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K. Hochsattel · P. Brieger
Bezirkskrankenhaus Kempten, Akademisches Lehrkrankenhaus, Universität Ulm, Kempten
Disulfiram in der
ambulanten Therapie
alkoholabhängiger Menschen
Die gesundheitspolitischen Folgen
der Alkoholabhängigkeit sind gravie-
rend. Etwa 1,5 Mio. Menschen in der
Bundesrepublik sind alkoholabhän-
gig. Alkoholmissbrauch wurde EU-
weit als dritthäufigste Ursache für
eine chronische Erkrankung bzw. vor-
zeitigen Tod identifiziert [9, 17]. Die
Behandlung stellt eine therapeuti-
sche Herausforderung dar: Die multi-
faktoriell entstandene Krankheit er-
fordert eine multimodale Vorgehens-
weise und verläuft oft chronisch. Di-
sulfiram – ein Alkoholaversivum –
kann hierbei einen Baustein des viel-
gestaltigen Therapiekonzepts dar-
stellen.
Das Medikament wird unter ärztlicher
oder pflegerischer Supervision in regel-
mäßigen Abständen vom Patienten ein-
genommen und bewirkt in Kombination
mit Alkoholkonsum das Auftreten eines
höchst unangenehmen Symptomenkom-
plexes, der sog. Alkohol-Disulfiram-Reak-
tion (ADR). Zu dieser gehören u. a. Flush,
Hypotonie, Tachykardie, Übelkeit bis Er-
brechen, Dyspnoe, Kopfschmerzen, kar-
diale Arrhythmien und weitere kardiale
Komplikationen bis hin zu Bewusstseins-
störungen []. Therapeutisch macht man
sich die hauptsächlich psychologisch aver-
sive Wirkung zunutze und setzt Disulfi-
ram zur Rückfallprophylaxe ein.
Hintergrund
Disulfiram ist mit über Jahren Verwen-
dung im medizinischen Bereich die am
längsten eingesetzte Substanz zur Alko-
holrückfallprophylaxe []. Die erste Be-
schreibung der Disulfiram-Wirkung er-
folgte durch Hald und Jacobsen [].
wurde Disulfiram durch die Food
and Drug Administration (FDA) zur Be-
handlung der Alkoholabhängigkeit zuge-
lassen. Bereits wurde in den USA je-
doch vom ersten Todesfall aufgrund einer
ADR-Reaktion nach absichtlich durchge-
führtem Trinkversuch berichtet []. Nach
wiederholten Berichten über Todesfäl-
le im Rahmen einer schweren ADR, kam
es in Deutschland zu einer fast gänzlichen
Einstellung der Verwendung von Disulfi-
ram, während das Medikament in an-
deren Ländern wie England, Dänemark
oder der Schweiz weiterhin verordnet
wurde [].
In den letzten Jahren kam es in
Deutschland in einigen Zentren zu ei-
ner „Renaissance“ der Disulfiram-Thera-
pie: In kontrollierten Studien war gezeigt
worden, dass eine Kombination aus strin-
genter, kontrollierter Disulfiram-Vergabe
und psychosozial-psychotherapeutischer
Begleitung höhere Alkoholabstinenzquo-
ten zu erreichen vermochte als die Stan-
dardtherapie []. Gerade das ALITA/
OLITA-Programm (Ambulante Lang-
zeit-Intensivtherapie für Alkoholkranke/
Outpatient Long-term Intensive Thera-
py for Alcoholics) zeigte überzeugende
Ergebnisse: ALITA/OLITA war langfris-
tig erfolgreich: % der Patienten zeigten
in dem Follow-up-Zeitraum von Jah-
ren keinen Rückfall („relapse“), % ver-
mochten während dieses Zeitraums kom-
plett alkoholabstinent zu leben [].
Einen Rückschlag erfuhr die Therapie
durch die Löschung der Arzneimittelzu-
lassung des Präparates Antabus durch die
Firma Nycomed Deutschland GmbH im
Jahr . Begründet wurde dies mit tech-
nologischen Schwierigkeiten bei der Her-
stellung der Dispergetten. Probleme kli-
nischer oder pharmakologischer Art als
Ursache wurden ausdrücklich verneint.
Seitdem wird die Substanz aus dem Aus-
land über internationale Apotheken im-
portiert [, ]. Die Krankenhausapothe-
ken dürfen das Präparat nicht mehr be-
vorraten; die Abgabe von Disulfiram ist
nur über eine patientenbezogene Einzel-
anforderung mit ärztlicher Unterschrift
möglich.
Die Erstattungspflicht der Kranken-
kassen endete mit dem Verkauf der letz-
ten Packung der Disulfiram-Dispergetten
der Firma Nycomed. Seitdem muss der
Patient die Kosten für seine Disulfiram-
Medikation selbst tragen. Lediglich in be-
sonderen Ausnahmefällen kommt es zur
Kostenübernahme durch die Gesetzliche
Krankenversicherung. Dazu müssen je-
doch bestimmte Voraussetzungen durch
den Patienten erfüllt werden, welche die
Krankenkasse in jedem Einzelfall anhand
eines Antrags individuell prüft. In dem
dem Antrag beiliegenden Arztschrei-
ben sollte die Notwendigkeit der Disulfi-
ram-Verordnung für entsprechenden Pa-
tienten aufgezeigt werden. Standardprä-
parat ist aktuell ein in Frankreich herge-
stelltes Medikament [].
Untersuchungsziel
In Deutschland gibt es einzelne Behand-
lungszentren, die teilweise seit Jahr-
zehnten eine ambulante Behandlung mit
Disulfiram anbieten. Ein flächendecken-
des Versorgungsangebot fehlt aber. Eini-
ge wenige Untersuchungen betrachteten
den Einsatz von Disulfiram in der Regel-
versorgung außerhalb eines kontrollier-
ten Studiensettings [, ]: Sie fanden Hin-
Nervenarzt 2015
DOI 10.1007/s00115-015-4339-0
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
1Der Nervenarzt 2015
|
Originalien
weise auf Wirksamkeit und Sicherheit der
Substanz. Vor diesem Hintergrund soll in
der vorliegenden Arbeit die Einsatzhäufig-
keit, Verträglichkeit sowie die Umsetzbar-
keit des Disulfiram-Therapieprogramms
in einer Disulfiram-Ambulanz eines Ver-
sorgungskrankenhauses untersucht wer-
den. Außerdem wird das Ergebnis eines
in der Versorgungsrealität durchgeführ-
ten Disulfiram-Therapieprogramms be-
leuchtet sowie Prädiktoren für den The-
rapieerfolg mit Disulfiram analysiert.
Methodik
Disulfiram-Ambulanz
Im Bezirkskrankenhaus (BKH) Kemp-
ten, einem Fachkrankenhaus für Psych-
iatrie, Psychotherapie und Psychosoma-
tik, wurde im Jahr eine Disulfiram-
Ambulanz eingerichtet, die sich am ALI-
TA-Konzept orientiert und bis heute er-
folgreich arbeitet. Einstellung und Ver-
gabe von Disulfiram folgt in der Ambu-
lanz einem standardisierten Ablauf. Die
Eignung des Patienten für die Teilnahme
am Disulfiram-Programm wird vorab kri-
tisch geprüft. Absolute Ausschlusskrite-
rien sind schwere Herz- und Kreislaufin-
suffizienz, Schlaganfall in der Anamnese,
schwere Leber- und Nierenfunktionsstö-
rungen oder Schilddrüsenerkrankungen
sowie eine bestehende Schwangerschaft.
Zudem muss die kognitive Fähigkeit be-
stehen, das Therapieprogramm verstehen
und umsetzen zu können. Auch der An-
fahrtsweg spielt aufgrund der häufigen
Kontaktfrequenz eine Rolle. Der Patient
wird anschließend über Wirkungsweise
und mögliche unerwünschte Wirkungen
aufgeklärt und die Einwilligung zum The-
rapieregime schriftlich dokumentiert.
Zur Voruntersuchung zählen eine La-
borabnahme, eine Elektrokardiographie
(EKG) sowie eine Sonographie des Abdo-
mens. Dann erfolgt die Einstellung mit ei-
ner Tagesdosis von ,–, g, die individu-
ell im Laufe der Therapie angepasst wird.
Drei Mal wöchentlich wird das Medika-
ment nach erfolgter Kontrolle der Atem-
alkoholkonzentration supervidiert durch
Pflegepersonal der Disulfiram-Ambulanz
vor Ort verabreicht, was einen engen Kon-
takt zwischen Patient und dem Team der
Disulfiram-Ambulanz gewährleistet.
Laborkontrollen finden zunächst nach
, , , , Wochen und anschließend im
halbjährlichen Abstand statt. Neueinstel-
lungen auf Disulfiram erfolgten grund-
sätzlich nur, wenn Glutamat-Oxalacetat-
Transaminase (GOT), Glutamat-Pyruvat-
Transaminase (GPT) und Gamma-Glut-
amyl-Transferase (γ-GT) nicht mehr als
zweifach erhöht waren. Im Verlauf wur-
de Disulfiram abgesetzt, wenn GOT, GPT
oder γ-GT im pathologischen Referenz-
bereich lagen und relevant anstiegen; auf
jeden Fall wurde die Behandlung bei drei-
fach erhöhten Enzymwerten beendet. Bei
den Halbjahreskontrollen wird zudem ein
aktuelles EKG angefertigt, ganz besonders
wurde die QTc-Zeit beobachtet.
Der Besuch der wöchentlichen Disul-
firam-Gruppe – professionell angeleitet
durch pflegerisches oder ärztliches Per-
sonal – gilt als verpflichtend. Hier wird
den Patienten die Möglichkeit geboten,
sich über Disulfiram-Therapie-assoziier-
te Erfolge, aber auch Probleme auszutau-
schen, konstruktive Lösungen zu erarbei-
ten sowie die Therapiemotivation zu be-
stärken. Begleittherapien (z. B. speziali-
sierte Ergotherapie) sind im Rahmen der
Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA)
bei Bedarf verfügbar. Nach mehrmona-
tigem komplikationslosem Therapiever-
lauf und Aufbau einer guten Vertrauens-
basis kann das Therapieregime auch gelo-
ckert werden.
Da die Erfahrung zeigte, dass ein Ab-
setzen Disulfirams sehr häufig mit Rück-
fällen verbunden ist, einer Dauereinnah-
me des Medikaments aufgrund guter Ver-
träglichkeit jedoch nichts entgegensteht,
wurde der Mindestverordnungszeitraum
auf ein Jahr ausgeweitet. Häufig wird so-
gar die Strategie der dauerhaften Disulfi-
ram-Einnahme verfolgt.
Datenerhebung
Im Rahmen einer retrospektiven Analyse
wurden die Patientenverläufe aller insge-
samt Disulfiram-einnehmenden Pa-
tienten der entsprechenden Ambulanz
des BKH Kempten untersucht (Zeitraum:
.. bis ..). Der Untersu-
chung lagen Routinedaten der Kranken-
akten zugrunde. Der Datensatz schloss
neben stationären und ambulanten Ak-
ten auch die ambulante Basisdokumen-
tation der PIA [] ein. Als Therapieerfolg
wurde ein Jahr völlige Alkoholabstinenz
nach Beginn der Disulfiram-Therapie de-
finiert, im Gegenzug dazu jeglicher Al-
koholkonsum vor Beendigung des ersten
Therapiejahres als Therapieversagen. Ne-
ben der spezifischen Suchtanamnese wur-
den soziodemographische Parameter so-
wie therapiespezifische Fragen zu Disulfi-
ram, welche auch die Abstinenzzeiträume
sowie Details zu eventuell auftretenden
Rückfällen und unerwünschten Arznei-
mittelnebenwirkungen im gesamten Be-
handlungszeitraum mit einschlossen, do-
kumentiert. Als potenzielle Einflussfak-
toren auf das Therapieergebnis wurden
folgende unabhängige Variablen in Be-
tracht gezogen und erhoben:
F „Geschlecht“,
F „Partnerschaft“,
F „Teilnahme an der Disulfiram-Grup-
pe des BKH“,
F „Dauer der Alkoholabhängigkeit bis
zum Disulfiram-Therapiebeginn in
Jahren“ und
F „Zahl der Entgiftungen bis zum Di-
sulfiram-Therapiebeginn“.
Mit dem Statistikprogramm IBM SPSS
Statistics wurde die statistische Aus-
wertung durchgeführt. Neben der desk-
riptiven Analyse zur Darstellung des Pa-
tientenkollektivs, der Wirksamkeit so-
wie der Verträglichkeit der Medikamen-
teneinnahme wurde auch eine logistische
Regression durchgeführt. Ziel war hierbei
darzustellen, inwiefern die abhängige Va-
riable des Therapieerfolgs durch die o. g.
potenziellen prädiktiven Faktoren beein-
flusst wird. Außerdem wurden die Pati-
enten, die im ersten Jahr der Disulfiram-
Behandlung einen Alkoholrückfall hatten
mit denen verglichen, die unter Disulfi-
ram ein Jahr alkoholabstinent lebten.
Die Datenerhebung erfolgte durch die
Erstautorin, die zu keinem Zeitpunkt am
BKH Kempten tätig war. Die Durchfüh-
rung der Studie wurde von der Ethik-
kommission der Universität Ulm positiv
begutachtet.
2
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Der Nervenarzt 2015
Originalien
Ergebnisse
Stichprobe
Über einen Zeitraum von Jahren wur-
den im BKH Kempten alkoholabhän-
gige Patienten (ICD-[International Statis-
tical Classification of Diseases and Related
Health Problems]: F.) auf Disulfiram
eingestellt. In . Tab. 1 ist das Patienten-
kollektiv hinsichtlich soziodemographi-
scher und in . Tab. 2 hinsichtlich sucht-
erkrankungsspezifischer Eigenschaften
dargestellt.
Die überwiegenden Patientencharak-
teristika lassen sich mit männlichem Ge-
schlecht, Bestehen einer stabilen Partner-
schaft, Hauptschulabschluss, abgeschlos-
sene Lehre und derzeitiger Arbeitslo-
sigkeit zusammenfassen. Die Patienten-
gruppe zeichnete sich bei einer hohen in-
terindividuellen Bandbreite durch eine
schwerwiegende Alkoholerkrankung aus:
Die durchschnittliche Abhängigkeitsdau-
er lag bei Jahren, die der Disulfiram-
Therapie vorangehende Entgiftungsan-
zahl belief sich im Mittel auf ,. ,% be-
zeichneten ihren Alkoholkonsum in den
Jahren vor Disulfiram-Therapiebeginn als
kontinuierlich.
Auch die Prävalenz der psychiatrischen
und somatischen Komorbiditäten wur-
de erfasst. Hinsichtlich einer psychia-
trischen Komorbidität konnten mit ab-
steigender Häufigkeit die neurotischen,
somatoformen und Belastungsstörungen
mit ,% (F nach ICD-), die affektiven
Störungen mit ,% (F Nach ICD-),
die Persönlichkeits- und Verhaltensstö-
rungen mit ,% (F nach ICD-), so-
wie lediglich eine Schizophrenie (F nach
ICD-) erfasst werden. Auffällig war, die
somatischen Begleiterkrankungen betref-
fend, der hohe Anteil an gastrointesti-
nalen Problemen (,% bzw. n=). Mit
,% (n=) waren auch die kardiovas-
kulären Begleiterkrankungen häufig ver-
treten. Alle restlichen somatischen Be-
schwerden bewegten sich in einem eher
niedrigschwelligen Bereich von –%.
Obwohl der Besuch der Disulfiram-
Gruppe bei Einstieg des Patienten in das
Disulfiram-Therapieprogramm als ver-
pflichtend kommuniziert wird, zeigte
sich in der Versorgungsrealität ein stark
abweichendes Patientenverhalten. Pa-
tienten (,%) nahmen das Angebot der
Disulfiram-Gruppe der Klinik regelmäßig
wahr, Patienten (,%) besuchten teil-
weise die Gruppe und blieben ihr fern
(,%).
Therapieerfolg
Hinsichtlich der Wirksamkeit der er-
folgten Disulfiram-Therapie ergaben sich
folgende Ergebnisse:
F 46 Patienten (24,2%) erfüllten die
Kriterien für „Therapieerfolg“ und
Zusammenfassung · Summary
Nervenarzt 2015 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00115-015-4339-0
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
K. Hochsattel · P. Brieger
Disulfiram in der ambulanten Therapie
alkoholabhängiger Menschen
Zusammenfassung
Ziel. Das Alkoholaversivum Disulfiram spielt
in der Versorgungswirklichkeit der Alkoholab-
hängigkeit in Deutschland bisher eine unter-
geordnete Rolle. Die Studie untersuchte Wirk-
samkeit, Verträglichkeit und Umsetzbarkeit
einer ambulanten Disulfiram-Behandlung in
einem Versorgungskrankenhaus.
Methode. Die Daten von 190 alkoholabhän-
gigen Patienten der Psychiatrischen Instituts-
ambulanz des Bezirkskrankenhauses Kemp-
ten, die in einem Zeitraum von 10 Jahren am
Disulfiram-Therapieprogramm teilgenom-
men hatten, wurden hinsichtlich Wirksamkeit
und Verträglichkeit ausgewertet. Zur Beurtei-
lung möglicher prädiktiver Faktoren wurden
unabhängige Variablen sowie der Therapie-
erfolg als abhängige Variable definiert und
eine logistische Regression durchgeführt.
Ergebnisse. Nach einem Jahr waren 24,2%
der Patienten abstinent, bei 55% der Patien-
ten kam es trotz Disulfiram-Einsatz zum Rück-
fall im ersten Jahr. Es traten keine schweren
Komplikationen auf. Der Therapieerfolg war
in erheblichem Maß mit der Teilnahme an ab-
stinenzunterstützenden Gruppen korreliert.
Schlussfolgerung. Disulfiram erwies sich als
gut verträgliches Medikament in der multi-
modalen Therapie der Alkoholabhängigkeit,
das problemlos in die Regelversorgung zu in-
tegrieren war. Etwa ein Viertel der Patienten,
die bis dato einen ungünstigen Verlauf ihrer
Abhängigkeitserkrankung hatten, erreichten
Abstinenz, wobei sich als wesentlicher Prä-
diktor des Erfolgs die Teilnahme am psycho-
sozialen Begleitprogramm erwies. Disulfiram-
Ambulanzen sollten in Deutschland größere
Verbreitung finden.
Schlüsselwörter
Alkoholaversivum · Alkoholismus ·
Psychiatrische Versorgung · Disulfiram ·
Wirksamkeit
Disulfiram in outpatient treatment of alcohol dependency
Summary
Aim. The alcohol deterrent drug disulfiram
plays a minor role in the treatment of alcohol
dependency in Germany. The study looks at
the efficacy, tolerability and feasibility of a di-
sulfiram outpatient treatment program in a
German psychiatric hospital.
Method. Data from 190 outpatients with al-
cohol dependency, who had participated in
a disulfiram therapy program at the psychi-
atric outpatient department over a period of
10 years, were analyzed with respect to effi-
cacy and tolerability. To test for predictors, in-
dependent variables and treatment success
as a dependent variable a logistic regression
was carried out.
Results. After 1 year 24.2% of the patients
maintained alcohol abstinence while 55%
had had an alcohol relapse despite being in
the disulfiram program. No severe complica-
tions were observed under disulfiram treat-
ment. Therapy success was largely related
to participating in treatment-specific group
therapy.
Conclusion. Disulfiram proved to be a well-
tolerated medication as part of multimod-
al therapy of alcohol dependency. The disul-
firam program was easily integrated into oth-
er health service treatment. Approximately
one quarter of patients who had had an un-
favorable course before, achieved abstinence,
while participation in group therapy was a
major predictor of treatment success. Disulfi-
ram is a medication, which in the context of
a psychosocial treatment concept, should re-
ceive a wider distribution in Germany.
Keywords
Alcohol deterrent · Alcoholism · Community
mental health services · Disulfiram ·
Effectiveness
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Der Nervenarzt 2015
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waren mindestens 365 Tage nach Ein-
stellung auf Disulfiram abstinent.
F 99 Patienten (55%) wurden vorher
rückfällig,
F 45 Patienten (23,7%) mussten ausge-
schlossen werden, da sie weder die
Anforderungen für Therapieerfolg
noch die für Therapieversagen er-
füllten (dies war beispielsweise der
Fall, wenn ein Patient noch kein vol-
les Jahr im Disulfiram-Therapiepro-
gramm war und gleichzeitig noch kei-
nen Rückfall erlitten hatte).
Verträglichkeit
Die Verträglichkeit des Medikaments
wurde anhand der laut Fachinfo zu er-
wartenden unerwünschten Arzneimittel-
nebenwirkungen geprüft und ergab die in
. Tab. 3 dargestellten Werte. Bei etwa der
Hälfte der am Disulfiram-Therapiepro-
gramm teilnehmenden Patienten (,%;
n=) waren keine Beschwerden doku-
mentiert. Bei insgesamt (,%) der
zur Analyse herangezogenen Patien-
ten war das Auftreten einer unerwünsch-
ten Arzneimittelnebenwirkung Beendi-
gungsgrund für die Disulfiram-Therapie.
Zahlenmäßig in absteigender Reihenfol-
ge wurden hierbei ansteigende Leber-
werte (n=), gastrointestinale Beschwer-
den (n=), anhaltende Müdigkeit (n=)
und Potenzprobleme (n=) als Grund ge-
nannt. Patienten (,%) beendeten die
Therapie nach einem Rückfall, bei dem
Alkohol konsumiert wurde. Schwerere
Komplikationen sind in keinem Fall do-
kumentiert. Zu Todesfällen kam es nicht.
Die EKG-Aufzeichnungen ergaben keine
relevante QTc-Verlängerung.
Prädiktoren
Im Vergleich zwischen Patienten, die defi-
nitiv im ersten Jahr der Behandlung einen
Alkoholrückfall hatten (welchen Ausma-
ßes auch immer), mit solchen, die ein Jahr
alkoholabstinent war, wurde nur ein Ver-
gleich signifikant: Rückfällige Patienten
hatten in der Vorgeschichte mehr Entgif-
tungen gehabt (. Tab. 4). Ziel der binär
logistischen Regressionsanalyse war, Prä-
diktoren des Therapieerfolges (abhängige
Variable) darzustellen. Als mögliche prä-
diktive Faktoren für einen Behandlungs-
erfolg wurden die unabhängigen Variab-
len „Teilnahme an der Disulfiram-Grup-
pe“, „Dauer der Alkoholabhängigkeit bis
zum Disulfiram-Therapiebeginn in Jah-
ren“, „vorhandene Partnerschaft“, „Ge-
schlecht“ und „Zahl der Entgiftungen bis
zum Disulfiram-Therapiebeginn“ aus-
gewählt. Wegen unvollständiger Daten
mussten bei der Regressionsanalyse noch-
mals Patienten ausgeschlossen werden.
Dadurch standen für diese Analyse
Patienten zur Verfügung, von denen
die Kriterien für eine erfolgreiche Thera-
pie erfüllt hatten und über ein Jahr nach
Disulfiram-Therapiebeginn völlig absti-
nent gewesen waren. Patienten wur-
den innerhalb ihres ersten Therapiejah-
res rückfällig und somit als „Therapiever-
sager“ eingestuft.
An potenziellen prädiktiven Faktoren
für einen positiven Therapieausgang stell-
Tab. 1 Soziodemographische Variablen der Disulfiram-Therapie-Patienten
(n) (%)
Geschlecht Weiblich 62 32,6
Männlich 128 67,4
Partnerschafts-
form
Allein lebend 50 26,3
Feste Beziehung 84 44,2
Zeitweilige Beziehung(en) 56 29,5
Höchster er-
reichter Schulab-
schluss
Kein Schulabschluss/Sonderschule 14 7,4
Hauptschulabschluss 123 64,7
Realschulabschluss 25 13,2
(Fach-)Abitur 18 9,5
Höchste erreichte
Berufsausbildung
Keine 33 17,4
Lehre 131 68,9
Fach-/Meisterschule 7 3,7
Fach-/Hochschule 9 4,7
Fehlende Angabe 10 5,3
Jetzige berufliche
Situation
Berufstätig 57 30,0
Berufstätig mit staatlicher/sonstiger Un-
terstützung
17 8,9
Arbeitslos 79 41,6
Rente 30 15,8
Sonstiges 7 3,7
Patientenanzahl n=190
Tab. 2 Medizinische Vorgeschichte der Suchterkrankung
(n) M ± SD Min. Max.
Ersterkrankungsalter (Jahre) 177 26,95±10,15 13 57
Dauer der Alkoholabhängigkeit bis
zum Disulfiram-Therapiebeginn
(Jahre)
177 15,15±10,25 0 44
Alter bei Disulfiram-Therapiebe-
ginn (Jahre)
190 42,22±8,95 20 66
Entwöhungsbehandlungen bis
zum Disulfiram-Therapiebeginn (n)
188 0,98±0,95 0 5
Entgiftungen bis zum Disulfiram-
Therapiebeginn (n)
188 6,10±6,82 1 65
Alkoholkonsum in den letzten 2
Jahren vor Disulfiram-Therapie-
beginn
Wenige Tage 189 4,2% (n=8)
Wenige Wochen 23,7% (n=45)
Wenige Monate 26,8% (n=51)
Kontinuierlich 44,7% (n=85)
Frühere Einstellung auf Disulfiram Ja 190 4,2% (n=8)
Nein 95,8% (n=182)
Bei metrischen Variablen: Mittelwert ± Standardabweichung (M ± SD).
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Der Nervenarzt 2015
Originalien
ten sich bei der Regressionsanalyse zwei
Variablen als signifikant heraus:
F regelmäßige Disulfiram-Gruppen-
teilnahme (p<0,01; Odds Ratio [OR]
=8,29) und
F die Zahl der vorausgehenden Entgif-
tungen bis zum Therapiebeginn mit
Disulfiram (p<0,03; OR =0,89), wobei
eine höhere Zahl von Entgiftungen
mit einem geringeren Therapieerfolg
einherging (. Tab. 5).
Diskussion
Zur Prüfung der Anwendbarkeit und des
Therapieerfolgs eines strukturierten Di-
sulfiram-Therapieprogramms wurde im
Rahmen eines Versorgungskrankenhau-
ses die Suchtambulanz des BKH Kempten
Untersuchungsfeld der Auswertung. Etwa
ein Viertel der Patienten blieben Disulfi-
ram-unterstützt ein Jahr völlig abstinent,
die Hälfte wurde in dem Jahr rückfällig
und bei einem weiteren Viertel war der
Einjahresverlauf aus verschiedenen Grün-
den unklar (z. B. Beendigung der Thera-
pie, ohne dass ein Rückfall dokumentiert
war). Angesichts der schwer alkoholkran-
ken Menschen, die in das Behandlungs-
programm eingeschlossen wurden (im
Schnitt länger als Jahre alkoholabhän-
gig, in der Vergangenheit im Schnitt eine
Entwöhnungs- und mehr als sechs Ent-
giftungsbehandlungen), ist die Quote von
% ein Erfolg – und entspricht den Er-
gebnissen von Krampe et al. [] in einer
naturalistischen -Jahres-Katamnese.
Wichtigster Prädiktor eines positiven
Behandlungsergebnisses war die regelmä-
ßige Teilnahme an der Disulfiram-Grup-
pe. Dabei bleibt angesichts des nichtexpe-
rimentellen Designs offen, ob die Nicht-
teilnahme unmittelbar zur schlechteren
Prognose führte oder ob Patienten mit
schlechterer Prognose häufiger nicht an
der Disulfiram-Gruppe teilnahmen. Die
Bedeutung unterstützender Gruppen für
den Behandlungserfolg – professionell an-
geleitet oder auf Selbsthilfebasis – ist aus
anderen Studien bekannt []. Es ist anzu-
nehmen, dass die hohe Behandlungsfre-
quenz einer multimodalen Disulfiram-
Therapie durch die Erhöhung der sub-
jektiven sozialen Unterstützung positiv
wirkt, indem die Patienten länger in der
Behandlung bleiben und diese seltener
abbrechen. So ist bekannt, dass entspre-
chende intensive soziale Unterstützung
abstinenzunterstützend wirkt [] Darü-
ber hinaus war in dieser Untersuchung
eine geringe Anzahl vorheriger Entgif-
tungen ein positiver Prädiktor – sowohl
in der deskriptiven Darstellung wie auch
der logistischen Regression. Dies ist im
Einklang mit vielen anderen Ergebnissen:
Chronizität der Alkoholabhängigkeit wird
überwiegend als Prädiktor eines ungüns-
tigen Therapieverlaufs gesehen []. Inter-
ventionen sollten also so früh wie mög-
lich erfolgen.
Nebenwirkungen waren relativ ge-
ring: Der Gefahr einer äußerst selten auf-
tretenden Disulfiram-induzierten Hepa-
titis wurde durch konsequente routine-
mäßige Laborkontrollen vorgebeugt und
deren Entstehung damit verhindert. Es
kam zu keinen Todesfällen und keinen
Dauerschäden durch Alkoholreaktionen.
Die am häufigsten geäußerte Nebenwir-
kung war bei etwa jedem fünften Pati-
enten Müdigkeit. Weitere Disulfiram-as-
soziierte Beschwerden waren gastrointes-
tinale Beschwerden wie Sodbrennen oder
Obstipation und Potenzprobleme. Uner-
wünschte Arzneimittelnebenwirkungen
wie unangenehmer Körpergeruch oder
Disulfiram-induzierte Polyneuropathie
spielten eine untergeordnete Rolle. Unter
den heute verwendeten niedrigen Dosie-
rungen von unter mg/Tag gilt Disulfi-
ram als gut verträgliches und sicheres Me-
dikament mit akzeptablem Risikoprofil.
Brewer [] wies darauf hin, dass die Disul-
firam-Toxizität verglichen mit der von Al-
kohol gering ist.
Analysiert wurde ein multimodales
Therapiekonzept, in welches Voruntersu-
chungen zur Eignungsfähigkeit, regelmä-
ßige mehrmals wöchentlich durchgeführ-
te Kurzkontakte mit Medikamentenver-
gabe und Beobachtung des Erkrankungs-
verlaufs, routinemäßige EKG- und Labor-
kontrollen, ärztliche Zwischenvisiten, ak-
tive Nachsorge und das Angebot der Di-
sulfiram-Gruppe für Betroffene involviert
sind. Die Wirksamkeit supervidiert verge-
benen Disulfirams wurde durch mehrere
randomisiert-kontrollierte Studien in den
vergangenen Jahren belegt []. Die Di-
sulfiram-Behandlung wies hohe Effekt-
stärken auf und zeigte sich verglichen mit
vielen anderen Therapieformen als über-
legen []. Die besten Ergebnisse konnten
dann erzielt werden, wenn Disulfiram im
Kontext eines umfassenden und intensi-
ven biopsychosozialen Behandlungspro-
gramms eingesetzt und Nutzen aus dem
psychologischen Effekt des Alkoholaver-
sivums gezogen wurde – was den Ergeb-
nissen dieser Studie entspricht.
Zu den methodischen Schwächen der
Untersuchung zählt die retrospektiv an-
gelegte Evaluation der Routinedaten ei-
ner einzelnen Klinik. Die gewonnenen Er-
gebnisse sind somit stark von der Qualität
des zur Verfügung stehenden Aktenmate-
rials abhängig und es bleibt offen, inwie-
weit die Ergebnisse übertragbar sind. Zur
Beurteilung der Effektivität Disulfirams
hätte optimalerweise ein Vergleich mit ei-
ner Kontrollgruppe durchgeführt werden
müssen. Ein Wirksamkeitsnachweis an
sich ist mit den vorliegenden Daten nicht
möglich. Es war aber dezidiertes Ziel die-
ser Untersuchung, die konkrete Eignung
des Therapieansatzes einer pflichtversor-
genden psychiatrischen Klinik (mit Insti-
tutsambulanz) in der Versorgungsrealität
zu untersuchen.
Die Definition des Therapieerfolges als
ein Jahr völliger Alkoholabstinenz nach
Therapiebeginn mit Disulfiram muss kri-
Tab. 3 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen unter Disulfiram-Therapie
(n) (%)
Anhaltende Müdigkeit 37 19,5
Veränderter Körpergeruch 3 1,6
Polyneuropathie 4 2,1
Gastrointestinale Beschwerden (Sodbrennen, Obstipation) 15 7,9
Potenzprobleme 9 4,7
Leberbeschwerden 15 7,9
Sonstige 6 3,2
Keine 92 48,4
Patientenzahl n=181 (bei 9 Patienten lagen keine verwertbaren Daten vor).
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Der Nervenarzt 2015
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tisch diskutiert werden. Neben dem gro-
ben Maß von einem Jahr bleibt zu beden-
ken, inwiefern der Terminus „Therapie-
erfolg“ auf lediglich einen Parameter – die
Dauer der völligen Abstinenz – reduziert
wird. In der Behandlung der Alkoholab-
hängigkeit hat diesbezüglich ein Para-
digmenwechsel stattgefunden: Auch der
Konsum von Alkohol in sozial verträgli-
chem Maße kann als Erfolg bewertet wer-
den (vgl. z. B. [, ]). Da die Untersu-
chung im Wesentlichen auf Routinedaten
basierte, war die gewählte Definition aber
als reliabel operationalisierbar angesehen
worden.
Bei der Untersuchung wurde offen-
sichtlich, dass Disulfiram zwar jüngst
Gegenstand wissenschaftlichen Interes-
ses war und eine gewisse Renaissance er-
lebte [], die Versorgungsrealität aktu-
ell allerdings anders aussieht. Disulfiram
wird in Deutschland nach wie vor im Ver-
gleich mit anderen europäischen Ländern
wie der Schweiz oder Großbritannien zu-
rückhaltend verordnet und beschränkt
sich auf einige Zentren. Disulfiram stellt
mit seinem speziellen Wirkmechanismus
als Aversivum eine besondere Option für
den motivierten alkoholabhängigen Pa-
tienten dar, die eigene Abstinenzentschei-
dung mithilfe eines Medikaments abzu-
sichern. Hauptindikationsbereich stellen
schwer alkoholabhängige Patienten mit
langer Krankheitsgeschichte dar. Der Ein-
satz des Alkoholaversivums erwies sich im
Besonderen bei dieser speziellen Patien-
tengruppe in Studien wie der groß ange-
legten ALITA/OLITA-Untersuchung als
effektiv. Dabei entfaltet Disulfiram sei-
ne Wirkung nicht nur über den psycho-
logisch-aversiven Effekt, sondern zusätz-
lich über die Hemmung diverser Enzyme
im Zentralnervensystem, beispielsweise
der Dopamin-β-Hydroxylase (DBH). Der
experimentelle Indikationsbereich weite-
te sich infolgedessen über die letzten Jah-
re auf die Behandlung von Kokainabhän-
gigen und pathologischen Glücksspielern
aus [].
Rückblickend auf mehr als Jahre
Einsatz von Disulfiram im BKH Kemp-
ten lässt sich das Fazit eines wirksamen,
umsetzbaren und in der Praxis gut funk-
tionierenden Therapieelements zur Be-
handlung Alkoholabhängiger ziehen. Das
multimodale Therapieschema lässt sich in
den Alltag einer Versorgungsklinik inte-
grieren – bedarf aber eines hohen Maßes
an Stringenz. Angesichts der gesundheits-
politischen Relevanz der Alkoholabhän-
gigkeit erscheint eine breitere Umsetzung
eines solchen Konzeptes wünschenswert.
Fazit für die Praxis
Die Integration des Alkoholaversivums
Disulfiram in den Alltag einer Versor-
gungsklinik ist reibungslos möglich, wie
die Erfahrungen aus mehr als 10 Jahren
einer psychiatrischen Institutsambulanz
zeigen, wenn ein entsprechendes eng-
maschiges und stringentes Therapiekon-
zept konsequent umgesetzt wird. Dies
umfasst neben der Vor-Ort-Medikamen-
tenvergabe mit Atemalkoholkontrol-
le (2- bis 3-mal pro Woche) verpflichten-
de nichtmedikamentöse Therapien wie
spezialisierte Gruppen- und Einzelge-
spräche und entsprechende Labor- und
EKG-Kontrollen. Bei einer retrospektiven
Auswer tung ließen sich dabei die Beob-
achtungen machen, dass Disulfiram ein
gut verträglicher Baustein in der Thera-
pie alkoholabhängiger Patienten ist – be-
deutsam ist aber hier die regelmäßige
Teilnahme an der entsprechenden Ge-
sprächsgruppe. Aus der Literatur ist be-
kannt, dass eine Disulfiram-Behandlung
unter einem supervidierten Therapiere-
gime hohe Effektstärken aufweist und
sich verglichen mit vielen anderen The-
rapieformen als überlegen erweist. Als
Konsequenz für die klinische Praxis wäre
eine Ausweitung der bisher restriktiv ge-
haltenen Verordnungen in Deutschland
unter den oben genannten Rahmenbe-
dingungen wünschenswert. Dass das
Medikament in Deutschland nicht über
Tab. 4 Einjahresvergleich der Patienten mit und ohne Rückfall
Rückfällig
(n=99)
Abstinent
(n=46)
Signifikanz
Geschlecht: Frauen 30 (30%) 18 (39%) p=0,29 χ
2
-Quadrat-
Test, df =1
Ersterkrankungsalter 25,4 (8, 8) 27,8 (10, 4) Missing data 9 bzw.
2 – t-Test, df =132,
p=0,16
Dauer der Alkoholabhängigkeit bis
zum Disulfiram-Therapiebeginn
16,2 (10, 2) 16,7 (10, 6) Missing data 9 bzw.
2 – t-Test, df =132,
p=0,80
Alter bei Disulfiram-Therapiebeginn 41,9 (8, 5) 44,5 (8, 2) df =143, p=0,08
Entwöhungsbehandlungen bis zum
Disulfiram-Therapiebeginn
1,1 (1, 1) 1,0 (0, 9) Missing data 1 bzw.
1 – t-Test, df =141,
p=0,38
Entgiftungen bis zum Disulfiram-The-
rapiebeginn
10,7 (11, 2) 5,6 (4, 6) Missing data 0 bzw.
2 – t-Test, df =140,
p=0,005
Patientenzahl n=145 (54 Patienten mussten ausgschlossen werden: Sie hatten einen Beobachtungszeitraum
von unter einem Jahr und keinen Rückfall).Rückfall wurde als einmaliger Alkoholgebrauch definiert („lapse“ und
„relapse“). Kein Unterschied fand sich darüber hinaus für den Vergleich der Gruppen bezüglich soziodemogra-
phischer Daten sowie psychiatrischer und somatischer Komorbidität (Daten bei den Autoren verfügbar).
Tab. 5 Einflussvariablen auf einen Therapieerfolg mit Disulfiram
OR [95%] p-Wert
Disulfiram-Gruppenteilnahme Ja, regelmäßig 8,29 [2,53;27,16] <0,01
Ja, teilweise 2,54 [0,80;8,05] 0,11
Dauer der Alkoholabhängigkeit bis
zum Disulfiram-Therapiebeginn
1,02 [0,98;1,07] 0,30
Partner (1= Single/0= Beziehung) 0,71 [0,26;1,94] 0,50
Geschlecht (1= weiblich/0= männlich) 1,02 [0,42;2,49] 0,96
Zahl der Entgiftungen bis zum Disulfi-
ram-Therapiebeginn
0,89 [0,80;0,99] 0,03
Binär logistisches Regressionsmodell – OR Odds Ratio [95%-Konfidenzintervall].Patientenzahl n=133, Gütemaß
des Regressionsmodells: 0,15.
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Der Nervenarzt 2015
Originalien
inländische Apotheken verfügbar ist, ist
in diesem Kontex t ein Ärgernis.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. P. Brieger
Bezirkskrankenhaus Kempten, Akademisches
Lehrkrankenhaus, Universität Ulm
Robert-Weixler-Str. 46, 87439 Kempten
peter.brieger@extern.uni-ulm.de
Danksagung. Dank gebührt den früheren und aktu-
ellen Mitarbeitern der Suchtambulanz des BKH Kemp-
ten – insbesondere Rolf Ahrens, Andreas Herzig, Man-
fred Stepan und Wolfgang Woitalka.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. K. Hochsattel und P. Brieger er-
klären, dass keine Interessenskonflikte bestehen.
Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen
Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustim-
mung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang
mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration
von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten
Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten
liegt eine Einverständniserklärung vor.
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