanforderungen an (weiter-)zu entwickelnde Systeme und zur Bewer-
tung der Umsetzbarkeit dieser Anforderungen1.
Auf der Grundlage des erarbeiteten Soll-Zustands für künftige Automation und der erstmaligen Operationali-
sierung der KOMPASS-Kriterien für den Bereich der hochautomatisierten Zugverkehrsleitung, wurden konkre-
te Gestaltungsempfehlungen für diesen Bereich abgeleitet und in Form eines Anforderungskatalogs aufberei-
tet. Der Anforderungskatalog dient dazu, Gestaltungsanforderungen für künftige oder weiter zu entwickelnde
Systeme gezielt auszuwählen und ihre Umsetzbarkeit (gemeinsam mit Technikern oder anderen an der Ent-
wicklung beteiligten Personen) zu bewerten. Er enthält Anforderungen bezogen auf die Technikgestaltung
und die Gestaltung der Arbeitsorganisation. Ebenso sind Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung sowie
das Training enthalten. Damit wird sichergestellt, dass das soziotechnische System in seiner Gesamtheit opti-
miert wird. Für jede Anforderung wurden zusätzlich jeweils Ziele formuliert, die durch die Anforderungsreali-
sierung erreicht werden sollen.
Anforderungen, die mit Hilfe des Instruments an künftige technische Systeme gestellt werden können,
werden nicht immer wie gewünscht umsetzbar sein (z.B. aufgrund von Restriktionen auf Seiten der Her-
steller). Hierfür wurde der methodische Ansatz von KOMPASS erweitert, indem das Instrument neu Lö-
sungen in Form von Kompensationsmöglichkeiten bietet. Zudem werden Konsequenzen, die eine un-
zureichende Anforderungsumsetzung haben kann, in Form von Risiken beschrieben. Die Kompensati-
1
Die Ergebnisse aus der Analyse und Bewertung der Arbeitstätigkeiten und -systeme (Schritt 1) waren (u.a.) tätigkeitsspezifi-
sche Automatisierungsprofile für unterschiedliche Funktionen in der Zugverkehrsleitung und sind bei Brüngger et al. (2013)
beschrieben.
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onsmöglichkeiten dienen dazu, diese Risiken zu minimieren bzw. abzuschwächen. Es bleibt anzumer-
ken, dass Kompensationen stets nur die maximal zweitbeste Lösung bieten, weshalb die Erreichung des
Soll-Zustands weiterhin das Hauptziel sein sollte.
In Tabelle 2 sind beispielhaft für das Kriterium "Prozesstransparenz - Aktive Auseinandersetzung" der
Soll-Zustand, eine Gestaltungsanforderung, die damit verbundenen Ziele und Risiken bei Nichtumset-
zung sowie Kompensationsmöglichkeiten auf der technologischen Ebene aufgeführt.
Tab. 2: Beispiel Prozesstransparenz - Aktive Auseinandersetzung für die Ebene Technik
Kriterium
Soll-Zustand
Gestaltungsanforderung
Ziele
Risiken bei suboptima-
ler Gestaltung
Kompensations-
möglichkeiten
Fazit
Die menschengerechte Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen ist nur möglich, wenn sich die Gestaltung
der Arbeitssysteme nicht nur an den technischen Möglichkeiten, sondern auch an den Fähigkeiten und Gren-
zen des Menschen orientiert. Nur so werden technische Systeme, insbesondere im Rahmen weiterer Automa-
tisierung, für den Menschen auch künftig überwachbar und kontrollierbar bleiben. Wichtig ist, dass Gestal-
tungsanforderungen für eine angemessene Mensch-Maschine-Funktionsteilung frühzeitig (d.h. bei der Ent-
wicklung und Gestaltung der technischen Systeme) berücksichtigt werden.
Durch die Operationalisierung der KOMPASS-Kriterien für den Bereich der automatisierten Zugverkehrsleitung
ist hierfür ein handhabbares Instrument r betriebliche Praktiker entstanden. Das Instrument erglicht es,
konkrete Anforderungen auf den Ebenen Mensch, Technik und Arbeitsorganisation im Rahmen von Syste-
mentwicklungen systematisch auszuwählen und ihre Umsetzbarkeit zu prüfen.
Zusammenfassend wurde die KOMPASS-Methode einerseits in einem neuen Bereich angewendet und
andererseits erweitert. Die Erweiterung betrifft die Erarbeitung konkreter Ziele von Gestaltungsanforde-
rungen, Risiken bei Nicht-Realisierung einer Anforderung und Möglichkeiten zur Kompensation bei
eingeschränkter Anforderungsumsetzung. Letztere erlauben es, die Gefahren einer suboptimalen Sys-
temgestaltung zwar nicht vollständig zu eliminieren aber zumindest zu vermindern.
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Ausblick
Das Instrument wird künftig in der Zugverkehrsleitung der Schweizer Bahn eingesetzt. Wenn es gelingt,
mit dem entwickelten Instrument prospektiv an einer guten Mensch-Maschine-Systemgestaltung, einer
optimalen Funktionsallokation und einer sinnvollen Automatisierung zu arbeiten, dann werden nicht
nur die Systeme und Prozesse in der Zugverkehrsleitung optimiert, sondern den Mitarbeitenden wer-
den auch in Zukunft interessante, herausfordernde, gesundheits- und persönlichkeitsförderliche Ar-
beitsplätze erhalten bleiben.
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Im Projekt "Mensch-Maschine-Interaktion im Betrieb der SBB" geht es um die Fragen, welche Auswirkungen Veränderungen der Automatisierung auf die Tätigkeiten in der Zugverkehrsleitung haben und welche Anforderungen daraus für die Gestaltung der betroffenen Systeme entstehen. Erste Ergebnisse zum aktuellen Stand der Automatisierung verschiedener Arbeitstätigkeiten in der Zugverkehrslei-tung liegen vor. Im "Werkstatt Track" soll den Fragen nachgegangen werden, mit welchen Methoden die Auswirkungen von Automatisierung auf ein soziotechnisches System am besten antizipiert und beurteilt werden können, welche arbeitspsychologischen Kriterien für die Bewertung relevant sind und wie diese Kriterien geeignet operati-onalisiert werden können. Darüber hinaus soll diskutiert werden, ob Tätigkeiten mit spezifischen Automatisierungsprofilen (in Anlehnung an Parasuraman, Sheridan & Wickens, 2000) auch mit spezifischen Risiken verbunden sind.
Chapter
Cali, Kolumbien, 20.12.1995. Flug AA965 befindet sich, aus Miami kommend, im Anflug auf Cali in Kolumbien. Das Cockpit dieser Boeing 757 ist mit zahlreichen automatisierten Systemen ausgestattet, die die Piloten bei ihren Flugführungsaufgaben unterstützen und so zu einer hohen Flugsicherheit beitragen sollen. Herzstück der Automation ist das sog. Flight Management System (FMS), das in Kombination mit dem Autopiloten zentrale Aufgaben der Navigation, Flugzeugführung und Systemüberwachung übernimmt. Die Aufgabe der Piloten besteht dabei nur noch darin, die jeweilige Flugroute bzw. die anzufliegenden Funkfeuer in das System einzugeben. Das eigentliche Abfliegen der Route müssen die Piloten dann nur noch anhand der Informationen auf einem Navigationsbildschirm überwachen. Darüber hinaus verfügt das Flugzeug auch über zahlreiche automatisierte Warn- und Alarmsysteme, wie z. B. das sog.
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Andersson, J. (2011). Automation strategies in five domains -A comparison of levels of automation, function allocations and visualisation of automatic functions. Report no. NKS-237. Sweden: Chalmers University of Technology.
Interaktion im Betrieb der SBB. Paper presented at 10. Berliner Werkstatt MenschMaschine-Systeme (S. 517-523). 10.-12
  • Mensch-Maschine
Mensch-Maschine-Interaktion im Betrieb der SBB. Paper presented at 10. Berliner Werkstatt MenschMaschine-Systeme (S. 517-523). 10.-12.10.2013, Berlin, Germany.
Wie sich Mensch und Technik sinnvoll ergänzen. Die ANALYSE automatisierter Produktionssysteme mit KOMPASS. Schriftenreihe Mensch-Technik-Organisation
  • G Grote
  • T Wäfler
  • C Ryser
  • S Weik
  • M Zölch
  • A Windischer
Grote, G., Wäfler, T., Ryser, C., Weik, S., Zölch, M. & Windischer, A. (1999). Wie sich Mensch und Technik sinnvoll ergänzen. Die ANALYSE automatisierter Produktionssysteme mit KOMPASS. Schriftenreihe Mensch-Technik-Organisation (Hrsg. E. Ulich), Band 19. Zürich: vdf Hochschulverlag.