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Parlamentarismus nach der Krise: Die Vertiefung parlamentarischer Asymmetrie in der reformierten Wirtschafts- und Währungsunion

Authors:

Abstract

As a consequence of the euro crisis, economic and fiscal policy-making competencies have been transferred to the EU-level. At the same time, national parliaments have seen their capacity to influence the policies to combat the crisis curbed. This contribution explores the reaction of national parliaments to the crisis and demonstrates stark variation in their capacity and willingness to adapt institutionally to the crisis. The analysis underlines the causal relevance of existing EU- and budget-related competencies that national parliaments possess to account for their willingness and ability to adapt institutionally. The euro crisis thus cements and perpetuates already existing differences between strong and weak parliaments.
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Parlamentarismus nach der Krise: Die Vertiefung parlamentarischer Asymmetrie in
der reformierten Wirtschafts- und Währungsunion
Prof. Dr. Berthold Rittberger
Lehrstuhl für Internationale Beziehungen
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft
Oettingenstraße 67
D-80538 München
E-Mail: berthold.rittberger@gsi.uni-muenchen.de
Dr. Thomas Winzen
European Politics Research Group
ETH Zürich
IFW D 43.1
Haldeneggsteig 4
CH-8092 Zürich
Email: thomas.winzen@eup.gess.ethz.ch
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Zusammenfassung: Die Eurokrise hat zu einer Ausweitung der wirtschafts- und
fiskalpolitischen Befugnisse auf der EU-Ebene geführt. Gleichzeitig wurden die
Handlungskompetenzen nationaler Parlamente eingeschränkt. Der Beitrag verfolgt das Ziel,
die Reaktion nationaler Parlamente auf die zunehmende Zentralisierung wirtschafts- und
finanzpolitischer Befugnisse zu analysieren. Es wird gezeigt, dass nationale Parlamente
unterschiedliche Bereitschaft an den Tag legen, institutionelle Anpassungen zu fordern und
umzusetzen. Die Analyse unterstreicht die Bedeutung bestehender europa- und
haushaltspolitischer Kontrollbefugnisse zur Erklärung institutioneller
Anpassungsmaßnahmen. Die Eurokrise führt demnach zu einer Verfestigung und
Perpetuierung bestehender Unterschiede zwischen starken und schwachen Parlamenten.
Schlagwörter: Eurokrise, nationale Parlamente, institutionelle Anpassung,
Abstract: As a consequence of the Eurocrisis, economic and fiscal policy-making
competencies have been transferred to the EU-level. At the same time, national parliaments
have seen their capacity to influence the policies to combat the crisis curbed. This
contribution explores the reaction of national parliaments to the crisis and demonstrates stark
variation in their capacity and willingness to adapt institutionally to the crisis. The analysis
underlines the causal relevance of existing EU- and budget-related competencies that national
parliaments possess to account for their willingness and ability to adapt institutionally. The
Eurocrisis thus cements and perpetuates already existing differences between strong and weak
parliaments.
Keywords: Eurocrisis, national parliaments, institutional adaptation
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Parlamentarismus nach der Krise: Die Vertiefung parlamentarischer Asymmetrie in
der reformierten Wirtschafts- und Währungsunion
1. Einleitung
Die Eurokrise hat einen beispiellosen Zentralisierungsschub ausgelöst. Neben institutionellen
Neuerungen, wie beispielsweise dem Fiskalpakt und dem Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM), werden haushalts- und wirtschaftspolitische Entscheidungen
auf nationaler Ebene im Rahmen des Europäischen Semesters (ES) der verstärkten
Überwachung durch die EU unterstellt. Die Ausweitung von Entscheidungsbefugnissen auf
der EU-Ebene hat zu einer Stärkung exekutiver Akteure geführt und nationale Parlamente
sowie das Europäische Parlament (EP) tendenziell geschwächt (siehe den Beitrag von Puetter
in diesem Heft). Mit den neuen, auf europäischer Ebene angesiedelten Instrumenten zur
Kontrolle nationaler Haushalte wird allerdings nicht nur die Handlungsautonomie von
nationalen Parlamenten beschnitten, wie es die Vertreter der intergouvernementalistischen
Integrationstheorie erwarten würden (Moravcsik 1994); es wird zudem befürchtet, dass eine
an technokratischen und funktionalen Kriterien ausgerichtete Entscheidungslogik die
demokratische Auseinandersetzung über politische Ziel- und Schwerpunktsetzungen in den
Hintergrund drängt (White 2013, S. 5). Habermas spricht in diesem Zusammenhang von
einem sich stetig verfestigenden „Exekutivföderalismus“, der unter anderem durch die
„sekundärrechtliche Ermächtigung der Kommission zur Haushaltsüberwachung“ sowie eines
„über dem Gesetzgebungsprozess stehenden Europäischen Rates“ gekennzeichnet ist und der
das „Legitimationskonto der geltenden Verträge [überzieht]“ (Habermas 2013, S. 93-5). Die
Befugnisse repräsentativ demokratischer Institutionen werden des weiteren dadurch
geschwächt, dass die von den Regierungen verabschiedeten Vertragswerke, wie der ESM und
der Fiskalpakt, nicht Bestandteil des EU-Vertragswerks sind, was die Möglichkeiten der
Einflussnahme nationaler Parlamente und des Europäischen Parlaments reduziert (Benz 2013;
Crum 2013; Auel u. Höing 2014; Rittberger 2014).
Die Diagnose, dass die Eurokrise eine „Notstandsituation“ (White 2013)
hervorgerufen hat, in deren Folge Regierungen die von nationalen Parlamenten und dem EP
teilweise hart erkämpften Befugnisse zur Beeinflussung europäischer Politik aufgeweicht
haben, bedarf allerdings einer differenzierteren Betrachtung (siehe auch Auel u. Höing 2014).
So zeigt die Forschung zur Europäisierung nationaler Parlamente einerseits, dass diese sich
institutionell an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst haben, die mit dem
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Fortschreiten des europäischen Integrationsprozesses einhergingen, indem sie sich sukzessive
Informations-, Einfluss- und Kontrollrechte erarbeitet haben (Raunio u. Hix 2000; Winzen
2012); die institutionellen Strukturen und die damit einhergehenden Kontroll- und
Einflussmöglichkeiten nationaler Parlamente gegenüber ihren nationalen Regierungen im
Rahmen von EU-Entscheidungsprozessen sind andererseits alles andere als einheitlich verteilt
(siehe u.a. Raunio 2005; Winzen 2012; Karlas 2012; Auel et al. 2014). Das Problem des
europäischen Parlamentarismus liegt somit nicht alleine in der stetigen Vertiefung der
Integration, die alle nationalen Parlamente gleichermaßen betrifft, sondern auch in einer durch
ungleiche Anpassungsleistungen entstandenen Asymmetrie parlamentarischer Rechte.
Vor diesem Hintergrund verfolgt der Beitrag eine doppelte Zielsetzung. Die erste
Zielsetzung ist deskriptiver Natur und zielt darauf ab, die im Zuge der Eurokrise von
nationalen Parlamenten getätigten institutionellen Anpassungen zu dokumentieren und zu
systematisieren. Die hierfür erhobenen Daten zu Anpassungsleistungen nationaler Parlamente
umfassen drei Bereiche: Anpassungen zum ESM, dem ES und der im Rahmen des Fiskalpakts
einberufenen interparlamentarischen Konferenz (sog. „Artikel-13 Konferenz“). Zweitens zielt
der Beitrag darauf ab, die beobachteten Anpassungsleistungen nationaler Parlamente und
deren Varianz zu erklären. Hierfür formulieren wir eine Reihe von Hypothesen, die wir aus
der Literatur zur Europäisierung nationaler Parlamente sowie zur „Parlamentarisierung“ der
EU ableiten (siehe hierzu auch Rittberger u. Winzen 2015). Anschließend überprüfen wir die
Hypothesen auf der Grundlage eines eigens erhobenen Datensatzes mittels einer qualitativ
vergleichenden Analyse (QCA).
Die zentrale Erkenntnis unserer Analyse ist, dass die krisengetriebenen Reformen der
Wirtschafts- und Währungsunion auf parlamentarischer Seite zu einer weiteren Vertiefung
und Institutionalisierung existierender Ungleichgewichte geführt hat. Es zeigt sich somit, dass
die durch Benz (2013) beobachtete faktische Machtasymmetrie zwischen Parlamenten in
Krisenentscheidungen nicht ein rein temporäres Phänomen ist, sondern auch in neu
geschaffenen parlamentarischen Rechten Ausdruck findet. Im Einklang mit bestehenden
Erklärungsmustern stärken Parlamente ihre Beteiligungs- und Kontrollmöglichkeiten vor
allem dort, wo sie ausgeprägte Haushaltsrechte genießen und deren Aufweichung im Zuge
krisenbedingter Reformen fürchten. Die öffentliche, parteipolitische und politisch-
ökonomische Salienz dieser Reformen beeinflusst parlamentarische Anpassungsbemühungen
jedoch nur am Rande. Es ist vielmehr so, dass neben bestehenden Haushaltsrechten auch in
früheren Jahren geschaffene europapolitische Kompetenzen, Parlamente dazu antreiben, ihre
Stellung in der Wirtschafts- und Währungsunion auszubauen oder zumindest zu behaupten.
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Darüber hinaus erschweren ebendiese europapolitischen Rechte einiger Parlamente eine
Einigung auf ein breites Mandat der neuen Artikel-13 Konferenz. Diese Erkenntnisse deuten
darauf hin, dass sich die Asymmetrie im parlamentarischen System der EU nicht nur vertieft,
sondern auch verfestigt, in dem Sinne, dass sie sich selbst reproduziert und durch wenig
volatile institutionelle Faktoren untermauert wird.
2. Europäische Integration und der Anpassungsdruck für nationale Parlamente
Mit dem Fortschreiten des EU-Integrationsprozesses haben nationale Parlamente sukzessive
ihre Strukturen und Arbeitsweise angepasst, um der zunehmenden Bedeutung europäischer
Entscheidungen auf die nationale Politik Rechnung zu tragen. Im Mittelpunkt standen hierbei
Strukturen und Instrumente, um nationale Regierungen in EU-bezogenen Fragen zu
kontrollieren: Neben Regelungen über den Zugang zu Informationen über politische
Vorhaben auf der EU-Ebene, galt es parlamentarische Strukturen anzupassen, wie bspw.
durch die Schaffung von EU-Ausschüssen, um diese Informationen zu verarbeiten und EU-
Entscheidungen zu überwachen. Darüber hinaus verfügen einige nationale Parlamente auch
über die Möglichkeit, die EU-Politik ihrer Regierungen direkt zu beeinflussen, indem
Parlamente Resolutionen verabschieden können, die die jeweiligen Regierungen dann bei EU-
Verhandlungen binden. Die Anpassungsleistungen nationaler Parlamente sind keinesfalls
gleichförmig – die Varianz zwischen starken und schwachen Strukturen parlamentarischer
Kontrolle ist erheblich (siehe u.a. Raunio 2005; Winzen 2012; Karlas 2012; Auel et al. 2015).
Bevor wir auf die Frage eingehen, wie diese Unterschiede zu erklären sind, müssen wir im
Folgenden unser Augenmerk auf die relevanten Veränderungen im EU-Integrationsprozess
richten, die infolge der Eurokrise nationale Parlamente unter Anpassungsdruck setzen.
Mit der Bearbeitung der Eurokrise ging eine Vielzahl von Reformen der Wirtschafts-
und Währungsunion einher, die zu einer Vertiefung der Integration in diesen Politikbereichen
führten und die teilweise im Rahmen des EU-Vertragsrechts, teilweise aber auch außerhalb
des EU-Rechtsrahmens, wie im Falle des ESM und des Fiskalpakts, realisiert wurden. Im
Folgenden werden wir uns mit drei zentralen Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion
auseinandersetzen, die die Befugnisse und Handlungsspielräume nationaler Parlamente vor
neue Herausforderungen gestellt haben bzw. stellen.
Als unmittelbare Reaktion auf die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands
beschlossen die Mitgliedstaten der Eurozone 2010 Griechenland Finanzhilfen bereitzustellen.
hrend die ursprüngliche Ausgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion
fiskalpolitische Befugnisse auf nationaler Ebene beließ, haben die massiven wirtschaftlichen
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Ungleichgewichte in der Eurozone dazu geführt, die in Art. 125 AEUV festgeschriebene
Nichtbeistands-Klausel aufzuweichen, um Griechenland und anderen von der Krise stark
betroffenen Euro-Mitgliedstaaten finanzielle Unterstützung durch hierfür eigens eingerichtete
finanziellen Stabilitätsmechanismen zu gewährleisten: Der 2012 eingeführte ESM soll
demnach die 2010 eingesetzten befristeten Stabilitätsmechanismen – EFSM und EFSF –
dauerhaft ersetzten. Der ESM verfügt über ca. 700 Milliarden Euro Stammkapital, der
Finanzierungsanteil der Bundesrepublik beläuft sich auf 190 Milliarden Euro. Die gewährten
Finanzhilfen, die eine Höhe von maximal 500 Milliarden Euro annehmen können, haben die
Form von Darlehen und sind durch finanzielle Garantien der Mitgliedstaaten abgesichert. Das
bedeutet, dass jeder Mitgliedstaat für den eigenen Anteil am ESM Stammkapital voll haftet.
Wird über Finanzhilfen für Euro-Mitgliedstaaten beschlossen wirft das die Frage auf, was
dies für die Haushaltsverantwortung nationaler Parlamente bedeutet. Auf die Implikationen
dieser Finanzhilfen für die Institution der parlamentarischen Demokratie hat das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum EFSF eindrucksvoll hingewiesen. So erklärte
das Bundesverfassungsgericht, dass der Deutsche Bundestag seiner haushaltspolitischen
Verantwortung nur dann effektiv nachkommen kann, wenn seine Einflussnahme auf
Entscheidungen zu finanziellen Festlegungen fortdauernd gesichert ist. So muss sowohl das
Plenum als auch der Haushaltsauschuss bei der Übernahme von finanziellen
Gewährleistungen seine Zustimmung erteilen (Callies 2012, S. 7).
Die zweite Reform, die den Handlungsspielraum nationaler Parlamente einzuengen
droht, hängt mit der Überarbeitung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
zusammen. Das sogenannte ES, dessen Einführung der Europäische Rat 2010 beschlossen
hat, ist ein Verfahren, wodurch die Haushaltspolitik und damit verbunden auch die
Wirtschafts- und Sozialpolitiken der EU-Mitgliedsstaaten koordiniert und überwacht werden.
Die Mitgliedstaaten sind angehalten, wirtschaftspolitische Leitlinien und länderspezifische
Empfehlungen, die der Europäische Rat aufgrund eines Kommissionsvorschlages beschließt,
bei der Ausarbeitung nationaler „Stabilitäts- und Konvergenzprogramme“ ebenso wie der
„Nationalen Reformprogramme“ zu berücksichtigen. Durch das ES sollen die Regelungen des
reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts vorbeugend umgesetzt bzw. kontrolliert werden
(und nicht erst, wie in der Vergangenheit, ex post). Aufgrund dieser vorbeugenden Kontrolle,
bedroht das ES den Handlungsspielraum nationaler Politik, da nationale Politikvorhaben auf
ihre Vereinbarkeit mit europäischen Zielen hin überprüft werden und notfalls auch auf
Drängen der Kommission und des Rates hin abgeändert werden müssen. Andererseits ist auch
zu bedenken, dass sich das ES im Graubereich zwischen harter und weicher europäischer
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Einflussnahme bewegt, da die Missachtung wirtschaftspolitischer Leitlinien und
länderspezifischer Empfehlungen nur dann Folgen nach sich zieht, wenn der Europäische Rat
entsprechende Verfahren und Sanktionen beschließt. In jedem Falle stellt sich auch die Frage,
wie eng nationale Parlamente in die Prozesse des ES mit eingebunden sind. Wie weiter unten
noch detailliert ausgeführt wird, fallen die länderspezifischen Beteiligungsrechte nationaler
Parlamente sehr verschieden aus.
Die dritte Reform, die wir in diesem Beitrag auf ihre Implikationen für nationale
Parlamente beleuchten, ist der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der
Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt), der 2012 unterzeichnet wurde und am
1.1.2013 in Kraft trat. Im Fiskalpakt verpflichten sich die 25 Unterzeichnerstaaten durch
nationale Reformanstrengungen und Haushaltsdisziplin die Kriterien des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes einzuhalten. Zu den Regelungen des Fiskalpaktes gehören u.a. die
verfassungsmäßige Verankerung einer „Schuldenbremse“ in den jeweiligen
Unterzeichnerstaaten, damit einhergehend die Förderung der Haushaltsdisziplin sowie die
Einführung niedrigerer Hürden zur Sanktionierung von übermäßigen Defizitsündern. Da der
Fiskalpakt in die Haushaltsverantwortung nationaler Parlamente eingreift und gleichsam
durch die geforderte wirtschaftspolitische Koordinierung politische Handlungsspielräume
einengt, stellt sich auch hier die Frage, welche Instrumente und Maßnahmen nationalen
Parlamenten zur Verfügung stehen, um ihre Kontroll- und Mitwirkungsaufgaben
wahrzunehmen. Hierzu erklärt Artikel 13 des Fiskalpakts, dass Vertreter nationaler
Parlamente sowie Vertreter des Europäischen Parlamentes aufgerufen sind, zur Beratung
haushalts- und wirtschaftspolitischer Fragen, die durch den Fiskalpakt aufgeworfen werfen,
eine inter-parlamentarische Konferenz ins Leben zu rufen (Artikel-13 Konferenz). Die
Ausgestaltung dieser inter-parlamentarischen Konferenz und deren Mandat sind zwischen den
Unterzeichnerstaaten nicht unumstritten. Ebenso bestehen mitunter erhebliche Differenzen
zwischen den Vorstellungen nationaler Parlamente und des Europäischen Parlaments über die
Befugnisse der beteiligten Akteure (Cooper 2014; Kreilinger 2013). Auf diese Unterschiede
und die diesen Differenzen zugrundeliegenden Ursachen wollen wir in den folgenden
Abschnitten eingehen.
3. Reaktionen nationaler Parlamente auf die Eurokrise
Wir beschreiben zunächst die unterschiedlichen Rechte, die Parlamente in ESM-
Angelegenheiten und im Rahmen des ES genießen, sowie die unterschiedlichen
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parlamentarischen Vorstellungen zur Ausgestaltung der Artikel-13 Konferenz.1 Wir
konzentrieren uns hier auf Rechte mit direktem ESM- und ES-Bezug. Informelles
parlamentarisches Verhalten sowie Parlamentsrechte, die sich indirekt aus bestehenden
Regeln und Gesetzen ergeben, erfassen wir nicht. Des Weiteren analysieren wir nur
parlamentarische Unterhäuser wie beispielsweise den Bundestag, den österreichischen
Nationalrat oder das britische House of Commons.
Tabelle 1. Klassifizierung parlamentarischer Rechte und Reformen
ESM: Zustimmungsrechte
ESM: Informationsrechte
Europäisches Semester
0
Keine Rechte
Das Abstimmungsverhalten
der Regierung bei ESM-
Entscheidungen unterliegt
keiner parlamentarischen
Zustimmungspflicht.
Keine Rechte
Das Parlament hat keine
ESM-spezifischen
Informationsrechte oder
erhält nur seltene
Regierungsberichte (viertel-,
halb-, oder jährlich).
Keine Reformen
Keine neuen Rechte oder
Verfahren, die das
Parlament am Ablauf des
ES beteiligen.
1
Partielle Rechte
Bei einer Teilmenge
wichtiger ESM-
Entscheidungen* benötigt
die Regierung vorab die
Zustimmung des
Parlaments, oder das
Parlament genießt
anderweitige, begrenzte
Beteiligungsrechte (z.B.
eine Ausschussdiskussion
mit der Regierung über
deren
Abstimmungsabsichten).
Allgemeine Rechte
Die Regierung berichtet
regelmäßig über ESM-
Angelegenheiten und –
Unterlagen. Ausmaß und
Zeitpunkt der
Berichtspflichten sind nicht
näher spezifiziert, bzw. das
Parlament erhält zusätzliche
Informationen nur auf
Eigeninitiative.
Moderate Reformen
Beteiligungsrechte des
Parlaments an einigen
wichtigen Schritten des ES.
Typischerweise erhält das
Parlament die Stabilitäts- /
Konvergenzprogramme und
nationalen
Reformprogramme
zumindest zur gleichen Zeit
wie die EU Institutionen.
2
Weitreichende Rechte
Die Regierung benötigt die
Weitreichende Rechte
Die Regierung ist zu einer
Weitergehende Reformen
Parlamentsrechte, die über
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1 Unsere Datenerhebung basiert auf Informationen, die Mitte Juli 2014 öffentlich verfügbar waren. Etwaige
spätere Reformen erfassen wir nicht.
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Zustimmung des Parlaments
bei allen wichtigen ESM-
Entscheidungen*.
umfassenden und
unverzüglichen
Berichterstattung in allen
ESM-Angelegenheiten
verpflichtet.
die Anerkennung einzelner
Phasen des ES hinausgehen,
wie zusätzliche
Berichtspflichten der
Regierung oder Beteiligung
an der Erstellung wichtiger
Dokumente.
Anmerkung: *Wichtige Entscheidungen betreffen insbesondere: neue Hilfsprogramme, neue
“memoranda of understanding”, Hilfstranchen bestehender Hilfsprogramme, die Wahl und
Abänderung der Instrumente bestehender Hilfsprogramme, die Abrufung genehmigten
Kapitals. Rechte bezüglich der Ratifizierung von Veränderungen des ESM-Vertrages (z.B.
der Gesamtkapitalausstattung) sind nicht berücksichtigt.
Wir klassifizieren parlamentarische Rechte und Reformen mit ESM- und ES-Bezug
anhand des Schemas in Tabelle 1. Wir unterscheiden drei Stufen parlamentarischer
Anpassung: (0) keine, (1) partielle oder moderate und (2) weitreichende Anpassung an die
neuentstandenen europäischen Prozesse. Eine feingliedrigere Klassifizierung erscheint uns,
angesichts der schwierigen Datenlage sowie der Notwendigkeit europaweite Vergleiche zu
ziehen, nicht empfehlenswert. Andererseits würde eine nur dichotome Differenzierung den
unterschiedlich starken parlamentarischen Reformanstrengungen nicht ausreichend gerecht.2
Abbildung 1: Parlamentsrechte in ESM-Angelegenheiten
Anmerkung: Kodierung siehe Tabelle 1. Es fehlen: Lettland (ESM-Gesetzgebungsverfahren
noch nicht abgeschlossen) und Litauen (Euroeinführung ab 1.1.2015). Quellen: siehe Anhang.
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2 Detaillierte Informationen zu den Quellen, die den in der Folge präsentierten Daten zugrunde liegen, stellen wir
in einem Online Appendix auf der PVS-Webseite zur Verfügung.
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Deutschland!
Österreich!
Estland!
Niederlande!
Luxemburg!
Italien!
Portugal!
Belgien!
Finnland!
Frankreich!
Griechenland!
Irland!
Malta!
Slowakei!
Slowenien!
Spanien!
Zypern!
Zustimmung! Information!
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Im Rahmen des ESM-Vertrages stehen die Parlamente der Mitgliedstaaten vor zwei
Herausforderungen. Zum einen gilt es eine parlamentarische Beteiligung bei wichtigen
Entscheidungen zu sichern, beispielsweise wenn Hilfsprogramme für Vertragsteilnehmer oder
die Fortführung von Finanzhilfen für Hilfsempfänger beschlossen werden. Einige Mitglieder
der Eurozone sichern parlamentarische Rechte, indem sie Regierungen verpflichten vor
Abstimmungen in den Entscheidungsgremien des ESM eine parlamentarische Zustimmung
einzuholen. Wie Abbildung 1 zeigt, ist diese Praxis allerdings nicht weit verbreitet.
Zustimmungsrechte finden sich nur in Deutschland, Österreich und Estland sowie teilweise in
den Niederlanden und Luxemburg. Das deutsche ESM-Finanzierungsgesetz verlangt als
Grundlage für die Zustimmung der Bundesregierung zu einer ESM-Entscheidung einen
positiven Parlamentsbeschluss.3 In den Niederlanden haben Parlament und Regierung eine
Vereinbarung getroffen, dass vor ESM-Entscheidungen eine Diskussion zur
Regierungsposition stattfindet, jedoch ohne ein bindendes Parlamentsvotum. Außerdem ist
eine parlamentarische Zustimmung für Zahlungen von genehmigten, noch nicht eingezahlten
Kapitals verpflichtend.4
Neben der Wahrung von Entscheidungskompetenzen, stehen Parlamente auch vor der
Herausforderung, sich einen gesicherten Zugang zu Informationen zu ESM-
Beratungsvorgängen und Unterlagen zu schaffen. Ein geregelter Informationsfluss ist nicht
nur eine wichtige Grundlage für eine effektive sowie sachlich fundierte Ausübung
parlamentarischer Zustimmungsrechte, sondern auch notwendig für die politische Bewertung
des Verhaltens der Regierung auf europäischer Ebene durch die Parlamentsparteien. Auch
hier sehen wir allerdings, dass weniger als die Hälfte der Eurozonen-Parlamente
nennenswerte Informationsrechte genießt. Nur der Bundestag, der österreichische Nationalrat
und die niederländische Tweede Kamer haben weitreichende Rechte. Während die Parlamente
Estlands, Luxemburgs, Italiens und Portugals mit Abstrichen folgen, finden wir darüber
hinaus keine Informationsrechte.
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3 Siehe Bundesgesetzblatt Jahrgang 2012 Teil I Nr. 43, Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz ESMFinG), vom 13. September 2012, Paragraphen 4-6.
4 Siehe Kamerstuk 21501-07, Nr. 942, Brief van de Minister van Financiën, vom 13. September 2012.!
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11!
Abbildung 2: Parlamentarische Anpassung an das Europäische Semester
Anmerkung: Kodierung siehe Tabelle 1. Quellen: siehe Anhang.
Wie Abbildung 2 zeigt, präsentiert sich im Falle des ES dahingehend ein ähnliches Bild, als
dass nur eine Minderheit der mitgliedstaatlichen Parlamente Anpassungen an die neuen
wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierungsverfahren vorgenommen hat. Dänemark
beispielsweise spiegelt das ES mittels eines sogenannten „nationalen Semesters“, indem
parallel zu wichtigen europäischen Vorgängen nationale Parlaments-Regierungsberatungen
stattfinden.5 Wir beobachten allerdings auch, dass die Gruppe der Parlamente, die
Anpassungen an das ES vornimmt, nur begrenzt mit den ESM-Vorreitern übereinstimmt.
Einzig die Parlamente Österreichs, Italiens und Portugals haben auf ESM und ES reagiert. Es
drängt sich hier die Vermutung auf, dass ESM- und ES-bezogene Reformen unterschiedlicher
Erklärungen bedürfen.
Die Einrichtung der im Fiskalpakt vorgesehenen Artikel-13 Konferenz gestaltete sich
kontrovers, was in erster Linie an unterschiedlichen Vorstellungen nationaler Parlamentarier
über die Ausgestaltung und das Mandat der geplanten inter-parlamentarischen Konferenz lag.
Während sich kein Parlament dezidiert gegen die Einführung der Artikel-13 Konferenz
aussprach und auch kein Parlament substanzielle Entscheidungsbefugnisse einforderte,
entspann sich zwischen den Parlamentsvertretern eine Kontroverse über folgende Fragen:
Erstens, soll das Mandat der Versammlung eng oder weit gefasst werden? Zweitens, soll die
Artikel-13 Konferenz auf der Grundlage bestehender Strukturen agieren oder einen eigenen
organisatorischen Unterbau erhalten? Während eine Gruppe von Staaten, hierzu zählten in
erster Linie die baltischen, nordischen und einige mittel- und osteuropäische Mitgliedsstaaten,
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
5 Siehe Parliamentary Report No. 5, Consideration of the European Semester by the Danish Parliament, 21 June
2013.
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Frankreich!
Italien!
Litauen!
Portugal!
Bulgarien!
Lettland!
Österreich!
Spanien!
Belgien!
Deutschland!
Estland!
Finnland!
Griechenland!
Grossbritannien!
Irland!
Luxemburg!
Malta!
Niederlande!
Polen!
Rumänien!
Schweden!
Slowakei!
Slowenien!
Tschechische!Rep.!
Ungarn!
Zypern!
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sich explizit gegen eine Erweiterung bestehender Strukturen inter-parlamentarischer
Kooperation aussprachen, befürworteten die EWG-Gründungsmitglieder eine neue inter-
parlamentarische Versammlung, die dem Modell der inter-parlamentarischen Versammlung
für Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nachempfunden werden und dessen Mandat
u.a. auf Fragen des ES erstrecken solle.
Abbildung 3: Parlamentarische Präferenzen zur Artikel-13 Konferenz
Anmerkung: 1: starke Konferenz; 2: schwache Konferenz. Es fehlen Bulgarien und
Griechenland (keine Informationen verfügbar). Quellen: siehe Anhang.
4. Institutionelle Anpassung nationaler Parlamente: Erklärungsmuster
Welche Erklärungsangebote stehen zur Verfügung, um die oben beschriebenen Unterschiede
parlamentarischer Anpassungsmaßnahmen zu erklären? Im Folgenden gehen wir auf die
zentralen, in der Literatur zur Anpassung nationaler Parlamente an die EU Integration
diskutierten Argumente ein und leiten daraus eine Reihe von Hypothesen ab, bevor diese
Hypothesen im folgenden Abschnitt einer empirischen Überprüfung unterzogen werden.
Ausgangspunkt aller Überlegungen nach den Gründen für institutionelle Anpassungen ist die
Frage, wann bzw. unter welchen Bedingungen nationale Parlamente danach streben, ihre
Kontrollbefugnisse in EU-Angelegenheiten auszuweiten oder – trotz veränderter
Rahmenbedingungen – den Status Quo zu präferieren. Die bestehende Literatur geht von der
Beobachtung aus, dass Schritte zur Vertiefung der europäischen Integration Folgekonflikte
über die Verteilung von Kompetenzen auslösen (Rittberger u. Schimmelfennig 2006;
Schimmelfennig 2010). Relevante institutionelle und parteipolitische Akteure beteiligen sich
an diesen Konflikten zum einen mit dem Ziel, ihre Einflussmöglichkeiten auf zukünftige
politische Entscheidungen zu sichern oder auszubauen; zum anderen reflektieren die
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Belgien!
Deutschland!
Frankreich!
Italien!
Luxemburg!
Malta!
Niederlande!
Österreich!
Polen!
Portugal!
Tschechische!Rep.!
Zypern!
Dänemark!
Estland!
Finnland!
Grossbritannien!
Irland!
Lettland!
Litauen!
Rumänien!
Schweden!
Slowakei!
Slowenien!
Spanien!
Ungarn!
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angesprochenen Kompetenzkonflikte aber auch divergierende institutionell- und ideologisch-
bedingte Präferenzen über die Verfassungsordnung des europäischen Mehrebenensystems
(Jachtenfuchs et al. 1998).
Im Zuge von Konflikten über die institutionelle Ausgestaltung der europäischen
Integration haben insbesondere Parlamentarier immer wieder die Wahrung parlamentarischer
Rechte auf nationaler und europäischer Ebene gefordert (Rittberger 2005). Diese Forderungen
haben auch regelmäßig die Unterstützung einiger Regierungen gefunden, obwohl gerade die
Frage der Rolle des EP Kontroversen zwischen Regierungen aus europafreundlichen und -
kritischen Parteien hervorgerufen hat (Rittberger 2005; Jachtenfuchs et al. 1998; Hooghe et al.
2002; Winzen et al. 2015). Auf nationaler Ebene reagieren Parlamentarier auf die Vertiefung
der europäischen Integration, indem sie formale Informations- und Beteiligungsrechte
verankern (Raunio u. Hix 2000; Winzen 2013). Bemerkenswert ist hier, dass Regierungen
diesem Bestreben in der Regel nicht im Wege stehen, obwohl es auch Anzeichen gibt, dass
Regierungsmitglieder und -parteien bemüht sind, sicherzustellen, dass Parlamentsrechte die
Handlungsfähigkeit der Exekutive in europäischen Entscheidungsprozessen nicht zu stark
belasten (Auel u. Benz 2005).
Im Folgenden präsentieren wir drei Erklärungsmuster, die uns darüber Aufschluss
geben sollen, wie anpassungsfreudig nationale Parlamente gegenüber den institutionellen
Neuerungen der reformierten Wirtschafts- und Währungsunion sind. Ausgehend von der
Literatur zur Anpassung nationaler Parlamente an die fortschreitende Vertiefung der EU
formulieren wir Hypothesen zur Entstehung parlamentarischer Rechte in der reformierten
Wirtschafts- und Währungsunion, mit Blick auf die Anpassungen an den ESM-Vertrag, das
Europäische Semester und die Artikel 13-Konferenz.
Bestehende parlamentarische Kompetenzen
Ein in der Literatur weit verbreitetes Argument lautet, dass das Ausmaß parlamentarischer
Kontrolle in EU-Angelegenheiten maßgeblich von der Stärke des Parlamentes im nationalen
politischen System abhängt, wobei sich die Stärke eines Parlaments u.a. an der Bedeutung des
Ausschusswesens sowie der Ausübung der Agenda-Kontrolle bemisst (Dimitrakopoulos
2001; Raunio 2005; Karlas 2012). So kann angenommen werden, dass nationale Parlamente
potenzielle Reformen parlamentarischer Kontrollmechanismen in EU-Angelegenheiten vor
dem Hintergrund bereits bestehender europapolitischer Kompetenzen in Erwägung ziehen. Es
ist einerseits denkbar, dass starke bestehende Kompetenzen den Reformdruck für nationale
Parlamente senken, da die neu entstehenden europäischen Strukturen mittels existierender
!
14!
Verfahren kontrolliert werden können. So berichtet beispielsweise das finnische Parlament,
dass es bestehende Rechte unverändert auch auf das ES anwendet (COSAC 2013, Annex S.
130-1). Andererseits ist es auch möglich, dass Parlamente mit starken Kontrollbefugnissen
sich veranlasst sehen, diese auch explizit an neue Institutionen wie den ESM und das ES
anzupassen. Dem liegt eine „Kompensationslogik“ zugrunde (Winzen 2013): In Systemen mit
starken Parlamenten verlangen Parlamentarier auch starke EU-Kontrollbefugnisse, da sie
durch die zunehmende Vertiefung der Integration und den damit verbundenen Einflussverlust
auf die Politikformulierung mehr zu verlieren haben als Parlamentarier in bereits schwachen
Parlamenten. Daher kann erwartet werden, dass Parlamentarier aus starken Parlamenten eher
für Einflussverlust durch gestärkte Kontrollbefugnisse gegenüber ihren Regierungen
kompensiert werden möchten als Parlamentarier aus Systemen mit schwachen Parlamenten.
Aus diesen allgemeinen Überlegungen können wir nun spezifische Hypothesen zur
parlamentarischen Anpassung an den ESM-Vertrag, das ES und die Artikel-13 Konferenz
entwickeln. Es wird häufig vermutet, dass das Haushaltsrecht – das „Königsrecht“ unter den
parlamentarischen Rechten – in allen parlamentarischen Demokratien gleichsam tief
verankert ist. In der Realität gibt es jedoch signifikante Unterschiede zwischen den
Mitgliedstaaten der EU (und darüber hinaus) (Wehner 2006). Parlamente, die starke
haushaltspolitische Rechte genießen, werden eher versuchen, diese über den Ausbau
europapolitischer Rechte abzusichern, als Parlamente, denen in Haushaltsentscheiden ohnehin
nur eine schwache Rolle zukommt. Auch vermuten wir, dass haushaltspolitisch starke
Parlamente in der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft unter Druck geraten, eine schleichende
Aufweichung demokratischer Entscheidungsprinzipien abzuwenden. Hinsichtlich des ESM-
Vertrags und der Kreditgarantien, zu denen sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben, stehen
in erster Linie die haushaltspolitischen Befugnisse nationaler Parlamente im Fokus der
Aufmerksamkeit nationaler Parlamentarier. Ausgehend von der oben beschriebenen
Kompensationslogik gehen wir davon aus, dass der Anpassungsdruck im Rahmen des ESM-
Vertrages in denjenigen Ländern, in denen Parlamente über stark ausgeprägte
haushaltspolitische Kompetenzen verfügen, besonders ausgeprägt ist. Analog kann erwartet
werden, dass die drohende Beschneidung nationaler Parlamentsrechte durch die Einführung
des ES insbesondere in Ländern mit starken Parlamenten zu ebenso starken Reaktionen
führen wird, indem auf eine Anpassung der parlamentarischen Befugnisse hin zu mehr
Beteiligungsrechten gedrängt wird. In diesem Zusammenhang können wir erwarten, dass die
Kompensationslogik sowohl für haushaltspolitische Befugnisse als auch für die bestehenden
europapolitischen Kompetenzen nationaler Parlamente Gültigkeit besitzt: Starke Parlamente,
!
15!
die demnach über nennenswerte Kontrollbefugnisse in europapolitischen Fragen verfügen,
sollten tendenziell auch weitreichende Rechte im Kontext des ESM und ES genießen.
H1: Parlamentarische Rechte im Rahmen des ESM und ES sind dort stark (/schwach)
ausgeprägt, wo Parlamente starke (/schwache) haushalts- und europapolitische
Kompetenzen besitzen.
Das Niveau bestehender parlamentarischer Kontrollbefugnisse in EU-Angelegenheiten sollte
sich auch auf den Stellenwert auswirken, den nationale Parlamente transnationaler inter-
parlamentarischer Zusammenarbeit im Rahmen der Artikel-13 Konferenz beimessen. Für
Parlamente, die bereits weitreichende Kontrollbefugnisse auf nationaler Ebene besitzen, fällt
der Zusatznutzen transnationaler, inter-parlamentarischer Kooperation zur Beschaffung von
Informationen zu EU-Vorhaben eher gering aus. Dementsprechend erwarten wir von starken
Parlamenten, dass sie der Einrichtung zusätzlicher oder der Stärkung bestehender Foren inter-
parlamentarischer Kooperation eher skeptisch gegenüber eingestellt sind. Institutionelle
Innovationen, wie die Artikel-13 Konferenz, sollten daher insbesondere von nationalen
Parlamenten begrüßt werden, die über geringe Kontrollbefugnisse auf nationaler Ebene
verfügen.
H2: Die Befürwortung einer starken Artikel-13 Konferenz ist dort besonders stark
(/schwach) ausgeprägt, wo Parlamente über geringe (/ausgeprägte) europapolitische
Kontrollbefugnisse auf nationaler Ebene verfügen.
Salienz des Integrationsprozesses
In der Literatur besteht ein breiter Konsens, dass durch die Verlagerung von
Entscheidungsbefugnissen auf die supranationale Ebene, der Integrationsprozess für nationale
Parlamente an Salienz gewinnt und daher auch Forderungen nach einer Ausweitung der
Kontrollbefugnisse nationaler Parlamente in EU-Angelegenheiten nach sich zieht (Norton
1995; Raunio 1999; Martin 2000; Raunio u. Hix 2000; Winzen 2013). Mit zunehmender
Bedeutung der EU-Ebene für die Politikformulierung steigt gleichsam die
Wahrscheinlichkeit, dass die Zeit des „permissiven Konsens“ einer zunehmenden
„Politisierungder EU weicht (Kriesi et al. 2008; Hooghe u. Marks 2008; De Wilde u. Zürn
2012). Politisierung impliziert, dass der EU-Integrationsprozess und zunehmend in der
Öffentlichkeit wahrgenommen wird, zur Mobilisierung politischer Akteure – Parteien,
!
16!
Interessengruppen, sozialer Bewegungen – beiträgt und, dass über dessen Auswirkungen
kontrovers diskutiert wird (De Wilde u. Zürn 2012). Eine zunehmende Politisierung von EU
Politik kann wiederum nationale Parlamentarier nicht gleichgültig lassen. EU-Themen, die in
der Öffentlichkeit hohe Aufmerksamkeit genießen und gleichsam in hohem Maße umstritten
sind, werden somit integraler Bestandteil von Auseinandersetzungen um Politikinhalte und
Wählerstimmen.
Die institutionellen Reformen im Zuge der Eurokrise in den Blick nehmend erwarten
wir, dass nationale Parlamente unter besonderem Reformdruck und bestehende
Kontrollinstitutionen unter Anpassungsdruck stehen, wenn finanzielle Transferleistungen, die
im Rahmen des ESM anfallen können, in der Öffentlichkeit stark umstritten sind. Unter
diesen Umständen ist es denkbar, dass Entscheidungen auf ESM-Ebene auch wahlpolitische
Relevanz entfalten. In diesem Falle sollten selbst Parlamentarier des Regierungslagers geneigt
sein, Druck auf die Regierung auszuüben, in relevante Entscheidungen eingebunden zu
werden und diese Einbindung auch formal abzusichern. Auch kann die Schaffung
parlamentarischer Rechte Teil einer Strategie der Parlamentsparteien sein, die Ratifizierung
des ESM-Vertrages gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit zu rechtfertigen.
H3: Parlamentarische Rechte im Rahmen des ESM sind dort stark (/schwach)
ausgeprägt, wo finanzielle Transferleistungen in andere Mitgliedstaaten in der
Öffentlichkeit umstritten (/unumstritten) sind.6
Die zunehmende Salienz des EU-Integrationsprozesses befeuert nicht nur dessen
Politisierung, sie führt gleichwohl zu einer Intensivierung der Debatte über die demokratische
Legitimität der EU. So geht mit jedem neuen Integrationsschritt die Frage einher, wie der
Einflussverlust nationaler Parlamente zu kompensieren sei, um die Legitimitätslücke zu
schließen, die mit der Schwächung nationaler Parlamente einhergeht (Rittberger 2005;
Schimmelfennig 2010). Während für die einen der Schlüssel zur Behebung der
Legitimitätslücke in der Ausweitung der Befugnisse des EP liegt, argumentieren andere, dass
die demokratische Legitimierung von EU-Politik nur im Rahmen des Nationalstaates erfolgen
kann bzw. muss. So zeigt uns die Forschungsliteratur, dass politische Parteien die
legitimationsstiftende Rolle des EP unterschiedlich bewerten. Es wird argumentiert, dass
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
6 Während Hypothese 3 grundsätzlich auch auf das ES anwendbar sein sollte, bezweifeln wir, dass die
wirtschafts- und haushaltspolitische Koordinierung im Rahmen des ES in der breiten Öffentlichkeit
wahrgenommen wird. Des Weiteren sind nicht der EU-Haushalt und etwaige Transferleistungen, sondern
nationale Haushalts- und Wirtschaftspolitik im Fokus des ES. Hypothese 3 hat daher vermutlich keine
Erklärungskraft für parlamentarische Reformbemühen im Rahmen des ES.
!
17!
politische Parteien sich darin unterscheiden, welches Potential sie dem EP bei der
Legitimierung europäischer Politik zuschreiben. Diese Zuschreibungen beruhen wiederum auf
unterschiedlichen Vorstellungen darüber, inwiefern Politik in einem den Nationalstaat
transzendierenden Mehrebenensystem demokratisch bzw. mittels repräsentativer Institutionen
legitimiert werden kann (Jachtenfuchs et al. 1998; Rittberger 2005; Winzen et al. 2015)
machen die Unterstützung politischer Parteien für das EP daran fest, ob politische Parteien
kulturell eher liberal oder konservativ eingestellt sind: Kulturell-liberale Parteien neigen eher
dazu, ein positives Bild vom EP im EU-Integrationsprozess zu zeichnen, während kulturell-
konservative Parteien die Rolle des EP bei der Legitimierung von EU-Politik eher skeptisch
betrachten.
Für unsere Analyse folgt hieraus, dass politische Parteien, die über eine positive
Einschätzung der Rolle des EP im Integrationsprozess verfügen, transnationaler inter-
parlamentarischer Kooperation unter Einbezug des EP positiv gegenüber stehen sollten.
Konkret sollten diese Parteien der Artikel-13 Konferenz eine stärkere Bedeutung zumessen
als Parteien, die das EP mit Skepsis betrachten. Erstere sehen kein Problem darin, dass
europäische Politik sowohl auf nationaler Ebene (durch nationale Parlamente) als auch auf
supranationaler Ebene (durch das EP) legitimiert wird; letztere bestreiten mitunter, dass das
EP eine eigenständige Legitimationsquelle für europäische Politik darstellt.
H4: Die Befürwortung einer starken Artikel-13 Konferenz ist dort besonders stark
(/schwach) ausgeprägt, wo politische Parteien dem EP gegenüber eher positiv
(/negativ) eingestellt sind.
Politisch-ökonomische Faktoren
Zuletzt lenken wir den Blick auf polit-ökonomische Faktoren zur Erklärung der
Anpassungsbestrebungen nationaler Parlamente. Im Mittelpunkt dieses Erklärungsstrangs
steht die Annahme, dass die institutionellen Reformen, die im Zuge der Eurokrise realisiert
wurden, redistributive Effekte aufweisen, die nationale Parlamente bzw. Parlamentarier aus
policy-orientierten oder wahltaktischen Überlegungen nicht ignorieren können. Beginnen wir
mit der haushaltspolitischen Relevanz und Funktionsweise des ESM. Wir vermuten, dass
Parlamente, die ohnehin schon regelmäßige Netto-Finanzabflüsse an den EU-Haushalt zu
verzeichnen haben, besonders geneigt sind, Kontrollbefugnisse in ESM-Angelegenheiten zu
schaffen. Zum einen haben die Beitragszahlungen zum EU-Haushalt in einigen Ländern,
beispielsweise in den Niederlanden oder in Österreich, in der jüngeren Vergangenheit zu
!
18!
Kontroversen geführt. Somit ist anzunehmen, dass EU-Entscheidungen mit
haushaltspolitischer Relevanz dort besonders kritisch betrachtet werden. Zum anderen müssen
die Parlamentarier der Nettobeitragszahler auch befürchten, dass ihre Länder aufgrund ihrer
vergleichsweise höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei zukünftigen
Hilfsprogrammen besonders große Lasten werden tragen müssen.
H5: Parlamentarische Rechte im Rahmen des ESM sind dort stark (/schwach)
ausgeprägt, wo Mitgliedstaaten Nettozahlungen an den EU-Haushalt entrichten (/aus
dem EU-Haushalt erhalten).
Doch auch Parlamente in wirtschaftlich schwächeren Ländern stehen unter Anpassungsdruck.
So kann erwartet werden, dass in Ländern mit hohem öffentlichen Schuldenstand auch der
Druck auf die nationale Wirtschafts- und Haushaltspolitik, Anpassungsmaßnahmen im
Rahmen des ES durchzuführen, besonders ausgeprägt ist. Da es wahrscheinlicher ist, dass der
Europäische Rat Sanktionsverfahren für Länder einleitet, in denen nennenswerte
makroökonomische Ungleichgewichte oder hohe öffentliche Schulden bestehen, erwarten wir
hier auch stärkere parlamentarische Reformbemühungen. Da uns kein gängiges Maß für die
Existenz makroökonomischer Ungleichgewichte bekannt ist, konzentriert sich unsere
Hypothese auf den Schuldenstand.
H6: Parlamentarische Rechte im Rahmen des ES sind dort stark (/schwach)
ausgeprägt, wo die Schulden der öffentlichen Haushalte hoch (/niedrig) sind.
5. Daten und deskriptive Analysen
Aus Platzgründen können wir an dieser Stelle nur kurz auf unsere Daten eingehen. Die Werte
aller Variablen, die wir in der folgenden Analyse verwenden, sind im Anhang einsehbar
(Tabelle A1). Zur Operationalisierung bestehender europapolitischer Kontrollbefugnisse der
mitgliedstaatlichen Parlamente, nutzen wir den Index von Winzen (2012).
Haushaltspolitische Rechte nationaler Parlamente werden operationalisiert, indem wir auf den
Index von Wehner (2006) zurückgreifen. Wir nutzen die Eurobarometer-Umfragen 74.1
(August/September 2010) und 76.1 (September 2011), um die öffentliche Polarisierung von
Finanzhilfen zu operationalisieren.7 Die Beiträge eines Mitgliedstaates an den EU Haushalt
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
7 Dort wird gefragt: To what extent [do] you agree or disagree with the following statement: In times of crisis, it
is desirable for (OUR COUNTRY) to give financial help to another EU Member State facing severe economic
!
19!
entnehmen wir dem European Commission Financial Report 2012. Die Verschuldung eines
Landes finden wir in der EUROSTAT-Datenbank unter dem Titel „Consolidated Government
Gross Debt (% of GDP) in 2010“.
Um die Unterstützung der Parlamentsparteien für das EP zu messen, identifizieren
wir zunächst mithilfe der Parlgov-Datenbank (Döring u. Manow 2011), welche Parteien
Anfang 2013 in den Parlamenten der Mitgliedstaaten zu finden waren.8 Wir wählen diesen
Zeitpunkt, da unsere Quellen zu parlamentarischen Präferenzen und zur Artikel-13 Konferenz
aus der ersten Jahreshälfte 2013 stammen. Wir nutzen dann die Chapel Hill Expertenumfrage
aus dem Jahr 2010, um die Positionen dieser Parteien zum EP zu messen (Bakker et al. 2012).
Experten schätzen in dieser Umfrage die „position of the party leadership in 2010 on the
powers of the European Parliament“ auf einer Skala von 1 (“strongly opposes”) bis 7
(“strongly favors”). Auf dieser Grundlage bilden wir einen nach Sitzen gewichteten
Durchschnitt der Positionen aller Parlamentsparteien. Wir haben dies ebenfalls nur für die
jeweiligen Regierungsmehrheiten getan, mit der Erkenntnis, dass Parlaments- und
Regierungsparteien sehr ähnliche Positionen vertreten (Korrelation: r=.89).
Ein erster Blick auf die Beziehungen zwischen unseren Variablen legt einen
Zusammenhang zwischen bestehenden haushalts- und europapolitischen Parlamentsrechten
und parlamentarischer Anpassung an die neuen Institutionen der Wirtschafts- und
Währungsunion nahe. Abbildung 4 zeigt, dass nur Parlamente mit ausgeprägten
Haushaltsrechten Zustimmungsrechte im Rahmen des ESM-Vertrags schaffen konnten.
Gleiches gilt für starke Informationsrechte. Jedoch lässt sich kein Zusammenhang zwischen
der parlamentarischen Einbindung in den nationalen Haushaltsprozess und
Anpassungsbemühungen an das ES oder Reformpräferenzen bezüglich der Artikel-13
Konferenz erkennen. Wenden wir uns nun den bestehenden europapolitischen Kompetenzen
nationaler Parlamente zu, so sehen wir, dass gerade solche Parlamente, die bereits
nennenswerte Kontrollbefugnisse haben, tendenziell auch Zustimmungs- und
Informationsrechte im ESM genießen. Die Beziehungen sind hier allerdings weniger klar als
im Fall der Haushaltsrechte. Zuletzt zeigt sich, dass europapolitisch starke Parlamente dazu
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
and financial difficulties? Wir messen die Distanz zwischen dem Anteil an Befürwortern (“Totally agree“ und
Tend to agree“) und Gegnern („Tend to disagree“ und „Totally disagree“) jeweils für die 2010 und 2011
Umfrage und verwenden den Durchschnitt dieser beiden Umfragen. Geringe Werte dieser Variable bedeuten
eine hohe Polarisierung (d.h. ähnlich viele Befürworter und Gegner). In der Regel geben weniger als zehn
Prozent der Befragten pro Land „don’t know“ als Antwort. In der 2011 Umfrage gibt es aber wenige Länder mit
mehr als zehn oder sogar 20 Prozent. Insgesamt aber scheint es vertretbar, die „don’t know“ Kategorie in unserer
Operationalisierung zu übergehen
8 Genau genommen verwenden wir die letzte Parlamentszusammensetzung, die Parlgov vor Ende Januar 2013
führt.!!
!
20!
neigen, ein breites Mandat der „Artikel-13 Konferenz“ abzulehnen.9 Parlamente,
beispielsweise in Finnland oder Dänemark, die in die Europapolitik ihrer Länder eng
eingebunden sind, stehen einer neuen inter-parlamentarischen Konferenz auf europäischer
Ebene skeptisch gegenüber. Ein Zusammenhang zwischen bestehenden europapolitischen
Kompetenzen und parlamentarischer Anpassung an das ES ist nicht ersichtlich. Diese ersten
Befunde stützen die Hypothesen 1 und 2, die die Reformbemühungen und –präferenzen
nationaler Parlamente mit Hinweis auf bestehende Institutionen erklären.
Mit Blick auf die verbleibenden Hypothesen, lassen sich weitere, wenn auch teils
weniger klare, Tendenzen erkennen, die wir aus Platzgründen nicht zeigen (Schaubilder aller
bivariaten Beziehungen befinden sich im Anhang: Abbildung A1 bis Abbildung A7). Im
Einklang mit Hypothese 3 neigen Parlamente in Ländern, in denen intra-europäische
Finanztransfers stark umstritten sind, zur Schaffung von Beteiligungsrechten am ESM, nicht
aber am ES. Gleiches gilt für Parlamente, die Nettofinanzabflüsse an den EU-Haushalt zu
verzeichnen haben (Hypothese 5). Auch parlamentarische Präferenzen zur Artikel-13
Konferenz werden durch politisch-ökonomische Faktoren beeinflusst. Nachfrage nach einem
starken Mandat für diese neue Form der inter-parlamentarischen Kooperation besteht
tendenziell vor allem in Ländern mit hohen Schulden und Nettofinanzabflüssen an den EU
Haushalt. So sind beispielsweise Mitgliedstaaten, deren Parlamente für eine schwache
Konferenz plädieren, im Schnitt mit nur 49.5 Prozent ihres BIP verschuldet. In Staaten, deren
Parlamente eine starke Konferenz unterstützen, sind es 70.9 Prozent des BIP.10
Nach einer ersten deskriptiven Untersuchung lässt sich zusammenfassend sagen, dass
parlamentarische Reformen und Reformpräferenzen vor allem als Ergebnis bestehender
haushalts- und europapolitischer Rechte verstanden werden können. Allerdings ist aufgrund
der Daten auch ein Einfluss der Salienz der Integration und der politischen Ökonomie der EU
nicht auszuschließen. Keine unserer Hypothesen scheint parlamentarische
Anpassungsbemühungen an das ES zu erklären.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
9 Der Unterschied in der Ausprägung bestehender Kontrollbefugnisse zwischen Befürwortern einer starken bzw.
einer schwachen Artikel-13 Konferenz ist auch statistisch signifikant (p=.01).
10 Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (p<.05).
!
21!
Abbildung 4: Bestehende Institutionen und parlamentarische Anpassung
!
Haushaltsrechte
ESM Zustimmungsrechte
Europapolitische Kontrollbefugnisse
ESM Informationsrechte
Europäisches Semester
“Artikel-13 Konferenz”
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2CD 3 3CD 4 4CD
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2CD 3 3CD 4 4CD
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AT
BE
CZ DE
DK
EL
ES
FI
FR
HU
IE
IT
NL
PT
SE
SI
SK
UK
0 1 2
Anpassung:
ES
20 30 40 50 60 70
Index:
Haushaltsrechte
!"
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FI
FR
HU
IE
IT NL
PT
SE
SI
SKUK
Schwach Stark
Artikel<13
Konferenz
20 30 40 50 60 70
Index:
Haushaltsrechte
AT
BE
CY CZ DE
DK
EE
ES FI
FR
HU
IE
IT
LT
LU
LV
MT
NL PLPT
ROSE SI
SKUK
Schwach Stark
Artikel@13
Konferenz
0.5 1 1.5 2 2.5
EU@Kontroll@
befugnisse
!
22!
Anmerkung: Kodierung: siehe Tabelle 1. Länderkürzel: offizielles EU-Schema. Quellen:
siehe Abschnitt „Daten“.
!
23!
6. Qualitative vergleichende Analyse (QCA)
Aufgrund der begrenzten Fallzahl und der Kodierung der abhängigen Variablen, ist eine
fortgeschrittene statistische Analyse im Rahmen dieser Untersuchung nicht sinnvoll. Wir
untersuchen unsere Hypothesen daher mithilfe einer qualitativen vergleichenden Analyse
(QCA). Andererseits ermöglicht die QCA eine größere Anzahl von Fällen und
Erklärungsfaktoren zu analysieren als in den üblichen vergleichenden
Fallstudienuntersuchungen. In ihrer einfachsten Variante erfordert die sogenannte crisp-set
QCA eine Dichotomisierung aller Variablen. Das Vorhandensein einer Bedingung wird mit
„1“ kodiert, die Abwesenheit der Bedingung mit „0“. Die Daten für die QCA werden in einer
Wahrheitstafel (truth table) angeordnet. Jede im Datensatz vorhandene Konfiguration von
Bedingungen wird in einer Zeile zusammen mit dem damit verknüpften Wert des zu
erklärenden Sachverhalts dargestellt. Schließlich wird der truth table analysiert und mit
Verfahren der kombinatorischen Logik reduziert.11 Ziel dieser Operation ist es eine Lösung zu
finden, die eine möglichst sparsame (sprich: wenige Bedingungen umfassende) Kombination
notwendiger und hinreichender Bedingungen für das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit
des zu erklärenden Ergebnisses darstellt.
Anpassungen an den ESM-Vertrag und das ES
In diesem Abschnitt untersuchen wir, ob Kombinationen unserer Erklärungen hinreichend für
moderate oder starke parlamentarische Anpassungen an ESM und ES sind. Da die QCA
verlangt, dass wir nur Vorhandensein und Abwesenheit unserer erklärenden Bedingungen
identifizieren, definieren wir folgende vier dichotome Bedingungen. Die Auswirkung hoher
öffentlicher Schulden verfolgen wir nicht weiter, da die deskriptive Analyse keinerlei
Zusammenhang mit parlamentarischer Anpassung erkennen ließ.
Tabelle A2 im Anhang liefert einen Überblick über die der QCA zugrunde liegenden Daten.12
Starke EU-Kontrollbefugnisse: vorhanden ab einem Wert von 1.82 aufwärts (ab den
Niederlanden und Österreich).
Starke Haushaltsrechte: vorhanden ab einem Wert von 50 (trennt Deutschland, die
Niederlande und Österreich von den anderen Mitgliedstaaten).
Starke öffentliche Polarisierung: vorhanden unter einem Wert von 14.2 (so, dass ein
Drittel der beobachteten Werte ab Estland als polarisiert gelten).
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
11 Wir nutzen die Software Tosmana (Cronqvist 2011).
12 Aufgrund fehlender Daten zu Haushaltsrechten, fehlen in dieser Analyse Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen,
Luxemburg, Malta, Polen, Rumänien und Zypern.!
!
24!
Nettozahler: vorhanden für Nettobeitragszahler an den EU-Haushalt.
Tabelle 2: Truth table ESM-Zustimmungsrechte
Erklärende Bedingungen
ESM-Zustimmungsrechte
EU-
Rechte
Haushalts-
rechte
Öffentlich-
keit
Netto-
zahler
Weit-
reichend
Mindestens
moderat
Fälle
1
1
1
1
1
1
AT, DE
1
1
0
1
0
1
NL
1
0
0
0
0
0
SK, SI
1
0
1
1
0
0
FI
0
0
0
0
0
0
IE, PT
0
0
1
1
0
0
FR
0
0
0
1
0
0
BE, IT
0
0
1
0
0
0
EL, ES
Aus dem truth table für ESM-Zustimmungsrechte (Tabelle 2) lassen sich direkt einige
interessante Befunde herauslesen. Zunächst stellen wir fest, dass die starken
Zustimmungsrechte des Bundestags und des österreichischen Nationalrats durch starke
bestehende Kontrollbefugnisse, Haushaltsrechte, öffentliche Polarisierung und den
Nettozahlerstatus deutlich überbestimmt sind. Unglücklicherweise stehen uns für diese
Analyse nur acht der theoretisch denkbaren 16 Kombinationen unserer Bedingungen zur
Verfügung, so dass es nicht möglich ist, diese Kombination weiter zu vereinfachen. Klar ist
allerdings auch, dass die Kombination von drei positiven Bedingungen ohne starke
Haushaltsrechte (siehe Finnland) nicht zu starken Zustimmungsrechten führt. Des Weiteren
stellen wir fest, dass sich die Niederlande, die nur über eingeschränkte Zustimmungsrechte
verfügen, von Deutschland und Österreich nur durch die fehlende starke öffentliche
Polarisierung von intra-europäischen Finanztransfers unterscheiden. Es liegt daher nahe, dass
starker öffentlicher Druck auf die Parlamente Deutschlands und Österreichs im Zuge der
ESM-Ratifizierung Anreiz zur Schaffung besonders weitreichender Zustimmungsrechte war.
!
25!
Tabelle 3: QCA-Ergebnisse Abwesenheit von ESM-Zustimmungsrechten
Länder
EU-
Rechte
Haushaltsrecht
e
Öffentlichkei
t
Nettozahle
r
Keine starken Zustimmungsrechte
1
FR, EL, ES, BE, IT, IE,
PT
0
0
2
FI*, FR
0
1
1
3
SK*, SI*, IE, PT
0
0
0
4
NL
1
1
0
1
Weder starke noch schwache Zustimmungsrechte
1
FR, EL, ES, BE, IT, IE,
PT
0
0
2
FR, FI*
0
1
1
3
SK*, SI*, IE, PT
0
0
0
Anmerkung: * Fälle, die nicht schon durch die zuerst aufgeführte Kombination abgedeckt
werden.
Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse einer Analyse mit veränderter Perspektive: Warum haben
einige Parlamente keine starken, oder gar keine, Zustimmungsrechte in ESM-
Angelegenheiten? Die Resultate unterstreichen die Bedeutung starker Haushaltsrechte und
bestehender EU-Befugnisse. Wo diese fehlen, finden wir weder starke noch moderate
Zustimmungsrechte. Diese Erklärung deckt nahezu alle Länder in der Analyse ab. Einzige
nennenswerte Ausnahme sind die Niederlande im Falle starker Zustimmungsrechte, die hier
allerdings wieder ins Muster passen, wenn wir berücksichtigen, dass die Tweede Kamer
zumindest moderate Rechte hat. Zudem entdecken wir zwei separate Erklärungen, die
parlamentarische Rechte in Finnland (Erklärung 2 in beiden Teilen von Tabelle 3) sowie in
der Slowakei und Slowenien (Erklärung 3) abdecken. Bei näherem Hinsehen stellen wir
allerdings fest, dass fehlende starke Haushaltsrechte das gemeinsame Element beider Pfade
sind: ohne diese scheint es keine Rolle zu spielen, ob Länder Nettozahler mit polarisierter
Öffentlichkeit (Erklärung 2) oder Nettoempfänger ohne polarisierte Öffentlichkeit (Erklärung
3) sind.
Die Ergebnisse für parlamentarische Informationsrechte in ESM-Angelegenheiten sind
ähnlich, so dass wir sie hier nur zusammenfassen (siehe Tabelle A3, Tabelle A4 und Tabelle
A5 im Anhang). Den starken Rechten des Bundestages, des Nationalrates (AT) und der
!
26!
Tweede Kamer (NL) liegen starke europapolitische Befugnisse, starke Haushaltsrechte sowie
der Nettozahlerstatus zugrunde. Anders als im Falle von Zustimmungsrechten, scheint die
Polarisierung der öffentlichen Meinung hier keine Rolle zu spielen. Es ist wiederum nicht
möglich, dieses Ergebnis weiter zu vereinfachen. Eine Analyse der Abwesenheit starker
Parlamentsrechte legt wie im Falle von Zustimmungsrechten nahe, dass schwache
Haushaltskompetenzen und geringe EU-Kontrollbefugnisse eine wichtige Rolle spielen. Wir
können allerdings keine gesicherten Aussagen darüber treffen, warum Parlamente wenigstens
moderate (aber nicht notwendigerweise starke) Rechte besitzen. Hier finden sich zum einen
Widersprüche zwischen Belgien (keine Rechte) und Italien (moderate Rechte) und zum
anderen zwischen Irland (keine Rechte) und Portugal (moderate Rechte), die jeweils gleiche
Kombinationen von Bedingungen, aber unterschiedliche Ergebnisse aufweisen.
Unsere Analyse parlamentarischer Rechte im Rahmen des ES bestätigt die Ergebnisse
der deskriptiven Analyse: Unsere Hypothesen besitzen hier auch in Kombination keine
Erklärungskraft. Tabelle A6 zeigt, dass im Falle weitreichender ES-Rechte, vier der neun
Kombinationen unserer Erklärungsfaktoren zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Im
Falle mindestens moderater Parlamentsrechte sind es sechs aus neun Kombinationen. Vor
diesem Hintergrund scheint uns der Schluss angemessen, dass andere als die von uns
aufgrund der bestehenden Literatur vorgeschlagenen Erklärungen entwickelt werden müssen.
Zusammenfassend stützt die Analyse unsere erste Hypothese, die die Bemühungen
nationaler Parlamente ihre Rechte im Rahmen des ESM-Vertrages zu sichern, auf starke
bereits bestehende haushalts- und europapolitische Kompetenzen zurückführt. Wo diese
Kompetenzen fehlen, scheint der Weg der institutionellen Anpassung blockiert. Wo sie
vorhanden sind, beobachten wir die Entstehung von Zustimmungs- und Informationsrechten.
Erklärungen, die die Salienz und die politische Ökonomie der EU betonen, spielen eine
nachgeordnete Rolle, lassen sich jedoch nicht gänzlich ausschließen.
Präferenzen zur Artikel-13 Konferenz
Im Folgenden untersuchen wir, ob Kombinationen unserer Erklärungsfaktoren
parlamentarische Präferenzen zur Artikel-13 Konferenz hinreichend erklären. Die Analyse
konzentriert sich auf die Faktoren, die aufgrund der Hypothesen und der deskriptiven Analyse
plausibel erscheinen (bestehende EU-Kontrollbefugnisse, Unterstützung des EPs,
Nettozahlerstatus und öffentliche Schulden).
Wie in der vorhergehenden Analyse müssen wir zunächst festlegen, ab welchen
Werten unsere Erklärungen als vorhanden gelten können (vgl. Tabelle A2 im Anhang). Im
!
27!
Falle von EU-Kontrollbefugnissen und EU-Haushaltstransfers gehen wir wie bereits
beschrieben vor. Darüber hinaus gilt ein Parlament als Unterstützer des EPs ab einem Wert
von „5“ (entspricht „somewhat in favour“). Hohe Schulden gelten ab jenseits der im
Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten 60 Prozentgrenze als vorhanden.
Tabelle 4: Truth Table Präferenzen zur „Artikel-13 Konferenz“
Erklärende Bedingungen
Ergebnis
EU-
Rechte
EP Unter-
stützung
Netto-
zahler
Schulden
Starke
Konferenz
Fälle
1
1
1
1
1
AT,DE
0
1
1
1
1
BE
1
0
0
0
W
CZ(1),LV(0),RO(0),SK(0)
1
1
1
0
0
DK
1
0
1
0
W
EE(0),LT(0),PL(1),SI(0)
0
0
0
1
0
ES,IE
1
1
0
0
0
FI,SE
0
1
0
1
W
FR(1),IT(1),UK(0)
1
0
1
1
0
HU
1
1
0
1
1
NL
0
0
1
1
1
PT
Anmerkung: W: Widerspruch.
Der truth table zu parlamentarischen Präferenzen zur „Artikel-13 Konferenz“ (Tabelle 4)
zeigt, dass einige Kombinationen unserer erklärenden Bedingungen zu widersprüchlichen
Ergebnissen führen. Anders aber als im Falle der Untersuchung des ES (siehe oben) gehen
diese Widersprüche jeweils auf einzelne Länder, die von der Mehrheit abweichen, zurück, so
dass wir eine weitere Analyse für sinnvoll erachten. Zur Behandlung der Widersprüche bieten
sich zwei Alternativen an: Wir können sie aus der Analyse ausschließen (Lösungsvariante 1)
oder entsprechend des Ergebnisses der Mehrheit der Fälle auflösen (Lösungsvariante 2). Wir
bevorzugen letztere Option, da sie die geringsten Auswirkungen auf die Konsistenz und
empirische Relevanz unserer Ergebnisse hat, wie in den folgenden Tabellen genauer
beschrieben, präsentieren aber beide Lösungsvarianten. In der Tat stellen wir in der Folge
fest, dass die wichtigsten Schlussfolgerungen nicht wesentlich von der Behandlung der
Widersprüche abhängen.
!
28!
Tabelle 5: QCA-Ergebnis Präferenz für eine starke „Artikel-13 Konferenz“
Länder
EU-
Rechte
EP Unter-
stützung
Netto-
zahler
Schulden
Lösungsvariante 1:
Widersprüche ausgeschlossen. Falsch bewertet: -. Nicht abgedeckt: CZ, PL, FR, IT.
1
AT, DE, NL
1
1
1
2
BE*, PT*
0
1
1
Lösungsvariante 2:
Widersprüche nach Mehrheitsergebnis. Falsch bewertet: UK. Nicht abgedeckt: PL, CZ.
1
AT, DE, BE, FR, IT, NL, UK
1
1
2
BE, PT*
0
1
1
Anmerkung: * Fälle, die nicht schon durch die zuerst aufgeführte Kombination abgedeckt
werden.
Wie lässt sich nun erklären, dass einige Parlamente eine starke Artikel-13 Konferenz
präferieren? Lösungsvariante 2 (Tabelle 5) unterstreicht die Kombination aus Nettozahlungen
an den EU-Haushalt und hohen öffentlichen Schulden. Diese Kombination trifft auf alle
Parlamente zu, die eine starke Konferenz fordern, bis auf Portugal, die Tschechische Republik
und Polen. Im Falle des portugiesischen Parlaments, dass ein starkes EP befürwortet und kein
Nettozahler ist, scheinen hohe Schulden nur in Kombination mit geringen bestehenden EU-
Kontrollbefugnissen die Forderung nach einer starken Artikel-13 Konferenz zu erklären.
Aufgrund der Annahmen, die Lösungsvariante 2 zugrunde liegen, lässt das Ergebnis keine
Aussagen zu Tschechien und Polen zu. Die abweichenden Präferenzen des britischen
Parlaments lassen sich möglicherweise dadurch erklären, dass Großbritannien, im Gegensatz
zu den anderen durch die Lösung abgedeckten Ländern, kein Euro-Mitglied ist.
Lösungsvariante 1 verdeutlicht in erster Linie, dass auch Parlamente mit starken bestehenden
EU-Kontrollbefugnissen eine starke Konferenz fordern können, wenn eine inter-
parlamentarische Kontrolle der europäischen Fiskal- und Wirtschaftspolitik aufgrund hoher
Schulden und Nettozahlungen als besonders relevant erscheint.
Tabelle 6 liegt die Frage zugrunde, warum einige Parlamente keine starke Artikel-13
Konferenz wollen. Beide Lösungsvarianten zeigen hier vor allem, dass dies in der großen
Mehrheit der Fälle, durch starke bestehende europapolitische Kontrollbefugnisse in
Kombination mit geringen öffentlichen Schulden zu erklären ist. Die Tatsache, dass die
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Parlamente Irlands und Spaniens trotz hoher Schulden gegen eine starke Konferenz sind, lässt
sich durch Ablehnung des EPs und, je nach Lösungsvariante, geringen EU-Rechten auf
nationaler Ebene oder geringen Zahlungen an den EU-Haushalt erklären. Im Falle Ungarns
stehen Zahlungen aus dem EU-Haushalt sowie starke bestehende europapolitische
Kompetenzen der Forderung nach einer starken Konferenz im Wege, obwohl diese den
Einstellungen der Parlamentsparteien zum EP entspräche.
Tabelle 6: QCA-Ergebnisse Präferenz gegen eine starke Konferenz
Länder
EU-
Rechte
EP Unter-
stützung
Netto-
zahler
Schulden
Lösungsvariante 1:
Widersprüche als negative Ergebnisse. Falsch bewertet: CZ, PL, FR, IT. Nicht abgedeckt: -.
1
CZ, LV, RO, SK, DK, EE, LT, PL, SI, FI, SE
1
0
2
EE, LT, PL, SI, HU*
1
1
0
3
ES*, IE*, FR*, IT*, UK*
0
0
1
Lösungsvariante 2:
Widersprüche nach Mehrheitsergebnis. Falsch bewertet: PL, CZ. Nicht abgedeckt: UK.
1
CZ, LV, RO, SK, DK, EE, LT, PL, SI, FI, SE
1
0
2
EE, LT, PL, SI, HU*
1
1
0
3
ES*, IE*
0
0
1
Anmerkung: * Fälle, die nicht schon durch die zuerst aufgeführte Kombination abgedeckt
werden.
Ungeachtet einer Reihe von Partikularerklärungen und nationalen Sonderfällen, verdeutlicht
die Analyse insgesamt die entscheidende Bedeutung bestehender europapolitischer
Befugnisse (Hypothese 2) und politisch-ökonomischer Bedingungen, die der europäischen
Haushaltspolitik besonderes Gewicht beimessen. Die in den Hypothesen 5 und 6
beschriebenen Faktoren finden somit zwar Unterstützung, jedoch bezüglich parlamentarischer
Reformpräferenzen und nicht, wie ursprünglich erwartet, bezüglich institutioneller Anpassung
auf der nationalen Ebene. Parlamente, in denen der EU-Haushalt aufgrund hoher
Beitragszahlungen tendenziell kritisch gesehen wird, und die ihrerseits aufgrund hoher
Schulden im Fokus europäischer Haushaltspolitik stehen, verlangen eine starke
interparlamentarische Kontrollinstanz auf europäischer Ebene. Parlamente, für die die
europäische Haushaltspolitik aufgrund geringer Schulden weniger relevant ist, lehnen eine
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starke Konferenz ab, vorausgesetzt, sie verfügen auf nationaler Ebene über Rechte, die für
eine Kontrolle der Europapolitik ihrer Regierung nötig sind. Parlamentarische Präferenzen zur
Artikel-13 Konferenz hängen somit nicht nur von bestehenden europapolitischen Rechten ab,
sondern werden auch durch die politische Ökonomie der Wirtschafts- und Währungsunion
geprägt.
8. Schluss
Die Zentralisierung finanzpolitischer Befugnisse auf europäischer Ebene hat nicht nur dazu
geführt, dass sich nationale Parlamente zunehmend dem Druck ausgesetzt sehen,
Zustimmungs- und Informationsrechte neu zu justieren, sondern auch verstärkt transnationale
Kanäle des Informationsaustausches zu bemühen (Crum u. Fossum 2013). Allerdings konnten
wir sehen, dass nationale Parlamente alles andere als einheitlich auf die Herausforderungen,
die die Krise mit sich gebracht hat, reagiert haben. Die Informations-, Mitwirkungs- und
Zustimmungsrechte, die nationalen Parlamenten im Rahmen des ESM und ES zustehen,
unterscheiden sich stark. Während bspw. der österreichische Nationalrat und der deutsche
Bundestag (mit freundlicher Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts) über starke
Informations- und Zustimmungsrechte im Rahmen von ESM-Entscheidungen verfügen, ging
die Mehrheit nationaler Parlamente diesbezüglich leer aus. Unsere Analyse hat gezeigt, dass
Parlamentsrechte in ESM-Angelegenheiten in erster Linie als Reaktion auf die Bedrohung
parlamentarischer Haushaltsrechte und bestehender europapolitischer Kompetenzen
verstanden werden können. Dort, wo nationale Parlamente bereits über starke
haushaltspolitische Befugnisse verfügen, unternehmen Parlamente besondere Anstrengungen,
um zu verhindern, dass diese Rechte durch ESM-Maßnahmen ausgehöhlt werden. Wo
allerdings starke Haushaltsbefugnisse fehlen und bestehende Kontrollrechte in EU-
Angelegenheiten nur schwach ausgeprägt sind, überträgt sich die schwache Stellung
nationaler Parlamente auch auf die Mitwirkung im Rahmen von ESM-Entscheidungen.
Unsere Befunde stützen ebenso die Hypothese, dass Parlamente mit starken Informations- und
Mitwirkungsmöglichkeiten in EU-Angelegenheiten nur einen geringen Anreiz verspüren,
zusätzliche Ressourcen in inter-parlamentarische Kooperation zu investieren. Nationale
Parlamente, die aufgrund hoher Beitragszahlungen und Schuldenbelastungen der EU-
Haushaltspolitik besondere Bedeutung zuschreiben, sind dahingegen an einem stärkeren
interparlamentarischen Austausch interessiert. Weniger eindeutig sind die Befunde, die die
parlamentarische Mitwirkung am ES betreffen. Hier greift keine der von uns entwickelten
Hypothesen. Eine Ursache hierfür könnte sein, dass nationale Parlamente das ES bisher sehr
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unterschiedlich bewerten, da das ES zuvorderst eine Maßnahme zur Koordinierung nationaler
und europäischer Politiken darstellt und Bindungswirkung nur dann entfaltet, wenn der
Europäische Rat ein Defizit- oder Ungleichgewichtsverfahren sowie Sanktionen beschließt.
Es kann somit von der Einschätzung nationaler Parlamentarier über die Bindungswirkung des
ES abhängen, ob sie ihre Befugnisse auf das ES ausweiten wollen oder nicht. Es ist allerdings
damit zu rechnen, dass es über Zeit zu Lerneffekten kommt, die dann eine systematischere
Reaktion wahrscheinlicher werden lassen.
Insgesamt zeigt unsere Analyse, dass bestehende Anpassungsmuster und -dynamiken
im Großen und Ganzen fortgeschrieben werden: Starke Parlamente reagieren auf die
zunehmende Zentralisierung fiskalpolitischer Befugnisse, indem sie sicherstellen, keine
Mitwirkungs- und Kontrollverluste zu erfahren. Für schwache Parlamente scheint dieser Weg
verschlossen. Allenfalls findet sich eine größere Bereitschaft, im Rahmen
interparlamentarischer Kooperation, bestehende Defizite zu adressieren. Vor dem Hintergrund
der unterschiedlichen Reformpräferenzen der mitgliedstaatlichen Parlamente ist eine Einigung
auf eine starke Artikel-13 Konferenz jedoch unwahrscheinlich. Auch wenn diese Befunde
wenig überraschend sein mögen, so sind sie jedoch aus demokratietheoretischer Sicht
ernüchternd, da sich im Zuge der Krise die Ungleichverteilung parlamentarischer
Mitwirkungs- und Kontrollrechte fortschreibt.
In einem wesentlichen Punkt weichen unsere Ergebnisse von der bestehenden
Literatur ab. So stellen wir fest, dass parlamentarische Anpassungsleistungen primär auf
relative stabile institutionelle Faktoren zurückgehen. Die in der Literatur ebenfalls betonten
öffentlichen und parteipolitischen Einstellungen zur Integration und zum EP spielen nur am
Rande eine Rolle. Parlamentarische Reaktionen auf die krisengetriebenen Reformen der
Wirtschafts- und Währungsunion haben somit neben einer Vertiefung bestehender
Ungleichgewichte auch zu deren Verfestigung und Verselbstständigung beigetragen. Dies
wird umso deutlicher angesichts der Tatsache, dass ungleiche Parlamentsrechte nicht bloß auf
bestehende Haushaltsrechte, sondern auch auf zuvor erfolgte europapolitische
Anpassungsleistungen zurückzuführen sind. Die parlamentarischen Ungleichgewichte, die vor
der Krise bestanden, perpetuieren sich somit selbst: Starke Parlamente bleiben stark,
schwache Parlamente bleiben weiterhin schwach. Obwohl unsere Analyse keine definitiven
Aussagen über die zukünftige Entwicklung der europapolitischen Kompetenzen nationaler
Parlamente zulässt, deutet sie doch auf eine zunehmende Institutionalisierung von
demokratischen Asymmetrien im parlamentarischen System der EU hin.
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... First, parliaments have created the Interparliamentary Conference on Stability, Economic Coordination and Governance in the European Union to 'contribute to ensuring democratic accountability in the area of economic governance and budgetary policy in the EU, particularly in the EMU' (Interparliamentary Conference on Stability, Economic Coordination and Governance in the European Union, 2015, articles 2.1 and 4.2). Second, parliaments can adapt domestic oversight institutions vis-à-vis the governments in relation to the European Semester (Hallerberg et al., 2018;Kreilinger, 2018;Rasmussen, 2018;Rittberger & Winzen, 2015). Whereas the effectiveness of the Interparliamentary Conference remains debated, the second path, which is the focus here, is wellestablished in EU governance and might be relevant for the European Semester as well. ...
... Two institutional conditions will be examined. First, parliaments with strong rights in the domestic budgetary process-the area most affected by the European Semester-might extend their position to the Semester process (Kreilinger, 2018;Maatsch, 2017;Rittberger & Winzen, 2015). Parliamentarians of governing parties accustomed to being formally consulted on budget decisions might seek to protect this prerogative. ...
... Strong budget rights could also lead parliamentarians across parties to believe that the European Semester creates a democratic deficit. Second, for similar reasons, parliaments with strong oversight institutions in EU affairs might seek to uphold this strong role in the area of economic governance (Rittberger & Winzen, 2015). Yet, the implications of institutions are not unambiguous. ...
Article
Full-text available
The European Semester is a challenge for national parliaments but also an opportunity to reform domestic oversight institutions. Drawing on data from all member states, this study examines the conditions under which national parliaments use this opportunity. Is Euro area membership a prerequisite for parliamentary adaptation to the European Semester and, if so, which further combinations of conditions account for variation among Euro area countries? The analysis suggests that membership in or close ties with the Euro area and institutional strength constitute necessary conditions for parliamentary adaptation. Combined with other factors—in particular, public debt exceeding the Maastricht criteria—these conditions explain reform in many cases. National parliamentary adaptation to the European Semester thus follows existing institutional divisions constituted by differentiated integration in the Euro area and uneven national parliamentary strength.
... Note: Adapted from Rittberger and Winzen (2015). Key decisions: Decisions on aid programs, memorandums of understanding, the authorization of aid tranches within programs, the choice and changes of instruments in aid programs, and the authorization of callable capital. ...
... Yet, interparliamentary cooperation had remained informal and weak overall (Raunio, 2009). Since 2010, three new, policy-specific interparliamentary conferences have given greater formality to interparliamentary relations (Table 3) (Cooper, 2016(Cooper, , 2017Fromage, 2018;Hefftler & Note: Updated from Rittberger and Winzen (2015). The color scheme encodes the values in Note: In addition to the legal bases listed in the table, the articles 9 and 10 of the Protocol on the Role of National Parliaments in the European Union allow national parliaments and the EP to organize interparliamentary cooperation. ...
... More comparative and recent data might thus resolve some divergent findings. Given the salience of economic governance in recent years, party and popular Euroscepticism might also deserve further attention, although some of the above studies find mixed or no evidence (Hallerberg et al., 2018;Rittberger & Winzen, 2015). ...
Article
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This article reviews the literature on the institutional position of national parliaments in the EU. It focuses on new institutional developments, explanations, and effects discussed over the course of the last decade. Existing datasets on parliamentary oversight institutions in EU affairs and economic governance have been extended to 2020 to inform the discussion. A systematic overview of new analyses of the effects of oversight institutions in EU and domestic politics is offered as well. Cutting across the debate as to whether parliaments are multi-level or domestic players in the EU, this review concludes that the last decade has seen growing policy specialization in the institutional position of national parliaments at the European and national levels, and that the causes and consequences of this development remain largely unstudied.
... Nitekim bugün MDA ülkelerinin, Almanya ve Fransa ile yaşadıkları kopukluk, başta mülteci politikasında işbirliğinden uzak tutumları, bu tür bir "Esnek Avrupa" düşüncesinin esasında pratikte var olduğunu göstermiştir. Berthold Rittberger'a göre, Schengen ve Euro Birliklerine üye olmayan üyeler ile esasında bu tür bir model uzun süredir AB içinde oluşmuştur (Rittberger, 2015). Rittberger, İsviçre ve Norveç'in AB üyesi olmadıkları halde ortak pazardan yararlandıkları, buna karşılık AB düzenlemelerini dikkate alıp, AB bütçesine katkı sağladıklarına dikkat çekmektedir. ...
... Rittberger, İsviçre ve Norveç'in AB üyesi olmadıkları halde ortak pazardan yararlandıkları, buna karşılık AB düzenlemelerini dikkate alıp, AB bütçesine katkı sağladıklarına dikkat çekmektedir. Bu şekilde de AB ve AB üyesi olmayan ülkeler arasında işbirliği üzerine kurulu esnek bir entegrasyon oluşabileceğini savunmaktadır (Rittberger: 2015). Thomas Schmitz'e göre; "Brexit ve beraberindeki süreç AB'nin yapısal olarak çöküşüne sebep olabilecektir. ...
... The traditionally weak Italian parliament was among those national parliaments most 'assertive in extending their involvement in the budgetary process' (Crum, 2018, p. 275) and received new prerogatives in the context of the European Semester, for example additional reporting duties for the government (Rittberger and Winzen, 2015). Two key moments for parliamentary involvement concern its approval of the National Reform Program (NRP) in April and the budgetary law in October. ...
Article
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The euro crisis has sparked changes in the EU's economic governance framework and a crisis of legitimacy across the union. While the institutional repercussions of the crisis have been studied before, the democratic impact at the national level has received much less attention. This paper aims to fill this gap, focusing on the procedural changes that the EU's new economic governance (NEG) framework has brought to national budgetary decision‐making. Building upon the Varieties of Democracy framework, the paper adds empirical nuance and conceptual clarity to the notion of ‘throughput legitimacy’ and its components: openness, inclusiveness, transparency and accountability. Detailed case studies of post‐crisis Austria, Italy and Portugal show that the NEG improved access to national budgetary decision‐making and enhanced executive scrutiny, while excessive complexity remains the Achilles' heel of EU fiscal rules. We submit that these procedural changes are too meaningful to be overlooked in post‐crisis debates about EU democracy.
... Rather, they strengthened the supervisory powers of the ECB and the supranational constraints on the national budgets. The European Parliament was largely sidelined in the process of EMU reform, and whereas some national parliaments acquired additional rights during the crisis, the parliaments of the bailout countries, whose competencies in overseeing EU affairs had already been comparatively weak before the crisis, did not benefit (Rittberger and Winzen 2015). ...
Chapter
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How did the Eurozone bailouts affect national democracies? Recent research, including by Klaus Armingeon and his colleagues, indicates strong citizen detachment from democracy due to the external constraints imposed by bailout programs on national autonomy. This chapter re-examines the detachment thesis with the help of the generalized synthetic control method. We confirm the strong negative effect of bailouts on satisfaction with democracy, but show that the effect diminishes substantially after a number of years.
Chapter
Zu Mitspielern in der EU-Architektur sind zunehmend auch die Parlamente der Mitgliedstaaten zu zählen. Der Vertrag von Lissabon hat in Artikel 12 entsprechende Vorgaben formuliert. Die Diskussion um die Mitwirkung von 39 Kammern ist von unterschiedlichen institutionellen Leitideen geprägt, die eine Vielzahl von Modellen mit schwachen und starken Formen der Beteiligung anbieten. Zu erklären ist dagegen die schwache Nutzung der im Lissabonner Vertrag eingeräumten Beteiligungsrechte nationaler Parlamente. Auch die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament in mehreren interparlamentarischen Konferenzen wird nur begrenzt genutzt. Eine Fusion eines parlamentarischen Mehrebenensystems als mögliches Gegengewicht zu den Organen der Exekutive ist nicht zu beobachten.
Chapter
Die Kontingenz politischen Entscheidens macht die Demokratie nicht nur politisch, sondern birgt gleichzeitig das Element des Unpolitischen in sich: Um ein Übermaß an Komplexität zu vermeiden, ist ein gewisses Maß an Entpolitisierung schon aus funktionalen Gründen erforderlich. Ein Übermaß an entpolitisierten Prozessen droht allerdings, die Legitimität in das demokratische System selbst zu untergraben. Die auf verschiedenen Ebenen stattfindende Verlagerung politischer Diskurse in den nichtparlamentarischen Raum droht deshalb zum Problem für die liberale Demokratie zu werden. Gängige Lösungsstrategien durch moralisierende oder ökonomisierte Argumentationsweisen erweisen sich allerdings als kontraproduktiv: Indem sie politische Entscheidungen dem kritischen Diskurs entziehen, wirkten sie selbst entpolitisierend.
Chapter
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In recent decades, national parliaments - Formerly the ‘poor losers’ of European integration - have learned ‘to fight back’ and obtained greater participation rights in domestic European policymaking.¹ Since the entry into force of the Lisbon Treaty, national parliaments even have an explicit role in the European Union’s (EU) legislative process, in particular as the new guardians of the subsidiarity principle. However, despite these institutional changes - and a growing body of academic literature on the subject - the debate over whether national parliaments can and do play an effective role in EU policymaking continues. On the one hand, their expanded participation rights have provided national parliaments with greater institutional opportunities to control their governments in EU affairs. In addition, they can try to exert at least some, albeit mainly collective, influence at the EU level. On the other hand, the literature has consistently highlighted the challenges faced by national parliaments in making use of their participation rights, such as the highly technical character and complexity of EU issues, the lack of transparency in EU negotiations or the lack of electoral and party strategic incentives to get involved. © Claudia Hefftler, Christine Neuhold, Olivier Rozenberg and Julie Smith 2015, Respective authors 2015 and Wolfgang Wessels 2015.
Article
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This article reports on the 2010 Chapel Hill expert surveys (CHES) and introduces the CHES trend file, which contains measures of national party positioning on European integration, ideology and several European Union (EU) and non-EU policies for 1999−2010. We examine the reliability of expert judgments and cross-validate the 2010 CHES data with data from the Comparative Manifesto Project and the 2009 European Elections Studies survey, and explore basic trends on party positioning since 1999. The dataset is available at the CHES website.
Article
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Parliaments in the demoi-cratic system of the EU develop in co-evolution. We study why some national parliaments react to the empowerment of the European Parliament (EP) by strengthening their own competences, whereas others do not. First, we argue that national parliamentary parties take systematic positions on the powers of the EP. In particular, support for parliamentarisation at the European level decreases to the extent that parties are culturally conservative, confront Eurosceptic populations and have weak supranational office opportunities. Second, aggregate support for the EP among the party composition of national parliaments tells us whether or not national parliaments perceive the EP as a competitor and strive for stronger parliamentary competences at the national level. We present support for these arguments using quantitative and qualitative analyses of party positions on the European Parliament and of national parliaments’ oversight institutions in EU affairs.
Article
Article 13 of the Fiscal Treaty (2012) foresaw that the European Parliament and national parliaments of the EU would convene a conference to “discuss budgetary policies and other issues covered by this Treaty.” However, the first Interparliamentary Conference on Economic and Financial Governance of the European Union, which met in Vilnius in October 2013, was beset by controversy. The main disagreements were not substantive (i.e. over economic policy choices) but rather constitutional, institutional, and procedural. They pitted the EP and its allies, favouring a weak conference with a narrow mandate, against a number of national parliaments (led by the host parliament, the Lithuanian Seimas), favouring a strong conference with a broad mandate. At the root of this institutional struggle for power lay competing visions for the parliamentary oversight of the EU: should scrutiny be centralized in the EP, or should there be a new system of joint scrutiny involving the EP and national parliaments together? These issues remained unresolved not only at the second conference (Brussels, January 2014), but also in the run-up to the third conference in Rome, hosted by the Italian Camera dei deputati, in September 2014.
Article
This article explores the implications of the financial crisis for the relationship between monetary integration and democratic government in the European Union (EU). As the crisis has exposed the original balance that economic and monetary union (EMU) sought to maintain between monetary integration and policy diversity to be unsustainable, the eurozone is put before the choice of one of three governance models: executive federalism, democratic federalization or EMU dissolution. Notably, these three governance models perfectly illustrate Dani Rodrik's ‘trilemma of the world economy’, which maintains that of the three goods – economic (and monetary) integration, the nation-state and democratic politics – one will always have to give. In light of this, the article concludes that the present course towards executive federalism can be justified for preventing euro dissolution and recognizing the value of national self-government. Nevertheless, it threatens to come at a democratic price. Hence, it is imperative to consider possible flanking measures that can mitigate this effect.
Article
The eurozone crisis challenges the scrutiny systems of national parliaments: many instruments tackling the crisis were established outside the EU legal framework; the crisis management has generally been dominated by European and national executives; and decisions were taken under enormous time pressure. Did national parliaments become involved in scrutiny of the crisis management, and if so, how? And to what extent are their crisis-related scrutiny activities different from those in other EU affairs? Based on a quantitative data set on formal parliamentary activities in 2010–12, this article shows that the crisis did play an important role with regard to plenary EU debates in many national parliaments. Beyond debates, however, scrutiny of the crisis management has surprisingly been ‘business as usual’ for most parliamentary chambers. This further cements the gap between formally strong and active and formally weak and inactive parliaments.
Article
While the Lisbon Treaty has been heralded as victory for the European Parliament, the crisis-related reforms of the European Union's economic governance regime are commonly being considered to have empowered governments and supranational institutions – such as the Commission and ECB – at the expense of the EP and national parliaments. This article argues that the picture is more nuanced than suggested by the conventional wisdom: legitimacy-seeking and interinstitutional bargaining arguments, which have been applied effectively to account for the expansion of the EP's power in the past, highlight the conditions under which the EP's struggle for more institutional power is either met with success (as in the case of the single supervisory mechanism) or faces virtually insurmountable obstacles (as in the case of the Troika and the European Stability Mechanism).
Book
Why have the national governments of EU member states successively endowed the European Parliament with supervisory, budgetary, and legislative powers over the past fifty years? Building Europe's Parliament sheds new light on this pivotal issue, and provides a major contribution to the study of the European Parliament. Rittberger develops a theory of delegation to representative institutions in international politics which combines elements of democratic theory and different strands of institutionalist theory. To test the plausibility of his theory, Rittberger draws on extensive archival material and offers theory-guided, in-depth case studies of three landmark decisions in the history of the European Parliament: the creation of the Common Assembly of the ECSC in 1951 and the concomitant acquisition of supervisory powers vis-à-vis the quasi-executive High Authority; the delegation of budgetary powers following the signing of the Treaty of Luxembourg in 1970; and the delegation of legislative powers resulting from the adoption of the Single European Act signed in 1986. This is followed by the charting of more recent key developments, culminating in the adoption of the Constitutional Treaty in 2004. The book provides a welcome addition to the literature on institutional design by reflecting on the conditions under which governments opt for the creation and empowerment of parliamentary institutions in international politics. It also makes a valuable contribution to the application of democratic theory to the study of the European Union by demonstrating that political elites shared the view that the new supranational polity which emerged from the debris of World War II suffered from 'democratic deficit' since its inception, thus disproving the claim that the lamented 'democratic deficit' is a recent phenomenon. Winner of the European Union Studies Association Prize for Best Dissertation 2002-2004.
Article
At the level of general principle, representative democracy is appealed to by the EU institutions and member states alike. Yet in today's Europe it risks being marginalised amidst the actions and rhetoric of emergency – a norm to be waived in a state of exception, leaving decisions of lasting consequence shielded from public debate. A German constitutional theorist once famously defined as sovereign the one who has the power to declare the state of exception, and linked this power closely to executive suspensions of the law. The European setting invites a different understanding of an emergency regime: one that is manifest in the contravention of norms which may or may not be legally codified, and which is collectively produced by multiple actors. The persistence of politics in the emergency register indicates precisely the weakness of political authority. The article goes on to examine how exceptional this exceptionalism is. Is Europe's emergency politics a recent phenomenon, or has it been one of the currents of European integration from the beginning?
Article
This article analyses to what extent and why national parliaments have created oversight institutions to adapt to European integration. Employing data from 22 member states from 1984–2006, the analysis suggests that government-supporting parliamentary groups create oversight institutions to enhance policy participation as integration becomes more important. Moreover, parliamentarians improve their access to information about government policy if governing parties are internally divided over European integration. Finally, oversight institutions that constrain the government’s discretion to act in European Union affairs exist in Eurosceptic countries, where they help parliamentarians to enhance electoral security.