Als die 10. Klasse eines Gymnasiums nach der 5. Stunde die Schule verläßt, bemüht sich einer ihrer Lehrer vergeblich, seinen PKW zu starten. Die Mehrzahl der Schüler ist offenbar hilfsbereit, denn viele laufen hin, um den Wagen anzuschieben. WATSON (z.B. 1930) hätte als "Situationist" Personprädikate wie Hilfsbereitschaft zur Verhaltensprognose als überflüssig eingeschätzt und hätte doch die
... [Show full abstract] gleiche "Hilfeleistung" vorhergesagt. Wenn der Lehrer Macht über "Zuckerbrot und Peitsche" hat, tut "man" gut daran, ihm zu Gefallen zu sein. Es fragt sich, ob man darauf verzichten mag, dieses "man" näher zu charakterisieren, um einer Prognose höhere Treffsicherheit zu verleihen, als es allein aus unserer Kenntnis der Situation möglich ist. Nicht alle der Schüler helfen. Woran liegt das? Haben diejenigen, die nicht helfen, zu spät erkannt, daß es sich um ihren Lehrer handelt? Sind sie aufgrund ihres Leistungszustandes auf sein Wohlwollen nicht angewiesen? Wollen sie sich nicht dem Verdacht des "Einschmeichelns" aussetzen? Halten sie sich für zu schwach, um effektive Hilfe leisten zu können, oder freuen sie sich, den ungeliebten Lehrer in Schwierigkeiten zu sehen? Alle diese Hypothesen räumen der Situation eine gewisse Kontrollfunktion ein, wenn auch nicht im Sinne eines Empty-Box-Modells der Person, wie es für altbehavioristische Formulierungen typisch ist. MISCHEL (1973) distanziert sich von orthodox-behavioristischen Positionen und stellt z.B. in seiner "Rekonzeptualisierung der Persönlichkeit" klar, daß nicht die Reize als solche das Verhalten kontrollieren, sondern die von der Person kodierten Reize, also das, was die Person aus der Situation macht. Nur sie sind effektiv, meint er. Das aber ist eine Absagean den Situationismus: Denn wer - fragt GRAUMANN (1975) - hat denn die effektiven Reize kodiert, wenn nicht die Person, die im "alt-behavioristischen" Sinne doch von den Reizen kontrolliert werden sollte? MISCHEL belegt seine Sicht mit einigen Experimenten zum Aufschub der Bedürfnisbefriedigung, in denen er das "Warten auf eine höherwertige Belohnung" - angesichts einer sofort verfüg- und sichtbaren geringeren - als Funktion der Kodierung eben dieser geringerwertigen Belohnung nachweist: Werden die geringerwertigen "Marshmallows" nicht als Leckerei, sondern als Wattebäuschchen "interpretiert", fällt das Warten nicht so schwer (MISCHEL, EBBESEN & ZEISS 1972). Diese - wie GRAUMANN (1975) oder auch BEM (1972) bemerken Wendung zur Phänomenologie löst die Person-Situation-Kotro-verse auf. "Was eine Situation ist, bestimmt sich für Dritte rein aus der Weise, in der die Person diese redend und handelnd auslegt. Was eine Person ist, bestimmt sich für Dritte rein aus der Weise, wie sie sich redend und handelnd mit einer Situation auseinandersetzt" (GRAUMANN 1975, S. 22). Interaktion zwischen Person und Situation ist das neue Modell. Das heißt, neu ist es nicht. Ähnliches haben wohl schon LEWIN und STERN vorgeschlagen (GRAUMANN 1975), aber bei einer Präzisierung dieser Interaktion stellen sich noch immer begrifflich/theoretische und methodische Probleme.