Zusammenfassung
Bei allen Wirbeltieren ist das visuelle Mittelhirn eingebunden in die Raumorientierung und speziell in die Ausrichtung der sensorischen Systeme. Wie autonom aber ist diese Struktur? Bei Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln wird das optische Tectum als wichtigstes visuelles Zentrum betrachtet, das eine zentrale Funktion bei der gesamten Verhaltenssteuerung hat. Dem Colliculus
... [Show full abstract] superior der Säuger wird dagegen nur eine untergeordnete Rolle als ausführende Station unter Kontrolle des Kortex zugewiesen.
Diese klassische Sicht auf die Gehirnorganisation der Wirbeltiere ist nach neueren Befunden nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir haben in diesem Artikel verschiedene Befunde zusammengestellt, die bei allen Wirbeltieren auf eine vergleichbare Integration des visuellen Mittelhirns in die Verarbeitung sensorischer Stimuli hinweisen. In vergleichend anatomischen Arbeiten sind identische Projektionen und Zelltypen beschrieben worden. Läsionsexperimente führen zu Ausfallserscheinungen, die nicht mit der klassischen Vorstellung erklärt werden können. Bei Vögeln und bei Säugern werden zunehmend sensorische Verarbeitungsleistungen im Mittelhirn beschrieben, deren Ergebnisse nicht nur zur Auslösung adäquater Orientierungsreaktionen genutzt werden. Funktionelle Untersuchungen deuten vielmehr an, dass die Aktivität an das Vorderhirn weitergegeben wird und dort zu weiteren Wahrnehmungsleistungen oder zu kognitiver Kontrolle beiträgt. Dies deutet eine eigenständige Bedeutung des Mittelhirns in der Verarbeitung an, die weit über die klassische Sicht als Reflexzentrum hinausgeht.