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KMU-Magazin Nr. 11, November 2015
Forschung & Entwicklung
Frühere Befragungen des Teams von
Georg Bauer von der Universität Zürich
haben gezeigt, dass Betriebliches Gesund-
heitsmanagement (BGM) in KMU seltener
durchgeführt wird als in Grossunterneh-
men. Weitere Studien wurden in KMU in
Luzern und der Ostschweiz durchgeführt.
Zudem liegt eine Nutzungsanalyse zum
Internetportal «www.kmu-vital.ch» vor.
Auf diesen Studien aufbauend sind die
Autoren in einer Kooperation der Fach-
hochschule Nordwestschweiz mit der
Krankenkasse Visana den folgenden vier
Fragen nachgegangen:
1. Welche BGM-Massnahmen werden in
Schweizer KMU durchgeführt?
2. Welche Beweggründe führen zu die-
sen Massnahmen?
3.
Welche Hindernisse erschweren im
Arbeitsalltag die Umsetzung von BGM-
Massnahmen?
4.
Und welchen Unterstützungsbedarf
haben KMU in der Schweiz?
Die Studie
Ein Fragebogen wurde an 812 Kunden-
Unternehmen der Visana in der Deutsch-
schweiz versandt. Insgesamt wurden 172
ausgefüllte Fragebögen von KMU aus der
Deutschschweiz ausgewertet. Unterneh-
men aus allen Regionen der Deutsch-
schweiz mit einer breiten Branchenver-
teilung (Industrie und Dienstleistung)
waren vertreten. Die kleinen Unterneh-
men bis 49 Mitarbeitende machten 81
Prozent aus, mittlere Unternehmen ent-
sprechend 19 Prozent. Zu vermuten ist,
dass sich im BGM bereits aktive Unterneh-
men eher an der Befragung beteiligt ha-
ben und eine leichte Überschätzung der
Verbreitung von BGM-Massnahmen re-
sultiert (siehe Abbildung 1). Interessan-
terweise führten die kleinen Unterneh-
men mehr BGM-Massnahmen durch als
die mittleren.
Was KMU unternehmen
Zur Beantwortung der ersten Frage wurde
den Unternehmen eine Liste an Massnah-
men vorgelegt, um zu bewerten, inwie-
weit diese in den letzten zwei Jahren
durchgeführt wurden. Die Resultate sind
in Abbildung 1 dargestellt, wobei die Ant-
worten «Ja» und «Teilweise» ersichtlich
sind. Die meisten Unternehmen sind ak-
tiv: 86 Prozent der Unternehmen geben
an, mindestens «teilweise» Massnahmen
im Bereich der Unfallverhütung und der
Arbeitssicherheit umzusetzen. Inhaltlich
damit verbunden und ebenfalls weitver-
kurz & bündig
›Die Gründe für ein Betriebliches
Gesundheitsmanagement (BGM)
sind teils «harte» Faktoren wie
Fehlzeitenreduktion (55 %) und
bessere Arbeitseffizienz (36 %);
KMU sehen sich in der Verant-
wortung (44 %) und wollen die
Zufriedenheit der Mitarbeitenden
(52 %) stärken.
›Weitverbreitet sind die Klassiker
des Gesundheitsschutzes: Unfall-
prävention, verbesserte Ergono-
mie und Umgebung.
›Vor allem die Priorität des Tages-
geschäfts führt dazu, dass Mass-
nahmen im Bereich der Gesund-
heitsvorsorge nur verzögert oder
gar nicht umgesetzt werden.
›KMU wünschen sich ganz kon-
krete Umsetzungsbeispiele ( 62 %)
sowie Angebote zur individuel-
len Stressbewältigung (60 %).
!
›Dr. Martial Berset, Prof. Dr. Andreas Krause, Laura Straub
Studie: Betriebliches Gesundheitsmanagement
Wie KMU mit
Gesundheitsschutz umgehen
Im Jahr 2000 war gut jeder vierte Erwerbstätige in der Schweiz häufig oder chronisch ge-
stresst, 2010 war es bereits jeder dritte. Da die meisten Erwerbstätigen in KMU angestellt
sind, stellt sich die Frage, was diese Betriebe unternehmen, um die Gesundheit ihrer Mitar-
beitenden zu schützen und zu fördern. Eine Studie gibt Antwort.
KMU-Magazin Nr. 11, November 2015
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Forschung & Entwicklung
breitet sind Massnahmen im Bereich
Ergonomie (82 Prozent) und Verbesse-
rungen bei den Umgebungsbedingun-
gen (Licht, Temperatur etc.; 79 Prozent).
Hohe Verbreitung haben weiter auch
Massnahmen rund um das Steuern von
Absenzen: das systematische Erfassen
der Fehlzeiten (84 Prozent), das Führen
von Rückkehrgesprächen (64 Prozent)
sowie Case- (56 Prozent) und Absenzen-
Management (82 Prozent).
Weniger Zuspruch erhalten Massnah-
men, die direkt auf das Wohlbefinden der
Mitarbeitenden abzielen wie Stressma-
nagementkurse (17 Prozent), Angebote
zu Sport (19 Prozent) und Entspannung
(4 Prozent) sowie Ernährungskurse (7
Prozent). Vor diesem Hintergrund kann
eine Kernaussage aus der Studie von
Regine Buri-Moser und Norbert Thom für
Schweizer KMU nicht bestätigt werden,
die in «Personal Schweiz» im September
2013 veröentlicht wurde: Zwar spielt
das Fehlzeitenmanagement tatsächlich
eine grosse Rolle in Schweizer Betrieben.
Die Angebote zur Bewegungsförderung
sind jedoch seltener und Unfallverhütung
deutlich häufiger anzutreen als bei Buri-
Moser und Thom angenommen wird.
Verbreitet sind also die Klassiker des Ge-
sundheitsschutzes bei der Arbeit: Präven-
tion von Unfällen, verbesserte Ergonomie
und Umgebungsbedingungen. Das ist
auch der Bereich, wo die Bedrohung der
Gesundheit am oensichtlichsten ist,
nämlich im Bereich Sicherheit. Als Kon-
sequenzen gesundheitlicher Probleme re-
sultieren meist Absenzen, entsprechend
ist es verständlich, dass Massnahmen
rund um Absenzen (Erfassen von Fehlzei-
ten, Rückkehrgespräche, Absenzenmana-
gement, Case Management) sehr verbrei-
tet sind. Massnahmen, die direkt auf das
individuelle Gesundheitsverhalten und
den Umgang mit Stress abzielen, wie Se-
minare zu Stressmanagement oder zu Füh-
rung sowie Angebote rund um Ernährung
und Sport, sind deutlich weniger verbrei-
tet. Immerhin jedes dritte Unternehmen
gibt an, die Belastungen zu erfassen, was
ein wichtiger Schritt ist, um die gesund-
heitsrelevanten Belastungen (zum Bei-
spiel Zeitdruck) und Ressourcen (zum
Beispiel Autonomie) erkennen und ange-
hen zu können. Immerhin 41 Prozent der
Unternehmen weisen darauf hin, sie hät-
ten mindestens «teilweise» BGM auf stra-
tegischer Ebene verankert.
Gründe für BGM-Massnahmen
Warum fördern Geschäftsleitungen und
Personalverantwortliche in Schweizer
KMU die Gesundheit ihrer Mitarbeiten-
Abb. 1. Von KMU durchgeführte BGM-Massnahmen
2
2%
4%
10%
3%
11%
5%
4%
19%
19%
10%
16%
10%
14%
27%
22%
33%
24%
49%
56%
44%
69%
62%
4%
5%
5%
7%
7%
14%
8%
15%
18%
8%
10%
20%
14%
25%
27%
17%
34%
31%
39%
30%
26%
38%
15%
24%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Angebote zu Entspannung
Kurse gesunde Ernährung
Gesundheitstage
Gesundheitszirkel
Finanzierung Sportangebote
Seminare zu Stressmanagement
Sportangebote
Suchtprävention
Seminare für Führungskräfte
Gesunde Ernährung Kantine
Saisonale Angebote (z.B. gegen Grippe)
Erfassen der Gesundheit der MA
Ruheraum
Erfassen von Belastungen
BGM auf strategischer Ebene
Bereitstellen von Früchten
Case Management
Rückkehrgespräche
Arbeitsprozesse verbessern
Umgebungsbedingungen (z.B. Temp.)
Absenzenmanagement
Ergonomie verbessern
Erfassen Fehlzeiten
Unfallverhütung /Arbeitssicherheit
Anteile «Ja» und «teilweise»
Mehrfachantworten möglich.
N = 172.
Forschung & Entwicklung
KMU-Magazin Nr. 11, November 2015
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den? Um gezielte Massnahmen im Ge-
sundheitsmanagement anzubieten, ist es
notwendig, die wichtigsten Gründe zu
kennen, die die Unternehmen bewegen
(siehe Abbildung 2). Passend zu den ver-
breiteten Massnahmen rund um die Ab-
senzen geben 55 Prozent der befragten
Unternehmen an, dass die Reduktion von
Fehlzeiten ein Grund für die Umsetzung
von BGM-Massnahmen war.
Gleich dahinter folgt die Zufriedenheit
(52 Prozent) der Mitarbeitenden. Damit
zusammenhängend sind die Anliegen zur
Verbesserung der Gesundheit (47 Pro-
zent) und der Motivation (37 Prozent)
der Mitarbeitenden einzuordnen. Dem-
nach ist die Motivation für BGM-Mass-
nahmen nicht rein ökonomisch, sondern
scheint auch aus einem Gefühl der sozia-
len Verantwortung (44 Prozent) heraus
zu entstehen.
Die von den Unternehmen angegebenen
Gründe sind vielfältig und dierenziert:
Zum einen spielen die «harten» Faktoren
wie Fehlzeitenreduktion und bessere Ar-
beitsezienz (36 Prozent) eine Rolle, an-
dererseits sehen sich die befragten Un-
ternehmen aber auch in einer gewissen
gesellschaftlichen Verantwortung und
wollen die Zufriedenheit der Mitarbeiten-
den stärken.
Das Einhalten der gesetzlichen Vorgaben
(38 Prozent) und der Umgang mit dem
demografischen Wandel (1 Prozent) wur-
den seltener genannt, als wir vorab ver-
mutet hatten.
Hindernisse bei der Umsetzung
Allein der Wille zur Umsetzung von Mass-
nahmen im betrieblichen Gesundheits-
management ist nicht immer ausrei-
chend. Verschiedene Hindernisse treten
auf, die eine Umsetzung verhindern oder
erschweren. Um herauszufinden, wie
wichtig diese Hindernisse im betriebli-
chen Alltag tatsächlich sind, wurden die
Unternehmen über eine Liste mit mögli-
chen Stolpersteinen befragt (siehe Abbil-
dung 3). Allen voran steht die Priorität
des Tagesgeschäftes (93 Prozent). Wenn
Abb. 2.: Gründe für die Einführung / Umsetzung der BGM-Massnahmen
Abb. 3: Hürden bei der Umsetzung von BGM-Massnahmen
1%
32%
36%
36%
36%
37%
38%
44%
47%
52%
55%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Dem demograschen Wandel begegnen
Stärken der Arbeitgeberattraktivität
Reduktion von Versicherungsprämien
Erhöhen der Arbeitsefzienz
Verbessern des Betriebsklimas
Verbessern der Motivation der Mitarbeiter
Gesetzliche Vorgaben
Übernehmen von sozialer Verantwortung
Verbessern der Gesundheit der Beschäftigten
Verbessern der Zufriedenheit der Mitarbeiter
Reduzieren von Fehlzeiten
4%
9%
12%
11%
27%
21%
16%
12%
40%
63%
23%
35%
36%
38%
30%
36%
46%
50%
29%
30%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Widerstand seitens der Entscheidungsträger
Fehlende Motivation der Führung
Fehlendes Wissen über Umsetzung
Fehlendes Wissen über Anbieter von Massnahmen
Es wird nicht genügend Geld dafür bereitgestellt
Es wird nicht genügend Zeit dafür bereitgestellt
Zweifel am Nutzen
Fehlende Motivation der Mitarbeiter
Es besteht kein Handlungsbedarf
Das Tagesgeschäft hat Priorität
Anteile «Ja»-Antworten.
Mehrfachantworten möglich.
N = 172.
Anteile «Ja» und «teilweise»
Mehrfachantworten möglich.
N = 172.
Forschung & Entwicklung
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Porträt
Dr. Martial Berset
Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter,
Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für
Angewandte Psychologie
Prof. Dr. Andreas Krause
Dozent für Arbeit und Gesundheit, Studiengangsleiter
CAS Betriebliches Gesundheitsmanagement, Fachhoch-
schule Nordwestschweiz, Hochschule für Angewandte
Psychologie
Laura Straub
Fachspezialistin Sicherheit und Gesundheitsschutz,
BLS Netz AG
Kontakt
martial.berset@fhnw.ch
www.fhnw.ch
dringende Aufgaben anstehen und enge
Fristen einzuhalten sind, werden als se-
kundär wahrgenommene Aufgaben hin-
tenangestellt.
Einige KMU geben auch an, dass kein ein-
deutiger Handlungsbedarf (40 Prozent)
besteht in ihren Unternehmen oder allen-
falls nur teilweise (29 Prozent). Skepsis
scheint gegenüber dem Nutzen von BGM-
Massnahmen zu bestehen (16 Prozent;
«teilweise»: 46 Prozent). Mangel an Res-
sourcen im Sinne von fehlendem Geld (57
Prozent) und fehlender Zeit (57 Prozent)
sind im Mittelfeld der Hürden anzusie-
deln. Fehlende Motivation bei den Mitar-
beitenden (62 Prozent) scheint ein deut-
lich grösseres Hindernis zu sein als
fehlende Motivation der Führungskräfte
(44 Prozent) oder sogar Widerstand sei-
tens der Entscheidungsträger (27 Pro-
zent). Mangelndes Wissen scheint hie
und da auch ein Thema zu sein, gibt doch
rund die Hälfte aller Unternehmen an, zu
wenig Wissen über Anbieter von BGM-
Massnahmen (49 Prozent) oder über die
konkreten Umsetzungsmöglichkeiten zu
besitzen (48 Prozent).
Fazit
Zusammenfassend kann gesagt werden,
dass in einigen KMU der Handlungsbe-
darf nicht erkannt wird und auch Skepsis
gegenüber dem Nutzen von BGM-Mass-
nahmen besteht. Informationen über den
Sinn und Zweck von BGM, Überzeu-
gungsarbeit und positive Umsetzungsbei-
spiele sind nach wie vor gefordert. Ent-
sprechend wurden Umsetzungsbeispiele
aus anderen Betrieben besonders häufig
von den Schweizer KMU eingefordert (62
Prozent), auch Informationsmaterial zu
BGM (58 Prozent), Informationen über
den Nutzen von BGM (49 Prozent) sowie
Weiterbildungen für Führungskräf te rund
um Arbeit und Gesundheit (48 Prozent)
werden gewünscht. Mit Blick auf kon-
krete Interventionen, die für das eigene
Unternehmen angeboten werden sollen,
stehen weniger die bereits verbreiteten
Massnahmen wie Unfallverhütung /Ar-
beitssicherheit, sondern Weiterbildungs-
angebote zu Stress und Stressbewälti-
gung an erster Stelle (60 Prozent).
Wenn erst einmal eine positive Einstel-
lung besteht, sind nicht der Widerstand
der Entscheidungsträger und die Motiva-
tion der Führungskräfte die entscheiden-
den Hemmschuhe. Vielmehr führt die
Priorität des Tagesgeschäfts dazu, dass
Massnahmen im Bereich BGM nur verzö-
gert oder gar nicht umgesetzt werden.
BGM-Angebote an KMU müssen Antwor-
ten liefern auf die Frage, wie die Umset-
zung im Alltag gelingen kann, etwa wie
die Bewältigung von Stress durch Füh-
rungskräfte, Teams und einzelne Mitar-
beitende unterstützt werden kann.
Welcher BGM-Bedarf besteht in Zukunft?
Sicher werden Arbeitssicherheit und Ab-
senzen- /Case Management wichtig blei-
ben. Eine Lücke zwischen Ist (aktuelle
Verbreitung) und Soll (Bedarf an Unter-
stützung) war besonders bei Angeboten
gegen Stress erkennbar. Mit Blick auf die
zunehmend grössere Gruppe an gestress-
ten Erwerbstätigen scheinen KMU in der
Schweiz gewillt, auf den zunehmenden
Konkurrenzdruck und das Stresserleben
mit BGM-Angeboten wie Stressmanage-
mentkursen gegenzusteuern, sofern sie
einen eindeutigen Nutzen erkennen kön-
nen und die Umsetzung der Massnahmen
in den Arbeitsalltag sehr gut integrierbar
erscheint. «